Die Feuerprobe

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Autor: M. Hagenau
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Titel: Die Feuerprobe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 319–322
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Feuerprobe.

(Zu dem Bilde S. 320 und 321.)


Um die Gestalt Heinrichs II, der als römisch-deutscher Kaiser in den Jahren 1002 bis 1024 regierte, hat die Nachwelt einen Kranz von Legenden gewoben. Ein Teil derselben bezieht sich auch auf seine Gemahlin Kunigunde, die gleich ihm durch einen frommen Lebenswandel sich auszeichnete. Aus dem Schatz dieser sagenhaften Ueberlieferungen schöpfte der Ende vorigen Jahres verstorbene Maler Konrad Weigand, als er die packende Zeichnung schuf, welche sich auf den folgenden Seiten wiedergegeben findet.

Der Teufel beneidete Kunigunde um ihren guten Ruf und brachte sie am Hofe derart in schlimmen Verdacht, daß selbst Kaiser Heinrich II der üblen Nachrede Glauben schenkte und seine Gemahlin der Untreue beschuldigte. Um sich von diesem ungerechten Verdacht zu reinigen, wählte die Kaiserin das Ordal des glühenden Eisens. Nachdem sie inbrünstig zu Gott gebetet hatte, schritt sie barfuß über zwölf glühende Pflugscharen, ohne sich im geringsten zu verletzen. Angesichts dieses Wunders fiel der Kaiser vor seiner Gemahlin auf die Kniee und leistete ihr feierlich Abbitte. Zu Bamberg, wo Kaiser Heinrich II im Jahre 1007 das später berühmt gewordene Bistum gründete und in dessen Dome sich sein und seiner Gemahlin Grabmal befindet, soll sich jenes Gottesurteil ereignet haben.

Das Weigandsche Bild zeigt uns den Beginn der ernsten Handlung. Eine treue Dienerin der Verdächtigen fleht vergebens den Kaiser um Gnade an; er ist nicht gesonnen, der Beschuldigten die schwere Prüfung zu erlassen. Während die glühenden Eisen bereits nebeneinander gelegt werden, betet Kunigunde, von der Geistlichkeit umringt, zum Himmel, daß er sie beschützen und ihre Unschuld erweisen möge. Wie die neuere Geschichtsforschung nachwies, entstand jene Legende im zwölften Jahrhundert. Wenn aber auch der Vorgang geschichtlich nicht verbürgt ist, so hat das Weigandsche Bild doch einen hohen kulturgeschichtlichen Wert. Es gewährt uns in seiner packenden Wirkung einen tiefen Einblick in die eigenartige Rechtspflege des Mittelalters.

Die Sitte, in schwierigen unklaren Rechtsverhandlungen die Gottheit selbst anzurufen, damit sie durch Zeichen oder Wunder über Schuld und Unschuld entscheide, ist uralt. Wir finden sie noch heute bei vielen Naturvölkern vor, und sie war auch bei allen arischen Völkern üblich. Als nun die Heiden in Europa zum Christentum bekehrt wurden, konnten diese alten Gewohnheiten der Rechtspflege nicht ohne weiteres beseitigt werden. Die Kirche und die weltlichen Behörden suchten jedoch den heidnischen Brauch nach Möglichkeit einzuschränken. Diese Gottesurteile oder Ordalien, wie man sie nach dem angelsächsischen Worte ordal (Urteil) nannte, durften nur dann als äußerstes Beweismittel zur Feststellung der Wahrheit stattfinden, wenn die üblichen Gerichtsverfahren versagten und namentlich der Eid und die Stellung von Eideshelfern nicht genügten. Außerdem wurde ihre Leitung in die Hände der Geistlichkeit gelegt.

Bei den germanischen Völkern wendete man verschiedene Arten der Ordalien an. Die verbreitetste war das Kampfurteil oder der Zweikampf, bei dem es schwächlichen Personen, den Weibern, den Geistlichen und Leuten vornehmen Standes erlaubt war, als Stellvertreter andere, sogar bezahlte Kämpfer vorzuschieben.

Galt es bei einer Mordthat, den Thäter zu ermitteln, so wurde das Bahrrecht angewandt. Der Beschuldigte mußte an die Bahre treten, auf die man den Ermordeten gelegt hatte, und die Wunden mit der Hand berühren. Fingen diese an zu bluten oder zu zittern, oder veränderte sich die Gesichtsfarbe des Toten, dann war der Angeklagte der Schuld überführt.

Ein weiteres Ordal war die Probe des geheiligten Bissens. Man gab dem Beschuldigten einen vorher gesegneten Bissen Brot, damit er ihn verschlucke. Vermochte er es nicht zu thun, dann war seine Schuld erwiesen. Daher soll das Sprichwort „Daß mir das Brot im Halse stecken bleibe!“ stammen.

Das Kreuzurteil, bei welchem die streitenden Parteien mit aufgehobenen Händen an einem Kreuze stehen mußten und das denjenigen schuldig erklärte, der zuerst die Hände sinken ließ, war nur kurze Zeit gebräuchlich: es wurde durch Ludwig den Frommen bereits im Jahre 826 verboten.

Am berühmtesten von allen Ordalien sind aber im Laufe der Zeit die Wasserprobe und die Feuerprobe geworden. Die erstere wurde in zweifacher Art geübt. Zunächst gab es die Probe mit kaltem Wasser. Dabei wurde der Angeklagte an einem Strick ins Wasser geworfen: sank er nach unten, so galt dies als Zeichen seiner Unschuld, schwamm er oben drauf, so sprach dies für seine Schuld. Bei der zweiten Abart dieses Gottesurteils, der Probe mit heißem Wasser, mußte der Beschuldigte, falls er sich vom Verdacht reinigen wollte, einen Ring oder Stein aus einem mit siedenden Wasser gefüllten Kessel mit bloßem Arm unverletzt hervorholen.

Dieses Ordal bildet gewissermaßen den Uebergang zu der Feuerprobe, die wiederum in mehreren Abarten angewandt wurde. Der Angeklagte konnte seine Unschuld dadurch erweisen, daß er seine Hand eine genau bestimmte Zeit lang in das Feuer hielt und sie unverletzt zurückzog, oder es wurde von ihm verlangt, daß er, nur mit einem Wachshemde bekleidet, unversehrt durch einen brennenden Holzstoß schritt. Schließlich gab es noch zwei Proben des heißen Eisens; bei der einen mußte der Beschuldigte ein glühendes Eisen von bestimmtem Gewicht eine genau vorgeschriebene Strecke, z. B. neun Schritte, weit tragen, bei der andern barfuß über 6, 9 oder 12 glühende Pflugscharen gehen.

Die Gerichte des Mittelalters müssen mit den Ordalien keine guten Erfahrungen gemacht haben, denn dieselben wurden nach und nach aufgehoben und verschwanden im 14.Jahrhundert fast gänzlich aus der Gerichtspflege. Erst in der trüben Zeit der Hexenprozesse wurden einige derselben, namentlich die kalte Wasserprobe, aus der Rumpelkammer abergläubischer Rechtsmittel hervorgeholt.

Bemerkenswert ist es nun, daß im „Hexenhammer“, der im Jahre 1489 herausgegebenen Anleitung zum henkermäßigen Verhören und Ueberführen der Hexen, den Richtern die Anwendung der Probe des glühenden Eisens und des kochenden Wassers widerraten wird. Denn schon durch natürliche Mittel, Kräutersäfte und dergl., könne das glühende Eisen unschädlich gemacht werden; der Teufel vermöge aber solches noch viel eher zu vollbringen. So wurde im Jahre 1483 im Territorium der Grafen von Fürstenberg eine Hexe verhaftet. Es gelang nicht, ihr durch die Folter ein Geständnis zu erpressen, und nun erbot sie sich, ihre Unschuld durch die Probe des glühenden Eisens zu erweisen. Der junge Graf war in solchen Dingen nicht erfahren, und er gab der Hexe auf, das glühende Eisen drei Schritte weit zu tragen; doch diese trug es sechs Schritte weit und erbot sich zur Wiederholung des Ordals. Erfreulicherweise wurde die vermeintliche Hexe auf freien Fuß gesetzt. Vor Richtern, die auf die Ratschläge des „Hexenhammers“ achteten, wäre es ihr schlecht ergangen, denn darin hieß es: „Verlangt eine Hexe die Probe des

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Kunigunde, die Gemahlin Kaiser Heinrich II, wird der Feuerprobe unterworfen.
Nach einer Originalzeichnung von K. Weigand.

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Man ersieht aus diesen Mitteilungen, daß schon damals in Deutschland Mittel bekannt waren, mit welchen die Haut gegen die Einwirkungen hoher Hitze weniger empfindlich und bis zu einem gewissen Grade „feuerfest“ gemacht werden konnte. Solche Künste wurden aber nicht allein von europäischen Zauberern geübt. Im fernen Orient und in Asien hat es seit jeher wunderliche „Heilige“ gegeben, die durch Proben ihrer Feuerfestigkeit die Volksmenge in Erstaunen versetzten. Ja sie leben dort noch heute, und Reisende können in Aegypten und Indien oft derartige Vorführungen der Fakire mit eigenen Augen schauen. In Kairo leisten diese Leute bedeutend mehr, als ehemals bei dem Ordal der Feuerprobe verlangt wurde. Sie schreiten nicht nur über glühende Pflugscharen, sondern sie bleiben mit bloßen Füßen auf einer zur Rotglut erhitzten eisernen Schaufel stehen, bis diese dunkel geworden ist; sie tragen glühendes Eisen in der Hand und lecken sogar daran; sie nehmen glühende Kohlen in den Mund und halten brennende Fackeln an den bloßen Arm, ohne sich zu verletzen.

Vor etwa 30 Jahren wurden ähnliche Vorführungen in spiritistischen Cirkeln veranstaltet. In Kiesewetters „Geheimwissenschaften“ ist ein Bericht über die Wunderleistungen des Mediums Home abgedruckt. Derselbe nahm im Zustand der Verzückung eine glühende Kohle aus dem heißesten Teil eines hellen Feuers und trug sie rings im Zimmer umher, so daß jedermann sehen und fühlen konnte, daß sie eine wirkliche war. Aber noch weit seltsamer ist die Mitteilung, daß dieses Medium in seinem Verzückungszustand dieselbe Gabe bei anderen Personen entdecken oder dieselbe auf andere übertragen konnte. Er legte z. B. eine glühende Kohle auf das Haupt eines Herrn Hall und strich dann dessen weißes Haar zu einer Art Pyramide über der roten Kohle. Bei dieser Vorführung wurden weder Haut noch Haare der Versuchsperson im geringsten verletzt.

Daraus folgern nun die Anhänger der modernen Geheimwissenschaften, daß es eine Art „mediumistischer Widerstandsfähigkeit“ gegen die Verbrennung gebe. In dem Zustand der Verzückung soll dieselbe bei gewissen Personen sich einstellen. Man wird uns wohl nicht verargen können, wenn wir an diese Behauptung nicht glauben, bis diese Versuche durch einwandfreie Personen nachgeprüft worden sind. Wir wissen wohl, daß in dem sogenannten Zustand der Verzückung, wie in der Hypnose und bei gewissen Nervenleiden, die Empfindung für Schmerz aufgehoben werden kann. Dann fühlen solche Personen die Schmerzen der Verbrennung nicht, aber ihre Haut wird doch mit Brandwunden bedeckt. Ein Hypnotisierter oder Kranker, der eine Zeit lang keine Empfindung gegen den Verbrennungsschmerz besitzt, ist noch lange nicht feuerfest im Sinne der Feuerprobe.

Die Hexen und die Zauberkünstler pflegten die Mittel zur Hervorbringung ihrer Künste geheimzuhalten; redseliger waren schon die Gaukler, die zu verschiedenen Zeiten durch das Bestehen mannigfacher Feuerproben das Publikum gewerbsmäßig unterhielten. Durch sie hat man denn auch erfahren, wie es möglich sei, einzelne Körperteile bis zu einem gewissen Grade gegen die Verbrennung zu sichern. Eins dieser Kunststücke wurde schon im 17. Jahrhundert gelegentlich des Auftretens eines englischen Tausendkünstlers Namens Richardson bekannt. Dieser Mann legte eine glühende Kohle auf die Zunge, fachte durch den Atem die Glut an, briet dann auf der Kohle ein Stückchen Fleisch und verschlang alles. Sein Diener erzählte, daß Richardson durch Bestreichen mit einer Säure seine Zunge gegen glühende Gegenstände unempfindlich mache. Gründlicher wurde noch die Sache aufgeklärt, als ein spanischer Tausendkünstler, Lionetto, im Jahre 1809 in Neapel auftrat und durch ähnliche Feuerkünste Aufsehen erregte. Ein Professor Sementini untersuchte die Sache und stellte verschiedene Versuche an. Durch entsprechende vorsichtige Behandlung der Handhaut mit Alaun gelang es ihm, dieselbe in hohem Grade gegen rotglühendes Eisen unempfindlich zu machen. Er konnte nun auch glühende Schaufeln anfassen, ohne die Hand zu verbrennen. Er fand ferner, daß durch eine Salbe, in der gleichfalls Alaun enthalten war, die Zunge derart präpariert werden konnte, daß sie durch siedendes Oel nicht verbrüht wurde. Natürlich durfte die Berührung erhitzter Gegenstände, wie dies auch bei der Feuerprobe der Fall war, nur kurze Zeit dauern.

Wenn wir nun bedenken, daß man schon im Altertum den Alaun benutzte, um Holz unverbrennbar zu machen, daß z. B. die alten Griechen ihre Schlachttürme zu diesem Zwecke mit einer Alaunlösung bestrichen, so wird man zugeben, daß findige Köpfe, die an Gaukeleien Gefallen fanden, auch Versuche angestellt hatten, mit demselben Mittel ihre eigene Haut schwer verbrennbar zu machen. Wir haben schon erwähnt, daß im „Hexenhammer“ von natürlichen Mitteln, Kräutersäften u. dergl. gesprochen wird, vermöge deren man sich gegen Verbrennungen und Verbrühungen bei der Feuerprobe schützen könne. A. de Rochas veröffentlichte vor einer Reihe von Jahren in der „Revue scientifique“ eine ganze Anzahl von Rezepten, die im Mittelalter zum Feuerfestmachen empfohlen wurden.

Für die Gegenwart haben sie keine praktische Bedeutung. Nur das eine möchten wir hervorheben, daß die Veranstaltung solcher Versuche nicht gefahrlos ist. Mitunter versagen die Mittel und dann erfolgen schlimme Verbrennungen, die langwierige Leiden und selbst den Tod nach sich ziehen können. Auf diese Weise sind schon Tausendkünstler und Fakire, die gegen das Feuer gefeit zu sein glaubten, verunglückt. Ferner ist das Präparieren der Haut durch scharfe Salben zu verpönen, indem dieselben Hautentzündungen und Vergiftungen nach sich ziehen können, noch gewagter ist es, die Zunge einer solchen Behandlung auszusetzen. Wir müssen darum unsre Leser eindringlich warnen, solche Versuche anzustellen, die um so zweckloser sein würden, als durch sie nur das bestätigt werden kann, was den Gauklern und Tausendkünstlern seit Jahrtausenden bekannt war.

Schließlich sei noch erwähnt, daß nicht jede Haut sich zu derartigen Kunststücken eignet. Die Empfindlichkeit und Reizbarkeit der Menschen ist verschieden; das gilt auch der Hitze gegenüber. Leute, die viel mit heißen Gegenständen hantieren, haben eine weniger empfindliche Haut als solche, die ihre Hände schonen. Mancher Mann, der im Bureau arbeitet, kann einen heißen Teller nicht angreifen, den seine in der Küche bewanderte Frau ohne jede Schmerzempfindung festhält. Noch abgehärteter ist die Haut von Menschen, die in Schmieden und Metallgießereien beschäftigt sind. Diese können mitunter Proben von Feuerfestigkeit geben, die geradezu unglaublich erscheinen. Wiederholt wurde von Arbeitern berichtet, die ihre Hand einen Augenblick in geschmolzenes Kupfer oder Eisen tauchen konnten, ohne sich zu verbrennen. Das sind erst recht gewagte und gefährliche Kunststücke, die niemand nützen können. Die Feuerprobe ist längst ein überwundener Standpunkt; was schon den Hexenrichtern nicht mehr imponieren konnte, sollte in unserer aufgeklärten Zeit selbst als Spielerei nicht geduldet werden. M. Hagenau.