Die Chronika
[740] Die Chronica. (Zu unserer Kunstbeilage.) Wir blicken in das behagliche Refektorium, wo nach eingenommenem Vesperbrot die Brüder im weißen Ordensgewand noch beisammen sitzen und der Unterhaltung pflegen. Von alten Zeiten wurde geredet, und es fand sich, daß die Meinungen über des Klosters Gründung stark auseinandergingen, um mehr als zweihundert Jahre. Da blieb nichts anderes übrig, als die uralte Chronik herbeizuholen, um den Streit zu schlichten. Sie giebt dem rechts sitzenden klugen Prior recht, und der jüngst eingetretene Bruder Eusebius neben ihm muß den Anspruch auf die Karolingerzeit fahren lassen. Aber beide vergessen rasch den Anlaß des Streites über dem Interesse an dem merkwürdigen Buche, das sie so bald nicht mehr los läßt. Der Chronist von heute liest und erklärt, was seine Vorgänger in langen Jahrhunderten schrieben: von des Klösterleins allmählichem Wachstum, dem Bau der Kirche, von Wassersnot und großem Sterben, Fehden mit adeligen Widersachern, kriegerischen Zeitläuften. Sinnend hören’s die Heutigen und gedenken ihrer Vorgänger, die einstmals am selben Tische hier saßen und den gleichen uralten Leuchter entzündeten, der noch heute dem Schlafensgang des Priors leuchtet.