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Die Brüder (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Brüder
Untertitel: Von C. L. Vogel
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
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Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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The Brothers.     Die Brüder.

[164]
Die Brüder.
Von C. L. Vogel.

Der Schöpfer dieses ausgezeichneten Bildes ist Christian Leberecht Vogel, ein in der Künstlerwelt oft genannter und geschätzter deutscher Historienmaler. Er ward 1759 zu Dresden geboren. Sein Vater, welcher bei Hofe angestellt, bestimmte ihn für seine Beschäftigung, obgleich sich bei dem Knaben das entschiedenste Talent für seine Kunst zu regen begann. Noch sehr jung, machte Vogel Aufsehen durch seine Zeichnungen und Malereien, namentlich durch seine Portraits, wie er denn als kaum 12jähriger Knabe sein eigenes Portrait in Pastell vollendete.

Der Hofmaler Schönau ward auf den vielversprechenden Knaben aufmerksam und nahm denselben als seinen Schüler an. Rasch bemächtigte er sich der Elemente seiner Kunst, und begann auf der Kunstakademie zu Dresden mit so glänzendem Erfolge seine Studien, daß ihn die Akademie als ihren Pensionair annahm. Im Jahre 1780 verließ der Künstler Dresden und begab sich nach Wildenfels im Erzgebirge, um die Familie des Grafen Solms zu malen. Erst im Jahre 1804 kehrte er von hier als Mitglied der Kunstakademie nach Dresden zurück, ward in Folge seiner theoretischen Kunstkenntnisse 1814 an derselben Professor und starb den 6. April 1816.

Vogel blieb der ursprünglich von ihm aus einer Art unbewußten Triebes eingeschlagenen Richtung, derjenigen des Portraits, getreu und versuchte von hier aus seinen Aufschwung in die höheren Regionen der Kunst zu nehmen. Fast alle seine größeren historischen und Genre-Stücke weisen auf diese Portrait-Richtung zurück. Im Portrait war Vogel ausgezeichnet; es war seine Lieblingsbeschäftigung, dergleichen zu malen. Er lieferte daher eine große Anzahl derselben, die sich sämmtlich durch eine klare, mehr anmuthige, als scharfe und schlagende Charakteristik bemerklich machen.

Unter seinen größeren historischen Stücken verdient das Altarblatt in der Kirche zu Lichtenstein hervorgehoben zu werden.

[165] Eine höchst geistreiche Auffassung, eine leichte und gefällige Anordnung seiner Gegenstände, zeichnet unsern Künstler aus. An Zartheit seines Pinsels ist er unvergleichlich und seine Zeichnung athmet die hinreißende Weichheit Raphaelischer Formen. Vogel vermag es aber nicht, sich seiner Individualität zu entäußern, besser, darüber hinauszuschreiten, um sich durch den Glanz und die Macht des Colorits über das Anmuthige und Sanfte zu erheben.

Die Perspective vernachlässigt Vogel sehr, er ignorirt sie nicht selten. Er scheint es wie absichtlich zu verschmähen, durch umfassende Composition, oder durch Beiwerk das Interesse des Beschauers zu zersplittern und die Aufmerksamkeit desselben von einigen wenigen Menschengestalten abzulenken, welche er mit dem ganzen Reichthum seiner schöpferischen Phantasie ausgestattet hat.

Vogel ist, ungeachtet seiner fleißigen Studien, namentlich der italienischen Meister, durchaus deutsch geblieben.

Das vorliegende Bild, in welchem sich der Künstler vielleicht auf seine höchste Höhe gestellt hat, charakterisirt ihn vollkommen.

Ein tiefpoetisches, heimliches, lautloses Leben und Weben, eine Innerlichkeit, die sich so zwanglos gestaltet, als sei sie nur durch einen aus tiefster Brust ausgehauchten, seelenvollen Seufzer zum sichtbaren Sein geschaffen, bewundern wir namentlich in diesem Bilde Vogels.

Ein unendlicher Reiz ist über die beiden Kinderfiguren ausgegossen. Das ist nicht blos die Idylle, die blauäugige, engelsanfte, fesselnde, deutsche Göttin Vogels! Hier erkennt man durchaus dichterisches umfassendes Ergreifen des Lebens, seinem vollen Inhalte nach. Man findet hier nicht nur das außerordentlich entwickelte Talent eines Künstlers – und in der That kommt Vogel selten hierüber hinaus – sondern es läßt sich hier eine geniale Composition nachweisen und eine solche, welche aus dem wahrsten Wesen Vogels und aus seiner Grundrichtung, dem Portrait, geradewegs hervorging, und daher mehr als ganze Reihen seiner übrigen Bilder für ihn und seinen Gehalt Zeugniß ablegt.

Diese „Brüder“ nämlich könnten Portrait sein, so unmittelbar schließt sich die hier hervortretende künstlerische Conception Vogels an das nicht blos wahre, sondern wirkliche Leben an. Sie könnten es sein, sinds aber nicht. Es finden sich hier keine zufälligen – schlechten – Besonderheiten, kein Eigenthümliches – als höchstens der deutsche Nationaltypus – es findet sich kein Apartes, wodurch das Portrait in seiner niedern, dem universellen Zenith als blos individueller Nadir gegenüberstehenden, Richtung befangen bleibt.

In den Brüdern sind die Individuen zu Trägern des allgemeinen Begriffs hindurchgedrungen, ohne daß jedoch das Individuelle diesem Begriffe aufgeopfert wäre.

Vogel hat in seinen „Brüdern“ keine bloßen Kinder, sondern das Kindesalter, die erste Jugend gemalt. Eben durch den großartigen Inhalt dieses in die Welt der Gestaltung getretenen Begriffs, eben durch die Macht dieser hier vollständig zur Erscheinung gekommenen Idee besitzt dieses Bild – in seinem von aller Symbolik entkleideten wahren Leben – eine fesselnde, bezaubernde, unterjochende Gewalt.

Die Brüder sind kein Idyll mehr, nur das im ewigen Frieden und waffenlos Bezaubernde des Idylls zeigt sich als ein Attribut desselben. Dieses sich selbst genügende, wahrhaft [166] paradiesische Sein, der mährchenhafte Beginn des zum Bewußtsein sich hinkämpfenden Menschenlebens, steht hier eben in seiner reizenden Hülflosigkeit und Waffenlosigkeit, eng an das höchste Leben, an die Liebe gebunden, den übrigen Phasen des menschlichen Daseins überwältigend, siegreich gegenüber.

Es ist die ewige nur in der Kindheit sich abspiegelnde Mythe einer goldenen Zeit, die unverlöschbare Geschichte vom Garten Eden, die Jeder sich als letztes Ziel setzt, eben weil sein Ursprung darin wurzelt.

Schaut diese Brüder an, mag es ein Greis, mag es Mann oder Weib, Jüngling oder Jungfrau sein! Sobald der erste, durch das blos Aeußerliche einer vollendeten Formenschönheit bewirkte, Zauber einen Wunsch aufkommen läßt, so zeigt er sich bei Jedem in dem Gedanken: Wäret Ihr Kinder doch die meinigen! Euch, Euch möcht ich als mein eigenstes Eigenthum besitzen!

Ein ergreifend poetischer, wehmüthiger Gedanke! Du willst, nach der Bedeutung des Bildes, welche wir vorhin herauskehrten, nicht etwa diese Kinder selbst, Du willst die Kindheit, Deine Kindheit, Dein Eden, Dein Paradies in ihnen besitzen, welches Dir rückwärts entschwand, während Du dasselbe vorwärts noch nicht zu fassen vermagst! Die vollkommene Glückseligkeit, die göttliche Existenz, die Du nie wieder als nur in Hoffnung in der wirklichen Welt erreichen wirst, die Dir dann noch unerreichbar ist, wenn das Auge zum letzten Schlummer sinkt!

Deutest Du jetzt, sinniger Beschauer, den unendlichen Reiz dieser Kindergruppe?

Der allgemeine Gehalt zwar, wozu sich der liebenswürdige Künstler in diesen „Brüdern“ aufschwang, kann, auf Dich selbst bezogen, unendlich variiren. Immer aber wird er Dich fesseln! Er kann lieblich, sanft, rührend, elegisch sich in Dein Leben voll edler, freier, menschlicher Anstrengungen und Genüsse schlingen! Eben seines göttlichen Genügens wegen wird dieser Inhalt aber gepanzert in schreiendem Contrast mit der Wirklichkeit sich dem von widerwärtigen, blos materiellen Interessen bewegten Leben mit scharfer Kante gegenüberstellen, und entweder ein bitteres Zürnen mit der wirklichen Umgebung oder melancholische Trauer veranlassen, bis die in dem Gedanken des jenseitigen Gartens der ewigen Jugend liegende Tröstung und Erhebung sich geltend zu machen vermag!

Wir wollen es nicht versuchen, in unsern Reflexionen über dies Kunstwerk wieder einen Rückschritt zu machen, um von diesem Punkte aus das Bild auf ein Besonderes zurückzuführen, das heißt hier: auf den Grund des Gemäldes hin die Bedeutung der Kindheit dem bewußten Leben gegenüber in einer novellistischen Skizze individuell und apart zu fassen.

Wir wollen den Eindruck des Bildes dadurch nicht beschränken. Wir übergeben vielmehr das Blatt – welches auf äußerst gelungene Weise das Colorit des Originals andeutet – nur mit dem Wunsche, daß dasselbe erhebend, besänftigend, veredelnd das Gemüth des Beschauers berühren möge! Und das ist bei Naturen, die für das rein Geistige, wie für das zur Idee hindurchgedrungene Materielle, also für die Schönheit, Sinn und Empfindung haben, unfehlbar . . .

Deuten wir aber zum Schluß noch auf den Umstand hin, daß das Bild des ältesten Knaben [167] die geistvollen Züge des Sohnes des Meisters, des jetzigen Herrn Vogel von Vogelstein, eines Sternes am deutschen Kunsthimmel, zeigt: so möchte dadurch Manchem ein interessantes Feld von Betrachtungen geöffnet sein.