Zum Inhalt springen

Die Gartenlaube (1853)/Heft 18

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[189]

No. 18. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Bilder aus dem Leben.

Von
Ed. Gottwald.
II.
Eine Vergnügungsreise.

Schluß.


„Nur Geduld, das Beste kommt zuletzt!“ entgegnete Buttlich und fuhr fort: „Um zu Ende zu kommen, will ich Euch nicht damit aufhalten, wie es mir auf dem Waldschlößchen und bei Felßner gefallen, aber spät mußte es sein, als ich meinen Rückweg nach der Stadt von der Felßner’schen Restauration aus nahm, da Droschken und Omnibusse, die bis Abend 10 Uhr vor diesem stark besuchten Etablissement stets zu finden sind, nicht mehr anzutreffen waren. Ich trollte daher zu Fuße der Stadt zu, aber seltsam, ich war kaum eine Viertelstunde gegangen, als ich von der Bautzner Straße rechts ab in eine Gegend gerathen war, die gar nicht mehr zur Residenzstadt zu gehören schien, während die beleuchteten Straßen Dresdens immer weiter zurücktraten, statt daß ich denselben näher kommen sollte. Aber ich war noch im Dresdner Stadtgebiet, nur war ich statt nach Neustadt auf die sogenannten „Scheunenhöfe“ gerathen, wo aus einer Unzahl von Wirthshäusern oder Winkelkneipen Gesang und Musik, Gelächter und Streit mir entgegenschallte.“ –

„Hm!“ dachte ich, „hier geht’s lustig zu, da kannst du einmal einkehren, und richtig, mich plagt der Teufel, grad’ auf das Gasthaus zur goldnen Henne zuzusteuern. Hier saß die große saalähnliche Stube voll Soldaten, Artillerie und Pioniere, Linie und Cavalerie, Schützen und Train, alles bunt durcheinander, alle mit Nachtzeichen versehen, da es den Abschied zweier Stellvertreter gegolten, denen zu Ehren sich Alle hier eingefunden. Einige sangen, Andere declamirten, während hier renommirend und fechtend sich wieder Andere in der Mitte des Zimmers bewegten und Mehrere derselben schon stark benebelt waren, und dazu kam ich Unglücksvogel grade, als die ganze Fête auf die Neige zu gehen schien.“

„Wieder umkehren, das ging nicht gut; ich nahm daher so unbefangen als möglich Platz an einem Tische, an welchem mehrere Civilisten saßen und bestellte mir ein Glas Grog. Die Soldaten hatten meinen Eintritt nicht beachtet, die mit mir an einem Tische Sitzenden, welche aus der Nachbarschaft zu sein schienen, da sie sämmtlich in Schlafpelzen und wollenen Jacken paradirten, hielten es auch nicht für nöthig eine weitere Notiz von mir zu nehmen, [190] und da ich so ungestört mir selbst überlassen blieb, nahm ich meinen Hut ab, setzte mein rothes Käppchen auf, wie ich es seit Jahren alle Abende gewohnt bin, und brannte mir eine Cigarre an, indeß der Wirth mir das verlangte „Warme“ gebracht.“

„Nur wenige Augenblicke verweilten die an meinem Tische sitzenden Leute aus der Nachbarschaft und entfernten sich dann bis auf einen alten Mann, welcher mit dem Wirth in ein Nebenzimmer ging, und auch ich hatte große Lust meinen Grog stehen zu lassen und aufzubrechen, als ich die höchst unangenehme Entdeckung machte, daß sich die Aufmerksamkeit sämmtlicher Soldaten meiner Person zugewendet und nachdem Alle lachend unter einander geflüstert, begann die ganze Gesellschaft das Lied von der rothen Nase aus Otto’s Gesellenfahrten, aber mit verändertem Text: so daß der Chor allemal mit folgenden Strophen einfiel:

„Haha, die rothe Mütze schaut,
Es prahlt damit die alte Haut,
Und macht hier unter uns gar Staat.
Schaut, schaut, er ist ein Democrat
 Mit seiner rothen Mütze.“

„Mir ward heiß und kalt während dieses Gesanges, während unter wildem Gelächter die Blicke Aller nach mir sich richteten. Doch faßte ich mir ein Herz, um nach meinem Hut zu greifen und mich zu entfernen. Aber, o Jammer, auch der zweite neue Hut war verschwunden.“

„In diesem Augenblicke trat der Wirth in’s Zimmer und an ihn wendete ich mich so ärgerlich als beklommen, und klagte, daß mein Hut, ein ganz neuer Hut, von Albrecht auf der Scheffelgasse, der zweite, den ich heute gekauft, mir hier abhanden gekommen sei, und ob er nicht wüßte, wer die Leute gewesen, die mit mir an einem Tische gesessen und vor wenig Augenblicken erst sich entfernt.“

„Die kenne ich nicht,“ entgegnete der Wirth. „Wer Teufel soll alle Leute hier kennen. Aber Ihr Hut wird wohl noch da sein. Wir wollen suchen.“ Mit diesen Worten nahm er einen Leuchter und suchte unter Tische und Stühle, während die Soldaten aufstanden, um, wie es schien, sich ebenfalls zu entfernen.

„Hier ist ein Hut,“ rief der Wirth und zog einen solchen unter einem Stuhle hervor. Ich griff darnach, ohne ihn anzusehen, froh, nur ohne weiteren Skandal fortzukommen, aber mein Hut war es nicht, sondern ein alter abgetragener Deckel, der mir bis über die Nase in’s Gesicht rutschte.“

„Das ist nicht mein Hut!“ rief ich mit steigendem Aerger und riß ihn vom Kopfe, und zwar so heftig, daß mir die Krämpe in der Hand blieb.“

„Oho!“ lachten die Soldaten und fingen von Neuem an:

„Haha, die rothe Mütze schaut –
Noch prahlt damit die alte Haut.
 Herunter mit der Mütze.“

„Und plötzlich lag mein rothes Mützchen, welches ich in meiner Angst aufbehalten, von unsichtbarer Hand mir vom Kopfe gerissen, am Boden.“

„Meine Herren!“ rief ich voll Ingrimm über eine solche Behandlung, „das ist gemein!“

„Was!“ rief ein Sergeant mit halb verbissenem Lachen, „Herr, wer sind Sie, mit Ihrer rothen Mütze, der hier von Gemeinheit zu sprechen wagt.“

„Wer ich bin, geht Niemand hier etwas an!“ rief ich giftig, und hob mein Mützchen auf, um es einzustecken. „Aber meinen Hut verlang’ ich von Ihnen, Herr Wirth, mit Euch Soldaten hab’ ich nichts zu schaffen.“

„Aber wir mit Ihnen!“ riefen wie drohend mehrere derselben.

„Was geht mir Ihr Hut an,“ entgegnete patzig der Wirth, „wer weiß, ob Sie einen mitgebracht, denn hier ist kein anderer und gefressen hat ihn auch Niemand.“

„Zu gleicher Zeit näherte sich der alte Mann, welcher bisher außerhalb des Zimmers gewesen war, hob den von mir zu Boden geworfenen Hut nebst abgerissener Krempe auf und rief zornig:

„Heda! was ist denn das für Wirthschaft, wer hat meinen Hut ruinirt.“

„Die rothe Mütze!“ schrieen die Soldaten und zeigten lachend auf mich.

„Herr!“ schrie nun der Alte, sich zu mir wendend, „der Hut hat mir einen Louisd’or gekostet, die Hälfte wenigstens müssen Sie bezahlen.“

„Ich, Ihren Deckel bezahlen, der keine zwei Groschen mehr werth ist,“ entgegnete ich schäumend vor Wuth. „Nicht einen Pfennig. Aber meinen neuen Hut verlang’ ich, der zweite, der mir heute hier in Dresden weggekommen.“

„Sie dürfen nicht eher fort, bis Sie meinen Hut bezahlt“ – brüllte der Alte.

„Die ganze Geschichte kommt mir verdächtig vor,“ rief der Wirth mit untergestemmten Armen, mich von oben bis unten betrachtend. „Jetzt frage ich Sie, wer Sie sind; – denn da könnte Jeder kommen und sagen: mir ist mein Hut gestohlen!“ –

„Darnach haben Sie doch wohl nichts zu fragen?“ entgegnete ich mit verbissenem Grimme, und suchte vergebens, dieser Gesellschaft gegenüber ruhiger zu werden.

„Wir haben darnach zu fragen!“ lachten die Soldaten.

„Ich muß darnach fragen!“ schrie der Wirth.

„Ich muß wissen, wer Sie sind!“ brüllte der Alte.

„Nun denn ja Ihr sollt es wissen!“ rief ich ruhiger. „Ich bin der Stadtrath Buttlich aus Lichtenberg!“

„Beweisen!“ riefen die Soldaten.

„Ja, beweisen müssen Sie uns das, wenn wir’s glauben sollen,“ entgegnete höhnisch der Wirth.

„Hier ist meine Paßkarte!“ schrie ich von Neuem ärgerlich über diese Fopperei, und rieß meine Brieftasche heraus, um die Karte herauszunehmen, aber ich mochte suchen, wie ich wollte, die Paßkarte war weg.

„Bin ich denn heute behext!“ grollte ich halblaut, während die Anwesenden jede meiner Handbewegungen verfolgten.

„Meine Herren!“ begann ich finstern Blicks. „Durch ein Versehen ist meine Paßkarte in meinem Gasthofe entweder auf meinem Zimmer oder sonst irgend wo liegen geblieben, ich muß Sie daher ersuchen, wenn Sie mir nicht glauben wollen, mich in die Stadt zu begleiten, um sich zu überzeugen.“

„Ach was da. Stadtrath oder sonst etwas,“ entgegnete der alte Mann, mir fortwährend seinen Hut nebst der abgerissenen Krempe hinhaltend. „Meine zwei Thaler will ich haben, eher dürfen Sie nicht fort.“

[191] „Faule Fische,“ rief höhnend der Wirth. „Erst legitimiren, sonst behalte ich Sie bis eine Patrouille kommt.“

„In diesem Augenblicke trat ein Corporal mit zwei Mann ein.

„Die Soldaten entfernten sich geräuschlos beim Eintritt desselben. Der alte Mann aber nebst dem Wirthe, wendeten sich an den Corporal, der Eine verlangte, die Patrouille sollte mich zwingen, zwei Thaler für den zerrissenen Hut zu zahlen, der Andre verlangte, mich als Arrestant mitzunehmen, indem ich mich über meine Person nicht genügend legitimiren könnte.“

„Haben Sie diesem Herrn den Hut zerrissen?“ frug mich der Corporal.

„Allerdings,“ entgegnete ich, „habe ich die Krempe in der Hand behalten, als ich ihn abnahm, aber wahrscheinlich war er schon defect.“

„Der Hut ist so gut wie neu!“ rief der Alte dazwischen.

„Dann müssen sie Entschädigung gewähren,“ entgegnete der Corporal lächelnd. Doch“ – setzte er ernst hinzu, „diese Angelegenheit geht mir nichts an, wohl aber Ihr Legitimationsmangel. Ist dem so, wie der Wirth aussagt, daß Sie sich für den Stadtrath Buttlich aus Lichtenberg ausgegeben und ihrer Versicherung nach Ihre Paßkarte im Gasthause zurückgelassen haben?“

„Ja!“ entgegnete ich ruhig in meinem Innern werdend, denn nun dachte ich, bist du erlöst aus dieser nichtswürdigen Situation.

„Dann,“ bemerkte der Corporal achselzuckend, „muß ich Sie bitten, mir auf die Hauptwache zu folgen, wo das Weitere sich finden wird.“

„Als Arrestant?!“ rief ich erschrocken.

„Allerdings,“ antwortete der Corporal.

„Aber meine zwei Thaler für den Hut!“ jammerte der Alte.

„Sie haben sich an die Polizeibehörde zu wenden, welche mit diesem Herrn sich morgen beschäftigen wird,“ belehrte der Corporal den Alten und befahl ihn sich fort zu packen.

„Ich, Arrestant!?“ schrie ich von Zorn und Kummer überwältigt. „Ich Johann Leberecht Buttlich, Senator und Aeltester der Strumpfwirkerinnung zu Lichtenberg. Das ist zu toll.“

„Vorwärts, marsch!“ commandirte der Corporal, und mit der rothen Mütze das Haupt bedeckt, da kein anderer Hut in dieser verdammten Kneipe zu finden war, mußte ich von Soldaten mit Ober- und Untergewehr begleitet, meinen Marsch nach der Hauptwache antreten, während höhnend hinter uns das Chor der über meine Arretur jubelnden Soldaten, die sich noch in der Nähe des Wirthshauses aufhielten mir höhnend nachhallte:

Haha, die rothe Mütze schaut,
Es prahlt damit die alte Haut, –
Nun macht er auf der Wache Staat,
Gute Nacht, gute Nacht du Democrat
Mit deiner rothen Mütze.“

„Das heißt Pech!“ brummte der Oberförster, als Buttlich erschöpft inne hielt, und die Wirthin die dampfende Punschbowle auf den Tisch setzte.

„Aber wie wurde es denn nun noch?“ frug neugierig der Acciseinnehmer.

„Wie es noch wurde,“ entgegnete Buttlich. „Nun das will ich in der Kürze noch mittheilen, dann aber laßt mich für heute ruhig mein Glas Punsch trinken und meine Pfeife rauchen, denn ich bin müd’ und matt an Leib und Seele. –

„Auf der Hauptwache, wohin man mich gebracht, wurde ich zwar sehr artig behandelt, mußte aber bis gegen 4 Uhr des Morgens campiren, und dann einem dort meiner Person wegen eingetretenen Polizeidiener nach dem Polizeihause folgen, wo ich bis 10 Uhr Morgens zu warten genöthigt war, ehe ich zum Verhör gelangen konnte. Der Wirth meines Gasthauses bezeugte, daß ich des Tags vorher angekommen, aber nach der Table d’hôte mich entfernt hätte, und weiter konnte er auch nichts bezeugen; dagegen war meine Paßkarte nirgend zu finden. Da, als ich mit der Welt zerfallen, bis auf Weiteres wieder abgeführt wurde, besann ich mich, daß ich einem meiner Tischnachbarn diese Paßkarte zur Besichtigung gegeben, und daß ja der Rentier Busch gern bezeugen würde, daß ich der wirkliche Leberecht Buttlich aus Lichtenberg sei, und ließ dies dem betreffenden Polizeiactuar melden. Aber unglücklicher Weise war Busch verreist, und der Fremde mit meiner Paßkarte über alle Berge. Schon war man im Begriff nach Lichtenberg an Euch Gevatter Bürgermeister zu schreiben und eine der hiesigen Magistratspersonen auf meine Kosten nach Dresden kommen zu lassen, um mit der Identität meiner Person auf’s Reine zu kommen, da erschien zu meinem Glücke Busch den dritten Tag nach meiner Verhaftung und befreite mich durch seine Bekräftigung, daß ich der betreffende Buttlich sei und durch seine Bürgschaft für meine Person während meines etwa noch längern Aufenthalts in Dresden aus den Händen der wohllöblichen Polizei.“

„Also habt Ihr in einem Tage drei Hüte bezahlen müssen, und doch keinen gehabt,“ lachte der Bürgermeister.

„Und drei Tage gebrummt,“ setzte der Postmeister hinzu. „I nun, als Vergnügungsparthie ist dies genug.“

„Ihr habt gut spotten,“ entgegnete Buttlich. „Uebrigens habe ich nicht drei Tage auf der Polizei zugebracht, sondern unter Handgelöbniß bis zu Busch’s Rückkehr in meinem Gasthofe. Aber, darauf könnt Ihr Euch verlassen, ich fahre sobald nicht wieder nach Dresden.“

„Aber wenn die ganze Harmoniegesellschaft von Lichtenberg hinrutscht, wie da?“ frugen Mehrere.

„Dann, ja dann ist es etwas Anderes,“ entgegnete der Gefragte lächelnd.

„Also, die Gläser gefüllt!“ rief der Bürgermeister. „Auf eine fröhliche Fahrt nach Dresden zum nächsten Frühjahre!“

„Glück auf zur Fahrt nach Dresden ohne Buttlich’s Pech!“ tönte es laut im heitern Kreise unter hellem Gläserklang und spät nach Mitternacht erst trennte sich die Harmoniegesellschaft, den wieder zurückgekehrten Senator in der fröhlichsten Laune bis an die Thür seines Hauses begleitend.

[192]

Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.

I.
Keine Apotheken mehr!

Aber auch fort mit den Quacksalbern, mit Magnetiseuren und Somnambülen, mit Amuletten und Geheimmitteln. So lange dieser Hokuspokus und Betrug noch existirt, wird die Menschheit niemals ordentlich gesunden; so lange der Mensch nicht schon in der Schule Kenntniß von seinem Körper bekommt, wird er sich fortwährend selbst die Gesundheit und das Leben untergraben; so lange die Aerzte ihren Nimbus als heilende Engel zu erhalten streben und nicht lieber im Gefühle ihrer menschlichen Schwäche anstatt des Curirenwollens von Krankheiten dieselben dadurch zu verhüten suchen, daß sie die Menschen mit denjenigen Bedingungen und Gesetzen bekannt machen, durch welche der Körper gesund, kräftig und schön erhalten und gegen die vielen krankmachenden Einflüsse geschützt werden kann, so lange wird auch das allopathische, homöopathische und isopathische, hydropathische, dynamische, schrothsche, rademachersche, sympathische, mystische und gymnastische ärztliche Gaukelspiel noch Manchem Geld und Gesundheit, wo nicht gar das Leben kosten.

Es ist wahrlich merkwürdig, wie Curirer und Curirtseinwollende seit Jahrhunderten so hartnäckig an Heilmitteln hängen, die zur Zeit der Noth fast immer im Stiche lassen. Es verhält sich aber hier ganz wie bei der alten Großmutter-Regel vom Einflusse des Mondes auf das Wetter. Trifft nämlich zufällig einmal die Witterungsveränderung mit dem Mondwechsel zusammen, dann ist der Mond natürlich Schuld daran und man staunt dessen wetterverändernde Kraft an; ändert sich aber das Wetter zehnmal und hundertmal dabei nicht, dann hat wahrscheinlich der Mond gerade keine Macht gehabt, das Wetter zu ändern und die alte dumme Regel bleibt baumfest stehen. Wer die Augen gehörig aufmachen kann, sollte doch wirklich sehen, wie trotz der gerühmtesten und angeblich sichersten Heilmittel, deren es eine Unzahl gibt, die aber noch von Tage zu Tage wie eine gefahrbringende Lawine wächst, die Masse der Kranken fortwährend zunimmt; wie der Leberthran die Zahl der Schwindsüchtigen noch durchaus nicht gemindert hat, wie Kinder am Scharlach und an sogenannten Hirnkrämpfen trotz Calomel und Blutegel in Menge dahin sterben, wie den Hunderten von Arzneibüchsen in den Apotheken zum Hohne und zur Freude der Apotheker, der Brunnenärzte in den Bädern, der Kaltwasserdoctoren und der mit Geheimmitteln handelnden Buchhändler, die große Mehrzahl der Menschen bleich und [193] mager aus Blutarmuth, mißmuthig und verdrießlich durch Hypochondrie und Hämorrhoiden, hinkend und steifbeinig in Folge von Rheumatismus oder Gicht, hinten und vorne, oben und unten von Schmerzen aus Nervenschwäche und Hysterie geplagt, hohläugig, kahlköpfig, zahnlos und bucklig auf unserer schönen Erde herumwankt. Sind das etwa die Ebenbilder Gottes? das die Herren der Schöpfung?

Sehr treffend sagt Dr. Mises (im „Panegyrikus der Medicin“): „unsere heutige Medicin ist ein sich durch sich selbst immer mehrendes Kapital. Wie wenig Aerzte konnten ehedem davon leben; jetzt nachdem die Medicin zu einem so hohen Gipfel gebracht worden ist, finden Legionen Aerzte ihr Brod in Besorgung von Krankheiten. Man fahre nur fort, tapfer darauf los zu curiren und der Fond wird sich schon noch mehr vergrößern; und wenn die göttliche Kunst am höchsten gestiegen sein wird, dann wird hoffentlich auch die Welt ein Lazareth, in dem der Arzt alleinherrschend umhergeht, und das allgemeine Speisehaus wird die Apotheke sein.“ Nicht minder wahr schreibt Dr. Steudel (in der lesenswerthen Schrift „die medizinische Praxis, ihre Illusionen und ihr Streben zur Gewißheit“) über unsere Arzneimittel: „wenn aus der Reichhaltigkeit des Heilapparates, der Verschiedenheit der Heilmittel, aus der Sorgfalt, mit der jedes derselben präparirt und aufgehoben wird, und aus der Schnelligkeit, mit welcher dem bereits fast unermeßlichen Material stets neue, natürlich untrügliche und vortreffliche Ingredienzien zugeführt werden, ein Schluß gemacht werden dürfte auf entsprechende, zunehmende Sicherheit im praktischen Handeln und auf reelle Bereicherung unsers Wissens, so müßte es glänzend stehen um das leibliche Wohlsein des Menschengeschlechts; denn fast aus allen Reichen hat man die Körper, die sich durch irgend eine besondere Eigenschaft auszeichnen, zusammengeholt, dieselben auf die verschiedenste Weise unter einander verbunden, und aus den einzelnen wieder die wirksamsten Theile ausgezogen, um das vermeintlich heilende Princip in absoluter Reinheit und in möglichster Concentration zu besitzen. Leider muß man aber gestehen, daß mit der Vermehrung des Materials nur die Unsicherheit und Willkür im praktischen Handeln zugenommen hat und eine solche Verwirrung eingetreten ist, daß es eigentlich gar kein Gesetz mehr gibt und Jeder thun kann, was er will.“

Bei der allopathischen Quacksalberei, welche auch Kranke heilt ohne dieselben gesehen zu haben, kann jede Krankheit so ziemlich mit demselben Mittel (am liebsten aber mit Jod, Quecksilber, rothen Fingerhut oder Leberthran) curirt werden, da jedes Mittel fast bei allen Krankheiten probat gefunden wurde. Beim homöopathischen (oder Samuel Hahnemann’schen) Aberglauben soll Nichts mit Milchzucker vor unsern sichtlichen Augen überirdische Dinge thun, während man bei der Vincenz Prießnitz’schen Kaltwasserquälerei die alten Sünden des Patienten und seiner frühern Aerzte stromweise in’s Bett laufen und ersaufen sieht. Durch die altbackene Semmel- oder Austrocknungscur des Bauer Schroth, wird die Krankheit zum Verdursten gebracht und dann ihre Leiche in einem Semmelsarge aus dem Körper geschafft. Die Rademacher’sche oder Erfahrungsheilkunst probirt an einem Kranken erst Salpeter, Eisen oder Kupfer, und war die Krankheit zufällig keine Salpeter-, Eisen- oder Kupferaffection d. h. wurde der Kranke beim Gebrauch dieser Mittel nicht gesund, dann versetzt man ihm noch so lange dieses und jenes Medicament (am liebsten nach dem Alphabet) bis seine unverwüstliche Natur doch noch über die Krankheit siegt oder Patient sich durch den Tod seinen Quälern entzieht. Der Trost bleibt aber dann den Hinterlassenen, daß der Verstorbene bei der schrecklichen Salpetereisenkupferquassiabrechnußchininarsenikkrankheit, von welcher er heimgesucht worden war, nicht länger leben konnte.

Daß durch Sympathie in der That bisweilen Erfolge bei Krankheiten erzielt werden, liegt nur darin, daß die jetzige Menschheit große Sympathie für Unsinn hat und beweist recht deutlich, auf welch’ niederer Stufe wir in geistiger Beziehung stehen. Die Isopathik, ein Absenker oder wie sie sich selbst rühmt, eine Veredelung der Homöopathie und von einem Landarzte Hermann erfunden, strebt mit den Pulvern oder Tinkturen gesunder thierischer Organe die entsprechenden kranken Organe des Menschen zu heilen. Ist z. B. die Leber krank, gleichviel wie, so ist das beste Heilmittel pulverisirte oder in Weingeist ausgezogene Fuchsleber u. s. f. Es ließe sich übrigens diese Heilmethode dadurch noch wirksamer machen, daß man kranken Menschen präparirte Organe von solchen Thieren verordnete, welche mit den Patienten einige Aehnlichkeit hätten. Wie theuer würden da nicht die Eselsgehirne werden? Was die mystische Heilmethode betrifft, so muß wohl an dieser Etwas sein, da selbst ein Professor der Medicin, Hr. Ringseis in München, predigt, daß die Krankheiten von der Erbsünde, dem Schlangensamen u. s. w. herkämen und daß Rückkehr zur Frömmigkeit, Buße und Gebet die Hauptsachen bei der Herstellung von Krankheiten ausmachen. – Die gymnastische Heilmethode der Neuzeit, in Schweden durch Ling und Branding am weitesten gediehen und jedenfalls mit eine der naturgemäßesten Methoden zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit (wenn sie nämlich zweckmäßig angewendet wird), artet auch schon wieder durch Einseitigkeit und Pedanterie aus und nimmt, nach ihrer eigenen Ausdrucksweise, eine linksstreckrechtsklafterrechtsseitfallrechtshalbstehende Stellung ein. Uebrigens empfehlen wir doch unsern Lesern gegen verdorbenen Magen folgendes gymnastische Recept als probat:

          Sturzstehende concentrische Quermagenwalkung.
 Spalthochsitzende Hüftrollung und Magenlinddrückung.
 Streckspaltsitzende Brustspannung.
 Halbstreckgangstehende Vorwärtsdrehung.
 Spaltstehende Doppeltkniebeugung.
 Lastneigende Rückenerhebung.
 Hochstehende Beinvorwärtsdrückung.
 Klafterstehende Planarmbeugung von hinten nach vorn.
 Gehsitzende Wechselkniestreckung.
 Halbliegende Plandrehung. aa.

Daß die Badecuren von allen Curen die glücklichsten Resultate bei Krankheiten liefern, ist nicht zu bewundern, wenn man bedenkt, daß in Bädern der kranke Mensch auf vernünftigere Weise als zu Hause Wasser, Luft, Sonne, einfache milde Nahrung und körperliche, so wie geistige Ruhe genießt. Wer aber dem Geiste der Quelle, dem sogenannten Brunnengeiste, oder was so [194] ziemlich dasselbe ist, den Paar im Wasser aufgelösten Salzen und andern Stoffen die gute Wirkung der Bäder vorzugsweise zuschreibt, verdiente wirklich in den Brunnengeist einer Bitterwasserquelle verwunschen zu werden. Die Geheimmittel, in welchen jetzt größtentheils Buchhändler machen, wahrscheinlich weil diese gewöhnt sind, durch ihre Bücher längstgefühlten Bedürfnissen abzuhelfen, stehen auf dem Höhepunkte der medicinischen Betrügerei, weil bei diesen Mitteln, die aus ganz billigen entweder nichtsnutzigen oder wohl auch aus giftigen Substanzen zusammengesetzt sind, dem Dummen das Geld geradezu so gut wie aus der Tasche gestohlen wird. Daß auch die Tischrückerei und die Geisterklopferei zum Heilen von Krankheiten benutzt werden müssen, versteht sich von selbst, da alle die vorher angeführten Heilmethoden so wenig im Stande sind Krankheiten zu heben.

Man sieht, es fehlt der leidenden Menschheit nicht an allen möglichen Wegen, auf welchen man ihr die Wiederherstellung ihrer Gesundheit anbietet, und dabei sind noch nicht einmal die Elektrisirer und Magnetiseurs (dynamische Heilkünstler), Barbiere, Thierärzte, Apotheker, Schäfer und Hufschmiede mit ihren Hexereien mitgerechnet. Alle stellen sich brüstend hin und rufen (oder lassen es durch Zeugnisse in den Zeitungen bekannt machen): „unsere Kranken werden durch unsere Mittel gesund.“ Natürlich! Die günstigen Resultate (sagt Steudel), die meist die unverwüstliche Natur hervorbrachte, die aber die Heilkünstler immer nur sich selbst und ihren Mitteln zuschreiben, waren von jeher das Schlagwort für jeden Unsinn, der in der Geschichte der Medicin so reichlich zu finden ist. Jede Partei behauptete immer, ihre Vorgänger seien Narren und Mörder gewesen, und sie allein habe den wahren Stein der Weisen entdeckt und wisse die Kranken zu heilen. Wir kennen das! Und wenn es auch nur ein einziges Mal wahr gewesen wäre, die Welt müßte längst ausgestorben sein, da nach diesem Grundsatz alle Aerzte bis auf die neueste Zeit Giftmischer und Todtschläger gewesen wären. Da aber von jeher das Verhältniß der Genesenden und Sterbenden bei den verschiedenartigsten Behandlungsweisen unter den Kranken im großen Ganzen so ziemlich dasselbe blieb, so kann der denkende Mensch nicht anders, als annehmen, daß zu allen Zeiten die Genesung von ganz andern Ursachen abhängig war, als von den medicinischen Lehrsätzen und ihren sich stets widersprechenden Heilmitteln und Heilmethoden. Diese Ursachen finden sich aber im menschlichen Körper selbst vor und sind die von Natur ihm inwohnenden Gesetze, durch deren Kenntnisse wir uns vor Krankheiten zu schützen und beim Kranksein selbst zu helfen im Stande sind.

Haben wir die gehörige Einsicht in die Oeconomie unseres Körpers gewonnen, was gar nicht so schwer ist, dann werden mit den Apotheken (bis auf eine Büchse mit betäubenden Mitteln) alle die angeführten Quacksalbereien und Betrügereien allmälig von selbst verschwinden und durch die richtige Anwendung der Luft, des Wassers, der Nahrung und Bewegung endlich ganz verdrängt werden. – Die Nothwendigkeit einer guten Luft und gesunder Athmungsorgane wird Dir, lieber Leser, aus den vorigen Nummern klar geworden sein; über den großen Einfluß des Wassers, der Nahrungsmittel und der Bewegung auf unsern Organismus sollst Du später unterrichtet werden. Vorläufig beschaue Dir die beiden abgebildeten Brustkasten, von denen der enge und abgezehrte durch vernünftiges Turnen allmälig zum weiten und kräftig-musculösen geworden ist. Möchtest Du nicht auch solch’ eine Brust? Nun da laß Dir doch ja von Deinem Arzte etwas Stärkendes verschreiben, wenn Du den erbärmlichen Brustkasten wünschest, und komm’ auf den Turnplatz, wenn Dir der andere und naturgemäße besser gefällt.
(B.)  




Lebens- und Verkehrsbilder aus London.

In Briefen von einem in London lebenden Deutschen.
III.
Die Geld-Post in England.
(Post-Office-Money-Orders.)

Als vor 60 Jahren der englische Marine-Soldat für 30 Schillinge monatlich den Franzosen auf beiden Theilen der Erdkugel zum Kampfe herausforderte und die Landarmee für 1 Schilling täglich in Indien um’s Leben spielte, fing man an, einzusehen, daß die Soldaten ihre Ersparnisse nicht sicher und rasch genug an ihre Liebchen oder Frauen senden konnten, nicht einmal innerhalb des engern, vereinigten Königreichs. Die Regierung, die Gefahr sehend, wenn sie ferner zugäbe, daß die Ueberschüsse der Löhnungen Löcher in die Taschen der Soldaten brennen, war damals schon so gütig, ein recht sicheres Mittel gegen diese Verbrennungen in der Tasche zu erfinden. Das Monopol, Geld von einem Orte zum andern zu befördern, ward an drei Gentlemen, in Verbindung mit der Post, zugestanden. Sie durften – acht Pence für jedes Pfund und ein Schilling Stempelsteuer für die Regierung, wenn die Summe über zwei Pfund betrug – höchstens fünf Pfund auf je eine Person oder Sendung – Gelder von Privatleuten befördern. Der Brief selbst mußte außerdem mit einen Schilling frei gemacht werden. Die Tage dieses Monopols sind nun Gott sei Dank vorüber. Was früher einen Schilling kostete, wird jetzt viel pünktlicher und profitabler für alle Theile à ein Penny gethan, wobei die Regierung blos etwa 50,000 Thaler jährlich gewinnt, natürlich abgesehen von dem Gewinne, welchen sie durch die fabelhafte Summe von Briefen für Geldaufträge genießt. Als das Privilegium von Marine- und Landsoldaten, Geld unter obigem Monopole schicken zu dürfen, auf das Publikum [195] überhaupt ausgedehnt ward, hatte Jeder der drei Monopolisirten einen Durchschnitts-Nettogewinn von etwa 4,600 Thaler jährlich. – Erst im Jahre 1838 ward das Geldsendungsmonopol (Money-Order-Office) mit der Post selbst vereinigt und die Gebühren dafür auf die Hälfte herabgesetzt. Aber ein Haupt-Beamter konnte mit zwei Gehilfen noch alle Aufträge des Publikums besorgen und zwar mit einem Verluste der Regierung. Die Acht-Pence- und Schilling-Portos konnten diesen Geschäftszweig nicht beleben. Erst das Penny-Porto ward der Vater des gigantischen Money-Order-Systems [1], das jetzt durch ganz England in einer Thätigkeit blüht, die unglaublich sein würde, wenn sie nicht durch die genaueste, täglich fixirte Statistik bis in’s Kleinste bestätigt würde. Das Penny-Porto mit dem Money-Order-System hat, wie Dickens in seiner Zeitschrift sagt: die Tugenden der Klugheit, Sparsamkeit, der Bruderliebe und Selbstverleugnung unter Millionen gekräftigt, die unsäglichen kleinen Qualen, die aus momentanen Geldverlegenheiten entstehen, geheilt, und den Kleinhandel mit goldenen Schwingen versehen. Diese und andere großartigen Segnungen werden durch folgende Thatsachen erst gehörig gewürdigt werden können.

In dem Jahre, welches der Einführung des Penny-Portos vorausging, war die Gebühr für Geldbriefe (Aufträge zum Zahlen bei Einzahlung in einem Bureau) 3 und 6 Pence bis zu Beträgen von 5 Pfund. Es wurden im ganzen Königreiche nur 180,000 Aufträge für 2,191,000 Thaler während dieses ganzen Jahres gegeben. Und im 10ten Jahre des Penny-Portos, 1850? – Vier Millionen, vierhundert und vierzig Tausend Aufträge auf neunundfunfzig Millionen, vierhundert fünf und sechszig Tausend Thaler! Blos 1 Million weniger als die ganzen Einkommen- und Grundsteuern im ganzen Königreiche. Im ersten Monate des Penny-Portos (1840) etwa 10,000 Aufträge für 112,000 Thaler; im Monat December 1851 gegen 370,000 Aufträge für mehr als 4,800,000 Thaler. Eine Zunahme um das Vierzigfache! In diesem einen Monate zweimal so viel, als im ganzen Jahre 1840. Was heißt das, aus trockenen Zahlen übersetzt in’s warme Leben? Von allem Besitzthum ist Geld am Schwersten zu halten, desto schwerer, je weniger es gilt, vor’m Ausgeben zu retten! Wenn früher ein Jüngling aus der Provinz, ein Unterkommen suchender Schotte seine sichere Heimath verließ, um sein Glück in der Ferne zu suchen und wenn er es gefunden, wie oft unterlag er den Versuchungen, die Ersparnisse für Vergnügungen zu vergeuden, da es zu kostspielig war, sie für spätere Zwecke oder den bedürftigen Angehörigen zu Hause zu übersenden! Jetzt haben diese Versuchungen ihre Macht für Jeden, welcher will, verloren: er kann seine Ersparnisse schnell, sicher und wohlfeil durch Post-Aufträge hinsenden, wohin er will, zur guten, alten Mutter, zur leidenden Schwester oder in Sparbanken für seine eigene Zukunft, seine Heirath, seine Etablirung.

Welche Summen gingen schon von braven Irländern aus England hinüber auf die grüne Insel des Elends! Jede Heuernte machen Irländer eine Invasion nach England. Im Februar 1851 wurden 13,000 Aufträge in England für Irland gegeben für 133,000 Thaler, im Heumonat desselben Jahres dagegen 33,000 Aufträge für mehr als 230,000 Thaler.

Ohne das Money-Order-System und unter dem alten Monopol wäre wahrscheinlich das Meiste von diesen 230,000 ersparten Thalern vertrunken oder wenigstens in Hecken und Höhlen und alte Strümpfe versteckt oder in krempenlose Hüte eingenäht, zu spät gekommen. Während des Hungerjahres (1847) übertrafen die Aufträge für Irland die Durchschnittssumme um 143,000 Aufträge für mehr als 1 Million Thaler, ein Beweis, wie der Arme gern dem Armen hilft, wenn ihm nur Mittel und Wege dazu gebahnt werden. Die „Money-Order-Office“-Statistik Schottlands malt den Charakter der Bewohner mit schönern Farben, als alle Kunst, als berechnend, sparsam und kaufmännisch-ökonomisch auch in den kleinsten Geldsachen, gemäß dem englischen Sprüchworte: „Hüte die Pence, die Pfunde sorgen schon selbst für ihre Sicherheit.“ – Mit einer um zwei Drittel geringern Bevölkerung, als Irland, bekam es doch von seinen Söhnen und Töchtern aus England über 1,700,000 Thaler durch das Money-Order-System; Irland während derselben Zeit für zwei Drittel und von mindestens zwei Drittel mehr nur etwa 2 Millionen Thaler. Schottland bekam sein Geld durch 140,000, Irland durch mehr als 200,000 Aufträge, was zugleich auf den verschiedenen Werth und Lohn für schottische und irische Arbeiter schließen läßt.

Das „Money-Order-System“ hat ein unberechenbar gesteigertes Leben in den Kleinhandel gebracht und die Tabuletkrämerei und das lästige Hausiren beinahe ganz beseitigt, so wie es Alle, die früher nicht ohne eine Masse von Aufträgen und Commissionen befreundeter oder verwandter Familien, vom Lande „in die Stadt“ gehen durften, von großen Belästigungen und Verantwortlichkeiten befreit haben muß. Jede Familie, jeder kleine Handwerker, jeder Ladenbesitzer bekömmt jeden Artikel in jeder Quantität in jede Gegend des Königreichs in höchstens 24-48 Stunden geschickt gegen eine Money-Order, die in nicht weniger als elfhundert durch das ganze Land vertheilten Bureaux aufgegeben werden können. Händler und Städte en gros haben zum Theil selbst ihre besondern Fahr- und Eilposten, welche die in Penny-Briefen ertheilten Aufträge ausführen und Zahlung dafür durch Anweisungen auf die Post erhalten.

Durch Penny-Porto, 1100 Money-Order-Offices und „parcel-delivery-companies“ (Gesellschaften, die Packete befördern) öffentliche für alles Publikum und private, d. h. einzelner Großhandlungen, haben in England Zeit und Raum ihre Kraft verloren. Man kann in jedem Orte [196] jeden noch so entfernten Artikel so leicht beziehen wie von einem Wandnachbar. –

Aufrufe zur Mildthätigkeit werden nicht selten in Briefen à 1 Penny mit Anweisungen auf die Post in wenig Stunden reichlich befriedigt. Höker, Kleinhändler, Matrosen und dergleichen kleine unstäte Leute zahlen ihr Geld der Sicherheit wegen an einem Orte ein, um es sich an einem andern wiederzuholen: eine ganz praktische Sicherstellung gegen eigene Versuchungen und die langen Finger Anderer. Kleine Schulden und Forderungen lassen sich auf diese Weise stets schnell und sicher erledigen. Der Segen für das Publikum geht materiell und moralisch in’s Unendliche, zumal wenn man sich dabei erinnert, daß durch ganz England (am Ausgebildetsten in Schottland) durch das vollkommenste Banksystem jede Summe von 5 Pfund an zu jeder Zeit und auf jede beliebige Zeit zinsbar angelegt werden kann und jeder gemeine Bauer, Matrose u. s. w., der sich in dieser Beziehung einer Bank zu empfehlen wußte, Credit auf ziemlich hohe Beträge bekömmt, wenn er sich verbessern, etabliren oder sonst durch einen momentanen Geldaufwand in Production und Achtung höher stellen will.

Ein Brief mit 5 Siegeln würde in England, insofern er einen Geldbrief bedeutete, als das Zeichen eines längst untergegangenen barbarischen Zeitalters so merkwürdig sein, daß man ihn für Geld sehen lassen könnte. Geld unterwegs ist so lange todt, als es reis’t. Wozu diese commercielle Barbarei! Geld, das nicht reis’t und hier bezahlt auch zugleich dort bezahlt ist, hat eine doppelt lebendige Existenz, als körperliche Masse und als geistiges, als Creditwesen.

Die „Central-Money-Order-Office“, dicht neben dem Hauptpostamte Londons und der Welt, in Aldersgate-Street, das Herz der übrigen 1099 Anstalten, verdient noch einen kleinen Besuch. Ein riesiges Gebäude mit ungeheuern Gewölben, die sich in unermeßliche Wälder und Berge von Anweisungen und Quittungen – alle auf das Sorgfältigste und Methodischste geordnet – verlieren. Das Bureau, worin die Orders ausgegeben und bezahlt werden, hat einen unendlich langen Zahltisch, an welchem die Commis hinter Eisengittern mit ihren hölzernen Zahlbrettern und kleinen, niedlichen Goldwagen in unabsehbaren Massen unaufhörlich zahlen und zahlen lassen, schreiben und schreiben lassen. Hier sieht man alle Tage von 10 bis 4 Uhr alle Sorten von Menschen in Massen kommen und gehen, so daß die Schwung-Thüren (die sich, ohne Klinken, durch bloßes Andrängen nach Innen und Außen öffnen) nie eine Minute Ruhe haben: schmierige Fleischer mit Fettklümpchen im Haar vom Newgate-Markt, ihre heißen Stirnen an den Eisengittern kühlend und reibend und gierig durchblickend, wie Bären im guten Humor, straffe, kleine Commis, noch nicht lange aus der Schule gelaufen, ältere Commis in Jagd-Fracks, Matronen, die keine Macht der Erde oder des Himmels bewegen kann, in kurzen, klaren Worten zu sagen, weshalb sie eigentlich gekommen sind, Leute mit kleinen Kindern, die in ganz entlegenen Ecken untergebracht werden und aussehen, als sollten sie da, aufgegeben, ewig hocken bleiben, Arbeiter, Kaufleute, Beamte mit halben Gehältern, zurückgezogene alte Herren aus schönen Gartenhäusern am New-River, ungeheuer kaltblütig gegen Stöße und Tritte und ungeheuer ausdauernd, ihre Anweisungen mit Stöcken und Regenschirm-Stielen hinein zu schüren u. s. w.

Die Art, wie die Leute Geld zahlen und empfangen, ist eine unerschöpfliche Quelle von Charakter-, Standes- und Vermögens-Enthüllungen. Damen z. B., die beim Einzahlen zögern, den letzten Schilling hinzulegen und sich allemal einbilden, diese Kleinigkeit werde in der Eile und Unendlichkeit des Geschäfts nicht bemerkt werden, sind allemal Hausfrauen.

Hin- und herschwebend hinter diesen Massen beobachtet ein langer Constabler kaltblütig deren Thun und Treiben, ein stattlicher Anblick für Matronen und Wittwen und unaufhörlich in Anspruch genommen vom weiblichen Geschlecht, das sich nicht in die ungalante Ordnung des Geschäfts finden und fügen will. Wer falsches Geld hat, hüte sich, es hierher zu bringen. Der stattliche Constable winkt euch in ein Nebenzimmer, schneidet euch eure Krone entzwei und wickelt die Stücke im besten Falle nach einer scharfen Untersuchung in einen mit eurem Namen beschriebenen Zettel, in welchem sie einem großen Vorrathe anderer unedeln Münzen einverleibt werden. Daß eine Menge Schwindler, Pillendreher, Haarwuchsmacher u. s. w. durch die Money-Order-Office und die Leichtgläubigkeit des Publikums reich werden, ist bekannt. „Wer fünf Schilling schickt, sichert sich dadurch ein jährliches Einkommen von 75 bis 300 Pfund, so lange er lebt.“ – Der Fall ist bereits durch die Zeitungen bekannt geworden. Die „Money-Order-Office“ hat dem Autor dieser Anzeige viele Tausende von Pfunden auszahlen müssen, allerdings ein befremdendes Zeichen von arithmetischer Bildung unter dem großen Haufen in England. „Leichtgläubigkeit und Geldgier haben keine Grenzen.“

Hinter den Commis läuft eine Reihe von 1100 „Taubenlöchern“, wie der Kunstausdruck heißt, hin, entsprechend den 1100 Bureaux in England (mit Irland und Schottland, die eigene Bureaux haben, 1700). Wenn man eine Geldanweisung präsentirt, geht der Commis direct damit in die Höhle hinein, die den Namen des Ortes trägt, wo sie ausgegeben und bezahlt ward. Stimmt es, so erfolgt sofort die Auszahlung. Das Centrum aller 1100 (und resp. 1700) Bureaux in Aldersgate-Street beschäftigt 178 Commis ohne die obern Beamten. Ordnung und Zusammenhang sind hier so schnell und genau, daß jeden Tag um 2 Uhr die Bilanz jedes der 1700 Bureaux bis auf Heller und Pfennig gezogen werden kann. –

Um eine Ahnung von den riesigen Operationen des ganzen Systems zu geben, theilen wir die Uebersicht des letzten Jahres mit. Es wurden 4,700,000 Orders auf 63,000,000 Thaler gegeben und überhaupt 119,000,000 Thaler durch die Money-Order-Offices in Empfang genommen und gezahlt, mehr als ein volles Drittel der ganzen Staatsausgaben dieses officiell ziemlich theuern Landes. Jeden Tag ein Umsatz von kleinen, nicht bankfähigen Beträgen – von 350,000 Thaler. Der Reingewinn betrug 1851 ziemlich 50,000 Thaler. Ohne Penny-Porto und mit dem Monopol setzte die Regierung dabei jährlich über 74,000 Thaler zu. – Trotz der ungeheuern Zunahme dieses Geschäfts und der Verdoppelung seiner Arbeiten – sind die Kosten desselben auf die Hälfte gesunken, ein Beweis, was praktische Einrichtung und Einfachheit vermag. [197] Man schaffte 78 Hauptbücher und 60 Commis ab, um das verdoppelte Geschäft besser führen zu können. Blos durch Verkleinerung der gedruckten Formulare wurden jährlich gegen 8000 Thaler gespart. Dadurch, daß man das Gesetz, nach welchem jedes einzelne Geschäft in einer besondern Anweisung gegeben werden mußte, aufhob, spart man wöchentlich 46,000 Briefe im Durchschnitt. Diese Reformen in der Verwaltung geben eine Ersparniß von etwa 120,000 Thaler jährlich bei ungeheuerer Zunahme der Geschäfte.

Wir sind zu Ende. Für den nachdenkenden Leser werden die angeführten Thatsachen einleuchtender und stärker predigen, als alle Redekünste, wie das moralische und materielle Heil des Volks wesentlich auf der Freiheit und Flüssigkeit der Werthe und Waaren, des Verkehrs beruht, auf Einrichtungen, die Raum und Zeit überwinden und Jedem zu jeder Zeit Gelegenheit bieten, Mangel und Ueberfluß, Angebot und Nachfrage auszugleichen. Alles Andere, ob es politisch vom Staate oder heilig aus der Kirche oder philanthropisch von Gesellschaftskünstlern ausgehe, ist, wenn nicht störend, so doch stets wenigstens Nebensache.




Blätter und Blüthen.

Der Deutsche in Amerika. Was mich tief anregt, schreibt ein Reisender aus Amerika, und worauf ich immer und immer zurückkomme, das ist die hier in Washington recht augenfällig heraustretende, traurige Stellung der Deutschen in politischer Beziehung. Im Senate saß im Sommer 1852 ein einziger Mann von deutscher Abkunft. Es wurde dies in den öffentlichen Blättern als ein Ereigniß hervorgehoben, das zum erstenmal in der Union vorkomme; doch erwähnten deutsche Blätter: dieser Senator verläugne alles Deutsche dermaßen, daß er seine alte Mutter, die nur wenig Englisch verstehe, bei einer letztern Zusammenkunft Englisch angeredet, worüber die gute Frau Thränen des Kummers vergossen habe. Dabei bemerkt ein Blatt: der Herr Senator verstehe genug deutsch, um sich verständlich machen zu können, allein er scheue sich sorgfältig dies merken zu lassen, um nicht bei seinen Gönnern, den Yankees, in Ungnade zu fallen. Die Englischen in der Union lassen Leute deutscher Abkunft also nur zur höhern Repräsentation gelangen, wenn sie sich als Deutsche prostituiren! Im Repräsentantenhause sitzen schon etliche Männer, die deutsche Namen tragen; indessen habe ich nicht bemerkt, daß sie irgend ein Zeichen besonderer Berücksichtigung der Deutschamerikaner jemals an den Tag gelegt hätten, und halte mich fest davon überzeugt, keiner gehe von der Idee aus, eine förmliche Gleichstellung des deutschen Elements der Bevölkerung mit dem englischen erstreben zu wollen. Im Gegentheil ist anzunehmen, daß alle auf ein Amerikanerthum mit Alleinherrschaft der englischen Sprache hinzielen. So steht es mit der Vertretung einer Union, in deren Staaten, Districten (Counties) und Gemeinden die Verhältnisse fast genau dieselben sind; kaum daß in Staaten und Ortschaften, wo sich eine besonders starke deutsche Bevölkerung vorfindet, eine ansehnlichere Zahl von Vertretern deutscher Abkunft zeigt, im Verhältniß zur Menge der deutschen Bevölkerung stehen sie nie. Genau derselbe Fall wie bei der Vertretung ist es auch bei der Verwaltungspartei. Man findet in deren Departements, namentlich wo man wissenschaftliche oder künstlerische Ausbildung nicht entbehren kann, mehrere Deutsche als Subalternbeamte angestellt und benutzt, allein die einträglichern Stellen von Bureauchefs und dergleichen sind immer mit Englischen besetzt. Im Verwaltungsfache der Staaten, Districten und Gemeinden stellt sich ein ganz ähnliches Verhältniß heraus. Nur etwa in Gegenden, wie z. B. Californien, wo Gouverneure, Richter und dergleichen gelegentlich umgebracht zu werden pflegen, wird vielleicht ein Deutscher an die Spitze gestellt. Beim Militair und bei der Flotte bekommen Deutsche selten oder nie Officierstellen, allein das Kanonenfutter, vom Gemeinen an bis etwa zum Feldwebel und Wachtmeister, rekrutirt man gern aus den Deutschen, die immer gut zum blinden Dreinschlagen waren.




Die Ehrlichkeit der Montenegriner. „Man hatte mich,“ erzählte ein Reisender im Böhmischen Museum, „vielfach gewarnt vor der Grausamkeit und Raubsucht der Montenegriner, die durchgehens als Räuber geschildert wurden. Ich machte mich indeß getrost auf den Weg und da habe ich denn gefunden, daß es in den montenegrinischen Bergen zu jeder Tageszeit sichrer ist, als in unseren hochcivilisirten Städten, wo man sich, sei es auf der Straße, in der Kirche oder sonst wo, nicht genug in Acht nehmen kann, daß eine unbefugte Hand Einem nicht in die Tasche fährt, die Uhr herauszieht oder des seidenen Taschentuches wegen den Rockschoß abschneidet. Ich habe aus glaubwürdiger Leute Mund vernommen, daß in Montenegro und den angrenzenden österreichischen Ländern der Diebstahl eine der größten Seltenheiten und dieses Laster als daselbst gar nicht vorhanden zu betrachten ist. Um nur ein Beispiel von der Ehrlichkeit der Tschernogorzen anzuführen, will ich erzählen, was mir mit meinem Begleiter Sawo begegnet ist, mit dessen Wachsamkeit und Dienstleistungen ich vollkommen zufrieden war. Als ich von dem Lohne sprach, den ich ihm zu geben beabsichtigte, sagte er: „Herr, ich habe mich an dich nicht verdingt, deshalb verlange ich auch nichts.“ – „Nun, so nimm wenigstens die Paar Zwanziger, die ich dir hier anbiete, wenn auch keine Uebereinkunft zwischen uns getroffen worden ist,“ erwiederte ich. Mit Selbstgefühl, doch ohne den Beleidigten zu spielen, antwortete mir darauf Sawo: „Ich bin Penjanik des Wladika und erfülle lediglich, was mir vom Hospodar befohlen worden ist. Dafür nehme ich kein Geld, habe dich aber deshalb doch lieb.“ „Nun, wenn du mich wirklich liebst,“ entgegnete ich, „so nimm wenigstens die Hand voll Kleingeld da, ich werde dich beim Wladika schon entschuldigen und ihm sagen, du hättest es nur auf mein dringendes Zureden gethan.“ Sawo bedachte sich einen Augenblick, blickte auf das dargereichte Geld und [198] sagte dann: „Nein, so viel darf ich nicht nehmen, warte, ich will dir’s sagen, wie viel ich davon nach Recht und Gewissen behalten darf.“ Und er zählte das Geld, behielt sich den dritten Theil und gab den Rest mit dem Bemerken zurück, ihm komme eigentlich gar nichts zu, und was er nehme, geschehe unter meiner Verantwortung. – Ist das nicht ein Zug von seltener Ehrlichkeit, und trifft man dergleichen wohl in unsern civilisirten Ländern? – Und diese Leute sollten Räuber sein? – Es ist lächerlich, so etwas nur zu denken.




Der Lohn eines Dichters. Es war in der Nacht unmittelbar nach Aufführung des Scribe’schen Stückes „Malvina, oder die Heirath nach Neigung.“ – Eben hat es zwei Uhr Morgens geschlagen, und der Verfasser suchte vergebens die Ruhe; ein dumpfer Wiederhall von den Beifallsbezeugungen des Abends trafen sein Ohr und weckten ihn wieder auf, so oft er die Augen schließen wollte, und sich selbst zum Trotz, begann sein Geist einem neuen Erfolge nachzujagen. Plötzlich hört er Tritte in der Rue-Olivier-Saint-Georges. Man klopft an die Thür des Hotels. Auf der Treppe und in dem Zimmer entsteht Bewegung und es lassen sich Stimmen vernehmen. Ein Bedienter kommt herauf, öffnet, und tritt mit einer Kerze ein. – „Was geht denn vor? Was will man von mir?“ „Mein Herr,“ entgegnete der Bediente, ein großer Bewunderer des Herrn Bordler und seines Amtes; „Mein Herr, hier ist ein Brief, den in Ihre Hände zu geben man mich berief.“ „Um diese Stunde! Gieb her! Wer hat ihn gebracht? Gieb das Licht her.“ – Eine dicke Frau, mit rothem Gesicht, unordentlichen Haaren und ganz außer Athem, aus der wir nicht ein einziges Wort bringen konnten. – Der Brief wird entsiegelt und mit den Augen verschlungen. – „Gut; es ist keine Antwort darauf. Zünde die Lampe wieder an.“ – Und als der Bediente fort ist, wird der Brief wieder gelesen, zugemacht, wieder geöffnet und abermals gelesen. – Ihr glaubt wohl, ein süßes Geheimniß, ein Liebesbrief? Nein, kein Wort von Liebe. Etwas Besseres als das. Der Brief war mit zitternder Hand von einer alten, vielleicht armen Frau geschrieben, von einer Mutter, blos einige Zeilen, die aber das Herz mit Stolz erfüllen mußten. – „Mein Herr, ich wohnte diesen Abend mit meinen Kindern der ersten Vorstellung von „Malvina“ bei. Nach unserer Rückkehr wartete meine älteste Tochter, bis ich allein war, und warf sich mir zu Füßen; sie gestand mir unter Schluchzen, daß sie auf dem Punkte stehe, mit einem jungen Menschen ein Liebesverhältniß einzugehen, der ihrer unwürdig sei; Ihr Stück hat ihr die Augen geöffnet, ihr Gewissen beruhigt und ihre Liebe zerstört; sie fühlt aufrichtige Reue und ist in meinen Armen. Meine ganze Familie schläft. Ich und sie, wir wachen allein, und weinen vor Freude, vor Dankbarkeit. Sie werden uns nie kennen lernen, aber seien Sie überzeugt, daß Ihr Name uns stets heilig bleiben wird. Könnte doch dieser Gedanke einigen Werth für Sie haben; Sie haben uns die Ehre und das Leben gerettet!“




Verfehlte Spekulation. Wie merkwürdig oft schon berechnete Pläne zum Gegentheil umschlagen, zeigt ein Vorfall, welcher sich in Nordamerika ereignete. Der Sherif einer Grafschaft in dem nördlichen Theile des Staates Missisippi hatte 15–20,000 Dollars an Staatsgeldern im Hause: eine schöne Summe! Gold lacht, Gold blendet. Der Sherif erklärte seiner Frau, er müsse Geschäfte halber auf einige Tage verreisen, empfiehlt ihr Vorsicht, Wachsamkeit, da das Geld in dem und dem Geldkoffer liege. Die Frau sieht ihren Herrn und Gemahl abreisen; es wird Abend, da pocht ein wohlaussehender Mann an’s Haus des Sherif’s und bittet um gastliche Aufnahme. Ein Wirthshaus ist nicht da, die Nacht ist stürmisch, die Frau hat sich eigentlich vorgenommen, während ihres Mannes Abwesenheit keinen Fremden aufzunehmen, indeß der Sherif ist eine öffentliche Person, hat vor Allem Gastlichkeit zu üben; der Fremde bittet sehr, die Frau wird umgestimmt, sie läßt ihm eine Schlafkammer anweisen. In der Nacht geschieht, der Himmel weiß wie, ein Einbruch; drei Neger oder Weiße, welche sich in Neger verwandelt haben, traten hin vor das Bett der Frau und fordern die Auslieferung der 20,000 Dollars. Die Arme ruft Hülfe – vergebens; sie muß sich in den Willen der Diebe fügen. In der Kammer, wo der Fremde schlief, lag das Geld wohl verschlossen. Sie macht die Thüre auf, verspricht das Geld sogleich zu bringen; in der Kammer sieht sie, wie der Gast, durch das Geräusch im Hause aufgeschreckt, soeben damit beschäftigt ist, seine Pistole zu laden. Schnell flüstert er der Frau zu, sie solle nur Muth zeigen, sich ein Herz fassen, so könne noch Alles gut und das Geld gerettet werden. „Sie nehmen in die linke Hand den Geldbeutel,“ sagte der Fremde, „und schießen mit dem Pistol in der rechten Hand dem Neger, wenn er nach dem Gelde greift, die Kugel vor den Kopf; mit den andern beiden Schwarzen will ich schon fertig werden.“ Mit kühnem Muthe führt die Frau diesen Rath aus: einer von den Negern fällt; in demselben Moment hat der Fremde den zweiten Neger niedergeschossen und stößt dem dritten, ehe er die Flucht nehmen oder sich zur Wehr setzen kann, sein Jagdmesser in den Leib. Durch die Pistolenschüsse aufgeweckt, kommen die Nachbarn gelaufen und fragen, was vorgefallen. Die Schwarzen werden beleuchtet, untersucht, und es ergibt sich, daß der von der Frau getödtete Schwarze – ihr Gatte, die beiden andern gute Freunde ihres Mannes sind! Der Grund dieses Diebstahls war leicht zu finden; daß der schlaue Sherif sich verrechnet hatte, war rein Schuld des Zufalls und der Vorsehung. Kein Wort über den Schmerz der betrogenen Gattin! Wo die Achtung aufhört, da schwindet auch die Liebe; wo man nicht mehr liebt, kann man immerhin tief bedauern, doch der Schmerz weicht der Verachtung.




Literarisches. Von einem durch seine Idee sehr ansprechenden Unternehmen: Vierhundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, ist so eben bei G. Wigand die erste Lieferung erschienen. Schade, daß der Text in die Hände Ludw. Bechstein’s gefallen ist, eines Mannes, der durch die Kraft- und Marklosigkeit seines Wesens und seiner Schreibweise sich am allerwenigsten zum Biographen deutscher Männer eignet. – Von Auerbach erscheint nächstens eine Gesammtausgabe seiner Schriften. Der Preis, welcher ihm für diesen Wiederabdruck seiner wenigen Werke (auf 10 Jahre) vom Verleger bezahlt worden ist, beweist abermals, daß in Deutschland gangbare Autoren nicht schlechter honorirt werden, als in Frankreich.

E. K.  

  1. Das Money-Ordre-System besteht darin, daß man, anstatt das Geld verpackt der Post zur Versendung zu übergeben, dasselbe in das Postbureau des Ortes baar einzahlt, welches dafür 2 Scheine ausstellt, von denen der eine im Besitz des Absenders bleibt. Der zweite geht mit der Adresse des Empfängers nach dem Orte seiner Bestimmung, wo er vom dortigen Postbureau sofort gegen Quittung ausgezahlt wird. Es werden dadurch Baarsendungen oder Wechselgeschäfte gänzlich vermieden. Auch in Deutschland ist seit einiger Zeit die Sache eingeführt, wird aber wenig benutzt, wie im Anfange in England, eben weil sie bei uns noch zu kostspielig ist.  Die Red.