Deutsche Städtebilder/München

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Autor: Max Haushofer
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Titel: München
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 676–682
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Reihe: Deutsche Städtebilder
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Die Maximiliansbrücke.

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Deutsche Städtebilder.

München.
Von Dr. Max Haushofer.0 Mit Zeichnungen von Hans Bartels.

Man hat der bayerischen Hauptstadt mitunter den Vorwurf gemacht, sie habe eine langweilige Umgebung. Rebenhügel besitzt sie freilich nicht in ihrer Nachbarschaft; auch keine mit Villen besetzten Uferhänge. Aber einen gewissen grandiosen Zug kann man der Münchener Landschaft nicht absprechen. Die mächtige Ausdehnung der Hochebene mit ihrem Kranze ferner Waldungen, durchfurcht von dem tief eingeschnittenen Strombett und überragt von der langen Zackenreihe des Hochgebirges, dessen ewigen Schnee man auch in den heißesten Sommern fernher glänzen sieht: das erfrischt ein Auge, welches nicht am Lieblichen, sondern am Großen sich erfreut.

Im Inneren der Stadt aber ist es das massenhafte Grün, welches den Fremden überrascht. Mit Ausnahme der Altstadt, die kaum zwei Kilometer im Durchmesser hat, sieht man überall reichlich Buschwerk und Bäume zwischen den Häusermauern. Und da die Münchener im allgemeinen ein gutes Herz haben, fangen sie aus diesen Bäumen die Singvögel nicht weg, so daß man morgens und abends in den Straßen auch fröhliches Zwitschern und Trillern vernehmen kann. Es sind zwar keine exotischen Bäume, Blumen und Vögel, die das rauhe Klima der Hochebene duldet, aber dauerhafte Kinder der heimischen Natur mit geringen Ansprüchen.

Der Königsplatz.

Ein weiteres Schönheitsmerkmal des Münchener Landschaftsbildes ist der intensiv blaue Himmel. Wenn man den Himmel vor Wolken überhaupt sieht, ist er von einem tieferen leuchtenderen Blau, als man dies in anderen Städten beobachten kann. Die Ursache liegt einerseits in der hohen Lage der Stadt über der Meeresfläche (519 Meter); andrerseits ist die Münchener Luft durch Steinkohlenrauch und Industriedünste noch nicht in dem Grade verdüstert, wie dies bei anderen Städten von gleicher Größe der Fall ist. Etwa entstehende Dünste aber werden durch die Stürme der Hochebene, welche ungehindert die Straßen der Stadt durchfegen können, rasch zerstreut und verblasen.

Münchens Fluß, die Isar, ist leider kein verkehrsreiches Gewässer. Das Gefäll dieses Stromes ist viel zu stark, um irgendwelche andere Fahrzeuge zu dulden als die aus dem Oberlande herabkommenden urwüchsigen Flöße. Da schaukeln sich keine zierlichen Dampfer; kein Ruder- und Segelsport belebt die Stromfläche. Hastig eilen die Wellen, über zahlreiche Wehre stürzend, durch die Stadt, bei andauernd schönem Wetter von kristallener Klarheit, nach Regengüssen und zur Zeit der Schneeschmelze dagegen graugelb, mächtig angeschmollen und tosend, als wollten sie Stücke der Stadt abreißen und hinunterschwemmen in die ferne Donau, der sie sich zuwälzen. Und es ist nicht zu leugnen, daß man Einzelnes ganz gut wegschwemmen lassen könnte, ohne daß dem Ganzen Eintrag geschähe.

Das Herz der Stadt München ist der Marienplatz. Es ist ein alterthümlich aussehender Platz von einer malerischen [677] Schönheit, wie sie nur wenige Plätze deutscher Städte aufzuweisen haben.

Residenzhof. Im Hofbräuhaus.

Von den Häusern, die ihn umgeben, hat jedes andere Höhe, Breite und Farbe, jedes einen anders geformten Giebel; auch in Dächern, Dachluken und Windfähnchen wird hier ein gewisser origineller Luxus getrieben. In reicher gothischer Pracht erhebt sich an der einen Seite des Platzes der Neubau des Rathhauses; hart neben ihm, wo der Platz zu düstrem Winkelwerk sich verengen will, der schöne Giebel des alten Rathhauses und daneben der zackige Rathhausthurm, unter welchem ein Thorbogen durchführt. Auch neuere Privathäuser, welche den Platz schmücken, haben sich pietätvoll mit alterthümlichem Zierrat an Erkern, Zinnen und Giebeldächern versehen, um den mittelalterlichen Eindruck nicht zu stören. Dazu schauen von der Westseite her die beiden schwärzlich rothen riesigen Domthürme düster und ernsthaft auf den Platz herunter. In eigenthümlichem Gegensatz zu dieser romantischen Architektur steht das moderne Treiben, das hier herrscht; die Pferdebahn, die Droschken, die eleganten Läden und gar vollends die mittags aufziehende Wachparade mit ihrer türkischen Musik. Um Jahrhunderte dagegen wird man zurückversetzt, wenn eine sommerliche Vollmondnacht sich mit ihrer Ruhe auf den Platz niedergesenkt hat. Dann zeichnen die Schatten der Dächer und Erker wunderliche Linien auf das Pflaster und auf die Nachbarhäuser; melodisch plätschert der Brunnen, dessen metallene Figuren Leben zu gewinnen scheinen; die hohen Bogenfenster des alten Rathhauses glitzern im Mondenlicht, als wären sie von innenher magisch erleuchtet, die Tauben auf den Dächern gurren leise und am Geländer der Mariensäule knieen noch regungslos, als wären sie auch aus Stein gebildet, ein paar betende Frauengestalten.

So ist das Ganze ungemein eindrucksvoll, und wir brauchen uns nur noch zu denken, daß hinter dem einen Fenster des Rathhauses, welches so spät noch erleuchtet ist, ein Rathsherr sitzt, um über einem wichtigen Probleme der städtischen Verwaltung, etwa über der Einführung eines geräuschlosen Pflasters, zu brüten. Dann werden wir in eine ganz andächtige Stimmung versetzt.

Aber lassen wir’s wieder Tag werden, um uns weiter in den Straßen von München umzuschauen!

Von dem geschilderten Mittelpunkt der Stadt aus zieht ihre belebteste, wenn auch nicht feinste Verkehrsader in westlicher Richtung nach dem Centralbahnhofe, die Kaufinger- und Neuhauserstraße. Es sind das Straßen, wie man sie in anderen großen Städten auch sieht, Straßen, wo das architektonische Äußere der Häuser hinter lauter Firmenschildern verschwindet; wo die Kaufläden, weil sie mit den Erdgeschoßräumen nicht mehr ausreichen, in die oberen Stockwerke hinaufwachsen und wo man zu diesem Zwecke die alten Häuser mittels Eisen- und Glaskonstruktionen streckt und erweitert, damit man alle die Konfektions- und Weißwarengeschäfte unterbringen kann, mit deren Hilfe der äußere Kulturmensch hergestellt wird. In diesen Straßen geht man nicht spazieren; man sucht sie bloß auf, wenn man etwas einzukaufen oder wenn man an einem der Münchener Gerichtshöfe zu thun hat, die vorläufig noch, bis zur Vollendung des neuen Justizpalastes, in dem vormaligen Augustinerkloster eine recht unwirthliche Heimstätte haben. Die bemerkenswerthesten Bauten auf dieser Strecke sind die mächtige Michaelskirche und das darangebaute vormalige Jesuitenkollegium. Wie ansehnlich dieser Bau ist, beweist wohl die Thatsache, daß in ihm eine Zeitlang die Akademie der Wissenschaften und die Kunstakademie, die wissenschaftlichen Sammlungen des Staates, ein Oberlandesgericht und ein Exportmusterlager vereinigt sein konnten, ohne daß die Herren Akademiker und die ausgestopften Thiere sich gegenseitig geniert hätten.

 Isarthor. Neue Pinakothek.

Einen Abschluß findet diese Verkehrsader nach Westen in dem Karlsthor, einem von Thürmen und großen Cafépalästen flankierten Thorbau. Hier erweitert sich die Straße zum geräumigen Platze; das Auge erfrischt sich wieder an Bäumen und Gesträuchbeeten. Der Platz heißt eigentlich „Karlsplatz“; im Volksmunde aber „Am Stachus“, so genannt nach einem großen und vielbesuchten Gasthof, an dessen Ecke die Hauptlinien der Pferdebahn sich kreuzen. Hier befindet man sich schon im Banne des Bahnhofs, den man in der Ferne sieht, und dessen Lärm und rastloses Leben dem Ohr und Auge schon von weitem sich aufdrängen. Hier beginnt eine Reihe von großen Gasthöfen, welche sich rechts und links von dem thurmartig aufstrebenden Bau des „Café Imperial“ bis auf den Bahnhofplatz hinziehen. Dieser ist glücklicherweise geräumig genug, um auch ein starkes Anwachsen des Eisenbahnverkehrs noch vertragen zu können; und ebenso der Bahnhof selber, dem man es schon von außen ansieht, wie er im Lauf der Jahrzehnte sich ausgeweitet hat, als hätten die Puffer der immer zahlreicher einherschnaubenden Lokomotiven ihn künstlich auseinandergetrieben.

Der Münchener Centralbahnhof ist heute etwa eine Wegstunde lang. Was auf Fremde, die in diesen Bahnhof einfahren, neben seiner Länge besonderen Eindruck macht, sind die überaus zahlreichen weißen Bierwagen, die hier der Beförderung harren. Man hat der guten Stadt München so oft und mit so viel sittlicher [678] Entrüstung den Vorwurf gemacht, daß sie etwas viel Bier trinke. Die weißen Wagen auf dem Münchener Bahnhofe beweisen am schlagendsten die Ungerechtigkeit dieser Anschuldigung; denn sie zeigen aufs allerdeutlichste, daß der größte Theil des in München gesottenen Bieres fortbefördert wird, um in Berlin und Paris, in Wien und New-York und Adelaide – und weiß Gott wo noch getrunken zu werden. Mag man immerhin deshalb den Münchener Brauern den Vorwurf machen, daß sie durch die Güte ihres Stoffes die ganze Kulturwelt zur Trunksucht verleiten: uns Münchenern darf man sicherlich nicht vorwerfen, daß wir unser Bier allein tränken oder daß wir es der durstigen ausländischen Menschheit nicht vergönnten. Im Gegentheile. Der Münchener ist so wenig selbstsüchtig, daß es ihn nur mit freudigem Stolze erfüllt, wenn er den Ausländern recht viel zum Trinken schicken kann.

Nach dieser Abschweisung in das Innere des Münchener Bahnhofes müssen wir aber unsere Wanderung durch die Straßen fortsetzen.

Odeonsplatz.     

Siegesthor.
Partie aus dem Englischen Garten.

Wenn wir zu diesem Zwecke zunächst nach dem Karlsplatze zurückkehren, so eröffnet sich uns eine Art von Panorama. Wir haben da einen weiten malerisch gegliederten Horizont. In nördlicher Richtung sehen wir hinter dem noch im Entstehen begriffenen prächtigen Justizpalaste den luftigen Bau des Glaspalastes ragen, in welchem die Ausstellungen der Münchener Künstlergenossenschaft ihre Stätte haben. Wenden wir uns diesem nordwestlichen Stadtviertel zu, so gelangen wir in stille, breite, vornehme Straßen. Hier herrscht keinerlei Geschäftsleben mehr. Am vollständigsten erscheint dasselbe abgeschlossen in der Arcisstraße und Briennerstraße, in der Umgebung des ruhigen sonnigen Karolinenplatzes. Da sind überall zwischen und hinter den palastähnlichen Häusern kleinere und größere Gärten; man gewinnt nothwendig den Eindruck, daß hier nicht dem Erwerb nachgegangen, sondern in behaglicher Abgeschlossenheit gelebt wird. Wirklich großartig und friedlich wird dieser Eindruck aber auf dem Königsplatze. Von Sonnenlicht und Einsamkeit umfluthet, von hohen Baumkronen umrauscht, glänzen hinter breiten Rasenflächen Marmorbauten im reinsten hellenischen Stile: rechts drüben die Glyptothek, jene mustergültige Sammlung antiker Bildwerke, links das Kunstausstellungsgebäude und in der Mitte der mächtige Thorbau der Propyläen. Der Königsplatz ist wirklich ein königlicher Platz, wo niemand wohnt, wo kein Handel und Erwerb getrieben wird, wo keine Pferdebahn rollt, kaum ein Wagen rasselt. Hier herrscht ewige Sonntagsstille. Mag sie auch für einen an Leben und Lärm gewöhnten Großstädter etwas allzu Feierliches, fast Verwunschenes haben: wer sie mit vollen Zügen einathmet, fühlt, wie traumhaft wohlthätig sie sich auf die Nerven legt.

Aehnlich, wenn auch nicht ganz so harmonisch ist der etwas weiter nördlich gelegene Platz, wo die alte und neue Pinakothek, jene berühmten Gemäldesammlungen, und das Polytechnikum stehen. Hier wirkt der Eindruck der Ruhe nicht so vollständig; denn an zwei Seiten des Platzes wohnen Menschen und an der dritten Seite ist sogar eine Kaserne, aus deren Hof den ganzen lieben Tag Taktschritt und Kommandorufe schallen; auch die Pferdebahn bringt einige Unruhe. Aber mit Vergnügen schweift doch das Auge hier über weite Räume hin; man fühlt sich nicht so beengt, so gedrückt wie in den Straßen des Geschäftslebens, sondern erfrischt durch weite Grasfluren, durch Buschwerk und Baumschatten. Der ganze Stadttheil, dessen Mittelpunkt dieser Platz bildet, hat nur einen gewissen einförmigen Charakter wegen der durchaus geradlinigen und rechtwinkeligen Anlage seiner Straßen. Das ist ja praktisch, aber recht langweilig wie alles Viereckige.

Wenn man von dem unvergleichlichen Königsplatz in östlicher Richtung weiter wandert, kommt man zuerst nach dem kleineren, kreisrunden Karolinenplatze. Auch er ist sonntäglich still, von schweigenden Palästen umgeben. In seiner Mitte ragt ein eherner Obelisk, dem Andenken der dreißigtausend Bayern gewidmet, die einst mit dem korsischen Eroberer nach Rußland ziehen mußten und dort in eisigen Wüsten einen frühen Tod fanden.

Wir nähern uns wieder belebteren Stadttheilen. Vorüber an den röthlichen Mauern des „Wittelsbacher Palastes“, der zur Linken seine gothischen Thürme hinter einem Kastanienhain erhebt, kommen wir zum Schillerdenkmal; gleich darauf zum Wittelsbacher Platze, wo die Reiterstatue Herzog Maximilians I., ein Meisterwerk von Thorwaldsen, uns ernst entgegen schaut; und dann hinaus auf den Odeonsplatz.

Hier sind wir an einem der elegantesten und zugleich belebtesten Punkte der Stadt. Mit der volkreichen und lebhaften Theatinerstraße, welche zum Marienplatze führt, treffen hier die aristokratische Briennerstraße, die Residenzstraße und die breite majestätische Ludwigstraße zusammen. Auf den Odeonsplatz schaut ein Flügel des königlichen Schlosses von einer Seite her; von der anderen Seite beherrschen ihn die barocken Thürme der Theatinerkirche; die dritte Seite wird von der Feldherrnhalle eingenommen; die vierte öffnet sich nach der Ludwigstraße zu und läßt hier einen weiten Ausblick durch stattliche Häusermassen.

Der Odeonsplatz und die Ludwigstraße tragen den Grundzug [679] des Gouvernementalen; sie sind der Wohnsitz der Staatsgewalt, denn hier finden wir außer der Residenz in unmittelbarster Nähe die Ministerien des Inneren und des Kultus und, wenn wir die Ludwigstraße weiter hinabwandern, noch eine Reihe von Prachtbauten, in welchen hohe Behörden untergebracht sind.

Universität.

Da steht zur Rechten das Finanzministerium, in welchem der Herr Finanzminister mit Recht stolz sein kann auf die Blüthe und Ordnung des bayerischen Staatshaushaltes; in seiner Nachbarschaft ragen die großen Geldpaläste der Reichsbank, der Notenbank und der Bodenkreditbank; weiter abwärts folgt das Kriegsministerium, welches in der Nähe jener Geldpaläste ganz passend erscheint, theils als Schutzanstalt, theils als Mittel, um das etwa überflüssige Geld doch anbringen zu können. An das Kriegsministerinm stößt wieder der großartige Bau der bayerischen Staatsbibliothek, ihm gegenüber liegt ein umfangreiches Gymnasialgebäude. Und so setzen sich die öffentlichen Bauten fort bis zu dem Platze, wo vor dem schönen Universitätspalaste zwischen Blumenbeeten die Springbrunnen rauschen. Die Straße findet ihren Abschluß in dem Siegesthore, einem Triumphbogen im römischen Stil, auf dessen Höhe eine eherne Viktoria ein Löwen-Viergespann lenkt. Hinter dem Siegesthore ist die Straße zwar nicht zu Ende, aber sie gewinnt einen anderen Gesichtszug; sie wird eine Villenstraße, in welcher das Grüne vorherrscht. Ein großer Prachtbau aber zeigt sich noch unweit des Siegesthors: die mächtige Front der neuen Kunstakademie, in welcher so viele junge Leute das Malen lernen, daß binnen kurzer Zeit die ganze Welt mit Bildern versorgt werden könnte.

Wenn wir uns durch die Ludwigstraße wieder zurückverfügen nach dem Odeonsplatze, muß uns unmittelbar vor der Feldherrnhalle eine Mauer mit einem mäßig großen Thorbogen auffallen. Hinter jener Mauer sieht man grüne Baumwipfel nicken: die Linden und Kastanien des Hofgartens, in deren Schatten während der schöneren Jahreszeit Kaffeehäuser und Konditoreien ihre Labung spenden. An den Tischen dieser Erquickungsanstalten kann man an schönen Sommertagen Münchener Berühmtheiten und Unberühmtheiten, elegante Damen und schlanke Lieutenants sitzen sehen; auch die Fremden mit ihren Reisehandbüchern finden sich gerne ein, um vom ermüdenden Anstaunen der Münchener Kunstschätze auszuruhen. Bier darf in diesen Gartencafés nicht verabreicht werden. Das ist eine vortreffliche Einrichtung, weil sie jedermann den Beweis liefert, daß der Münchener auch ohne Biergenuß irgendwo sitzen bleiben kann. Unter den Bäumen spielen Kinder und rauschen Springbrunnen; die Kinder werden mit der Zeit größer und stärker, aber die Brunnen leider nicht – die bleiben ewig gleich dünn.

Die Kunstakademie.

Der Hofgarten mit seinen zahmen Baumreihen bildet nur eine Einleitung zu dem ungleich schöneren „Englischen Garten“, welcher sich daran schließt. Dieser Englische Garten ist wie ein Keil, den die Natur fast bis in das Herz der Stadt hereinschieben durfte. Stundenlang zieht er sich in nordöstlicher Richtung durch die Isarniederung, von Armen des Flusses durchströmt, mit weiten Wiesenflächen und prächtigen Baumgruppen. Hier kann man bald an einem Wasserfalle sitzen, der über Felsen herabrauscht, oder einen Hügel ersteigen, auf welchem ein griechischer Säulentempel sich sonnt; weiter abwärts mag man auch auf einem kleinen See unter Baumwipfeln hinrudern; oder man mag noch weiter hineinwandern in die grüne Tiefe, wo die Wege immer einsamer werden. Der Park wird immer mehr zum Walde; Rudel von Rehen zeigen sich scheu in der Ferne, und endlich verliert sich das Walten aller Kultur in schweigender Einsamkeit. Man hört nichts mehr als den Ruf der Waldvögel und das Rauschen des hinter den Bäumen thalwärts eilenden Stroms.

Kehren wir zurück zur Stadt! Wo wir den Englischen Garten verlassen, schweift unser Blick durch die neu angelegte, ihre Häuser noch erwartende Prinzregentenstraße bis zur Anhöhe jenseit der Isar, wo ein ferner Springbrunnen im Sonnenlichte glitzert. Wenn wir den Hofgarten wieder erreichen, können wir durch die Bogengänge hinaufgehen, die ihn an zwei Seiten begrenzen und theils mit geschichtlichen Freskobildern, theils mit den unvergleichlich schönen italienischen Landschaften Rottmanns geschmückt sind. An der Südseite des Hofgartens zeigt uns das Residenzschloß der bayerischen Könige seine machtvolle Stirnseite. Wir können die stillen, sonnigen Schloßhöfe durchwandern und finden in einem derselben einen größeren Brunnen mit barocken Ungeheuern, in einem kleineren Hof einen ganz melancholischen stillen Miniaturgarten, gleichfalls mit einem Brunnen, auf welchem Perseus erscheint, wie er eben die arme Medusa geköpft hat.

Aus dem Schlosse gelangen wir auf den Residenzplatz hinaus. Drei vornehme Bauwerke nehmen drei seiner Seiten ein: die [680] Südfront der Residenz, das Hoftheater und die Hauptpost; mitten auf dem Platze aber thront des Königs Max Joseph ehernes Standbild, voll treuer Erinnerung stets mit Kränzen geschmückt. An ihm vorüber führt uns der Weg wieder in eine Hauptverkehrsader, in die Maximiliansstraße. Sie ist landschaftlich die anmuthigste unter den Münchener Hauptstraßen, wenn man auch mit ihrer Architektur nicht immer zufrieden sein kann.

  Ruhmeshalle und Bavaria.

  „Am Stachus.“

Unter ihren Seitenstraßen leitet eine zu einer Sehenswürdigkeit Münchens, welche wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Wir meinen das königliche Hofbräuhaus'. Unscheinbar von außen, ist es seit Menschenaltern eine Musteranstalt zur Stillung berechtigten und unberechtigten Durstes. Nichtmünchener geben sich allerdings noch der groben Täuschung hin, daß jeder Münchener mindestens einmal im Tage seine Schritte diesem Tempel des Gambrinus zulenke, während im Gegentheile sehr viele Münchener von heutzutage das Hofbräuhaus überhaupt nur vom Hörensagen kennen. Die Stadt ist viel zu groß und die Zeit der Menschen viel zu kostbar geworden, so daß sich die Aufmerksamkeit längst nicht mehr auf eine einzige Bierquelle konzentrieren kann, mag dieselbe auch noch so köstlich fließen. Es ist auch ein Irrthum, wenn der Fremde glaubt, er müsse das Hofbräuhaus gesehen haben, um Münchener Leben kennenzulernen. Das Münchener Leben, soweit es heutzutage noch mit dem Nationalgetränke zusammenhängt, offenbart sich genügend auch in den großen Bierkellern, die an den Endpunkten der Stadt liegen und in denen das Volk gern seine Sommerabende unter schattigen Kastanien verbringt.

Die Maximiliansstraße, von welcher aus wir diese kleine Abschweifung gemacht haben, endet mit dem Denkmal König Maximilians II. und mit einer hübschen Brücke, unter welcher die Isar durchrauscht. Von dieser Brücke sieht man weit stromab- und stromaufwärts, und überall fröhlich bewegtes Wasser, weiße Kiesbänke und stattliche Bäume; und man kann am jenseitigen Ufer hinauf und hinunter wandern auf verschlungenen Pfaden und den Blick hinüber schicken nach den Thürmen und Dächern der Stadt. Noch weiter in östlicher Richtung vorzudringen ist nicht rathsam; denn die Straßen, die da hinausführen, enden in weitläufigen unschönen Vorstädten, und schließlich steht man vor einem Bahnhofe oder vor einer jener zahllosen Ziegeleien, welche dort den gelben Lehmboden in rothe Ziegel verwandeln, damit immer neue Häuser gebaut werden können, in welchen neue Geschlechter von Menschen wohnen sollen.

Parallel mit der Maximiliansstraße führt noch eine andere Hauptverkehrsader nach Osten, das sogenannte „Thal“. Es ist eine breite krumme Straße, welche durch alte Stadttheile mit gewerblichem Leben sich durchwindet. Durch das Isarthor mit seinen alterthümlichen Thürmen gelangt man an den Fluß und zu den Vorstädten, welche sich mit ihren gothischen Kirchen, ihren kleinen Häusern und großen Bierfabriken am östlichen Ufer ausbreiten.

Wenn man eine ganze Stadt mit einem Hause vergleichen dürfte, so könnte man sagen: in München bildet die nördliche und westliche Hälfte der Stadt das Vorderhaus, die südlichen und östlichen Quartiere sind Hinterhaus. Im Vorderhause sind breite Treppen und große helle Fenster; da wird gewohnt, geprunkt und Luxus getrieben; da hausen Kunst, Wissenschaft und Staatsgewalt als angesehene und zahlungsfähige Miethparteien. Im Hinterhause sind die Fenster klein, die Treppen steil und eng; da wird gearbeitet; man sieht Werkstätten und viele kleine Kinder.

In diese Hinterhausgegend leiten vom Mittelpunkte der Stadt aus zwei Hauptadern. Um die eine zu finden, biegt man vom Marienplatze unter dunkle alterthümliche Laubengänge ein, wo allerhand kleine Läden für Spielwaren, Küchengeschirr, Werkzeuge und dergleichen sich aneinander drängen. An diesen Lädchen vorüber führt uns der Weg durch einen finstren Bogen, unter den Mauern einer schwarzbraunen Kirche und am zierlichen Pförtchen des Standesamts vorüber zu einer kleinen Terrasse. Vom Rande derselben sehen wir unter uns ein Meer von Gemüse, Obst, Fleisch, Brot, Eiern und Fischen. In diesem Meere schwimmen Marktweiber, Hausfrauen und Köchinnen umher. Es ist der Viktualienmarkt, auf welchen wir hinunterschauen, die Speisekammer der Stadt, täglich gefüllt und täglich wieder leer gegessen. Wir steuern durch dieses Meer von Eßwaren, hier ein paar Schneehühner, dort ein Spanferkelchen mit begehrlichem Auge streifend; heftiges Feilschen, Lachen und Scheltmorte schlagen an unser Ohr. Dann nimmt uns ein Pferdebahnwagen auf und führt uns durch eine lange Straßenzeile wieder an den Fluß hinaus auf die Reichenbachbrücke. Hier sind wir am südlichen Ende der Stadt. Stromabwärts sehen wir Brücken, Häusermassen und Thürme; stromaufwärts schweift das Auge durch einsame Auen und Wälder.

Eine letzte Hauptverkehrsader endlich führt vom Marienplatze aus in südwestlicher Richtung durch die Stadt. Es ist die Sendlingerstraße. Auch da lernen wir alte bescheidene Stadttheile

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Die Maximiliansstraße mit dem Denkmal König Maximilians II. und dem Maximilianeum.

[682] kennen: schmale, rauchige Häuser mit gewerblichem Lärm. Am Ende dieser Straße steht das altersgraue, epheuumsponnene Sendlingerthor, welches ein betrübtes Ansehen hat, weil es schon seit Jahrzehnten in beständiger Gefahr schwebt, den Anforderungen des modernen Verkehrs zum Opfer fallen zu müssen. Außerhalb des Sendlingerthors weitet sich das Stadtbild wieder freundlich aus; überall zeigen sich Baumgruppen zwischen den Häusermassen. Wir betreten einen Stadtteil, welcher hauptsächlich der Gesundheitspflege gewidmet ist; hier sind die umfangreichen Bauten des städtischen Krankenhauses; in der Nähe auch die Anatomie, das physiologische Institut, die Frauenklinik und ähnliches. Man würde sich unter dem sanitären Schutze dieser Anstalten ziemlich geborgen fühlen, wenn man nicht wüßte, daß leider auch der große südliche Friedhof in unmittelbarster Nähe ist.

Durch staubige, breite, neue Vorstadtstraßen suchen wir das Ende der Stadt zu gewinnen. Wenn wir das Freie erreichen, finden wir uns auf einer weiten Fläche, der Theresienwiese. Wo sie an ihrem Westrande durch eine langgestreckte Bodenanschwellung begrenzt wird, steht auf der Höhe droben ein stolzer griechischer Säulenbau, die Ruhmeshalle, überragt von dem ehernen Riesenstandbilde der Bavaria. Seltsam hebt sich die dunkle Erzfarbe des gigantischen Weibes von der weißen Säulenreihe dahinter ab.

Wir steigen die breite Freitreppe hinauf bis an den Sockel der Statue. Hier ist es wieder still und schön. Ein Wäldchen von prächtigen Bäumen rauscht um den Säulenbau; vor uns ausgebreitet liegt die Stadt mit ihrem Häusermeer und ihren qualmenden Kaminen, aber ihr Lärm klingt nicht bis herauf zu uns; nur vom benachbarten Centralbahnhofe her vernehmen wir das Pfeifen der Lokomotiven. Der Eindruck, welchen München an dieser Stelle macht, ist nicht malerisch, es ist nicht so schön gruppiert, wie man es vom entgegengesetzten Isarufer aus sieht. Dafür entdeckt unser Auge mit Entzücken dasjenige, was an der Münchener Landschaft das schönste ist: die langgestreckte Kette der Alpen. Ueber den Dächern der Häuser scheint sie zu schweben, Gipfel an Gipfel; und wenn die Luft klar ist, läßt sich unschwer dort die lichtere Färbung der Felsen und Alpenmatten vom dunkleren Tone der Bergwälder unterscheiden. Zwischendurch aber schimmern auch noch die beeisten Spitzen der Stubaier und Zillerthaler Gletscher. Da kann man lange stehen und hinausschauen; ein solcher Anblick zieht nicht nur das Auge, sondern auch die Seele ins Weite.

Und während man so in diese blaue sehnsuchtweckende Ferne schaut, hört man über sich einen eigenthümlichen klingenden Ton. Es ist der Wind, der um die eherne Riesin spielt. Das klingt geisterhaft. Dieses Erz da droben – einst waren es alte türkische Schiffskanonen, die vielleicht schon in der Schlacht von Lepanto Feuer sprühten. Jetzt weckt der Alpenwind singende Töne in dem alten Metall. Wie die Dinge zusammenhängen!