Die Edda (Simrock 1876)/Ältere Edda/Oddrûnargrâtr
Heidrek hieß ein König, seine Tochter hieß Borgny und Wilmund ihr Geliebter. Sie konnte nicht gebären bis Oddrun hinzu kam, Atlis Schwester. Die war Gunnars Geliebte gewesen, des Sohnes Giukis. Von dieser Sage ist hier die Rede.
Daß eine Maid kam gen Morgenland.
Niemand wuste auf weiter Erde
Der Tochter Heidreks Hülfe zu leisten.
In schweren Wehen winde die Jungfrau sich.
Sie zog aus dem Stalle den scharfgezäumten
Und schwang dem Schwarzgaul den Sattel auf.
Bis sie die hohe Halle stehn sah.
Von des Rosses Rücken riß sie den Sattel,
Trat ein und schritt den Saal entlang.
Dieß war das erste Wort, das sie sprach:
Was hört man Gutes in Hunnenland?
Deine Freundin, Oddrun: eil ihr zur Hülfe.
Warum ist so bitter Borgnys Qual?
Er wand die Maid in warme Decken
Fünf volle Winter ohne des Vaters Wißen. —
Mildreich saß sie der Maid vor die Kniee.
Kräftig sang Oddrun, mächtig sang Oddrun
Zauberlieder der Borgny zu.
Holde Sprößlinge des Högnitödters.
Zu sprechen säumte nicht die sieche Maid;
Dieß war das erste Wort, das sie sprach:
Frigg und Freyja und viel der Götter,
Wie du mich befreitest aus fährlicher Noth.“
Weil du es werth wärst gewesen irgend.
Ich gelobte, und leistete mein Gelübde jetzt,
Beistand zu leisten allen Leidenden,
Als die Edlinge das Erbe theilten.
Daß du im Eifer also sprichst.
Wir lebten doch lange im Lande zusammen
Zärtlich, wie zweier Brüder Erzeugte.
Als ich Gunnarn das Gastmal bereitete:
So arge Unsitte, sprachst du eifernd,
Werde nach mir keine Maid mehr üben. —
Ihr Leid zu künden aus des Kummers Fülle:
Mich lobten Viele und Keinem missfiel es;
Doch freut ich der Jugend und des Vaterguts
Mich der Winter fünf nur bei des Vaters Leben.
Bevor er starb der stolze König:
Und südwärts senden dem Sohne Grimhilds.
[Brynhilden hieß er den Helm zu tragen,
Weil sie Wunschmagd zu werden bestimmt sei.]
Es mög unterm Monde so edle Maid
Nicht geben, wenn günstig der Gott mir bleibe.
Sie hatte Land und Leute vor sich.
Erde schlief noch und Überhimmel,
Als die Burg ersah der Besieger Fafnirs.
Und gebrochen die Burg, da Brynhild saß.
Nicht lange währt’ es, nur wunderkurz,
So konnte sie alle die schlauen Künste.
Daß wir Alle üble Arbeit gewannen.
Das weiß man soweit als Menschen wohnen
Wie sie bei Sigurd sich selber tödtete.
Dem Baugeverschenker, wie Brynhild gesollt.
Meinem Bruder und Bußen viel.
Für mich bot Gunnar der Güter funfzehn
Und Granis Rückenlast, wenn er es gerne nähme.
Daß ihm Brautgabe gäben Giukis Söhne.
Doch wir mochten nicht mehr die Minne bezwingen,
Wenn ich des Ringbrechers Haupt nicht berührte.
Sie hätten uns beide auf Buhlschaft betroffen.
Aber Atli meinte, solch Unrecht würd ich
Schwerlich begehen, mir Schande zu machen.
Doch Solches sollte so sicher Niemand
Von dem Andern läugnen, wo Liebe waltet.
Im tiefen Tann mein Thun zu belauschen.
Sie kamen, wohin sie nicht kommen sollten:
Wo wir selbander lagen unter Einem Linnen.
Daß sie dem Atli Alles verschwiegen.
Aber Alles dem Atli sagten sie;
Sie hatten Hast nach Haus zu kommen.
Der es zu wißen doch doppelt geziemte.
Da die Söhne Giukis in den Schloßhof ritten.
Man hieb dem Högni das Herz aus dem Leibe
Und senkte den Gunnar in den Schlangenthurm.
Zu Geirmund gegangen das Gastmal zu rüsten.
Der hohe Herscher begann zu harfen:
Hoffnung hegte der hochgeborne
König, ich könnt ihm zu Hülfe kommen.
Wie harmvoll schollen die Saitenstränge.
Fristen wollt ich dem Fürsten das Leben.
Wir führten das Fahrzeug dem Forst vorbei
Bis wir Atlis Wohnungen alle gewahrten.
Mutter Atlis: möchte sie faulen!
Und grub sich ganz in Gunnars Herz,
Daß ich den ruhmreichen nicht retten mochte.
Wie ich nun länger noch leben möge,
Die den Gewaltigen wähnte zu lieben,
Den Schwertverschenker, mir selber gleich.
Unermeßliches Leid, meines und ihres.
Wir Alle leben nach eignem Geschick:
Hier ist Oddruns Klage zu Ende.
Anmerkungen (Wikisource)
Siehe auch Anmerkungen des Übersetzers zu diesem Lied.