Die Augenkrankheit „grüner Staar“

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Autor: A. G.
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Titel: Die Augenkrankheit „grüner Staar“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 711–713
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Augenkrankheit „grüner Staar“.
Von Dr. A. G.

Wenn ich in dem Folgenden ein den Naturwissenschaften entnommenes Thema kurz zu besprechen beabsichtige, so leiten mich weder jene großen Tendenzen des Jahrhunderts, welche die Forschungen des Gelehrten in passender Weise zum Eigenthum des Volks zu machen streben, noch fürchte ich damit die Reihe gefährlicher Halbwisser zu vermehren, welche der Geist der Forschung nie geadelt hat. Es gilt nur eine praktische Belehrung, welche mir im Sinne der Humanität geboten scheint, und welche ich, in schmerzvoller Erinnerung an so manches, durch eine gefährliche Unkenntniß zerstörte Lebensglück blos in der Absicht gebe, künftigem Unglück nach Kräften zu steuern.

Unter den eine unheilbare Erblindung herbeiführenden Augenkrankheiten stand noch vor etwa acht Jahren mit in erster Reihe das sogenannte „Glaucom“, dem Volke mehr noch unter dem Namen des „grünen Staars“ bekannt. Diese mit einer dämonischen Sicherheit zu einem völligen Ruin des Auges führende Krankheit hatte von jeher vielfach den ärztlichen Scharfsinn und Fleiß beschäftigt. Vergeblich suchte man dem eigentlichen Wesen [712] der Erkrankung beizukommen, vergeblich strebte man mit einer Legion von Heilmitteln ihrem traurigen Verlaufe entgegen zu treten. Erst in neuester Zeit feierte die Wissenschaft den großartigen Triumph, diesem tückischen Feinde menschlichen Glücks seine bisher machtlos bestrittne Gewalt zu rauben, und jene früher absolut unheilbare Krankheit ist jetzt, wenn sie nur früh genug erkannt und richtig behandelt wird, mit derselben Sicherheit zu beseitigen, mit welcher sie vorher zur Erblindung führte. Die enthusiastische Freude eines großen Theils der Aerzte über diese Errungenschaft konnte nur zunehmen, als die Erfahrung lehrte, daß das eingeschlagne Heilverfahren nicht nur einen vorübergehenden, sondern einen bleibenden Erfolg hatte, und vor der Macht der Thatsachen, vor den Dankesausbrüchen der Genesenen mußte endlich auch der Theil der Aerzte sich beugen, welche diesem mit argwöhnischen Augen angesehenen Wunderkinde der jüngern wissenschaftlichen Bestrebungen gern die Legitimitätserklärung versagt hätten. Eine hochwichtige Bedingung erfordert jedoch die Beseitigung der genannten Krankheit: dieselbe ist nur in ihrem ersten Auftreten und auch dann nur durch ein einziges Mittel, nämlich einen durchaus gefahrlosen operativen Eingriff, sicher und vollkommen zu heilen. In diesem Umstande liegt die Erklärung für die noch immer so zahlreich vorkommenden Erblindungen in Folge des Glaucoms. Die von dem Uebel ergriffenen Kranken verlieren, unbekannt mit dem Wesen desselben, die kostbare Zeit, in welcher durch Anwendung des allein wirksamen Mittels die Rettung des Sehvermögens gesichert wäre. Ohne eine Ahnung davon zu haben, mit welch’ gefährlichem Feinde sie ringen, brauchen sie erfolglos oder auch wohl mit scheinbarem Erfolge dies oder jenes angepriesene Mittel und schleppen sich Tage- und Wochenlang mit Heilversuchen hin, während doch oft schon einige Tage, ja in einzelnen Fällen sogar vierundzwanzig Stunden genügen, um das Auge für immer zu zerstören.

Zu diesem Uebelstande gesellt sich ein anderer, noch weit gefährlicherer. Es ist eine alte Erfahrung, daß jede neue Wahrheit nur mühsam sich zur Anerkennung durchringt. Die oft getäuschte Menschheit setzt nicht mit Unrecht gerade den glänzendsten Verheißungen das meiste Mißtrauen entgegen. So giebt es, irre ich nicht, noch immer eine Anzahl Aerzte, welche, da ihnen vielleicht die Gelegenheit mangelte, durch eigene Anschauung sich von der sichern Heilwirkung und der völligen Gefahrlosigkeit des gegen das acute Glaucom gerichteten Verfahrens zu überzeugen, ihre Kranken mit andern Heilversuchen hinhalten, bis das Uebel seinen unheilvollen Verlauf vollendet hat. Es ist eine tief betrübende, von mir wohl mit allen andern Augenärzten getheilte Erfahrung, daß von etwa zehn zur Untersuchung kommenden Glaucomatösen nur einer noch für die Operation passend erscheint – die andern sind ihrem dunkeln Schicksal verfallen, weil die sachverständige Beurtheilung zu spät kam. Nur wer selbst Arzt ist, nur wer die herrlichen Erfolge jener großen ärztlichen That in tiefster Seele mit erlebt und gefeiert hat, kann den herben Schmerz ermessen, welchen man solchen Fällen gegenüber empfindet. Ein durch bloße Unkenntniß und durch Fahrlässigkeit verschuldetes Unglück ist doppelt traurig. Ergebung und Fassung findet man hier viel schwerer, als da, wo ein unabwendbares Verhängniß gewaltet hat. Traurige Anhäufungen solcher Erfahrungen haben mich veranlaßt, diesen Gegenstand einmal einem größern Leserkreis vorzuführen und eine kurze, wo möglich belehrende Skizze jenes Krankheitsbildes zu liefern. Selbstverständlich können die Symptome der glaucomatösen Erkrankung hier nur so weit namhaft gemacht werden, als sie auch von dem Laien zu beobachten sind.

Das Uebel stellt sich zuweilen ziemlich plötzlich ein; bei weitem häufiger gehen ihm jedoch, gleichsam als warnende Zeichen, gewisse Vorboten voraus. Monate, ja Jahre lang vor dem eigentlichen Ausbruch sehen die Kranken, namentlich wenn sie in eine Kerzen- oder Lampenflamme blicken, nicht allein das Bild derselben leicht verwischt, sondern zugleich umsäumt von gewissen Farbenphänomenen. In den Farben des Regenbogens sind entweder Streifen radienartig um die Flamme gruppirt, oder dieselbe erscheint von ebenso gefärbten Ringen und Bogen umgeben. Die Gleichmäßigkeit des Sehens zeigt sich gestört; ab und zu erscheint das Gesichtsfeld von einem mehr oder weniger dichten Nebel verhüllt, in welchem alle Gegenstände undeutlicher als gewöhnlich sich präsentiren – nach einer kurzen, übrigens in ihrer Dauer schwankenden Zeit verschwindet der Nebel wieder, um erst nach Tagen, Wochen oder Monaten in gleicher oder ähnlicher Weise von Neuem aufzutreten. Aufmerksame Kranke können während einer solchen Periode des Nebelsehens sehr oft Folgendes beobachten. Blicken sie mit dem allein oder vorwaltend leidenden Auge, während das andere geschlossen wird, z. B. auf einen in der Mitte einer großen schwarzen Schultafel gezeichneten Kreidepunkt, in dessen Umgebung nach allen Seiten hin beliebige Zahlen verzeichnet stehen, so erscheinen diese in der Umgebung des fixirten Punktes liegenden Zahlen nach einer Richtung hin undeutlicher als nach der andern. Braucht man das rechte Auge zu diesem Versuche, so werden zumeist die links vom Beobachter liegenden Zahlen (oder Gegenstände) undeutlicher erscheinen; braucht man das linke, so erscheinen die rechts liegenden mehr verschleiert. Dies pflegt Regel, jedoch keine Regel ohne Ausnahme zu sein. Neben diesen Farben- und Nebelerscheinungen klagen die Kranken über Schmerzen, welche periodisch zu- und abnehmen, nicht selten einen hohen Grad erreichen, in der Stirn, über einem Auge mehr als über dem andern, gleichsam im Knochen fixirt sind, übrigens auch über die ganze betreffende Kopfhälfte bis in das Hinterhaupt hineinschießen. Es werden diese sehr bedeutsamen Empfindungen wegen des eben geschilderten Charakters meistens in die Schablone der „Kopfgicht“ untergebracht und einer specielleren Würdigung nicht unterworfen. Alle bisher genannten Erscheinungen zeigen, wie bereits bemerkt, den Charakter der Periodicität. Es ist fast nicht möglich, etwas weiteres, allgemein Gültiges hierüber zu sagen. Nur findet man, daß vor Allem ein gestörter Nachtschlaf, wohl auch Gemüthserregungen und sonstige körperliche Indispositionen die oben geschilderten krankhaften Erscheinungen in vermehrtem Grade hervorrufen, während dieselben, wenn sie schon habitueller geworden sind, am Morgen nach einer ungestört durchschlafenen Nacht merklich zurücktreten. Werden die freien Intervalle seltner, die Farben- und Nebelerscheinungen sowie die Schmerzen hingegen intensiver und andauernder, so ist ein naher Ausbruch des eigentlichen Uebels zu fürchten. Wie schon bemerkt, umfaßt dieses Stadium der Vorboten einen sehr verschiedenen Zeitraum. Man hat Beispiele, wo dasselbe jahrelang gedauert hat; am häufigsten findet man es auf einige Monate, seltner nur auf Wochen oder Tage beschränkt; zu den Ausnahmefällen gehört es, wenn der gleich zu schildernde acute Anfall ohne alle Prodromalzeichen den Kranken überrascht.

Der acute Ausbruch der Krankheit findet meist des Nachts statt. Der Leidende erwacht mit bohrenden Schmerzen in den Augen, während zugleich die schon oben erwähnten Empfindungen in Stirn und Kopf oft eine so furchtbare Höhe erreichen, daß selbst die willenskräftigsten Kranken sie nicht zu ertragen vermögen und verzweifelnd nach Hülfe jammern. Das stark thränende Auge ist hierbei geröthet, die Lider sind angeschwollen, die Pupille des leidenden Auges ist etwas weiter als die des nicht ergriffenen, erscheint rauchig, getrübt und wechselt ihre Größe nicht, wie im gesunden Zustande, bei abwechselnder Einwirkung von Licht und Schatten. Diese Beurtheilung der Pupille wird indessen immer nur einem aufmerksamen Beobachter möglich sein. Während farbige und leuchtende Phantasmen vor dem Auge spielen, ist das Erkennungsvermögen plötzlich erloschen; oft werden nur noch größere Gegenstände (z. B. eine menschliche Figur) in matten Umrissen erkannt, während in andern Fällen nur noch das Unterscheidungsvermögen zwischen hell und dunkel fortbesteht. Nachdem diese traurige Scene einige Stunden (vier bis zwölf) lang gespielt hat, bessert sich der Zustand entweder spontan oder bei Anwendung von Arzneimitteln. Die Schmerzen verringern sich, Thränenfluß, Schwellung und Röthe des Auges lassen nach, das Sehvermögen nimmt zu, bleibt indessen meist immer etwas verschleiert, der Kranke faßt neue Hoffnung – da kehrt nach kurzer Zeit (meist nach ein bis zwei Tagen, seltner erst nach Wochen oder gar Monaten) der Anfall mit erneuter Heftigkeit zurück. In periodischem Wechsel folgen sich nun acute Anfälle und freie Intervalle wochen- und monatelang, die Intensität der erstern ist bald größer, bald geringer; auch während der freieren Intervalle schweigen die Schmerzen nicht gänzlich. Jede Spur von Lichtschein geht endlich hierbei zu Grunde. In welcher Periode die Blindheit bereits eine unheilbare ist, hängt von verschiedenen, hier unmöglich zu erörternden Umständen ab. Ich bemerke nur, daß dies schon kurz nach dem ersten Ausbruch der Fall sein kann, während auch Fälle vorkommen, in denen noch nach monatelanger Dauer dieses traurigen Turnus wenigstens einige Hülfe möglich ist. Für den Arzt ist das Krankheitsbild [713] in den obigen Angaben keineswegs erschöpft, in seiner Hand liegen vielmehr die Mittel zu einer weit eingehendern, für den Leidenden unendlich wichtigen Beurtheilung. – Ich habe noch hinzuzufügen, daß die Krankheit mehr in den mittleren und späteren Lebensjahren vorkommt, daß das jugendliche Alter jedoch keineswegs ganz sicher vor derselben ist. Rheumatische und gichtische Constitutionen erscheinen besonders zu derselben disponirt. Fast ohne Ausnahme befällt sie beide Augen, wenn auch nur selten zu gleicher Zeit. – In einzelnen Fällen hat man beobachtet, daß nach dem ersten heftigen Anfalle ein zweiter nicht folgt, sondern daß nach demselben das Sehvermögen successive zu Grunde geht, während nur ähnliche Symptome, wie die des Vorbotenstadiums, diesen Verfall begleiten.

Der tückische Charakter der Krankheit ist namentlich in der auch spontan eintretenden periodischen Besserung begründet. Treten die heftig entzündlichen Erscheinungen des ersten Anfalls bei Anwendung der gewöhnlich zunächst gebrauchten entzündungswidrigen und schmerzstillenden Mittel (Blutentziehungen, Quecksilbermittel, die Narcotica etc.) zurück, bessert sich das Sehvermögen hiernach wohl gar bis zu seiner Norm, so schlummert bei Arzt und Kranken die Besorgniß ein, und man meint wohl, in jenen Mitteln eine sichere Hülfe gegen die Krankheit gefunden zu haben. Der weitere Verlauf wird dieses Vertrauen jedesmal täuschen. Es ist deshalb jedem von der Krankheit Bedrohten oder Ergriffenen zu rathen, in solcher Gefahr mit den Stunden zu geizen, wie mit den kostbarsten Gütern, und ohne jedes Bedenken mit möglichster Eile sich der gedachten, die Gewalt der Krankheit sicher brechenden operativen Behandlung zu unterziehen. Mir ist von glaukomatös Erblindeten, wenn ich sie um die Ursache ihrer verzögerten Berathung befrug, fast einstimmig eingewendet worden, sie hätten wegen der „Entzündung“ und wegen des damit verbundenen körperlichen Leidens nicht reisen können, oder sie wären der Meinung gewesen, daß eine Operation, wie es ja beim grauen Staare der Fall sei, erst nach eingetretener Erblindung vorgenommen werden könne – Beides die traurigsten, unsägliches Leid verschuldenden Irrthümer! Mag der Anfall noch so heftig, das denselben begleitende körperliche Uebelbefinden noch so bedeutend sein, niemals dürfte dies ein Grund werden, die Berathung mit einem sachverständigen Arzte, wenn ein solcher nicht an Ort und Stelle ist, hinauszuschieben. Die meist sehr überschätzten Gefahren einer etwaigen Reise sind durch ein umsichtiges Arrangement sehr zu beschränken und werden unter allen Umständen von den verderblichen Consequenzen, welche ein längeres Abwarten hat, in nicht zu vergleichender Weise überwogen. Man bedenke nur, daß durch den gedachten operativen Eingriff nicht allein das Sehvermögen gerettet, sondern auch den quälenden, die gesammte Constitution nicht selten zerrüttenden Schmerzen ein fast augenblickliches Ende gemacht wird. Daß es zum Gelingen der Operation der Hand eines Arztes bedarf, der nicht allein mit dem Wesen der Krankheit, sondern auch mit der Technik der Operation völlig vertraut ist, versteht sich von selbst. Es muß Sache des Kranken bleiben, sich über diesen Punkt ein Urtheil zu verschaffen.

Bei der Schwierigkeit, das Publicum über ärztliche Dinge zu unterrichten, verhehle ich mir nicht, daß ich durch Publication vorstehenden Aufsatzes hier und dort eine vielleicht ungegründete Besorgniß rege machen könnte, zumal da die Anzahl der sogenannten Augen-Hypochonder eine sehr bedeutende ist. Das eine und andere der genannten Symptome findet sich wohl auch bei Krankheiten von viel geringerer Bedeutung, und es ist nöthig, aus dem gegebenen Bilde nicht einzelne Züge herauszureißen, sondern dasselbe immer als ein Ganzes im Sinne zu behalten, um in dem einzelnen Falle einer ungegründeten Befürchtung nicht anheimzufallen. In zweifelhaften Fällen frage man eben bei Zeiten einen unterrichteten Arzt; es ist immer besser, hundert Mal zu fragen, wo es nicht nöthig wäre, als ein einziges Mal die Frage zu unterlassen, wo sie wirklich nöthig ist. –