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Der Bochumer Verein

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Titel: Deutschlands große Werkstätten. Der Bochumer Verein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 541–546
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutschlands große Werkstätten.
Der Bochumer Verein.

An der Wasserscheide zwischen Ruhr und Embscher, drei Meilen vom alten Dortmund nach Westen und gleich diesem durchschnitten von der alten Handels- und Heerstraße des Hellweg, lag vor vierzig Jahren ein westphälisches Landstädtchen, dessen dreitausend Einwohner vom Ertrage ihrer Felder und Heerden lebten, dessen berühmtester Sohn und literarischer Localheros Dr. Kortüm war, der geistige Vater des gottseligen Candidaten Hieronymus Jobs und anderer, der Literatur zur Zeit nach vorenthaltener kräftiger und saftiger Scherze. „Kau-Baukum“ hieß es im Munde des Volkes, auf Hochdeutsch Kuh-Bochum, zum Unterschiede vom nahegelegenen Dorfe Alten-Bochum und mit ironischer Beziehung auf seinen vollständig dörflichen Charakter und Anstrich. In die nicht westphälische Außenwelt drang sein Name meist wohl erst, als die Köln-Mindener Eisenbahn auf ihrer Strecke Dortmund-Oberhausen das auf ihrem nächsten Wege liegende Städtchen zwar in großem Bogen umging, aber doch seinen [542] Namen mit dem ihres nächsten Stationsdorfes zu der vollklingenden Verbindung Herne-Bochum verschmolz. „Hernebochum!“ riefen die Schaffner in die Coupés und weckten im Reisenden, der nur ein wüstes, sumpfiges Gelände, von Herne wenig und von Bochum gar nichts sah, dunkle Anklänge an Czernebog und Melibocus.

Das Leben in dem kleinen Orte war, der Bedeutung desselben entsprechend, urwüchsig und patriarchalisch. Die Post kam täglich von Brünninghausen und ebenso oft in entgegengesetzter Richtung von Essen. Ueber Hattingen-Reviges vermittelte eine zweite Linie den Anschluß an die große Berlin-Elberfeld-Kölner Route. In engen, schlecht gepflasterten Straßen standen kleine unansehnliche Häuser, meist von Fachwerk und mit Schindeln bekleidet, im Style des bergischen Landes erbaut; neben oder vor dem Hause lag der Misthaufen, von dem aus Geflügel und Kleinvieh ungehindert seine Ausflüge auf die benachbarte Straße unternahm. Die engen Fenster und niedrigen Stuben der Häuser standen in lächerlichem Gegensatze zu den durchweg kräftigen, stellenweise sogar kolossalen Figuren der Bewohner.

Die Umgebung der Stadt war nur mäßig cultivirt. Große Obst- und Küchengärten verriethen nur selten das Walten einer kundigen und schönsinnigen Gärtnerhand; überaus schlechte Wege führten zu den kleinen Dorfschaften und ihren zerstreuten Höfen durch sumpfige, fieberathmende Niederungen hindurch, an Teichen vorbei und über buschige Hügel und Flächen, wo das Reh sprang und das scheue Wasserhuhn neben der wilden Ente hauste. Auf den haidebewachsenen unwirthlicheren Hochflächen huschte das wilde Kaninchen und nistete der Kibitz. Zwei kleine Kohlengruben Friederica und Engelsburg, je eine Viertelstunde vor der Stadt belegen und mit äußerst primitiven Einrichtungen ausgestattet, versorgten die Umgegend mit billigem Brande; es waren Besitzthümer von zweifelhaftem Werthe, die ihr Anlagecapital nur sehr gering zu verzinsen vermochten, bei einem durchschnittlichen Kohlenpreise von anderthalb bis zwei Silbergroschen per Centner.

In dieser stillen abgeschlossenen und regelrechten Abspinnung des gewöhnlichen Lebenslaufes brachte es eine große Aufregung hervor, als im Jahre des Herrn 1842 zwei Einwanderer in’s Städtchen kamen, ein paar Morgen Land kauften zu dem enormen Preise von fünf Thalern für die Kölner Ruthe (circa sechshundert Thaler per Morgen) und auf denselben etwa zehn Minuten vor der Stadt an der Essener Chaussee eine Gußstahlfabrik erbauten. Mit unverhohlenem Mißtrauen betrachtete man das Beginnen dieser „fremdredenden“ Menschen, welches die uralten Traditionen von Bochum zu stören drohte. Indessen wurde trotz allen Kopfschüttelns die Fabrik im Jahre 1843 unter der Firma „Mayer und Kühne“ mit wenigen Arbeitern eröffnet. Herr Jakob Mayer aus Dunningen in Württemberg war ihr technischer Leiter, und Herr Eduard Kühne aus Magdeburg führte die kaufmännischen Geschäfte.

Nach mehrjährigen Versuchen gelang es dem Ersteren, das große technische Problem des sogenannten „Stahlfaçongusses“ zu lösen, das heißt die verschiedensten Gegenstände in Stahlguß herzustellen. Diese hochwichtige Erfindung, auf deren Bedeutung wir im Verlaufe dieser Skizze genauer zurückkommen werden, fand die erste öffentliche Anerkennung auf der Gewerbe-Ausstellung zu Düsseldorf 1852, wo die Firma Mayer u. Kühne ein Gußstahlgeläute ausstellte und mit der silbernen Preismedaille geehrt wurde. Als im Jahre 1855 das mittlerweile in den Besitz des „Bochumer Vereins für Bergbau und Gußstahlfabrikation“ übergegangene Werk die Pariser Ausstellung mit drei gegossenen Stahlglocken beschickte, erhob sich ein erbitterter Widerspruch seitens der Concurrenz, die, unbekannt mit dem geheim gehaltenen Verfahren des „Stahlfaçongusses“, die Möglichkeit, solche Glocken aus Stahl zu gießen, hartnäckig in Abrede stellte und behauptete, sie seien aus Gußeisen. Indeß die Fabrik erbrachte den Beweis für die Richtigkeit ihrer Angabe, indem sie zuerst eine kleinere Glocke nach Paris schickte, an welcher der sogenannte Anguß – das überflüssig darauf Gegossene – noch nicht entfernt war, und diesen dort abnehmen und schmieden ließ. Als man auch hierbei noch Zweifel hegte, ließ sie eine Glocke zerschlagen und bewies durch die Schmiedbarkeit der Stücke, daß man es mit Stahl und nicht mit Gußeisen zu thun habe.

(Letzteres ist nämlich, wie wir gleich sehen werden, nicht schmiedbar.) Die große Jury ehrte das Werk und den Erfinder durch den höchsten Preis, die große goldene Ehrenmedaille und andere Auszeichnungen. Aehnlicher Anerkennung erfreute sich das Etablissement auf allen von ihm beschickten Ausstellungen. Die Londoner internationale Ausstellung 1862 brachte ihm drei Preismedaillen, die Stettiner Industrie-Ausstellung 1865 eine Preismedaille, die zweite Pariser Industrie-Ausstellung 1866 die goldene Medaille und die Wiener Weltausstellung 1873 das Ehrendiplom.

Um dem freundlichen Leser das Verständniß des Folgenden zu erleichtern, müssen wir zunächst einige Worte über die Eigenschaften der verschiedenen Eisen- und Stahlsorten hier einschalten.

Gußeisen, Schmiede-Eisen und Stahl sind eigentlich, soweit sie die Wissenschaft zur Zeit erkannt hat, im Wesentlichen nur durch ihren Kohlenstoffgehalt verschiedene Nüancen des Eisens. Schmiede-Eisen hat den geringsten Kohlengehalt, Gußeisen den höchsten, Stahl einen mittleren. Das Gußeisen wird bei tausendfünfzig bis tausendzweihundert Grad Celsius flüssig und gießbar, läßt sich aber weder schmieden noch walzen; es ist spröde und brüchig. Das Schmiede-Eisen dagegen ist kaum gießbar und muß durch Hammer und Walze bei Glühhitze in die gewünschte Form gezwungen werden; es ist biegsam, zäh und von großer Dichtigkeit. Der Stahl nähert sich, je nach seinem höheren oder geringeren Kohlenstoffgehalte, in seinen Eigenschaften der entsprechenden unvollkommeneren Eisensorte, idealisirt oder potenzirt jedoch dabei gewisse charakteristische Merkmale derselben. An Stelle der Sprödigkeit des Gußeisens tritt bei kohlenstoffreichem Stahle Elasticität und eine große Härtbarkeit. Bei geringer Beimischung von Kohlenstoff ist der Stahl zähe und biegsam, wie Schmiede-Eisen, aber in beiden Fällen, ob hart oder weich, von bedeutend größerer Haltbarkeit als jene. Je nach Bedarf wird er gehärtet oder ungehärtet benutzt. Messer, Scheeren, Feilen etc. werden z. B. erst ungehärtet verarbeitet und dann durch Glühen und rasche Abkühlung in besonders präparirtem Wasser gehärtet.

Es giebt verschiedene Sorten Stahl; die wichtigsten derselben sind: Raffinirstahl, Cementstahl, Tiegelstahl, Puddelstahl, Bessemerstahl und Martinstahl.

Der älteste ist der sogenannte Raffinirstahl, der für Messer, Schwerter, Säbel (Damascenerklingen) schon vor Jahrhunderten aus Rohstahleisen im Heerdfrischfeuer erzeugt wurde.

Cementstahl macht man aus Schmiedeeisen, indem man dasselbe mit Holzkohlen bestreut, in einem fest verschlossenen eisernen Behälter einer starken Rothglühhitze aussetzt und dadurch den Kohlenstoff dem Eisen imprägnirt. Dieser Stahl dient vorzugsweise als Material für den Tiegelgußstahl. Letzterer wird bei der höchsten im metallurgischen Betriebe erreichbaren Hitze in feuerfesten Tiegeln aus zerkleinertem Schmiedeeisen oder anderem Stahle unter Beimischung des erforderlichen Kohlenstoffes und anderer Ingredienzien hergestellt. Puddelstahl wird in Puddelöfen aus Roheisen durch Entziehung von Kohlenstoff erzeugt.

Bessemerstahl, nach dem Erfinder benannt, wird aus möglichst phosphor- und schwefelfreiem, vorher geschmolzenem Roheisen in großen birnenförmigen mit feuerfestem Material ausgefütterten „Convertern“ hergestellt, indem man atmosphärische Luft mit starker Pressung in die Converter durch das flüssige Eisen bläst und dadurch dasselbe von überschüssigem Kohlenstoffgehalt befreit.

Martinstahl wird aus Roheisen, Schmiedeeisen oder Abfällen von Eisen und Stahl bei Gasfeuerung in sogenannten Siemens’schen Regenerativöfen hergestellt. Dies letztere Verfahren ermöglicht auf die vorteilhafteste Weise die Verwerthung massenhafter Abfälle. Das Bessemer-Verfahren dagegen ermöglicht, sehr große Quantitäten auf einfachste und billigste Weise zu erzeugen. Die Erzeugnisse beider Fabrikationsmethoden haben die der älteren großenteils verdrängt mit Ausnahme jedoch des Tiegelstahls, der da noch immer Anwendung findet, wo es sich um Qualität handelt, wie z. B. bei Kanonen und bestem Eisenbahnmaterial, auch bei Werkzeugen, scharfen Schneidinstrumenten, wo es auf hohe Härte und gleichzeitig auf Zähigkeit ankommt, sowie endlich bei Preßcylindern, Schiffsschrauben, Glocken und anderen schwierigen Façonstücken.

Die Bochumer Fabrik hat sämmtliche Stahlfabrikationsmethoden sich zu eigen gemacht und alle, auch die neuesten, Verbesserungen [543] eingeführt. Ihre ursprüngliche Aufgabe, die Einführung und Verbesserung der Tiegelstahlfabrikation, hat sie vor allen anderen gelöst; das Verfahren kam zuerst von England nach Deutschland. Schon im Jahre 1740 hatte Hundsmann bei Sheffield die erste Tiegelstahlfabrik angelegt und zum Einschmelzen hauptsächlich schwedisches Stahleisen verwandt, nachdem dasselbe zuvor in der oben angedeuteten Weise cementirt war. In Deutschland haben Friedrich Krupp in Essen vor fünfzig Jahren, Jacob Mayer in Bochum vor fünfunddreißig Jahren die Tiegelstahlfabrikation begonnen und nach und nach zu einer Bedeutung zu erheben gewußt, welche selbst die englischen Fabriken überflügelte und den beiden deutschen Werken den ersten und zweiten Rang in der Welt sicherte. Wenn Krupp seine Energie und seine Mittel hauptsächlich dahin richtete, durch enorme mechanische Einrichtungen die Erzeugung schwerer Gußstahlschmiedestücke zu ermöglichen, so gebührt Jacob Mayer das Verdienst, durch die Erfindung des Stahlfaçongusses ohne Hammer oder Walze schwere Gegenstände aus Gußstahl für den Maschinenbau herzustellen, die aus Gußeisen nicht haltbar, aus Schmiedeeisen dagegen nicht ausführbar oder zu kostspielig sein würden, z. B. Kirchenglocken bis zum Gewichte von dreißigtausend Pfund, Schiffsschrauben bis zum Gewichte von zwanzigtausend Pfund, schwere Cylinder für hydraulische Pressen von zehntausend Pfund, schwierig construirte Façonstücke für den Brückenbau, Scheibenräder und Herzstücke für Eisenbahnen etc. Aber das nicht minder hoch anzuschlagende Verdienst, diese geniale Erfindung zur Anerkennung gebracht und dadurch in dem kurzen Zeitraume von zwanzig Jahren das kleine Etablissement zur heutigen Größe erhoben zu haben, gebührt der geschickten und energischen Leitung des Bochumer Vereins. Das kleine Werk an der Essener Chaussee wollte nämlich trotz jener wichtigen Erfindung nicht recht voran. Es kamen trübe Zeiten für die Besitzer, und erst nachdem im November 1854 die Fabrik der Herren Mayer und Kühne an die mit ausreichendem Capital versehene Actiengesellschaft Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation übergegangen und nach kurzer provisorischer Verwaltung des jetzigen Geheimen Regierungsrathes Alexander von Sybel Anfangs 1855 der noch jetzt als Generaldirector fungirende Commerzienrath Louis Baare an die Spitze getreten war, begann allmählich das Aufblühen der jetzt so bedeutenden Schöpfung. In zwanzigjährigem Zusammenwirken haben die Herren Baare und Mayer, gemeinsam mit dem ebenso lange fungirenden jetzigen Vorsitzenden des Verwaltungsrathes, Herrn Jean Marie Heimann in Köln, aus der kleinen Gußstahlfabrik, die sie mit dreihundert Arbeitern übernahmen, jenes gewaltige Werk geschaffen, welches unser Bild darstellt und welches Stadt und Umgegend mit wahrhaft elementarer Gewalt umgestaltet hat.

Im Jahre 1854 betrug die Production bei dreihundert Mann Belegschaft 18,182 Centner Gußstahl, im ungefähren Werthe von einer Viertel Million Thaler; 1867 war sie bei zweitausend Arbeitern auf 220,000 Centner, im Werthe von 2,800,000 Thaler, gestiegen; 1873 lieferte die Fabrik 1,300,000 Centner Gußstahlfabrikate, im Gesammtwerthe von circa acht Millionen Thaler, bei 5570 Arbeitern. Ihre Hauptforce besteht in der Fabrikation von Eisenbahnmaterial, namentlich Stahlschienen, Rädern, Achsen, Bandagen, Federn, Herzstücken etc.. – die gegenwärtige Tagesproduction von Stahlschienen beträgt zwischen 1000 und 1500 Stück. Das sogenannte „Bochumer Scheibenrad“ aus Stahlfaçonguß war lange Zeit nur in Bochum herstellbar. Erst seit 1864 gelang auch der Krupp’schen Concurrenz die Herstellung dieses weitaus dauerhaftesten und betriebssichersten aller Eisenbahnräder. Bei Gelegenheit seiner Referate über die Wiener Weltausstellung äußert sich Max Schlesinger über das Verhältniß zwischen Krupp und dem Bochum-Verein in der „Kölnischen Zeitung“ wie folgt:

„In Artilleriematerial steht Essen obenan, wogegen Bochum ihm im Bereiche des Eisenbahnmaterials den Rang abgelaufen hat. Beide können neidlos und selbstbewußt einander in’s Auge schauen, und wie Goethe in Bezug auf Schiller, so könnte das ältere Essen auch von dem jüngeren Bochum sagen: ‚Die Deutschen sollte sich glücklich schätzen, zwei solche Kerle, wie wir sind, zu haben.‘“

In der Geschützbranche ist Fr. Krupp an maschineller Leistungsfähigkeit dem Bochumer Werke zur Zeit überlegen. Es ist ihm gelungen die colossalen Bedürfnisse Preußens auf diesem Gebiete für sich zu einem ebenso lehrreichen wie einträglichen Monopol zu gestalten. Aber die Bochumer Fabrik hat nicht nur bereits 1874 die erste Gußstahlkanone angefertigt und damit die Verwendung dieses Materials für Geschützguß eingeführt, sie hat auch von der preußischen Regierung die officielle Bescheinigung, „daß ihre Geschütze als denen der Krupp’schen Fabrik ebenbürtig anerkannt seien“.

Eine weitere, bisher noch von Niemand erreichte oder auch nur annähernd ermöglichte Specialität ist der schon erwähnte Glockenguß. Nach Ausweis des Glockenprospectes hängen im deutschen Reiche circa zwölfhundert Stück große Kirchenglocken, im übrigen Europa circa fünfhundert, in Asien sechs, in Afrika zehn, in Nordamerika fünfundvierzig, in Südamerika zehn; gewiß ein Beweis für die Vorzüge dieses allerdings erst langsam zur allgemeinen Anerkennung gekommenen Fabrikates, welches an Klang den Bronzeglocken gleich, an Dauerhaftigkeit ihnen weit überlegen ist und etwa halb so viel kostet. Die Haltbarkeit der Gußstahlglocke hat sich vor einigen Jahren beim Brande einer der deutschen Kirchen Petersburgs glänzend bewährt. Als der Glockenstuhl vom Feuer verzehrt ward, stürzten die drei daselbst hängenden Bochumer Stahlglocken circa 130 Fuß hinab auf das feste Gewölbe des Thurmes und lagen daselbst längere Zeit in der Gluth, ohne äußerlich oder an Ton und Stimmung irgend welchen Schaden zu nehmen.

Außer der Gußstahlfabrik und deren Zubehör besitzt das Werk in Bochum eine große Hochofenanlage und Coaksbrennereien, eine Fabrik feuerfester Steine und, drei Kilometer entfernt, aber mit einer eigene Eisenbahn verbunden, drei vereinigte, höchst werthvolle Tiefbaukohlenzechen „Maria“, „Anna“ und „Steinbank“, außerdem bei Mühlheim am Rhein eine weitere Hochofenanlage und zahlreiche Eisensteingruben in Nassau und im Siegerlande. Alle diese zum Etablissement gehörige Grundstücke arbeiten vorwiegend für den Bedarf der Fabrik, deren täglicher Kohlenverbrauch sich bei mittlerer Beschäftigung auf 15,000 Centner, bei voller Arbeit auf circa 20,000 Centner Kohlen und Coaks beläuft, zu deren Anfuhr demnach vier Kohlenzüge von zwanzig bis fünfundzwanzig Doppelwaggons täglich nöthig sind.

Diese Kohlen heizen circa hundertfünfzig Dampfkessel und qualmen aus fünfzig große Kaminen, deren einer der höchste auf dem Continent ist. Derselbe senkte sich kurz nach seiner Fertigstellung nach einer Seite hin, wurde aber von dem Herrn Bauinspector Haarmann – einem langjährigen Mitglied des Verwaltungsraths – in sehr erfindungsreicher Weise wieder gerade gerichtet. Im Jahre 1874 beschäftigte die Fabrik 5630 Arbeiter, die, größtentheils verheirathet, 8765 Angehörige ernährten und mit Hinzurechnung von circa 250 Beamten und deren Familien reichlich 15,000 Köpfe ausmachten.

Für verheirathete Beamte ist ein großes Beamtenhaus mit Etagenwohnungen der verschiedensten Größe erbaut. Für verheiratete Arbeiter sind Häuser nach den verschiedensten Systemen errichtet, in denen hunderte von Familien ihr Unterkommen finden und zwar zu Preisen, die eine Kündigung als Strafe erscheinen lassen. Für die Unverheiratheten ist durch den Bau eines großen Kost- und Logierhauses gesorgt, in welchem bei einfacher Belegung 1200 Mann beherbergt und in einem riesigen Saale gleichzeitig gespeist werden können. Für Kost und Logis bezahlt der Mann pro Tag 7 Silbergroschen (der niedrigste Lohnsatz im Jahre 1874 betrug 25 Silbergroschen, der durchschnittliche 38 Silbergroschen pro Tag).

Daneben besteht ein Consumverein der Fabrik, der an verschiedenen Verkaufsstellen gute und billige Nahrungsmittel und Kleidung liefert; in eigenen Bierschenken wird vorzügliches Bier 20 bis 33⅓ Procent unter dem sonst üblichen Preise verzapft.

Wenn heutigen Tages ein Reisender die Stadt Bochum besucht, so ist vielleicht das Einzige, was ihn noch an die Zustände von „Kaubaukum“ erinnern kann, die klägliche Verbindung, welche die Bergisch-Märkische Eisenbahn seit Jahren in Dortmund mit der großen Berlin-Köln-Pariser Route unterhält, obgleich sie z. B. auf ihrer Station Bochum-Riemke 1873 die anständige Summe von 806,839 Thalern an Personenbillets und Frachten gelöst hat. Jedermann, der aus dem Osten kommt und statt der längeren [546] Bergisch-Märkischen Route über Kreiensen die Köln-Mindener über Hannover wählt, muß zur Strafe dafür in Dortmund einige Stunden nachsitzen – so will es die Taktik der kleinen Eisenbahnpolitik. Hat der Reisende seine Strafe abgesessen, Bochum erreicht, einen Gang durch die Straßen der Stadt gemacht und mit uns einen der nahen Hügel bestiegen, so zeigt ihm die Rundschau eine Landschaft, die mit nichts mehr an das alte oben geschilderte „Kaubaukum“ erinnert. Die kleine Ackerstadt ist längst verschwunden hinter den hochragenden Bauten der Industrie und hinter der neuen Stadt, welche die grünen Gärten von ehemals bedeckt und unaufhörlich aus dem Boden heraus weiter wächst. In ihr und auf jeder Quadratmeile um sie herum wohnen im Durchschnitt dreißigtausend Menschen, also das Zehn- und Fünfzehnfache von ehemals. Mehr als sechzig Schachtthürme großer Tiefbau-Steinkohlenzechen zählt man eine Stunde im Umkreis der Stadt. Das kleine Werk von Mayer und Kühne hat sich zu dem großen, fast wirren Häusermeer entwickelt, welches unser Bild zeigt. Die Ruthe Landes, die Mayer und Kühne zu dreiunddreiviertel Thaler kauften (= 5 Thaler per Kölner Ruthe) kostet heute je nach der Lage fünfzig bis vierhundert Thaler; die Wälder sind bis auf geringe Reste verschwunden, die Niederungen trocken, und von allen Seiten umtost uns das erderschütternde Getöse der Hämmer, das Schnauben und Pfeifen der Dampfmaschinen und Locomotiven, das Rollen der zahllosen Bahnzüge, das Poltern der schweren Fuhrwerke, welche die Straßen der Stadt zahlreich durchrasseln. Und das edle Metall, welches sich dort unten zu Schienen reckt, zu Glocken wölbt, zu Rädern rundet und zu Kanonen formt, liefert nicht nur den Bedarf des eigenen Verkehrs und des nationalen Schutzes, es befreit nicht nur das Vaterland von einer kostspieligen und gefährlichen Abhängigkeit von der Industrie fremder Völker – nein, es bringt auch den stolzen Türken, den bärtigen Russen, den fleißigen Anwohner des Yan-tse-kiang, es bringt Spanier und Italiener in freundliche Handelsbeziehung zu dem Volke, welches heute besser den Stahl zu schmieden versteht, als alle anderen.

England hat fast ein Jahrhundert mit dem Geheimniß der Gußstahlbereitung auch den Ruhm der besten Eisenindustrie bewahrt und genießt denselben, obwohl nur zum geringern Theil, mit Recht noch heute. Es wird unterstützt in der Behauptung dieser seiner Stellung auf dem Eisenmarkt einmal durch die natürliche geographische Lage und sein Canalsystem, die ihm den billigen Wasserverkehr in sehr ausgedehntem Maße gestatten, dann aber auch durch seine edlen Eisenerze, durch seine hundertjährigen Handelsverbindungen mit allen Welttheilen, die kluge und glückliche Verkehrspolitik seiner eigenen und die unglücklichen Experimente fremder Regierungen auf dem gleichen Gebiet, durch einen seit Generationen geschulten und fleißigen Arbeiterstand und durch ein ebenso altes Vorurtheil, denn in Bezug auf Qualität und Arbeit steht das deutsche Eisenfabrikat höher. Wenn England in den wichtigsten Branchen der Stahlfabrikation die erste Stelle an Deutschland längst hat abtreten müssen, so knüpft sich die Ehre dieses Erfolges deutschen Fleißes an die Firmen Friedrich Krupp in Essen und „Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation in Bochum.“

[544]

Die Gußstahlfabrik des Bochumer Vereins aus der Vogelschau. Nach der Natur aufgenommen von Adolf Eltzner.
1. Gußstahlfabrik. – 2. Hochofen und Coaksanlagen. – 3. Kanonenfabrik. – 4. Stahlhaufen. – 5. Arbeiterherberge für 1500 Mann. – 6. Ziegelbrennerei (Rundofen). – 7. Rheinische Eisenbahn, welche sich um die Fabrik herumzieht.