Die Entstehung der Kontinente und Ozeane/Erstes Kapitel
← Vorwort | Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929) von Alfred Wegener |
Zweites Kapitel → |
| Erstes Kapitel.
Geschichtliche Vorbemerkungen.
Die gegenwärtige 4. Auflage des deutschen Originals ist wiederum wesentlich umgearbeitet, ja sie ist nahe daran, einen anderen Charakter anzunehmen als ihre Vorgänger. Als nämlich die vorige Auflage geschrieben wurde, war zwar auch schon eine umfangreiche Literatur über die Frage der Kontinentverschiebungen entstanden und zu berücksichtigen. Aber diese Literatur beschränkte sich in der Hauptsache auf zustimmende oder ablehnende Äußerungen und auf Anführung von Einzelbeobachtungen, die entweder für oder gegen die Richtigkeit sprachen oder zu sprechen schienen. Seit 1922 hat aber die Diskussion dieser Fragen in den verschiedenen Geo-Wissenschaften nicht nur außerordentlich zugenommen, sondern teilweise auch ihren Charakter geändert, indem die Theorie in zunehmendem Maße als Grundlage für weitergehende Untersuchungen benutzt wird. Dazu kommt noch der soeben erfolgte exakte Nachweis für die gegenwärtige Verschiebung Grönlands, durch den die Diskussion der ganzen Frage wohl für viele auf eine ganz andere Basis gestellt wird. Während daher die früheren Auflagen im wesentlichen nur eine Darstellung der Theorie selber und eine Zusammenstellung der für ihre Richtigkeit sprechenden Einzeltatsachen enthielten, stellt die gegenwärtige bereits eine Übergangsform zu einem Sammelreferat über diese neuen Forschungszweige dar. Schon bei der ersten Beschäftigung mit dieser Frage und von Zeit zu Zeit auch bei der späteren Entwicklung stieß ich mehrfach auf Anklänge an meine eigenen Vorstellungen bei älteren Autoren. Schon 1857 sprach Green von „Segmenten der Erdkruste, die auf dem flüssigen Kern schwimmen“ [63]. Eine Drehung der gesamten Erdkruste — deren Teile aber dabei ihre gegenseitige Lage nicht ändern sollten — ist bereits von mehreren Autoren, wie Löffelholz von Colberg [4], Kreichgauer [5], Evans u. a. angenommen worden. H. Wettstein hat ein Buch geschrieben [6], in welchem neben vielen Ungereimtheiten doch auch Ahnungen| von großen horizontalen Relativverschiebungen der Kontinente vorkommen. Die Kontinente — deren Schelfe er allerdings nicht mit berücksichtigt — erleiden nach ihm nicht nur Verschiebungen, sondern auch Deformationen; sie wandern sämtlich nach Westen, gezogen durch die Flutkräfte der Sonne im zähflüssigen Erdkörper (was auch E. H. L. Schwarz [7] annimmt). Aber die Ozeane sind auch bei ihm versunkene Kontinente, und über die sogenannten geographischen Homologien und andere Probleme des Erdantlitzes äußert er phantastische Vorstellungen, die wir übergehen. Ebenso wie der Verfasser ist auch Pickering von der Kongruenz der südatlantischen Küsten ausgegangen in einer Arbeit [8], in der er die Vermutung ausspricht, Amerika sei von Europa-Afrika abgerissen und um die Breite des Atlantik fortgezogen worden. Er hat aber nicht beachtet, daß man in der geologischen Geschichte dieser beiden Kontinente tatsächlich einen früheren Zusammenhang bis zur Kreidezeit anzunehmen genötigt ist, und so verlegte er diesen Zusammenhang in eine graue Vorzeit und dachte sich das Abreißen verbunden mit der von G. H. Darwin angenommenen einstmaligen Abschleuderung der Mondmasse von der Erde, deren Spur er noch im pazifischen Becken zu sehen meinte.Mantovani [86] hat 1909 in einem kurzen Artikel Ideen über Kontinentverschiebungen geäußert und durch Kärtchen erläutert, die zwar zum Teil von den meinigen abweichen, an einigen Stellen aber, wie z. B. in bezug auf die ehemalige Gruppierung der Südkontinente um Südafrika, erstaunlich damit übereinstimmen. Brieflich wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß Coxworthy in einem nach 1890 erschienenen Buch die Hypothese ausgesprochen haben soll, die heutigen Kontinente seien die zerrissenen Teile einer ehemals zusammenhängenden Masse [9]. Selbst hatte ich keine Gelegenheit, dies Buch einzusehen. Große Ähnlichkeit mit meinen eigenen Ideen fand ich auch in einer 1910 erschienenen Arbeit von F. B. Taylor [10], in welcher dieser für die Tertiärzeit nicht unbedeutende horizontale Verschiebungen einzelner Kontinente annimmt, die er dann mit den großen tertiären Faltensystemen in Zusammenhang bringt. Für die Lostrennung Grönlands von Nordamerika kommt er z. B. zu praktisch den gleichen Vorstellungen wie ich. Beim Atlantik nimmt er an, daß nur ein Teil seiner Breite durch Fortziehen der amerikanischen Schollen entstanden sei, während der Rest abgesunken sei und die mittelatlantische Bodenschwelle darstelle. Auch diese| Vorstellung unterscheidet sich nur quantitativ, aber nicht in dem Entscheidenden, Neuen, von der meinigen. Aus diesem Grunde wird die Verschiebungstheorie von den Amerikanern bisweilen die Taylor-Wegenersche Theorie genannt. Allerdings habe ich selbst beim Lesen von Taylors Schrift den Eindruck, daß er vor allem ein gestaltendes Prinzip für die Anordnung der großen Gebirgsketten suchte und dieses in einer Polflucht des Landes zu finden glaubte, und daß bei diesem Gedankengange die Verschiebung einiger Kontinente in unserem Sinne nur eine untergeordnete Rolle spielte und auch nur sehr kurz begründet wurde.Ich selbst habe alle diese Arbeiten — auch die von Taylor — erst zu einer Zeit kennengelernt, zu der die Verschiebungstheorie in ihren Hauptzügen von mir bereits ausgearbeitet war, einige sogar noch wesentlich später. Es ist wohl nicht ausgeschlossen, daß im Laufe der Zeit noch weitere Arbeiten entdeckt werden, die Anklänge an die Verschiebungstheorie enthalten oder diesen oder jenen Punkt vorwegnehmen. Eine historische Untersuchung hierüber ist noch nicht angestellt und im gegenwärtigen Buche nicht beabsichtigt. |
← Vorwort | Nach oben | Zweites Kapitel → |
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |