Die Fütterung der Havelschwäne im Winter
[876] Die Fütterung der Havelschwäne im Winter. (Zu dem Bilde auf S. 865.) Wenn die Umgebung der Reichshauptstadt das absprechende Urteil nicht verdient, das man von Unwissenden oft über sie fallen hört, so verdankt sie das in erster Linie dem breiten, waldumstandenen Havelflusse. Von Heiligensee, einem durch seine köstlichen Fische gar berühmten Ausflugsorte, an beginnt die Havel mächtige, wenn auch nicht eben tiefe Seen zu bilden, und bis zu ihrem Eintritt in die Elbe schmückt sie nun die Flachlandschaft mit einer Kette weit ausladender, romantischer Buchten. Bei Potsdam, das durch sie zur Insel geworden ist, zeigt sie ihre Schönheit im höchsten Glanze, und hier ist es auch, wo die bekannten Havelschwäne ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben. Wohin immer man an schönen Sommertagen auf diesen Gewässern kommt, überall tauchen auf dem goldigen Blau der Flut wie weiße Riesenblumen die Leiber der majestätischen Vögel auf, überall erspäht man ihre Nester. Sie verleihen der Landschaft einen ganz besonderen Reiz, und der Umstand, daß sie sich scheinbarer Freiheit erfreuen, erhöht noch das Interesse für sie. Man sieht ja nicht, daß ihnen allen die Schwingen beschnitten sind, man hält sie für die natürlichen Bewohner dieses hübschen Erdenwinkels und weiß nicht, daß sie nur der Freigebigkeit des Königs ihr Hiersein verdanken. Der Havelschwan aber fühlt sich wohl in seiner Abhängigkeit. Die Tage sind vorbei, wo man ihn hier als einen jagdbaren Vogel behandelte, um so etwas mehr Nutzen und Vergnügen von der Fürsorge zu haben, die man ihm angedeihen ließ. Man nahm rechtzeitig Abstand von diesem Sport, als die Schwäne im Laufe der Zeit so zahm geworden waren, daß sie sich ruhig, und ohne einen Versuch zur Flucht zu machen, dem Schusse aussetzten. Seitdem wird nicht mehr ihr Leben, sondem nur noch ihr Federkleid bedroht, dessen man sie der geschätzten Schwanendaunen wegen mitunter teilweise zu berauben pflegt, und sie können als Pensionäre des Königs jeder Jahreszeit – auch dem gefürchteten Winter! – sorglos entgegensehen. Sie kennen ja ihren Futterplatz unfern der Eisenbahnbrücke, wo ihnen von ihrem eigens dazu angestellten Pflegevater zweimal täglich reichliche Nahrung geboten wird. Genau zur bestimmten Zeit kommen sie unter gewaltigem Geschnatter in großen Haufen von nah’ und fern herbei; da ist kein Zug, der sich verspätet, ist keiner, der nicht gierig der erste zu sein trachtet. Mit der Atzung wird nicht gegeizt, das wissen sie wohl, aber dennoch balgen sie sich um jedes Körnlein, und die Schwächeren müssen allemal geduldig warten, bis ihre Vormänner befriedigt abziehen. Oft genug sieht sich der alte Fischersmann sogar genötigt, besonders zudringliche Burschen mit kräftigem Hiebe abzuwehren. Die Fütterung, die Tag für Tag mehrere Centner Getreide verschlingt, dauert bis zu der Zeit, wo Strom und Bäche wieder vom Eise befreit sind und die stolzen Vögel es nicht mehr nötig haben, von der Menschen Gnade zu leben. Dann wandern sie allesamt wieder nach ihren langjährigen Standorten, diese nach Spandau und weiter hinauf, jene über den tückischen Schwielochsee zu den einladenden Brandenburger Seen.