Die Danebrogsfahne und ihre Geschichte
[400] Die Danebrogsfahne und ihre Geschichte. In dem Augenblicke, wo selbst der 1852 erschlichene Rechtsanspruch Dänemarks an die Elbherzogthümer hoffentlich für immer am Boden liegt, und so einer der ältesten europäischen Monarchien für ihren bisherigen Bestand der Todesstoß gegeben wird, mehr als verdient durch eidbrüchige Intrigue, die nach Jahrhunderten, durch brutale, jedes Recht und nationale Empfinden mit Füßen tretende Säbelherrschaft, die nach Jahrzehnten zählt, mag es lehrreich und interessant erscheinen, die Geschichte der alten, von den Dänen so oft pomphaft besungenen Danebrogsfahne an sich vorübergehn zu lassen. Durch mehrfache und bunte Wechselfälle des Geschickes an sich unterhaltend, giebt sie zudem ein wundervolles und charakteristisches Beispiel von dem großen Talent des dänischen Volkes, unscheinbaren oder selbst unrühmlichen Ereignissen ihrer Geschichte so lange bebarrlich das Phantasiecolorit der Nationaleitelkeit zu verleihen, bis sie selber auf die Echtheit und Ursprünglichkeit dieser Färbung Stein und Bein zu schwören geneigt sind.
Die berühmte alte Danebrogsfahne tritt zuerst 1219 in der Geschichte auf, wo sie dem König Waldemar II., von gefälliger Mit- und Nachwelt „der Sieger“ genannt, von Papst Honorius III. für einen bevorstehenden Kreuzzug nach Esthland zum Geschenke gemacht und hier zum ersten Male entfaltet wurde. Fast aber hätte sie schon zu Beginn ihrer Laufbahn schmähliche Niederlage gesehn, denn als in der Nacht die kaum getauften Ureinwohner des Landes einen Ueberfall auf das dänische Lager machten, stürzte Alles, der „siegreiche“ König nicht minder als seine Unterthanen, in wilder Flucht von dannen, und einem slavischen Fürsten, dem Wizlav von Rügen, blieb es vorbehalten, die Ehre des christlichen Heeres zu retten, bis sich die Dänen darauf besannen, vor wem sie flohen, um dann endlich unter Begünstigung ihrer großen Ueberzahl einen mühsamen und blutigen Sieg zu erringen. Schon damals, nicht minder durch den wundersüchtigen Geist der Zeit, als durch den Wunsch veranlaßt, dem slavischen Vasallen die Ehre des Tages zu rauben, entstand die Legende, in dem entscheidenden Augenblicke, als dem dänischen Heere die Wahl zwischen dem salzigen Wasser und dem kalten Eisen einzig blieb, sei plötzlich das schimmernde Banner mit dem weißen Kreuz im Purpurgrunde herniedergefallen und habe die weichenden Völker neubegeistert zum Siege geführt. So brachte die Eitelkeit eines reizbaren Volkes sein Nationalbanner in directe Verbindung mit dem Himmel und suchte, wie heute das Gleichgewicht Europas, so damals das Interesse des Himmels selber an seine Existenz zu knüpfen, für heutigen kritischen Scharfblick nur in so fern erfolgreich, als die dänische Fahne, seitdem ihrer neuen Gestalt dieser himmlische Ursprung vindicirt war, auf fast allen Schlachtfeldern fortan lieber nach kurzem Widerstande plötzlich Kehrt machte, als daß sie durch festes Standhalten das sündliche Blutvergießen noch verlängert hätte.
Denn eigenthümlich und ein interessantes Beispiel von der Ironie, mit der die Weltgeschichte den Eitlen und innerlich Unwahren zu peinigen liebt, ist es, daß eben mit dem Eintritt des „heldenhaften“ Danebrog in die dänische Geschichte die bisher Sieg und Niederlage ziemlich gleichmäßig vertheilenden Kriege Dänemarks einen so entschieden ungünstigen Ausgang zu nehmen anfangen. Gleich die beiden ersten großen Feldschlachten gegen disciplinirte Kriegsschaaren, in denen der Danebrog die dänischen Heere führte, die Schlachten bei Mölln 1225 und bei Bornhöved 1227, endigten mit der gänzlichen Niederlage der dänischen Schaaren, und erzwangen die Befreiung Holsteins von dem verhaßten Joche, unter welches es ein Vierteljahrhundert vorher durch eine Verkettung von ungünstigen Umständen, besonders aber durch den verrätherischen Abfall fast seines ganzen Adels, gerathen war. Dann hat, nach der wenig unterbrochenen Waffenruhe eines Menschenalters, von Gerhard I. bis zu den letzten Schauenburgern hin, fast zweihundert Jahre hindurch Holsteins unscheinbares Nesselblatt auf unzähligen Schlachtfeldern über den pomphaften Danebrog triumphirt, bis mit dem Jahre 1460 die Personalunion des Herzogthums Schleswig und der Grafschaft Holstein mit der Krone Dänemark eintrat, dasselbe unselige Band, welches unbelehrte Thoren außerhalb und unverbesserliche Aristokraten innerhalb der Herzogthümer jetzt wieder, Gott Lob vergeblich, erstrebt haben. Von da an ruhte der Streit, und der Danebrog fand keine weitere Gelegenheit, seine „Unbesiegbarkeit“ kundzuthun, bis er im Jahre 1471 auf dem Breukeberge vor Stockholm dänischen Kriegern von schwedischen Bauern schimpflich entrissen ward. Erst deutsche Landsknechte, die durch unerhörte Thaten kriegerischen Muthes und wilder Grausamkeit weit verschrieene große sächsische Garde, bezwangen in dänischem Dienste 1497 auf ebendemselben Breukeberge die schwedischen Bauern, deren wilder Tapferkeit 26 Jahre vorher die Blüthe des dänischen Heeres und das alte Reichsbanner als Opfer gefallen waren, aber nur, um das wacker eroberte Banner drei Jahre später auf dem Hemmingstedter Felde in Dithmarschen in schreckennvoller Niederlage auf’s Neue einzubüßen, 17. Februar 1500. Von da an war es für die Dänen verloren, denn als 1559 ein schleswig-holsteinisches Heer, dem nur wenige Dänen sich angeschlossen hatten, Dithmarschen endlich unterwarf, fiel die Hauptzierde der Kriegsbeute, die alte Danebrogsfahne, dem Sieger in der „letzten Fehde“, dem Herzog Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorp, zu, und hat mit dessen Nachkommen, die durch König Friedrich’s IV. brutale Gewalt 1721 ihren Antheil an dem Herzogthume Schleswig verloren, die Uebersiedelung nach Kiel mitgemacht, wo sie auf dem Boden der Nicolaikirche den unhistorischen Würmern zum Opfer gefallen ist. So verhielt es sich mit der Geschichte der alten Danebrogsfahne, die sich nach Aussage „ehrenwerther“ dänischer Gewährsmänner „den ruhmwürdigsten Bannern der Weltgeschichte ebenbürtig anreihen darf“! Wie zweifelhaft es mit diesem Anspruche steht, haben wir gesehen, um so unzweifelhafter aber gebührt dem dänischen Volke das Lob, an Talent und Empfänglichkeit für dergleichen „patriotische Phantasieen“ unter den europäischen Nationen einzig dazustehen.