Deutsche Bilder/Nr. 2. Scharnhorst und die preußische Landwehr

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Autor: S.-W.
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Titel: Deutsche Bilder/ Nr. 2. Scharnhorst und die preußische Landwehr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 251–255
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[251]
Nr. 2.
Scharnhorst und die preußische Landwehr.

Von S.-W.

In einem Zimmer des Schlosses zu Breslau saß König Friedrich Wilhelm III. und hielt nachdenklich ein Actenstück in seiner Hand. Neben ihm stand ein großer, ziemlich schlanker Mann von etwa sechsundfünfzig Jahren in preußischer Generalsuniform. Es war Scharnhorst, der den noch immer zagenden und zögernden, bangenden und unschlüssigen Monarchen auf’s Neue zum thatkräftigen Handeln zu bestimmen suchte, ihm von Neuem alle die Hülfsmittel vorhielt, welche die Patrioten, welche er und seine Freunde, ein Stein, ein Gneisenau, ein Bogen, Grolmann, Clausewitz, York und Dohna seit Jahren und in der Stille zum Kampf gegen den Unterdrücker mit Mühe und unsäglicher Ausdauer vorbereitet hatten. Friedrich Wilhelm schüttelte mit dem Kopfe; er bezweifelte des Generals Angaben und die allgemeine Erhebung des Volks für den Thron. Nicht allein, daß er mißtrauischer als je auf diese von Scharnhorst fast mit Gewalt durchgeführte Volksbewaffnung blickte und allen Ernstes glaubte, er bewaffne selber die Revolution gegen sich und seine Dynastie: er konnte auch den Gedanken nicht fassen, daß so schnell bewaffnete, undisciplinirte Volkshaufen irgend etwas gegen die kriegsgeübten Truppen eines Napoleon ausrichten würden. Das Actenstück, das er jetzt in den Händen hielt und mit zweifelnder Miene durchblätterte, enthielt die Aufzeichnung der preußischen Streitmittel, wie sie Scharnhorst vorbereitet hatte: 120,000 Mann Truppen, eine Landwehr, die auf 100,000 Mann veranschlagt war; freiwillige Jäger, die der General zu 10,000 Mann berechnet hatte. Der König glaubte nicht daran. Sein Land hatte kaum noch fünf Millionen Seelen; Napoleon hatte ihn gezwungen, nur 42,000 Mann zu halten; französische Truppen und Behörden hatten seinen Staat überwacht – und Scharnhorst versicherte trotzdem, es sei eine Armee von über 200,000 Mann bereit, auf den ersten Ruf des Königs sich zu erheben und über die Franzosen, herzufallen. Fast war dies so unmöglich, daß der Zweifel wohl berechtigt war.

Und dennoch war Wahrheit, was in dem Actenstücke stand. Ein glühender Haß gegen die Unterdrücker, eine feurige, alle Hindernisse [252] überspringende Vaterlandsliebe hatte geschaffen, was gewöhnlichen Kräften unmöglich gewesen wäre. Scharnhorst war es, der sechs Jahre lang geschaffen und gearbeitet hatte, unbemerkt und angefeindet, im Stillen und oft trotz des Königs Befehl. Er hatte, wie Stein, ein neues Preußen geschaffen, einen neuen, großen, bewunderungswürdigen Militairstaat; wunderbar war er noch hinter dem Vorhang verborgen – ein Wort des Königs, und der Vorhang fiel, ein ganzes Volk in Waffen entstieg dem Erdboden! Scharnhorst war es, der am Lager des schwerverwundeten Löwen gewacht, ihn gepflegt und gestärkt und die Krallen der Tatzen gestählt hatte. Mit unbegreiflicher Energie hatte er, trotz der Argusaugen der Feinde, eine Armee geschaffen, die dreimal stärker war, als sie sein durfte, versehen mit allem Rüstzeug, ohne daß die erschöpften Finanzen des Staates ihm die Mittel dazu gegeben hätten. Daß er es gekonnt, das ist sein Genie, die Größe, die Unsterblichkeit verdient.

Er war ein Bauersohn aus Hannover und hatte das Glück, in die Militairschule des als wissenschaftlicher Querkopf hochberühmten Grafen von Schaumburg-Lippe auf Schloß Wilhelmsstein zu kommen. Als einer der besten Zöglinge dieser trefflichen Anstalt kam er darauf als Lehrer an die Kriegsschule zu Hannover und machte später als Hauptmann den Krieg in Flandern mit. Die von ihm erdachte und ausgeführte Befreiung der Garnison der kleinen Festung Menin ist eine der wenigen Heldenthaten des ersten Coalitionskrieges gegen die französischen Republikaner, welche der Kaiser und der König von England nicht hoch genug zu rühmen wußten. Die militairischen Schriften Scharnhorst’s hatten ihn überdies zu einer Autorität gemacht, und der Herzog von Braunschweig berief ihn deshalb 1801 in preußische Dienste, um an der schon damals beschlossenen Reorganisation der Armee sich zu betheiligen. Er ward Director der Berliner „Akademie für junge Officiere“, die er zu der jetzigen Kriegsschule umgestaltete, und seine Vorträge erwarben ihm die Liebe seiner Schüler, von denen besonders Clausewitz den Lehrer am meisten verstand. Vorträge wie Schriften erregten jedoch wegen ihrer Kühnheit der Ideen den Haß der zopfigen Generäle und bereiteten dem einfachen, schlichten Major der Cabalen soviele, daß er schon 1804 um seinen Abschied bat. Der König indessen bewilligte ihm denselben nicht, versetzte ihn vielmehr zum Generalstab und verlieh ihm den Adel. Vergeblich suchte Scharnhorst hier reformatorisch zu wirken – es ist bekannt, daß der Generalstab nach jahrelanger Berathung über die Reformen in der Armee endlich das Gutachten abgab: „man könne allenfalls ein Packpferd bei jeder Compagnie eingehen lassen.“

Nach der Schlacht von Auerstädt, in der er leicht verwundet wurde, schloß er sich als Generalquartiermeister dem Blücher’schen Corps an und leitete, verstanden von dem bravsten Haudegen der [253] Armee, die berühmte Retirade Blücher’s nach Lübeck, wo dies letzte und tapferste Corps endlich capituliren mußte. Scharnhorst wie Blücher wurden gegen französische Officiere ausgewechselt und gingen nach Ostpreußen, wo sich damals die Russen und der letzte Rest der preußischen Armee befanden. Scharnhorst kam zum Lestocqschen Corps, welches in der Schlacht bei Eylau die preußische Waffenehre wieder herstellte. Nach dem unglückseligen Frieden von Tilsit wurde er Mitglied der Militairorganisations-Commission, welcher auch Gneisenau, Grolmann, Beyer und Clausewitz angehörten, und bald nachher interimistischer Kriegsminister.

In dieser Stellung legte Scharnhorst, im Verein mit seinen militairischen Freunden und dann mit dem Minister von Stein, den Grund zu der Neugestaltung Preußens. Das Werben wurde abgeschafft, ebenso die Stockschläge und die Bevorzugung durch die Geburt. Schon im Juli 1807 schlug Scharnhorst die Errichtung einer Landwehr vor, sowie die Organisation einer großartigen Vertheidigung. Mehr und mehr, und fast allein, sorgte von nun der sinnende General auf diese Organisation des Volkskriegs, auf die militairische Revolutionirung des ganzen Landes, wenn man so sagen darf. Die Art und Weise des spanischen Krieges bestärkte ihn in der Ueberzeugung, daß man neben einem stehenden Heere auch hier im Norden Guerillabanden organisiren müsse, die vornehmlich im Stande seien, eine überlegene Armee zu schwächen und aufzureiben. Als der Krieg mit Oesterreich 1809 ausbrach, war diese militairische Umgestaltung schon so weit gediehen, daß Scharnhorst in Verbindung mit Stein und Gneisenau den König beschwor, sich aus der Furcht und Vorsicht aufzuraffen, die Ketten des Eroberers abzustreifen, mit Oesterreich vereint und mit der über ganz Deutschland verzweigten Insurrection zusammen den Kampf auf Leben und Tod zu bestehen. Der König scheute diese Energie – vielleicht zu seinem Glücke. Oesterreich ward von Neuem besiegt, die große, von Stein hauptsächlich geleitete Insurrection Deutschlands verpuffte in den Schilderhebungen Dörnbergs und des Herzogs von Braunschweig: das Volk war noch nicht reif zur Befreiung, der Druck noch nicht schwer genug, die Noth noch nicht in’s Herz gedrungen, die Vaterlandsliebe war im Haß und in der Ehre noch nicht stark geworden. Vier Jahre noch, vier lange, schwere Jahre – und das Unglück hatte die Deutschen einig gemacht, einig, leider nur auf wenige Jahre!

Den Feuereifer eines Scharnhorst freilich erbitterte, wie alle Patrioten, diese Zaghaftigkeit des Königs damals; aber er blieb auf seinem Posten. Und als Alle gingen, als ein Stein geächtet war, ein Gneisenau nach England ging, ein Blücher sich fluchend in Pommern verbarg; als das schwache, franzosenfürchtende Ministerium Altenstein zur Herrschaft kam und mit ihm die Patrioten aus dem Cabinet des Königs gehen mußten, – da wankte Scharnhorst nicht; er blieb an der Spitze der Militairangelegenheiten, ob angefeindet und ob scheel angesehen, ob von des Königs Thatenscheu und Mißtrauen gekränkt: er blieb, eine, eine einzige Hoffnung des aus dem Schlafe erwachten Volks, ein Atlas, der auf seinen Schultern allein damals das neue Preußen trug! Still, fast unbemerkt war er da, um fortzuarbeiten, was so energisch angefangen worden: Keiner unterstützte ihn, selbst Hardenberg, der höfische Minister nicht, der seit dem Juni 1810 zum preußischen Staatskanzler ernannt worden war.

Aber gerade in dieser Zeit des politischen Lavirens und der vollständigen Demüthigung Preußens vor der brutalen Gewalt Napoleons, von 1810 bis 1812, da schuf Scharnhorst unbemerkt und in der Stille jene furchtbaren Streitmittel, die 1813 die Welt in Erstaunen setzten. Ganz Preußen wurde von ihm insurgirt; die „tausend Vendeen“, welche Napoleon gefürchtet, wurden von ihm in Verbindung mit den Getreuen jetzt wirklich geschaffen. Er theilte das Land in kleine Bezirke, in dem alle waffenfähigen Mannschaften in den Waffen geübt und dann wieder entlassen wurden; Agenten gingen umher und kauften Waffen auf; die Berliner Gewehrfabrik mußte 1000 Stück Gewehre im Monat liefern; in die verschiedenen Cantons wurden junge, fähige Officiere als Civilbeamte geschickt, um die militairische Organisation zu vollenden; drei große verschanzte Lager bei Pillau, Kolberg und Glatz wurden errichtet, um als Hauptpunkte der Vertheidigung zu dienen. Die Kanonen wurden umgegossen, um aus dem schlechteren Metall deren mehrere zu gewinnen. Die stehende Armee selbst hatte durch die neuen Kriegsgesetze einen neuen Geist erhalten; der Soldat achtete sich selbst und hatte Ehre und Vaterlandsliebe. Jedes Gesetz, welches zu dieser neuen Organisation nothwendig war, hatte Scharnhorst dem Könige, oft fast gegen dessen Willen, entwunden; Mißmuth und Laune des Monarchen hatten ihn nicht ermattet, er blieb immer ruhig und fest, und der König, der ihn hochachtete, gab zuletzt den unaufhörlichen und bestimmten Vorstellungen des Generals nach. So war nach und nach eine Reihe von Verordnungen unterzeichnet worden, die Scharnhorst noch sorgfältig in seinem Schreibpult verborgen hielt, um zu gelegener Zeit von ihnen Gebrauch zu machen.

Und diese Gelegenheit schien endlich da zu sein. Als der Krieg mit Rußland bevorstand und Napoleon Preußen zum Bündniß zwang, da traten die alten, hochherzigen Eisenmänner wieder vor den Thron und beschworen den Neffen Friedrichs des Großen, um die Ehre des Staats das Letzte zu wagen. Jacta est alea – entweder, oder! Mit den Russen ein Bündniß schließen, das Volk, das Volk, welches Scharnhorst in Waffen geübt und mit Rachelust erfüllt, aufrufen gegen den Tyrannen – wer konnte zweifeln, daß man siege? Und besser, ganz zu Grunde gehen, als so ehrlos weiterleben, geschleift von dem Hermelin eines unersättlichen Cäsar, ruhmlos und als Vasall! „Es ist Alles kampfbereit, Majestät, schlagen Sie zu!“ Scharnhorst rief es, und der König, von allen Seiten gedrängt, blieb schwankend. Napoleon machte endlich kurzen Proceß; er ließ ein Armeecorps auf Berlin rücken. Da unterzeichnete der König das Bündniß mit Frankreich und ließ seine zornigen Soldaten nach Rußland ziehen.

Man hatte so fest das Gegentheil erwartet und mit so außerordentlichem Eifer dazu gerüstet, daß diese Wendung der Dinge überall den schmerzlichsten Eindruck erregte. Scharnhorst war betäubt von Schmerz, und Thränen rollten aus den Augen dieses ehernen Mannes, der die Mühen von fünf Jahren nun mit einem einzigen Federstrich vernichtet sah. „Wer jetzt noch hoffen kann,“ meinte er zu Gneisenau, „ist unendlich glücklich. Gebe Gott, daß ich es nicht verlerne!“ Die besten der preußischen Officiere nahmen ihren Abschied und gingen in russische Dienste. Gneisenau ging, Graf Chasot ging, Golz, Gruner, Lützow, Graf Dohna, Clausewitz – Alle und hundert Andere gingen! Auch Scharnhorst bat um seinen Abschied. Der König weinte und ernannte ihn zum Inspector der schlesischen Festungen, eine Stellung, welche den General selbstständig ließ, zugleich aber auch, wie er meinte, ihm den Fuß im Bügel erhielt, um noch in dieser verzweiflungsvollen Zeit der Mittler zwischen dem unglücklichen Könige und dessen Volk zu sein.

Und er that viel für die kommenden Ereignisse. Nicht allein, daß er es jetzt noch beim Könige durchsetzte, daß General York, der murrköpfige, eigensinnige, aber kerndeutsche, brave und tollkühne Soldat, dem General Grawert als zweiter Befehlshaber des preußischen Hülfscorps gegen die Russen beigegeben wurde; er blieb auch mit den preußischen Officieren in russischen Diensten in Verbindung und erleichterte deren so folgenschwere Anknüpfungen mit den Preußen unter York. Es lebte eine Ahnung in ihm, daß Napoleon an den großen Dimensionen des russischen Reichs zu Grunde gehen müsse, und diese Ahnung betrog ihn nicht.

Hoch oben im Norden, an den ostpreußischen Grenzen bereitete sich zu derselben Zeit, wo die halbe Million Streiter Napoleons von der Kälte, den Russen und den Elementen vernichtet ward, die lange angestrebte Befreiung Preußens, Deutschlands – ganz Europa’s vor, ohne daß der König es ahnte. York war in Folge der Krankheit Grawerts alleiniger Commandant des preußischen Hülfscorps geworden und hatte jeden ernstlichen Kampf mit den Russen zu vermeiden gewußt. Im December 1812 waren die Russen unter Wittgenstein auf ihn losgerückt, und die deutschen Officiere dieses Corps, worunter Clausewitz, suchten York zu bestimmen, von den Franzosen abzufallen, um so mehr, als sie ihm bestimmt die schreckliche Niederlage Napoleons melden konnten. Ein guter Genius verleitete den General York, seine Pflicht zu vergessen, um das Vaterland zu retten. Er schloß ohne Vollmacht des Königs den Vertrag von Tauroggen, just in der Weihnacht, und sagte sich von den Franzosen los. Die Revolution begann damit. Die letzten, decimirten Corps der Franzosen zogen sich vor den in Ostpreußen einrückenden Russen zurück; Stein kam nach Memel und übernahm im Namen des russischen Kaisers die Regierung der Provinz; Schön und Dohna organisirten die Volksbewaffnung im Sinne und mit den Mitteln Scharnhorst’s; die ostpreußischen Stände wurden berufen, und die Schriften des braven Arndt über [254] Landwehr und Landsturm gingen durch’s Land und riefen das Volk zur Befreiung des Vaterlands auf.

Der König war außer sich, als er Nachricht von diesen gewichtigen Ereignissen erhielt. Sein dynastischer Stolz empörte sich darüber, daß man ohne seinen Willen dies Alles gethan, daß man ihn zwingen wollte, die russische Partei zu ergreifen, daß Stein eine preußische Provinz im Namen Alexanders verwaltete! Und nun die Angst um den Thron, um die Zukunft! Noch standen die Franzosen im Lande, in Berlin selbst; Preußen war mit Frankreich alliirt – welche Gefahr rief nicht dieser Bruch der Verträge durch York hervor! Welches Verderben mußte nicht über das Land und die Dynastie hereinbrechen, wenn Napoleon wieder Sieger wurde? York wurde abgesetzt, der Vertrag von Tauroggen annullirt – – es geschah wahrlich nur, um die Franzosen zu täuschen, denn der König war unmerklich anderer Ansicht geworden.

Scharnhorst hatte ihn gewonnen! Er war gleich nach dem Eintreffen der wichtigen Nachrichten zum König geeilt und hatte ihn beschworen, jetzt endlich sich aufzuraffen, diese günstige Gelegenheit, vielleicht die letzte, wie einen Wink des Himmels zu betrachten, um das Joch abzuschütteln. Es gelang, den König zu bestimmen; nicht frohen Muthes ließ er geschehen, was die Getreuen thaten, sondern rathlos und bangend, bald von Napoleon um neue Hülfstruppen bestürmt, bald vom Czaren zum Bündniß aufgefordert, von Stein, von Schön, von York und Scharnhorst und den Besten seines Landes bestürmt. Düster und zagend sah er in die Zukunft, ohne Vertrauen und ohne Hoffnung; aber er folgte willenlos dem mächtigen Rauschen, das durch’s Land ging und im Nu die dumpfe Masse des Volks mit der Begeisterung für den Kampf um die Freiheit erfüllte. Am 22. Januar 1813 flüchtete der König von Berlin nach Breslau; – am 3. Februar erlangte Scharnhorst den Aufruf zur Bildung der freiwilligen Jägercorps, in den folgenden Tagen andere Verordnungen, welche die Entpuppung seiner seit Jahren betriebenen militairischen Schöpfungen ermöglichte. Friedrich Wilhelm glaubte nicht anders, als daß die Revolution, die losgebrochen war, gegen ihn gerichtet sei; er sah mißtrauisch und bange drein und verdrossen darauf, daß die Gewalt der Umstände „das Volk an die Seite seines Souverains“ setzen wollte!

Vergeblich suchte Scharnhorst den König mit diesem Gedanken vertraut zu machen; der Monarch blieb zweifelnd, mißtrauisch und düster, ja, er betrachtete den biedersten aller Generäle wohl selber mit Argwohn. Jetzt saß er im Schlosse zu Breslau und blätterte ungläubig in dem Actenstück, das ihm Scharnhorst gegeben hatte. Immer und immer schien er zu sagen: „Ich glaube nicht an diese Zahlen; ich glaube nicht, daß das Volk für mich sich erhebt, ich traue ihm nicht!“ Da plötzlich tönt ein brausender Lärm von der Straße herauf; Hurrah und Jubelgeschrei erfüllt die Luft, die Fenster klirren vom Gerassel der Wagen und dem Vivatruf einer sich heranwälzenden Menge … Der König horcht erschrocken auf; Scharnhorst geht zum Fenster und meldet, vor Freude zitternd, daß die Freiwilligen von Berlin vor dem Schlosse ihres Königs vorüberziehen!

Friedrich Wilhelm sieht selbst herab, eine lange Reihe Wagen mit jungen, blühenden, freudigen Männern zieht vorüber, jubelnd und zum Schlosse hinauf die Hüte schwenkend, gefolgt und begleitet von zahllosem Volk. Und der König steht da gerührt und mit nassem Aug’. „Majestät,“ ruft jetzt Scharnhorst, „glauben Sie denn noch nicht an die Liebe Ihres Volkes?“ – Ja, jetzt glaubte er daran, dieser König! Die Thräne sagt’s, die über die Wange rinnt; die Hand zeigt’s, die zitternd und lebhaft herabgrüßt. Die Rinde des Mißtrauens, welche Erziehung und bittere Leidensjahre um sein Herz gelegt, begann sich zu lösen. Was hatte denn diese Nation auch gethan, daß ihr Fürst so schwer an ihre Tugendgröße glaubte? Aber das ist das alte Unglück der Könige, daß sie nicht an die freie Liebe ihrer Völker glauben können, daß sie nur Unterthanen, keine freien, selbstständigen Staatsbürger wollen! Was konnte ein König denn geben für so viel Liebe, so viel Treue, so viel Opfer?!

Noch immer war es nicht ausgesprochen, daß dieser preußische Aufstand gegen die Franzosen gerichtet sei, obwohl Niemand daran zweifelte. Alexander bat um diese Zeit den König, ihm den General Scharnhorst zu senden, mit Vollmachten zu einem Bündniß. Am 23. Februar reiste Scharnhorst nach Kalisch, wo denn am 28. der von allen Patrioten heißersehnte Vertrag mit Rußland abgeschlossen wurde, der den Kampf gegen Napoleon mit allen Kräften bestimmte. Am 15. März zog der Czar, begrüßt als Befreier, an der Spitze seiner Garden in Breslau ein; Preußen übersandte an demselben Tage Frankreich die Kriegserklärung. Und nun folgte Schlag auf Schlag: die Russen trieben die Franzosen aus Berlin; York nahte sich mit der durch Landwehren verstärkten ostpreußischen Armee. Am 17. März erschien der berühmte Aufruf Friedrich Wilhelms III. „An mein Volk“; am gleichen Tage ließ Scharnhorst die Errichtung der Landwehr und des Landsturmes verkünden. Proclamationen und Aufrufe folgten in betäubender Schnelligkeit und riefen es laut unter die Völker und in den Himmel hinein, daß der Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit begonnen habe!

Jetzt zeigte sich, was Scharnhorst geschaffen, auf was für festen Grund er gebaut. Außer der stehenden Armee konnte man im Nu schlagfertige Reservebataillone, 52 an der Zahl, aufstellen, lauter Männer, die Scharnhorst seit 1808 im Stillen als sogenannte Krümper hatte in den Waffen üben lassen. Sämmtliche Garnisonscompagnien gestalteten sich plötzlich zu Bataillonen; die Cavallerie bildete sich im Nu, da das Land die Pferde unentgeltlich stellte. Schon Ende März hatte dieser kleine preußische Staat 110,000 ausgebildete Truppen im Felde. Und die Landwehren! Wer wüßte es nicht, wie sie hinströmten, als der König gerufen, und Weib und Kind, Haus und Hof verließen, um sich vom Pfarrer für den kriegerischen Beruf segnen zu lassen! Buntscheckig, ohne Uniform, der Eine im Bauerkittel, der Andere im Stadtrock, der Dritte mit halber Uniform, schiefe Hacken am Stiefel und geflickte Jacken auf dem Leibe, so kamen sie zu den Waffenplätzen, nahmen die Mütze mit dem Kreuz von weißem Blech „Mit Gott für König und Vaterland“, alte Piken, schlechte Kuhfüße, verrostete Säbel – ein paar Groschen im Sack und scharfe Patronen. Was thut’s, ob sie schön und gedrechselt aussehen – schlägt doch ein schönes Herz unter diesen Lumpen und führt doch die herrlichste Begeisterung die schlechten Waffen! Scharnhorst hatte sich nicht getäuscht: die Vaterlandsliebe stellte eine unglaubliche Menschenzahl; binnen sechs Wochen waren 271,000 Streiter auf, den Beinen; d. h. von achtzehn Einwohnern Preußens war immer einer im Felde!

Die Würfel waren gefallen, der Krieg vor der Thür. Schon rückten die zusammengerafften Corps der Franzosen heran, um „diesem schlechten Gesinde!“ den Garaus zu machen. Scharnhorst flog von Stadt zu Stadt; er organisirte selber die Landwehren, half dem Fehlenden ab und sorgte besonders für Proviant, Munition und zweckmäßige Vertheilung der mangelnden Officiere. Am 4. April ging er zur Armee Blüchers nach Sachsen ab. Er war der Generalquartiermeister dieses braven Helden, der Kopf zu diesem nervigen Arm, den Blücher noch in Gneisenau, dem Schüler und Nachfolger Scharnhorsts, nach dem Ende der Siege verehrte.

Bei Großgörschen, am 2. Mai, ’s war just die erste Schlacht mit den Franzosen und Napoleon selbst – da haben die Blücher und Scharnhorst, die York und Gneisenau die Heldendegen mitsammen erprobt. An der Spitze der Schwadronen fegten sie ein, zwei, drei Mal übers leichenbesäte Schlachtfeld auf das brennende Kleingörschen und Rahna los, zuletzt noch Scharnhorst allein, im dichtesten Kartätschenfeuer, mit einer halben Schwadron halber Leichen im Bügel, die endlich, von der Natur überwunden, von den Pferden heruntersanken. Bei dieser letzten Charge dieses heißen und glorreichen Tages traf eine Kugel Scharnhorsts Bein – es war der Pfeil des Todes, der hiermit in’s Fleisch gedrungen.

Der General mußte nach Zittau, um die Heilung der Wunde abzuwarten. Seine Ungeduld ließ ihm nicht Ruhe, besonders als er erfuhr, daß der König, wegen der Zögerung Oesterreichs und der Erfolglosigkeit der bisherigen mörderischen Kämpfe, zaghafter denn je geworden war. In der Heißbegierde eines Patrioten edelster Art flog er vom Krankenlager, aus den Armen seiner ihn pflegenden Tochter zum Könige, um sich die Mission nach Wien zu erbitten. Er erhielt sie, und sie war sein Tod. Ohne sich Ruh und Rast zu gönnen, war er nach Wien und wieder zurückgeeilt. In Prag mußte der General bleiben; seine noch nicht vollständig geheilte Wunde war wieder aufgebrochen. Am 28. Juni, inmitten des Friedenscongresses zu Prag, der die Aera der großen Völkerkämpfe vorbereitete, die Aera der preußischen Landwehr, seiner Landwehr, an demselben Tage, wo Metternich in der berühmten Audienz bei Napoleon in Dresden Oesterreich frei und zum [255] Bundesgenossen der Befreiungssache machte, starb Scharnhorst, kaum 57 Jahre alt. Ihm hatte das aufopfernde Bemühen um dieses Bündniß den Tod zugezogen – einen Tod, schmerzlich und doch beneidenswerth, da er kam, als dieser herrliche Geist die Blüthen seines Wirkens in aller Herrlichkeit aufgehen sah, und bevor eine Täuschung späterer Tage ihm den Frühling deutschen Erwachens verbitterte.

Scharnhorst! Ein preußischer, ein deutscher Held, ein Vorbild männlicher und kriegerischer Tugenden: nicht um ihn trauern gilt’s, nein, an seinem Andenken sich aufraffen, erheben, begeistern und stählen! Es wird die Strafe kommen für das Unrecht, das die Fürsten ihren Völkern gethan; es naht die Zeit, wo 1806 den Kreis beschrieben und wo das Unglück unseres Vaterlandes dessen Heil und Glück, dessen unfindbare Einigkeit und Einheit bringen wird! Habt Acht, daß ihr nicht Luft und Athem unterm wucht’gen Knie des Feindes verliert! Ein Scharnhorst thut uns Noth, ein Horst der Schaaren aus dem Volk und für das Volk und mit dem Volk, ein Mann, wie er, an der Spitze unserer Söhne, wenn es übermüthigen Grenznachbarn einfallen sollte, die räuberischen Hände nach unserem Vaterlande auszustrecken.