Die Blinden-Anstalt zu Dresden

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Autor: Herbert König
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Titel: Die Blinden-Anstalt zu Dresden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 427-430
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[427]
Die Blinden-Anstalt zu Dresden.

Der Herr mein Licht

Diese rührende Inschrift begrüßt uns beim Eintritt in das Asyl der Unglücklichen. Alt und Jung huscht an uns vorüber, in jener unstäten Hast, die den Sehelosen eigen, stolpert oder schleicht die Treppe hinauf, fast ohne das Geländer zu berühren, und verliert sich in die dunkeln Gänge des Hauses. Diese summen ein Lied vor sich hin. Jene verzehren mit bestem Appetit ihr Vesperbrod, wenige stehen still in sich gekehrt – doppelt unser Mitleid in Anspruch nehmend –, im Gegentheil geht es hier so lustig und ungebunden zu, daß man sich fragen möchte: sind das Menschen, denen der Himmel seine schönste Gabe verweigerte?

Eine fröhliche Melodie tönt aus der Ferne. Wir treten in einen hellen, geräumigen Saal, und gegen neunzig Sänger empfangen uns mit einem Lied an den Frühling, den sie nie sahen. Diese Stimmen sind rein und unschuldig, dieser Gesang athmet Frohsinn und Heiterkeit, und dennoch empfanden wir nie tiefer die Strophe des englischen Dichters: „Ihr munteren Sänger, ihr brecht mir das Herz noch“, als er sein Lied schrieb „vom armen geblendeten Finklein“. Meist Kindergesichtern, oft dem zartesten Alter angehörend, begegnet unser Blick; die Hände wie zum Gebet gefaltet, sitzen sie da, vom Kleinsten bis zum Größesten, immer in derselben Haltung stiller Ergebenheit und Duldung.

Am häufigsten erscheint die Blindheit unter den Kindern der Armen, und so ist fast auch allen diesen Gesichtern der Stempel der Armuth aufgedrückt, den selbst die sorgfältigste Ausbildung des Geistes und Herzens nie ganz zu verwischen vermag. Das sind die gleichen dürftigen Gestalten mit den großen, spitz zulaufenden Köpfen, den niedrigen Stirnen, den stumpfen oder überlang gestreckten Nasen, wie man sie in dem sächsischen Erzgebirge findet, welches auserkoren scheint, vor allen übrigen Districten des Landes bei Weitem die größte Zahl dieser Armen zu liefern. Auffallend genug, haben hingegen die Meisten feine, wohlgebildete Hände, oft mit den schönsten Nägeln versehen, weil diese Hand ängstlich geschont werden muß, die ihnen, da sie ja betasten müssen, was sie kennen und verstehen wollen, die Stelle des Auges vertritt. Man sieht hier Hände, wie sie in den Kreisen der höchsten Aristokratie nicht schöner anzutreffen sind – ein Beweis, wie Schönheit nicht immer angeboren ist, sondern zum großen Theil anerzogen werden kann. Unter dem weiblichen Theile der kleinen, sich durchschnittlich auf hundert Köpfe belaufenden Gesellschaft finden sich natürlich meist glücklichere Physiognomien, als unter dem männlichen; und wir würden auf manchem Gesicht mit innigstem Gefallen weilen, starrte uns nicht jener todtleere Ausdruck des verschleierten Auges entgegen, oder wäre es nicht auf immer geschlossen, während der Körper noch auf der Erde wandelt. Doch wir dürfen uns auch hier um so weniger gegen die Ordnung der Dinge auflehnen, als die Natur in ihrem hohen Vergeltungs- und Gerechtigkeitsprincip statt des einen fehlenden Sinnes die andern bis in’s Unendlichste schärfte – ja um so weniger, als dies Unglück großentheils durch die Menschen selbst, durch Vernachlässigung und Unreinlichkeit, hervorgerufen wurde, indem es bewiesen ist, daß Kinder selten blind geboren werden!

[428] Unter der freundlichen und lehrreichen Führung des Directors der Anstalt, Dr. Georgi, besuchen wir nun die übrigen Lehr- und Unterrichtssäle, und ein Bild des geschäftigsten Treibens, der unermüdlichsten Thätigkeit und Geschicklichkeit entrollt sich vor unsern Blicken. Wahrlich, hier hat der menschliche Scharfsinn, gepaart mit der erhabensten Geduld und Humanität, Alles gethan, die armen Mitgeschöpfe auf möglichst gleiche Stufe mit uns Vollsinnigen zu stellen, hier ist Nichts unterlassen, Nichts unberücksichtigt geblieben, dem Blinden ein geistiges Auge zu erschließen, mit dessen Hülfe er arbeitet, lernt und strebt, als ob er den Verlust des körperlichen nicht zu beklagen hätte. Dieses geistige Auge, leuchtend aus finsterer Nacht, regiert seine Hände, schärft sein Gehör, Gefühl und seine Gedächtnißkraft in einem Maße, daß diese Wesen die ganze Größe ihres Unglücks kaum ahnen, sondern sich in ihrer kleinen Welt vielleicht glücklich und zufrieden fühlen. Das Seelenleben der Blinden ist gleich geheimnißvoll wie die letzten Momente Sterbender – aber gewiß haben sie Phantasiegebilde, Erscheinungen und Träume so holder Art, wie Gesunde sie niemals schauen werden.

Geographischer Unterricht.
Director Georgi mit zwei Zöglingen.

Dr. Georgi war u. A. so gütig, in unserer Gegenwart geographische Uebungen mit einigen blinden Mädchen vorzunehmen. Diese standen alsbald vor einer großen Karte, deren Länder erhaben gearbeitet waren, die Hauptstädte durch Metallknöpfe bezeichnet, das Ganze aber überzogen mit Quadraten aus Messingdrähten. Nun ging es an ein Fragen der bekanntesten, wie entferntesten Städte, nach Seen, Meerengen, Gebirgen und Canälen, und kaum war die Frage ausgesprochen, so glitten die zarten Finger der Mädchen in erstaunlicher Schnelligkeit von Süd nach Nord, von Ost nach West, und bezeichneten die fragliche Stelle.

Director Georgi, eine Autorität in Deutschland und weit über dessen Grenzen hinaus, ein Mann des gründlichsten Wissens und der ausgebreitetsten Erfahrungen, zeigte hier wie später die glücklichste Umgangsweise mit seinen Zöglingen. Wo es passend schien, flocht er ein gütiges Wort, sogar einen leichten Scherz ein, und man sah immer ein leises, gückliches Lächeln auf den Gesichtern der armen Blinden, so oft eine scherzhafte Bemerkung von den Lippen dessen floß, der wie ein Vater unter seinen Kindern stand und durch heitere Worte und milde Reden Balsam in ihre liebebedürftigen Herzen streute. Wenn wir daher unsern Lesern das Bild dieses Mannes vorführen, dessen ebenso bescheidenes, als mühevolles Wirken Jeden mit Achtung erfüllen muß, glauben wir nur einer Pflicht genügt zu haben.

Der Schreib- und Leseunterricht ist jedenfalls der mühsamste für Lehrer und Schüler. Zu diesem Zweck hat der Franzose Louis Braille[WS 1] eine Punktirschrift erfunden, welche die Blinden in Stand setzt, sowohl unter sich, wie mit ihren Lehrern in schriftlichen Verkehr zu treten. Zu unserer Abbildung geben wir folgende kurzgefaßte Erläuterung: der blinde Zögling hat eine Zinktafel vor sich, deren Oberfläche von gleichlaufenden, wagerechten Linien durchfurcht ist, sodaß das Ganze einem sorgfältig gepflügten Felde gleicht. Quer über die Tafel legt er eine messingene Schablone, die zu beiden Seiten sich dem Holzrahmen der Tafel genau anschmiegt und über denselben herumgreift, sodaß sie bequem herauf und herunter geschoben werden kann, ohne aus ihrer winkelrechten Lage zu kommen. Die Schablone ist ungefähr ein Zoll breit und durch dieselbe eine Doppelreihe länglicher Vierecke geschlagen. Ein jedes dieser Vierecke ist so hoch, daß es drei Furchen oder Linien erscheinen läßt, in welche, nachdem unter die Schablone ein Blatt starkes Papier gelegt wurde, mit einem mäßig spitzen Griffel hineingedrückt und somit das Papier durchstochen wird. Jedes der Vierecke läßt Raum für zwei nebeneinander stehende Punkte, weshalb jede der Oeffnungen sechs Punkte zuläßt, aus welchen Baille durch die mannichfachsten Variationen ein Alphabet zusammensetzte und seine Punktirschrift erfand. Noch ist zu bemerken, daß [429] der schreibende Blinde von rechts nach links anfängt, seine Buchstaben zu stechen, weil er, nach vollendeter Schrift, das Papier umkehren muß, indem sich dann die Punkte erhaben zeigen. Sodann liest (oder vielmehr tastet) er von links nach rechts, wie jeder sehende Lesende.

Punktirschrift für Blinde von L. Baille.

Um die Blinden über die Benutzung, Hervorbringung und Einrichtung der Dinge belehren zu können, müssen sie vor Allem die Gestalt der Körper ohne Rücksicht auf ihren Stoff, sowie den Stoff und die Bestandtheile derselben ohne Rücksicht auf ihre Form kennen und unterscheiden lernen. Deshalb hat man ein sogenanntes „Allerlei“ angelegt, das aus den nur erdenklichsten Gegenständen besteht, um den Tastsinn zu üben und zu schärfen. Sorgfältig nachgebildete Thiere aller Gattungen, Fabrikate, Metalle, Gewebe u. s. w., kurz man findet hier eine Weltausstellung im Kleinen.

Wir verlassen nun den Schulunterricht, um uns zu den älteren Blinden zu begeben, die mit Korbmachen, Rohrstuhlflechten und Seiledrehen beschäftigt sind. Man sieht hier Geflechte vom ordinairsten Weidenkorbe bis zum kleinsten Luxuskörbchen, Schiffstaue, wie die feinsten Schnuren, und Netze, Matten und Decken aus dem gröbsten, heimischen Roggenstroh, wie aus dem Bast der fernen Cocosfrucht. Die Turnanstalt mit den umfassendsten Apparaten, wie die Seilerei befinden sich in dem Garten, der mit seinen vorzüglichen Anlagen das stattliche Gebäude umgibt. Eine immer frische Luft weht von den nahen Bergen herüber, deren Quellen die Anstalt mit dem gesündesten Trinkwasser versehen.

Ein Schreibender.

Der Zweck, die Grund-Tendenz der Anstalt, ist die Erziehung und Ausbildung erblindeter Personen zur Erwerbsfähigkeit; denn die größere Abhängigkeit von der Hülfe Anderer, die Hülfsbedürftigkeit des Blinden macht sein Unglück aus. Je weniger hülfsbedürftig also, desto weniger unglücklich ist er. Dies war der leitende Gedanke, der im Jahre 1809 den Privatgelehrten Immanuel Gottlieb Flemming, im Verein mit seiner Gattin, bewog, eine kleine Privatblindenanstalt zu gründen, die sich noch nicht über den Kreis einer Familie ausdehnte. Diese kleine Anstalt, von Jahr zu Jahr sich ausdehnend und an Bedeutsamkeit gewinnend, ging 1830 als Landesanstalt an die Staatsregierung über. Sie hat bereits ihr fünfzigstes Jahr vollendet und gehört unter die älteren in Deutschland, indem ihr nur die Anstalten in Wien vom Jahre 1804, in Berlin von 1806 und in Prag von 1808 vorangehen. Sie ist lediglich Bildungsanstalt für unheilbare (einheimische) Blinde; Heilung von blos augenkranken und vorübergehend blinden Personen, oder lebenslängliche Versorgung von hilfsbedürftigen, namentlich bildungsunfähigen Blinden schließt sie daher aus. Ihr ganzer Organismus ist auf Erziehung und Ausbildung unheilbarer Blinder zur Erwerbsfähigkeit berechnet.[1]

Korbflechterin.

Es besteht demnach in der Anstalt eine Elementarschule, in welcher blinde Kinder bis zur Confirmation in den gewöhnlichen Elementarfächern, so wie im Lesen und Schreiben fühlbarer Schrift unterrichtet werden. Für alle diese Unterrichtsgegenstände sind die nöthigen Hülfs- und Versinnlichungsmittel vorhanden und werden mit einem Erfolge in Anwendung gebracht, welcher die aus der Schule austretenden befähigten Zöglinge, soweit dies Blinden überhaupt erreichbar ist, an geistiger Bildung den aus den hiesigen Elementarschulen hervorgehenden Katechumenen als gleichstehend erscheinen läßt! Höhere wissenschaftliche oder künstlerische Bildung wird nicht angestrebt. Die Zöglinge treten daher nach Abschluß des Schulunterrichts in eine Arbeitsanstalt über, welche in eine Korbmacher-, Seiler- und Schuhmacherwerkstatt und eine Unterrichtsanstalt für weibliche Arbeiten sich spaltet. Für alle diese Beschäftigungen sind die nöthigen Lehrkräfte und Beschäftigungs-Apparate vorhanden. In diese Anstalt werden auch ältere, [430] nicht in derselben erzogene Blinde in der Absicht aufgenommen, sich durch einen oft nur wenige Monate währenden Aufenthalt einige technische Erwerbsfähigkeit anzueignen. Dieser Arbeitsunterricht bezweckt, die Pfleglinge in den Stand zu setzen, durch selbstständigen Betrieb eines der genannten Handwerke ihr Fortkommen zu suchen und hierdurch in die Lage zu kommen, der Unterstützung ihrer Heimathgemeinden und der Beihülfe der Barmherzigkeit entbehren zu können.

Musik und Gesang erlernen fast alle Zöglinge, soweit irgend eine Befähigung dazu vorhanden ist. Virtuose Ausbildung hingegen wird nicht angestrebt. In der Regel lernen die Blinden mehr als ein Instrument spielen, um sich künftig als brauchbare Mitglieder einem kleinen Musikchore anschließen zu können. Solche Blinde aber, welche ihre musikalische Geschicklichkeit für eine bettelhafte, umherschweifende Lebensweise mißbrauchen, Jahrmärkte und sonstige Volkslustbarkeiten bereisen, und als Bänkelsänger oder musicirende Bettler der Barmherzigkeit zur Last fallen, treten durch diese unangemessene, auch die Sittlichkeit gefährdende Beschäftigung außer Verbindung mit der Anstalt und verlieren den Anspruch auf ihre Unterstützung. Dagegen erscheint das Anleiten der musikalisch befähigten Blinden zum Pianoforte-Stimmen als sehr nützlich, und es wird daher denen, die sich durch besondere Schärfe des musikalischen Gehörs auszeichnen, der nöthige Unterricht hierin ertheilt.

Die Erzeugnisse der Hausmanufactur sind in einem eigenen Saale zum Verkaufe ausgestellt, und der Ertrag davon, der sich jährlich auf 3–500 Thaler beläuft, wird zu dem Fond für Entlassene geschlagen, welcher theils durch Beiträge oder Hinterlassenschaft mildthätiger Privaten, theils durch Staatszuschuß gegründet wurde. Denn die Erfahrung hat es gelehrt, daß Bildung allein in den meisten Fällen doch nicht ausreicht, dem Blinden eine selbstständige Stellung in der bürgerlichen Welt zu erringen. Man sah oft die besten Früchte der Erziehung wieder verloren gehen. Sich selbst überlassen in einer ihnen fremden Welt, scheiterten nicht selten die besten und arbeitstüchtigsten Blinden an der einfachen Schwierigkeit, daß ihnen nach ihrem Austritte aus der Anstalt die leitende Hand fehlte, die ihnen mit Sachkenntniß und Liebe über scheinbar oft geringe Schwierigkeiten hinweghalf. Sie verfielen in Muthlosigkeit, versanken in Unthätigkeit, verlernten aus Mangel an Uebung die mühsam errungenen Geschicklichkeiten und vermochten, wie früher, nur unter dem Beistande der Barmherzigkeit ein verkümmertes Dasein zu fristen.

So weit irgend möglich, wird daher jeder Blinde vor seiner Entlassung mit allen Nothwendigkeiten des Lebens, auch mit einigem Gelde ausgestattet. Für die ersten Jahre wird hierdurch der Blinde der wichtigen Sorge für seinen Anzug fast gänzlich enthoben. Sodann wird Sorge getragen, ihn mit den nöthigen Handwerkszeugen und einigem Arbeitsmaterial zu versehen. Zu diesem Behufe werden die Zöglinge von Kindheit an sorgfältig zur Sparsamkeit angehalten und in ihrem Gebahren mit Gelde überwacht. Dadurch, daß ihnen von ihren Arbeiten ein Fünftheil des Reingewinns bei monatlicher Ablieferung der von ihnen gefertigten Waaren als Taschengeld baar ausgezahlt wird, ist ihnen die Gelegenheit geboten, den Werth und Gebrauch des Geldes kennen zu lernen und sich in der Sparsamkeit zu üben. Nicht selten erlangt auf diese Weise ein Zögling, wenn ihm nebenher noch kleine Geschenke von diesem oder jenem Gönner zufließen, eine Baarschaft von zwanzig Thalern, Mancher aber fünfzig und sechzig Thaler, eine Summe, welche in den meisten Fällen genügt, ihrem Besitzer den selbstständigen Betrieb eines kleinen Geschäftes zu sichern.

Vor der Entlassung aus der Anstalt nun bemüht sich die Direction, an dem künftigen Wohnorte des Blinden einen gebildeten Menschenfreund zu ermitteln, welcher es auf sich nimmt, seinen Schutzbefohlenen liebreich zu bevormunden, seine fernere Verbindung mit der Anstalt brieflich zu vermitteln und von Zeit zu Zeit über das Befinden, Verhalten, die etwaigen Bedürfnisse und Wünsche seines Pfleglings an die Anstalts-Direction zu berichten. Alljährlich unternimmt auch der Director eine Reise in den einen oder andern Landestheil, um sich durch eigenen Augenschein von den Verhältnissen der entlassenen Zöglinge zu überzeugen und ihnen sowohl, als ihren Ortsobrigkeiten und Vormündern rathend und helfend an die Hand zu gehen.

Die gewöhnlichste Form, unter welcher schließlich nach erfolgter Entlassung Unterstützungen an Blinde ertheilt werden, ist in der Hauptsache folgende. Die Gewinnung eines guten und wohlfeilen Arbeitsmaterials hat für die Blinden, besonders auf dem Lande und in kleinen Städten, immer große Schwierigkeiten. Theils können sie immer nur in geringen Quantitäten kaufen und kaufen also theuer, theils müssen sie sich hierbei, da sie die Waare mit dem Tastsinn nur unvollkommen zu erproben vermögen, fast ganz der Redlichkeit der Verkäufer überlassen. Es besteht also die Einrichtung, daß die Blinden in allen Theilen des Landes ihr Arbeitsmaterial jederzeit in der Blinden-Anstalt kaufen können. Zu diesem Zwecke werden hier die Materialien aus erster Hand im Großen erkauft, und in den kleinsten Quantitäten zu den Einkaufspreisen an die Blinden wieder abgelassen. So erhalten dieselben unter Garantie der Anstalt nicht blos ein gutes, sondern auch sehr wohlfeiles Arbeitsmaterial, und dies hat dann in vielen Fällen schon allein die nothwendige Folge, daß auch die blinden Arbeiter bei Fleiß und Mäßigkeit von dem Ertrage ihrer Thätigkeit leben und, weil ihnen an ihren Fabrikaten ein höherer Gewinnantheil verbleibt, als den gewöhnlichen Handwerkern, die Concurrenz mit ihnen bestehen können. Diese erfreuliche Erfahrung aber erhält ihre Lust zur Thätigkeit rege und treibt sie zur emsigsten Benutzung ihrer Zeit. Auf diese Weise wird es möglich, einen geschickten blinden Arbeiter mit einem geringen Opfer von jährlich wenigen Thalern ohne jede weitere Behelligung der öffentlichen Wohlthätigkeit zu unterhalten, ohne ihm die Freude am selbstständigen Schaffen zu verleiden, oder ihn zum bloßen Empfänger demüthigender Barmherzigkeit hinabzudrücken.

Und so laßt uns scheiden von dieser Anstalt – doch nicht gleichgültigen Herzens. Sie ist eine Stätte der aufopferndsten Liebe, der unendlichsten Sorgfalt. Sie gleicht einer guten Mutter, welche das kranke Kind am zärtlichsten liebt.
H. Kg.



  1. Alle wissenschaftlichen, technischen und administrativen Bemerkungen sind den besten vorhandenen Vorlagen entlehnt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Baille