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Die Gartenlaube (1853)/Heft 11

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 11. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Der Seewicher Pfarr-Kirmesstag.

Ein Bild aus dem thüringischen Volksleben.
von
Ludwig Storch.
Schluß.


Im Seewicher Pfarrhause war die Kirmeßlust im schönsten Laufe. Alle Räume waren vollgestopft von Menschen, und dem Kuchen und Biere wurde die gebührende Ehre angethan. Was nicht sitzen konnte, stand oder lag am grünen Boden oder drängte auf und ab. Das Bier war stark und die Stimmung wurde immer lauter. Derbe Witze und eben nicht zarte Späße platzten wie Raketen bald hier bald dort auf und erregten Gelächter. Kleine Haufen stimmten schon fröhliche Lieder an. Pseudo-Tauben-Jan schlich überall umher, besah sich die Gruppen und horchte auf ihre harmlose Unterhaltung. Plötzlich fühlte er sich am Arme gefaßt. Ein derber Ruhler Messerschmied stand neben ihm und raunte ihm zu: „Kerl, was trödelst Du denn umher! Wir warten schon eine halbe Stunde auf Dich. Hinten in des Knechts Kammer liegt Dein Anzug. Die Andern sind schon Alle fertig und warten nur noch auf Dich. Es gibt einen Hauptjux. Du wirst Dich gut machen als Narrenkönig. Mach nur die Manieren des Herzogs nach.“ Damit zog ihn der Sprecher fort in eine an den Viehstall grenzende Kammer. Hier fand er einen ganzen Narrenhofstaat auf’s Possierlichste herausstaffirt. Unter Necken und Schelten fielen drei vier Männer, die augenscheinlich schon viel Doppelbier getrunken hatten, über ihn her und zogen ihm die Jacke aus. Ein prächtiges Kleid, eine Karikatur des herzoglichen Staatskleides, ward ihm übergeworfen, eine Schellenkappe mit einer ungeheuern Blechkrone und Eselsohren ihm auf den Kopf gestülpt, dann wurden ihm ein schön gemaltes und mit allerlei Flittern behangenes Steckenpferd und ein tüchtiger Narrenkolben präsentirt, und alle Andern nahmen ebenfalls Steckenpferde zwischen die Beine. Der Zug ordnete sich; es war eine ganze Cavalcade. Endlich schloß sich eine Musikbande an, die sich derweil in einem Stalle aufgehalten hatte, nicht minder köstlich verlappt und vermummt, wie die Hauptpersonen. Plötzlich stürzte die ganze Bande mit rasender Musik in wilden Sätzen hervor. Ein ungeheurer Jubel brach los; Alles rannte herzu und schrie laut vor Vergnügen; denn man erkannte sogleich die Copie mehrer Persönlichkeiten aus dem eisenacher Hofstaat. Am meisten wurde natürlich der Narrenkönig beschrien und belobt und oft genug hieß es: „Ach wie köstlich! Das ist ja der Herzog wie er leibt und lebt.“

[110] Während die berittene Narrenzunft mit wahrem Korybanten-Lärm ihren tollen Umzug hielt, trat der Pseudo-Herzog in den Hof und besah sich mit lächelnder Miene das Schauspiel. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von seiner Ankunft unter der Menge und wirkte wie Oel auf empörte Meereswellen. „Der Herzog von Eisenach ist selber da!“ flog’s von Mund zu Mund. „Was wird das geben!“ – Der Steckenreiterzug ging durch’s Dorf, die Musik spielte zwar noch lustig, aber Manchem war doch die Lust vergangen, und wenn der König ihn nicht mit strengem Befehl zusammengehalten hätte, so wäre der Hofstaat wohl von einander gefahren und hätte sich salvirt. Er allein behielt die nöthige souveräne Fassung und Ruhe und brachte seine Leute glücklich alle wieder in’s Pfarrhaus zurück.

Dort war der Pseudo-Herzog unterdessen fast mit dem Pfarrer allein geblieben. Die Menge war mit dem Narrenzug gelaufen, oder hatte sich mit scheuem Respect zurück gezogen. Der Pfarrer schnitt tiefe Reverenzen vor dem vermeinten fürstlichen Herrn und bat flehentlich um Entschuldigung wegen der Mummerei, von der er nichts gewußt hatte. Jan benahm sich ganz passable fürstlich. Er war wortkarg und machte keine Umstände, winkte auch ganz gnädig mit der Hand, man möge sich durch ihn nicht in der Lust stören lassen. Auch geruhte er sich an einem Tische voll Kuchen und Bier nieder zu lassen und sprach den testamentarischen Gaben wacker zu, in aller Ruhe und schmausenden Behaglichkeit die Zurückkunft des Narrenhofs erwartend.

Sobald diese erfolgt war, begab er sich mit dem Pfarrer, der sich stets von neuem für die seinem Hause angethane Ehre bedankte, auf den Hof hinaus, wo der Narrenkönig inmitten seiner furchtsamen Getreuen sich eben anschickte ein Ordenskapitel abzuhalten. Er wollte neue Ritter in den Narrenorden aufnehmen, und gebieterisch winkte er dem Pseudo-Herzog herbei als dem Ersten, welcher den Ritterschlag empfangen sollte. Tauben-Jan wagte nicht zu refüsiren. Er dachte: „Du machst eben so lang mit als der Strang hält.“ Er trat hinzu. Der König befahl ihm nieder zu knieen, und Jan gehorchte. Der König applicirte ihm den Ritterschlag mit dem Narrenkolben über Schulter und Rücken, daß ihm schier Hören und Sehen verging und er beinah das Wiederaufstehen vergessen hätte. Andre folgten nach. Der Herzog that sich in der Maske des Narrenkönigs ein Genüge und bläute das lustige Volk nach Herzenslust durch. Jan restaurirte sich am Doppelbier und dachte: „Er hat mir einen Possen gespielt, was gilt’s, ich spiel’ ihm wieder einen.“

Er hatte schon beim Hereinquellen der Menschen mit dem Narrenzuge den Unterförster Voigt und seine Tochter Marielieschen unter der Menge bemerkt. Jetzt, nach beendigter Ceremonie erhob er sich mit affectirter Würde, winkte mit der Hand und gebot Stille. Darauf räusperte er sich und nahm das Wort mit Gravität: „Meister Tauben-Jan aus der Ruhl hat seine Rolle als Narrenkönig gut gespielt, und ich muß mich ihm für das Vergnügen, das er mir bereitet hat, dankbar bezeigen. So soll er denn meine Gnade auf zweierlei Art erfahren. Erstlich, da ich weiß, daß Tauben-Jan ein Jagdliebhaber ist und einem Rehbock oder einem Hasen gern auf’s Fell brennt, so ernenn’ ich ihn hiermit zum Kreiser auf meinem Ruhler Revier und geb’ ihm die Erlaubniß zur freien Jagd. Er wird sich dafür dankbar bezeigen.“ –

„Spitzbube! Der Teufel soll Dir das Licht halten!“ sagte der Narrenkönig halblaut.

„Zweitens, da ich weiß, daß mein Unterförster Voigt auf dem Heil’genstein in Jan’s einzige Tochter verliebt ist und die beiden jungen Leute einander gern heirathen möchten, so gebe ich zu solcher Verbindung hiermit meine fürstliche Einwilligung. Meister Jan wird ohne Widerrede sogleich seine väterliche Einwilligung geben. Kommt her, Voigt und Marieliese, ihr sollt mit einander verlobt werden.“

Pseudo-Jan machte ein grimmiges Gesicht, und wenn der Unterförster mit seinem niedlichen Schätzchen nicht in diesem Augenblick pfiffig lächelnd vor ihn getreten wäre, so würde vielleicht ein heftiger Ausbruch des fürstlichen Zornes erfolgt sein; denn der Herzog hatte im Nu die ganze ihm gespielte Intrigue durchschaut. Als er aber dem Mädchen in das niedliche unschuldige von Rosen und Lilien überhauchte Gesichtchen und in das glückstrahlende blaue Auge sah, hatte er schnell jede zornige Aufwallung vergessen und sagte lachend: „Recht schön! Ihr sollt ein Paar sein. Ich bin dem Durchlauchtigsten Herzog für seine Gnade sehr verbunden.“

Nun gab’s ein großes Jubiliren. Die Musik spielte einen lustigen Tanz; der Unterförster schwenkte sein Bräutchen und sogleich schlossen sich andre Paare an. Der Pseudo-Herzog leerte eine Kanne auf einen Zug, um sich die Schmerzen zu vertreiben, die ihm der empfangene Ritterschlag verursachte; und der Pseudo-Tauben-Jan that ebenfalls tüchtig Bescheid und spülte sich den letzten Rest von Aerger hinunter. Zur rechten Zeit hatte er sich erinnert, daß er hierher gekommen sei, an der Fröhlichkeit der Pfarrkirmeßgäste Theil zu nehmen, nicht aber sie zu stören. Als nun Alles in voller Lust tobte, ging er zu seinem Ebenbilde hin und sagte leise zu ihm: „Jetzt ist das Maß voll, frecher Patron. Tummle Dich, daß Du meine Kleider vom Leibe ziehst, wenn ich Dich nicht mit diesem Narrenkolben noch wacker durchbläuen soll. In der Knechtskammer hinten liegen die Deinigen.“

Jan verschwand im Nu. Bald wurde auch der Herzog nicht mehr gesehen.

Herr Werneburg hatte sich über Tauben-Jan’s gespielten Streich mehr geärgert als der Herzog selbst und bei sich beschlossen, dem frechen Taubenzüchtiger einen Denkzettel anzuhängen, den er sobald nicht vergessen solle. Während sich nun Jedermann im Pfarrhause der ausgelassensten Heiterkeit bei Kuchen, Bier, Musik und Tanz hingab, lag er dem Ortsschulzen im Ohre, berichtete den wahren Zusammenhang der Geschichte und stellte das bestimmte Verlangen, daß Tauben-Jan wegen Verletzung des dem Herzoge schuldigen Respects festgenommen und nach Eisenach in’s Gefängniß abgeführt werden solle. Der Schulz versah sich sofort mit seiner Polizeimannschaft, dem Nachtwächter und einigen jungen kräftigen Bauern und bestimmte den Pfarrer ein wohlverwahrtes Gemach einzuräumen, worin der Verbrecher bis zu seiner Abführung eingesperrt und bewacht werden sollte. Kaum war diesem Verlangen gewillfahrtet, als der Herzog in seinen Kleidern sich sehen ließ. Die Seebacher Ordnungsmannschaft stürzte sogleich auf [111] ihn los und der Schulz brachte ihn als Staatsverbrecher oder Hochverräther zur Haft. Der Herzog, von den Geistern des Doppelbiers sehr heiter gestimmt, fand das Quiproquo sehr spaßhaft und ließ sich seine Arretirung gern gefallen. Seit Jahren hatte er sich nicht so gut unterhalten, wie am heutigen Tage, und die neue Verwicklung war ganz nach seinem Geschmack. Er wußte es jetzt im Herzen seinem Unterförster Voigt Dank, daß dieser bei seinem hübschen Marielieschen in Bezug auf den für Tauben-Jan bestimmten Schlaftrunk nicht reinen Mund gehalten hatte, weil durch diesen Verrath die lustigen Begebenheiten des Tags veranlaßt worden waren und dramatisches Interesse gewonnen hatten. Für Tauben-Jan, der sich als Herzog sehr gut benommen, hatte er aber schier eine Zuneigung gewonnen. Ebenso hatte ihm der Pfarrer absonderlich gefallen. Als er nun in die Kammer abgeführt wurde, fiel ihm gar nicht ein, sich als wirklicher Fürst zu decouvriren; im Gegentheil ersuchte er den Schulzen mit kläglicher Stimme ihm den Pfarrer zu schicken, dem er seine Sünden beichten müsse. Tauben-Jan lief in der Narrenkönigstracht dem Schulzen und seinen Gesellen auch in den Weg und wurde mit der größten Devotion benachrichtigt, daß der „verdammte Ruhler Galgenstrick“ eingesteckt sei, und man nur der Befehle Sr. Durchlaucht unterthänigst warte, was mit dem frechen Menschen geschehen solle.

Jan war noch bierseliger als der Herzog. „Sitzt er fest, der Ruhler Spitzbub?“ lallte er mit schwerer Zunge. „Das freut mich. Gebt ihm Doppelbier so viel er trinken mag. Mir aber laßt einen lustigen Tanz aufspielen und schenkt mir eine frische Kanne ein. Wir wollen einmal zusammentrinken.“ Wer war wohl glücklicher als die Seebacher über die Herablassung und Leutseligkeit ihres gnädigsten Herrn.

Der Herzog in der Kammer hörte aber diese Verhandlungen mit an, und da er eben eine eigenthümliche Entdeckung in diesem seinen Gefängniß gemacht hatte, so beschloß er in bester Laune dieselbe zu einer neuen scherzhaften Rache an Tauben-Jan zu benutzen. Bei Besichtigung des Lokals gewahrte er nämlich einige ungewöhnlich große Backtröge voll Teig. Dies war der Teig zu den Pfefferscheiben, welche zu Weihnachten gebacken werden sollten; dieser mußte nämlich sechs bis acht Wochen vorher angemacht werden und an einem kühlen Orte gähren. Die Estrichkammer war das dazu bestimmte Lokal.

Der Pfarrer trat bald herein und war ziemlich bestürzt, als sich ihm der Gefangene als wirklicher Herzog zu erkennen gab, zeigte sich natürlich aber gern bereit den Plan des Herzogs, die Seebacher Ortsbehörde zu foppen, mit besten Kräften zu unterstützen. Zu diesem Behufe wurden Lichter – denn es war unterdessen Nacht geworden – ein gutes Abendbrod und ein kräftiger Punsch in das Gefängniß geschaft und Tauben-Jan vom Pfarrer eingeladen, des Herzogs Gast zu sein. Der lustige Taubenzüchter saß in dem Kämmerchen dem lustigen Fürsten gegenüber und erzählte auf dessen Befehl so gut er eben noch vermochte, allerlei Schnurren und Possen aus seinem Leben. Die Sicherheitswache vor der Thüre konnte sich über die Gnade ihres Fürsten, der dem verbrecherischen Schalenschneider aus der Ruhl im Gefängniß Gesellschaft leistete, vor Erstaunen nicht fassen.

Inzwischen dauerte es mit Jan’s Erzählungen gerade nicht lange. So kräftig auch seine Natur war, das Doppelbier hatte ihr schon zu arg zugesetzt, als daß sie dem Punsch, welchen ihm der Herzog fleißig zutrank, lange hätte Stand halten können. Er fiel endlich wie ein Sack unter den Tisch. Nun hatte der Herzog sein Ziel erreicht. „Komm, mein Junge, ich will Dich schlafen legen?“ sagte er lachend, hob ihn auf und trug ihn zu dem Backtrog, auf dessen Teig er ihn sanft bettete. Jan lag weich und schön wie in einem Eiderdaunenbette und schnarchte bald alle Töne.

Nun löschte der Herzog die Lichter und trat aus der Thüre. Die Wache, die ihn für den hielt, der er wirklich war, ließ ihn ungehindert passiren. Die Gäste zechten und lärmten noch. Der Fürst entfernte sich mit Werneburg unbemerkt und fand am Eingange des Dorfs sein Pferd, das er dorthin bestellt hatte.

Am andern Morgen früh war schon ein Bote da, welcher dem Schulzen erklärte, daß der Herzog und nicht Tauben-Jan eingesteckt worden sei. Werneburg, der sich ebenfalls eingestellt hatte, bestätigte diese Angabe. Der Pfarrer versicherte dasselbe. Der Schulz war in Verzweiflung. Mit dem ganzen Ortsvorstande zog er in die Pfarre, um den schwer gekränkten und gemißhandelten fürstlichen Herrn aus der Haft zu befreien und seine Verzeihung zu erflehen.

Aber auch Jan’s Ehehälfte hatte sich eingefunden, um ihren Schatz einzuholen und ihm den Text zu lesen, daß er in der Nacht nicht heimgekommen war. Er war nirgend zu finden; denn in der Kammer steckte ja der Herzog, und die Wache sagte aus, Jan habe sich Abends mit dem lügenhaften Vorgeben, er sei der Herzog, entfernt.

Die Kammer wurde geöffnet, kein Gefangner war zu sehen. Der Gemeindevorstand war wie versteinert. Da entdeckte der Schulz ein hochrothes menschliches Haupt, welches aus dem Pfefferkuchenteige hervorragte. Der übrige Körper war sanft in dem zähen Teige versunken. Ein Schrei des Entsetzens weckte den ruhigen Schläfer. Er schlug die Augen auf und sah sich verwundert um.

„Ach, Durchlauchtigster Fürst und Herr! Gnade! Gnade!“ lamentirte der Schulz, und die Andern fielen im Chorus mit kläglicher Stimme ein, warfen sich vor dem Backtrog auf die Kniee und streckten die Hände flehend nach dem vermeintlichen Gebieter aus.

„Das soll der Herzog sein?“ ließ sich plötzlich eine heftige Weiberstimme vernehmen, vor deren Ton der Mann im Pfefferkuchenteiche emporschrack. „Ihr Narren zusammen, das ist Tauben-Jan. Das muß ich besser wissen, denn ich bin seine Frau. – O Du abscheulicher versoffner Schlingel! Du Tagedieb! Du Leuteverderber! Was ist das für eine Schande! Im Teige in einem Backtroge zu liegen, Du Wicht!“ In diesem Tone ging die Predigt fort und schon machte die exaltirte Frau Anstalt, dem Pseudo-Herzoge mit den Nägeln in’s Gesicht zu fahren, als er sich mit Anstrengung rasch aus dem Teige erhob und nun ein ungeheures Gelächter entstand. Im Hintergrunde stand der Herzog, der von Hucherode, wo er übernachtet, herübergekommen war, um sich das Vergnügen dieser Scene zu verschaffen.

So übel nun auch Jan aussah, so machte er doch gute Miene zum bösen Spiel. Er meinte zu seinem Troste, [112] er habe es erst gewußt, daß mit großen Herren nicht gut Kirschen essen sei; sie würfen Einem Stiele und Kerne in’s Gesicht.

Die Sache nahm aber doch den besten Ausgang für ihn. Er erhielt noch ein gutes Frühstück und wurde des Herzogs Kreiser, so wie seine Tochter Frau des Unterförsters, wie er es in der Rolle des Herzogs selbst dekretirt hatte.




„Wasser thuts freilich.“

Vom Bodensee. 

Vinzenz Prießnitz.

Es war ein rauher kalter Tag des regnerischen Augustmonats anno 1851, als ich mit meinem Freund S. auf dem Dampfboot „Leopold“ die Wogen des Bodensees von Horn nach Constanz durchschiffte. S. war wie ich aus Hamburg, hatte sich nach vollendeter Lehrzeit einige Jahre in London, dann in Rio de Janeiro aufgehalten und sich zuletzt in Galacz häuslich niedergelassen. Hier war er seit vorigem Herbst von dem dort alle Jahre herrschenden Wechselfieber ergriffen; bis zum Skelet abgemagert, hatte er auf Anrathen der Galaczer Aerzte Oberitalien besucht, war aber hier, wohl in Folge der unerträglichen Hitze, abzehrenden Schweißen verfallen und glaubte sich bereits in Folge desselben eine sichere Beute des Todes, als er von einem Gasthofsgefährten in Venedig in die Berge der Schweiz, in die Heilanstalt des bekannten Wasserarztes Hahn, d. h. nach Horn am Bodensee verwiesen und hier binnen kurzer Zeit Besserung und Genesung fand. Dort hatten wir uns zufällig getroffen und waren bald einig, unser unerwartetes Zusammentreffen mit einem kleinen Abstecher den Rhein hinunter, bis an den Rheinfall, zu feiern.

Natürlich war er noch ganz voll von seiner brillanten Kur, von Lobeserhebungen über den Lebensretter, den er gefunden, von Lobpreisungen über die so einfache Behandlungsweise, [113] durch die er genaß. Wenn schon Freund und warmer Fürsprecher einer naturgemäßeren, vernünftigeren, enthaltsamen Lebensweise, und Feind, so lange es geht, des directen Einschreitens mit den Mitteln unseres so reichhaltigen Heilapparats, konnte ich dennoch nicht so ganz in den Enthusiasmus meines Freundes einstimmen; fehlte mir doch dazu bis jetzt noch die Ueberzeugung und besonders die directe Veranlassung einer gemachten Erfahrung; nichts desto weniger wußte ich aber letztere bei ihm zu würdigen, und zollte auch meinerseits gerne meinen stillen Dank dem Arzt und seiner Heilweise, die beide im Verein mir meinen Freund erhalten hatten.

„Schauen wir uns einmal die Schiffsgesellschaft da unten an,“ sagte ich, nachdem wir unsere Fahrbillets gelöst hatten, und zog ihn am Arm die enge Kajütentreppe hinunter. Ein buntes Gemisch von Reisenden saß da; die einen schwatzten oder aßen ein warmes Frühstück, eine Wurst oder eine Cotelette, die andern spielten Domino oder Karten; den größten und buntesten Haufen aber bildete ein halbes Dutzend junger Männer in Studenten- oder Turnertracht, die alle, ein Bierglas in der Hand und eine lange Pfeife im Mund, noch voll von den Erlebnissen der Turnerfahrt an das eidgenössische Turnfest waren, darüber hin und her debattirten. Es waren Alle noch blutjunge Söhne, Würtemberger, aus Tübingen, Ulm und Stuttgart, meist kräftige, stämmige Bursche; vor Allen aber erregte einer besondere Aufmerksamkeit; er schien der Matador unter ihnen zu sein. Von kräftiger gedrungener Statur, mit etwas bierrauschgeröthetem aufgedunsenen Gesicht, kleinen trüben Augen, hatte er überdies eine tüchtige Schmarre überm Mund, die ihn nicht allein äußerlich ziemlich entstellte, sondern auch seine Aussprache für immer undeutlich gemacht hatte.

J. H. Rausse.

„Hier ist meines Bleibens nicht,“ sagte mein Freund, nachdem er sich umgeschaut, „hinauf wieder auf’s Deck, in’s Freie; wollen uns lieber Nasen und Ohren droben vom Wind und Regen anpeitschen lassen, als hier unten pestilenzialische Luft athmen und dies ekelhafte Treiben mit ansehn zu müssen.“ „Seit mich,“ fuhr er fort, als wir wieder droben waren, und uns, einigermaßen geschützt auf eine Bank hinter dem Radkasten gesetzt hatten, „seit mich das Wasser in die Kur genommen, bin ich nicht allein physisch, nein, sondern auch moralisch ein ganz anderer, weit gesünderer und entschiednerer Mensch geworden, ich habe so zu sagen einen ganz neuen Menschen angezogen, habe an Willenskraft und Willensfestigkeit ganz enorm gewonnen. Ich kann diese eigenthümliche Wirkung wohl nichts Anderem, als der gebrauchten Kur und der durch sie erlangten Heilung zuschreiben, der seither befolgten Diät und Lebensweise, und vor Allem den Grundsätzen, die ich mit der Kur, durch Lesung der Rausse’schen Schriften und durch den persönlichen Umgang mit den Kurgenossen einsog. Denn es sind kaum ein Paar Monate, als auch ich noch gleich denen da unter uns das Lebensglück [114] und den Lebensgenuß nicht anders, als in sogenanntem freundschaftlichen Umgang bei Bier und Wein und Gesang und unsinnigen Streichen zu finden wähnte, und meinen leidenden Zustand fast nur hauptsächlich deshalb verwünschte, weil er mich eben zur Entsagung jener vermeinten Lebensfreuden verurtheilte. Ja! welchen Heroismus wähnte ich es noch, mich zum Gebrauch der Wasserkur entschlossen zu haben, einer Kur, die ja, wie es allgemein heißt, die diätetische Entsagung in jeder Beziehung auf die Spitze trieb, Dies und Das zu genießen verweigerte, zu fasten vorschrieb, und was dergleichen ungeheure Forderungen mehr waren. Aber jetzt, jetzt – lieber Freund – und bei diesen Worten ergriff mich mein Wasserenthusiast bei der Hand und drückte sie fast krampfhaft innig – jetzt erst bin ich zu der rechten, wahren Erkenntniß der Worte gekommen, die einst ein großer, so oft verkannter und mißbrauchter Mensch predigte: die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege. Entsagung predigte er, ein Postulat noch heute, wie damals an die Menschheit, die Christenheit. Predige heute Entsagung und Mäßigkeit, lehre Einfachheit der Natur und Lebensweise, empfehle Erhaltung und Stählung der Gesundheit – was wird Dir zur Antwort? ein schnödes, spöttisches Lächeln, vielleicht eine höhnische Abfertigung, und Du darfst zufrieden sein, wenn man Dich nicht als Narren verschreit. Wohl mögen daher noch Jahrhunderte, Jahrtausende vergehen, ehe nur dies eine Postulat der christlichen Lehre erfüllt wird, und nur schwer und langsam wird es immer mehr und mehr um sich greifen und allgemeineren Eingang verschaffen.“

Ein Gejauchze von unten herauf unterbrach hier meinen Freund, der bereits ganz warm in seinem Redefluß geworden war. Die Turner kamen die Treppe herauf, in ihrer Mitte ihren Helden mit der Schmarre, taumelnd mit glotzenden Augen. Man legte ihn auf die äußerste Spitze des Vorderdecks, an’s Bugspriet auf ein Paar aufgerollte Taue, und überließ ihn dort seinem schnarchenden Schlafe, um wieder in die Kajüte zu gehen, und auf’s Neue den Gläsern zuzusprechen.

Wir waren aufgestanden, um dem trunkenen Trupp zu rechter Zeit ausweichen zu können; als er wieder hinunter war, zog mich mein Freund, nachdem er vorher noch auf Constanz gedeutet hatte, von dem so eben die Domkuppel, in hellem Sonnenschein glänzend, sichtbar wurde, und damit uns einen herrlichen Abend am Rheinfall versprach, auf’s Neue auf die Bank, fortzufahren in dem, deß sein Herz jetzt so voll war.

„Ich glaube Dich gewiß,“ sagte er, „vertrauter als mich mit den Vorgängen auf den Feldern der verschiedenen Wissenschaften; ich will daher hier nur hinweisen auf die reformatorischen Bestrebungen der französischen Philosophen des vorigen Jahrhunderts. Du weißt, daß man ihnen und ihrem schriftstellerischen Wirken ein gut Theil des ihnen folgenden Umschwungs in den körperlichen und geistigen Erziehungsgrundsätzen zuschreibt. Vor Allem war es ja Rousseau, der in seinem „Emil“ die trefflichsten diätetischen und pädagogischen Grundsätze niederlegte. Mit ihnen war auch zugleich der Anstoß zum Umschwung vieler andern Wissenschaftszweige gegeben; so auch zu denen der Heilwissenschaft. Und in diesem wirst ja Du selber am Besten Bescheid wissen. Zwar wollt Ihr Mediciner es meist nicht haben, nichts desto weniger laß ich es mir nicht nehmen: Hahnemann nimmt einen der ersten, wenn auch nicht der würdigsten Plätze unter den Reformatoren der Arzneiwissenschaft ein. Hahnemann, dieser große und kleine Mann zugleich, groß als Denker, klein und niedrig als Charakter, räumte er nicht gehörig unter Euern veralteten empirischen Heilgrundsätzen auf, war nicht er es vor Vielen, der so kräftig und entschieden auf Vereinfachung der Diät hinwirkte, auf Verringerung Eurer oft entsetzlich gewagten Dosen heroischer Mittel hindrang, die Blutentziehungen als verwerflich hinstellte? Daß er kleinlich und erbärmlich genug dachte und handelte, seine Geistesgröße für seinen Geldbeutel auszubeuten, eine neue Heilmittel- und Heillehre aufzustellen, um damit die Wissenschaft zu bestechen und das Publikum zu betrügen – daran kann für die Geschichte wenig liegen; er hat seine Mission, die eine große und wichtige war, erfüllt, er hat dem großen Haufen die Augen geöffnet, dessen bisher unbedingten, bigotten Glauben an die Allmacht der Mediciner und die Allheilkraft der Medicamente tief erschüttert, an die Stelle des Genommenen etwas vernunft- und naturgemäßeres geboten – eben die Befolgung der uns offensichtigen Naturgesetze, – und mit allem Diesem seinen Nachfolgern in der gleichen Mission die Bahn geebnet.

Prießnitz, einem jungen Bauerssohn im österreichisch-schlesischen Gebirge, blieb es vorbehalten, eine Verhaltungsnorm für gesunde und kranke Tage nach allen Seiten hin, in jeder Beziehung und mit allen ihren Consequenzen aufzustellen. Auf dem Lande bei vorkommenden Schäden und Verwundungen, selbst bei innern Erkrankungsfällen auf seine einfachen Hausmittel (Diät und Wasser) angewiesen, hatte er bald einen ziemlichen Ruf in der Umgegend erworben. Aufgemuntert durch die selbsteigene Heilung eines gefährlichen Rippenbruchs an sich selber, und mehr noch durch die Zurufe des zu gleicher Zeit auftretenden Wasserapostels Oertel in Ansbach wuchs sein Ruf von Jahr zu Jahr, so daß nach kaum einem Decennium, in den letzten Dreißiger-Jahren er bereits alljährlich mehr denn tausend Gäste bei sich zählte. Was Prießnitz so groß hinstellte, waren vor Allem seine natürliche Begabung, sein Natur- und Scharfsinn in der Auffassung der ihm unter die Hände kommenden Krankheitsfälle, seine wenigen und von jedem Laien leicht faß- und begreifbaren natürlichen Heilmittel – die frische, freie Bergesluft, die sprudelnden klaren Bergesquellen, eine thätige Beschäftigung (theils ländliche Arbeit, theils Gehen, Bergsteigen, Turnen), und endlich eine kräftige einfache Diät, eine nüchterne Hausmannskost. Es waren hiermit alle Momente geboten, die eine sich durchaus an die Natur und ihre Gesetze lehnende Lebens- und Heilweise erfordert, daß Prießnitz sie auch zur letzteren, und zwar ausschließlich benutzte, ist sein größtes Verdienst, das wir aber wohl nicht allein auf Rechnung seiner Person, als besonders auch mehrerer ihn begünstigender glücklicher Nebenumstände schreiben müssen. Blieb ihm ja doch als Bauer, ohne wissenschaftliche Studien und Kenntnisse und ohne gesetzliche Befugniß von vornherein schon fast keine andere Wahl; dann auch wurde er durch den einmal erlangten Ruf als Wasser- und Naturarzt und durch den Enthusiasmus und vielleicht entschiedenen Eigensinn [115] seiner Patienten, keine Medikamente mehr brauchen zu wollen, förmlich gezwungen, consequent und ausschließlich seiner Naturheilweise die Heilung seiner Patienten anzuvertrauen. Auf diese beschränkt, sah er sich natürlich genöthigt, sie für alle möglichen vorkommenden Fälle zu combiniren, zu modificiren; und auf diese Weise hat er einen Heilapparat zusammengestellt, mit dem er Wunder verrichtete, an’s Unglaubliche grenzende Heilungen zu Wege gebracht, hat er einen Heilapparat aufgestellt, der kaum noch der Erweiterung und Vervollkommnung fähig wäre, wenn wir für jetzt etwa uns noch unbekannte oder wenigstens noch nicht genügend bekannte Naturkräfte (Electricität, Magnetismus?) ausschließen.

Prießnitz hat sich so einen Platz in der Geschichte errungen, der ihm nicht streitig gemacht werden kann. Daß er auf dem Gipfel seiner heilkünstlerischen Höhe, seines Rufs und Glücks angelangt, sich nicht zu behaupten wußte, sondern, geschmeichelt von den ihm gemachten Huldigungen, geblendet von den Reichthümern, mit denen ihn seine geheilten und nicht geheilten reichen Patienten freiwillig überhäuften, – ausartete, sich einem fast unbegrenzten Stolz und Eigennutz ergab, wer will ihn ungehört verdammen? Wer von uns wollte von sich behaupten, daß er sich niemals eher, fester auf solcher Höhe zu behaupten gewußt hätte? De mortuis nil nisi bene – den Todten soll man nur das Gute nachreden, – und so möge denn auch Prießnitz ruhen. Wir, vor Allem wir schon jetzt durch seine Heilart Gesundeten und dann die ganze Menschheit wird ihm ewig, ewig Dank wissen müssen für die endliche allseitigpractische Handhabung der Naturgesetze für die allein allgültige Lebens- und Heilweise.

Prießnitz erfand den Heilapparat der Wasserheilkunde; es galt, um seine Entdeckung vollkommen und für alle Zeiten erhaltbar zu machen, jetzt nur noch, seine Praxis theoretisch, wissenschaftlich festzustellen; und dieses eben so erhabene Verdienst gebührt einem nicht minder großen Manne, einem seiner Schüler, dem gleich Jenem über die ganze Erde bekannten J. H. Rausse oder um ihn bei seinem rechten Namen zu nennen, H. F. Francke, „einem der größten Denker unserer Zeit,“ wie ihn sein Biograph, der bekannte Philosoph Prof. F. Kapp nennt, „einem Mann der Wahrheit, einem Mann ohne Menschenfurcht und Menschenhaß, der sich nur in soweit wahrhaft Mensch fühlt und weiß, als er wahre Menschen um und vor sich hat, dem „Einzigen,“ welcher bis jetzt mit dem Begriff die Sache sich unterworfen, und den „Geist der Gräfenberger Wasserkur“ richtig aufgefaßt und dargestellt hat, dem Ersten, welchem aus dem Begriff der Sache die unumstößliche Gewißheit hervorgegangen ist, daß die physische Wiedergeburt der Menschheit die alleinige und unerläßliche Bedingung zu ihrer geistigen Wiedergeburt ist.

„Für Rausse schwärme ich,“ unterbrach sich mein Freund in seinem Redeflusse, „und Du mußt schon entschuldigen, wenn ich Dir auch vielleicht zu enthusiastisch für ihn erscheine. Was wäre die Wasserheilkunde ohne Rausse? Hätte sie jetzt nicht wieder ein gleiches Schicksal vor sich, wie schon vor Jahrhunderten, wo sie, trotz mancher beredter Fürsprecher und Vorkämpfer, dennoch wieder in Vergessenheit gerieth? Rausse hat sie davor bewahrt, er hat ihr die ihrer würdige Vertretung in der Literatur und Wissenschaft angewiesen. Nur als einzelner Beleg hierfür mag Dir dienen, daß das Journal für Wasserheilkunde in Nordamerika (the watercure journal and herald of reforms by Dr. Nichols, Newyork) jetzt bereits 20,000 Abonnenten zählt. Rausse mußte erst den Kelch menschlichen Krankheitsleidens bis auf den letzten Tropfen leeren, mußte erst sich selbst und seine gesammte Mitmenschheit physisch für verloren geben, mußte erst zu Prießnitz auf den Gräfenberg gehen, und dort gesunden, um zu dem begeistertsten der Apostel seiner Sache zu werden. Als wissenschaftlich Gebildeter war er auch glücklicherweise der Befähigteste. Rausse war praktisch kaum 4 Jahre thätig und erstaunen muß man, was er in diesem kurzen Zeitraum Großes und für alle Zeiten Werthvolles gestiftet hat. Er hat zwei bedeutende Anstalten gegründet, 5 der tüchtigsten Schüler herausgebildet; seine Schriften, theoretische wie praktische, sind in Tausend und aber Tausend Exemplaren und in fast allen gebildeten Sprachen in fast Allen Händen, und zu seinen Heilgrundsätzen bekennen sich bereits Unzählige und segnen sie aus Erfahrung, aus Ueberzeugung.

„Du darfst Rausse nicht zu den gewöhnlichen Wasserärzten zählen, die da meinen, mit einer einfachen empirisch-methodischen Anwendung des Wassers sei es gethan, das sei eine Wasserkur und damit müsse Alles kurirt und Alles gesund werden. Nein, so Unsinniges und so Unmögliches wollte Rausse nicht. Rausse hat der Wasserheilung Grenzen vorbehalten, die Grenzen der Naturheilung; er hat in allen seinen Schriften immer und immer wieder auf den einen Moment seiner Wasserheillehre hingewiesen, daß sie, von ihm consequent Naturheillehre bezeichnet, sich überhaupt aller sogenannten Heilmittel zu enthalten habe, sowohl der Medikamente als Heilmittel, wie auch des Wassers als besonderen Heilmittels. Er will, daß ausschließlich nur diejenigen Natureinflüsse benutzt werden sollen, kranke Körper gesund zu machen, die auch nur den gesunden gesund sein und bleiben lassen; er will, daß sie auch nur und ausschließlich nur in der Form benutzt werden sollen, wie sie auf den gesunden Körper in gesunderhaltender Form einwirken – mit einem Wort: er will den Instinkt, an der Hand der Erfahrung und der Vernunft den einzigen maß- und rathgebenden Arzt sein lassen. Rausse will den kranken Organismus nicht zwangs- oder kurweise, sondern naturgemäß allein aus, mit und durch sich selber gesunden lassen.

„Solches sind Rausse’s Heilgrundsätze; zu ihren Bekennern darfst Du auch mich zählen, und es sollte mich unendlich freuen, wenn ich auch Dich gewinnen, ganz und unbedingt gewinnen könnte.“

„Lieber Freund, entgegnete ich, dies wird Dir vielleicht nicht so schwer werden wie Du meinst. Zwar muß ich gestehen, daß ich gegen das Treiben der meisten Wasserärzte in ihren Anstalten einige Antipathie habe, nicht aus Vorurtheil, sondern aus Ueberzeugung. Grundsätzen aber, wie die von Dir erwähnten Rausse’schen kann ich, wenn sie sich in Wirklichkeit so herausstellen, durchaus nur meine Billigung geben. Du weißt ja, daß ich mich lange zu den Anhängern und Förderern einer einfacheren Natur- und Lebensweise bekenne, schon seit Jahren an mir ausübe, daß ich ihr vor Allem meinen seit der Zeit erträglichen Gesundheitszustand zu danken habe, und darum ihr auch, soweit mir in meinem praktischen Wirkungskreise Gelegenheit [116] geboten wird, warm das Wort rede. Ich verfolge mit Aufmerksamkeit die reformatorischen Bestrebungen auf allen wissenschaftlichen Gebieten, und begrüße jeden Fortschritt zum Besseren und zu einer vernünftigeren und nüchterneren Natur- und Weltanschauung mit lebhafter Freude. So sind es die Institute der Mäßigkeitsvereine, die Turn- und Schwimmanstalten, mehr aber noch und in weit wichtigerem Grade die Erfahrungen und Resultate der neueren Naturforscher, der Geologen und Physiker, der Chemiker, der Physiologen, der Pathologen, der Anatomen, die alle meine ungetheilte Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen; und ich bin der festen Ueberzeugung und glaube auch Dich damit einverstanden, daß sie alle für sich, gleich wie Dein Prießnitz und Rausse nur die einzelnen Glieder in der großen Kette der Menschheit und Weltreformer sind, der Menschen- und Weltbefreier aus den Banden der Befangenheit, des Aber- und Unglaubens, der Unmoral, der Genußsucht und Verweichlichung, des Siechtums, der leiblichen und geistigen Unmündigkeit. Da sind die Humboldt und Buch, die Burmeister und Roßmäßler, die Müller und Liebig, die Oppolzer und Rokitansky, die Bock und Richter, Moleschott und Wunderlich und viele andere Zeitgenossen und Koryphäen der verschiedenen Wissenschaftszweige allein in unserm Vaterlande; und wer zählt erst die andern Nationen, die alle, alle emsig und unermüdet sind, das Unbekannte zu ergründen, das Bessere zu erforschen, und das Erworbene dem Volke bekannt und verständlich, und nutz- und anwendbar zu machen.

„Du siehst, ich kann Dich und Deinen neuen und lebhaften Enthusiasmus für eine gute Sache wohl begreifen und weiß ihn wohl zu würdigen. Laß uns aber drum auch noch nicht verzweifeln an der heutigen Welt, hoffen wir ein allgemeines Hell- und Lichtwerden in den Köpfen, ein allgemeines Ernüchtern und Gesunden der Leiber und ein allergreifendes Besserwerden.“

Bei diesen Worten ertönte die Schiffsglocke, wir liefen in den Hafen von Constanz ein, um nach einstündigem Aufenthalte weiter rheinabwärts zu schwimmen.




Javanische Skizzen.

Von
Fr. Gerstäcker.
I.
Eine Kaffeeplantage mit ihren Arbeitern.

Am Sonnabend Abend hatte ich auf Tjioem boeloeit Hrn. Phlippeau wieder getroffen und mit diesem besprochen, daß ich am Montag nach Lembang hinaufkommen solle, die dortige Kaffeeplantage zu besuchen und eine ordentliche Rhinocerosjagd zu machen. Er hatte sich indessen nämlich genau erkundigen lassen und erfahren, daß nicht allein in letzterer Zeit mehrere Rhinocerosse, und zwar sehr starke Thiere, am Ufer eines kleinen, hoch in den Bergen liegenden Sees gesehen worden wären, sondern daß es auch dort Bantangs, oder wilde Kühe gäbe und eines der Rhinocerosse sehr stark den wilden Kühen den Hof machen solle, wenigstens immer in ihrer Nähe gesehen würde. –

Nun rede Einer von Kaffeegesellschaften bei uns zu Haus, wo der gute Ruf unserer Mitmenschen untergraben und den unschuldigsten Verhältnissen boshafte Deutungen untergeschoben werden – da soll man sich noch darüber wundern, wenn hier oben die Rhinocerosse in den Bergen nicht einmal sicher vor schlechter Nachrede sind.

Montag den 1. December also ritt ich auf einem Pferd des Regenten, der mich wirklich mit einer unermüdlichen Gefälligkeit stets mit Pferden versorgte, nach Lembang hinauf, und der Richtung des Taneuban prau, eines jener Krater zu, die noch immer wühlen und kochen im Innern, und dann und wann einmal die ganze Insel mit einer plötzlichen Eruption erschüttern, und mit glühender Lava das wieder, was sich an Vegetation schüchtern in ihre Nähe gewagt hatte, verwüsten.

Von Bandong aus ritten wir zuerst, denn ich hatte vom Regenten auch einen Burschen mit bekommen, der die Pferde wieder zurückführen sollte, einige Meilen im flachen Lande fort, durch die reizende Bandong-Ebene, dann aber betraten wir die Hügel, und stiegen von nun an, die sich ziemlich rasch hebende Höhe, fortwährend bergauf, dem von Bandong etwa neun Paalen entfernten Lembang zu. Lembang liegt etwas über 4,000 Fuß über der Meeresfläche.

Aber keine öden, wilden Berge sind es, in deren dichter, noch unentwegter Vegetation der Weg sich hinaufwindet, wie über den Megamendong, sondern jeder Fuß breit war hier benutzt, keine Stelle lag unbebaut, und oben vom Gipfel ab rieselten die lebendigen klaren Quellen nieder, und sprangen von Terrasse zu Terrasse auf regelmäßig und oft kunstvoll angelegte Reisfelder, die jungen Pflanzen zu frischen und zu tränken. Hier und da unterbrachen einzelne kleine Kampongs mit ihren Kaffebüschen, Arenpalmen und andere Fruchtbäume die aufgeschichteten Felder – nur die Cocospalme hörte hier oben auf zu wachsen, und wenn auch an einzelnen Stellen einzelne gepflanzt waren, und ihre feinen herrlichen federartigen Blätter aus dem fruchtbaren Boden heraustrieben, mußte ihnen doch die kalte hinüberwehende Bergluft nicht zusagen – sie gediehen nur kümmerlich und trugen keine Früchte.

Um zehn Uhr etwa erreichten wir Lembang, es liegt auf dem Gipfel der ersten Hügelreihe nach den Kraterbergen hinüber Front machend, und hat eine wahrhaft entzückende Aussicht auf die blauen Gebirge und über tief eingerissene, mit wilden Pisang bewachsene Schluchten hin. Hier fühlte man aber auch, daß man in eine andere Temperatur kam – dies war kaum noch ein tropisches Klima, [117] so kühl und frisch wehten die scharfen Winde vom Tancuban prau herüber und so nebeldunkel zog’s von den bewaldeten Gipfeln in’s Thal, all die tropischen Früchte wollten hier, oben auf den Kuppen wenigstens, nicht mehr so recht gedeihen, aber dafür bot die Natur Ersatz in denen einer andern Zone, und ganze Beete mit Erdbeeren bepflanzt, standen in Blüthe und Frucht.

Herr Phlippeau war noch unten auf Tjioem boeloeit, kam aber bald zurück, und ich unterhielt mich indessen mit zwei jungen holländischen Officieren, die sich der Gesundheit wegen hier oben aufhielten und ebenfalls Hrn. Phlippeau’s Gäste waren. Frau Phlippeau befand sich leider auf Besuch in Tjanjor und wurde in der ersten Woche nicht zurück erwartet.

Für mich war jetzt das wichtigste die sogenannten Kaffeemühlen und ihre Einrichtung anzusehen. Mit den Kaffeemühlen geht’s aber gerade so wie mit den Kaffeegärten, sie haben hier denselben Namen wie bei uns, bedeuten aber etwas anderes. Es sind die Gebäude, in welche der frisch eingesammelte Kaffee gebracht, getrocknet, ausgehülst und durch Mahlen von seinen äußeren Schaalen befreit, dann gereinigt und verpackt wird, und die Waarenhäuser, in denen er lagert, schließen sich ihnen an.

Die Kaffebohnen, von denen, wie bekannt, zwei und zwei zusammen wachsen, sind im reifen Zustande von einer fleischigen Hülle umschlossen, die ihnen große Aehnlichkeit, an Aussehen und gewissermaßen auch in Geschmack, mit der Kirsche giebt. Diese Hülle nun zu beseitigen, kommt der frisch eingebrachte Kaffee in große steingemauerte Platten und die Bohnen, nachdem sie hier eine bestimmte Zeit gelegen haben, werden dann in der Sonne, zum völligen Trocknen, ausgebreitet. Diese Trockenbehälter sind aber so eingerichtet, daß große Schilfgeflechte, und vollkommene regendichte Dächer, die auf kleinen niedern Rädern laufen, bei eintretender nasser Witterung, leicht und rasch darüber geschoben werden können.

Sind die Schaalen nun theils abgeweicht, theils gedörrt, so kommen sie in die „Mühle.“ – Es ist dies eine bis jetzt noch etwas unvollkommene, durch Menschenkraft getriebene Vorrichtung, ein runder Trog, in den eine gewisse Quantität Kaffee hineingeworfen wird, und in dem ein Stein sich fortwährend im Kreis herumwälzt, die trockenen Hülsen zerbrechend und außerdem, mit einer Art Rechen, die niedergepreßten wieder aufwühlend. Der Trog ist etwa zwölf bis funfzehn Zoll breit und in einen Cirkel gebaut, so daß der Stein von einem Arm des in der Mitte aufrecht stehenden Schaftes ausgehend, und von einem großen Wasserrad in Bewegung gehalten, fortwährend rund läuft.

Die Bohnen werden nachher gesiebt; dieser Stein aber kann nicht auf alle Bohnen gleich schwer niederpressen, und die Folge davon ist, daß die kleinen meist unzerdrückt bleiben und dann noch eine höchst mühselige Nacharbeit erfordern. Die Zeit raubenste Arbeit ist aber nachher jedenfalls das Sortiren des Kaffees, das, wie bei dem Thee, durch Menschenhände geschieht. Die Arbeit ist ja aber hier, eben durch das gezwungene Arbeitssystem, so entsetzlich billig, daß ohne Schwierigkeiten all die nöthigen Kräfte zu bekommen sind. Auch dies geschieht fast nur durch Frauen und Kinder, jedoch ist es unangenehmer als das Theesortiren, da der Kaffee eine Masse Staub ausstößt, die der Thee nicht hat.

Die Kaffeepflanzungen oder Kaffeegärten, wie sie hier genannt werden, gleichen, wenn man sie zuerst betritt, eigentlich eher einem dichten Wald als irgend etwas anderem, und die regelmäßigen Reihen in denen sie stehen, erinnern an unsere deutschen Forstpflanzungen; hoch zwischen den Kaffeesträuchen aufsteigende und dichtzweigige Bäume überschatten aber das Ganze und geben ihm eben, wenn die Kaffeebüsche nicht recht in Zucht gehalten werden, leicht das Ansehen einer Wildniß.

Der Kaffee muß nämlich im Schatten wachsen, und man pflanzt zu diesem Zweck besondere Bäume an, unter deren Schutz er aufschießen und Früchte tragen kann. Bis jetzt hat man hierzu gewöhnlich den sogenannten Dadap-Baum genommen, der dicht belaubt und mit ausbreitenden Zweigen hierzu ziemlich gut geeignet ist; auch hat er ein gar freundliches Ansehn mit seinen hellgrünen Blättern und den brennend rothen großen Blüthen, die er auf das dunkle Laub der Kaffeebüsche mit vollen Händen hinabstreut; außerdem ist er aber gar nichts nütz, und selbst sein nasses schwammiges Holz soll nicht einmal zum Brennen zu gebrauchen sein. Hier und da werden deshalb auch schon andere Bäume gewählt, die eben so gut Schatten bieten und sonst noch zu verwenden sind. Mehre Kaffeepflanzungen sollen schon den wilden Baumwollenbaum, den Pahon Kapas dazu genommen haben.

Der Kaffeebaum selber wird, wenn nicht nieder gehalten, wohl dreißig bis vierzig, ja vielleicht mehr Fuß hoch, ich glaube aber nicht daß dann seine Früchte so groß und schön werden, keinesfalls sind sie so leicht einzusammeln, und das Gebüsch würde in dem Fall auch so dicht, daß gar keine Sonne mehr Zutritt zu dem Stamm oder den unteren Zweigen hätte. Das gewöhnliche daher ist sie fünfzehn bis achtzehn Fuß hoch zu halten, und sie sollen dann die ergiebigste Ernte tragen. Durch diese Plantagen führen nach allen Richtungen hin breite vom Gras vollkommen frei gehaltene schöne Wege und theilen die oft viele Meilen langen Gärten in ihre verschiedenen, jeder besonders bezeichneten Distrikte, die jeder wieder ihre verschiedenen Arbeiter zum Reinhalten der Pflanzen und Einsammeln der Früchte haben. Alle diese Arbeiten werden aber vollkommen systematisch getrieben.

Der Pflanzer ist hier nicht, wie das in andern Colonien gemeinlich der Fall, Eigenthum des Landes und der Produkte die er baut, sondern die Regierung hält das Land, legt die Pflanzungen an und unterhält sie, baut Mühlen und Fabrikgebäude und stellt die Leute zu Arbeit. Der Pflanzer hat deshalb mit den Anpflanzungen selber auch gar nichts zu thun, es gehört diese in den Bereich der Culturen, und besondere Beamte sind dafür angestellt, diese anzulegen, zu erhalten und zu überwachen. Sei das nun Kaffe, Thee, Cochenille, Zimmt, Zucker, Indigo oder irgend ein anderes zum Handel und Ausfuhr gezogenes Produkt, diese Verhältnisse bleiben sich, natürlich mit einzelnen Abänderungen, die sich nach den Produkten selber richten, gleich.

Der Pflanzer hat dafür die Verarbeitung des Produktes, das Reinigen, Trocknen, oder Auspressen, je nachdem es nun ist, zu besorgen und jährlich ein gewisses Quantum fertiges Produkt zu einem bestimmten Preis – [118] gewissermaßen für festgesetzte Procente – an die Regierung abzuliefern. Bei dem Quantum sind aber auch all die Beamten, welche die Aufsicht darüber führen, wie Resident und Regent des Distrikts interessirt – in ihrem Vortheil liegt es also, ebensoviel wie in dem der Regierung, daß viel erzeugt werde, während für die Güte des Produkts der Pflanzer größtentheils allein verantwortlich ist, und die Regierung hat sich dabei ihre eigenen Interessen durch das zweckmäßigste Mittel gesichert, das es auf der ganzen Welt gibt, durch das Interesse ihrer Aufseher, und hierin allein liegt sicherlich die Ursache, die Java in den letzten Jahrzehnten zu einer blühenden Colonie und einer wahren Schatzkammer des Mutterlandes und ihrer Beamten gemacht hat.

Die armen Eingeborenen sind dabei freilich am Schlechtesten weggekommen, denn dieses Zwangsarbeitsystem macht allerdings aus der Wildniß blühende Felder und Fluren, aber aus den Menschen – Sclaven. Rede mir Keiner davon, daß dadurch ihr eigener Zustand verbessert sei und sie in den Stand gesetzt wären, Bedürfnisse zu befriedigen, an die sie früher gar nicht hätten denken können; das eine ist nicht wahr, und das andere ein Unsinn.

Ihr Zustand ist nicht verbessert, denn wo ich einem Menschen den freien Willen nehme, wo ich ihn zur Arbeit für Fremde zwinge, da habe ich seinen Zustand nicht verbessert, und wenn ich ihm auch nachher die Mittel an die Hand gäbe Sammet und Seide zu tragen und Hühnerpasteten oder sonst irgend etwas Gutes zu essen. Und Bedürfnisse befriedigen, die sie nicht gekannt haben, ist ein Unsinn, denn was ich gar nicht kenne, kann mir noch kein Bedürfniß sein. Wenn ich aber Jemandem ein neues Bedürfniß kennen lehre, so begehe ich dabei, nach meiner Ansicht wenigstens und von einem strengrechtlichen Grundsatz aus, ein Unrecht, das damit noch gar nicht wieder gut gemacht ist, wenn ich ihm nachher die Mittel an die Hand gebe es zu befriedigen, noch dazu, wenn ich gerade aus diesen Mitteln heraus wieder meinen eignen Vortheil habe.

Es ist ungefähr gerade so, als ob ich Jemandem im kalten Wetter die Haare glatt vom Kopfe scheere, und kaufe ihm dann eine Mütze; die Mütze hält ihm den Kopf allerdings ebenso warm, als es die Haare gethan haben würden, aber weshalb hab’ ich ihm denn überhaupt nicht seine eignen Haare gelassen? – Blos um ihm die Mütze zu kaufen.

Das ist also keine Entschuldigung, nein, gebt dem Kinde gleich den rechten Namen, sagt: „Wir scheeren uns den Teufel drum, was aus den Eingebornen wird, so sie nur gesund bleiben, und uns unsere Arbeiten verrichten und dadurch Geld in unsere Cassen zu bringen, und so wir sie auch nur so viel zufrieden stellen und unter dem Daumen halten, daß sie uns nicht wild werden und rebelliren, was allerdings eine höchst fatale Geschichte wäre.“ Und das ist dann nichts Schlimmeres, als in allen übrigen Colonien, wo sich die Eingebornen nur überhaupt zur Arbeit bringen ließen, oder durch die Lage des Landes begünstigt, dazu gebracht werden konnten, mit ihnen geschehen ist. Die Holländer gestatten ihnen doch wenigstens noch zwischen ihnen zu leben und treiben sie nicht durch kleine Kunstgriffe und Contrakte, von denen sie Nichts verstehen und an die sie doch nachher gebunden sein sollen, von den Gräbern ihrer Väter und aus ihren Jagdgründen, wie es die Engländer und Amerikaner thun. Der Holländer läßt den Eingebornen seine Religion und quält ihn nicht mit Missionären und neuen Glaubens-Bekenntnissen, die nur zu häufig Haß und Unfrieden in ihre Familien bringen und den armen Teufeln dann auch noch die letzten Stützen wegschlagen, auf die sich ihr Geist, von allen andern verlassen, zurückziehen könnte, – den Gott ihrer Väter. Selbst die letzte Entschuldigung wäre ihnen aber auch hierin freilich genommen, da ja die Javaner wenigstens schon lange ihrem alten Götzendienst entsagt haben und zu Allah, also zu einem einigen Gott, beten. Wieder eine neue Religion würde sie dann auch ganz confuß machen, denn wer bürgte ihnen dann dafür, daß sie diesmal die wahre bekämen, und nicht nach ein paar Jahren eine neue Sekte ihnen neue Lehren verkündigte.

Ich bin auch überzeugt, daß die christliche Religion die Eingebornen nicht besser machen würde, ja nicht besser machen könnte, als sie sich jetzt in ihrem ganzen Leben und Handeln erweisen, sie sind friedlich, fromm, gastfrei und ehrlich, in ihren Familienverhältnissen treu und anhänglich (was wahrhaftig mehr ist, als die prahlenden Missionäre in der Südsee von ihren sehr precären Christen sagen können) und die christliche Religion könnte von ihnen nicht mehr verlangen.

Die ihnen von der Regierung auferlegten Arbeiten sind nun, für die einzelnen Kampongs auch besonders eingetheilt. Bei den Kaffeeplantagen müssen sie in gewissen Distrikten die Pflanzungen rein halten, die Kaffeekirschen pflücken und in die Mühle tragen und hier verarbeiten und reinigen. Von jedem Quantum, was sie liefern, bekommen sie eine Kleinigkeit, die sie eben am Leben erhält, bezahlt, und lebte der Javane nicht so entsetzlich mäßig, genügten ihm nicht für seine tägliche Nahrung nur ein paar Hände voll trockenen Reises, und vielleicht ein paar Früchte, so könnte er damit nicht einmal leben. Sehr häufig kommt es dabei vor, daß da, wo sie die Produkte oder sonst ihnen von der Regierung auferlegte Arbeiten, wie Holz zu Bauten, z. B. sehr weite Strecken zu tragen haben, sie ebensoviel unterwegs verzehren mußten als ihr ganzer Lohn betrug und sie nun völlig umsonst gearbeitet hatten.

Auch auf Lembang, wo sich die Kaffeegärten viele Meilen weit ausdehnen, sind wohl früher ähnliche Uebelstände gewesen, dafür sollen aber jetzt an den entfernteren Stationen ebenfalls Mühlen errichtet und den Arbeitenden soviel näher gelegt werden.

Die Zahl der hier beschäftigten Arbeiter ist enorm, und soll in der rechten Erntezeit, wo die reifen Kirschen gepflückt und eingeliefert werden, nur auf dieser einen Plantage zu viertausend steigen. Das ist aber nur eine Zeit im Jahre, wo die Leute dann von früh bis spät einzig und allein für die Kaffeegärten beschäftigt sind, und es bleibt ihnen noch vollkommen Muße und Zeit ihre eigenen Reisfelder zu bestellen.

Ueberarbeiten thut sich der Javane überhaupt nicht, das Klima läßt das auch schon gar nicht zu, und ich habe während meines ganzen Aufenthalts dort, nicht einen einzigen gesehen, der in Eile gewesen wäre, ausgenommen wenn er vielleicht eine recht schwere Last aus den Schultern hatte, und dann that er’s nicht der Last, sondern seiner [119] eigenen Schultern zu liebe, daß er ein wenig größern und schnellere Schritte machte.

Herrn Phlippeau’s Plantage gibt jetzt in einem guten Jahre circa 30,000 Picol Kaffee (den Picol zu 125 Pfd.), die Pflanzungen sollen aber noch erweitert und ich glaube zwei oder drei Mühlen mehr darauf angelegt werden.

Der Kaffee ist auf Java nicht heimisch, sondern erst, wenn ich nicht irre, von Brasilien hierher verpflanzt; auf Sumatra wächst er dagegen wild, und die Eingebornen dort trinken allerdings ebenfalls Kaffee, aber nicht in unserer Art, sondern sie kochen die Blätter des Baumes und bereiten in der Art gewissermaßen einen Kaffee-Thee.




Blätter und Blüthen.

Die Hochzeit im Wirthshause. In der Nähe von Inverneß (England) wollte ein junges Brautpaar die letzten Weihnachtsfeiertage zugleich benutzen, in den Stand der Ehe zu treten. Er war Arbeiter bei einem Farmer (Besitzer eines Pachtlandgutes), und sie trug alle Morgen Milch in die Stadt. Beide hatten berechnet, daß ihre Einnahmen, zusammengethan, wohl im Stande wären, zwei und nach und nach mehr Menschen zu ernähren und auf dieses Additionsexempel ihre Liebe gegründet. Verwandte und Freunde wurden natürlich in großer Anzahl zu dem Hochzeitsfeste geladen und die Zimmer des größten Gasthauses in der Gegend gemiethet, um darin zu Abend zu schmausen und zu tanzen. Braut und Bräutigam waren überein gekommen, die Kosten gemeinschaftlich zu tragen. Schon war die Wirthin des Gasthauses in vollem Eifer, die Zimmer zu schmücken und ein mächtiges Mahl zu componiren, als sie durch folgenden lakonischen Brief darin gestört ward:

Decbr. 23, 1852. 
„Mem, Sie werden, hoffe ich, nicht so stumpfköpfig sein, als daß Sie sich inkommodiren sollten, für mich ein Hochzeits-Essen zu bereiten, indem ich für nichts stehen thue, da sie zu kostspielig ist und ich mich anders besonnen habe.
M. N. (Name des Bräutigams.)“     

Die Wirthin des Gasthauses, so erschüttert in ihren Hoffnungen auf Bezahlung einer fetten Rechnung, unterließ nun alle weiteren Vorbereitungen, und als daher Braut und Zubehör am folgenden Tage im größten Staate feierlich einrückten, fanden sie nichts vor, als den Brief des Haupthelden dieses Tages. Er war so unliebenswürdig gewesen, der Braut nicht das Geringste von der veränderten Richtung seiner Laufbahn auf Freiers Füßen mitzutheilen. Man denke sich die Ohnmacht der Braut, die Verzweiflung der Brautjungfern und Angehörigen, und man wird sich etwas denken, woran hier gar nicht zu denken war. Statt in Ohnmacht zu fallen oder nur zu weinen, verordnet die zarte Jungfrau, daß die Stärksten und Pfiffigsten ihrer Bekannten in verschiedenen Richtungen ausgehen, den Bräutigam ausspioniren und todt oder lebendig zur Stelle bringen sollen, damit er hier sein Versprechen erfülle und sich trauen lasse. Der anwesende Geistliche, der auch nicht umsonst gekommen sein will und weiß, daß der Versprochene gesetzlich zur Erfüllung seines Wortes gezwungen werden kann, giebt Beifall und Segen zu der Expedition, und diese tritt denn auch ohne Umstände ihre Entdeckungsreise und polizeiliche Liebes-Funktion an.

Inzwischen vertreiben sich Braut und Brautjungfern die Zeit mit Plaudern, wie sie den Verbrecher, nachdem er gefesselt, d. h. getraut sein werde, am Empfindlichsten bestrafen könnten. Sie, die Braut, rechnet sodann in edler Empörung ihren Zuhörern laut vor, was sie Alles sei und habe, und jeden Morgen, wenn die meisten Leute noch schliefen, schon verdiene. Dem letzten Theil der Rede schenkt besonders ein inzwischen eingekehrter Gast große Aufmerksamkeit. Er mischt sich hernach in’s Gespräch und erfährt dabei den ganzen Zusammenhang des unvollendeten Lustspiels. Den untreuen Bräutigam kennt er und verhehlt nicht, daß er bereits unterwegs nach Australien sein werde, da er der Gesellschaft, welche dort einen ganzen ungeheuren goldenen Berg gekauft habe, um ihn zerschlagen und auswaschen zu lassen, in die Hände gefallen sei. Somit werde wahrscheinlich die Gesellschaft der Einfänger sich vergebens bemühen. Jetzt ist die Noth allerdings groß; sie wird noch größer nach der Rückkehr der Expedition. Man schwatzt und schreit durch einander, die Braut weint sogar dazu, aber Niemand weiß zu rathen und zu helfen. Endlich steht der Fremde auf, gebietet Stillschweigen und spricht: „Sie müssen wissen, ich bin aus Forres (auch in der Nähe von Inverneß) und wollte drüben meine Alten besuchen. Aber das könnte ja unterbleiben, müssen Sie wissen. Sie müssen wissen, daß ich bei Mr. L. in Forres auch den Pflug führe. Auch habe ich mir schon ein Paar Pfunde erspart. Nun sehe ich hier, an was es fehlt, blos allein an einem Bräutigam. Der Geistliche ist ja noch da. Ich habe ihn gefragt, müssen Sie wissen, ob er nicht noch ein wenig warten wollte. Nun müssen Sie wissen, wo ich hinaus will. Ich habe mir es sehr sorgfältig überlegt, müssen Sie wissen, wenn auch nicht lange. Wozu denn auch? Zum Heirathen wollen muß man nicht viel Zeit vergeuden, denn ich denke, das Verheirathetsein dauert lange genug, wenn man einmal verheirathet ist. Und da ist’s ja auch noch Zeit. Also Miß, – ich weiß nicht gleich, wie Sie heißen, Sie werden mich verstanden haben. Ich denke, Sie machen keine so schlechte Partie, als Sie machen wollten.“ –

Die Gesellschaft lachte, die Braut auch, trat mit ihm 2 Minuten an das Fenster und rief dann Vater und Mutter. Diese thaten auch einige Fragen, riefen dann den Prediger, der auch noch einige Fragen that und dann sogleich an’s Werk ging, das neue Paar einzusegnen. – Man aß und trank darauf, tanzte und verlebte einen sehr heitern Abend. Ob der Abend des Lebens dieses Ehepaares auch heiter sein wird, bleibt um so mehr die Frage, als seit der Hochzeit kaum 3 Monate vergangen sind.




[120] Schicksal einer Geige. Im Park des polnischen Grafen P. fand man eines Morgens einen jungen Mann, welcher sich durch einen Pistolenschuß den Kopf zerschmettert hatte, in der krampfhaft geballten Faust hielt er eine blonde Locke, neben ihm lag eine unscheinbare Geige. Die junge Gräfin hatte blondes Haar. Sie ließ den Todten in einem dunklen Eichenwäldchen bestatten, umwand die Geige mit einem schwarzen Flor, und hing sie neben das Bild ihrer verblichenen Mutter. Nach einem Jahre starb die schöne Gräfin, die Geige verlor ihr heimlich stilles Plätzchen, und wurde den jüngern Geschwistern der Gräfin zum Spielwerk überlassen, welche bald Hals und Saitenhalter abbrachen und mit ihr, wie mit einem Schlitten, in der Stube herumfuhren. Ein armer Bettelmusikant, welcher, vor Hunger und Kälte halb erstarrt, eines Abends am Schloßthor seine klägliche Fidel ertönen ließ, erhielt sie von der mitleidigen Kammerzofe, nebst einer kleinen Gabe an Geld, zum Geschenk. In dem benachbarten Städtchen ließ er sie von einem Tischler in Stand setzen und bettelte sich damit bis nach Wien. Hier wurde sie dem armen Teufel für eine kleine Zeche von 40 Kreuzern, die er nicht zu bezahlen im Stande war, abgenommen. Ein Gehülfe des berühmten Geigen- und Lautenmachers St. kaufte sie für diesen Preis, und überließ sie seinem Meister für 5 Gulden. Dieser erkannte sogleich den kostbaren Werth dieses Instruments; es war eine von den berühmtesten Geigenbauern Nikolo und Andrea Amati zu Cremona verfertigte Geige. Durch eine geschickte Reparatur gab er ihr die frühere Gestalt und den alten Ton zurück, und verkaufte sie an den Legationssekretär, Grafen von K.....y, für den Preis von 250 Dukaten. Dieser wurde später bei der österreichischen Gesandtschaft in Madrid angestellt; seine liebe Amati-Geige begleitete ihn. Hier machte er die Bekanntschaft einer italienischen Sängerin, in welche er sich sterblich verliebte, und welche eigensinnig die schöne Amati-Geige als Preis ihrer Gunst verlangte. Der Graf kämpfte lange, doch die Liebe siegte, und eines Morgens sandte er der verführerischen Sängerin die Geige mit einem zärtlichen Billet, worin er sich bei ihr zum Nachtessen einlud. Als er sich um 10 Uhr Abends bei ihr einfand, war diese bereits mit Donelli, einem italienischen Musiker und ihrem heimlichen Liebhaber, abgereist. Donelli hatte die ganze Intrigue eingeleitet. In Neapel wurde Donelli Chef des Musikchores der italienischen Nobelgarde, mit welcher er 1811 nach Rußland ging; hier wurde fast das ganze Regiment aufgerieben, und die Bagagewagen desselben, welche in einem Moraste stecken geblieben waren, von den Russen geplündert. Unsere Amati-Geige fiel in die Hände eines Kosaken, welcher sie mit nach Moskau nahm und hier an einen Tischlergesellen für einen Silberrubel verkaufte. Diesem mochte das abgegriffene Instrument nicht elegant genug aussehen, er nahm dicke rothe Oelfarbe, strich sie damit an, nahm sie mit nach seiner Heimath, Breslau, und verkaufte sie hier aus Noth an einen Geigenmacher für 2 Thaler. Dieser war kein Anderer, als der ehemalige Gehülfe des berühmten St. in Wien; er erkannte auch sofort an einem Reparaturzettel auf der linken Sarge das Instrument, schrieb an St. nach Wien, welcher sie ihm auch für 200 Thaler abnahm. Der Graf K...y war in London. St. bot ihm die Geige zum zweiten Male an, und der Graf K.....y kaufte sie zum zweiten Male für 250 Dukaten. Zwei Jahre später ging er nach Florenz; hier machte er die Bekanntschaft Paganini’s, welchem er seine Amati-Geige zeigte. Paganini bot dem Grafen auf der Stelle 500 Dukaten. Der Graf aber, entzückt und hingerissen von Paganini’s zauberischem Spiel, machte sie ihm großmüthig zum Geschenk. Paganini ward nun mit dem geliebten Instrumente ein Leib und eine Seele, – sie wurde seine schwärmerisch geliebte Braut. Als ihm in London ein reicher Lord 40,000 Frankes dafür bot, – lachte er ihm höhnisch in’s Gesicht.




Das Herrmannsdenkmal bei Detmold wird aller Wahrscheinlichkeit nach für immer unvollendet bleiben. Nur der riesige Unterbau ist fertig. Die Aufstellung der Figur, die in verschiedenen Stücken um denselben zerstreut lag, scheiterte wie bekannt, an Geldmangel. Der Deutsche hat Geld für Festessen, für Opern und andere Dinge, die die Sinne kitzeln; wo es sich um nationale Fragen handelt, ist selten die Kasse offen. Der einzige Anlauf – die deutsche Flotte – ist verunglückt. Das Denkmal deutscher Kraft und Nationalität, eben diese Herrmannssäule, ist aber schon im Entstehen zerstückelt. Einige Diebe, wie man sagt, waren so frei, den Arm mit dem Schilde zu stehlen. Es scheint uns, das waren sehr ehrliche Diebe. Der Repräsentant und Befreier des deutschen Volkes, ohne Arm und Schild – ist das nicht lustig und traurig zugleich. Man muß gestehen, die Diebe haben wenigstens hier mir vielem Humor gestohlen.




Eine Antwort des Herzogs von Wellington. Der Bischof von Neu-Schottland wandte sich an das Gouvernement dieser Provinz und bat, den Soldaten der Garnison zu erlauben, daß sie die Waffen vor ihm präsentirten. Sir John Harvey erlaubte das Präsentiren der Waffen, bis auf weitern Befehl von Seiten des Oberbefehlshabers, des Herzogs von Wellington. Die Antwort des sonst frommen Herzogs lautete: „Die einzige Aufmerksamkeit, welche die Soldaten dem Bischofe zu erweisen haben, ist die Aufmerksamkeit auf seine Predigten.“




Literarisches. Der Sommer dieses Jahres wird uns ein neues Unternehmen, einen „Kalender der Natur“ bringen, herausgegeben von den beiden Redakteuren der Zeitschrift: Natur. Auch Illustrationen wird der Kalender enthalten. – Wer Gefallen an Kriegsbildern findet, dem empfehlen wir die so eben in Stuttgart erschienenen: Bilder aus dem Kriegsleben von Jul. v. Wickede, dem Verfasser der bereits früher angezeigten Schrift: Die französische Armee etc. Die Skizzen sind gut und lebendig hingeworfen und geben manch hübsches Bild aus dem Schleßwig-Hollsteiner Kriege. – Von Moritz Hartmann ist auch der 2. Band seines Tagebuches aus der Provence erschienen. – E. K. 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Schnellpressendruck von Giesecke & Devrient in Leipzig: