Die Entstehung der Kontinente und Ozeane/Elftes Kapitel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zehntes Kapitel Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)
von Alfred Wegener
Anhang
|
Elftes Kapitel.


Ergänzende Bemerkungen über die Tiefseeböden.


     Morphologisch tritt das Tiefseegebiet als einheitliches Ganzes den Kontinentalschollen gegenüber. Die Tiefen der drei großen Ozeane sind aber doch nicht genau dieselben. Kossinna [29] berechnet nach den Grollschen Tiefenkarten die mittlere Tiefe des Pazifik zu 4028, des Indik zu 3897 und des Atlantik zu 3332 m. Ein getreues Bild dieser Tiefenverhältnisse gibt auch die Verteilung der Tiefseesedimente (Abb. 57), worauf einst Krümmel mich persönlich

Abb. 57.

Karte der Tiefseesedimente, nach Krümmel [30].

hinwies. Der rote Tiefseeton und der Radiolarienschlamm, die beiden echt „abyssischen“ (Tiefsee-) Sedimente, sind wesentlich auf den Pazifik und östlichen Indik beschränkt, während Atlantik und westlicher Indik von „epilophischen“ Sedimenten bedeckt sind, deren größerer Kalkgehalt mit der geringeren Meerestiefe ursächlich verknüpft ist. Daß diese Tiefenunterschiede keine zufälligen sind, sondern von systematischer Art, und daß sie mit dem Unterschied zwischen „atlantischem“ und „pazifischem“ Küstentyp zusammenhängen, zeigt am besten der Indik, dessen Westhälfte atlantischen und dessen Osthälfte pazifischen Charakter tragt. Denn hier ist| wiederum die Osthälfte erheblich tiefer als die Westhälfte. Diese Dinge haben für die Verschiebungstheorie deshalb ein besonderes Interesse, weil ein Blick auf die Karte zeigt, daß es gerade die ältesten Tiefseeböden sind, welche die größte Tiefe haben, während diejenigen, welche erst vor relativ kurzer Zeit entblößt sind, die geringste Tiefe zeigen. So sieht man in Abb. 57 in überraschender Weise sozusagen die Spur der Verschiebungen.

     Über die Ursache dieses Tiefenunterschiedes haben wir heute noch keine gefestigten Vorstellungen. Sie kann einerseits in Unterschieden des physikalischen Zustandes, andererseits aber auch in Materialverschiedenheit bestehen. Physikalisch können sich alte und junge Tiefseeböden einerseits durch die Temperatur, andererseits durch den Aggregatzustand unterscheiden. Beträgt das spezifische Gewicht des Materials 2,9, und rechnet man mit dem kubischen Ausdehnungskoeffizienten für Granit 0,0000269, so würde das spezifische Gewicht bei Temperaturerhöhung um 100° auf 2,892 verändert. Zwei bis 60 km Tiefe um 100° verschieden temperierte Tiefseeböden, die untereinander im isostatischen Gleichgewicht stehen, müßten dann einen Tiefenunterschied von 160 m aufweisen, um welche der wärmere Boden höher liegt.

     Andererseits ist es auch nicht unwahrscheinlich, daß bei relativ frisch entblößten Tiefseeböden die kristalline Erstarrungsdecke wesentlich dünner ist als bei alten, wodurch ebenfalls Unterschiede des spezifischen Gewichts und also der Tiefe erzeugt werden können. Drittens besteht auch dann, wenn man die Ozeanbecken alle auf gleiche Weise entstanden denkt, die Möglichkeit, bei den großen Zeitunterschieden ihrer Entstehung auch Materialverschiedenheiten anzunehmen, da sich im Laufe langer geologischer Zeiten das Magma — etwa durch fortschreitende Kristallisationsprozesse oder auf anderem Wege — verändern kann und vermutlich auch verändert hat. Und schließlich können die Simaflächen in verschiedenem Grade mit Fließresten der unteren Partien der Kontinentalschollen, sowie randlichen Abfallprodukten derselben bedeckt sein.

     Unsere Vorstellungen von dem Material oder den Materialien, mit denen wir es beim Tiefseeboden zu tun haben, sind gegenwärtig, wie schon früher erwähnt, sehr im Fluß, so daß es sich nicht verlohnt, hier alle dazu geäußerten Meinungen anzuführen. Ich möchte mich deshalb darauf beschränken, nur die am besten untersuchten Verhältnisse beim Atlantischen Ozean zu besprechen, wo ohnehin die breite| mittelatlantische Bodenschwelle eine Erscheinung darstellt, mit der sich auch die Verschiebungstheorie auseinandersetzen muß.

     Schon vor langer Zeit ist man darauf aufmerksam geworden, daß der Tiefseeboden über weite Strecken oft erstaunlich geringe Höhenunterschiede zeigt. Solche auffallend ebenen Tiefseegebiete sind bisher hauptsächlich durch die engen Lotungsreihen bei Kabellegungen gefunden worden. So erwähnt Krümmel [30], daß im Pazifischen Ozean auf der 1540 km langen Strecke zwischen den Midway-Inseln und Guam alle 100 Lotungen zwischen 5510 und 6277 m Tiefe lagen. Auf einer 180 km langen Teilstrecke waren bei einer mittleren Tiefe von 5938 m die größten Abweichungen der 14 Lotungen nur + 36 und — 38 m. Auf einem anderen Stücke von 550 m Länge waren bei 5790 m Mitteltiefe die größten Abweichungen der 37 Lotungen + 103 und — 112 m. Solche engen Lotungsreihen können neuerdings in bequemer Weise vom fahrenden Schiffe aus mittels des Echolotes gewonnen werden. Aus dem Bereich des Atlantik werden in kurzem die zahlreichen Profile, die die deutsche „Meteor“-Expedition gewonnen hat, weitere Beiträge hierzu liefern. Nach dem ersten, von amerikanischer Seite erhaltenen Echolotprofil durch den Nordatlantik habe ich [197] den westlichen Teil, der das Tiefseebecken der Sargassosee noch gerade in deren nördlichstem Teile schneidet, in Abb. 58 dargestellt, welche zwischen 58 und 471/2° Länge (auf 930 km) bei einer Mitteltiefe von 5132 m als größte Abweichungen — 121 und + 108 m zeigt. In Teilstrecken ist die Tiefenkonstanz noch viel auffallender, z. B. liegen acht aufeinanderfolgende Messungen (mit je 28 km Zwischenraum) zwischen 2780 und 2790 Faden (10 Faden war die Genauigkeitsgrenze der Messungen).

Abb. 58.

Westlicher Teil des amerikanischen Echolotprofils durch den Nordatlantik, ohne den Schelf.

|      Im Gegensatz zu dieser Gleichförmigkeit zeigen die übrigen, immer noch der Tiefsee angehörigen, wenngleich weniger tiefen Teile der Route ein unruhiges Profil.

     Ich habe hieraus geschlossen, daß im Bereich der Sargassosee, wo die Tiefe so auffallend konstant ist, die Simaoberfläche entblößt ist, während den anderen Partien mit unruhigem Bodenrelief vermutlich eine Sialbedeckung von wechselnder, im allgemeinen erheblich geringerer Mächtigkeit als bei den Kontinentalschollen entspricht. Wenn man hiernach die Annahme macht, daß alle unter 5000 m Tiefe gelegenen Teile des Ozeanbodens ungefähr den freien Simaflächen entsprechen, so würde Abb. 59 die oberflächliche Verteilung des Sials und Simas am Boden des Atlantik zeigen [1].

     Dabei entsteht nun aber eine gewisse Schwierigkeit. Wenn wir nämlich annehmen, daß diese Sialmassen die Reste eines bei der Trennung in Trümmer gegangenen Streifens darstellen, so wird dieser Streifen auffallend breit. Auf der in Abb. 59 eingezeichneten Route des ersten transatlantischen Echolotprofils z. B. würden wir es mit den auseinandergezogenen Trümmern eines 1300 km breiten Streifens zu tun haben. Im Südatlantik würden wir allerdings kleinere Werte erhalten, da die mittelatlantische Bodenschwelle hier schmaler ist und beiderseits, nicht wie auf der genannten Route nur im Westen, an Tiefseebecken grenzt. Genauere Angaben werden sich erst auf Grund der Echolotungen der „Meteor“-Expedition machen lassen, aber immerhin würde man wohl auch hier auf ein in Trümmer gegangenes Zwischengebiet von etwa 500 bis 800 km kommen. Dies ist zwar nicht gerade widersinnig, erscheint mir aber doch schon| reichlich viel, denn die hier so auffallende Kongruenz der heutigen Schollenränder von Südamerika und Afrika scheint doch anzudeuten, daß diese Ränder ziemlich unmittelbar zusammengehangen haben. Und auf ähnliche, wenn auch nicht sehr bedeutende Schwierigkeiten dieser Art stößt man noch an verschiedenen anderen Stellen in unseren Rekonstruktionen.


Abb. 59.

Die unter 5000 m Tiefe liegenden Flächen des atlantischen Meeresbodens.

     Es erscheint mir gegenwärtig als das Wahrscheinlichste, daß diese kleine Unstimmigkeit dadurch verursacht wird, daß wir nur mit den zwei Schichten Sial und Sima gerechnet haben, während in Wirklichkeit die Verhältnisse komplizierter liegen. Nehmen wir in Übereinstimmung mit dem, was aus den neuesten geophysikalischen Untersuchungen immer deutlicher hervorzutreten scheint, statt dessen an, daß wir normalerweise bis 30 km Tiefe die aus Granit bestehenden Kontinentalschollen und darunter bis 60 km Tiefe Basalt haben, und unter letzterer Tiefe ein ultrabasisches Gestein (Dunit), so kommt man zu einer Erklärung, die allen heute bekannten Tatsachen völlig befriedigend entspricht. Die Granittafeln der Kontinente sind wirklich zerrissen, wie es in der Verschiebungstheorie angenommen wird, abgesehen von gewissen in der Tiefe geschmolzenen Teilen und von den bei der Trennung erzeugten Randbrocken, die heute als Inseln die mittelatlantische Bodenschwelle krönen. War die basaltische Schicht unter dem Granit wirklich, wie es angenommen ist, besonders fluid, so mußte sie bei der immer weiter fortschreitenden| Öffnung der atlantischen Spalte in dieser emporquellen und im weiteren Verlauf ständig von beiden Seiten her nachfließen; sie wird also zunächst überall den Boden des Ozeans gebildet haben und noch heute den größten Teil desselben bilden. Bei immer weiter gehender Öffnung mußte aber schließlich die Fließfähigkeit auch dieses Materials unzureichend werden und der darunterliegende Dunit fensterartig zutage treten (vgl. Abb. 60). Im Nordmeer, wo die Trennung der Schollen noch nicht weit fortgeschritten ist, wird der Boden — abgesehen von Granitresten — ganz aus Basalt bestehen, der hier noch von bedeutender Mächtigkeit sein wird. In den großen Räumen des Pazifik dagegen werden entsprechend große Dunitflächen entblößt sein, während die flacheren Teile auch hier noch die Basaltdecke tragen, die stellenweise sogar von Granitresten gekrönt sein dürfte.

Abb. 60.

Idealer Schnitt durch Kontinentscholle und Tiefseeboden.

     Natürlich ist dies Bild noch ganz hypothetisch. Ich glaube aber an meiner ursprünglichen Annahme eines ziemlich unmittelbaren ehemaligen Zusammenhanges der Kontinentalschollen nach der Gesamtheit der geologischen, biologischen und paläoklimatischen Argumente festhalten zu müssen; die neuen geophysikalischen Untersuchungen widersprechen dem, wie gezeigt wurde, keineswegs, sondern sind umgekehrt, wie es scheint, geeignet, die Schwierigkeit zu beseitigen, die in dem Umstand liegt, daß zwischen solchen, früher offenbar nach ihren Kanten unmittelbar zusammenhängenden Schollen heute unregelmäßige Bodenerhebungen von der Art der mittelatlantischen Schwelle liegen. Daß daneben gelegentlich auch noch die Kontinentalschollen selbst, wie Gutenberg will, sich durch Fließbewegungen „ausgezogen“ haben können, soll keineswegs bestritten werden; wir haben an verschiedenen Stellen, wie namentlich beim Ägäischen Meer, von dieser Vorstellung Gebrauch gemacht. Doch dürfte das eigentliche Fließen auch hier auf die tieferen Schichten beschränkt sein, während die Oberflächenschichten durch Brüche zerstückelt werden.

|      Da gegenwärtig über die Frage, wieweit Basalt oder Dunit als Material der Tiefseeböden in Frage kommt, noch keine Einigkeit unter den Geophysikern erzielt ist, wollen wir im folgenden der Kürze halber wieder zu der bloßen Unterscheidung zwischen Sial und Sima zurückkehren.


Abb. 61.

Oben: Madagaskar und Seychellen-Bank.
Unten: Die Fidschi-Inseln.
(Tiefenlinien 200 und 2000 m; Tiefseerinnen punktiert.)

     Wenn das Sima wirklich ein zähflüssiger Körper ist, so wäre es merkwürdig, wenn sich seine Fähigkeit zu strömen nur im Ausweichen vor den triftenden Sialschollen äußerte, und nicht auch Strömungen selbständigeren Charakters aufträten. Die Karte gibt an einigen Stellen durch die Verzerrung früher anscheinend geradliniger Inselketten eine unmittelbare Anschauung von solchen mehr lokalen Strömungen des Simas. In Abb. 61 sind zwei Beispiele dafür gegeben, nämlich das der Seychellen und das der Fidschi-Inseln. Der halbmondförmige Seychellenschelf, der die einzelnen, aus Granit bestehenden Inseln trägt, läßt sich weder Madagaskar noch Vorderindien anpassen, deren geradlinige Konturen vielmehr auf einstigen unmittelbaren Zusammenhang deuten. So liegt die Deutung nahe, daß es sich um geschmolzene, von der Unterseite der Scholle aufgestiegene Sialmassen handelt, die dann von dem Simastrom entführt wurden und in der Richtung auf Vorderindien bereits ein gut Stück Weges zurückgelegt haben. Dieser Simastrom, dem auch Madagaskar schon folgt, „läuft“ genau in der Spur Vorderindiens, vielleicht durch dessen Verschiebung| erzeugt, vielleicht auch umgekehrt letztere erzeugend, worauf das Abbrechen Ceylons hindeutet. Die Bewegungen in Flüssigkeiten, auch in zähen, sind nur selten so einfacher Art, daß man Ursache und Wirkung klar auseinanderhalten kann, und unsere Kenntnis dieser Dinge ist noch allzu lückenhaft. Es ist deshalb töricht, von der Verschiebungstheorie zu verlangen, daß sie jede in Erscheinung tretende relative Bewegung in ihr System eingliedern und erklären könne. Wir betrachten diese Dinge nur zur Erläuterung von Fließerscheinungen im Sima, und diese letzteren gehen besonders aus den zurückgebogenen Enden des Schelfs hervor, welche zeigen, daß die Bewegung des Simastroms von der Mittellinie Madagaskar—Vorderindien beiderseits abnimmt. Wir können auch

Abb. 62.

Fünffach übertiefter Querschnitt durch die Yap-Rinne, nach G. Schott und P. Perlewitz.
(Oben gestrichelt die natürlichen Maßverhältnisse.)

sagen: der Strom läuft am stärksten im frisch entblößten Sima, während die älteren Tiefseeböden nordwestlich und südöstlich davon sich langsamer bewegen. Die zweite Figur zeigt in der Gruppe der Fidschi-Inseln eine Form, die an einen zweiarmigen Spiralnebel erinnert und auf eine spiralige Fließbewegung schließen läßt. Ihre Entstehung scheint mit der Bewegungsänderung zusammenzuhängen, welche Australien erfuhr, als es seine letzte Verbindung mit Antartika zerriß und unter Zurücklassung der Girlande Neuseeland seine noch heute erkennbare Bewegung nach Nordwesten begann. Vermutlich bildeten die Fidschi-Inseln vor diesem Zusammenrollen eine parallel neben dem Tongarücken liegende Kette, und beide zusammen eine äußere Girlande der Scholle Australien—Neuguinea, die, wie alle ostasiatischen Girlanden, außen an dem alten Tiefseeboden hafteten und sich daher innen von der Kontinentalscholle lösten; die innere Kette wurde beim Abzug der Scholle wirbelartig zusammengestreift. Die neuen Hebriden und Salomoninseln dürften zwei weitere, gestaffelte Girlanden sein, die unterwegs liegengeblieben| sind[2]. Vom Bismarckarchipel ist dabei Neupommern, wie früher erwähnt, an Neuguinea haftengeblieben und herumgeschleppt worden, während auf der anderen Seite der großen australischen Scholle das spiralige Umbiegen der beiden südlichsten Ketten der Sundainseln eine ähnliche Wirbelströmung im Sima andeutet wie bei den Fidschi-Inseln.

     Über die Natur der Tiefseerinnen[3] läßt sich wohl auf Grund der bisherigen Beobachtungen noch kein abschließendes Bild gewinnen. Sie sind, mit wenigen Ausnahmen von vielleicht anderer Entstehung, stets den Außen- (konvexen) Seiten der Girlanden vorgelagert, wo diese an alten Tiefseeboden stoßen, während auf der Innenseite der Girlande, wo der neu entblößte Tiefseeboden fensterartig zutage liegt, niemals eine Rinne zu treffen ist. Es scheint also, als sei der alte Tiefseeboden infolge seiner tiefer gehenden Abkühlung und Erhärtung allein dazu befähigt, Rinnen zu bilden. Vielleicht darf man sie als Randspalten auffassen, deren eine Seite vom Sial der Girlande, und deren andere vom Sima des Tiefseebodens gebildet wird. Daran darf das in Abb. 62 dargestellte, in Wirklichkeit sehr flache Profil nicht irremachen, denn es ist natürlich durch die Schwere stark eingeebnet.

Abb. 63.

Verlauf der Schwerestörung zwischen den Philippinen und San Franzisko, nach Vening-Meinesz.
Skala links; punktierte Linie: nach Anbringung der isostatischen Reduktion, schraffiert Meeresboden, Tiefenskala rechts.

     Bei der tiefen, rechtwinklig gebogenen Rinne südlich und südöstlich der Insel Neupommern beruht die Entstehung offensichtlich auf dem gewaltsamen Fortzerren der Insel nach Nordwesten infolge Anhaftens an Neuguinea; die tief hinabreichende Inselscholle pflügt das| Sima, welches nachströmend das Loch noch nicht ganz gefüllt hat. Es ist dies vielleicht derjenige Fall, wo wir uns am genauesten Rechenschaft über die Entstehung einer Tiefseerinne ablegen können.

     Für die Atakamarinne westlich von Chile scheint sich die Möglichkeit noch einer anderen Erklärung zu ergeben. Berücksichtigen wir nämlich, daß sich bei der Aufstauung dieses Gebirges alle Schichten unterhalb des Tiefseeniveaus nach unten stauchen, so muß hierdurch auch der benachbarte Tiefseeboden mit hinabgezogen werden[4]. Dazu kommt noch ein weiterer Grund für das Sinken des Kontinentalrandes, nämlich die Abschmelzung der nach unten gerichteten Gebirgsfaltung und die durch die Westwanderung der Scholle bewirkte Entführung der geschmolzenen Massen nach Osten, wo sie nach unseren Annahmen teilweise in der Abrolhosbank auftauchen. Auch hierdurch muß der Kontinentalrand sinken und das benachbarte Sima mit hinabschleppen.

     Natürlich bedürfen diese Vorstellungen noch durchaus der Prüfung im einzelnen. Von großer Wichtigkeit hierfür sind die Ergebnisse der Schweremessungen. Bereits Hecker [198] hatte über der Tongarinne ein starkes Schweredefizit, auf dem benachbarten Tongaplateau dagegen einen Schwereüberschuß gefunden. Dies wurde neuerdings von Vening Meinesz [39] an einer großen Zahl von Tiefseerinnen bestätigt. Wir geben hier aus seinen Veröffentlichungen das in Abb. 63 dargestellte Schwereprofil zwischen den Philippinen und San Franzisko wieder, in dem auch das Bodenprofil eingezeichnet ist. Hier wurden vier Rinnen gekreuzt, und der Schwereverlauf war überall der gleiche: über der Rinne selbst ein Defizit, über der daneben gelegenen Erhebung ein Überschuß. Diese Gesetzmäßigkeit scheint zu zeigen, daß in der Rinne der isostatische Ausgleich durch Nachströmen des Simas noch nicht erfolgt ist; die Anordnung läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß die die Erhebung darstellende Scholle eine schiefe Lage besitzt (vgl. Abb. 52, S. 201). Doch sind weitere Forschungen nötig, ehe man zu einem abschließenden Urteil gelangen kann.



  1. Gutenberg hat unter der gleichen Annahme, daß nur die zwei Materialien Sial und Sima in Betracht kommen, eine andere Ansicht geäußert und sie als „Fließtheorie“ der Verschiebungstheorie gegenübergestellt [196]. Er glaubt, „daß eine einzige Sialscholle auf dem Sima schwimmt, das nur im Pazifischen Ozean zutage tritt“. Er rechnet also den Boden des Atlantik und Indik mit zur Kontinentalscholle und nimmt an, daß sich diese hier durch Fließen auf die Hälfte verflacht habe. Dies kann aber nicht richtig sein. Schon wenn wir die Wasserlast außer Betracht lassen, müßte die Tiefe des Atlantik (und Indik) dann nur halb so groß sein wie die des Pazifik, und durch das Wasser müßte sich der Unterschied aus isostatischen Gründen noch vergrößern. Gutenbergs Ansicht wird also durch die morphologische Gleichartigkeit des Gesamtozeanbodens und seinen Gegensatz zu den Kontinentalschollen widerlegt; auch genügt eine Annäherung der Kontinente in den Rekonstruktionen bis auf die Hälfte ihres heutigen Abstandes nicht den Forderungen der Geologie, Biologie und Paläoklimatologie, und schließlich bliebe die auffallende Kongruenz der heutigen Schollenränder rätselhaft. Weiteres siehe oben.
  2. Hedley kommt auch auf biologischem Wege zu dem Resultat, daß Neuguinea mit Neukaledonien, den Neuen Hebriden und den Salomoninseln eine Einheit bildet.
  3. Die Bezeichnung „Tiefseegraben“ ist weniger glücklich, da sie die Behauptung einschließt, daß es sich um Grabenbrüche ähnlich denen der Kontinentalschollen handelt.
  4. Der von Ampferer, A. Penck u. a. gemachte Einwand, bei der Bewegung Amerikas nach Westen müßte sich vor dem Schollenrand ein Simagebirge auftürmen, ist unzutreffend, wenn, wie wir annehmen müssen, alle Faltung sich unter Wahrung der Isostasie vollzieht. Die ausweichende Bewegung des Simas kann wegen seiner Schwere nicht nach oben gehen, sondern nur nach unten, und unterhalb der Kontinentalscholle nach rückwärts, genau wie die Bewegung des Wassers, wenn ein schwimmender Körper langsam durch dasselbe fortgezogen wird.


Zehntes Kapitel Nach oben Anhang
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.