Zum Inhalt springen

Die Cobra oder Augenschlange

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Cobra oder Augenschlange
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 644
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[644] Die Cobra oder Augenschlange. Die Insel Ceylon, genannt die Mutter der Elephanten, ist auch sehr reich an verschiedenen Arten von Schlangen, unter Anderen auch der schönsten oder wenigstens der unhäßlichsten aller Schlangen, da es diese Art von Geschöpfen wohl unter keiner Bedingung bis zu irgend einem Grade von Schönheit bringen. Diese ist die Cobra oder Augenschlange, so genannt, weil sie grasendes Vieh in die Augen zu schlagen pflegt. Sie ist etwa 4 Fuß lang und von dem herrlichsten, hellsten Grün des Frühlingsgrases, dabei so dünn und schlank, daß sich die feinste Balldame keine dünnere und unschönere Taille wünschen kann. Auch in ihren Bewegungen entwickelt sie eben so viel Grazie als Behendigkeit und weiß sich dabei mit ihrer Farbe noch obendrein so geschickt den Bewegungen und Gestaltungen des Grases anzupassen, daß sie das schärfste Auge nicht verfolgen kann. Zuweilen, wenn sie es für klug und praktisch hält, bildet sie auch einen stehenden, emporragenden, grünen Halm mit keiner andern Bewegung, als der, welche Windstöße dem Grase mittheilen. Reicht das nicht schon allein hin, die Schlange zu dem Titel „Fuchs unter den Reptilen“ zu berechtigen? Ein Augenzeuge dieser Situation beschreibt den Anblick so: „Eines Tages sah ich auf meinem Wege nach Kondy ein ziemlich starkes Rohr mit einer grünen Blüthe aus dem übrigen Grase hervorragen. Die heitere, duftige, grüne Farbe desselben zog mich an, so daß ich näher ging, um es genau anzusehen. Es stand aufrecht etwa drei Fuß von der Erde und blieb so stehen, bis ich es mit der Hand berührte und zu meinem Schrecken fand, daß es eine Augenschlange war. Sie hatte sich unten gleichsam zu einem Postamente zusammengewickelt und ragte mit dem Oberkörper etwa zwölf Zoll gerade und steif hervor, als wäre sie von Eisen, da sich auch in der völligen Windstille das Gras nicht bewegte. Ihr Hut am Kopfe stand ausgespannt wie eine Blüthe, so daß die Täuschung vollkommen war. Da ich von der musikalischen Passion dieser Schlangen viel Wunderdinge gehört hatte, fing ich sofort an, auf meiner Flöte zu spielen. Nichts war schöner und bezaubernder, als das Entzücken des in der Schlange zum organischen, vom Boden erlösten Lebens zu beobachten. Ihr sonst so bleiernes und mattes Auge wurde leuchtend, freudestrahlend und groß. Wie goldene Sonnen starrten mich die lidlosen Augen an, und mit mehr Grazie, als die meisten Musikdirektoren mit ihrem Dirigentenstabe entwickeln, schlug, bog und knixte sie den Takt meiner Melodie mit dem ganzen, hervorragenden Oberkörper so graziös, so freudezückend, so hingerissen, daß ich glaube, ihr wohl ziemlich 1 Stunde lang alle meine Vorräthe auf der Flöte zum Besten gegeben zu haben. Das Auge der Cobra-Schlange, die grün, immer im Grünen wohnt, ist sehr empfindlich gegen starkes Licht, so daß man sie, wie es schon den Alten bekannt war, mit dem Lichtblitze eines Edelsteins plötzlich blind machen kann. Das Gift in den Fängen jeder Cobra wirkt wie Laudanum und hat in jeder Schlange die Kraft von etwa zwei Tropfen desselben. Die Buddhisten verehren die Cobra göttlich, doch hält sie dies nicht ab, sie nach Kräften zu vertilgen und auszurotten, da sie dem Vieh so viel Schaden thun. Die göttliche Verehrung des Schädlichen und Gefürchteten findet man mehr oder weniger in allen ersten, naiven, rohen Naturreligionen, wie ja auch in gebildeten und sogar oft sehr hohen Kreisen manche Menschen hauptsächlich aus Furcht, wenn nicht vor einigen Höllenstrafen, so doch vor zeitlichen Folgen ihrer eigenen Sündhaftigkeit fromm werden. Die Buddhisten verehren das objectio das außer ihnen Gefürchtete und sind deshalb weniger blinde Heiden, als die frommen Heuchler bei uns, welche den lieben Gott durch ihre Frömmigkeit aus Frucht vor ihrer eigenen Erbärmlichkeit zu veranlassen meinen, daß er ihretwegen Natur- und moralische Gesetze verletzen und ihnen Steuerfreiheit und Privilegien von gewöhnlichen Christen verschaffen solle.