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Die Sage von der Mordgrundbrücke

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Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Die Sage von der Mordgrundbrücke
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. S. 140-144
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Quelle: Google-USA* und Commons
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[140]
156) Die Sage von der Mordgrundbrücke.

Auf der königl. Bibliothek zu Dresden befindet sich eine Handschrift (S. G. Nr. 138b. 4.) aus dem ersten Viertel dieses Jahrhunderts, welche über die Entstehung und Benennung des sogenannten Mordgrundes zwischen Dresden und dem Dorfe Loschwitz aus einem alten bei einem Winzer der Loschwitzer Gegend vorgefundenen, fast unleserlichen Geschichtsbuche Folgendes berichtet.[1]

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts, als Markgraf Friedrich der Kleine die Stadt Dresden noch sein nannte, blüheten in dieser Gegend die Geschlechter von Clohmen und von Birken; sie besaßen nicht blos Ritterburgen in den nahe gelegenen gebirgigen Gegenden (z. B. die Clohmen, das von ihnen benannte Lohmen), sondern auch Häuser in der Stadt und Besitzungen [141] auf den Bergen in der vorgenannten Flur zwischen Loschwitz und Dresden. Beide Geschlechter waren sowohl mit ihren übrigen Gütern in der Gebirgsgegend als in der Loschwitzer Flur Grenznachbarn, und nur der dortige tiefe Grund trennte sie von einander, indem die von Clohmen die nach ihrem Besitzer sogenannten früher Seebe’schen jetzt Souchay’schen, und die von Birken die dermalen zu dem Baron Müller’schen Grundstück gehörigen Fluren besaßen. Der alte reiche Hans von Clohmen war Wittwer und besaß nur ein einziges 19jähriges Töchterlein von wunderbarer Schönheit, Elsbeth geheißen. Sein Nachbar Benno von Birken, ein schöner Mann, war eben erst aus fernen Landen zurückgekehrt, wo er sich durch seine Tapferkeit den Namen des Kühnen erworben hatte. Kaum hatte er seine schöne Nachbarin gesehen, so liebte er sie auch und hielt bei ihrem Vater um ihre Hand an, die ihm auch ohne Weiteres mit der Bedingung gewährt ward, daß sich das Fräulein vorerst ein Jahr am Hofe Friedrichs aufhalten und dort ausbilden solle. Natürlich folgte ihr ihr Bräutigam, und da derselbe an dem prunkliebenden Hofe des Fürsten fast täglich Gelegenheit fand, mit ihr zusammen zu kommen, so lernte sich das junge Paar bald so lieben, daß ihnen das Jahr zu einem Jahrzehend ward. Indeß hatte im Jahre 1289 Friedrich der Kleine Dresden und die umliegenden Gegenden an den böhmischen König Wenzel, später sogar an Friedrich Tutta verkauft, von dem er zwar dasselbe zurückerbte (1291), sich aber doch wieder von Wenzel (1294) mit diesen Ländern belehnen ließ. Da jedoch die Herzen der Dresdner immer noch an ihrem rechtmäßigen Landesherrn hingen, so konnte Wenzel selbst noch 1299, wo es zum Kriege kam, nie recht zum wirklichen Besitz des verkauften Landes gelangen, er dachte also auf Mittel, sich die Gemüther der Mächtigen und Reichen zu gewinnen, und sendete einen gewissen Grafen Lodomar Kinsky nach Dresden, der durch Verheißung von Gütern und Ehrenstellen den Adel auf seine Seite bringen sollte. Gelang diesem dies unter andern auch bei Hans von Clohmen, so blieb der von Birken dafür mit [142] desto größerer Treue seinem alten Herrn zugethan. Da nun aber der böhmische Graf, der noch unbeweibt war, die Hoffnung hegte, daß er als Schwiegersohn eines der mächtigsten Ritter im Sachsenland desto besser für König Wenzel wirken könne, so bat er um die Hand der schönen Elsbeth von Clohmen und erhielt sie auch sofort zugesagt, und als ihr Bräutigam ihren Vater an sein gegebenes Wort mahnte, so erklärte dieser, er halte sich desselben für entbunden, weil nur ein Freund König Wenzels seine Tochter zum Altare führen solle. Indeß fanden die Liebenden noch einmal Gelegenheit, sich zu sehen und sich ewige Treue zu schwören. Der Ritter von Birken hatte unterdeß seine Besitzung an der Elbe bezogen und schickte täglich seinen alten Diener auf Kundschaft aus, um zu erspähen, was bei seinem Nachbar vorgehe, konnte aber fast nichts erfahren. Mitten in einer stürmischen Nacht erstieg er einst von einer unerklärlichen Angst getrieben, die Höhe des Waldes und sah das Schloß seines Feindes hell erleuchtet, hörte auch Trompeten- und Paukenschall in einzelnen Absätzen erklingen. Ohne sich zu besinnen stieg er den tiefen Grund herab und erklimmte die steile Anhöhe jenseits, sowie die hohe das Clohmensche Schloß umgebende Mauer, nachdem er zuvor mit seinem Schwerte alle Hindernisse des dicken Gestrüppes beseitigt hatte. Siehe, wie er noch sinnend dastand, was er nun weiter beginnen solle, da öffnete sich ein Pförtchen und seine Elsbeth, weiß gekleidet wie ein Engel, stürzte in seine Arme. Schnell entschlossen, nahm er die holde Bürde auf seine Arme, stieg mit ihr über die Mauer und den Berg hinab, mußte aber im Grunde vor Anstrengung ermattet eine kurze Zeit rasten. Während dem erzählte ihm seine Elsbeth, wie sie ans Altar geschleppt und mit dem ungeliebten Böhmen trotz ihres laut ausgesprochenen Nein vermählt worden sey, und darauf sogleich den Entschluß gefaßt habe, bei der ersten günstigen Gelegenheit zu entfliehen. Wild tobte der Sturm, sie hatten den Weg verfehlt und Fackelschein verkündete die sie Suchenden von allen Seiten, [143] da gaben sich beide das Versprechen, daß nur der Tod sie trennen, und Elsbeth, ehe sie sich zu dem ihr aufgedrungenen Gemahle zurückschleppen ließe, sich mit dem Dolche, den sie bei sich trug, selbst den Tod geben wolle. Da stand plötzlich Graf Lodomar vor ihnen und sprach: „wer wagt es, sich an meinem Eigenthum zu vergreifen?“ Benno aber erwiderte hohnlachend: „so wenig dieses Land je das Eigenthum Deines Königs werden wird, ebensowenig wirst Du diese Jungfrau je Dein nennen!“ Mit diesen Worten drang er wüthend auf den Böhmen ein, der nothgedrungen sein Schwert zog, aber nach kurzer Vertheidigung tödtlich verwundet zu Boden sank. Da rief die Jungfrau: „Heil Dir, Du hast keinen Mord begangen, sondern nur Dein Vaterland von einem fremden Wütherich befreit, laß uns aber jetzt eilen, die Reise in ein Land anzutreten, wo uns keine Verfolgung mehr drohen kann, von Deiner Hand, mein Benno, will ich sterben.“ Mit diesen Worten reichte Elsbeth dem Ritter den scharfen Dolch, er setzte die Spitze desselben auf die Brust des geliebten Mädchens; doch seine Hand zitterte, da erfaßte die schöne Schwärmerin mit beiden Händen krampfhaft Benno’s Hand und stieß sich den Dolch tief in ihre reine Brust. Sie schwankte, doch hatte sie noch soviel Kraft, den Stahl aus der blutenden Wunde zu ziehen, und matt lächelnd reichte sie denselben ihrem Benno mit den Worten: „es hat nicht geschmerzt, hier, mein Geliebter, nimm ihn und folge mir.“ Ungestüm durchbohrte sich nun auch Benno und sank sterbend auf sie hin, und so hauchten sie Arm in Arm ihr Leben aus. Auf dieser Stelle nun, wo sie geendet hatten, wurden sie auf Befehl Clohmens, der jetzt seine Härte tief bereuete, beerdigt, der Leichnam Lodomars auf seine Güter nach Böhmen geführt, und von dieser Stunde an die Felsenschlucht, wo sich diese traurige Begebenheit ereignet hatte, der Mordgrund genannt. In jener alten Schrift war die Stelle, wo der Mord geschehen war, so genau angegeben, daß derjenige, welcher diese Sage abgeschrieben hatte, dieselbe leicht wiederfand, und für die Nachwelt sie durch [144] folgende in einen Baum, der freilich jetzt wohl schwerlich aufzufinden seyn dürfte, eingeschnittene Worte, wie er sagt, bezeichnete:

Vereint laßt uns sterben, es schließt ein Grab uns ein,
Wir werden noch verbunden in bessern Welten sein.


  1. Aus diesem Manuscripte scheint die Sage von Ad. v. Schaden, Katersprung von Berlin über Leipzig nach Dresden. Dessau 1821. 8. S. 14 sq. ausgezogen worden zu sein (s. a. Hasche, Dipl. Gesch. v. Dresden, V. b. S. 91. sq.) Mir scheint das Ganze moderne Fiction irgend eines Romanschreibers à la Spieß.