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Des Reiches „erster“ Baumeister

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Textdaten
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Autor: J. H.
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Titel: Des Reiches „erster“ Baumeister
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 471, 473–477
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ludwig Bohnstedt.

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Des Reiches „erster“ Baumeister.


Gleich nach der siegreichen Heimkehr des „deutschen Kaisers“ aus Frankreich und der Eröffnung des ersten Reichstags im neuen deutschen Reich ward allgemein die Nothwendigkeit anerkannt und ausgesprochen, daß vor Allem der Neubau eines Parlamentsgebäudes in’s Auge zu fassen sei und daß in diesem Bau ein großartiges Denkmal der wiedererrungenen nationalen Einheit und der unvergeßlichen Ereignisse, aus denen jene erwachsen war, geschaffen werden müsse. Es wurde eine Commission aus Mitgliedern des Bundesraths, des Reichstags und der preußischen Regierung gebildet, um zuerst ein Programm zu entwerfen. In der darauf folgenden Herbstsession wurde Letzteres vorgelegt und im Einverständniß mit dem Reichstag auf Grund dessen am 10. December vorigen Jahres eine allgemeine Concurrenz ausgeschrieben. Als Baustelle war darnach der Königsplatz vor dem Brandenburger Thore in unmittelbarer Nachbarschaft des Thiergartens ausersehen, dessen Mitte bereits dem Siegesdenkmal angewiesen ist und welcher im Uebrigen durch Lage und Ausdehnung besonders günstige Bedingungen für die Entwicklung eines Riesenbauwerks bietet. Zur Theilnahme wurden, nicht ohne Widerspruch im Reichstag, wo man von einer Seite dieselbe auf deutsche Künstler zu beschränken empfahl, die Architekten aller Länder zugelassen. Man war eingedenk, daß die Kunst der Menschheit angehöre; man wollte den Genius dienstbar machen, wo man ihn fände, und der Beste sollte nicht um deswillen ausgestoßen sein, weil er kein Deutscher sei. An die Bewerber erging die Einladung: „nicht nur die zweckmäßigste Lösung der Aufgabe zu suchen, sondern zugleich die Idee eines Parlamentsgebäudes für Deutschland in monumentalem Sinne zu verkörpern, daher auf eine reichliche Ausschmückung des Aeußern und Innern durch Sculptur und Malerei Bedacht zu nehmen.“ Die Entwürfe sollten nicht in vollständig ausgearbeiteten Bauplänen, sondern zunächst nur in Skizzen bestehen. Als letzter Termin für die Einlieferung wurde der 15. April 1872 bestimmt, jeder Preisbewerber zur Nennung seines Namens verpflichtet und dadurch in den Wettkampf das Princip voller Oeffentlichkeit eingeführt. Zu Preisrichtern wurden vier Mitglieder des Bundesraths, acht Mitglieder des Reichstags, sechs Architekten und ein Bildhauer eingesetzt. Der erste Preis bestand in tausend Friedrichsd’or, die vier nächstbesten Arbeiten erhielten Preise von je zweihundert Friedrichsd’or.

Für eine so umfassende Aufgabe schien anfänglich Manchen die gestellte Frist von vier Monaten, wenn schon nur Skizzen auszuarbeiten waren, zu knapp bemessen, zumal auch billig berücksichtigt werden müsse, daß einem durch Berufsgeschäfte in Anspruch genommenen Künstler die Spanne Zeit leicht auf die Hälfte oder ein Viertheil verkürzt werde. Der Erfolg hat diese Befürchtung kaum gerechtfertigt. Bis zum Schlußtermin waren beim Reichskanzleramt über hundert Entwürfe eingegangen, denen sich noch verschiedene Nachzügler zugesellten. Unter den Concurrenten fiel der Zahl nach, wie natürlich, der Löwenantheil auf Deutschland; doch war auch das Ausland, namentlich England, durch Größen ersten Ranges vertreten. Am 2. Mai wurde die Ausstellung der Pläne im Berliner Akademiegebäude eröffnet. Das Publicum der Hauptstadt, die Mitglieder des versammelten Reichstags, auswärtige Architekten, Bewerber und Nichtbewerber, welche das seltene Schauspiel angelockt hatte, strömten herbei und drängten sich in den weiten Sälen. Fiel es bei der Fülle von Entwürfen auch selbst dem Fachmann schwer, einen orientirenden Ueberblick zu gewinnen, so zog doch vom ersten Augenblick an ein Entwurf die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich. Dichte Gruppen umstanden denselben während der öffentlichen Stunden, und auch wer die Begünstigung hatte, die Mitglieder der Jury während der für diese reservirten Zeiten zu belauschen, konnte wahrnehmen, daß sich diese besonders häufig vor jener Arbeit aufhielten und dieselbe mit vorzüglichem Interesse zu prüfen schienen. Nicht minder wandten sich ihr die kritischen Stimmen zu, welche alsbald in der Presse laut wurden; einige von besonders competenter Seite abgegebene prognosticirten ihr bereits mit Entschiedenheit [474] den Sieg. Mit begreiflicher Spannung wurde in allen gebildeten Kreisen das Urtheil der Preisrichter erwartet. Am 31. Mai begannen diese ihre Berathungen. In Zeit von wenigen Tagen wurde das außerordentlich reiche Material von ihnen bewältigt. Am 7. Juni gaben sie ihr Verdict in erfreulicher Uebereinstimmung mit der schon nahezu einstimmigen öffentlichen Meinung ab. Es sprach die Palme dem Urheber jenes Entwurfs, Ludwig Bohnstedt in Gotha, zu.

Unter den Berufsgenossen hatte der Name dieses Mannes längst einen guten Klang. Wenn er außerhalb der künstlerischen Kreise gerade in Deutschland bisher nicht in gleichem Maße bekannt war, so lag dies einzig an dem Umstande, daß seine schaffende Kraft sich vorzugsweise im Auslande bethätigt hatte. Aber er

Das Portal des deutschen Parlamentsgebäudes.
Entwurf von Ludwig Bohnstedt.

gehört unserem Vaterlande, und nicht bloß der Nationalität, sondern auch dem Herzen nach an. Als Sieger in diesem Wettstreit wird er fortan zu dessen Berühmtheiten zählen, und mit Recht durften ihn die Bewohner der Stadt, die ihn gegenwärtig unter ihre Mitbürger rechnet, als sie ihm auf die Nachricht von seinem Triumphe ihre freudige Huldigung darbrachten, als „Deutschlands ersten Baumeister“ begrüßen. So glauben wir den Lesern der Gartenlaube mit einigen authentischen Mittheilungen über die Person des Künstlers, sein bisheriges Wirken und seinen gekrönten Entwurf willkommen zu sein.

Ludwig Bohnstedt ist ein geborener Petersburger und wird im October fünfzig Jahre alt. Da aber sein Vater aus Stralsund und seine Mutter aus Bamberg stammte, so ist aus dem pommerischen und fränkischen Blut ein kerndeutsches Leben entstanden, und zwar mit einem norddeutschen Verstandeskopf und einem süddeutschen warmen Herzen. Als Künstler war Bohnstedt noch Schinkel’s Schüler auf der Berliner Akademie, wo jedoch Wilhelm Stier und Strack nachhaltigeren Einfluß auf ihn ausübten. Seine Wanderschaft in die Fremde der Kunstjünger, das heißt nach Italien, trat er 1841 an, kehrte im folgenden Jahre nach Petersburg zurück, ward 1845 Mitglied und zehn Jahre später Professor der kaiserlich russischen Akademie der Künste.

Er hatte sich längst durch Privatbauten den Ruf eines ausgezeichneten Technikers erworben, ehe der Staat ihn in seine Dienste nahm und die Großen des Reichs ihn beschäftigten. Dann aber blieb, gleich nach dem ersten Winken, das Künstlerglück ihm hold bis diesen Tag. Nach vierzehnjähriger Thätigkeit in Rußland trieb ihn ebenso der Widerwille gegen gewisse allbekannte russische Landüblichkeiten, die ihm gerade bei Bauunternehmungen in häßlichster Gestalt entgegenkamen, wie der Herzensdrang nach Deutschland; seit 1863 wohnt er in Gotha.

Bohnstedt’s Werke sind außerordentlich zahlreich und zerfallen in ausgeführte Bauten und Preisentwürfe. Von ersteren nennen wir nur das Petersburger Stadthaus, das Palais der Fürstin Jusupoff, das Stadttheater in Riga, viele Privathäuser in und um Gotha, die Villa Fritz Reuter’s bei Eisenach; von seinen mit ersten und zweiten Preisen gekrönten Entwürfen sind die vorzüglichsten: die Mineralwasseranstalt in Riga, ein Gesellschaftshaus in Reval, ein Kunst- und Industrieausstellungspalast in Madrid, eine protestantische Kirche in Portugal, das Rathhaus in Hamburg, ein Cantonschulgebäude in Bern und ein monumentaler

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Hauptfaçade des deutschen Parlamentsgebäudes.
Entwurf von Ludwig Bohnstedt.

[476] Gottesacker in Mailand. Sehr verdienstlich ist auch sein Stadterweiterungsplan für Gotha. –

Bohnstedt’s gestaltendes Erfindungsvermögen ist in der That außerordentlicher Art, so daß er nur einer beliebigen Aufgabe zu bedürfen scheint, um seiner Phantasie immer neue Schätze zu entheben. Und nicht minder virtuos ist die Gewandtheit und Eleganz seiner Darstellung. Durch diese glückliche Begabung ist er wie von der Natur selbst auf die Betheiligung an öffentlichen Preisbewerbungen hingewiesen, die man geradezu seine Specialität nennen könnte. Zu der Münchener internationalen Kunstausstellung im Jahre 1869 hatte er nicht weniger als zwölf große Bände voll Entwürfe eingesandt, welche dort großes und verdientes Aufsehen erregten. Ein hervorragendes Fachblatt, die „Deutsche Bauzeitung“, vindicirte schon damals Bohnstedt eine ganz besondere Bedeutung unter den Architekten Deutschlands und machte auf das Würdigste auf ihn aufmerksam. Um so erfreulicher ist es, daß dieses Urtheil durch den großen nationalen Sieg des Künstlers in der Baukunst selbst gekrönt worden ist.

Wenden wir uns nun von dem Manne noch zu einer kurzen Betrachtung des gekrönten Entwurfs. Der Urheber selbst vermittelt uns das volle Verständniß seines Gedankens durch eine beigegebene Erläuterung, der wir das Wesentlichste entnehmen.

Die örtliche Lage des Gebäudes, die Räumlichkeiten, welche dasselbe umfassen soll, und zum Theil selbst deren Größenverhältnisse waren in dem Programm so genau und erschöpfend vorgezeichnet, daß der Baumeister nichts weder bei Seite lassen noch hinzuthun konnte. Bohnstedt hat diese Aufgabe mit der Klarheit und Leichtigkeit des erfahrenen Meisters überwunden. Sein Plan trägt im Allgemeinen die Form eines Rechtecks, dessen lange Fronten nach Westen und Osten und dessen kurze Seiten nach Nord und Süd gekehrt sind. Die ersteren sind ferner durch einen Mittelbau verbunden, welcher den inneren Raum in zwei Hälften theilt und so zwei große offene Höfe von länglicher Gestalt entstehen läßt, deren schmale Seiten abgerundet erscheinen. In der Höhenrichtung baut sich das Ganze aus nur drei Geschossen auf. Von diesen bilden Souterrain und Erdgeschoß den Unterbau, welcher nur Nebenräume enthält. Darüber erhebt sich, dominirend und zugleich den Abschluß bildend, das Hauptgeschoß, in welchem alle wichtigen und der eigentlichen Bestimmung des Hauses unmittelbar dienenden Räume vereinigt sind. Den Inhalt dieses Stockwerks hat der Künstler in sechs Gruppen folgendermaßen disponirt.

Die erste Gruppe bildet der große Sitzungssaal des Reichstags[WS 1] von über sechshundert Quadratmeter Grundfläche mit den naturgemäß dazu gehörigen Piècen. Er ist in das geometrische Centrum des Gebäudes, nämlich in den vorhin erwähnten Zwischenbau, welcher die beiden Langseiten verbindet, gelegt. Seine Gestalt ist quadratisch; über ihm wölbt sich eine flache Kuppel, durch die er sein Licht empfängt und welche denselben auch äußerlich sehr schön als den innern Brennpunkt des Ganzen andeutet. Rednertribüne, Präsidium und Sitze für den Bundesrath befinden sich im östlichen Theile, dem Haupteingange gegenüber. Die decorative Ausstattung ist von edler Pracht. Das Blatt, welches diesen überaus imposanten Raum in perspectivischer Ansicht darstellt, darf als ein wahres Cabinetsstück betrachtet werden. Der Saal ist auf allen vier Seiten von Verbindungshallen umgeben. An diese schließen sich südlich das Stenographen-, Correctur- und Journalistenzimmer, nördlich drei Sprechzimmer für die Mitglieder des Reichstags, welche ihr Licht bereits seitwärts aus den beiden Höfen empfangen. Neben denselben an den vier Ecken dieses Complexes führen die Treppen zu den Tribünen auf.

In nächste Verbindung mit dem Sitzungssaal mußten vor Allem die Localitäten gebracht werden, welche für die Organe der Reichsregierung bestimmt sind. Der Entwurf legt dieselben als zweite Gruppe auf die Ostfronte und die südöstliche Ecke, von der ersten Gruppe nur geschieden durch ein geräumiges Vestibül. Die Mitte nimmt der Sitzungssaal des Bundesraths ein, der sich nach Osten auf einen freien Balcon öffnet. Zu beiden Seiten reihen sich die Geschäfts- und Sprechzimmer des Reichskanzlers, des Präsidenten des Reichskanzleramtes, sowie der Mitglieder des Bundesrathes und die Commissionszimmer des letzteren an. Auch einige Nebenzimmer, wie Post- und Telegraphenzimmer, sind zweckmäßig in dieser Abtheilung untergebracht.

Die dritte Gruppe nimmt die Nordfront ein. Hier führt der Reichstag, so zu sagen, sein Privatleben, indem er sich in die Abtheilungen und Fractionen auflöst. Jenen sind sechs kleinere, diesen zwei größere Säle zugewiesen.

Der Erholung ist die vierte Gruppe bestimmt, welche sich, von den Räumen der ersten und dritten gleich bequem zugänglich, in der nördlichen Hälfte der Westfront etablirt. Sie besteht der Hauptsache nach aus drei Erholungszimmern, einem Leseraum, aus dem eine Treppe direct in die im Erdgeschoß liegende Bibliothek führt, und einem großen Restaurationssaale. Aus diesem tritt man in die einen Hauptschmuck der westlichen Façade bildenden offenen Colonnaden, die sich hier (wie auch an der correspondirenden Stelle der Südhälfte) zu einer prächtigen Doppelhalle vertiefen.

Die fünfte Gruppe ist der Bereich des Präsidenten, welchem hier, seiner ausgezeichneten Stellung gemäß, eine glänzende Häuslichkeit eingerichtet ist. Diese Abtheilung zerfällt ihrer speciellen Bestimmung nach wieder in zwei Hälften, die Wohnräume auf der Südfront und die Repräsentationsräume auf dem südlichen Theile der Westfront. Letztere zeichnen sich durch einen großen Festsaal aus, dessen Lage dem oben erwähnten Restaurationssaale entsprichst. Beiden sind auch nach den Höfen zu geräumige Hallen vorgelegt.

Eine sechste Gruppe bildet endlich das Entrée, um die Mitte der Westseite construirt. Die offene Treppe des später zu erwähnenden Portals führt in einen geschlossenen Vorsaal, auf den links und rechts die Garderoben münden; dahinter das weite luftige Hauptvestibül als Vorhalle des Sitzungssaales, welcher so vom Eingange aus auf dem directesten Wege erreicht wird.

Die vorstehend skizzirte Lösung der Aufgabe in dem so wichtigen Punkte der Raumökonomie, welche sich in dem Grundriß darstellt, erscheint als eine überaus gelungene. Durch die Einfachheit ihres Princips und die Uebersichtlichkeit der Durchführung muß sie auf den schlichtesten Betrachter überzeugend wirken. Aber auch der sachverständige Kritiker, welcher alle Bedingungen auf das Schärfste abwägt, wird hier selbst in Kleinigkeiten kaum etwas auszusetzen und zu verbessern finden. Durch die centrale Lage des Sitzungssaales sind alle übrigen Abtheilungen des weitläufigen Bauwerkes auf den weitaus wichtigsten Raum bezogen. In ihm pulsirt der Herzschlag des Ganzen, von ihm aus strömt das Leben mit gleicher Leichtigkeit nach allen Theilen der Peripherie und von da wieder zurück. In der That ein trefflich ersonnener, gerade durch seine Einfachheit großartiger Organismus!

Und nun zum Aeußeren. Schon bei Berathung des Programms wurde die Stylfrage aufgeworfen und von bekannter Seite der Versuch gemacht, die Bewerber von vorn herein für eine bestimmte Kunstform, die Gothik, zu engagiren. Der Reichstag hat es damals mit richtigem Takte vermieden, dem Künstler in einer so eminenten Frage der innersten Ueberzeugung die Hände zu binden, und dieselbe vielmehr als eine offne behandelt.

So weisen denn die eingegangenen Arbeiten eine bunte Musterkarte von Stylproben auf, unter denen auch die Gothik ihren Platz einnimmt und in den beiden Scott ihre bedeutendsten Vertreter findet. Bei der vorliegenden Gelegenheit hat die Ansicht Derer, welche von Anfang an für ein derartiges Gebäude und speciell für Berlin eine edle Renaissance allein für möglich erklärten, unbedingt triumphirt. Zu dieser hat auch Bohnstedt gegriffen. Gerade daß er, der die vollendete Fähigkeit besitzt mit gleicher Leichtigkeit die verschiedensten Kunstformen zu handhaben, jene Wahl traf, ist ein vollgültiges Zeugniß für ihre Richtigkeit.

Sein bestes Vermögen pflegt der Baumeister bei der Gestaltung und Ausschmückung der Hauptfaçade einzusetzen. Bei der vorliegenden Aufgabe war diese Façade durch die örtliche Lage von selbst auf die westliche Front, mit dem Ausblick auf den breit vorgelagerten Königsplatz angewiesen. Eine besonders glückliche Eingebung hat über unserem Künstler bei der Construction seines Haupteingangs, welcher selbstverständlich hierher zu legen war, gewaltet. Als Portal baut er in der Mitte einen kolossalen Triumphbogen, auf korinthischen Säulen ruhend, auf. Die Abschlußlinie desselben übersteigt um ein Beträchtliches die übrige Fronthöhe des Gebäudes; die Krönung bildet eine Quadriga mit der Siegesgöttin.

So tritt dieses Mittelstück mit energischer Wirkung dem [477] Beschauer entgegen und fesselt dessen Aufmerksamkeit an einen geistreichen Gedanken von entschiedener Originalität und unbeschreiblichem Zauber, der in jeder Richtung die Spur des Genius trägt. In der Vertiefung des Bogens führt, dessen ganze Breite einnehmend, eine offene Treppe zur Höhe des Hauptgeschosses empor und mündet vor der Eingangshalle. Die Säulen des Portals setzen sich zu beiden Seiten organisch in den herrlichen Colonnaden fort; ihren Abschluß finden die Flügel in vorspringenden Eckpavillons mit kleinen Kuppeln. Ein reicher plastischer Schmuck füllt die schönen Linien mit mannigfaltigem Leben. Als Material der Ausführung ist Granit und Marmor gedacht. Auch die perspectivische Ansicht dieser Hauptfaçade, sowie die in größerem Maßstabe gehaltene des Portals sind vollendete Bilder und verrathen in der bewegten Staffage des Vordergrundes die Hand, welche auch die Palette zu führen gewohnt ist. Der monumentale Charakter ist in dieser Schöpfung mit erhabenen Zügen durchgebildet. Hingegossen in ruhiger Majestät vereinigt sich die harmonische Masse zu einem überwältigenden Gesammteindrucke. Und fürwahr, in beredterer Sprache vermag die bauende Kunst sich nicht auszudrücken, als durch dieses mächtig gewölbte Eingangsthor, im Hintergrunde überragt von der schimmernden Kuppel des Sitzungssaales, und das Motto: Durch Sieg zur Einheit!

Mit gerechtem Stolze durfte es uns erfüllen, daß der Künstler, dem in diesem Kampfe um den Plan eines deutschen Parlamentshauses der Lorbeer beschieden wurde, auch selbst unserm Volke angehört. Und in der That, nur ein Deutscher, der mit der ganzen Wärme nationaler Begeisterung an seine Arbeit trat, konnte ja im höchsten Maße befähigt sein, die Lösung zu finden. Nicht ohne Beschämung hätten wir es erlebt, wenn die monumentale Verherrlichung unserer größten Zeit dem Fremden besser gelungen wäre. Aber dem Gekrönten gehört sein Ruhm auch ohne Hintergedanken. Dem bescheidenen Manne, der in der Einsamkeit lebt und schafft, stand keine fürsprechende Gunst zur Seite. So hoffen wir, daß am Ende auch keine Mißgunst mächtig genug sein werde, ihm die höchste Freude seines Erfolges, die wenigstens im Wesentlichen unveränderte Ausführung seines Geisteswerkes, zu verkümmern.

J. H.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Reichtags