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Die Entstehung der Kontinente und Ozeane/Vorwort

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Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)
von Alfred Wegener
Erstes Kapitel
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Vorwort.


     Die Erkenntnis, daß zur Entschleierung der früheren Zustände unserer Erde alle Geo-Wissenschaften Indizien beizusteuern haben, und daß die Wahrheit nur durch Zusammenfassung aller dieser Anzeichen ermittelt werden kann, scheint noch immer nicht in dem wünschenswerten Grade Allgemeingut der Forscher geworden zu sein.

     So schrieb erst kürzlich der bekannte südafrikanische Geologe du Toit [78]: „Indessen muß, wie schon gesagt, dem geologischen Nachweis so gut wie vollständig die Entscheidung über die Wahrscheinlichkeit dieser Hypothese (der Kontinentverschiebungen) zufallen, denn solche Argumente, die auf der Verbreitung der Tiere beruhen, sind unfähig hierzu, da sie in der Regel in gleicher Weise, wenn auch weniger glatt, nach der orthodoxen Anschauung erklärbar sind, die ausgedehnte, später im Ozean versunkene Landverbindungen annimmt.“

     Der Paläontologe v. Ihering [122] dagegen meint kurz und bündig: „Es ist nicht meine Aufgabe, um geophysische Vorgänge mich zu kümmern.“ Er hat die „Überzeugung, daß nur die Geschichte des Lebens auf Erden die Erfassung der verflossenen geographischen Wandlungen gestattet“.

     Ja auch ich selber habe einmal in einer schwachen Stunde von der Verschiebungstheorie geschrieben [121]: „Dennoch glaube ich, daß die endgültige Entscheidung über sie nur durch die Geophysik gefällt werden kann, da nur sie über genügend exakte Methoden verfügt. Käme die Geophysik zu dem Ergebnis, daß die Verschiebungstheorie falsch ist, so müßte diese auch in den systematischen Geo-Wissenschaften trotz aller Bestätigungen aufgegeben werden, und es müßte für deren Tatsachen eine andere Erklärung gesucht werden.“

     Solche Urteile, nach denen jeder Forscher gerade sein eigenes Fachgebiet für das am meisten oder gar allein kompetente hält, ließen sich wohl noch leicht vermehren.

     Aber die Dinge liegen doch offenbar anders. Die Erde kann zu einer bestimmten Zeit durchaus nur ein Aussehen gehabt haben. Direkte Auskunft hierüber gibt sie nicht. Wir stehen ihr gegenüber| wie der Richter gegenüber einem Angeklagten, der jede Auskunft verweigert, und haben die Aufgabe, die Wahrheit auf dem Wege des Indizienbeweises zu ermitteln. Alle Belege, die wir beibringen können, tragen den trügerischen Charakter von Indizien. Wie würden wir den Richter beurteilen, der sein Urteil nur auf Grund eines Teiles der verfügbaren Indizien fällt?

     Nur durch Zusammenfassung aller Geo-Wissenschaften dürfen wir hoffen, die „Wahrheit“ zu ermitteln, d. h. dasjenige Bild zu finden, das die Gesamtheit der bekannten Tatsachen in der besten Ordnung darstellt und deshalb den Anspruch auf größte Wahrscheinlichkeit hat; und auch dann müssen wir ständig darauf gefaßt sein, daß jede neue Entdeckung, aus welcher Wissenschaft immer sie hervorgehen möge, das Ergebnis modifizieren kann.

     Diese Überzeugung diente mir als Ansporn, wenn mir bei der Neubearbeitung dieses Buches bisweilen der Mut sinken wollte. Denn es übersteigt die Arbeitskraft des einzelnen, die lawinenartig wachsende Literatur über die Verschiebungstheorie in den verschiedenen Wissenschaften lückenlos zu verfolgen, und es werden sich daher in dem vorliegenden Buche trotz aller darauf verwendeten Mühe zahlreiche und auch empfindliche Lücken in der Berichterstattung aufweisen lassen. Daß mir dieselbe überhaupt in dem erreichten Umfang möglich war, verdanke ich lediglich der außerordentlich großen Zahl von Zusendungen aus allen in Frage kommenden Fachgebieten, deren Spendern herzlich gedankt sei.

     Das Buch wendet sich in gleicher Weise an Geodäten, Geophysiker, Geologen, Paläontologen, Tiergeographen, Pflanzengeographen und Paläoklimatologen. Es bezweckt nicht nur, den Forschern auf diesen Gebieten eine skizzenhafte Darstellung der Bedeutung und Leistungsfähigkeit der Verschiebungstheorie auf ihrem eigenen Gebiet zu geben, sondern vor allem auch sie zu orientieren über die Anwendungen und Bestätigungen, die diese Theorie auf den übrigen Gebieten gefunden hat.

     Über die Geschichte dieses Buches, die zugleich die Geschichte der Verschiebungstheorie ist, findet der Leser alles Wissenswerte im ersten Kapitel.

     Erst während der Korrektur erschien der im Anhang mitgeteilte Nachweis der Verschiebung Nordamerikas durch die 1927 ausgeführte neue Längenbestimmung, auf die der Leser hingewiesen sei.

Graz, im November 1928.

Alfred Wegener.


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