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Deutscher Menschenhandel im 18. Jahrhundert

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Titel: Deutscher Menschenhandel im 18. Jahrhundert
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 295–299
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[295]
Deutscher Menschenhandel im 18. Jahrhundert.
Die diensteifrige Durchlaucht von Hanau und ihr „Extradouceur“ – Der opferwillige Waldecker und seine werbenden Dorfpfarrer – Die Braunschweiger, Vater und Sohn – Der Kasseler Landesvater, seine Rechnenkünste und seine cameradschaftlichen Gesinnungen – Der Anhalt-Zerbster und seine Stylübungen – Der verschmähte Baier – Das Urtheil des englischen Parlamentes und Friedrich des Großen.


„Es traten wohl so etliche vorlaute Bursche vor die Fronte heraus und fragten den Obersten, wie theuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe? – Aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschiren und die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe! nach Amerika!
Schiller, „Kabale und Liebe.“ 

Es war in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; die unter Englands Oberhoheit stehenden dreizehn Colonien, die nachmaligen Vereinigten Staaten von Nordamerika, hatten ihrem Herrscher Georg III., der sie eines ihrer Rechte nach dem andern beraubt, den Gehorsam gekündigt und die gegen sie ausgesendete bewaffnete Macht durch ihr eigenes Heer unter Washington’s Oberbefehl siegreich zurückgeschlagen. Der König war aber fest entschlossen, die rebellischen Colonien um jeden Preis zum Gehorsam zurückzuführen. Seine eigene verfügbare Truppenmacht reichte indeß für diesen Zweck nicht aus, so daß ihm seine Minister nichts Besseres zu rathen wußten, als mit einer auswärtigen Regierung wegen Ueberlassung einiger Truppencorps zu diesem Zwecke in Unterhandlung zu treten. England hat es von jeher geliebt, seine Kriege mit Verbündeten oder Hülfstruppen zu führen, diesen die schwerste Arbeit zuzuweisen und im Fall des Mißlingens die Schuld aufzubürden, gemeinschaftlich erfochtene Siege dagegen für sich allein in Anspruch zu nehmen.

Ueber diese von der englischen Regierung mit auswärtigen Höfen gepflogenen Unterhandlungen macht der berühmte amerikanische Historiker Bancroft in dem neuesten Bande seiner umfassenden und gediegenen Geschichte der Vereinigten Staaten Mittheilungen, welche mancherlei bis jetzt noch wenig oder gar nicht gekannte Einzelheiten enthalten und überhaupt geeignet sind, jenen schmachvollen Menschenhandel vor den Augen der Nachwelt in das ihm gebührende Licht zu stellen.

Die Blicke Georg’s III. richteten sich zunächst nach Rußland. Er hoffte die Kaiserin Katharina seinen Vorschlägen geneigt zu machen; allein trotz vieler Conferenzen und mancherlei anfangs gegebener unbestimmter Zusagen war schließlich die Kaiserin nicht zu bewegen, auf das Anerbieten einzugehen, in welchem sie eine Beleidigung ihres Stolzes und ihrer Ehre erblickte. Alle Höfe von Moskau bis Madrid hatten den Gang dieser Unterhandlungen beobachtet, aber keinerlei auswärtiger Einfluß äußerte auf die Willensmeinung der Kaiserin irgend welchen Einfluß. Im westlichen Europa hatte sich eine Zeit lang das Gerücht verbreitet, die Kaiserin sei bereit, dem englischen Verlangen zu entsprechen; Vergennes, der französische Minister, erklärte es jedoch sofort für unglaubhaft und schrieb an den französischen Gesandten in Moskau die denkwürdigen Worte: „Ich kann Katharinens Seelengröße nicht mit dem unehrenhaften Gedanken vereinbaren, daß sie mit dem Blute ihrer Unterthanen Wucher treiben könnte.“

Zu seinem Troste hatte König Georg bereits Beweise in den Händen, daß nicht alle Fürsten Europas die von der Kaiserin Katharina bewiesene Standhaftigkeit gegen die Verlockungen des englischen Goldes an den Tag legen würden.

Der Erbprinz von Hessen-Kassel, bereits Beherrscher des kleinen Fürstenthums Hanau, hatte Englands Wünsche schon vor den mit der Kaiserin Katharina angesponnenen Unterhandlungen instinctartig gewittert und deshalb an Georg III. geschrieben: „Ich höre nie auf, die feurigsten Wünsche und Gebete für den besten aller Könige zum Himmel emporzusenden, und wage hiermit, ohne die mindeste Bedingung zu stellen, mein Regiment von fünfhundert Mann anzubieten, welche alle bereit sind, mit mir ihr Leben und ihr Blut für Eurer Majestät Dienst zu opfern. Geruhen Eure Majestät, auf den Beweggrund und nicht auf die Sache selbst zu sehen. O, daß ich zwanzigtausend Mann offeriren könnte! Es sollte mit demselben Eifer geschehen. Mein Regiment ist auf den ersten Wink, der mir gegeben werden wird, bereit, aufzubrechen.“

Gleich dem Bettler, der einem reichen Gönner, von dessen Großmuth er mehr als den Marktpreis zu erpressen hofft, seine Habe als Geschenk anbietet, verlangte er nichts, begab sich aber, als keine Antwort erfolgte, später selbst nach England, um seine Anträge zu erneuen.

Georg III. wünschte jedoch, bevor er mit deutschen Fürsten in Unterhandlung trete, erst eine Truppenanwerbung in Holland zu versuchen. Ohne großes Bedenken wäre der Erbstatthalter der Republik auf den Vorschlag eingegangen; Würde, Grundsätze und Politik der Generalstaaten widerstrebten einem solchen Verlangen aber entschieden.

Namentlich war es Baron van der Capellen tot den Pol, der Gracchus der holländischen Republik, welcher gegen Englands Zumuthung protestirte. Janitscharen solle man lieber miethen, äußerte er, als Truppen eines freien Staats. Warum solle eine Nation, welche selbst den Namen von Rebellen getragen und sich mit der Schärfe des Schwerts von ihren Unterdrückern befreit, ihre Truppen hergeben, um das zu zermalmen, was man von einigen Seiten die Rebellion der Amerikaner zu nennen beliebe, die gleichwohl für alle Nationen ein ermuthigendes Beispiel seien und als wackere Männer die Achtung der ganzen Welt verdienten, weil sie mit Unerschrockenheit und doch mit Mäßigung die Rechte vertheidigten, welche Gott, aber nicht das britische Parlament, ihnen verliehen?

Auch hier also scheiterte Georg mit seinem Ansinnen. Mittlerweile aber fand er in Deutschland, was er suchte.

Das deutsche Reich hatte sich von der Zerrüttung, welche der dreißigjährige Krieg über dasselbe gebracht, noch nicht wieder erholt. Seit dieser furchtbaren Zeit war der Militärdienst ein Handwerk geworden und der gemiethete Söldner an die Stelle des mittelalterlichen Vasallen getreten. Das Gefühl des Patriotismus hatte sich allmählich in den Gehorsam des Soldaten verwandelt, welcher wohl lernte, daß er einen Herrn, aber nicht daß er ein Vaterland hatte, und Kurfürsten, Herzöge und Landgrafen maßten sich das Recht an, sich um ihren persönlichen Vortheils willen in Kriege einzulassen und ihre Truppen ganz nach ihrem Belieben zu vermiethen. Um des Gewinnes ihrer Fürsten und um des Soldes und der Beute für sich selbst willen waren deutsche Truppen bei jedem großen Kampfe betheiligt, welcher von Polen bis Portugal, von der Nordsee bis zum Golfe von Neapel wüthete, und standen sich häufig genug auf verschiedener Seite feindlich gegenüber. In Friedenszeiten trieben sich die verabschiedeten überzähligen Söldner im Lande umher und bildeten eine unbeschäftigte Masse, bis sie neues Handgeld und die Hoffnung auf neue Beute wieder unter die Fahne rief, gleichgültig unter welche.

[296] Sobald daher bekannt ward, daß der König von England sich außer Stand sah, seine im Kampfe mit Amerika gelichteten Regimenter durch Anwerbungen innerhalb seiner eigenen Staaten wieder zu ergänzen und zu vermehren, und daß er deshalb Rekruten aus Deutschland zu beziehen wünschte, erboten sich, begierig von diesem Umstand Nutzen zu ziehen, eine Menge von Abenteuerern die gewünschten Truppen zu verschaffen. Anfangs trug Georg Bedenken, von diesen Anerbietungen Gebrauch zu machen. „Wenn ich,“ sprach er, „deutschen Officieren Auftrag gebe, mir Leute zuzuführen, so bin ich, gerade heraus gesagt, nicht viel besser als ein Seelenverkäufer, was nach meiner Ansicht kein sonderlich ehrenvolles Prädicat ist.“ Dennoch aber verstand er sich dazu, daß ein Contract mit einem hannoverischen Oberstlieutenant abgeschlossen würde, welcher sich verbindlich machte, ohne Zeitverlust viertausend Mann Rekruten in Deutschland anzuwerben. Ebenso gestattete er auch sein Kurfürstenthum Hannover als Sammel- und Werbeplatz zu benutzen und willigte ein, daß sein Feldmarschall dem Unternehmen den nothwendigen Beistand lieh. Damals hielten keine wechselseitigen Höflichkeitsrücksichten die Fürsten ab, einer des andern Soldaten zur Desertion zu verleiten, und ein höheres Handgeld, bessere Löhnung und die verlockende Aussicht, in Amerika, dem Goldlande, reiche Beute zu machen, bewog die vagabundirenden Veteranen früherer Kriege sehr bald, sich um das in Hannover aufgepflanzte Banner zu schaaren. Freilich hatte der deutsche Reichstag Truppenanwerbungen für fremde Fürsten innerhalb seines Gebietes untersagt, und das Cabinet von Wien sah sich daher, um wenigstens den Schein zu wahren, genöthigt, darauf aufmerksam zu machen, daß Großbritannien mit dem deutschen Reiche in keinem Zusammenhang stände, ihm mithin nicht das Recht zukäme, innerhalb Deutschlands Grenzen Truppen anzuwerben. Für England lag hierin blos eine zarte Aufforderung, das Werbegeschäft in Deutschland ein wenig verstohlen betreiben zu lassen. Der Lieferant hatte auch sehr bald eine kleine Abschlagssendung von 150 Mann beisammen und versprach raschern Erfolg, sobald das Unternehmen nur erst ein wenig besser im Zuge wäre. Hierzu kam, daß der Fürstbischof von Lüttich und der Kurfürst von Köln sich gern dazu verstanden, hinsichtlich der Anwesenheit englischer Agenten, welche auch Werbestationen in Neuwied und Frankfurt hatten, ein Auge zuzudrücken. So instruirten denn die englischen Minister ihre diplomatischen Vertreter an den kleinen Höfen, den Werbungen allen möglichen Vorschub zu leisten, allein dies nicht officiell oder im Namen ihres Königs zu thun.

Inzwischen hatte der Aufstand in Amerika immer größere Verhältnisse angenommen, und Georg, der zuerst mit Widerstreben daran gegangen war, von den kleinen deutschen Fürsten Soldaten zu kaufen, sah sich genöthigt, nunmehr alle diese Scrupel schwinden zu lassen. Seine Minister theilten ihm mit, daß der Herzog von Braunschweig, wenn er sonst wolle, recht wohl wenigstens dreitausend und der Landgraf von Hessen-Kassel fünftausend Mann stellen könnten, und im November 1775 wies Lord Suffolk seinen Agenten, Oberst Faucitt, dahin an: „Ihre Aufgabe ist, so viel Truppen zusammenzubringen, wie Sie nur können. Ich gestehe, daß meine eigenen Hoffnungen in Bezug auf das Ihnen übertragene Geschäft nicht sehr sanguinisch sind, und Sie werden daher, so lange Sie nicht gegründete Aussicht auf Erfolg haben, Ihre officielle Eigenschaft so wenig als möglich hervortreten lassen. Verschaffen Sie uns, wie gesagt, so viel Truppen, als gehen will, und obschon es Ihnen nur zur Ehre gereichen wird, wenn Sie dies unter möglichst billigen Bedingungen thun, so muß ich Ihnen doch bemerklich machen, daß im vorliegenden Falle auf Kostenersparniß nicht so viel Rücksicht genommen werden kann, wie unter andern gewöhnlichen Verhältnissen. Es ist die größte Thätigkeit nothwendig, denn dem König liegt außerordentlich viel daran, das Unternehmen zu Stande gebracht zu sehen, und Sie werden daher sowohl von Braunschweig, als auch von Kassel aus, sobald Sie wissen, ob Truppen zu erlangen sind oder nicht, augenblicklich einen Courier an mich absenden, ohne erst auf Nennung der Bedingungen zu warten.“

Die Befürchtung des englischen Ministers, daß der beabsichtigte Menschenhandel nicht zu Stande kommen werde, war leider eine höchst überflüssige. Eine Menge kleiner Fürsten drängte sich herzu, Truppen anzubieten. „Ich,“ schrieb unter andern der Fürst von Waldeck, „werde es als eine hohe Gunst betrachten, wenn der König von mir ein Regiment von sechshundert Mann annehmen will, dessen Officiere und Mannschaften eben so wie ihr Fürst sicherlich nichts inniger wünschen, als eine Gelegenheit zu finden, sich für Seine Majestät zu opfern.“ Natürlich ward dies freundliche Anerbieten unter den jetzt obwaltenden Umständen mit tausend Freuden acceptirt.

Am 24. November machte Faucitt, nachdem er in Stade seine Instructionen erhalten, sich auf den Weg nach Braunschweig. Herzog Karl von Braunschweig war damals ungefähr 63 Jahre alt. Während der vierzig Jahre seiner Regierung hatte er die Millionen seines Einkommens an seine italienische Oper, an sein Balletcorps, auf Reisen, an Maitressen, am Spieltische und mit alchymistischen Experimenten verschwendet und außerdem zwölf Millionen Thaler Schulden gemacht. Das Meiste aber hatte ihm seine kleine Armee gekostet, die jetzt im Alter, wo er für andere Lebensgenüsse unfähig geworden, seinen Stolz und seine einzige Freude ausmachte. Seit drei Jahren hatte er den Erbprinzen Ferdinand, der mit Georg’s III. Schwester Auguste vermählt war, zum Mitregenten erkoren. Dieser sowohl, als seine Umgebung, war von der Machtvollkommenheit eines legitimen Fürsten durchdrungen. Er liebte zu herrschen und verlangte blinden Gehorsam. Uebrigens war er nicht ohne Anlagen. Sein Stolz war, sein Tagewerk gut und pünktlich zu verrichten, und wirklich führte er in mehrern Zweigen der öffentlichen Verwaltung zweckmäßige Ersparnisse ein. Wenn auch den sinnlichen Vergnügungen ergeben, war er doch daneben unermüdlich in der Arbeit. Aber er hatte kein Gemüth und war deshalb weder der Dankbarkeit, noch der Liebe fähig. Ein guter Unterofficier und die personificirte Gamaschenpedanterie, sah er mit peinlicher Strenge darauf, daß im Mechanismus des Regiments nicht das kleinste Rädchen in’s Stocken kam, – eine Armee im Feld zu führen, dazu fehlten ihm alle Kenntniß und aller Umblick, wie er dies als Feldherr der preußischen Armee in der Schlacht bei Jena 1806 so unheilvoll beweisen sollte.

Noch am Abend seiner Ankunft hatte Faucitt eine Conferenz mit dem Erbprinzen, an welchen ihm der König von England einen besonderen Brief mitgegeben hatte. Ohne die geringste Weiterung erklärte sich Ferdinand mit dem englischen Antrag von Herzen einverstanden und versprach, sich zu Gunsten desselben bei seinem Vater zu verwenden. Dieser gab auch, obschon es ihm an’s Leben ging, sich von einem Spielzeug trennen zu sollen, welches der einzige Zeitvertreib seiner alten Tage war, doch aus Rücksicht auf den immer noch mißlichen Zustand seiner Finanzen seine bereitwilligste Zustimmung zu dem Schacher.

Die nächste Aufgabe des englischen Unterhändlers war nun, mit Ferrance, dem braunschweigischen Minister, über den Preis der Truppen zu unterhandeln, welche mit Beginn des Frühlings bereit und aus 4000 Mann Infanterie und 300 Mann Dragonern zusammengesetzt sein sollten. Die Letzteren wurden zwar nicht gebraucht, Faucitt aber nahm sie an, um nicht „difficil“ zu erscheinen.

Als Handgeld verlangte Braunschweig sechszig deutsche Thaler für den Mann; doch einigte man sich zuletzt auf fünfundvierzig Thaler. Für jeden Soldaten, welcher das Leben verlöre, sollte das Handgeld noch einmal bezahlt werden. Drei Verwundete waren dem Uebereinkommen gemäß als ein Todter zu rechnen. – Ein weiterer Gegenstand der Erörterung war der Tag, von welchem an die englische Löhnung gezahlt werden sollte. Braunschweig forderte, daß damit drei Monate vor Ausmarsch der Truppen begonnen würde, begnügte sich indeß zuletzt mit zwei Monaten. Wegen des jährlichen Miethpreises stritt man zwei Tage hin und her, bis man sich endlich dahin einigte, daß von dem Tage der Unterzeichnung des Vertrags an jährlich eine Summe von 64,500 deutschen Kronthalern und nach Rückkehr der Truppen in die Heimath zwei Jahre lang das Doppelte dieser Summe gezahlt werden solle.

Im Verlaufe des englisch-amerikanischen Krieges lieferte Braunschweig zusammengenommen 5723 Miethlinge, eine Zahl, die den sechsten Theil der gesammten waffenfähigen Mannschaft des Herzogthums betrug. Die Folge hiervon war, daß nur zwei der für den englischen Kriegsdienst bestimmten Bataillone aus wirklich regulären Truppen bestanden. Die übrigen waren, ohne daß man sich an die gegebenen Versprechungen gekehrt hätte, zum großen Theil aus noch ungeübten Rekruten, alten Leuten, bartlosen Knaben und aus aller Herren Ländern herbeigeschleppten Vagabunden zusammengewürfelt. –

[297] Von Braunschweig eilte Faucitt, nachdem er sich hier seiner Aufgabe mit so glücklichem Erfolge entledigt, nach Kassel, wo seine Ankunft bereits mit Sehnsucht erwartet wurde. Das hessische Volk besaß damals und besitzt heute noch den kühnen kriegerischen Charakter seiner Vorväter, welche von den Römern nicht unterjocht werden konnten. Die Tapferkeit seiner Söhne hat sich auf allen Schlachtfeldern Europa’s glänzend bewährt, wie u. A. die Republik Venedig zum großen Theile den Hessen ihre Siege über die Türken zu verdanken hatte.

Landgraf Friedrich II. zählte damals ungefähr 56 Jahre und regierte seit beinahe sechszehn Jahren. Seine Erziehung war eine sehr sorgfältige gewesen, seine Gemüthsart aber war und blieb gemein und störrig. Die Gattin seiner Jugend, eine Tochter Georg’s II. von England, war die Liebenswürdigste und Sanfteste ihres Geschlechts, sah sich aber dennoch genöthigt, vor seiner unmenschlichen Behandlung bei seinem eigenen Vater Schutz zu suchen. Dreiundfünfzig Jahre alt, heirathete er noch einmal, lebte aber mit seiner zweiten Gemahlin auf keinem bessern Fuße, als mit der ersten.

Aus Widerwillen gegen „die plebejische Einfachheit der protestantischen Religion“, als deren Bollwerk sich das Haus Hessen von jeher betrachtet hatte, war er 1749 zur katholischen Kirche übergetreten. Allerdings zeigte er stets eine gewisse Toleranz, schaffte den Gebrauch der Folter ab und ließ ausgesprochene Todesurtheile nur in außerordentlich seltenen Fällen vollstrecken; gleichzeitig aber war er auch der sittenlose Repräsentant der schlimmsten Ausschweifungen seines Zeitalters. Ein Freund von Glanz und üppigem Leben, trug er seine Laster auf die schamloseste Weise öffentlich zu Schau.

Nationalsinn besaß er so wenig, wie fast alle deutschen Regenten der damaligen Zeit; französische Sitten und Gewohnheiten waren sein Ideal. Er hielt seine Oper, sein Ballet, während des Carnevals seine Maskeraden und sein französisches Theater. Eine abgelebte Französin war seine erste Favorite und ein französischer Theaterintendant sein Bibliothekar. Dennoch aber konnte nichts eine größere Unähnlichkeit mit Frankreich darbieten, als eben der landgräfliche Hof. Das Leben in Kassel war durch und durch geistlos, Anspruch auf Beachtung hatte nur der Adel, um Talent und Begabung kümmerte man sich nicht. So war der Hof beschaffen, dessen Fürsten Faucitt einen zweiten Brief vom englischen König überreichte. General Schlieffen, der Minister, mit welchem er die Unterhandlung zu führen hatte, deutete ihm an, daß er sich von vornherein unbedingt in jede Forderung zu fügen habe; der Landgraf sei außerordentlich launenhaft, und er möge sich gefaßt halten, denselben in übelster Stimmung zu finden. Gleichzeitig aber machte sich Schlieffen anheischig, seinen „gnädigsten Herrn“ zur Ueberlassung von wenigstens 12,000 Mann Infanterie für den englischen Kriegsdienst in Amerika zu bestimmen.

Der Landgraf, welcher sich nicht einmal selbst gestehen wollte, daß er seine Unterthanen aus bloßer Habsucht verschacherte, heuchelte den eifrigen Wunsch, die rebellischen Amerikaner zur Botmäßigkeit zurückgeführt zu sehen, und ward dabei so warm und so sanguinisch, daß er fast Lust zu fühlen schien, für die Sache der Monarchie an der Spitze seiner Truppen selbst in’s Feld zu ziehen. Dieser Eifer ließ vermuthen, daß für die erbetene Hülfe die übertriebensten Gegenforderungen gestellt werden würden. In der That wußte man Georg vor allen Dingen eine Summe von mehr als 40,000 Pfd. Sterl. für Hospitalauslagen abzupressen, die man während des letzten Krieges gehabt haben wollte. Das war eine geradezu unverschämte Forderung, denn die betreffende Rechnung war längst geprüft, bezahlt und abgeschlossen. Allein die große Verlegenheit der englischen Regierung zwang diese, den erhobenen Anspruch als begründet anzuerkennen und die Rechnung wirklich zum zweiten Male zu bezahlen.

Das Handgeld scheint in Hessen eben so viel betragen zu haben, wie das, worüber man sich mit Braunschweig geeinigt; da es aber in Kassel nicht blos für die Mannschaften, sondern auch für die Officiere bezahlt werden sollte, so ergab der hessische Contract einen Mehrgewinn von zwanzig Procent. Sein Meisterstück aber lieferte Schlieffen durch die Feststellung der jährlichen Miethsumme. In ähnlichen früheren Verträgen hatte man auf wenigstens vier Jahre stipulirt. Jetzt sprach Schlieffen von einem sechsjährigen Zeitraum. Zwar ging der englische Unterhändler darauf nicht ein, denn er glaubte, daß es zur Beendung des Krieges nur eines einzigen Feldzuges bedürfen würde, aber der Hesse wußte mit seinem Vorschlage doch eine doppelte Miethsumme zu erlangen, welche vom Tage der Unterzeichnung des Vertrags an bis zum Erlöschen desselben bezahlt werden sollte. Außerdem ward auch noch ausbedungen, daß das Geld nicht, wie an Braunschweig, in deutschen Kronthalern, sondern in Banco-Kronthalern bezahlt werden sollte, was dem Landgrafen einen fernerweiten bedeutenden Gewinn abwarf, um so mehr, als der Vertrag zehn Jahre lang in Kraft blieb. Kurz, diese einzige Bedingung spielte dem Landgrafen das kleine Sümmchen von sechs Millionen Thalern in die Tasche! Um aber seinen treuen Unterthanen einen Beweis von seiner väterlichen Gesinnung zu geben, setzte er die zur Bestreitung des Aufwandes für die nun vermietheten Truppen neu erhobenen Steuern bis zur Rückkehr der Truppen huldvoll auf die Hälfte herab; die andere Hälfte ward dagegen um so unerbittlicher eingetrieben!

Wohlweislich hatte man sich ausbedungen, daß die von England zu erhaltende Löhnung, welche bedeutend höher war, als die hessische, nicht unmittelbar an die Mannschaften selbst, sondern direct an die hessische Staatscasse gezahlt werden sollte, wodurch abermals Gelegenheit zu allerhand Uebervortheilungen gegeben ward. Auch wußte man es einzurichten, daß die Löhnungsregister schon vom zweiten Monat an stets die Namen von mehr Mannschaften enthielten, als wirklich im Dienst waren. Mit Braunschweig hatte sich der englische Agent, wie wir wissen, über einen für Todte und Verwundete zu zahlenden Preis geeinigt; der Landgraf von Hessen ließ sich dagegen auf kein derartiges Abkommen ein, sondern behielt sich das Recht vor, für jeden Mann, den er einmal für den englischen Kriegsdienst gestellt, mochte derselbe lebendig, oder dienstunfähig, oder todt sein, bis zum Ablauf des Vertrags volle Löhnung zu verlangen. Faucitt stellte dem Minister vor, daß es unumgänglich nothwendig sein werde, den hessischen Soldaten den vollen und uneingeschränkten Genuß ihrer Löhnung ebenso zu gestatten, wie den englischen. „Auf diese Bedingung wage ich nicht einzugehen, denn der Landgraf könnte sich dadurch verletzt fühlen,“ antwortete der hessische Minister, und als die Sache dennoch vor dem Landgrafen zur Sprache kam, rief dieser: „Sind meine Soldaten nicht meine Cameraden? Und habe ich wohl eine andere Absicht, als sie gut zu behandeln?“

Die kranken und verwundeten braunschweigischen Truppen sollten in englischen Hospitälern verpflegt werden, für die Hessen dagegen beanspruchte der Landgraf das Recht, eigene Hospitäler zu errichten und sich wegen des dabei gehabten Kostenaufwandes später mit der englischen Regierung zu berechnen. Zwar hatte man die für die gemietheten Truppen erforderliche Bekleidung von in England fabricirten Stoffen anfertigen lassen, der Landgraf aber gestattete nicht, daß ihm auf diese Weise die Gelegenheit abgeschnitten würde, auch hierbei ein „Profitchen“ zu machen. Georg hatte geglaubt, der Landgraf könne höchstens 5000 Mann Infanterie liefern; der dafür bewilligte Preis war aber ein so verlockender, daß der Landgraf, nachdem er die Lieferung von 12,000 Mann abgeschlossen, der englischen Regierung erst noch 400 Mann Scharfschützen, dann noch 300 Mann Dragoner und endlich noch drei Artilleriecorps aufdrang, natürlich gegen Erlegung von Handgeld und verhältnißmäßige Erhöhung der jährlichen Miethsumme.

Um nicht von den das Land durchstreifenden Werbern mit Gewalt unter die Soldaten gesteckt zu werden, floh eine Menge junger Leute über die Grenze nach Hannover, und König Georg von England, welcher zugleich Kurfürst von Hannover war, ward daher aufgefordert, den Aufenthalt hessischer Unterthanen auf hannöverschem Boden nicht zu dulden, weil der Landgraf sich außerdem am Ende in die Unmöglichkeit versetzt sehen könnte, seine in Bezug auf Truppenlieferungen eingegangene Verpflichtung pünktlich zu erfüllen. Ebenso hielt man es für sehr wesentlich, die vermietheten Truppen durch das Kurfürstenthum Hannover nach ihrem Einschiffungsplatze zu dirigiren; denn wenn die Hessen das linke Weserufer entlang durch preußisches Gebiet und vielleicht ein halbes Dutzend kleiner Fürstenthümer marschirten, so würden, daran zweifelte man keinen Augenblick, sicher mindestens die Hälfte der Soldaten unterwegs davonlaufen. Ein großer Theil ging freilich gern und willig; hatte man den Soldaten doch vorgespiegelt, Amerika sei das Land goldener Beute und es würde ihnen dort freistehen, nach Herzenslust zu plündern und in allen Genüssen zu schwelgen.

Nachdem so jeder streitige Punkt den kategorischen Anforderungen des Landgrafen gemäß entschieden war, kam der Vertrag [298] endlich am 31. Januar 1776 zur Unterzeichnung; wenn man aber meint, daß damit Alles schönstens geordnet und der Habgier des Landgrafen kein weiterer Spielraum vergönnt gewesen wäre, so irrt man. Die Zahlung der doppelten Miethsumme sollte vom Tage der Unterzeichnung des Vertrags anheben; der pfiffige Landgraf ließ deshalb, um auch die letzte Gelegenheit zur Plusmacherei nicht unbenutzt zu lassen, die Urkunde auf den 15. Januar zurückdatiren!

Seume, der wackere deutsche Dichter, der zu jener Zeit aus Gewissensskrupeln das Studium der Theologie aufgegeben und die Universität Leipzig verlassen hatte, fiel in Vacha bekanntlich den landgräflichen Werbern in die Hände. Zunächst ward er als Halbarrestant nach der Festung Ziegenhain geschleppt, wo schon viele seiner Unglücksgenossen lagen, unter welchen er in seiner Selbstbiographie namentlich „einen verlaufenen Musensohn aus Jena, einen bankerotten Kaufmann aus Wien, einen Posamentirer aus Hannover, einen abgesetzten Postschreiber aus Gotha, einen Mönch aus Würzburg, einen Oberamtmann aus Meiningen, einen preußischen Husarenwachtmeister, einen cassirten hessischen Major und andere von ähnlichem Stempel“ erwähnt.

Von Ziegenhain wurden die Gepreßten über Kassel, wo sie der Landgraf in höchst eigener Person inspicirte, nach Hannöverisch-Münden spedirt. „Unser Zug glich so ziemlich einem Transport von Gefangenen,“ – schreibt Seume, – „denn wir waren unbewaffnet und die bewehrten Dragoner, Gardisten und Jäger hielten mit fertiger Ladung Reihe und Glied fein hübsch in Ordnung.“

In Münden auf der Wiese wurden die armen verkauften Seelen von dem englischen Agenten Faucitt besichtigt, und der und jener erhielt dabei einige freundliche Rippenstöße, weil er in das von dem commandirenden Officier auf den König von England ausgebrachte Hoch nicht laut genug einstimmte. Auf den Transportschiffen waren die Unglücklichen wie Häringe zusammengeschichtet, so daß auf dem Deck kein Mann geradestehen, Niemand sich frei bewegen konnte. Das Gräßlichste waren die immer für je sechs Mann bestimmten Bettkasten. Eben so schlecht stand es mit der Kost an Bord. Die Mannschaften bekamen fast nichts als Speck und Erbsen oder Pudding, den sie sich selbst aus muffigem Mehl halb mit Seewasser, halb mit süßem Wasser und uraltem Schöpsenfett machen mußten. Der vielleicht vier oder fünf Jahr alte Speck war ungenießbar, schwarz und stinkend. Im Schiffszwieback wimmelte es von Würmern und dabei war er so hart, daß man ihn mit Kanonenkugeln aus dem Gröbsten zerschlagen mußte. Man behauptete, die Engländer hätten ihn im siebenjährigen Kriege den Franzosen abgenommen; seit der Zeit habe er in Portsmouth im Magazin gelegen, und nun füttere man die Deutschen damit, um von ihnen in Amerika wiederum die Franzosen todtschlagen zu lassen. Wenn ein Faß Trinkwasser aus dem Schiffsraum auf das Deck gebracht und aufgemacht ward, so verbreitete es einen kaum zu ertragenden Gestank – und dennoch schlug man sich, um dieser widerlichen Jauche nur theilhaftig zu werden.

Im englischen Parlament ward das Ministerium wegen seiner unbedingten Bewilligung der von dem Landgrafen von Hessen gestellten so übertriebenen Bedingungen scharf zur Rede gesetzt. Es entschuldigte sich damit, daß es nicht anders gekonnt habe, weil der Ausmarsch der Truppen schon in den ersten Tagen des Februar habe stattfinden sollen. Der Landgraf hatte auch in der That bis zum 15. Februar dreizehn Bataillone marschfertig, die englischen Anordnungen waren aber so schlecht getroffen, daß, obschon bei längerem Zögern der Verlust eines Feldzugs auf dem Spiele stand, die Admiralität doch zur bestimmten Zeit bei weitem nicht Transportschiffe genug in Bereitschaft hatte und selbst im März noch nicht sagen konnte, wann die noch erforderliche Anzahl verfügbar sein würde. Die erste Abtheilung Braunschweiger ging daher erst am 4. April von England unter Segel, und ihr Commandant war bereits in Quebek, ehe die letzten Mannschaften seines Corps eingeschifft wurden. Die erste Division Hessen passirte den britischen Canal erst am 10. Mai.

Die Braunschweiger hatten sich nicht minder über die unverantwortlich elende Einrichtung und Ausstattung der Schiffe zu beklagen. Die Bekleidung der Soldaten selbst war alt und nur nothdürftig ausgeflickt worden. Der Lieferant, den man mit der Besorgung des Schuhwerks betraut hatte, schickte von London aus einige tausend Paar dünne Tanzschuhe, die obendrein zum großen Theil so klein waren, daß die Soldaten sie gar nicht anziehen konnten. – Auch der Vertrag mit dem zuerst gedachten Erbprinzen von Hessen-Kassel, welcher zugleich souverainer Fürst von Hanau war und auf eigenen Antrieb an den König von England geschrieben hatte, stieß auf kein Hinderniß. Der Eifer und die Dienstfertigkeit dieses Fürsten überstiegen alle Beschreibung. In eigener Person machte er die Runde durch die Ortschaften seines Ländchens, um die gewünschten Rekruten auszusuchen, und gab später seinem Regiment auf dem Ausmarsche nach Helvoetstuys, von wo es eingeschifft werden sollte, Höchstselbst das Geleite bis Frankfurt. Seiner Verdienste um England sich bewußt, bettelte er wiederholt um ein „Extradouceur“, und Lord Suffolk, der englische Minister, gewährte ihm auch ein solches, aber nur gegen das schriftliche Versprechen der strengsten Verschwiegenheit, damit nicht etwa auch die anderen fürstlichen Menschenhändler mit gleichen Zumuthungen angerückt kommen möchten. Bereitwilligst leistete der souveraine Supplicant dies Versprechen in einem in lächerlichem Englisch geschriebenen Brief, worin er zugleich seine frommen Wünsche für das Gelingen des Unternehmens aussprach, zu dessen Durchführung er einen Theil seiner Landeskinder an den König von England verkauft hatte.

Wie wir gehört, hatte sich der Fürst von Waldeck ebenfalls zu Truppenlieferungen erboten; man zweifelte indeß, daß er im Stande sein würde, sein Versprechen zu halten. Sein Land war in dieser Beziehung schon über die Gebühr in Anspruch genommen, und es standen bereits nicht weniger als drei Waldeck’sche Regimenter im Dienste der Republik Holland. Wiederholt hatten sich die Stände des Ländchens über den großen Verlust an Unterthanen beklagt, der Fürst aber wußte fortwährend einen so uneigennützigen Eifer und eine so warme Anhänglichkeit an den „unvergleichlichen Monarchen“ von Großbritannien zu heucheln, daß dies schließlich wirklich einen Contract mit ihm abschloß. Wohl konnte er die versprochenen Truppen nur durch Mißbrauch seiner Autorität, oder durch Gewalt, oder durch List zusammenbringen, aber die Dorfgeistlichen unterstützten ihn bereitwillig, indem sie die jungen Leute von der Kanzel herab ermunterten, sich anwerben zu lassen, und so zweifelte man nicht länger, daß er das stipulirte Regiment bald zusammen haben würde, dafern er nur „seine eigenen Unterthanen nicht allzusehr schonte“. Das Murren der Rekruten suchte man dadurch zu beschwichtigen, daß man ihnen, wie den Hessen, Aussichten auf den Erwerb von großen Schätzen vorspiegelte; trotzdem aber fand man zur Verhütung von Desertionen es gerathen, sie durch ein Corps berittener, mit scharfgeladenen Büchsen bewaffneter Forstbeamten bis Beverungen escortiren zu lassen.

Der regierende Fürst von Anhalt-Zerbst huldigte, in Bezug auf den Truppenschacher, nicht den Ansichten, welche seine Schwester, die Kaiserin Katharina von Rußland, bethätigte. Halb verrückt und nur sehr selten in seinem Lande lebend, unterhielt er außerhalb desselben nicht weniger als sechszehn Werbestationen und machte in einem höchst verworrenen Schreiben der englischen Regierung das Anerbieten, ihr seinerseits auch ein Regiment von 627 Mann zu liefern. Er richtete auch einen directen Brief an Georg III., allein diese Epistel war so confus und seltsam, daß man Bedenken trug, den König damit zu behelligen, und die Unterhandlungen sich demzufolge vor der Hand zerschlugen.

Der Kurfürst von Baiern sprach gegen Elliot, den englischen Gesandten in Regensburg, ebenfalls den eifrigen Wunsch aus, mit der englischen Regierung ein Truppenlieferungsgeschäftchen zu machen. Sein Anerbieten blieb jedoch so gut wie unbeachtet, denn die bairischen Truppen gehörten damals zu den schlechtesten in Deutschland, und überdies war der bairische Hof so an Oesterreich und Frankreich verkauft, daß der Kurfürst selbst es für räthlich erachtete, den englischen Diplomaten dringend zu bitten, gegen seine eigenen Minister von dem gemachten Anerbieten ja nichts verlauten zu lassen!

Am letzten Tage des Februarmonats 1776 kamen die mit Braunschweig und Hessen abgeschlossenen Verträge in dem englischen Parlament zur Sprache. Lord North, der Minister, sagte: „Die Truppen werden gebraucht. Die Bedingungen, unter welchen wir sie uns verschafft haben, sind billiger, als wir erwartet hatten, und die auf diese Weise erworbene Streitmacht wird uns in den Stand setzen, Amerika vielleicht ohne weiteres Blutvergießen zum Gehorsam zu zwingen.“

„Das von der Regierung ergriffene Auskunftsmittel,“ antwortete Lord John Cavendish, „gereicht England zur Schande und [299] dem König zur Demüthigung, während es zugleich durch seine Kostspieligkeit das Land in noch tiefere Armuth stürzt.“

„Unsere Aufgabe,“ entgegnete der Minister Cornwall, „wird noch vor Ablauf des Jahrs gelöst sein, und wenn dies, wie sich nicht bezweifeln läßt, wirklich geschieht, so werden wir dann die Truppen zu weit billigeren Bedingungen gehabt haben, als es jetzt auf den ersten Blick scheint!“

Lord Irnham faßte die Sache von einem höhern Standpunkte auf, indem er sagte: „Der Landgraf von Hessen und der Herzog von Braunschweig schänden Deutschland in den Augen von ganz Europa, indem sie ihre Länder zu einem Menschenmarkte für den machen, der das meiste Geld hat. Fürsten, welche in solcher Weise ihre Unterthanen verkaufen, um sie in blutigen Kriegen opfern zu lassen, erschweren ihr Verbrechen noch dadurch, daß sie viel bessere und edlere Wesen, als sie selbst sind, in den Tod jagen. Der Landgraf von Hessen hat sein edles Vorbild in weiland Sancho Pansa, welcher da aussprach, wenn er ein Fürst wäre, so würde er wünschen, daß alle seine Unterthanen Neger wären, damit er sie verhandeln und zu Gelde machen könne.“

Doch alle Klagen und Warnungen, alle die bitteren Wahrheiten, welche die Opposition dem Ministerium in’s Gesicht schleuderte, blieben vergeblich; von seiner gewohnten Majorität unterstützt, trug dieses den Sieg davon, trotzdem, daß auch im Oberhause gewichtige Stimmen gegen die schmachvollen Verträge laut wurden, ja der Herzog von Cumberland, ein Bruder des Königs, die in dem Munde eines Fürsten der damaligen Zeit befremdenden Worte sprach: „Ich habe mich diesen Bedrückungsmaßregeln von jeher widersetzt und stimme den die Handlungsweise der Minister tadelnden Bemerkungen von Herzen bei. Ich beklage es, sehen zu müssen, daß Braunschweiger, welche früher einmal zu ihrer großen Ehre die Unterthanenfreiheit erkämpfen halfen, jetzt ausgesendet werden, um in einem anderen Theile unseres großen Staats die constitutionelle Freiheit zu unterdrücken.“

Die Zahl der von Braunschweig in dem englisch-amerikanischen Kriege gelieferten Truppen betrug den siebenundzwanzigsten Theil der Gesammtbevölkerung des Herzogthums, und der Landgraf von Hessen lieferte gar ein Zwanzigstel seiner Unterthanen oder das Viertel der waffenfähigen Männer. Man nahm die jungen Leute, wo man sie fand, hinter dem Pfluge, aus der Werkstatt, oder von der Landstraße hinweg, und Keiner war sicher vor den untergeordneten Werkzeugen der Fürsten, welche dieses schandbare Gewerbe trieben. Fast jede Familie in Hessen betrauerte eins ihrer Mitglieder. Heiterkeit und Lebenslust waren aus den Kreisen des Landvolkes entschwunden. Der größte Theil der Feldarbeit mußte von Frauen verrichtet werden, deren verkümmertes Aeußere ein beredtes Zeugniß ablegte von der Wuchergier ihres verächtlichen Fürsten.

In einem Briefe an Voltaire sprach der Landgraf, indem er seine Truppenlieferungen erwähnte, den Wunsch aus, die schwierigen Principien der Regierungskunst kennen zu lernen und zu erfahren, wie man die Unterthanen zu der Einsicht bringen könne, daß Alles, was ihr Herrscher thue, zu ihrem Besten sei. Eben so schrieb er einen Katechismus für Fürsten, worin Voltaire die Hand eines Schülers des Königs von Preußen zu erkennen glaubte.

„Legen Sie seine Erziehung nicht mir zur Last,“ antwortete der große Friedrich. „Wäre er ein Zögling aus meiner Schule, so wäre er nimmermehr katholisch geworden und hätte eben so wenig seine Unterthanen an die Engländer verkauft, wie man Mastvieh zur Schlachtbank treibt. Er will Fürsten belehren! Die schmuzige Leidenschaft der Habgier ist der einzige Beweggrund seiner niedrigen Handlungsweise.“

Ja, aus Habsucht verkaufte er das Fleisch seines eigenen Volkes, beraubte viele seiner Unterthanen des Lebens und sich selbst der Ehre. Während die Herzen der Einsichtsvollsten und Besten in Deutschland für die Sache der Amerikaner schlugen, zwangen der Landgraf von Hessen und seine edlen Vettern die rüstige Jugendkraft seines Landes, die Freiheit zu bekämpfen, welche das Kind der deutschen Wälder und das moralische Leben der deutschen Nation war.

Die an schwarzen Blättern so überreiche Geschichte unserer deutschen Fürstenhäuser hat kaum ein schwärzeres aufzuweisen, als das, worauf dieser schmachvolle Menschenhandel verzeichnet steht, aber die ewige Gerechtigkeit hat es benützt, nicht das schwächste Glied in jener Reihe von Bestrebungen zu bilden, durch welche die Nationen auch den letzten Rest der „guten alten Zeit“ austilgen und die bürgerliche Freiheit ihrem endlichen Siegeslaufe um die Erde entgegenführen werden. Gott sei Dank, daß wir Jetztlebenden diesem Ziele um ein gut Stück näher gerückt sind!