Die Fata Morgana in der Wüste

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Textdaten
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Autor: Balduin Möllhausen
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Titel: Die Fata Morgana in der Wüste
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 475–477
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Fata Morgana in der Wüste.[1]
Schilderungen aus dem westlichen Nordamerika.
Von Balduin Möllhausen.

In den fernen, fernen westlichen Regionen, wo der wolkenlose Himmel sich in selten getrübter Klarheit über endlose Grasfluren und unabsehbare, dürre Sandwüsten wölbt, wo der einsame Wanderer die Richtung seines Weges nach der getreuen Magnetnadel oder nach den leitenden Gestirnen wählt, und vergeblich nach einer Unterbrechung der weitgeschweiften Linie des Horizontes späht, wo kein Baum oder Strauch, kein Hügel oder Berg das müde, irrende Auge grüßt, da schafft die Fata Morgana, bald lockend und fesselnd, bald neckend und peinigend ihre trügerischen Bilder.

Schon in der Frühe beginnt sie ihr launenhaftes Spiel, denn wenn die Sonne, das nächtliche Dunkel verdrängend, sich leise dem Rande der Wüste nähert, dann entstehen im gerötheten Osten, wie von unsichtbaren Händen erbaut, zauberische Paläste, malerische Städte, schlanke Obelisken und regelmäßige Denkmäler, wie sie die kühnste Phantasie nicht wunderlicher zu entwerfen vermag. Es sind dies die verschobenen Formen von Berg, Hügel und Wald, welche, zu ferne, um über den Horizont emporzuragen, sich in den oberen Luftschichten spiegeln.

Wie nun allmählich die Sonne höher steigt, verändern und verkleinern sich die bizarren Außenlinien, und die luftigen, aber scharf abhebenden Bilder erbleichen, ähnlich scheidenden Träumen oder den aus süßem Duft gewebten Palästen der Elfen in den Zaubermärchen. Eilen dann die ersten Lichtstrahlen blitzend über die weite Ebene, so verschwimmen sie endlich ganz im sonnigen Aether, und es zeigt sich dem Wanderer die Prairie wie ein grün schimmerndes Meer, die gelbe Sandwüste aber wie das starre, schreckenerregende Bild des Todes. – Wenn dunkele Schatten noch auf der Ebene ruhen, der Thau vereinzelte Halme perlenähnlich beschwert und den abgekühlten Sand leicht befeuchtet, dann schüttelt der kundige Wüstenreiter den Staub aus seiner Decke, sattelt sein [476] geduldiges Thier, und die erfrischenden Morgenstunden zur Reise benutzend, zieht er mit verdoppelter Eile dahin. Verwunderungsvoll schaut er hinüber nach den Städten und Schlössern, deren Zinnen ihm so einladend winken und den baldigen Aufgang der Sonne verkünden; er kennt die Erscheinung und berechnet die Tagereisen, die ihn noch von den schattigen Wäldern und aufstrebenden Bergen trennen, welche zwar noch tief unter dem Horizont liegen, deren Vorhandensein ihm aber die Luftspiegelung verräth. Sein Begleiter, ein eingeborener Sohn der Steppe, wendet keinen Blick von den phantastischen Formen und flüstert auf geheimnißvolle Weise: „Das ist Manitou, der uns zur Geduld mahnt und uns die goldenen Wigwams in den seligen Jagdgefilden zeigt.“

Höher steigt die Sonne; tausendfach brechen sich die Strahlen in den glatten, buntfarbigen Kieseln, welche den Boden mosaikartig bedecken, und schmerzhaft berührt der verstärkte Glanz das von allen Seiten geblendete Auge; mit gesenkten Häuptern ruhen die Männer im Sattel, und mit gesenkten Häuptern schreiten die Thiere dahin, wie im Vorgefühl der Qual, welche ihnen durch die sich steigernde Sonnengluth und den sich mehrenden Durst droht. Die Reiter vermeiden es zu sprechen, der letzte Trunk aus der Kürbisflasche wurde ja schon vorsichtig in der Frühe geschlürft, und wer weiß, wo und wann sie wieder auf Wasser stoßen werden, denn ringsum, so weit die Blicke reichen, ist kein Zeichen wahrnehmbar, von welchem man auf die Nähe einer Quelle schließen könnte; selbst die tröstende Luftspiegelung, die von fernen Wäldern und Bächen erzählt, ist verschwunden, und an ihre Stelle tritt die peinigende Luftspiegelung, welche in Afrika’s Sandsteppen so bezeichnend „Durst der Gazelle“ genannt wird.

Fata Morgana in der Wüste.

Freundlich winkt in der Ferne eine kleine Wasserfläche, dürrer Sand faßt dieselbe zwar ein, doch doppelt lieblich spiegelt sich dafür der blaue Himmel in den klaren Fluthen, die, wie von einem sanften Lufthauch bewegt, leicht gekräuselt erscheinen. Aufmerksam schauen die Reisenden hinüber, aufmerksamer noch beobachten sie das Benehmen ihrer Thiere, doch diese, vom Instinct geleitet, verfolgen unbeirrt mit gesenkten Köpfen ihren mühevollen Weg und achten des Wassers nicht, welches, gleichen Schritt mit ihnen haltend, neckisch vorauseilt. Höher steigt die Sonne und fast senkrecht fallen die brennenden Strahlen auf den heißen Sand. – Plötzlich beginnt der See sich nach allen Richtungen hin auszudehnen, und buchtenähnlich, wie beim Austreten großer Gewässer, erstrecken sich die Fluthen in weitem Halbkreise um die Wanderer. „Das ist das Gespenst der Wüste,“ sagt der weiße Reiter zu seinem rothhäutigen Gefährten. „Es ist der böse Geist, der uns zu martern gedenkt,“ antwortet dieser, „er ladet zur Rast ein, um uns zu verderben, aber seine Mühe ist vergeblich, selbst unsere Thiere glauben ihm nicht.“

Der schmale Landstreifen, der den umfangreichen See vom Horizont trennt, schwindet immer mehr, zerreißt endlich ganz, und wie auf dem ewigen Ocean, so schweift der Blick über eine Wasserfläche, welche in weiter Ferne mit dem sonnigen Aether zusammenfällt. Die erhitzte Atmosphäre bebt und flimmert, und wie mit regelmäßigem, gleichförmigem Wellenschlag bewegt sich der See; Meile auf Meile legen die Reiter zurück, und eben so schnell weicht vor ihnen der trügerische Wasserspiegel. Der Sand knirscht unter den beschlagenen Hufen und keuchend dringt der Athem aus der beengten Brust; sonst herrscht Todtenstille überall; die Natur scheint wie ausgestorben, und außer einigen goldbeschwingten Laufkäfern, die flüchtig über den losen Sand eilen, zeigt sich kein Leben in dieser niederdrückenden Einsamkeit. Da tauchen plötzlich aus dem Wasser, in nicht allzugroßer Entfernung, zwei unförmliche Gestalten auf; man könnte geneigt sein, dieselben für halbversandete Sphinxe zu halten, wenn sie nicht durch mancherlei Bewegungen Leben und eigenen Willen verriethen. Scheinbar schwimmend nähern sie sich mit gewaltigen Stößen einander und trennen sich dann wieder, und deutlich spiegelt sich ihr umgekehrtes Bild in den klaren zitternden Fluthen. Jetzt, wie durch Zauber, verwandeln sich die Sphinxe in breite, plattgedrückte Schwimmvögel, die bald mit verlängerten, bald mit verkürzten Hälsen auf dem Wasser einherschreiten. [477] Mit jedem Augenblick nähern sich die Reiter den wunderlichen Geschöpfen, und wie sich ihre Stellung zu denselben verändert, so verändern diese ihre merkwürdigen Formen, denn nachdem sie zu beinahe unsichtbaren Punkten zusammengeschrumpft sind, beginnen sie wieder in die Höhe zu schießen und zu wachsen, bis sie langgereckten, spindeldürren Kranichen gleichen. Die beiden Kraniche reißen mitten auseinander, und es erscheinen deren vier, von welchen zwei auf den Köpfen stehen, auf ihren hoch hinaufreichenden Füßen ihre eben so langbeinigen Doppelgänger tragen und deren kleinste Bewegung genau nachahmen. Das Wasser scheint unter den gespenstigen Bildern fortzugleiten, und nach wenig Schritten erblicken die Reisenden zwei hungrige Krähen, die sich bei ihrer Annäherung von dem glühend heißen Sande erheben und verdrießlich krächzend über sie hinflattern. „Das sind die bösen Geister,“ sagt der Indianer, „aber sie lauern vergeblich auf unser Fleisch.“

Sein Gefährte nickt, und schweigend verfolgen sie dann wieder ihre staubige Straße. Mechanisch halten sie die Augen auf einige Wildspuren geheftet, welche, an den runden Aushöhlungen in dem losen Sande kenntlich, in derselben Richtung stehen. Eine Bewegung der Thiere veranlaßt die Reiter aufzuschauen, und sie erblicken in geringer Entfernung eine schöngezeichnete Antilope, die sich eben erhoben hat und sie neugierig betrachtet. Die Büchsen gleiten in die Hände, doch wie im Bewußtsein einer annähernden Gefahr, eilt das anmuthige Thier in langen Sprüngen dahin. Nach kurzem Lauf erreicht es den See; das Wasser hemmt nicht seinen flüchtigen Fuß, aber wie ein muthwilliger Kobold verändert und verdoppelt es seine Gestalt in der nächsten Minute. Sich hin- und herschwingend wachsen die beiden über einander hängenden schattenähnlichen Figuren, nach einigen vergeblichen Versuchen der Vereinigung, fest zusammen, und sich ausreckend zur langhälsigen Giraffe und zusammensinkend zur unbeholfenen Schildkröte, eilt die Antilope unaufhaltsam dahin. Plötzlich versinkt sie in den Wellen, Kopf und Hals ragen noch hervor, doch auch diese verschwinden, wie bei Ertrinkenden erscheinen noch einige Male die äußersten Spitzen der Ohren und des Geweihes auf der Oberfläche, und auf vielen Quadratmeilen durch nichts unterbrochen, zittert und bebt das trügerische Wasser in seiner gewöhnlichen neckischen Weise. Stunden verrinnen, ermattet folgen die Thiere dem fliehenden See, der sich wie spielend ausdehnt und verkleinert und beständig seine niedrigen Ufer verschiebt; Inseln tauchen auf und verschwinden wieder; ein schmaler Landstreifen begrenzt zeitweise den Horizont, und stromähnlich schießen zuweilen Wasserstrahlen nach verschiedenen Richtungen hin.

Die Sonne senkt sich, schräger fallen die Strahlen, häufiger werden die Inseln, weniger das Wasser, bis endlich nur noch hin und wieder kleine Pfützen die mattgelbe Sandfläche zieren; doch auch diese zergehen, und ungestört liegt sie wieder da in ihrer traurigen Oede und Einsamkeit, die nackte, schreckliche Wüste.

„Ich wollte, das Wasser wäre nicht mehr ferne,“ sagt der weiße Reiter zu dem braunen, indem er mitleidsvoll den bestaubten und von Schweiß triefenden Hals seines geduldigen Thieres klopft.

„Eh’ die Sonne sinkt, werden wir dort sein,“ antwortet dieser, und stumm reiten sie dann wieder neben einander hin.

Da spitzen die Thiere plötzlich die Ohren, schnaubend stoßen sie den heißen Athem durch die weitgeöffneten Nüstern und ohne durch Peitsche oder Sporen aufgemuntert zu sein, beschleunigen sie ihre Schritte. – Nichts verkündigt dem Auge des Menschen die Nähe des Wassers, die Thiere aber haben es erkannt, neues Feuer blitzt aus ihren Augen, und so leicht eilen sie dahin, als ob keine Last ihre Rücken beschwerte. Eine Stunde später trinken Reiter und Thiere aus einer spärlichen aber klaren Quelle, welche in einer Thalsenkung den sandigen Boden in geringem Umkreise befeuchtet. Etwas Gras, untermischt mit dornigen, krautähnlichen Stauden, fesselt die Thiere besser, als es die langen Fangleinen vermöchten, und nach kärglichem Mahl aus der gefüllten Satteltasche lagern sich die Wanderer, um sich nach mühevoller Reise des erquickenden Abends und der nächtlichen Ruhe zu erfreuen. Die Sonne versinkt; schnell geht die Dämmerung in Dunkelheit über, tiefer Schatten bedeckt Alles, was das Auge unsanft berühren könnte, und gestattet es der regen Phantasie, sich mit Bildern reicherer Zonen zu umgeben; aber von mildem Licht übergossen erglänzt das sternenbesäte Firmament und erzählt und zeugt von der genauen Befolgung streng vorgeschriebener Gesetze.




  1. Die Fata Morgana, Kimmung, Luftspiegelung oder Mirage, wird erzeugt durch die Berührung ungleich erwärmter, mithin ungleich verdichteter Luftschichten und ist eine Art Gesichtstäuschung, die uns in der Ferne oder an dem Himmel verschiedene Bilder, wie Thürme, Thiere, Schiffe etc. zeigt, die in Wirklichkeit gar nicht an diesem Ort vorhanden sind, sondern vermöge einer besonderen Brechung der Lichtstrahlen von anderen Stellen dorthin gezaubert werden. Dergleichen Erscheinungen wiederholen sich in allen Erdtheilen, wo sich große Ebenen befinden, und wo sich die sehr ruhigen, erwärmten und daher verdünnten unteren Luftschichten nur langsam mit den oberen, dichteren mischen.