Deutsche Erzieherinnen in England

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Titel: Deutsche Erzieherinnen in England
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 386–387
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsche Erzieherinnen in England.

Immer wieder erheben sich Klagestimmen über die unerhörte Ausbeutung unerfahrener deutscher Mädchen, die auf das Ausschreiben von Londoner Agenten in deutschen Blättern hin ein Engagement abschließen, um sich dann bei ihrer Ankunft aufs schlimmste enttäuscht und schutzlos in der Riesenstadt zu finden. Entweder war es nur auf Erpressung einer schwindelhaft hohen Gebühr abgesehen, nach deren Zahlung das Mädchen in eine entlegene Vorstadt geschickt wird, um dort von einem Spießgesellen die geringschätzige Auskunft zu erhalten: „Ich habe mit dem Agenten abgemacht, daß ich die Person, welche er schickt, zurückweisen kann, wenn sie mir nicht gefällt. Sie gefallen mir nicht und können morgen früh wieder gehen.“ Oder aber die Stelle ist echt, eine von denen, welche die fetteste Weide für die Agenten abgeben, wo eine armselige, rohe und gefühllose „Herrschaft“ das arme Mädchen mit Arbeit überlastet, ihr Magddienste zumuthet und sie dabei noch hungern läßt. Nach einigen Wochen verzweiflungsvollen Kampfes muß sie doch ablassen – und der Agent hat die Stelle aufs neue zu besetzen. Es sind schlimme Schilderungen, die uns in durchaus zuverlässigen Berichten von Mädchen vorliegen, die dem Eintritt in die Stelle keine persönliche Erkundigung vorangehen ließen: Ausnutzung durch anstrengende Handarbeit nach vielen Lehrstunden, Hungermahlzeiten, großentheils in trockenem Brot und etwas gekochtem Fleisch bestehend. Auch die schlechtbezahlten Stellen in kleinen Privatschulen mögen oft arg genug sein: in einer derselben hatten drei Lehrerinnen zusammen ein Zimmer, einen Waschapparat und ein Handtuch! Thee und Butterbrot um fünf Uhr war die letzte Mahlzeit am Tage, während der Unterricht bis tief in den Abend fortging. Das ist, man kann es den deutschen Mädchen nicht oft genug wiederholen, das Schicksal von vielen, welche ohne tüchtige Kenntnisse, einzig auf ihr Deutsch vertrauend, mit schlechtem Französisch und „ein bißchen Klavierspiel“ sich aufmachen, um in England Gouvernanten zu werden!

Sie alle wissen nicht, daß keine gute englische Familie oder Schule eine Lehrerin anstellt, ohne sie gesehen zu haben. Sie wissen ferner nicht, daß zur Anstellung in einer solchen gründliche, durch gute Zeugnisse bestätigte Kenntnisse gehören: alle Realien, vollkommenes Französisch, Musik, womöglich noch Zeichnen und außerdem, wie Fräulein Koenig in ihrem für alle Betheillgten sehr lesenswerthen Buch „Authentisches über die deutsche Erzieherin in England“ (London, J. Kolkmann) ausführt, noch manches, was eigentlich ihr natürliches Besitzthum sein sollte. Es fehlt der Bewerberin zuweilen an den gewöhnlichsten guten Manieren. Die Gesetze der feinen Sitte sind in Deutschland noch nicht so allgemein bindend, als sie sein sollten, man übt sie in Gesellschaft und vor Fremden, um sich zu Hause leicht ein bißchen gehen zu lassen. Was Wunder, daß das junge Mädchen dann in dem formenstrengen England nicht als Lady angesehen und behandelt wird! Von ihr sollen die Kinder gute Haltung, taktvolles Benehmen lernen, die Pfarrers-, oder Beamtentochter aus der Kleinstadt aber kann mit ihrer deutschen Gemüthlichkeit allein diesen Anspruch nicht decken, fühlt sich infolge dessen geringschätzig behandelt, wird empfindlich und unglücklich – der Konflikt ist fertig! Hier liegt eine zweite große Quelle des Gouvernantenleids in England.

[387] Aber es wäre weit gefehlt, wollten wir solche Fälle als allgemeine Regel ansehen. Eine große Anzahl tüchtig geschulter und fähiger Erzieherinnen wirkt in englischen Familien und hat es nicht nöthig, ähnliche Klagen zu führen. Sie fühlen sich umgeben von der Achtung, die der Engländer thatsächlich jedem taktvollen und sicheren Benehmen zollt, sie benützen die vielberufenen Abendstunden, wo die Familie sehr begreiflicherweise unter sich allein sein will, zu der so nothwendigen geistigen Weiterbildung und erleben es oft genug, daß gerade infolge ihrer eigenen ruhigen Zurückhaltung ihr Verhältniß zum Hause mit der Zeit ein wirklich freundschaftliches wird.

Sie alle aber haben auch für den Fall der Stellenlosigkeit einen mächtigen Schutz und Anhalt in dem von einer hochverdienten früheren Erzieherin, Fräulein Helene Adelmann, seit 1879 begründeten „Deutschen Lehrerinnenheim“, London, Wyndham Place 16, das außer vorübergehender Unterkunft und Verpflegung für den Krankheitsfall die einzig sichere und aussichtsvolle, von den englischen Damen bereits hochgeschätzte Stellenvermittelung bietet. An diese Anstalt verweisen wir alle Mädchen, die nach England gehen wollen, indem wir ihnen zugleich eine Rede des Fräulein Adelmann über das leichtsinnige Annehmen einer Stelle durch Agentenvermittelung im Auszuge mittheilen.

„Da sagt sich so manche,“ so führt Frl. Adelmann aus, „‚ach was, wenn ich nur festen Fuß gefaßt habe, dann werde ich mir schon weiter helfen.‘ ‚Festen Fuß fassen‘ – heißt das etwa in eine Stelle kommen, in welcher man sich überarbeiten muß und Hunger zu leiden hat? Wie viele Klagebriefe erhalten wir von solchen Lehrerinnen! Jetzt im Unglück wollen sie schnell Vereinsmitglied werden und den Karren, den sie so gedankenlos in den Sumpf hineingeschoben, von uns herausgezogen haben. Wie schwer ist es, eine zweite Stelle zu erlangen, wenn die erste englische Referenz schlecht ausfällt! Da heißt es trotz aller vortrefflichen deutschen Zeugnisse, ob mit Recht oder Unrecht: ‚für England unbrauchbar.‘ Unser Rath ist daher immer: fort, so schnell als möglich! Nicht erst eine Referenz verdienen wollen. Vereinsmitglied sein ist ja Gott sei Dank für Engländer schon ein gutes Zeugniß. Aber ist es leicht möglich, jetzt schnell Mitglied zu werden? Englische Zustände zwingen uns, daß auch wir die Leute erst sehen müssen, ehe sie als Mitglieder aufgenommen werden können. Diese Bestimmung unserer Satzungen wird von allen, die englische Verhältnisse nicht kennen, angefeindet, hat sich aber in zehn Jahren glänzend bewährt, seit sie nach dreijähriger Erfahrung von uns für dringend nöthig befunden wurde. Und selbst wenn die persönliche Vorstellung möglich ist, da heißt es, ein scharfes Examen bestehen, alle Papiere und Zeugnisse in vollster Ordnung haben! ‚Machen Sie die Aufnahme in den Verein leichter!‘ sagt manchmal eine mitleidige Dame. Als ob wir damit aus einer untüchtigen Lehrerin eine tüchtige machen könnten! Nein, hier heißt es, die Pflicht im Auge behalten, an das große Ganze und an die Kinder denken, deren Mütter eine gute Lehrerin von uns verlangen. Das Vertrauen der Engländer in unsern Verein darf nicht erschüttert werden. Im Vaterland wird ja auch niemand angestellt, der seine Prüfung nicht bestanden hat! Wir nehmen aber auch ungeprüfte Lehrerinnen auf, sobald sie befriedigende Nachweise über ihre Lehrthätigkeit liefern können.“

Der Schluß aus allen diesen Ausführungen ist leicht zu ziehen: es entschließe sich kein Mädchen ohne ganz tüchtige, gut beglaubigte Kenntnisse, nach England zu gehen, sie vertraue nicht einer Agentur in Deutschland, welche, wenn auch von anständiger Gebahrung, doch die Londoner Verhältnisse nicht genügend kennt, sondern melde sich sofort bei dem „Verein Deutscher Lehrerinnen“ an und rechne die kleine Summe für den Eintritt in denselben zu den nothwendigen Reisespesen! Dann können auch zärtlich besorgte Eltern ihr Kind ruhig ziehen lassen; deutsche Fürsorge nimmt es drüben in Empfang und steht ihm rathend zur Seite, bis durch den Verein das ersehnte Ziel der ersten Stellung erreicht ist. Die aufopferungsvolle Thätigkeit der Damen Adelmann und Gaudian ist bis jetzt durch stets wachsenden Erfolg belohnt worden, eine Menge deutscher Erzieherinnen dankt ihnen ihr Fortkommen in England.