Die Entstehung der Kontinente und Ozeane/Zehntes Kapitel

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Neuntes Kapitel Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)
von Alfred Wegener
Elftes Kapitel
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Zehntes Kapitel.


Ergänzende Bemerkungen über die Sialsphäre.


     Nachdem in den früheren Kapiteln die Hauptbeweisgründe für die Verschiebungstheorie besprochen sind, wollen wir diese nun als richtig voraussetzen und in diesem und dem folgenden Kapitel gewissermaßen als Anhang eine Reihe von Erscheinungen und Problemen besprechen, die immerhin so eng mit unserer Theorie verknüpft sind, daß eine Auseinandersetzung mit ihnen wünschenswert erscheint. Ich möchte betonen, daß diese Ausführungen mehr bezwecken, Fragen aufzuwerfen und Anregungen zu geben, als endgültige Lösungen.

     Betrachten wir zunächst die Sialsphäre, die heute nur noch in Bruchstücken in Gestalt der Kontinentalschollen die Erde bedeckt.

     In Abb. 46 ist zunächst eine Erdkarte der Kontinentalschollen gegeben. Da die Schelfe zu ihnen gehören, weichen diese Konturen an manchen Stellen erheblich von den bekannten Küstenlinien ab. Es ist für unsere Betrachtungen wichtig, sich von dem gewohnten Bilde der Erdkarte frei zu machen und eine gewisse Vertrautheit mit diesen Konturen der vollständigen Kontinentalschollen zu gewinnen. In der Regel gibt die 200-m-Tiefenlinie am besten den Rand dieser Tafeln wieder, doch erreichen einige Teile, die noch sicher zu den Kontinentaltafeln gehören, auch 500 m Tiefe.

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Abb. 46.

Karte der Kontinentalscholle in Merkatorprojektion.

     Es war schon früher gesagt, daß das Material dieser Kontinentalschollen hauptsächlich Granit sei. Es ist aber bekannt, daß die Kontinente an ihrer Oberfläche vielfach nicht aus Granit, sondern Sedimenten bestehen, und wir müssen uns deshalb darüber klar werden, welche Rolle diese im Aufbau der Kontinentalschollen spielen. Als größte Mächtigkeit der Sedimente kann man etwa 10 km betrachten,| ein Wert, den die amerikanischen Geologen für die paläozoischen Sedimente der Appalachen berechnet haben; die andere Grenze ist Null, da an vielen Stellen das Urgebirge jeder Sedimentdecke bar ist. Clarke schätzt die mittlere Mächtigkeit auf den Kontinentalschollen zu 2400 m. Da aber heute die Gesamtdicke der Kontinentalschollen auf etwa 60 km, die der Granitschicht auf etwa 30 km veranschlagt wird, so ist klar, daß diese Sedimentdecke doch nur eine oberflächliche Verwitterungsschicht bedeutet, bei deren völliger Entfernung überdies die Schollen zur Wiederherstellung der Isostasie fast bis zur früheren Höhe ansteigen würden, so daß am Relief der Erdoberfläche wenig geändert würde.

     Die Karte darf nicht so verstanden werden, daß durch die mit der starken Linie bezeichneten Schollenränder bereits die Grenze zwischen Sial und Sima gegeben wäre. Wie im nächsten Kapitel gezeigt werden wird, sind auch die Meeresböden wahrscheinlich noch vielfach mit Sialresten bedeckt. Unter Kontinentalscholle ist hier die noch intakte, wesentlich unzertrümmerte Sialdecke verstanden, im Gegensatz zu jenen ozeanischen Sialmassen, die durch oberflächliche Zertrümmerung und in tieferen Schichten durch Auseinanderziehen oder -fließen des Materials der Form nach zerstörte Schollenteile darstellen. Man muß also unterscheiden zwischen dem allgemeineren Begriff der Sialbedeckung und dem spezielleren der Sialschollen. Nur die letzteren sind in unserer Karte zur Darstellung gebracht.

     Die eingreifendsten Veränderungen, die auf diesen Sialschollen im Laufe der geologischen Zeiten vor sich gegangen sind, sind zweifellos die wechselnden Transgressionen (Überschwemmungen) und Regressionen (Trockenlegungen), deren Spiel wesentlich an den zufälligen Umstand geknüpft ist, daß die Wassermenge des Weltmeeres gerade etwas größer ist als die vorhandenen Tiefseebecken, so daß die niedriger gelegenen Teile der Kontinentalschollen noch unter Wasser liegen. Stände der Spiegel des Weltmeeres 500 m tiefer, so würden diese Erscheinungen, die in der Geologie eine so hervorragende Rolle spielen, auf schmale Randstreifen beschränkt sein. Die heutigen Transgressionen gehen aus unserer Karte unmittelbar hervor. Geringe Niveauänderungen der Schollenoberflächen bewirken unter diesen Umständen große Verlagerungen dieser Überschwemmungsgebiete.

Im allgemeinen handelt es sich hierbei um Niveauänderungen, die den Betrag von einigen hundert Metern nicht überschreiten.| Die Transgressionsmeere der Vorzeit waren ebenso flach, wie die heutigen. Die Frage, wie sich diese nachweisbaren Niveauänderungen mit dem Prinzip der Isostasie oder dem Tauchgleichgewicht der Erdrinde vertragen, ist wahrscheinlich so zu beantworten: Natürlich entsteht, wenn eine Kontinentalscholle durch irgend einen Einfluß unter ihre Tauchgleichgewichtslage hinabgedrückt wird, hier ein Schweredefizit, welches Kräfte ins Leben ruft, die die Wiederherstellung der Gleichgewichtslage anstreben. Solange sich die Niveauänderung innerhalb der angegebenen Grenzen hält, bleibt übrigens auch die Schwereanomalie innerhalb der Grenzen, die tatsächlich in den verschiedenen Erdräumen als geringe regionale Abweichungen von der Isostasie beobachtet werden. Bei der großen Zähigkeit des Materials bedarf es offenbar der Überschreitung eines bestimmten Grenzwertes der Niveauänderung, damit die Kräfte so stark werden, daß merkliche isostatische Ausgleichsbewegungen einsetzen. Es ist deshalb möglich, daß dieser Betrag von einigen hundert Metern diesen Grenzwert — der natürlich nicht als absolut konstant betrachtet werden kann — ungefähr repräsentiert.

     Die Klärung der Ursache der Transgressionswechsel in der Erdgeschichte wird eine der wichtigsten, aber auch eine der schwierigsten Aufgaben der künftigen geologischen und geophysikalischen Forschung darstellen. Gegenwärtig kann die Frage noch nicht als gelöst gelten, obwohl bereits beachtenswerte Anfänge wenigstens für Teillösungen vorliegen. Die Hauptschwierigkeit bildet dabei einstweilen der Umstand, daß die geologischen Aufnahmen — trotz der vielen paläogeographischen Erdkarten — noch lange nicht sicher und vollständig genug sind, um eine empirische Verfolgung dieser Transgressionswechsel nach Ort und Zeit zu gestatten, so daß das vorhandene Material meist nicht ausreicht, um die zur Erklärung herangezogenen Hypothesen zu prüfen. Außerdem läßt sich aber schon jetzt sagen, daß sich die Gesamtheit der Transgressionswechsel sicher nicht auf eine einzige Ursache zurückführen läßt, denn es lassen sich verschiedene Ursachen nennen, die mindestens als mitwirkend in Betracht kommen, so daß das Problem an sich zweifellos ein komplexes ist. Das schließt natürlich nicht aus, daß vielleicht künftig eine Ursache als Hauptfaktor erkannt werden kann.

     Bisher lassen sich, soweit mir bekannt, folgende Ursachen anführen:

     1. Ein merklicher Wechsel der Wassermenge des Weltmeeres, wie er durch Bildung und Abschmelzung großer Inlandeismassen| bewirkt wird, muß natürlich zu einem Wechsel in der Ausdehnung der Transgressionen führen. Diese Transgressionswechsel müssen dadurch charakterisiert sein, daß sie gleichsinnig auf der ganzen Erde und ohne Störung der Isostasie vor sich gehen. Es läßt sich leicht berechnen, daß durch Bildung einer Eiskappe von der Ausdehnung der quartären oder permokarbonen eine Senkung des Meeresspiegels um etwa 50 bis 100 m bewirkt wird[1].

     2. Hebungen und Senkungen der Sialoberfläche können auch ohne Störung der Isostasie durch horizontalen Zusammenschub (Gebirgsbildung) bzw. horizontale Streckung der Sialdecke (Bruchbildung an der Oberfläche, Ausziehen der tieferen Schichten) bewirkt werden. Dabei wird die Mächtigkeit der Sialdecke im ersten Falle vergrößert, im zweiten verringert. So sind die Alpen durch Faltung aus dem Meere emporgewachsen, während das Gebiet des Ägäischen Meeres unter Bildung zahlreicher Brüche bis auf die Inselreste versunken ist (vgl. die schematische Abb. 47). Diese Vorgänge gehen — wenn auch lokal dabei mitunter recht erhebliche Schwerestörungen auftreten — doch grundsätzlich ohne Störung der Isostasie vor sich, wenigstens ohne eine solche, die dem Betrag der Hebung oder Senkung entspricht, sie sind ferner mit erheblichen Änderungen der horizontalen Dimensionen der betroffenen Gebiete verbunden und tragen für die großzügige Betrachtung mehr lokalen als regionalen Charakter.

Abb. 47.

Größerer Einbruch durch Dehnung der Unterlage (schematisch)

     3. Als weitere Ursachen kommen auch astronomische Änderungen der Erdbewegung in Frage, insbesondere solche, welche eine Änderung der Gleichgewichtsabplattung der Erde bewirken. Denn dieser letzteren Änderung wird der Ozean ohne Verzögerung, der sehr zähflüssige Erdkörper aber mit Verzögerung folgen, wodurch bei zunehmender Abplattung Transgressionen am Äquator und Regressionen an den Polen, bei abnehmender umgekehrt Regressionen| am Äquator und Transgressionen an den Polen entstehen müssen. Als Ursache solcher Abplattungsänderungen kämen unter anderem in Betracht Schwankungen der Rotationsgeschwindigkeit der Erde, wie sie neuerdings durch Beobachtungen festgestellt sind (aber ihre Deutung als solche ist noch ungewiß!), und weiter auch die Änderungen der Ekliptikschiefe; denn bei großer Ekliptikschiefe müssen die Gezeitenkräfte eine, wenn auch geringe Verlängerung der Erdfigur in Richtung ihrer Achse erzeugen, die bei kleiner Ekliptikschiefe in ihr Gegenteil, nämlich in eine Vergrößerung des Äquator-Radius übergeht, so daß bei wachsender Schiefe an den Polen Transgression, bei abnehmender Schiefe Regression zu erwarten ist, am Äquator umgekehrt.

     4. Sofern die geologisch feststellbaren Polwanderungen so zu deuten sind, daß es sich um eine Verlagerung der Erdachse relativ zum ganzen Erdkörper handelt, müssen dieselben, wie im vorigen Kapitel ausgeführt wurde, eine sehr ergiebige Quelle von Transgressionswechseln sein. Wie dort gezeigt wurde, deuten die Erscheinungen in der Tat die Realität dieses Effektes an, indem vor dem wandernden Pol zunehmende Regression, hinter ihm Transgression zu herrschen scheint. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß sich diese Ursache als Hauptursache der Transgressionen erweisen wird, doch zeigt das Gesagte, daß daneben auch noch andere Ursachen in Betracht kommen, deren Zahl sich wohl sogar noch vermehren ließe.

     Die unter 2. angegebenen Erscheinungen der Bruchdehnung und des Faltenzusammenschubs bilden neben den Transgressionswechseln die zweite Haupterscheinung bei den Kontinentalschollen. Sie bilden seit langem Gegenstand der Tektonik. Wir wollen hier nur einiges hervorheben, was in diesem Zusammenhang von Interesse ist. Am längsten bekannt ist, daß sich die Entstehung der Faltengebirge unter beträchtlichem horizontalen Zusammenschub vollzieht, wenngleich auch dies von einigen Autoren noch heute bestritten wird, die die Entstehung der Faltengebirge auf grundsätzlich andere Weise erklären wollen, aber mit ihrer Auffassung so allein stehen, daß wir hier nicht darauf einzugehen brauchen. Wichtig ist, daß wir sowohl bei alten wie bei jungen Faltengebirgen keine Schwerestörung von derjenigen Größe finden, die vorhanden sein müßte, wenn diese Bergketten einfach der Erdrinde aufgesetzt wären. Zwar findet man vielfach in solchen Gebirgen gut meßbare Abweichungen von der vollkommenen Isostasie, und deren Diskussion ist von| großem Interesse in anderer Hinsicht, aber diese sind doch so klein, daß wir in erster Annäherung sagen können: Die Auffaltung der Kettengebirge vollzieht sich unter grundsätzlicher Wahrung der Isostasie. Was dies bedeutet, mag Abb. 48 schematisch erläutern. Beim Zusammenschub einer im Sima schwimmenden Kontinentalscholle muß das Verhältnis von oberhalb zu unterhalb der Simaoberfläche immer das gleiche bleiben. Je nachdem wir die Dicke der um 5 km aus dem Sima herausragenden Sialdecke zu 30 oder 60 km annehmen, können wir dies Verhältnis zu 1:6 oder 1:12 angeben. Es muß also der nach unten gerichtete Teil des Zusammenschubs 6- bzw. 12mal so groß sein wie der nach oben gerichtete.

Abb. 48.

Zusammenschub unter Wahrung der Isostasie.

Was wir also in den Gebirgen sehen, ist nur ein kleiner Teil der ganzen zusammengeschobenen Masse. Es sind, bei idealer Stauchung, nur diejenigen Schichten, die auch vor dem Zusammenschub bereits über dem Tiefseeniveau lagen. Alles was unter diesem Niveau lag, bleibt auch bei dem Zusammenschub unter ihm, wenn man von Störungen absieht. Bestand also der Oberbau der Scholle aus einer 5 km mächtigen Sedimentschale, so wird auch das ganze Gebirge anfangs nur aus Sediment bestehen. Erst wenn dies durch Erosion abgetragen wird, steigt zum isostatischen Ausgleich eine Zentralkette aus Urgestein empor, bis schließlich nach gänzlicher Abfegung der Sedimentdecke ein breites Urgebirge von fast gleicher mittlerer Höhe emporgewachsen ist. Als Beispiel für das erste Stadium können der Himalaja und seine Nachbargebirge gelten. Die Erosion in diesen Sedimentfalten ist eine gewaltige, so daß die Gletscher unter dem Schutt fast vergraben sind, wie z. B. der Baltorogletscher, der größte im Kara-Korum-Gebirge, der bei nur 11/2 bis 4 km Breite (Länge 56 km) nicht weniger als 15 Mittelmoränen trägt. Im zweiten Stadium, bei dem die Zentralkette bereits aus Urgestein besteht, beiderseits aber noch von Sedimentzonen flankiert wird, befinden sich die Alpen. Da die Erosion im Urgestein viel geringer ist, sind die Alpengletscher moränenarm, eine Hauptursache ihrer Schönheit. Das norwegische| Gebirge endlich repräsentiert das dritte Stadium. Die Sedimentdecke ist hier zum allergrößten Teile ganz beseitigt, und der Aufstieg des Urgebirges ist vollendet. Auch die Abtragung der Sedimenthaube eines Gebirges vollzieht sich also unter Wahrung der Isostasie.

Abb. 49.

Faltung oder Spaltung als Resultat verschieden gerichteter Schollenbewegung.

     Sehr häufig kann man erkennen, daß die parallelen Faltenzüge eines Gebirges gestaffelt liegen. Verfolgt man einen solchen Faltenzug, so findet man, daß er früher oder später an den Rand des Gebirges heraustritt und schließlich erlischt, worauf die nächst innere Kette den Rand bildet, um in einiger Entfernung gleichfalls zu erlöschen usw. Dies ist dann der Fall, wenn die beiden Schollen sich nicht gerade aufeinander zu bewegen, sondern eine scherende Bewegung, wenn auch mit einer Komponente gegeneinander, haben. Allgemein läßt sich die Wirkung der verschiedenen Bewegungen der Schollen relativ zueinander durch Abb. 49 veranschaulichen: Die linke Scholle sei fest, die rechte bewegt. Ist ihre Bewegung normal zur Schollengrenze hin gerichtet, so entstehen keine Staffelfalten, aber besonders große Falten (Überschiebungen); ist sie schräg zur Schollengrenze hin gerichtet, so entstehen Staffelfalten, die um so enger und niedriger werden, je mehr die Bewegungsrichtung parallel zum Schollenrande wird. Bei genauer Parallelität entsteht eine Gleitfläche mit Blattverschiebung; besitzt endlich die Bewegung eine Komponente, die von der Schollengrenze fort gerichtet ist, so haben wir schräge bzw. normale Abspaltung, die zunächst als Grabenbruch in Erscheinung tritt. Das Verhältnis der normalen zu den gestaffelten Falten können wir sehr gut mit einem Tischtuch veranschaulichen, wenn wir denjenigen| Teil desselben, der die feste Scholle darstellen soll, durch Gewichte beschweren und den anderen Teil gegen ihn verschieben.      Schon aus diesen allgemeinen Betrachtungen geht hervor, daß Staffelfalten häufiger vorkommen müssen als normale Faltungen, denn erstere stellen den allgemeinen, letztere den speziellen Fall dar.

Abb. 50.

Die ostafrikanischen Gräben nach Supan.
Gräben, mit Wasser bedeckte Grabenteile.

Die Anordnung der Faltenzüge in der Natur scheint dem zu entsprechen. Ich möchte dies hervorheben, weil auf geologischer Seite vielfach das Bestreben erkennbar ist, nur solche Faltenzüge als eigentlich zusammengehörig anzuerkennen, die sich unmittelbar ineinander fortsetzen, was nach dem Gesagten nicht der Fall zu sein braucht.

     Wie schon Abb. 49 zeigt, sind Faltung und Spaltung nur zwei verschiedene Wirkungen derselben Ursache, nämlich der Verschiebung der Schollenteile relativ zueinander, und sie gehen über die Staffelfalten und die Blattverschiebung kontinuierlich ineinander über. Es ist deshalb berechtigt, hier auch gleich den Spaltungsvorgang ins Auge zu fassen.

     Das schönste Beispiel solcher Spaltungen bilden die ostafrikanischen Gräben. Sie gehören einem großen Bruchsystem an, welches sich nach Norden noch durch das Rote Meer, den Golf von Akaba und das Jordantal bis an den Rand der taurischen Faltungen verfolgen läßt (Abb. 50). Nach neueren Untersuchungen setzen sich diese Brüche auch nach Süden noch bis zum Kaplande fort, doch sind sie am schönsten in Ostafrika ausgebildet. Neumayr-Uhlig [183] beschreibt sie etwa wie folgt:

     Von der Sambesimündung aus zieht sich ein solcher 50 bis 80 km breiter Graben nach Norden, den Shirefluß und Njassasee enthaltend,| um dann nach Nordwesten zu drehen und sich zu verlieren. Dafür beginnt dicht neben ihm und parallel zu ihm der Graben des Tanganikasees, von dessen Großartigkeit der Umstand zeugt, daß die Tiefe des Sees 1700 bis 2700 m, die Höhe des mauerförmigen Steilabfalles aber 2000 bis 2400, ja selbst 3000 m beträgt. In seiner nördlichen Fortsetzung enthält dieser Graben den Russisifluß, den Kiwu-, Albert-Edward- und den Albertsee. „Die Ränder der Senkung erscheinen aufgewulstet, wie wenn hier das Bersten der Erde mit einer gewissen Aufwärtsbewegung der plötzlich frei gewordenen Bruchränder verbunden gewesen wäre. Mit dieser eigentümlichen wulstigen Form der Plateauränder hängt es wohl auch zusammen, daß unmittelbar östlich vom Abfall des Tanganika die Nilquellen entspringen, während sich der See selbst zum Kongo entleert.“ Ein dritter markanter Graben beginnt östlich des Viktoriasees, enthält weiter nördlich den Rudolfsee und biegt bei Abessinien nach Nordosten ab, wo er sich einerseits in das Rote Meer und andererseits in den Golf von Aden fortsetzt. Im Küstengebiet und im Innern von ehemals Deutsch-Ostafrika nehmen diese Brüche meist die Form von Bruchstufen an, deren Ostseite abgesunken ist.

     Von besonderem Interesse ist das in Abb. 50 ebenso wie die Grabensohle punktiert gezeichnete große Dreieck im Winkel zwischen Abessinien und der Somalihalbinsel (zwischen Ankober, Berbera und Massaua). Dies relativ flache und niedrige Land besteht ganz aus jungen vulkanischen Laven. Die meisten Autoren halten es für eine riesige Verbreiterung des Spaltenbodens. Diese Auffassung wird besonders durch den Verlauf der beiderseitigen Küsten im Roten Meere nahegelegt, deren im übrigen genaue Parallelität durch diesen Vorsprung gestört wird; schneidet man ihn fort, so paßt die gegenüberliegende Ecke Arabiens genau in den Ausschnitt hinein. Es wurde schon erwähnt, daß es sich hier offenbar um Sialmassen von der Unterseite des Abessinischen Gebirges handelt, die sich einseitig nach Nordosten ausgebreitet haben und dabei am Schollenrande aufgetaucht sind. Vielleicht war die Spalte schon mit Basalt erfüllt, so daß die emporsteigenden Sialmassen eine Haube aus diesem Material mit hochtrugen. Die große Erhebung über das Tiefseeniveau deutet jedenfalls auf die Anwesenheit sialischer Massen unter der Lavadecke, falls das Gebiet nicht etwa einen bedeutenden Schwereüberschuß aufweist.

     Die Entstehung dieser in Ostafrika selbst maschenförmig angeordneten Brüche ist in geologisch junge Zeiten zu setzen. An| mehreren Stellen durchschneiden sie junge basaltische Laven, einmal auch pliozäne Süßwasserbildungen. Jedenfalls können sie also nicht vor Schluß der Tertiärzeit entstanden sein. Andererseits scheinen sie zur Diluvialzeit schon vorhanden gewesen zu sein, wie man aus den Strandterrassen als Marken höheren Wasserstandes bei den abflußlosen, auf der Grabensohle liegenden Seen geschlossen hat. Beim Tanganikasee deutet auch seine offenbar früher marine, dann aber dem Süßwasser angepaßte sogenannte Reliktenfauna auf längeren Bestand. Die häufigen Erdbeben und der starke Vulkanismus der Bruchzone deuten aber wohl darauf hin, daß der Trennungsprozeß jedenfalls auch heute noch im Gange ist.      Für die mechanische Deutung solcher Grabenbrüche ergibt sich nur insofern etwas Neues, als diese die Vorstufe einer völligen Trennung der beiden Schollenteile darstellen, wobei es sich um rezente, noch nicht beendete Abspaltungen oder auch um frühere Versuche einer solchen handeln kann, die infolge Erlahmens der Zugkräfte wieder zur Ruhe gekommen sind. Eine vollständige Trennung würde sich nach unseren Vorstellungen etwa folgendermaßen vollziehen. Zunächst wird nur in den oberen, spröderen Schichten ein klaffender Riß entstehen, während die unteren plastischen sich ziehen. Da vertikale Steilwände von der hier in Betracht kommenden Höhe viel zu große Anforderungen an die Druckfestigkeit der Gesteine stellen würden, so bilden sich gleichzeitig mit der Spalte oder auch an Stelle von ihr schräge Rutschflächen aus, längs welchen die Randpartien der beiden Schollenteile unter zahlreichen lokalen Erdbeben in demselben Tempo in die Spalte absinken, wie diese sich öffnet, so daß immer nur ein Grabenbruch mäßiger Tiefe in Erscheinung tritt, dessen Boden aus verworfenen Schollen derselben Gesteinsserien besteht, die auch seitwärts des Grabens auf der Höhe anstehen. In diesem Stadium ist der Grabenbruch noch nicht isostatisch kompensiert, wie es denn auch nach E. Kohlschütter [184] bei einem großen Teile der jungen ostafrikanischen Gräben der Fall ist. Es ist ja ein unkompensiertes Massendefizit vorhanden; daher wird eine entsprechende Schwerestörung beobachtet, und außerdem steigen beide Spaltenränder zum isostatischen Ausgleich empor, so daß der Eindruck entsteht, als gehe der Graben in der Längsrichtung durch eine Aufwölbung hindurch. Schwarzwald und Vogesen beiderseits des oberrheinischen Grabenbruchs sind bekannte Beispiele für diesen Randwulst. Reißt endlich die Spalte so tief, daß unter ihr nur noch die plastischeren unteren Schichten des Sials liegen, so| steigen diese und das unter ihnen liegende zähflüssige Sima an, so daß das bisherige Massendefizit ersetzt wird und der Graben sich nunmehr als Ganzes isostatisch kompensiert erweist. Bei der weiteren Öffnung der Spalte wird deren Boden zunächst vollständig mit den auseinandergezogenen Massen der plastischen unteren Schichten der Sialschollen bedeckt sein, die von Bruchstücken der spröderen Oberschichten bedeckt sind, bis schließlich bei sehr weiter Trennung auch Simafenster erscheinen. Bei dem großen Graben des Roten Meeres ist die Entwicklung so weit vorgeschritten, daß, wie Triulzi und Hecker fanden, bereits isostatische Kompensation herrscht.

     Der Umstand, daß die obersten Schichten des Sials wesentlich spröder sind als die tieferen, gibt auch die Erklärung für die auffallende Tatsache, daß ehemals zusammengehörige Schollenränder auch dann noch kongruent geblieben sind, wenn zwischen ihnen Sialmassen liegen, die eine glatte Zusammenfügung der Schollen zu verbieten scheinen. Z. B. zeigt die Ostküste von Madagaskar ebenso wie die Westküste von Vorderindien einen auffallend geradlinigen Abbruch der beiderseitigen Gneisplateaus, was kaum einen anderen Schluß zuläßt, als daß beide Teile einst unmittelbar zusammenhingen. Dennoch liegt zwischen ihnen der bogenförmige Schelf der Seychellen, der offenbar gleichfalls aus Sial besteht (die Inseln bestehen aus Granit) und bei der Rekonstruktion dazwischengeschoben werden müßte. Wahrscheinlicher erscheint mir aber, daß wir es hier nur mit dem plastischeren Material der tieferen Sialschichten zu tun haben, das bei dem Trennungsprozeß herausgezogen worden ist und daher bei der Rekonstruktion unter den beiden Schollenteilen anzubringen wäre, was natürlich nicht ausschließt, daß es auch mit kleineren Oberflächenbrocken gekrönt sein kann. Ähnliches gilt für die mittelatlantische Bodenschwelle und manche anderen Gebiete. Es ist wichtig, dies zu berücksichtigen, da es sonst an manchen Stellen rätselhaft erscheinen könnte, warum die Konturen der getrennten Schollen fast genau kongruent sein können, während doch zwischen ihnen noch unregelmäßige Sialmassen liegen.

     Auf dieses seitliche Herausziehen der unteren plastischen Schichten des Sials ist es wohl auch zurückzuführen, daß die Ränder gespaltener Kontinentalschollen oft in einer Reihe von Bruchstufen, die dem Rande parallel verlaufen, zum Tiefseeboden abfallen, ja oft in ihrem oberen, allein zu untersuchenden Teile eine „Flexur“ vortäuschen, d. h. daß ihre Oberfläche nach außen herabhängt. Doch können wir auf diese Einzelheiten hier nicht weiter eingehen.

|      Eine besondere Art von Kräften muß am Rande der plastischen Kontinentalschollen auftreten, wenn diese durch eine Inlandeisdecke belastet sind. Wenn man einen plastischen Kuchen belastet, so wird er in dem Bestreben, seine Mächtigkeit zu verringern und sich horizontal auszudehnen, randliche radiale Risse bekommen. Dies ist die Erklärung für die Fjordbildung, welche in überraschender Gleichförmigkeit an allen ehemals vereisten Küsten (Skandinavien, Grönland, Labrador, pazifische Küste von Nordamerika nördlich 48° und von Südamerika südlich 42°, sowie Neuseeland-Südinsel) vorhanden ist und bereits von Gregory [185] in einer umfangreichen, noch viel zu wenig gewürdigten Untersuchung auf Bruchbildung zurückgeführt ist. Die heute noch immer viel vertretene Deutung als Erosionstäler halte ich, auch nach eigenen Beobachtungen in Grönland und Norwegen, für unrichtig.

     An den atlantischen Kontinentalrändern ist man durch gehäufte Lotungen auf eine eigenartige Erscheinung aufmerksam geworden, welche sich als untermeerische Fortsetzung von Flußtälern zu erkennen gibt. So setzt sich das Tal des Lorenzstromes noch im vorgelagerten Schelf bis zur Tiefsee fort, desgleichen das des Hudson (bis 1450 m Tiefe verfolgbar), und auf europäischer Seite ist Ähnliches der Fall vor der Mündung des Tajo und namentlich bei der „Fosse de Cap Breton“, 17 km nördlich der Mündung des Adour. Die schönste derartige Erscheinung ist aber wohl die Kongorinne im Südatlantik (bis 2000 m verfolgbar). Nach der üblichen Deutung sollen diese Rinnen ertrunkene Erosionstäler sein, die über Wasser entstanden. Dies erscheint mir jedoch in hohem Maße unwahrscheinlich, einmal wegen des großen Betrages der Senkung, zweitens wegen der allgemeinen Verbreitung (bei genügend zahlreichen Lotungen wird man sie vermutlich an allen Kontinentalrändern finden) und drittens, weil nur eine bestimmte Auswahl von Flußmündungen die Erscheinung zeigt, während dazwischenliegende Mündungen sie nicht zeigen. Ich halte es für wahrscheinlicher, daß es sich auch hier um Spalten im Kontinentalrand handelt, die von den Flüssen benutzt werden. Beim Lorenzstrom ist diese Spaltennatur seines Bettes ohnehin geologisch erwiesen, bei der Fosse de Cap Breton, welche das innerste Ende der buchförmig sich öffnenden Tiefseespalte der Biskaya darstellt, nach ihrer ganzen Lage plausibel.

     Die interessanteste Erscheinung des Kontinentalrandes bilden aber die Inselgirlanden, die namentlich an der ostasiatischen Küste ausgebildet sind (Abb. 51). Betrachten wir ihre Verteilung im Pazifik,| so sehen wir ein großzügiges System. Namentlich wenn wir Neuseeland als einstige Girlande Australiens auffassen, so ist die ganze Westküste des Pazifik mit Girlanden bedeckt, während die Ostküste frei davon ist.

Abb. 51.

Girlanden von Nordost-Asien.
(Tiefenlinien 200 und 2000 m; Tiefseerinnen punktiert.)

Bei Nordamerika könnte man vielleicht in der Abtrennung von Inseln zwischen 50 und 55° Breite, der Küstenausbauchung bei San Franzisko und der Abtrennung der kalifornischen Randkette noch unentwickelte Anfänge von Girlandenbildung erkennen.Im Süden läßt sich möglicherweise die Westantarktis als Girlande (dann vermutlich Doppelgirlande) ansprechen. Im ganzen deutet aber das Girlandenphänomen auf eine Verschiebung der westpazifischen Kontinentalmassen, die etwa nach Westnordwest, also für die diluviale Pollage etwa nach Westen gerichtet war, die ferner mit der Längsachse des Pazifik (Südamerika—Japan) und mit der Hauptrichtung der alten pazifischen Inselreihen (Hawai-Inseln, Marshall-Inseln, Gesellschafts-Inseln usw.) zusammenfällt. Die Tiefseerinnen, einschließlich der Tongarinne, sind als Spalten senkrecht zu dieser Verschiebungsrichtung, also parallel zu den Girlanden, angeordnet. Es ist wohl keine Frage, daß alle diese Dinge ursächlich miteinander verknüpft sind.      Ganz ähnliche Girlanden sind auch in Westindien vorhanden, und auch der Südantillenbogen zwischen Feuerland und Grahamland| kann, wenn auch in etwas anderem Sinne, als freie Girlande angesprochen werden.

     Sehr auffällig ist die gleichartige Staffelung der Girlanden. Die Aleuten bilden eine Kette, welche weiter östlich in Alaska nicht mehr Randkette ist, sondern aus dem Innern kommt. Sie endigen bei Kamtschatka, von wo ab nun die bisher innere Kamtschatka-Kette mit den Kurilen als äußerste Kette die Girlande bildet. Diese endigt wiederum bei Japan, um der bisher inneren Kette Sachalin—Japan den Platz zu räumen. Auch südlich von Japan läßt sich diese Anordnung noch weiter verfolgen, bis bei den Sunda-Inseln die Verhältnisse verworrener werden. Und auch die Antillen zeigen genau dieselbe Staffelung. Es liegt auf der Hand, daß diese Staffelung der Girlanden eine unmittelbare Folge der Staffelung der einstigen Randgebirge der Kontinente ist und also auf das früher besprochene allgemeine Gesetz der Staffelfalten zurückgeht. Die auffällig gleiche Länge der Girlanden [Aleuten 2900, Kamtschatka—Kurilen 2600, Sachalin—Japan 3000, Korea—Riu-Kiu 2500, Formosa—Borneo 2500, Neuguinea—Neuseeland ehemals 2700 km][2] könnte vielleicht auf diese Weise bereits tektonisch in der Anlage der Randgebirge vorgezeichnet sein.

     Fujiwhara [195] hat sich eingehender mit dieser gestaffelten Lage, speziell der japanischen Vulkanketten, beschäftigt und sucht sie durch eine Rotation des nordpazifischen Meeresbodens gegen den Uhrzeiger zu erklären (relativ zu der fest gedachten asiatischen Scholle). Da alle Bewegung relativ ist, könnte man auch umgekehrt an eine Rotation der umgebenden Landmassen um den fest gedachten Boden des Pazifik im Sinne des Uhrzeigers denken. Dies ist deswegen von Interesse, weil der Nordpol bis vor geologisch kurzer Zeit im Pazifischen Ozean lag, so daß eine solche Rotation der Landmassen in der Vorzeit einer Westwanderung derselben entspräche. Ich halte es in der Tat für sehr wahrscheinlich, daß die gestaffelten Randketten von Ostasien durch eine solche ehemalige Westwanderung der Kontinentalschollen zu der Zeit, als der Pol noch im Pazifischen Ozean lag, angelegt wurden.

     Die auffallende Übereinstimmung der Girlanden in ihrem geologischen Bau war bereits früher erwähnt worden: ihre konkave| Seite trägt stets eine Reihe von Vulkanen, offenbar eine Folge des bei ihrer Biegung hier entstehenden Druckes, der die Simaeinschlüsse herauspreßt. Die konvexe Seite dagegen trägt tertiäre Sedimente, während diese am entsprechenden Festlandsufer meist fehlen. Dies deutet an, daß die Ablösung erst in jüngster geologischer Zeit vor sich gegangen ist, und daß die Girlande zur Zeit der Ablagerung dieser Sedimente noch den Rand des Festlandes bildete. Diese tertiären Sedimente zeigen überall starke Lagerungsstörungen, eine Folge des bei der Biegung hier auftretenden Zuges, der zur Zerklüftung und vertikalen Verwerfung führt. Nipon ist durch die zu starke Biegung in der Fossa Magna aufgebrochen. Daß dieser Außenrand der Girlande trotz der mit der Dehnung sonst überall verbundenen Senkung gehoben erscheint, deutet eine Kippbewegung der Girlande an, die man sich dadurch verursacht denken kann, daß sie gemäß der allgemeinen Westwanderung der Kontinentalscholle an ihren Endpunkten mitgeschleppt, in der Tiefe aber durch das Sima zurückgehalten wird. Mit demselben Vorgang scheint auch die meist ihren Außenrand begleitende Tiefseerinne zusammenzuhängen. Es war schon früher darauf aufmerksam gemacht worden, daß sich diese Rinne niemals auf der frisch entblößten Simafläche zwischen Kontinent und Girlande, sondern stets nur an deren Außenrande, also an der Grenze des alten Tiefseebodens bildet. Sie erscheint hier als eine Spalte, deren eine Seite von dem stark ausgekühlten und bis in große Tiefen bereits erstarrten alten Tiefseeboden, und deren andere Seite von dem sialischen Material der Girlande gebildet wird. Gerade in Verbindung mit der genannten Kippbewegung der Girlande wäre die Bildung einer solchen Randspalte zwischen Sial und Sima sehr verständlich.      Weiter ist in unserer Abb. 51 die bauchige Form des Kontinentalrandes hinter den Girlanden auffallend. Namentlich wenn wir außer der Küstenlinie selber auch die 200-m-Tiefenlinie betrachten, so zeigt sich, daß der Kontinentalrand stets das Spiegelbild einer S-Form aufweist, während die davorliegende Girlande einen einfachen konvexen Bogen bildet. Diese Verhältnisse sind schematisch in Abb. 52 B dargestellt. Die Erscheinung ist bei allen drei in Abb. 51 enthaltenen Girlanden in gleicher Weise ausgebildet und trifft z. B. auch beim ostaustralischen Kontinentalrand und seiner einstigen, durch den Südost-Ausläufer Neuguineas und Neuseeland gebildeten Girlande zu. Diese bauchigen Küstenlinien kennzeichnen einen Zusammenschub parallel zur Küste und also auch zur Streichrichtung| der Küstengebirge. Sie sind als horizontale Großfalten zu betrachten. Es handelt sich hierbei um eine Teilerscheinung in dem gewaltigen Zusammenschub, den das ganze östliche Asien in der Richtung Nordost—Südwest erfahren hat. Macht man den Versuch, diese Schlangenlinie der ostasiatischen Festlandsküste zu glätten, so wächst die Entfernung zwischen Hinterindien und der Beringstraße, die jetzt 9100 km beträgt, auf 11100 km.      Nach unserer Auffassung handelt es sich also bei den Girlanden und insbesondere den ostasiatischen um Randketten, die sich infolge der Westwanderung der Kontinentalmassen von diesen ablösen, indem sie an dem tief erstarrten alten Meeresboden haftenbleiben.

Abb. 52.

Scheme der Entstehung von Inselgirlanden.
A Querschnitt; B Aufsicht. (Der stark ausgekühlte Teil des Simas ist durch Strichelung bezeichnet.)

Zwischen ihnen und dem Kontinentalrand tritt junger, noch leichtflüssigerer Tiefseeboden fensterartig zutage.

     Diese Vorstellung ist eine andere als die, welche F. v. Richthofen, freilich von ganz anderen Voraussetzungen ausgehend, vertreten hat [186]. Er dachte sich die Girlanden entstanden durch einen vom Pazifik kommenden Zug in der Erdrinde. Zusammen mit einer breiten Zone des benachbarten Festlandes, die auch durch bogenförmigen Verlauf der Küste und der Erhebungen ausgezeichnet ist, sollten die Inselbögen ein großes Bruchsystem bilden. Das Gebiet zwischen Inselkette und Festlandsküste sei die erste „Landstaffel“, welche infolge einer Kippbewegung im Westen unter den Meeresspiegel getaucht sei, während der Ostrand als Inselgirlande herausrage. Auf dem Festlande glaubte v. Richthofen noch zwei weitere derartige Landstaffeln zu sehen, deren Senkung jedoch geringer war. Die regelmäßige Bogenform dieser Brüche bildete zwar eine Schwierigkeit, doch glaubte man, diesen Einwand mit dem Hinweis auf bogenförmige Sprünge im Asphalt und anderen Stoffen entkräften zu können.

     So sehr man auch anerkennen muß, daß diese Theorie das historische Verdienst besitzt, zum ersten Male mit dem Dogma von| einem überall wirksamen „Gewölbedruck“ bewußt gebrochen und Zugkräfte zur Erklärung herangezogen zu haben, so braucht man doch nicht viel Worte zu verlieren, um zu zeigen, daß sie unseren heutigen Erfahrungen nicht gerecht wird. Namentlich spricht die Tiefenkarte, so unvollkommen sie infolge mangelnder Lotungen hier noch ist, entschieden dafür, daß zwischen Girlande und Hauptscholle der Zusammenhang unterbrochen ist.      Wenn die Bewegung der Kontinentalscholle nicht wie in Ostasien senkrecht zu ihrem Rande geschieht, sondern parallel zum Rande, so können die Randketten durch Blattverschiebung abgestreift werden, ohne daß ein Simafenster zwischen ihnen und der Hauptscholle auftritt.

Abb. 53.

Kalifornien und die Erdbebenverwerfung von San Franzisko.

Im Grunde genommen handelt es sich hier um die gleichen Erscheinungen, wie sie für das Innere der Kontinentalscholle an der Hand unserer Abb. 49 (S. 192) erläutert waren, nur sinngemäß übertragen auf den Kontinentalrand: Bewegt sich die Scholle gegen das Sima, so tritt Randfaltung auf, und zwar entweder Überschiebungen oder Staffelfalten, je nach der Richtung der Bewegung. Bewegt sie sich vom Tiefseeboden fort, so spalten sich die Randketten ab. Ist aber die Bewegung eine scherende, so haben wir Blattverschiebung: die Randkette gleitet. Auch in diesem Falle haftet die Randkette an dem erstarrten Tiefseeboden. In unserer Tiefenkarte der Drakestraße Abb. 26 auf S. 97 kann man diesen Prozeß am Nordende von Grahamland besonders schön sehen.| Desgleichen ist die südlichste Kette der Sunda-Inseln Sumba—Timor—Ceram—Buru, die früher wohl die südöstliche Fortsetzung der Sumatra vorgelagerten Inselreihe gebildet hat, an Java vorbeigeglitten, bis sie von der heranrückenden Scholle Australien—Neuguinea ergriffen wurde.

     Ein anderes Beispiel ist Kalifornien. Die Kalifornische Halbinsel zeigt an ihren seitlichen Vorsprüngen Schleppungserscheinungen (Abb. 53), die ein Vorwärtsdrängen der Landmassen nach Südsüdost zu beweisen scheinen. Die Spitze der Halbinsel ist durch den Stirnwiderstand des Simas bereits amboßartig verdickt, und die Halbinsel erscheint im ganzen bereits stark verkürzt, wie aus dem Vergleich mit dem Ausschnitt des kalifornischen Golfs hervorgeht. Ihr nördlicher Teil hat sich nach Wittich [187] erst kürzlich aus dem Meere gehoben, und zwar um Beträge bis über 1000 m, ein deutliches Zeichen für starken Zusammenschub. Daß die Spitze früher wirklich in der vor ihr liegenden Einkerbung der mexikanischen Küste gelegen hat, kann nach den Konturen kaum bezweifelt werden. Die geologische Karte zeigt hüben wie drüben „postkambrische“ Intrusivgesteine, deren Identität allerdings noch nicht erwiesen ist.

     Aber außer der Verkürzung der Halbinsel selbst scheint auch noch ein Gleiten nach Norden oder richtiger ein Zurückbleiben der Halbinsel bei einem Südwärtsdrängen des Festlandes relativ zur Unterlage vorzuliegen, an dem wohl auch die nördlich sich anschließenden Küstenketten teilnehmen. Hierdurch erklärt sich die große Ausbauchung der Küstenlinie bei San Franzisko durch Stauung. Diese Auffassung wird in auffallender Weise bestätigt durch die berühmte Erdbebenverwerfung von San Franzisko vom 18. April 1906, die nach Rudzki [15] und Tams [188] in unsere Abb. 53 eingezeichnet ist. Denn der östliche Teil schnellte hierbei nach Süden, der westliche nach Norden. Wie zu erwarten, zeigten die Vermessungen, daß der Betrag dieser plötzlichen Verschiebung mit zunehmender Entfernung von der Spalte immer geringer wurde und in größerer Entfernung nicht mehr nachweisbar war. Natürlich war die Erdkruste auch schon vor dem Sprung in langsamer kontinuierlicher Bewegung. Andrew C. Lawson [189] hat diese Bewegung zwischen 1891 und 1906 mit der Sprungrichtung verglichen und kommt zu dem in Abb. 54 gezeigten, für die „Point Arenagruppe“ der Beobachtungen gültigen Resultat, daß ein Oberflächenelement auf der späteren Spalte sich in den genannten 15 Jahren um 0,7 m von A nach B bewegte, dann durch die Spaltenbildung geteilt wurde, wobei die| westliche Hälfte um 2,43 m nach C und die östliche um 2,23 m nach D schnellte. In der kontinuierlichen Bewegung zwischen A und B, die relativ zur Hauptmasse des nordamerikanischen Kontinents gedacht werden muß, zeigt sich, daß der westliche Kontinentalrand durch Anhaften am pazifischen Sima beständig nach Norden zurückgehalten wird. Der Sprung bedeutet nur einen ruckweisen Ausgleich der Spannung, bewegt aber nicht die Kontinentalscholle als Ganzes.

Abb. 54.

Bewegung eines von der Spalte durchschnittenen Oberflächenelements, nach Lawson.

 

Abb. 55.

Tiefenkarte von Hinterindien.
(Tiefenlinien 200 u. 2000 m; Tiefseerinne punktiert.)

     Es sei in diesem Zusammenhang noch auf einen anderen, gleichfalls sehr interessanten Teil der Erdrinde hingewiesen, der freilich noch wenig untersucht ist, nämlich den Kontinentalrand von Hinterindien (Abb. 55). Es ist namentlich das tiefe Meeresbecken nördlich von Sumatra, welches hier interessiert. Der Knick der Halbinsel Malakka entspricht dem Nordabbruch von Sumatra; aber es ist nicht möglich, die nördlich dieser Insel erkennbare fensterartige Entblößung der tieferen Schichten dadurch wieder zuzudecken, daß wir die Halbinsel Malakka wieder ausrichten. Das zeigt schon die vor dem Fenster liegende Inselkette der Andamanen. Wir dürfen hier vielleicht annehmen, daß der große Zusammenschub des Himalaja einen Zug auf die hinterindischen Ketten in ihrer Längsrichtung| ausgeübt hat, daß unter diesem Zuge die Sumatrakette am Nordende dieser Insel gerissen ist, und daß der nördliche Teil der Kette (Arakan) wie ein Tauende nach Norden in den großen Zusammenschub hineingezogen worden ist und noch wird. Zu beiden Seiten dieser grandiosen Blattverschiebung müssen sich dabei Gleitflächen ausgebildet haben. Interessanterweise blieb die äußerste Randkette, die Andamanen und Nikobaren, am Sima haften, und es war erst die zweite Kette, die diese merkwürdige Verschiebung erfuhr.

     Endlich sei noch kurz des bekannten Unterschiedes zwischen „pazifischem“ und „atlantischem“ Küstentypus gedacht. Die „atlantischen“ Küsten stellen Brüche eines Tafellandes dar, während die „pazifischen“ durch Randketten und vorgelagerte Tiefseerinnen gekennzeichnet sind. Zu den Küsten mit atlantischem Bau zählt man auch diejenigen von Ostafrika mit Madagaskar, Vorderindien, West- und Südaustralien, sowie die Ostantarktis, zu den pazifischen auch die Westküste Hinterindiens und des Sunda-Archipels, die Ostküste Australiens mit Neuguinea und Neuseeland und die Westantarktis. Auch Westindien mit den Antillen hat pazifischen Bau. Den tektonischen Unterschieden dieser beiden Typen entspricht auch ein verschiedenes Verhalten der Schwerkraft, wie Meissner [190] gezeigt hat. Die atlantischen Küsten sind isostatisch kompensiert, d. h. die schwimmenden Kontinentalschollen sind hier im Gleichgewicht. Dagegen herrschen bei den pazifischen Küsten Abweichungen von der Isostasie. Bekannt ist ferner, daß atlantische Küsten relativ frei von Erdbeben und auch von Vulkanen sind, während pazifische an beiden reich sind. Wo einmal an einer Küste atlantischen Typs ein Vulkan auftritt, zeigen seine Laven, worauf Becke hingewiesen hat, systematische mineralogische Unterschiede gegenüber den pazifischen Laven, sie sind nämlich schwerer und eisenreicher, scheinen also aus größerer Tiefe zu stammen.

     Nach unseren Vorstellungen sind die „atlantischen“ Küsten stets solche, welche sich erst seit dem Mesozoikum, zum Teil noch erheblich später, durch Spaltung der Schollen gebildet haben. Der vor ihnen liegende Meeresboden stellt also eine relativ frisch entblößte Tiefenschicht dar und muß daher als relativ flüssig betrachtet werden. Es kann aus diesem Grunde nicht überraschen, daß diese Küsten isostatisch kompensiert sind. Bei Verschiebungen ferner erfahren die Kontinentalränder wegen dieser größeren Flüssigkeit des Simas nur wenig Widerstand und werden daher weder gefaltet noch gepreßt, so daß weder Randgebirge noch Vulkane entstehen. Auch Erdbeben| sind hier nicht zu erwarten, da das Sima flüssig genug ist, um alle erforderlichen Bewegungen ohne Diskontinuität, durch reines Fließen, zu ermöglichen. Die Kontinente verhalten sich hier, übertrieben ausgedrückt, wie starre Eisschollen in flüssigem Wasser.      Die Erdoberfläche bietet zahlreiche Anzeichen dafür, daß das Wesen des Vulkanismus in einem passiven Herauspressen der Simaeinschlüsse aus der Sialrinde zu suchen ist. Am schönsten zeigen dies die gebogenen Inselgirlanden. Hier muß durch die Biegung auf der konkaven Innenseite Pressung, auf der konvexen Außenseite Zerrung eintreten. Tatsächlich ist ihr geologischer Bau, wie schon früher erwähnt, von einer auffallenden Gleichförmigkeit: die Innenseite trägt stets eine Reihe von Vulkanen, die Außenseite zeigt keinen Vulkanismus, aber starke Zerklüftung und Verwerfungen. Diese überall wiederkehrende Anordnung der Vulkane ist so auffallend, daß sie mir von der größten Bedeutung für die Frage nach dem Wesen der Vulkane zu sein scheint, v. Lozinski schreibt [191]: „In den Antillen kann man eine vulkanische Innenzone und zwei Außenzonen unterscheiden, von denen die äußerste aus jüngeren Ablagerungen aufgebaut ist und an Höhe zurücktritt (Suess). Der Gegensatz einer hochvulkanischen Innenzone und einer Außenzone mit zurücktretendem Vulkanismus kommt auch in den Molukken (Brouwer) und in Ozeanien (Arldt) zur Geltung. Die Analogie mit der Anordnung von Vulkanzonen auf der Innenseite von Schubzonen, wie im karpathischen oder varistischen Hinterlande, springt in die Augen.“ Die Lage des Vesuv, Ätna, Stromboli entspricht diesem Schema; von den Inseln des Südantillenbogens zwischen Feuerland und Grahamland ist gerade der stark gebogene mittelste Rücken der Süd-Sandwich-Inseln basaltisch, und einer seiner Vulkane ist noch tätig. Auf eine besonders interessante Einzelheit von den Sunda-Inseln haben wir schon früher hingewiesen: von den beiden südlichsten Inselketten trägt nur die einheitlich gebogene nördliche Vulkane, nicht die südliche (mit Timor), die, weil Außenkette, unter Zug steht und außerdem durch Kollision mit dem australischen Schelf bereits in umgekehrter Richtung gebogen wird. An einer Stelle aber, bei Wetter, ist auch die nördliche Kette bereits ein wenig eingebeult, weil die südliche (Nordostende von Timor) hier gegen sie drängt; und gerade an dieser Stelle ist auf der nördlichen Kette der Vulkanismus, der früher auch hier tätig war, erloschen, offenbar, weil hier die Biegung zurückgeht. Brouwer macht auch darauf aufmerksam, daß auch die gehobenen Korallenriffe| nur da vorkommen, wo der Vulkanismus fehlt oder erloschen ist, was gleichfalls darauf hindeutet, daß gerade diese Gebiete sich zusammenschieben. Das zunächst paradoxe Ergebnis, daß der Vulkanismus dort aufhört, wo Zusammenschub beginnt, findet im Rahmen unserer Vorstellungen eine ungezwungene Erklärung.

     Es ist nicht undenkbar, daß in den ältesten vorgeologischen Zeiten die Sialhaut noch die ganze Erde umkleidete. Sie kann dann in jener Zeit nur etwa ein Drittel ihrer heutigen Mächtigkeit gehabt haben und muß mit einer „Panthalassa“ bedeckt gewesen sein, deren durchschnittliche Tiefe A. Penck zu 2,64 km berechnet, und die wohl nur wenige oder gar keine Teile der Erdeberfläche frei ließ.

     Für die Richtigkeit dieser Vorstellung sprechen jedenfalls zwei Gründe, nämlich die Entwicklung des Lebens auf der Erde und der tektonische Bau der Kontinentalschollen.

     Steinmann sagt [192]: „Es zweifelt wohl kaum jemand ernstlich daran, daß das Leben des Süßwassers sowie des festen Landes und der Luft aus dem des Meeres hervorgegangen ist.“ Vor dem Silur kennen wir keine luftatmenden Tiere; der älteste Landpflanzenrest stammt aus dem Obersilur von Gotland. Nach Gothan [193] sind noch aus dem älteren Devon hauptsächlich nur moosartige Pflanzen ohne eigentliches Laub bekannt. „Spuren eigentlicher, spreitiger Blätter sind im älteren Devon selten. Fast alle Gewächse waren klein, krautig und von geringer Standfestigkeit.“ Dagegen wird die Flora im Oberdevon bereits der karbonischen ähnlich „durch das Auftreten großer, entwickelter, geaderter Blattspreiten, durch die durchgeführte Arbeitsteilung der Pflanze in bezug auf Ausbildung der tragenden und assimilierenden Organe… Der Charakter der Flora des älteren Devons, ihre niedrige Organisation, ihre geringe Größe usw. legt den Gedanken nahe, daß die Landflora dem Wasser entstammt, wofür sich schon Potonié, Lignier, Arber u. a. ausgesprochen haben. Die im Oberdevon beobachteten Fortschritte sind aufzufassen als Anpassung an die neue Lebensweise auf dem Lande, in der Luft.“

     Andererseits scheint es, als ob bei Ausglättung aller Falten in den Kontinentalschollen die Sialrinde tatsächlich genügend vergrößert wird, um sich um die ganze Erde herumzuschließen. Heute nehmen die Kontinentalschollen mit ihren Schelfen allerdings nur noch ein Drittel der Erdoberfläche ein, aber schon für das Karbon erhalten wir eine bedeutende Vergrößerung (auf etwa die Hälfte der Erdoberfläche). Je weiter wir aber in der Erdgeschichte zurückgehen,| um so umfangreicher sind die Faltungsvorgänge. E. Kayser [34] schreibt: „Es ist von großer Bedeutung, daß die ältesten archäischen Gesteine überall auf der Erde stark gestört und gefaltet sind. Erst vom Algonkium an finden sich neben gefalteten hier und da ungefaltete oder nur schwach gefaltete Ablagerungen. Gehen wir zur nachalgonkischen Zeit über, so sehen wir, wie die Ausdehnung und Zahl der starren unnachgiebigen Massen hier immer größer und dementsprechend der Umfang der faltbaren Krustenteile immer beschränkter wird. Dies gilt besonders für die karbonisch-permischen Stauungen. In nachpaläozoischer Zeit schwächten sich die faltenden Kräfte allmählich mehr und mehr ab, um indes in der jüngeren Jura- und der Kreidezeit wieder zu erwachen und in der jüngeren Tertiärzeit einen neuen Höhepunkt zu erreichen. Es ist aber sehr bezeichnend, daß das Verbreitungsgebiet dieser jüngsten großen Gebirgsstauung selbst hinter der karbonischen Faltung ganz beträchtlich zurückblieb.“      Hiernach steht die Annahme, daß die Sialsphäre einstmals die ganze Erde umgab, jedenfalls nicht mit den sonstigen Anschauungen im Widerspruch. Diese verschiebbare und selber plastische Erdhaut wurde nun durch Kräfte, deren Natur im 9. Kapitel erörtert wurde, auf der einen Seite aufgerissen, auf der anderen zusammengeschoben. Die Entstehung und Erweiterung der Tiefsee stellt also nur die eine Seite dieses Prozesses dar, deren andere Seite in der Faltung besteht. Auch biologische Gründe scheinen dafür zu sprechen, daß die Tiefsee erst im Laufe der Erdgeschichte sich herausgebildet hat. So schreibt Walther [194]: „Allgemeine biologische Gründe, die stratigraphische Stellung der heutigen Tiefseefauna, ebenso wie tektonische Untersuchungen drängen uns die Überzeugung auf, daß die Tiefsee als Lebensbezirk keine primitive Eigenschaft der Erde aus den ältesten Perioden ist, und daß ihre erste Anlage in dieselbe Zeit fällt, wo in allen Teilen der jetzigen Kontinente tektonische Faltungsbewegungen einsetzen und das Relief der Erdoberfläche so wesentlich umgestalten.“ Die ersten Risse der Sialsphäre, in denen die Simasphäre zum ersten Male zutage trat, mögen denen ähnlich gewesen sein, welche heute die ostafrikanischen Gräben bilden. Sie öffneten sich um so weiter, je größere Fortschritte die Faltung des Sials machte. Es war ein Vorgang, den wir etwa mit dem Zusammenfalten eines runden Papierlampions vergleichen können. Auf der einen Seite Öffnung, auf der anderen Zusammenschub. Höchstwahrscheinlich ist es die Fläche des allgemein für sehr alt gehaltenen Pazifischen| Ozeans, die auf diese Weise zuerst ihres Sialmantels beraubt wurde. Es wäre nicht undenkbar, daß die alten Faltungen in den Gneismassiven Brasiliens, Afrikas, Vorderindiens und Australiens das Äquivalent dieser Öffnung des Pazifik darstellen.      Diese Zusammenschübe der Sialsphäre mußten natürlich eine Verdickung und damit ein Herauswachsen zur Folge haben, während gleichzeitig die Tiefseebecken geräumiger wurden. Die Überflutungen der Kontinentalschollen mußten daher — abgesehen von ihrem Ortswechsel — im Laufe der Erdgeschichte im ganzen immer mehr abnehmen.

Abb.56.

Ehemalige und künftige hypsometrische Kurve der Erdoberfläche.
für die Zukunft, für die Gegenwart, für die Vorzeit, im Urzustand (zugleich mitlleres Krustenniveau).

Dies Gesetz ist allgemein anerkannt. Es geht auch aus der Betrachtung unserer drei Rekonstruktionskarten (S. 18) sehr deutlich hervor.

     Es ist wichtig, zu beachten, daß der Entwicklungsprozeß der Sialrinde ein einseitiger sein mußte, auch wenn die Kräfte wechselten. Denn Zugkräfte können die Falten einer Kontinentalscholle nicht wieder glätten, sondern sie höchstens zerreißen. Ein wechselndes Spiel der Druck- und Zugkräfte ist also nicht imstande, seine Wirkungen selbst wieder aufzuheben, sondern erzeugt einseitig fortschreitende Wirkungen: Zusammenschub und Zerteilung. Die Sialdecke wird im Laufe der Erdgeschichte immer kleiner (an Oberfläche) und dicker, aber sie wird auch immer mehr zerteilt. Diese Dinge ergänzen einander und sind Wirkungen derselben Ursachen. In Abb. 56 sind die hypsometrischen Kurven dargestellt, welche hiernach für die Vorzeit, Gegenwart und Zukunft anzunehmen wären. Das mittlere Krustenniveau stellt zugleich die ursprüngliche Oberfläche der noch ungespaltenen Sialsphäre dar.

     Andererseits besteht die Möglichkeit, das Becken des Pazifischen Ozeans als die Spur der Mondablösung nach Darwins Ideen zu betrachten. Dann wäre bei diesem Vorgang ein Teil der Sialkruste der Erde verlorengegangen. Der einzige Weg, zu einem Urteil hierüber zu kommen, scheint mir der zu sein, daß man den Grad der Zusammenfaltung der Sialschollen abzuschätzen sucht. Dazu liegt aber bisher wohl noch keine Möglichkeit vor.



  1. Vgl. Born in [45], S. 141.
  2. Die westindischen Girlanden zeigen dagegen eine Abstufung: Kleine Antillen—Südhaiti—Jamaika—Mosquitobank 2600, Haiti—Südcuba—Misteriosabank 1900, Cuba 1100 km.


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