Die Bewohner des Mundes

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Autor: Dr. St.
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Titel: Die Bewohner des Mundes
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 505–508
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Bewohner des Mundes.


Der Mund dient dem Menschen, außer zu den höheren Zwecken der sprachlichen Mittheilung, als vorbereitende Werkstätte der Ernährung, sowie als Durchgangsraum für die zum Leben des Organismus notwendige atmosphärische Luft.

Wir haben in einem früheren Aufsatze („Gartenlaube“ Nr. 4, 1879) nachgewiesen, daß die gesammte Natur, besonders aber die großen Sammelstätten der Menschen, die volkreichen Städte, in Luft und Boden von Milliarden mikroskopischer Lebewesen, den Mikrokokken und Bakterien, bevölkert sind. Man kann sich von der Menge dieser Gebilde einen Begriff machen, wenn man in ein dunkles Zimmer einen Sonnenstrahl einfallen läßt. In dem Lichtstrahle erglänzen alsdann viele Tausende auf- und abfliegender Pünktchen, die sogenannten Sonnenstäubchen. Diese bestehen nicht allein aus Staubtheilen, wie deren Name besagt, sondern auch aus zahlreichen schwebenden Pilzkeimen, welche größtentheils, wie schon früher erörtert, einer Gattung angehören, die im Gegensatze zu denjenigen Arten, welche epidemische Krankheiten hervorrufen sollen, dem menschlichen Organismus keinen directen Schaden zufügen. Ebenso wie in der Luft, finden sich solche Keime auch im Wasser, im Boden und durch fortwährendes Niederschlagen des mikroskopische Staubes, welchem sie beigemengt sind, an allen Gegenständen, die wir berühren, mithin auch an den Nahrungsmitteln, die wir genießen.

Gelangen Luft und Speisen in den Mund, so werden gleichzeitig Millionen von, wenn auch unschädlichen, Pilzkeimen dem Organismus zugeführt, im Munde finden sowohl einzelne Theile der Speisen wie auch die mit denselben dahin gelangenden Lebewesen zwischen den Zähnen und auf der rauhen Oberfläche der Zunge eine Haltestätte. Kleine, daselbst einige Zeit verweilende Speisereste gehen allmählich durch Vermittelung der in den Mund übergeführten Bakterien in Fäulniß über. Es wird dadurch ein Nährboden für die Entwickelung und Fortpflanzung einer Unmasse niederer, nur mit den stärksten Mikroskopen sichtbarer Thierchen und Pflänzchen gebildet. Bringt man etwa den zehnten Theil der Größe eines Stecknadelkopfes von dem an dem Grunde der Zähne bei vielen Menschen sich findenden gelben Zahnschleime auf ein Objectglas, zerdrückt die Masse zu einer möglichst dünnen Schicht und legt, geschützt durch ein sogenanntes Deckgläschen, das auf diese Weise gewonnene Präparat unter das Mikroskop[1], so macht das Bild den Eindruck eines mit allen möglichen Pflanzenwucherungen bedeckten und durch Thiere belebten kreisrunden Teiches.

Zwischen gegliederten Halmen wimmelt es von Tausenden kleiner Würmchen, welche hin- und herstürmen, sich gegenseitig zu verfolgen oder mit einander Spiel zu treiben scheinen, sich zeitweise vermehren, zeitweise vermindern und dem Auge stundenlang das Bild eines wunderbar wilden Naturlebens im Kleinen darbieten. Die vielen glasig-durchsichtigen, im Wachsthume sich spaltenden Halme stellen Fäden mikroskopischer Pilzwucherungen dar, welche im Munde überall angetroffen werden, wo sie Ruhe zu weiterer Entwickelung finden. Infusorienartige Keime, welche in dem Sehfelde des Mikroskopes sich tummeln, bilden theils die mit den Pilzwucherungen in einem ursächlichen Zusammenhange stehenden Spirillen, Bakterien und Mikrokokken, theils sind es wirklich kleine Thierchen (Infusorien), welche ihr fruchtbares [506] Zeugungsgeschäft unter dem Schutze der Pilzrasen ausüben. Unsere Fig. 1 giebt in 250,000facher Flächenvergrößerung ein naturgetreues mikroskopisches Bild von dem organischen Treiben, wie es dem Forscher bei derartigen Untersuchungen der Mundflüssigkeit sich erschließt. Wir sehen vor Allem auf der linken Seite des runden Sehfeldes einen Büschel, der wie ausgerissenes farbloses Gras aussieht. Es ist eine Partie der in jedem menschlichen Munde vorkommenden niederen Pflanze, des Mundpilzes, Leptothrix buccalis, dessen feindliche Wirkung für die menschlichen Zähne wir später noch näher kennen lernen werden.

Außerdem entdecken wir in dem gleichen Raume eine Anzahl von kleineren und größeren, theils rundlichen, theils ovalen Gebilden, welche sich, bei dem Einblicke in das Mikroskop mit großer Schnelligkeit vor dem Auge des Beschauers hin- und herbewegen, infusorienartige Geschöpfe, Denticolae oder Zahnthierchen genannt, denen sich eine große Zahl beweglicher Mikrokokken und Bakterien beigesellen.


Fig. 1. Zahnschleim.
(Vergr. 500 = 250,000malige Flächenvergrößerung.)


Weiter wird das Bild von einer andern Gattung von Organismen belebt, den Mundspirillen. Solche haben eine große Aehnlichkeit mit den in dem Aufsatze „Mikrokokken und Bakterien“ („Gartenlaube“ Nr. 4, 1879) erwähnten gefährlichen Spirochäten, die als Krankheitsursache des Rückfalltyphus bezeichnet wurden. Dagegen sind unsere heutigen, spiralförmig sich lebhaft durch das Sehfeld schlängelnden Gebilde äußerst harmlose Geschöpfe, die, ohne Schaden anzurichten, fast in jedem menschlichen Munde angetroffen werden. Die in dem Bilde zerstreut liegenden, verhältnißmäßig großen Kugeln, welche ein bis drei kleinere Kügelchen sowie eine große Menge selbst bei den stärksten Vergrößerungen nur als Punkte erscheinender Körnchen in sich schließen, sind lebende Zellen. Die Pünktchen in denselben befinden sich in einer beständigen kreisenden Bewegung. Wir haben hier ein Gebilde vor uns, welches man früher als ein kugelartiges Infusorium (Volvox) angesehen, auch wohl mit dem Namen Protococcus dentalis oder zu deutsch „Zahnurthierchen“ bezeichnet hat.

Die diesen Mittheilungen zu Grunde liegenden vergleichenden Untersuchungen aber haben ergeben, daß wir es hier nicht mit selbstständigen thierischen Gebilden, sondern mit längst bekannten Bestandtheilen des Mundschleims, den sogenannten Speichelkörperchen des Mundspeichels zu thun haben, welchen bei der vorbereitenden Thätigkeit der Mundflüssigkeit für die Magenverdauung die Aufgabe der chemischen Umwandelung stärkemehlhaltiger Substanzen in Dextrin und Zucker zugewiesen ist. Oftmals platzt während der Beobachtung eine solche Kugel unter dem Sehfelde und ergießt ihren schwirrenden beweglichen Inhalt zwischen die übrigen Gebilde. Es ist wohl denkbar, daß es sich hier ebenso wie bei dem Zusatze der pilzhaltigen Hefe zum Biere um ein belebtes Ferment einen Gährungskörper handelt.

Schließlich haben wir noch der stäbchenförmigen Cylinderchen, zur Gattung der Spaltpilze oder Schizomyceten gehöriger Pflänzchen, sowie der großen unregelmäßig geformten zackigen Figuren unseres Bildes zu gedenken; letztere sind abstoßende Elemente aus der Mundschleimhaut, sogenannte Pflaster-Epithelzellen, Theile des mikroskopischen Parquetbodens, mit welchem die ganze Mundhöhle ausgepflastert ist.

Wenn wir nun bedenken, daß in der Mundhöhle alle zur Bergung der erwähnten Infusorienwelt sich eignenden Ecken und Winkel belebt sind, so können wir uns einen Begriff der Milliarden von Mundbewohnern machen, die jeder Mensch mit sich herumträgt. Daß reinliche Menschen, welche täglich den Mund mit geeigneten Mundwässern oder Zahnpulvern säubern, bedeutend weniger derartiger Gebilde mit sich herumtragen, als unsaubere Individuen, deren Hauch schon die faule Lebewelt verräth, von der ihr Mund jahraus, jahrein bevölkert wird, braucht wohl nicht besonders betont zu werden. Antiseptische, das heißt Fäulnißorganismen vernichtende Medicamente sind demgemäß auch die geeignetsten Zahnreinigungsmittel. Ein gutes Mundwasser zum Ausspülen wird mit der in bedeutender Verdünnung aufzulösenden Salicylsäure dargestellt, und als bestes und einfachstes Zahnpulver haben wir fein pulverisirte Lindenkohle befunden; zum Mundausspülen und Gurgeln allein hat sich das salicysaure Mundwasser trefflich bewährt, während Zahnpulver, welche Salicylsäure enthalten, nicht zu empfehlen sind; deren Gehalt an Salicylsäure verdirbt allmählich den Schmelz der Zähne, die kohlenpulverhaltigen Zahnreinigungsmittel dagegen reinigen nicht nur in mechanischer Weise den Mund, sondern sie entfalten dabei auch eine antiseptische oder fäulnißwidrige Wirkung.

Das organische Leben in der Natur zählt nach vielen Jahrtausenden. Neue Reihen lebender Geschöpfe haben die Thiergattungen untergegangener Welten ersetzt. In den Gebirgsschichten, welche vornehmlich aus Kalkstein und Kreide bestehen, finden sich bekanntlich die merkwürdigsten Versteinerungen größerer Gebilde; nicht minder bekannt ist die Thatsache, daß manche jener Mineralien Millionen von Infusorienformen einer versteinerten mikroskopischen vorsündfluthlichen Lebewelt erkennen lassen.

Durch allmähliche Niederschläge wurden die in den Gewässern lebenden Infusorien mitgerissen und beispielweise zu jener weißen Masse zusammengekittet, welche wir Kreide nennen. Ganz der gleiche Proceß spielt sich täglich im Munde des Menschen ab. Der gelbe Zahnstein, ein Stoff, der fälschlicher Weise „Weinstein“ genannt wird, besteht einzig und allein aus den versteinerten Niederschlägen der den Mund bevölkernden Infusorien und Pilzbildungen. Ein mineralischer Kitt wird nach und nach aus dem Speichel abgesondert, welcher sich unter Mitführung der den Mund belebenden Infusorienwelt an den Winkeln und Ecken der Zähne niederschlägt. Zerdrückt man eine Spur Zahnstein unter dem Mikroskope, so findet man in demselben alle jene Formenelemente, die wir als Bewohner des Mundes zuvor kennen gelernt haben. Nach den Untersuchungen des auf diesem Gebiete verdienstvollen Zahnarztes Schrott in Mühlhausen im Elsaß besteht der Zahnstein aus 60 Procent Infusorialresten, 10 Procent mikroskopischen Pflanzengebilden und 15 Procent der Körperchen, die wir als Bakterien und Mikrokokken bezeichnet haben, außerdem aus 10 Procent Speiseresten und Zellen der Mundschleimhaut, sowie aus 5 Procent der in dem Speichel löslichen Salze, welche den erwähnen Kitt für die versteinerten Gebilde abgeben. Besonders an den Sammelplätzen der Infusorien verbinden sich deren kalkhaltige Ueberreste mit der Mundfeuchtigkeit und den Speichelausscheidungen zur Bildung des Zahnsteins. Man hat berechnet, daß zur Erzeugung eines Stückchens Zahnstein von der Größe eines Kubikmillimeters (Stecknadelkopfgröße) 10 bis 11 Millionen Zahnthierchen und Zahnpflänzchen nöthig sind. Das Ausfallen der Zähne wird vielfach durch diesen Zahnstein veranlaßt, welcher das Zahnfleisch allmählich bis auf die Zahnwurzel auflockert und herabdrückt. Rechtzeitiges mechanisches Entfernen der Concremente ist daher für die Erhaltung der Zähne ein dringendes Bedürfniß.

Alle erwähnten kleinen Geschöpfe sind, solange noch an den Organen des Mundes, vornehmlich an den Zähnen, kein Defect entstanden ist, abgesehen von ihrer Unappetitlichkeit, dem menschlichen Organismus in den meisten Fällen unschädlich. Ist aber an dem Schmelz eines Zahnes durch irgend einen unglücklichen Zufall, etwa durch ein in den Mund gelangtes Sandkorn, ein Riß oder ein Sprüngchen entstanden, so beginnen sofort die Mundpilze ihr Zerstörungswerk. Sie setzen sich in den feinen Spalt des Zahnschmelzes in Form punktförmiger Kügelchen fest [507] und wuchern fadenschießend sowohl nach oben gegen die Mundhöhle, wie nach unten in das Innere des Zahnes hinein.


Fig. 2. Kranker Zahn.
(Vergr. 6 = 36malige Flächenvergrößerung.)


Jeder Zahn (Fig. 2) besteht aus verschiedenartig gebildeten Stoffen, erstens aus einer die Zahnkrone bildenden äußern festen und harten glasartigen Emailmasse, dem Zahnschmelze (Fig. 2 a) und zweitens aus der eigentlichen Zahnsubstanz oder dem Zahnbeine (Fig. 2 b). Letzteres ist aus einem System unzähliger nach der Mitte sich erstreckender parallel laufender Röhrchen, den Zahn-Canälchen, zusammengesetzt. Ein dritte Substanz endlich umgiebt die Zahnwurzeln von außen und bildet das knochenartige Cement oder den Zahnkitt (Fig. 2 c). Diese Knochenmasse beginnt als eine dünne Lage da, wo der Schmelz aufhört, und verkittet gleichsam die Zahnwurzel mit dem Kieferknochen. Jeder Zahn hat in seiner Mitte einen Hohlraum (d), welcher durch einen oder mehrere Canäle (g i) mit dem Blutkreislaufe und dem Nervensystem des gesammten Organismus in Verbindung steht. Jene Canäle durchsetzen die Zahnwurzeln von g bis i und führen Blutadern und Nerven, welche sich in dem Innern des Zahnes zu Netzwerken auflösen, um demselben Ernährung und Empfindung zu übermitteln. Die Gesammtheit der Ader- und Nervenverästelungen in der Innenhöhle eines Zahnes nennt man die Zahnpulpa (d).

Unsere Figur 2 stellt in 36facher Vergrößerung einen zweiwurzeligen Backenzahn dar, dessen Zahnschmelz in Folge einer Verletzung bei f einen kleinen Sprung erhalten hatte. In diesen Sprung, welcher bei der erwähnten Vergrößerung wie ein klaffender Abgrund aussieht, haben sich Pilzkeime eingelagert, von der umgebenden Zahn-Emailmasse wie von einer Schutzmauer gedeckt. Von den körnchenförmigen Keimen, der sogenannten Matrix, gehen reichliche Pilzfäden aus, welche nicht nur in der kleinen Höhle sich verbreiten, sondern auch durch die erwähnten Zahncanälchen hindurch nach dem Innern, nach der Stätte der Lebensthätigkeit des Zahns, der Zahnpulpa (d) fortwuchern. Die knöcherne Masse wird hierdurch anfangs dunkler gefärbt; später werden die Canälchen ausgedehnt und allmählich durch Ueberwucherung zerstört. Auf diese Weise beginnen die Zähne hohl zu werden. In einem bestimmten Momente, oft ganz plötzlich, tritt jener wahnsinnige Schmerz auf, welcher den Leidenden zum Zahnarzte führt. Es ist dieses der Augenblick, wo die Zahncaries (Fäulniß) und die Pilzkeime die im Innern des Zahnes sich verbreitenden Nervenästchen erreicht haben. Nach Reinigung der kranken Höhle findet sich gewöhnlich, daß die Zerstörung des Zahnbeines bis zu den Zahnnerven und zu der Zahnpulpa vorgedrungen ist.

In welch kolossalem Grade solche Pilzwucherungen das Zahnbein zerstören können, ist aus unserer Figur 3 ersichtlich. Die Abbildung stellt ein Stückchen durch Pilzwucherungen zerklüfteten Zahnbeins in 200facher Linearvergrößerung dar.


Fig. 3. Durch Pilze zerstörtes Zahnbein.
(Vergr. 200 = 40,000fache Flächenvergrößerung.)


Wir sehen hier, daß die wie Grashalme emporschießenden Pilzbildungen das früher noch sehr feste Zahngewebe zertrümmert haben, indem sie ihre feinkörnigen rundlichen Keime in millionenfacher Anzahl zwischen die Bruchstücke des Zahngewebes hindurchschoben. Unsere Abbildung giebt einen lebhaften Begriff von der raschen Lebensthätigkeit dieser niederen Pflanzen-Parasiten.

Die Hauptaufgabe eines rationellen Zahnarztes ist heutzutage, durch geeignete antiseptische oder pilztödtende Mittel, nachdem er die Höhle mechanisch gereinigt hat, die Krankheitserreger zu vernichten. Eine vortreffliche antiseptische Methode, durch Fäulniß erkrankte Zähne zu heilen, hat ein intelligenter Zahnarzt, Herr Adolph Witzel in Essen an der Ruhr, erfunden und seine Erfahrungen auf diesem Gebiete in einem mit vorzüglichen Abbildungen geschmückten Werke, betitelt: „Die antiseptische Behandlung der Pulpakrankheiten des Zahnes“, niedergelegt.

Die meisten Menschen sind in Bezug auf die Behandlung ihrer Zähne höchst leichtsinnig. Würde Jeder, sobald sich an irgend einem Zahne durch Vermittelung des feinsten Tastinstrumentes, das wir besitzen, der Zunge, eine kleine Krankheit oder Vertiefung bemerkbar macht, sofort zur Reinigung und Ausfüllung, der sogenannten Plombirung, sich entschließen, bevor Fäulniß und Pilzwucherung weiter in die Tiefe vorgedrungen sind, so würden viele Schmerzen erspart und mancher sonst noch vortreffliche Zahn erhalten bleiben können.

In seltenen Fällen kommt es übrigens vor, daß auch lebensgefährliche Pilzwucherungen in den Zahnhöhlen ihr Unwesen beginnen und von da aus ihre zerstörenden Keime auf dem Wege der Blutcirculation nach anderen Körpertheilen aussenden. In Figur 4 ist auf Grund einer genauen, nach der Natur wiedergegebenen mikrophotographischen Darstellung ein etwas seltener Zahnhöhlenpilz zu sehen, welcher seine Keime unter Umständen in den Organismus überwandern läßt und dadurch Blutvergiftung (Pyämie) herbeiführen kann. Die kolbigen Enden einzelner Pilzfäden öffnen sich und lassen die Keime des Pilzes, die Pilzsporen, frei austreten. Diese in unserer Figur als kleine Kugeln vielfach sichtbaren Fortpflanzungsorgane gelangen aus der Zahnhöhle in den Blutkreislauf. In dem Eiter von Zahngeschwüren hat man den Beginn der Pilzentwickelung aus solchen Sporen mehrfach beobachtet und von hier aus deren Verschleppung nach inneren Organen, wie der Lunge, der Leber, der Milz etc. folgen können.

Viele Aehnlichkeit hat der in Fig. 4 abgebildete Fadenpilz mit einer Form, welche sich oft in dem Munde kleiner Kinder, besonders solcher, die mit künstlicher Nahrung aufgefüttert werden, vorfindet. Es ist dies der sogenannte Soorpilz oder das Oidium albicans, ein Gebilde, welches, wenn der Mund der Säuglinge nicht regelmäßig gereinigt und ausgewaschen wird, sich oft auf [508] der Zunge und dem inneren Theil der Wangen in Form eines weißen schleimigen Beleges bemerklich macht. In verschiedenen Gegenden Deutschlands wird dieses sehr lästige Leiden der Säuglinge mit dem Namen „Schwämmchen“, „Mundfäule“ oder auch mit „Mehlkraut“ bezeichnet.


Fig. 4. Zahnpilze aus hohlen Zähnen.
(Vergr. 700 = 490,000fache Flächenvergrößerung.)


Es finden sich bei unreinlich gehaltenen Kindern ähnliche Belege auch an der Ausgangsöffnung des Mastdarms und verursachen hier einen gelblich weißen Ansatz, der eine empfindliche Entzündung hervorruft.

Auch die grün gefärbten, halbverdauten Abgänge der Säuglinge sind meist mit Pilzkeimen durchsäet, welche den Darmcanal durchwandert und die Verdauung beeinträchtigt haben.

Viele Mütter und Wartefrauen pflegen den Mund der kleinen Kinder mit Rosenhonig auszupinseln oder mit feingeriebenem Zucker auszureiben. Durch ein derartiges unsinniges Vorgehen machen sie sich einer unverzeihlichen Sünde gegen die Kleinen schuldig. Zuckerhaltige Stoffe mehren die Entwickelung der Pilzkeime, bezwecken demnach gerade das Gegentheil von dem, was erreicht werden soll. Einzig und allein Auswaschen des Mundes mit reinem oder vier bis fünf Tropfen einer Salicylsäurelösung (ein Gramm Salicylsäure auf dreißig Gramm Alkohol) enthaltendem Wasser ist die rationelle Methode zur Beseitigung des Soorpilzes und anderer Verunreinigungen der kindlichen Mundhöhle.

Einer der gefährlichsten Bewohner des menschlichen Mundes ist der Diphtheritispilz, ein Giftkeim, welcher leider nur allzu oft den kindlichen Organismus befällt und zerstört und dessen trauriger Existenz schon vielfach in diesen Blättern Erwähnung gethan wurde. Auch heute wollen wir seiner nicht vergessen, denn wir sind in der Lage, unsern Lesern eine vortreffliche Abbildung der Keime dieses Todfeindes des Menschengeschlechtes zu bringen. Der Pilz selbst ist bis jetzt noch nicht in seinen verschiedenen Entwickelungsformen ergründet, aber seine Abkömmlinge finden sich in Form von Milliarden punktförmiger Mikrokokken in der Schleimhaut der Rachenhöhle, auf den Mandeln und bei weiterer Verbreitung auf dem Kehlkopfe und der Innenseite der Luftröhre auf- und eingelagert. Die Pilzkeime durchwuchern hier nicht nur die berüchtigten Membranen, sondern auch die oberflächlichen Schichten der Schleimhaut, gelangen auf dem Wege der Blutbahnen in den Organismus, und rufen dann jene gefürchteten Erscheinungen der Diphtherie hervor, welche nicht mehr als eine locale Erkrankung, sondern als die gefährlichste aller allgemeinen Infectionskrankheiten zu betrachten ist.


Fig. 5. Diphtheritispilze.
(Vergr. 500 = 250,000fache Flächenvergrößerung.)


In der Abbildung Fig. 5 begegnet uns ein Stückchen einer solchen diphtheritischen Membran, eine jener gefürchteten Häute, welche die Luftröhre der Befallenen verschließen und zu den schrecklichsten Erstickungsanfällen Veranlassung geben. Wir sehen hier zwischen dem faserigen Gewebsnetze Millionen kleiner rundlicher Pünktchen eingestreut. Von hervorragenden Forschern auf diesem Gebiete sind dieselben als die dem Organismus so sehr feindlichen Pilzkeime oder Mikrokokken erkannt worden. Auch hier hat sich wiederum, wenn zu geeigneter Zeit und im ersten Stadium der Krankheit angewandt, die örtliche Anwendung pilzzerstörender Medicamente besonders heilsam und lebensrettend erwiesen.

Aus der Gesammtheit unserer Mittheilungen geht hervor, daß einzig und allein eine aufmerksame Pflege der Mund- und Rachenhöhle vor den lästigen Parasiten und den durch dieselben herbeigeführten, zum Theil sehr gefährlichen Krankheiten schützen kann. Ebenso wie man im öffentlichen Leben es jetzt als eine Hauptaufgabe der Gesundheitswirthschaft betrachtet, durch Reinhaltung der Städte, der Luft und des Bodens epidemische Krankheiten von der Gesammtheit fernzuhalten, ganz in gleicher Weise und nach gleichen Grundsätzen hat der Einzelne gegenüber seinem eigenen Ich zu verfahren. Vorkehrungen der Reinlichkeit setzen uns oft allein in den Stand, uns und die Unseren vor unsäglich schwerem Leid zu bewahren.
Dr. St.
  1. Zu den unbestreitbar hervorragendsten Fabrikanten von Mikroskopen zählen in Deutschland gegenwärtig Hartnack in Potsdam, Zeiß in Jena und Seibert (Seibert u. Krafft) in Wetzlar; von letzterem wurde das vorzügliche Instrument gebaut, mit Hülfe dessen die unsere Mittheilungen begleitenden mikroskopischen Abbildungen angefertigt worden sind.