Deutsche Hinterwäldler b. Der Auerhahn

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Autor: Adolf und Karl Müller
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Titel: Originalgestalten der heimischen Vogelwelt. 4. Deutsche Hinterwäldler b.Der Auerhahn
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 264–267
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[264]
Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]
Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
4. Deutsche Hinterwäldler.
b. Der Auerhahn.

In den ersten Wochen des einziehenden Frühjahrs, unmittelbar sich anreihend an den „Schnepfenstrich“, beginnt auch die Minnezeit des Auerwilds. Der Auerhahn erhebt sein merkwürdiges, berühmt gewordenes „Balzen“.

Tief im vereinsamten Gebirgswalde „steht“ (verweilt) dieser Hinterwäldler, der die Kultur flieht, ja haßt. In die urwaldliche Natur der Gebirge hinein muß der Jäger steigen, um das im ewigen Düster des Nadelholzes oder in den von Mischhölzern bewachsenen Einöden hausende Wild in seinem geheimnißvollen, abgeschlossenen Lebenswandel kennenzulernen.

Hier ist es vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich, die Jagd, welche zur Beobachtung dieser ungemein scheuen Waldwesen führt, [266] und wir verlassen gern den trocken beschreibenden Ton und ergreifen die Gelegenheit, eigene Erlebnisse vorzuführen.

Wir genossen einmal das Vergnügen, ganz unverhofft bei einer Waldtour in nächster Nähe eine höchst unterhaltende Liebesbegrüßung der pathetischen Waldwesen zu belauschen. Gedeckt, ohne Jagdgewehr, im Gehölze stehend, um den Auerhahn zu „verhören“, das heißt den Stand oder Aufenthalt desselben während seiner Balzzeit auszukundschaften, sahen wir nach und nach acht Hennen auf einige Kiefern sich einschwingen und alsbald darauf einstreichen auf eine mit Heide bewachsene Blöße ganz in unserer Nähe. Nach einer Weile kam in der Dämmerung ein starker Hahn angestrichen und „stand" unter lautem Geprassel auf die nächste Kiefer „ein". Sofort entfalteten die Huldinnen ihre Netze, indem sie ihre Hälse aus der Heide emporreckten und mit Bücklingen sich präsentirten. Von diesen Artigkeiten gereizt, stand der Hahn sogleich vom Baume ab und fiel auf die Blöße ein. Erst ließ er ein Grunzen hören, das Zeichen verliebter Ueberschwänglichkeit, dann hob er fächernd das „Spiel“ (Schwanz), ließ die Flügel hängen und rauschte zur nächsten gackernden Henne. Kaum stolzirte er vor dieser einher, da ließen die anderen Hennen sich mit hellem „Gack! Gack!“ vernehmen, so daß der von einer Seite zur anderen sich wendende Galan in einem wahrhaften Komplimentirtanze auf der Lichtung herumgetrieben wurde. Da urplötzlich brauste ein Nebenbuhler heran, ein sehr starker Hahn, der, kaum auf einer Kiefer gebaumt, blindlings auf den Courschneider da unten stürzte. Nun entstand ein hartnäckiger Kampf. Unter lauten Flügelschlägen sprangen die riesenhaft aufgeblasenen Kämpen in hohen Sätzen aneinander in die Höhe, bis einer derselben endlich wich - welcher von beiden es war, konnte in der eingebrochenen Düsterheit nicht mehr festgestellt werden. Doch mitten in der noch etwas schimmernden Blöße stand der mit Hennengegacker begrüßte Sieger aufgerichtet, eine dunkle Waldmajestät, geringschätzig dem davonstreichenden „abgekämpften“ Gegner nach „äugend“. Darauf baumte der Hahn sammt den Hennen, und einige Zeit darauf schlichen wir behutsam mit dem Vorsatze davon, im folgenden ersten Morgengrauen den so unverhofft verhörten Hahn auf der Balze zu erlegen.

In einer Köhlerhütte übernachteten wir, nachdem wir uns von einem der Köhler von zu Hause Jagdgeräthe nebst etwas Erfrischungen für den nächsten Morgen hatten holen lassen.

Schon in der zweiten Stunde nach Mitteenacht trieb uns die rege Erwartung auf den Weg zum Balzplatze, den wir noch in der Dunkelheit erreichten. Das Werter war still, und der klare, gestirnte Himmel ließ eine gute Morgenbalze erwarten. Etwas über hundert Schritte an die Kiefer, worauf der siegende Hahn am gestrigen Abend eingestanden, „gepürscht“, warteten wir in weidmännisch geduldiger Haltung das erste Zeichen des kommenden Tages ab.

Ein leiser Luftzug begleitete eben die im fernen Osten sich bildenden matten Silberstreifen und brachte die sanfte abgebrochene Strophe der feierlichen Weise des erwachenden Rothkehlchens zu unserem Gehöre. Aufmerksamer horchend, vernahmen wir plötzlich, wie sich's auf der Kiefer regte: - der Hahn schüttelte sein bethautes Gefieder und ließ sein unbeschreibbares „Wurgen“ oder „Kröpfen“ hören. Jetzt hub ganz leise, wie verzagt, das Vorspiel des Balzens an in einem abgebrochenen Satze „Bö - lü - bö“ - und tiefe Stille trat ein. Der alte, mißtrauische Waldvogel „sicherte“ (äugte umher).

Eine Weile - dann hebt das „Knappen“ wieder an - leise, zögernd, unbestimmt, wie ein Hall von ferne, nach einigen Pausen aber stärker, bestimmter, nach einer neuen Tour entschiedener und in beschleunigtem Tempo. Endlich geht das rascher und immer rascher fortschreitende Knappen - ein Geräusch, als wenn zwei Stöcke leise aneinander geschlagen würden - über in das „Trillern“, und sofort erfolgt der Ruck des „Hauptschlags“ mit dem Laute „Glack“ und das ersehnte „Schleifen“: dies sind die zischenden, einige Sekunden währenden Laute, bei welchen der Balzende im Höhepunkte der Liebesleidenschaft nichts hört und dem Jäger so Gelegenheit giebt, näher heranzukommen.

Die ersten drei Gangschritte sind gethan, und wir haben die Genugtuung, den Hahn noch „ausschleifen“ zu hören. Beim Einsatze der zweiten und dritten Schleiftour gelangen wir bis zur Blöße, auf welcher der gestrige Kampf stattfand. Vor uns steht, unweit der Kiefer, ein starker Busch, den mir uns beim nächsten Schleifen in einiger rascher und weiter ausholenden Sätzen zur Deckung ausersehen. Nach dem Ueberspringen über die Blöße setzt der Hahn plötzlich im Balzen ab. zu unserer Freude aber nur einige Sekunden, um dann aufs neue feuriger als zuvor zu beginnen.

Hierdurch gelingt es, bis zu einem Horste deckender junger Föhren etwa 40 Schritte von der Kiefer heranzukommen. Aber durch die sehr dichte Beastung derselben vermag das Auge beim schärfsten Hinsehen in der schwachen Dämmerung nur allmählich und undeutlich einen schwarzen Klumpen zu erkennen. Auf diesen richtet sich während erneuten Schleifens des versteckt Balzenden der Schuß - doch unbeweglich bleibt der dunkle Gegenstand in der Kiefer, aus der nur in leisem Geriesel Aestchen und Nadeln statt des Hahnes herunterfallen.

Der Donner des Schusses verhallt, unverändert bleibt der schwarze Punkt im Baume, nichts regt sich, ein Zeichen, daß die Ladung Nr. 1 in eine dichtverwachsene Astpartie gegangen ist und der in der Schleiftour taube Hahn den Knall des Gewehres nicht vernommen hat. Jetzt gilt es, aufs vorsichtigste den Stand des räthselhaft Verborgenen zu erspähen. Ein wiederholt verschärftes Aufhorchen während des wieder beginnenden Balzens erzeugt in uns die Vorstellung, als wechsele der Hahn während des Balzens seine Stelle. Der hier sich plötzlich aufdrängende Grundsatz, daß man sich ein zu erforschendes Ding von mehreren Seiten betrachten müsse, treibt uns an, einige Schritte seitwärts um die Kiefer herumzugehen. Jetzt mit einem Male bietet sich uns der überraschendste Anblick: - der Hahn zeigt sich gegen den Himmel in scharfer Silhouette auf einem wagrecht abstehenden dürren Aste. In seiner steif feierlichen Gangart hat er eben das Ende des Astes erreicht und ausgeschleift, als er erneut in der Dur-Tonart zu knappen und bei dem Moll des Schleifens gravitätisch rückwärts zu rauschen beginnt. Der im Taumel der höchsten Liebesverzückung Getroffene stürzt zu Boden. Im weidmännischen Triumphe hoben wir den „Verendeten“ empor - ein wahres Kabinettstück von einem Auerhahn.

Fürwahr, dieser Vogel ist das Urbild seiner Sippe, ja der ganzen Familie der Hühner. An Leibesgröße einer Truthenne gleich, bietet ein alter, ausgefiederter Hahn ein dunkelprächtig glänzendes Gefieder im Metallschimmer. Den sammetschwarzen Kopf ziert über den Augen eine hochrothe warzige Haut, die sogenannte „Rose“, die Kehle ein schwarzer Federbart, der hakige, kurze Schnabel spielt ins Gelbliche, Hals und Brust tragen eine schwarzblaue, gewässerte Zeichnung, seitlich sieht sich der Hals aschgrau an, die Brust schillert vorn grün metallisch und heißt in der Jägersprache das „Schild“. Der Rücken und die Decken der kurzen, muldigen Flügel sind schwärzlich wellenförmig durchschossen. Das Achselgelenk zeigt einen charakteristischen dreikantigen, blendendweißen Fleck, weidmännisch ausnahmsweise bei diesem Wilde der „Spiegel“ genannt. Der schwarze Bauch ist spärlich mit weißlichen Punkten versehen und den schwarzen Schwatz, „Stoß“ oder bezeichnender „Spiel“ genannt, ziert am Ende ein Kranz weißlicher Punkte. Die „Ständer“, oder „Tritte“, sind am Laufe bis zu den drei am Grunde gehefteten Zehen haarartig braungrau befiedert. Die Seiten der Zehen haben steife, hornartige Fransen, die sogenannten „Balzstifte“.

Bei dieser Beschreibung der äußeren Gestaltung des Hahnes, der hier unserer Aufgabe gemäß hauptsächlich in Betracht kommt, mag es sein Bewenden haben. Nur vorübergehend sei erwähnt, daß die um ein Drittel kleinere, schwarz, aschgrau , braun und rostgelb gescheckte Henne eine stärkere Befiederung an den Ständern trägt, also nach unserer Bezeichnung gewissermaßen die „Hosen“ anhat.

Merkwürdigere Aufschlüsse giebt die Betrachtung der Organe in Hinsicht auf die Bedeutung mancher Gliedmaßen und Gebilde an dem Vogel.

Nach Nitzsch ist die Luftröhre durchaus weich und enthält nur Knorpelringe, von welchen eine ziemliche Anzahl der letzten Strecke hinten oder auch zugleich vorne mit einander in einem mittleren Längsstreifen verschmolzen sind, während sie an den Seiten getrennt bleiben und da häufige Zwischenräume zwischen sich lassen. Der unterste Theil der Luftröhre, die Trommel, ist nach demselben Forscher noch weiter ausgezeichnet durch eine Umhüllung mit einer rundlichen, gallertartigen, mit Zellengeweben durchsetzten Masse. Die Luftröhre erscheint locker und nachgiebig angeheftet durch sehr breite, lange und geschmeidige, Bänder, sowie [267] durch gestreckte, schmale Muskeln und weiter – wie der aufmerksame Dr. Wurm nachgewiesen hat – durch zwei feste, halbkreisförmige Biegungen in ihrem unteren Theile, von welchen die erste, obere, nach außen, die andere, untere, nach innen mit ihrer Wölbung gebogen ist. Der Umstand, daß der Kinnmuskelapparat sehr verlängert erscheint und die Eigenschaft besitzt, Zunge und Luftröhre auffallend zu heben oder zu senken, ist die Ursache, daß in der Ruhe oder dem Tode die schlaff gewordenen Bänder und Muskeln in den Hals sinken und die Biegungen der Luftröhre sich zu einer Schleife gestalten. Diese auffallende Erscheinung führte bei dem phantasiereichen Jägerstande zu dem Glauben, der Auerhahn habe keine Zunge oder beiße sich dieselbe beim Verenden ab. Die Henne entbehrt dieser organischen Merkmale, mit ein Beweis, daß dieser Apparat wesentlich das Stimmwerkzeug abgiebt, das die sonderbaren Balztouren hervorbringt.

Die Aufklärung der Ursache, weshalb der Auerhahn während des Schleifens tatsächlich nichts hört, verdanken wir wiederum Wurm. Er gewahrte bei der Sektion, daß ein beiderseits vom Unterkieferwinkel entspringender, etwas ausgebogen und sich verjüngend nach oben und wenig nach hinten verlaufender, 23 bis 25 mm langer Knochenfortsatz nach vorne sich über die Ohröffnung zieht, sobald sich der Schnabel des Hahnes weit öffnet, was thatsächlich beim Schleifen stattfindet. Dieser Verschluß des Gehörganges wird um so dichter, als in dieser Zeit die Ohröffnung durch die angeschwollene Haut daselbst ohnedies verengert ist. Das Gesicht zeigt sich jedoch beim Vorspiel des Knappens thätig, ist aber ganz gewiß während der hohen Erregung des Schleifens umflort, denn der Hahn hebt in solchen Augenblicken auch noch die Nickhaut der Augen. Die Erregung und die körperliche Anstrengung hierbei ist aber auch so stark, daß das Vibriren des balzenden Vogels sich dem Standbaum mittheilt, also daß die an den Stamm angelegte Hand das Zittern verspürt. Schließlich verdient erwähnt zu werden eine ebenfalls von Wurm zuerst beobachtete merkwürdige Eigenthümlichkeit des Vogels, daß nämlich alljährlich die Hornscheide des Schnabels wie auch die Nägel der Zehen sich ablösen und neu gestalten.


Sind das nicht absonderliche Eigenthümlichkeiten eines so vielfach interessanten Wald- und Jagdthieres? Ja, der Auerhahn ist eine der hervorragendsten Originalgestalten in den Reihen unseres vaterländischen Wildgeflügels. In ihm verkörpert sich die Majestät, die Abgeschiedenheit und Mystik des Gebirgswaldes, in der Jagd nach ihm die hohe Romantik des Weidwerkes. Wer ihn je in seiner vollen Pracht gesehen hat, den Hahn des einstigen Urwaldes, der vergißt seine auffallende Erscheinung nimmermehr. Hoch aufgerichtet wie ein krähender Haushahn oder mit weit vorgestrecktem Halse und Kopfe steht er während des Knappens, um dann mit dem Einsetzen des Schleifens den Hals höher zu recken und das gefächerte Spiel aufzurichten. Es nähern sich so Kopf und Spiel während des Schleifens und gehen wieder auseinander nach vollendeter Balztour; oder der Vogel balzt, je nach seiner Individualität, so, „als ob er auf die Erde herabfliegen wollte, mit gesenkter Brust und wagrecht vorwärts, selbst etwas nach abwärts gestrecktem Kragen.“

In diesem von heftiger Leidenschaft getragenen Minnespiele mag der prächtige Hinterwäldler noch eine Weile unter seinem grünen Laubdache sein abenteuerliches Wesen treiben; bald wird er nur noch in traurigen Resten als ausgestopfter Balg in den Museen oder als Jagdtrophäe in der Gewehrstube des Jägers an die entschwundene Poesie unseres einst wildreichen deutschen Waldes wehmütig gemahnen! Laßt ihn unbehelligt, ihr Männer im grünen Kleide, seine Knospen äsen, die der Wald in seiner Lebensfülle alljährlich wieder durch Millionen anderer ersetzt; laßt ihn in überschwänglicher Minne noch eine Zeit lang balzen zum Hochgenuß des „unterspringenden“ Weidmannes! Wie lange wird es währen, da balzt der Auerhahn im deutschen Wald nicht mehr, wie der Edelhirsch bald seinen letzten Brunftschrei in den immer wildleerer werdenden Revieren durch die Morgendämmerung geschickt haben wird!


  1. Vergl. „Gartenlaube“ 1890, Nr. 29.