Die Besichtigung auf der Landstraße
In der Morgenkühle eines frischen, aber nicht kalten Octobertages des Jahres 1832 stand eine zu Köln am Rhein garnisonirende Batterie der siebenten Artillerie-Brigade marschfertig vor ihrer Caserne. Dieselbe war auf dem Kriegsfuß und sollte Cantonnirungsquartiere an der Grenze Belgiens beziehen, in welchem Lande Ludwig Philipp, den die Juli-Revolution auf den französischen Thron gehoben hatte, seine Friedenspolitik durch die Belagerung der Citadelle von Antwerpen zu illustriren versuchte. Die Zeiten schienen wieder zurückgekehrt zu sein, da Frankreich stolz und hoch das Haupt nach vorwärts wandte und die Sonne des Ruhms nur im Aufgehen sah. Auf den Rumpf der leichten und frischgemutheten Nation paßte der bedenkliche, sinnende Januskopf des Bürgerkönigs zwar sehr schlecht, aber damals muthete man demselben noch Thatkraft und Entschlossenheit zu und glaubte, daß er sich berufen fühlen könnte, der neue Messias der Zukunft werden zu wollen. Schien es doch bei dem Einmarsch nach Belgien, als sei der Schatten Napoleon’s wieder zu Pferde gestiegen und hätte den Franzosen zugerufen: allons, bouleversons le monde. Da taumelte Deutschland aus seinem Schlafe auf, und Preußen errichtete ein starkes Observationscorps, um seine bedrohte Grenze zu schützen.
Unter der Bedienungsmannschaft der bezeichneten Batterie, die zu jenem Observationscorps gehörte, herrschte ein frisches, fröhliches Treiben. Man merkte es an der Lebendigkeit und Regsamkeit der Leute, daß sie gern hinauszogen aus der finstern Festung, wo ein strenger Dienst jeden ihrer Schritte regelte und sie zu Automaten machte, deren Bewegungen das Befehlbuch vorschrieb. Es lachten ihnen ja gute Quartiere, galante Abenteuer und jene Ungebundenheit entgegen, die das Leben in der Cantonnirung so vortheilhaft vor dem in der Garnison hervorhebt. Auch die bestimmte Aussicht auf einen kecken Feldzug gegen den alten Feind, der widerrechtlich in das Nachbarland eingebrochen war, um die etwas erblindete Glorie seiner Fahne neu zu vergolden, hob die Stimmung der Artilleristen und ließ sie leicht die zarten Beziehungen vergessen, welche bisher einige Blumen auf den öden Pfad ihres Casernenlebens gestreut hatten.
Es war kurz vor 6 Uhr, als der Capitain vor der Front seiner Batterie erschien. Die Zugführer traten ihm meldend entgegen, und der Befehlshaber schickte sich an, den ihm untergebenen Truppentheil vor dem Ausrücken noch einer letzten Revision zu unterwerfen.
Der Batteriechef war ein guter Officier und humaner Charakter. Hochgebildet und noblen Geistes, besaß er dazu noch eine Aeußerlichkeit, die für ihn einnahm. Er war ein braver Camerad und gegen seine Untergebenen gütig und nachsichtig, weshalb er auch allgemein geliebt wurde und bei seinen Befehlen jenen freudigen Gehorsam fand, der die sicherste Bürgschaft für deren exacte Ausführung ist. Der Hauptmann liebte, spielte und trank gern, und war stets geistig und körperlich zu Pferde, wo es galt, das Leben zu attakiren. Den eigentlichen Dienst handhabte er mit unnachsichtlicher Strenge, den Gamaschendienst und die unvernünftige Drillerei, die zu jener Zeit in der Armee en vogue war, und den armen Soldaten zu dem geplagtesten Geschöpf unter Gottes Sonne machte, haßte er gründlich. Vergehungen, die dem jugendlichen Uebermuth oder einer zufälligen Situation entsprangen, verzieh er leicht, Gemeinheiten und brutale Ueberhebungen bestrafte er dagegen mit der vollen Strenge des Gesetzes.
Als er an diesem Tage vor der imponirenden Front der unter seinem Befehle stehenden Batterie erschien, leuchteten seine Augen in sichtbarem Stolze auf. Er mochte wohl schon im Geiste die Triumphe durchleben, welche er mit einer so gut ausgerüsteten Batterie in dem Kriege, der nach seinem Dafürhalten unvermeidlich war, zu erringen gedachte. Daß die mobilisirte Armee unthätig an der Grenze stehen bleiben würde und den gichtischen Kriegsfuß im deutschen Pactolus, im Rhein, baden sollte, daran dachte damals wohl Niemand, am allerwenigsten die Officiere des sogenannten Observationscorps, welche ohne Ausnahme dem Kriege mit Sehnsucht entgegen sahen. Der Ausmarsch aus den Garnisonen war deshalb auch durch eine besondere Freudigkeit gekennzeichnet, die sich in der Haltung und dem ganzen Aeußern der Leute kundgab.
Die Revision der Batterie war bald beendet. Lag auch hier eine Schnalle einen halben Zoll zu weit rechts oder links, mußte auch ein oder der andere Mantelsack fester angezogen werden, so war dies doch dem Hauptmann nicht Veranlassung, darüber ein Geschrei zu erheben, als sei das Vaterland in Gefahr. Die gerügten Ungehörigkeiten wurden rasch abgestellt, und man hörte dabei nichts von jenem rohen Gepolter, wodurch geistesarme Officiere ihre Autorität zu stützen meinen.
„Aufgesessen!“
„Marsch!“
[121] Noch ein freudiges „Hurrah“ der alten Garnison, und die Batterie zog unter schmetterndem Trompetenklang, in sichtbar gehobener Haltung, der unbestimmten Zukunft entgegen.
Es war ein prächtiger Herbsttag. Eine elastische, duftige Atmosphäre von bewunderungswürdiger Durchsichtigkeit zeigte den empfänglichen Augen in wechselnden Bildern die Schönheit einer überreichen Natur. Die Obstbäume waren mit goldenen Früchten beladen, und die Sträucher trugen Beeren, zuweilen farbiger als die Blüthen des Frühlings. Die Waldbäume hatten theilweise bereits das elegische Kleid des Herbstes angelegt, das so wunderbar anregt und in seiner Vielfarbigkeit selbst die grüne Pracht, die duftige Herrlichkeit des jungen Frühlings vergessen läßt. Reiche Triften, auf denen zahlreiche Heerden gemüthlich umherlungerten, faßten die Straße ein, und darüber hinaus leuchteten die zierlichen Land- und Wirthschaftshäuser aus einem Walde von Fruchtbäumen hervor, um welche sich Blumenstücke, geschmückt mit der sinnigen Flora der Jahreszeit, als glänzende Einfassung wanden.
Diese lachende und ansprechende Scenerie weckte in der Batterie jene laute Fröhlichkeit, die das glückliche Erbtheil des leicht angeregten Soldaten ist. Leichten Herzens, mit fröhlichem Gesang marschirte die Batterie der dunklen Zukunft entgegen, die mit Blut und Tod in jeder Stunde über sie hereinbrechen konnte.
„Wie ziehen wir so fröhlich mit Sang und Klang hinaus!“ schallte es aus hundert Kehlen weit über die Heerstraße hinaus, und manches andere Lied, das in gut und schlecht gebauten Versen die Artillerie verherrlichte, reihte sich an diesen Gesang und hob die Leute leicht über die Mühseligkeit des Marsches hinweg.
Die Batterie mochte wohl schon den dritten Theil ihres Weges zurückgelegt haben, als plötzlich das laute Commandowort des Capitains, der an der Spitze des langen Zuges ritt, ein so eben neu improvisirtes Gesangstück unterbrach.
„An die Geschütze!“
„Richt’t Euch!“ ertönte allgemein verständlich seine sonore Stimme.
„Der Brigadier!“ lief es flüsternd von Geschütz zu Geschütz die weitgedehnte Marschkolonne hinunter, und wahrhaftig, auf der Höhe der Chaussee, einige hundert Schritte vor der Batterie, tauchte unerwartet der wohlbekannte Federhut des gefürchteten Obersten v. Tuchsen auf.
Diese Begegnung war gerade keine angenehme. Der Alte hatte seine absonderliche Laune, und es ließ sich wohl annehmen, daß er gerade jetzt, wo die Batterie ins Feld rücken sollten, deren Ausrüstung mit der peinlichsten Genauigkeit inspiciren werde. Das aber konnte sehr unangenehm werden, denn die Fahrzeuge und selbst die Geschützrohre enthielten gewiß so manchen Gegenstand, der nach der Dienstvorschrift nicht zu der Bekleidung der Leute und Pferde gehörte. Und gerade solche Dinge der soldatischen Eitelkeit reizten den Alten sehr leicht zum heftigsten Zorn.
Aber wie kam es denn, daß er gerade an diesem Tage die Marschrichtung der Batterie kreuzte?
Das lag so in seiner Art. Der alte Herr liebte die Ueberraschungen, und da er die Stunde kannte, in welcher die Batterie aus der Garnison abmarschiren mußte, so hatte er beschlossen, ihr von dem Hauptquartier aus, welches sich bereits auf der linken Seite des Rheins befand, eine letzte Visite zu machen. Auf einen raschen Ritt von einigen Stunden kam es ihm bei solcher Gelegenheit nicht an.
Sein rasches Pferd brachte ihn bald vor die Tête der Batterie. Eine Ordonnanz machte sein ganzes Gefolge aus. Der Hauptmann setzte sein Pferd in einen kurzen Galopp, um ihm entgegenzusprengen und die bezügliche dienstliche Meldung zu machen, Der Oberst empfing den Officier, der bei ihm in hoher Gunst stand, sehr freundlich; er zügelte sofort sein Pferd, reichte ihm die Hand, während sein Auge aber schon musternd nach der Batterie hinüberzuckte, die in strammer Haltung seiner Aufstellung entgegenmarschirte.
„Aber Herr Lieutenant v. W.,“ rief er dem Officier zu, der vor dem ersten Zuge auf einem Pferde ritt, welches die üble Eigenschaft hatte, keinen ordentlichen Schritt zu gehen, „können Sie denn die ver– Schindmähre nicht in die geeignete Gangart bringen? Das Thier haspelt und spartelt ja mit den Beinen wie ein Tanzmeister, der die Gicht hat. Himmel-Donnerwetter, es ist ja eine unerträgliche Tortur, so etwas ansehen zu müssen! Die Schenkel hinter den Gurt, Herr Lieutenant, und den alten Ziegenbock heruntergesetzt, als wenn Sie ihm das Kreuz zerbrechen wollten.“
Und sich an den Hauptmann wendend, der an seiner linken Seite hielt, setzte er laut lachend hinzu: „Dazu gehört freilich eine Kraft, die man heutzutage einer lieutenantlichen Wade nicht mehr zutrauen darf. Der ungeheuerliche Wust von Gelehrsamkeit, den die Herren in ihren Köpfen aufspeichern, und ihre leidigen nächtlichen Feldzüge in einem andern Dienste verzehren zuletzt auch das letzte Fünkchen von Lebenskraft, so daß ihnen nichts übrigbleibt, als ein unpraktischer Kopf und ein ohnmächtiger Körper, sorgfältig eingehüllt in eine wohl wattirte Uniform.“
Die Batterie zog im Schritt an der Aufstellung des Brigadiers vorüber. Derselbe bemerkte dabei jeden Riemen, der falsch lag, und fand auch die geringsten Fehler auf, welche hinsichtlich der Beschirrung der Pferde oder in der Ausrüstung der Geschütze und Fahrzeuge gemacht waren. Dabei regnete es so manchen „Millionenhund“ und andere soldatische Kraftausdrücke auf die Leute herab, und selbst die gewichtige Faust des Alten schwebte einmal wie ein riesiger Donnerkeil über dem Kopfe eines Bombardiers, der sich durch ein maladrettes Aeußere und schlechten Sitz sein Mißfallen zugezogen hatte.
Endlich war das letzte Fahrzeug vorüber, und das Schlimmste schien damit überstanden zu sein. Da erfolgte das Commando: „Batterie, – Halt!“
„ Abgesessen! – Rührt Euch!“
„Hab’s mir wohl gedacht!“ brummte ein alter Feuerwerker, der die erste Haubitze führte, vor sich hin. „Na, nu geht der eigentliche Katzentanz erst los, und der kann von Glück sagen, der heut mit heiler Haut davon kommt. Den Alten reitet wieder einmal der leibhaftige Gottseibeiuns.“
Der alte Soldat, der bereits einige zwanzig Dienstjahre zählte, kannte seinen Chef. Er wußte, daß derselbe jetzt eine eingehende Besichtigung der Batterie vornehmen würde, die freilich so Manches an das Tageslicht fördern konnte, was gerade nicht für das Auge des Obersten bestimmt war.
Und so kam es auch. Die Besichtigung fand zugweise statt.
„Der erste Zug – Stillgestanden!“ lautete das Commando.
Der Brigadier empfing die Meldung des Zugführers. Der Lieutenant v. W., der den ersten Zug der Batterie, commandirte, war ein Mann von vieler Gelehrsamkeit, sein Kopf war aber so überfüllt von Wissensschätzen aller Art, daß darin kein Raum mehr vorhanden war, um noch die Vorschriften des Dienst-Reglements aufzunehmen. Es war ein durchaus unpraktischer Officier, der beim Exerciren nicht selten vom Pferde fiel und dem die Ausführung der einfachsten Evolution mehr Kopfzerbrechen verursachte, als die Lösung der schwierigsten mathematischen Probleme.
Dies setzte ihn in den Augen des Obersten tief herunter, wozu noch kam, daß die geschniegelte und gebügelte Aeußerlichkeit des stets nach Moschus und Patschuli duftenden kleinen und schmächtigen Officiers dem alten, rauhen Feldsoldaten, der das Gezierte und Gemachte bis in den Tod haßte, entsetzlich zuwider war und ihn mit Verachtung und Widerwillen erfüllte.
Während der Meldung zuckten die grauen Augen des Alten musternd über die kleine Gestalt des Lieutenants. Plötzlich wandte er sich an den Capitain, und seine Stimme nahm einen hämischen Klang an, während es leise um seinen Mund fast wie Bosheit zuckte, als er sagte: „Was ist denn das für ein penetranter Geruch, der plötzlich in meine Nase steigt? Das riecht ja, als wenn die Batterie ein großer Käsekarren wäre. Das ist ja nicht auszuhalten. In dieser gräulichen Atmosphäre müssen Menschen und Pferde zuletzt den Dummkoller kriegen.“
Dem Lieutenant, der wohl wußte, daß mit dieser herben Auslassung seine bekannte Leidenschaft für starkduftende Parfüms gegeißelt werden sollte, stieg ein dunkles Roth in die Wangen, und es wollte ihm kaum gelingen, eine plötzliche innere Aufwallung von Zorn zu unterdrücken. Er schien nicht übel Lust zu haben, irgend eine rasche Entgegnung zu wagen, der Oberst hatte sich aber schon von ihm weggewendet, und indem er auf den Führer der ersten Haubitze, den alten Feuerwerker, zutrat, klärte sich sein finsteres Aussehen zu einem launigen Lächeln voll sichtbarer Befriedigung auf.
„Guten Morgen, mein alter Camerad,“ rief er, indem er dem Feuerwerker die Hand reichte, der hochaufgerichtet, geschmückt mit dem eisernen Kreuz, in soldatischer Haltung an dem Kopfe seines [122] Pferdes stand. „Wie geht es Ihnen? Haben Sie irgend einen Wunsch, den ich erfüllen kann?“
„Ich bin zufrieden, Herr Oberst, und habe nichts zu bitten.“
„Ja, ja, das dachte ich wohl,“ versetzte der Oberst. „Wir alten Campagne-Soldaten sind immer zufrieden und bescheiden, uns geht das hohe Selbstbewußtsein unserer jungen beepauletteten Gelehrten ab, die es meisterhaft verstehen, ihr winziges Ich durch die dreistesten Prätensionen hervorzuheben. Haben Sie schon gefrühstückt, mein alter Freund?“
„Zu Befehlen, Herr Oberst.“
„Na, aber einen Schluck Cognac aus meiner alten Feldflasche werden Sie doch nicht verschmähen?“
„Gewiß nicht, Herr Oberst. Ich kann, wenn es sich so macht, noch einen tüchtigen Hieb vertragen, und ein kleiner Bombenkessel voll bringt mich, Gott sei Dank, noch nicht aus der Schußlinie.“
„Ha, ha, ha! Das ist ja prächtig!“ lachte der Alte und schaute mit sichtlichem Behagen in das verwetterte Gesicht des alten, eisenfesten Soldaten. Mit einem bedeutungsvollen Seitenblick auf den parfümirten Lieutenant fügte er hinzu: „Doch sagen Sie das nicht zu laut, alter Camerad, das könnte Bauchgrimmen und Ohnmachten in der Batterie veranlassen. Die Feldsoldaten der jetzigen Zeit lieben das geistige Naß nicht, weil es eine Atmosphäre erzeugt, welche den Raupen schädlich ist, die in ihrem Gehirnkasten nisten!“
Nach diesen Worten, die von den Officieren mit tiefer Indignation vernommen wurden, rief er die Ordonnanz und gab derselben den Befehl, die Tasche mit dem Frühstück herbeizubringen.
Der Kanonier brachte eine große Ledertasche, deren Umfang die Vermuthung zuließ, daß sie einen reichen Vorrath an Speise und Trank enthielt.
Der Oberst überreichte dieselbe dem Feuerwerker, indem er sagte: „Nehmen Sie und langen Sie herzhaft zu; für mich findet sich wohl noch ein Schluck bei der Marketenderin. Ihre Leute können sich rühren. Bei Ihrem Geschütz bedarf es der Inspection nicht, ich weiß, daß da Alles in Ordnung ist.“
Er reichte dem Feuerwerker abermals die Hand, und indem er sich in Begleitung des Capitains zum nächsten Geschütz begab, sagte er mit fast weicher Stimme: „Schonen Sie, soweit es der Dienst irgend erlaubt, den alten Schnurrbart; es ist eine ehrliche Haut, wie sie heutzutage schon selten werden in der Armee. Wenn das Verdienst im Heere immer die gebührende Anerkennung fände, so müßte der Feuerwerker an der Spitze einer Brigade stehen, und Himmel-Granaten-Donnerwetter, ich bürge dafür, er würde dieser Stellung keine Schande machen. Aber die Cadettenhäuser und die leidigen Berufsprüfungen, dünkelvolle Aufgeblasenheit und junkerliche Anmaßung verschließen den Unterofficieren die Officier-Carriere und entziehen dem Stande so manchen tüchtigen Mann. Und das ist noch nicht das Schlimmste. Mit dem Gelehrtenschwindel schleicht sich auch jene Demagogie in die Armee, die da drüben in Frankreich so eben wieder einen Thron zerbrochen hat. Auch in der Brigade haben wir ein ganzes Rudel Demagogen. O, ich kenne sie wohl und werde sie schon zur rechten Zeit und in der geeigneten Stunde zu treffen wissen. Ich heiße Tuchsen, der Teufel soll sie fuchsen!“
Der Alte hatte sich in eine bedeutende Aufregung hineingeredet, und seine Augen blitzten unheimlich, als er vor dem zweiten Geschütz anlangte.
„Herr Hauptmann! lassen Sie die Bedienungsmannschaften nach der linken Seite der Batterie hinaustreten,“ sagte er kurz. „Die Unterofficiere und die Herren Zugführer bleiben an meiner Seite. Damit den Leuten nicht das Mittagessen in den Quartieren kalt wird, soll sich meine heutige Besichtigung darauf beschränken, nachzusehen, ob die Batterie nicht Contrebande mit sich fuhrt, d. h. mit solchen Gegenständen beladen ist, die weder zur vorschriftsmäßigen Bekleidung der Leute noch zur Ausrüstung der Pferde und Fahrzeuge dienen. Die Leute haben nämlich die schlechte Gewohnheit, sich in der Garnison eine Menge Quincaillerien anzuschaffen, von denen sie sich bei einem Ausmarsch nicht gern trennen. Den Artilleristen bieten nun die Fahrzeuge eine treffliche Gelegenheit, solche Gegenstände heimlich mitzuführen, und da werden denn namentlich die Kanonenrohre als Magazine des soldatischen Comforts benutzt. Ich kenne das aus langer Erfahrung und hege die Vermuthung, daß auch die Geschütze Ihrer Batterie, Hauptmann v. R., mit einer Munition geladen sind, die gerade nicht den preußischen Pulvermagazinen und Laboratorien entnommen ist.“
Und seine Mienen zu einer komischen Bedenklichkeit verziehend, sagte er zu dem Unterofficier, der das zweite Geschütz führte: „Schrauben Sie das Bodenstück der Haubitze hoch und nehmen Sie den Mundspiegel von der Mündung; ich bin doch neugierig, womit Sie geladen haben.“
Der Unterofficier brachte das Rohr durch die Richtschraube aus der horizontalen Lage, die es in der Laffette einnahm, und als die Mündung sich über den Stirnriegel zur Erde hinabsenkte, wurde der Mundspiegel gelöst, der die Mündung schloß.
Die verschiedensten Gegenstände schossen wie ein unerschöpflicher Strom aus dem Rohr auf die Erde nieder und lagerten sich hier in einem bunten Durcheinander zu den Füßen des Brigadiers, der ein Gelächter erhob, welches so heiser klang, wie das Geheul einer grimmigen Hyäne.
Die weite Mündung der Haubitze hatte aber auch ein Conglomerat der verschiedenartigsten Dinge ausgespieen. Die distinguirtesten Extraits und Parfüms, Vinaigre de Toilette, Bartwuchs-Erzeugungs- und Färbungs-Crême, lagen friedlich neben einem stinkenden, in schmutziges Papier gehüllten Ziegenkäse, lehnten sich vertraulich an einige Schachteln Glanzwichse und ruhten auf einem Topfe, der eine übelriechende weiße Salbe enthielt, welche wohl als Haarpomade gelten sollte. Kämme und Bürsten der verschiedensten Gattung, mehrere Spiele Karten, ein Schachbret, einige abgegriffene Banden salopper Romane, eine alte verbogene Kaffeemaschine von verrostetem Weißblech, einige Mützen mit dem streng verpönten Sammetstreifen, seidene Tücher, Vatermörder und vielfarbige Westen entwanden sich dem Geschütz und thürmten sich unter dessen Mündung zu einem kleinen Hügel auf.
„Da haben Sie die Bescheerung, Herr Hauptmann,“ rief der Oberst, während ein dunkles Roth seine Stirn bedeckte und seine Augen Feuer sprühten. „Sie müssen zugeben, daß sich aus dem, was dies Geschütz geliefert hat, eine Trödlerbude schon recht niedlich ausstaffiren läßt.“
Und indem er wüthend an dem Geschütz auf- und abrannte, schrie er mit einer Stimme, die weit in das Feld hinausschallte und die ländlichen Arbeiter auf das militärische Spectakelstück aufmerksam machte: „Ich möchte den ganzen Lumpenkram zu einer Sauce zusammenhacken lassen und davon den windbeutligen Millionenhunden der Batterie so lange löffelweise eingeben lassen, bis sie wie giftgeschwollene Ratten aufplatzen. Und gerade in meiner Brigade muß solche verteufelte Schweinerei passiren! Aber das kommt davon her, wenn der Herr Hauptmann solche Windbeutelei in der Brigade begünstigt und es sogar gern sieht, daß seine Kanoniere mit geöltem Haar und im dienstwidrigen Anzuge, wie die Paviane, mit allen möglichen Baumeleien behängen, in der Garnison umherflunkern dürfen; das kommt davon, wenn der Gesichtskreis des Herrn Lieutenants nicht über die Vega’sche Logarikhmentafel hinausreicht und der gelehrte Herr erst in der Dienstvorschrift nachsehen muß, ob Vinaigre de Toilette, eine Kaffeemaschine und ellenhohe Vatermörder nicht vielleicht zu der vorschriftsmäßigen Ausrüstung eines preußischen Artilleristen gehören.“
Der Capitain wollte eine Entgegnung wagen.
„Schweigen Sie,“ rief der Oberst mit einer Stimme, die vor Wuth bebte. „Hier giebt es nichts zu entschuldigen, auch habe ich Sie bis jetzt noch nicht nach Ihrer etwaigen Rechtfertigung gefragt, und bis dieses geschieht, muß ich recht sehr bitten, dieselbe zurückzuhalten. Ich liebe die Raisonnements nicht. Soll ich vielleicht demüthig um Verzeihung bitten, daß ich es gewagt habe, Ihre Batterie einer kleinen Inspection zu unterwerfen? Bomben und Granaten, ich heiße Tuchsen, – und wer es wagt, sich auch nur in Gedanken gegen mich aufzulehnen, dem sollen – der hat es mit mir zu thun!“
Der Capitain zitterte vor Zorn, sein Gesicht war bleich und blutarm, und die Blässe nahm jene bleibende Farbe an, die auf Gemüthserregungen hindeutet, die äußerst gefährlich sind. Doch ließ der Oberst es nicht zu einer Entgegnung kommen, indem er plötzlich auf den Führer der unglücklichen Haubitze losfuhr und den ihm wohlbekannten Unterofficier mit donnernder Stimme fragte: „Haben Sie das Geschütz vor dem Abmarsch, wie es Ihre ver– Schuldigkeit war, einer eingehenden Revision unterworfen?“
„Zu Befehlen – nein, Herr Oberst,“ entgegnete zitternd der Mann, der sich keiner besonderen Aeußerlichkeit erfreute und [123] die Gunst des Brigadiers durch eine Inclinations-Heirath verscherzt hatte.
„Bleiben Sie mir mit der dummen Phrase vom Halse,“ schrie der Oberst. „Sie sind ein alter verliebter Kater, eine scrophulöse Thränenfistel, den der liebe Gott in seinem größten Zorn zum Artilleristen gemacht hat.“ Und sich dicht vor ihn hinpflanzend, fragte er: „Darf ich wohl wissen, warum Sie das Ihrer Weisheit und Fürsorglichkeit anvertraute arme Geschütz nicht revidirt haben?“
„Die Zeit war zu knapp. Ich bin Futtermeister der Batterie und –“
„Und ein fauler Millionenhund,“ unterbrach ihn der Oberst, „dem ich die Tressen von der Uniform herunterreißen lassen müßte. Ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie es gekommen ist, daß Ihnen die Zeit zu knapp wurde. Da mußte Ihnen die geliebte ehehälftliche Thusnelda vor dem Ausrücken noch einmal Hektor’s Abschied vorerzählen, der liebenswürdige Erstgeborne konnte sich nicht trennen von der väterlichen Heldenbrust, das Nesthäkchen, die kleine Victorine, mußte des Königs Rock noch zum letzten Male einseifen, und als Sie sich endlich aus den Armen Ihrer unterofficierlichen Nachkommenschaft losgerissen, da war es freilich zu spät zu einer eingehenden Revision; die Batterie war bereits bespannt, und Sie meldeten flottweg, daß das zweite Geschütz marschfertig sei. Das kommt davon, wenn man den Soldaten das Heirathen gestattet und mit Kindern beschweren läßt, die – – – “
„Nun, nun, die muß der Kaiser ernähren;
Die Armee sich immer muß neu gebären!“
ließ sich plötzlich eine hellklingende Stimme mit vortrefflicher Accentuation der Wallenstein’schen Verse an seiner Seite vernehmen.
[137] Der Oberst fuhr bei dem heitern Gesang herum, als sei unerwartet hinter seinem Rücken eine Bombe geplatzt, und stand dem Fähnrich der Batterie gegenüber, der mit leuchtenden Augen furchtlos in das finstere Antlitz seines gewaltthätigen Chefs blickte, während ein Zug von schalkhafter Keckheit um seinen Mund spielte.
Der Fähnrich war noch sehr jung. Sein Gesicht strahlte von Gesundheit und Frische, und mit den blauen vertrauungsvollen Kinderaugen schaute er so unbekümmert in das Leben hinein, als sei er gegen jedes Unglück gefeit. Er war in einer ewigen Mazurek-Laune und hatte im gutmüthigsten Uebermuth einen wahren Heißhunger nach lustigen Schwänken und allerhand Unfug, womit er fast täglich gegen die Disciplin und die eisernen Gesetze der Subordination verstieß. Die kecksten Ungehörigkeiten, die jedem Andern die bitterste Verantwortung eingetragen hätten, durfte er ungestraft ausüben, sie wurden seiner Jugend, seinem übersprudelnden Lebensmuthe, seinem hellen Kopfe und den vielen hervortretenden soldatischen Eigenschaften zu gut gehalten, die sich schon in seiner gewinnenden Aeußerlichkeit aussprachen.
Der Oberst war ihm fast mit väterlicher Zärtlichkeit zugethan, und aus diesem Gefühl entsprang auch das sichtbare Bestreben, sein Aeußeres zur Ruhe zu zwingen, als er bemerkte, daß es der Fähnrich war, der die Verse recitirt hatte, durch die sein Straf-Sermon auf eine so ungewöhnliche Art unterbrochen wurde.
In tiefem Schweigen stand er einige Augenblicke dem jungen Mann gegenüber, der lächelnd in das zornfunkelnde Auge des beleidigten Officiers schaute, auf dessen Stirn eine schwarze Wetterwolke lagerte, die ihre Blitze in jedem Moment auf sein Haupt entladen konnte.
„Dem verzogenen Kinde gebührt die Ruthe,“ ließ der Oberst sich endlich mit mehr Zurückhaltung vernehmen, als nach dem Geschehenen zu erwarten war, und als er bemerkte, daß bei dieser Aeußerung ein Blitz der Entrüstung aus dem Auge des Fähnrichs schoß, setzte er mit gesteigertem Affect hinzu: „ja, die Ruthe, so habe ich gesagt, Herr Naseweis. Wenn ich Sie nicht für ein halbes Kind hielte, so müßte ich ein Kriegsgericht über Ihr Benehmen aburtheilen lassen, dessen Spruch Ihnen die Carriere zum General-Feldmarschall denn doch leicht verschließen könnte.“
In dem Gesichte des Obersten leuchtete bei dieser Auslassung die Gutmüthigkeit seiner innersten Natur wieder auf, und ein Zug von Laune legte sich um seinen Mund, als er fragte: „Was veranlaßte Sie denn eigentlich zu der Tollhäuslerei, mich auf eine so unverschämte Weise zu unterbrechen?“
„Ich wollte Ihren Zorn, Herr Oberst, von dem armen Unterofficiere ableiten,“ erwiderte der Fähnrich mit einem Freimuthe, wie ihn eben nur ein verzogenes Kind äußern darf. „Und fürchteten Sie denn nicht, diesen meinen Zorn auf Ihren eigenen kleinen Tollkopf hinabzuziehen?“ fragte der Oberst sehr ruhig.
„Ich fürchte und erwäge nicht erst lange, wenn es sich darum handelt, einem alten Soldaten aus der Patsche zu helfen,“ entgegnete der Fähnrich mit aufblitzenden Augen.
„Wahrhaftig, man kann dem Blitzjungen nicht böse sein,“ sagte der Alte fast freundlich. „Es steckt eine ehrliche Soldatennatur in dem knirpsigen Millionenhund, die sich giebt, wie sie gerade ist, und solchen Charakteren kann man schon einige Excentricität nachsehen.“
Sich nach dem Capitain zurückwendend fragte er: „Wie sind Sie denn mit der dienstlichen Führung des Windbeutels zufrieden?“
„Der Fähnrich ist ein tüchtiger Soldat und führt seinen Zug zu meiner vollen Zufriedenheit,“ entgegnete der Capitain mit absichtlicher Kürze.
„Na, das höre ich gern,“ sagte der Oberst, „es soll mich freuen, wenn ich bei Besichtigung des zweiten Zuges keinen Tadel aussprechen darf.“
Er wandte sich nach der Haubitze zurück und gab den Befehl, die Contrebande, wie er die in dem Geschütz aufgefundenen Gegenstände nannte, vor die Batterie zu bringen, und dort in die beiden Geleise des Weges zu legen, so daß die Räder der Fahrzeuge, wenn die Batterie ihren Marsch fortsetzte, nothwendigerweise darüber hinweggehen mußten. Gegen den Geschützführer verfügte er eine dreitägige Arreststrafe.
Hierauf ging er zur Besichtigung des zweiten Zuges über, den der Fähnrich führte. Der alte Herr revidirte mit einer peinlichen Genauigkeit, konnte aber nichts finden, was zu einem erheblichen Tadel Veranlassung gegeben hätte. Sogar die Kanonenrohre, die auf den Märschen das Magazin für die langen Pfeifen, Reitpeitschen, Spazierstöcke etc. abgaben, waren leer, was sich erklärte, wenn man beobachtet hatte, daß der Fähnrich diese Gegenstände während der Inspektion des ersten Zuges hinter dem Rücken des Obersten aus den beiden Röhren fortzuschaffen und in das hohe Gras des Chausseegrabens zu verbergen wußte.
„Eine solche Promptitude hätte ich dem leichtfüßigen Windbeutel kaum zugetraut,“ sagte der Oberst, und aus seinem Antlitz wichen die Wolken, die es bisher umzogen, während es dem Fähnrich kaum gelang, den lauten Ausbruch des Humors zu unterdrücken, der aus seinen Augen zuckte.
Der Oberst öffnete zuletzt einen Laffettenkasten, der eine Anzahl kleiner Gegenstände enthielt, die zur Ausrüstung des Geschützes gehörten. Auch hier herrschte musterhafte Ordnung, und jedes Ding lag an seiner Stelle.
Aber was war denn das? In dem Cartouchetornister, der reglementsmäßig seinen Platz im Laffettenkasten hatte, lag ein sorgfältig in Stroh gewickelter Gegenstand. Der Oberst bemächtigte sich desselben, beseitigte die Umhüllung, und aus einer wohl versiegelten Flasche blinkte ihm verlockend eine hellbraune Flüssigkeit entgegen.
„Himmel-Donnerwetter, das ist ja ein achtbares Getränk! eine wahre Gottesgabe!“ rief er mit komischer Emphase.
„Mein Frühstückswein, Herr Oberst,“ unterbrach ihn der Fähnrich mit großer Ruhe.
„Ei, ei! Ihr Frühstückswein! Es ist doch spaßhaft: während sein Brigadier sich mit einem Cognac begnügt, trinkt solch’ knirpsiger Millionenhund von Fähnrich Wein wie Wasser. Ich sollte meinen, Herr Leichtfuß, auf dem Marsche thut es wohl auch ein Schnaps.“
„Zu befehlen, Herr Oberst; aber um sich einen Schnaps kaufen zu können, muß man Geld haben.“
„Geld! nun ja, einige Groschen. Kostet denn aber der Wein kein Geld? Macht man sich vielleicht ein Vergnügen daraus, denselben den preußischen Fähnrichen als Tribut hochachtungsvoller Ergebenheit unentgeltlich darzureichen?“
„Das gerade nicht,“ antwortete der Fähnrich, „aber man darf sich nicht geniren, seinen Bedarf an Wein auf Credit zu entnehmen, während es den Stand doch tief heruntersetzen würde, wenn man einen Schnaps pumpen wollte. Nein, Herr Oberst, das geht wahrhaftig nicht.
[138]
„„Der Soldat muß sich können fühlen.
Wer’s nicht edel und nobel treibt,
lieber weit von dem Handwerk bleibt.““
Meinem Grade bin ich Rücksichten schuldig, die ich niemals aus dem Auge verlieren darf.“
„Seinem Grade! Ha, ha, ha!“ lachte der Oberst aus voller Brust, und sich dem Capitain zukehrend, setzte er hinzu: „Was der wohl für eine Vorstellung von seiner hohen Würde haben mag! Na, ich will es gerade nicht tadeln. Ein gewisses Selbstbewußtsein ziert und hebt den Mann, nur muß es nicht in Hochmuth und persönliche Aufgeblasenheit ausarten.“
Sich nach diesen Worten dem Fähnrich zuwendend, fragte er mit komischem Augenzwinkern: „Aber giebt es denn wohl in der ganzen Welt irgend einen Weinwirth, der leichtsinnig genug wäre, einem Fähnrich auch nur einen Schoppen auf Borg zu geben?“
„Der Herr Oberst dürfen überzeugt sein,“ entgegnete der junge Mann mit komischer Gravität, „daß es in einer anständigen Garnison keine noble Weinkneipe giebt, die einem Fähnrich nicht gern unbeschränkten Credit gewährt.“
„So, so!“ meinte der Oberst, während ein leichter Anflug von Humor um seinen Mund spielte, „nun kann ich es mir auch erklären, warum das Schuldenmachen im Officiercorps epidemisch ist und den alten General als letzte Leidenschaft noch in den Ruhestand begleitet. Ja, ja! jung gewohnt ist alt gethan. Überbezahlt ihr leichtsinnigen Millionenhunde solche Schulden auch rechtzeitig?“
„Gewiß, Herr Oberst,“ erwiderte der Fähnrich sehr ernsthaft, während ein leichter Farbenwechsel sich in seinem Gesichte zeigte. „Das sind ja Ehrenschulden, zu deren Tilgung man gern den letzten Heller aufbietet.“
„Na, das möchte ich den jungen Herren meiner Brigade auch anrathen!“ sagte der Oberst mit fast drohender Stimme. „Ich habe nichts dagegen, wenn der Soldat zur Zeit einen tüchtigen Hieb nimmt; das hält Leib und Seele zusammen und gehört zum Stande, wie das Pulver zur Kanone, aber was man genießt, muß auch bezahlt werden. Wer Schuldverbindlichkeiten eingeht, die er nicht lösen kann, ist ein ganz gemeiner Betrüger. Ein solches Subject müßte mit dem Staupbesen aus der Armee fortgewiesen werden. Merken Sie sich das, junger Mann, für das ganze künftige Leben. Uebrigens ist es unverzeihlich, daß Sie sich schon so früh an ein so starkes Getränk gewöhnen, wie der Madeira ist.“
„Madeira?“ fragte der Fähnrich mit einer Stimme, die Erstaunen und Verwunderung ausdrückte.
„Nun ja! Was giebt es denn dabei zu verwundern?“ entgegnen der Oberst, und indem er ihm die Etiquette der Flasche vor die Augen hielt, fragte er: „Ist dies denn etwa nicht Madeira?“
„Alter Dry-Madeira“ buchstabirte der Fähnrich mit langsamer Betonung. „Ja wahrhaftig, es ist Madeira. Da hat mein Bursche wieder einmal einen dummen Streich gemacht.“
„Ihr Bursche?“
„Zu befehlen, Herr Oberst, mein Bursche hat das versehen.
Ich schickte den einfältigen Menschen kurz vor dem Abmarsch der Batterie nach der Weinhandlüng, aus der ich meinen kleinen Bedarf zu beziehen pflege, mit dem Auftrage, eine Flasche Rheinwein zu holen, er scheint aber Madeira gefordert zu haben, einen Wein, von dem ich leider keinen Tropfen trinken darf, weil mir der Stabsarzt alle schweren, leicht ins Blut gehenden Spirituosen untersagt hat.“
„Was sind das wieder für Flausen? Was soll diese Flunkerei bedeuten?“ fragte der Oberst und musterte das Gesicht des Fähnrichs, in dem sich aber nichts entdecken ließ, als der Groll, den er über die Verwechselung der Weinsorten zu empfinden schien.
Das Gesicht in die traurigsten Falten legend, sagte er: „Da habe ich nun das abscheuliche Getränk, von dem ich keinen Tropfen genießen darf, auf dem Halse und weiß wahrlich nicht, was ich damit beginnen soll.“
„Nun, nun,“ beschwichtigte ihn der Alte, „abscheulich dürfen Sie diesen Wein nicht nennen; für den, der ihn vertragen kann, ist es eine wahre Gabe Gottes.“
„Dürfte ich es denn vielleicht wagen,“ fragte der Fähnrich mit halblauter und auffallend unsicherer Stimme, „dem Herrn Oberst die Flasche …“
Er stockte und wagte es nicht, den Satz zu vollenden.
„Also darauf läuft die Flunkerei hinaus?“ rief der Oberst lachend und blickte fast mit Zärtlichkeit auf den jungen Mann hinab. „Sie wollen, daß ich den Madeira annehmen soll, um mir Ersatz zu schaffen für den Cognac, den ich meinem alten Kriegscameraden, dem Feuerwerker, gegeben habe? Na, es ist gut gemeint, wenn es auch etwas dreist und ungewöhnlich, und darum will ich die Flasche nicht zurückweisen, um nach beendigter Inspection mit den Herren Officieren zum Abschiede wenigstens ein Glas auf das Wohl des Königs trinken zu können. Vielleicht erlaubt es Ihnen der Arzt bei dieser außerordentlichen Gelegenheit einen Tropfen mitzutrinken,“ schloß er seine Rede und wandte sich mit der Flasche unter dem Arm nach der Batterie zurück, um die Besichtigung fortzusetzen.
Die Inspection des dritten und vierten Zuges fand ganz in der bereits geschilderten Art statt. Der Oberst beschränkte sich darauf, die Geschützrohre zu untersuchen, und entdeckte auch hier verbotene Gegenstände in Hülle und Fülle, die er ohne Ausnahme in das Geleise des Weges legen hieß, um später die Räder der Batterie darüber hinweggehen zu lassen.
Am letzten Geschütz fand die Revision in der würdigsten Weise ihren Abschluß. Dem Rohre entwand sich nämlich unter vielen andern Gegenständen eine schmale, lange Pappenschachtel, die sorgfältig mit Bindfaden umschnürt war. Der Oberst zerriß ohne weiteres Bedenken den Bindfaden, öffnete den Deckel, und ein künstliches Machwerk von Tüll, Garn, Blumen und Bändern blickte ihm entgegen. Fast zaghaft, wie nach einem ekelhaften Gegenstände, faßte er mit zwei Fingern nach dem Ende eines Bandes und hob daran ein monströses Gebäude von Haube hervor, die sich an dem Bande kokett im Winde schaukelte.
„Millionen-Donnerwetter, eine Dormeuse!“ rief der Alte und streckte den Arm weit von sich, als fürchtete er, daß die Berührung der Haube ihn verunreinigen könnte.
„Unterofficier, wie kommt das abscheuliche Ding in das Rohr?“ fragte er den betreffenden Geschützführer.
„Ich weiß es nicht,“ stotterte der lange, dürre Mensch, dessen bleiches Gesicht von Dummheit und Beschränktheit strahlte.
„Sie wissen es nicht, Herr Schafskopf? Ja, das konnte ich mir schon denken,“ schrie der Alte, und indem er mit der linken Hand dem Unterofficier den Tschako vom Kopfe schlug, setzte er ihm schnell die Haube auf, die sich wie ein elastisches Spinngewebe fest um das bebartete Antlitz des Soldaten schloß.
„Die Dormeuse kleidet den dummen Millionenhund, als wär’ sie eigens für seinen Kürbiskopf gemacht,“ sagte der Oberst und stimmte in das Gelächter ein, welches dieser Auftritt in der Batterie veranlaßte.
„Was, meine Paradehaube uf sonnen dämlichen Kappralskopp!“ ließ sich plötzlich eine krähende Stimme vernehmen, und gleichzeitig langte eine magere braune Hand nach dem Haupte des Unterofficiers hinauf und zog ihm mit einem raschen Griff das leichte Gewebe von der in Angstschweiß gebadeten Stirn.
„Sich da, Mamsell Pretiosa!“ rief der Alte überrascht aus und trat unwillkürlich vor einer kleinen vertrockneten Frauengestalt einen Schritt zurück.
„Jawohl, Mamsell Pretiosa, Ihnen zu dienen, Herr Oberst,“ sprudelte dieselbe hastig heraus und starrte den Alten aus großen schwarzen Augen so giftig an, wie eine Natter, die man getreten hat.
Die Dame, welche so unerwartet handelnd in die Scene eingriff, war die Marketenderin der Batterie, ein altes Inventarienstück, das unter dem Namen Mamsell Pretiosa in der ganzen Brigade bekannt war. Sie war eigentlich eine preußische Eroberung. Nach der Schlacht bei Dennewitz war sie nämlich mit einem Trupp gefangener Franzosen in die Hände der Preußen gefallen und hatte sich ihnen freiwillig angeschlossen, obgleich sie damals kaum zwanzig Jahre zählte. Sie wollte eine Waise sein und von ihrer Geburt und Abstammung keine Kenntniß haben. Sie sprach aber schon damals geläufig deutsch, was zu der Vermuthung führte, daß sie von deutschen Eltern abstammte. Die Freiheitskriege hatte sie als Marketenderin bei einer Jäger-Abtheilung mitgemacht, nach dem zweiten Pariser Frieden sich aber der siebenten Artillerie-Brigade attachirt, der sie seit jener Zeit fast ausschließlich angehörte. Von dem Oberst wurde sie ganz besonders protegirt, weil sie einen höchst vorzüglichen Cognac führte und mit seltener Treue an der ihm untergebenen Brigade hing. Sie erwiderte die Neigung des Alten und war eine enthusiastische Verehrerin desselben, wenn auch in diesem Augenblick aus ihren Augen tausend Blitze wie eben so viele vergiftete Pfeile auf ihn niederschossen.
[139] „So, also dies leichte Häubchen,“ prustete sie heraus, „das ich mir für mein sauer erworbenes Geld angeschafft habe, um bei dem Einzuge in Paris anständig erscheinen zu können, dürfen die sechs Pferde, die an das leichte Kanon gespannt sind, nicht einmal mitziehen? Ne jo nich! Dat wird den lieben Thierchens zu schwer, danach könnten sie dämpfig werden, das muß sie herunterbringen, wenn auch für die gefräßigen Beester von den armen Jungens gestohlen wird, daß kein Halm im Felde und kein Korn in der Scheune vor ihren Griffen mehr sicher ist.“
„Halt sie den Rand, alte Meerkatze,“ unterbrach sie der Oberst mit donnernder Stimme, „oder ich lasse ihr das Schandmaul mit einem Borstwische zustopfen. Geb’ sie die Dormeuse heraus, die muß in das Geleise zu den andern Sachen der Contrebande. Ich gestatte keine Ausnahme.“
„Was, — wie nennen Sie meine ehrsame Haube?“ krähte die erboste Marketenderin dem Alten entgegen. „Ne, hören Sie mal, wenn ich sone dicken Epuleppen auf den Schultern und sonen gewaltigen Federhut auf dem Kopp drüge, so würde ich mich schämen, sonen dummen Ausdruck zu brauchen. Ne, das paßt sich ganz und gar nicht für einen Brigadier von die schwere Artollerie.“ Und während sie die linke Hand auf die Hüfte stemmte und mit der rechten die Haube triumphirend um ihr Haupt schwang, setzte sie hinzu: „Also eine alte Meerkatze bin ich, na nu? Aber wenn ich bei Wind und Wetter, im Sturm und Regen der Batterie nachkeuche und der Herr Oberst endlich selbst bei meiner Cognacflasche Erquickung sucht, ja dann bin ich die scharmante, liebe Mamsell Pretiosa, die den Hosenknopporden haben soll und die in solchem Augenblicke die liebenswürdigste Person in der ganzen Welt ist. O, wenn ich man reden wollte, ich könnte von einer Zeit erzählen, wo manches stolze Auge gar wunderlich unter dem Federhute auf die Meerkatze herabblickte und …“
„Um Gotteswillen, keine Enthüllungen aus Ihrer Rosenzeit, Mamsell Pretiosa,“ unterbrach sie der Alte, „dabei könnte uns unwohl werden und ein moralischer Katzenjammer überkommen. Geben Sie die Haube heraus, und wir bleiben gute Freunde.“
„Nun und nimmermehr, Herr Oberst!“ entgegnete die Marketenderin mit großer Entschiedenheit. „Meine Vierthalerhaube unter die Räder! Das wäre noch besser! Ich trage glücklicherweise nicht die Zwangsjacke Ihrer Brigade, Sie haben mir eigentlich gar nichts zu befehlen, und lieber gehe ich mang die Husaren, so lieb mir auch meine schwarzen Jungens sind; ich darf da doch wenigstens auf eine anständige Behandlung rechnen.“
„Was läßt sich mit der alten Hexe anfangen?“ fragte der Oberst den Capitain, der mit einem schadenfrohen Lächeln dem Auftritte beigewohnt hatte. „Die alte Meerkatze ist toll genug, ihre Drohung wahr zu machen, und verlieren möchte ich sie nicht gern; in Zeiten der Noth ist es ein wahrer Edelstein für die Batterie.“
Nach einem kurzen Nachsinnen wandte er sich an die Marketenderin, und seinem Gesichte den freundlichsten Ausdruck gebend, sagte er: „Wir wollen Frieden schließen, Mamsell Pretiosa. Behalten Sie Ihre Haube und holen Sie Ihren Korb heran, ich habe verteufelten Durst.“
Während die Marketenderin mit strahlendem Gesicht wie eine Schlange davonglitt, um den Befehl des Alten möglichst schnell in Ausführung zu bringen, kehrte sich dieser dem Capitain zu und ein wunderlicher Ausdruck, aus Befriedigung und Humor gemischt, ging durch seine Züge, als er sagte: „Ich darf nicht ungerecht sein, Hauptmann v. R., wenn die Paradehaube der Mamsell Pretiosa verschont bleibt, kann ich die übrigen Gegenstände der Contrebande unmöglich der Zerstörung preisgeben. Lassen Sie dieselben durch den Quartiermeister aufnehmen und in dem nächsten Quartier an die Eigenthümer zurückgeben. Ich bitte Sie aber, dafür Sorge zu tragen, daß die Leute dergleichen nicht weiter mitschleppen, denn in einem Feldzuge, wie er uns doch hoffentlich bevorsteht, werden solche Dinge äußerst lästig und behindern und geniren den Mann bei jeder Gelegenheit. Es wird sich schon ein Trödeljude finden, der den windbeutligen Millionenhunden die Sachen abkauft; den Groschen, den sie daraus lösen, mögen sie vertrinken oder auf eine andere Weise verjubeln. Ein kleines Vergnügen ist den Leuten zu gönnen, die Zeit der Noth wird früh genug eintreten. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß ich mit Freigebung der Sachen auch die Strafen, welche ich heute dictirte, erlassen habe. Und damit mag diese Angelegenheit vergessen sein.“
Dem Hauptmann die Hand reichend, fügte er hinzu: „Es gereicht mir zur Freude, Ihnen sagen zu können, daß mich die Haltung und Ausrüstung der Batterie in hohem Grade befriedigt hat. Die kleinen Ungehörigkeiten, die ich zu rügen hatte, kommen überall vor und können der guten Meinung, die ich von Ihrer Batterie habe, keinen Abbruch thun. Und nun lassen Sie uns zum Abschiede noch zusammen ein Glas trinken.“
Er reichte die Madeiraflasche, die er bisher beständig unter dem linken Arme getragen hatte, der Marketenderin hin, welche sie schnell entkorkte. Den feurigen Inhalt derselben vertheilte er in fünf große Gläser und bat die Officiere, sich eines solchen zu bemächtigen. Sein Glas hoch emporhebend rief er: „Ich trinke auf das Wohl unseres Kriegsherrn. Seine Majestät der König lebe hoch!“ Während dieser Toast in einem dreimaligen Hurrah der Artilleristen seinen Wiederhall fand, leerte der Oberst sein Glas bis auf den letzten Tropfen. Hierauf griff er salutirend an den Hut und der Batterie gute Quartiere wünschend, bestieg er sein Pferd, sprengte im Galopp davon und war in wenigen Augenblicken den Augen der Artilleristen entschwunden.
Auf den Vorschlag des Fähnrichs wurde die Paradehaube der Marketenderin, weil sie den Erlaß der von dem Brigadier verfügten Strafen veranlaßt hatte, von jetzt ab die „Amnestiemütze“ genannt, und so oft Mamsell Pretiosa ihr würdiges Haupt damit schmückte, wurden der Dame von den Artilleristen diejenigen Ehrenbezeigungen erwiesen, womit die Officiere begrüßt wurden. Sie nahm diese Auszeichnung als ein ihr zustehendes Recht auf, und blieb der Batterie bis an das Ende ihres ereignißreichen Lebens mit unwandelbarer Treue ergeben.
- ↑ Der obenstehende Artikel rührt von dem nämlichen Verfasser her, welcher der Gartenlaube schon im Jahrgange 1859 eine Reihe von frisch und keck gezeichneten Garnison- und Paradebildern geliefert und dieselben mit Hinzufügung einiger neuen Skizzen kürzlich unter dem Titel: „Militärische Zeit und Charakterbilder. Von G. Ladendorff“ im Verlage des Magazins für Literatur in Leipzig veröffentlicht hat. Auch in unserm beutigen Bilde giebt die originelle Figur des Oberstlieutenants von Tuchsen, die schon von Hackländer’s gewandter Feder, wenngleich mit einiger poetischer Licenz, so lebendig gezeichnet worden ist, den Mittelpunkt ab, um welchen sich die Darstellung gruppirt. D. Red.