Die Gartenlaube (1853)/Heft 27
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No. 27. | 1853. |
An unsere Leser.
Mit dieser Nummer beginnt das zweite Semester der Gartenlaube, die sich seit ihrem sechsmonatlichen Bestehen die Gunst des Publikums in einem Umfange erworben hat, wie vielleicht kein zweites Blatt dieser Art je vorher.
Unser unablässiges Bemühen war darauf gerichtet, Unterhaltung und Belehrung in gleich ansprechender Weise zu verschmelzen. Wenn für jene eine Reihe gewählter Erzählungen und novellistischer Skizzen sorgte, so wurde für die andere dem Leser das unendliche Gebiet der Länder-, Völker- und Sittenkunde nach allen Seiten hin aufgeschlossen.
weihte in seinen anziehenden „Briefen aus der Menschenheimath“ die Leser in das noch wenig ergründete wunderbare Walten der Natur ein. Der Professor der Anatomie
dessen in der medicinischen Welt hinlänglich bekannter Name uns jeder Anpreisung überhebt, lieferte über Gesundheitspflege und naturgemäße Selbstheillehre Beiträge, welche durch originelle Auffassung und populär-gründliche Darstellung gewiß nicht wenig zu der bisher so vernachlässigten Kenntniß des Menschenkörpers beitrugen und allgemeinen Beifall ernteten.
Neben den beiden genannten Autoren sind andere tüchtige Kräfte zur Mitwirkung auf dem Gebiete der Botanik und Chemie gewonnen worden, und wird ebenso auch von jetzt ab der gewerbliche und industrielle Fortschritt den gebührenden Raum in der Gartenlaube finden, wobei es der bekannte Schriftsteller
übernommen hat, durch fortlaufende Mittheilungen und Abbildungen dem Leser alle neuen Erfindungen, Merkwürdigkeiten und Erscheinungen im Gewerbsfache und Maschinenwesen vor die Augen zu führen.
- Trotz dieser Vermehrung des Textes bleibt der Preis pro Vierteljahr
Alle Buchhandlungen und Postämter nehmen Bestellungen an. Die Verlagshandlung.
Die Näherin.
„Sie haben wohl diesen Brief verloren, mein Herr!“
Diese wenigen Worte wurden mit einer so süßen, klaren Stimme gesprochen und dabei schlug sie ihre Augen so bescheiden und vornehm auf und nieder und sah so kindlich, frisch, reizend, einfach und graziös aus, daß der angeredete Herr ganz gegen englische Manier den Hut zog und ganz gegen englische Manier sich höflich verbeugte und ganz gegen englische Manier mit Herzlichkeit dankte und von der großen Güte sprach, mit der sie den Brief aufgehoben und ihm überreicht hatte. „Meinen herzlichsten, meinen verbindlichsten Dank! Mein – meine – meinen –“
„Gute Nacht, Sir!“ unterbrach sie ihn und entfernte sich mit ihrem leichten, graziösen Schritt und mit einem so kleinen Fuße, wie man ihn gewiß selten unter den Engländerinnen findet.
Der Herr starrte ihr eine zeitlang nach und rief endlich halb philosophisch, halb gefühlvoll aus: „Potz Wetter, was gibt’s doch für Schönheit in der Welt! Ich wollte mein Vater hätte grade diese gewählt! Aber so glücklich bin ich nicht. Ich bin reich, muß also auch eine reiche haben und mich in den Banden „guter Gesellschaft“ von Andern verheirathen lassen wie ein Prinz. Ich besinne mich kaum auf diese Miß Clifford, mit der ich als Kind gespielt haben soll. Nun komme ich nach 15 Jahren, die ich in London, auf dem Continente und in Indien zugebracht habe, zurück, drei- und vierfach verlobt und verbunden mit dieser Miß Clifford. Mein Vater will es, ihre Tante will es, mein Onkel will es, ihr Vater hat’s gewollt und sich auf dem Tantenballe versprechen lassen, daß wir uns verheirathen sollen. Tausend Pfund zur Hochzeit bestimmt, 10,000 Pfund sofortige Mitgift, nach dem Tode der Tante noch 10,000. Und wie viel soll mein Vermögen betragen?“ Er schlug in dem Briefe, wie in einem Lexicon nach: „Zwei Güter, 17,000 Pfund in der Bank, wahrscheinlicher Haupterbe des Onkels – das wird hinreichen, um sich in’s Parlament hineinkaufen zu können, meint mein guter Vater. Aber wenn ich mich nur nicht einmal umsonst unter diesen Baumwollen- und Stammbaum-Lords sehen möchte? Ich habe mehr von der Welt gesehen als Odysseus, der keinen einzigen Engländer hat kennen lernen. Ich kenne sie. In Indien, in Amerika, in England, überall dasselbe zähe, trockene, herzlose Gieren und Geizen nach Geld, um sich in spätern Jahren freiwillig von den Banden der „guten Gesellschaft“ einschnüren zu lassen. Ich werde jedenfalls mein Geld und mein Herz möglichst dazu benutzen, um frei zu bleiben. Gebe Gott, daß Miß Clifford einige Aehnlichkeit mit diesem Mädchen hat, das mir diese väterliche Heirathsepistel so reizend, so bedeutungsvoll wiedergab. Wenn ich nicht sehr irre, war ihr Kleid reine Baumwolle. Miß Clifford trug beim Thee ein grünes Sammetkleid und eine Kette mit Diamantschloß, das ihr der Onkel für 150 Guineen zum Geburtstage geschenkt. So schreibt mir der brave Vater, um mich von vorn herein verliebt zu machen. Sammet und Diamant, nehmt euch vor der Baumwolle in Acht! Doch es gilt. Ich will ihr gleich meine Aufwartung machen und zwar just in diesen Reisekleidern und unrasirt, damit ich möglichst geringe Aehnlichkeit mit jenen ersten Liebhabern zeige, die wie Modekupfer aussehen und immer sehr lächerliche Rollen spielen, da sie von Herzen und Glückseligkeit und süßen Hoffnungen sprechen und dabei an das Geld denken, womit sie sich in die gute Gesellschaft hineinkaufen wollen. Ich will auftreten, wie ein Barbar mit diesen schwarzen Handschuhen und diesem baumwollenen Regenschirm und mit diesem continentalen Schnurrbart und wie ein deutscher Student, und außerdem Gott bitten, daß Miß Clifford inzwischen etwas buckelig geworden sei.“
Mit diesem unlogischen Wunsche schloß unser Herr seine gemurmelte Unterhaltung mit sich selbst und ging festen Schrittes auf das prächtige Haus zu, in welchem Miß Clifford mit ihrer Tante wohnte. Er klingelte. Nach einiger Zeit öffnete ein feister, junger Mensch mit schneeweißen Haaren (gepudert) die Thür und musterte ihn sehr langsam von den schmutzigen Stiefeln an bis allmälig herauf zu dem Schnurrbarte.
„Von welchem Herrn kommen Sie?“ frug der junge Weißkopf schnöde.
„Ich bin selbst der Herr!“
„Sie zogen die Bedientenglocke.“
„Melden Sie mich der Madame Powell. Ist Miß Clifford zu Hause?“
„Ihre Karte, Herr!“
„Ich liebe das Kartenspiel nicht. Doch hier ist etwas Geschriebenes.“ Er gab ihm das Brief-Couvert. Der Diener las: „Edward Custis, Esg.“ und war plötzlich lauter Verbeugung und Unterwürfigkeit. Wie ein Sklave öffnete er ihm die Thür zum Besuchzimmer und sprang die Treppe hinauf.
Tie Empfangsfeierlichkeiten zu beschreiben, wäre sehr langweilig, da eine Menge Fragen und Antworten rasch durch einander fahren und in ihrer Schnelligkeit zehnmal rascher vorübergehen, als vor dem Auge des geübtesten Lesers. Nur so viel, daß Leute unsern Mr. Custis schon am folgenden Tage in den Armen des Barbiers, unter dem Maße des Schneiders und Schuhmachers und in einem Eau de Cologne-Laden gesehen haben wollen. Außerdem steht actenfest, daß sein Vater am zweiten Tage nach seiner Ankunft bei Mrs. Powell schon folgenden Brief bekam:
„Mein theurer Vater!
Ich benutze den ersten Augenblick, den ich der bezaubernden Emilie Clifford abstehlen konnte, um Ihnen zu schreiben. Sie haben nicht zu viel zu ihrem Lobe gesagt. Sie ist so hinreißend schön, so fein in Benehmen und Manieren, so graziös – kurz, lieber Vater,
[287] wozu noch Worte machen? In einigen Tagen werde ich ihr Herz und Hand bieten und auf diese Weise mein und aller unserer Verwandten Glück, die diese Verbindung alle so sehnlich zu wünschen scheinen, begründen, falls sie mich ihrer werth hält, was ich nicht mehr bezweifle, seitdem sie mir mit der reizendsten Liebenswürdigkeit erlaubt hat, auch ferner meinen Schnurrbart zu tragen. Im Gegentheil, sagte sie, Du müßtest einen Schnurrbart wachsen lassen, wenn Du ihn nicht schon hättest. Prinz Albert und in Folge davon viele junge Aristokratie trägt Schnurrbärte. Uebermorgen giebt Mad. Powell große Gesellschaft. Alles meinetwegen. Ihre Tante sagt, ich würde sehen, daß sie unter den ausgesuchtesten Schönheiten der Stadt noch die schönste bleiben werde. So schön, so gut, so reich! Wie soll ich Ihnen danken für Ihre gute Wahl, lieber Vater? Durch mein ewiges Bestreben, ein braver Ehemann und Mensch zu werden. Weiter kann man’s bei so vielem Gelde und Glücke wohl kaum bringen. Nächstens mehr. In herzlicher LiebeEdward hatte den Brief selbst zur Post getragen. Auf dem Rückwege fielen seine Augen zufällig auf einen Mädchenkopf innerhalb eines Fensters, der, emsig über weibliche Arbeit gebückt, nur etwas vom Profil sehen ließ; doch besann sich Edward schnell genug auf das reizende Gesicht, das ihm bei Ueberreichung seines verlornen Briefes so schnell und tief in die Seele gestiegen war. Er blieb gradezu vor dem Fenster stehen und sah mit vollem Gesichte hinein, ohne daran zu denken, daß eine solche Situation sehr auffallend sein mußte, zumal in einer so kleinen Stadt. Bald sah sie auf und ihn, erröthete, schien erstaunt und bückte sich noch tiefer, um weiter zu arbeiten. Er verbeugte sich verlegen und ging schneller, als es bei einem unabhängigen Gentleman Mode ist, davon.
Einige wollen behaupten, er sei an demselben Tage noch einige Male an dem Hause vorübergegangen, was vielen ehrbaren Familien in der Nachbarschaft sehr aufgefallen sei. Gewiß ist, daß an demselben Abende schon eine merkwürdige Geschichte zum Stadtgespräch ward. Nicht weit vom Hause redet Mr. Custis ein kleines Mädchen an und frägt, wer dort in dem kleinen Hause mit den schmalen Fenstern wohne. Das Kind zeigt mit den Fingern und fragt, ob er dies oder das oder jenes meine, was Mr. Custis verleitet, mit dem Finger auf das richtige hinzuweisen. Nun erzählt das Kind: Ja so, das ist Mrs. Brandon und Miß Brandon, die mir mein neues Kleid gemacht haben, und ihr Kanarienvogel ist so zahm, daß er Miß Brandon aus der Hand ißt und sie küßt und immer fortfliegt, wenn er „etwas machen will.“ (Man bedenke, daß es ein ganz hübsches Kind mit der arglosesten Miene sagt.) Vom verstorbenen Mr. Brandon weiß sie nichts, ist aber so gefällig, ihre erwachsene Schwester herbeizurufen und in ihrem Eifer zu sagen: Der Herr wünscht zu wissen, was Mr. Brandon gewesen ist.
„Ein Doctor ist er gewesen,“ erzählt die Schwester, „Doctor in den ersten Häusern und eingeladen gewesen zu den ersten Gesellschaften, hernach aber sehr lange selber krank gewesen und keine Praxis mehr und arm geworden und vergessen und endlich todt. Mrs. und Miß Brandon müssen sich nun ihr Brod durch Nähen und Schneidern sehr sauer verdienen, aber sie thun immer noch sehr vornehm und geben sich mit keinem Menschen ab, aber Miß Brandon ist sehr liebenswürdig und hat zu einem alten reichen Herrn, der sie mit nach London nehmen wollte und für Alles sorgen, gradezu Nein gesagt.“
Dabei sahen alle Drei grade auf das Haus und speciell auf das Fenster, an welchem Miß Brandon saß. Mr. Custis bekam einen Schreck, dankte hastig und lief davon, als wär’ er ein verfolgter Dieb. Nun erzählten und fragten die beiden Mädchen nach dem fremden Herrn – und bald war es in der ganzen Straße bekannt, wer der Herr sei und was er gefragt und gesagt habe. – Miß Clifford gehörte zu den reichsten Erbinnen der Stadt und war die Perle der höchsten Gesellschaft. Der Herr, der sich nach der Schneidermamsell erkundigt, ist ein weitläufiger Verwandter und ihr „Zukünftiger.“ Das weiß die ganze Stadt. Noch viel mehr wissen die zahlreichen alten Jungfern, die in den Gesellschaften, Kirchen, Schulen, Missionsgesellschaften und selbst in der Politik eine wahre Landplage Englands bilden.
M. Custis schämte sich seines Benehmens und seines an den Tag gelegten Interesses für ein schönes Näherinnengesicht, als er seiner blendenden, glänzenden Zukünftigen gegenüber saß. Tante und Nichte bestürmten ihn mit Fragen, womit man ihm aufwarten könne, Kuchen, Wein, Früchten, Schweizerkäse u. s. w. Nichts, nichts, durchaus nichts, erst möchten die Damen da ihr Geschäft, worin er sie unterbrochen, vollenden.
„Nun denn helfen Sie uns vielleicht,“ rief Miß Emilie; „es ist eine schwere und delicate Arbeit, eine correcte Liste der Personen, welche zu unserer Abendpartie einladbar sind, zu entwerfen. Sehen Sie dieses Heer von Namen, und Tante und ich zerbrechen uns schon lange die Köpfe, da es uns vorkommt, als hätten wir Jemand vergessen. Nun vielleicht haben Sie, lieber Cousin, noch Erinnerungen aus Ihrer Kindheit von unserer kleinen Stadt und der großen Welt darin. Zu viel haben wir Keinen, das weiß Tante am Besten.“
„Ja,“ antwortete die Tante, „man kann sich nicht mit Jedermann befassen und doch möchte man auch nicht gerne Jemand beleidigen. Es drängen sich aber jetzt zu viel unter die Aristokratie, so daß man sehr streng sein muß.“
„Je nun, ich denke, das kann uns wenig kümmern, wer sich unter die Aristokratie drängt,“ versetzte Custis, indem er that, als studirte er die Liste.
„Wir müssen aristokratisch sein, lieber Cousin,“ sagte Miß Clifford mit vornehmer Leichtigkeit; „wir müssen es um so mehr, da wir keine Titel haben, die das gemeine Volk von selbst abhalten.“
„Das gemeine Volk?“ fragte Edward mit spöttischem Lächeln.
„Ich meine nicht eigentlich gemeines Volk; das kommt allerdings nicht; aber ich meine die Niemands und Habenichtse, die – aber wie komisch, daß ich meinem theuern Cousin erklären will, was ich meine. Ich schmeichelte mir,“ setzte sie mit einem brillanten [288] Lächeln hinzu, „von meinem lieben Cousin in jeder Beziehung verstanden zu werden.“
„Die schönsten Räthsel lassen sich am schwersten lösen,“ entgegnete der Zukünftige“ mit erzwungener Artigkeit; „aber ich sehe, daß die werthen Damen doch nicht so streng sind, als sie vorgaben. Brillirt hier doch Peter Leverell nebst Frau und Tochter. Ist das derselbe, dessen Schuhe ich immer schief trat, so daß mein Vater bei einem andern Schuhmacher arbeiten ließ?“
„Ein Schuhmacher auf unserer Liste?“ lachte Miß Emilie. „Verehrter Herr Vetter, Sie haben Pech mit ihrem Witze.“
„Gibt es zwei Peter Leverell’s hier?“
„Es ist derselbe, lieber Vetter, aber ein Anderer geworden.“
„Unmenschlich reich!“ sagte die Tante.
„Uebermenschlich reich, reich in des Wortes schönster Bedeutung,“ setzte Emilie hinzu, das einsilbige dämonische Wort mit einer Art von Andacht betonend.
„Er gibt die glänzendsten Gesellschaften,“ bekräftigte die Tante.
„Er hat die prächtigste Equipage in der Stadt,“ setzte Emilie hinzu.
„So, so!“ erwiederte der Zukünftige trocken; „er hat jedenfalls in Schuhwerk nach Australien gemacht. Das hat ihn denn geadelt. Sein Stammbaum beginnt jedenfalls mit einer brav gegerbten Ochsenhaut. Er hat doch einen Sitz im Oberhause?“
Tante und Cousine lachten voller Bewunderung über den glänzenden Witz und der weitläufige Cousin schien die Liste sorgfältig weiter zu mustern. Plötzlich rief er aus. „Was, Sie haben einen der besten Namen ausgelassen?“
„Besten Namen? Ausgelassen?“ frug die Tante mit lächelndem Vorwurf.
„Bitte, lassen Sie doch hören!“ rief Emilie eifrig. „Wir möchten um Alles in der Welt keinen Namen von Rang auslassen.“
„Doctor Brandon nebst Familie,“ sagte der Zukünftige, indem er beide Damen ruhig und fest ansah.
„Doctor Brandon ist seit sechs Jahren todt,“ antwortete die Tante mit einem seligen Lächeln über ihr Bewußtsein, daß sie keinen Mann von Rang ausgelassen habe.
„Er starb in großem Elend,“ sagte Emilie. „Seine Familie ist ganz heruntergekommen.“
„Gekommen, wohin?“
„Wie liebenswürdig simpel Sie sich doch stellen können!“ lachte Emilie. „Wie reizend müssen Sie sein, wenn Sie Ihr Licht leuchten lassen.“
„Soll ich es leuchten lassen? Vorerst erinnere ich mich, daß Doctor Brandon einer der besten Aerzte und seine Frau eine der reizendsten Zierden der Gesellschaft war. Auch habe ich zufällig ihre Tochter kennen gelernt d. h. gesehen, und ich würde mich sehr freuen, wenn ich in dem Kranze der schönsten Mädchenblumen, die wir hier sehen sollen, auch dieses Veilchen bemerkte.“
„Veilchen kennen gelernt? O sieh da, Tante! Haben Sie noch mehr Blumen in Ihrer Botanisirkapsel?“
„Die Brandon’s gehen nicht in Gesellschaft,“ unterbrach sie die Tante.
„Warum nicht?“
„I nun, weil sie nicht eingeladen werden,“ lachte Emilie auf eine Weise, die ihrer glänzend schönen Gesichtsform einen beinahe widerlichen Ausdruck gab.
„Und warum werden sie nicht eingeladen?“
„Sie sind bettelarm, lieber Freund,“ entgegnete die Tante.
„Ist Mrs. Brandon nicht mehr dieselbe in Callico wie einst in Seide?“
„Nein, durchaus nicht,“ fiel Emilie trotzig ein. „Sie ist gesunken und ihre Tochter dazu; sehr gesunken. Sie haben einen Lebenswandel begonnen, der sie für immer von der guten Gesellschaft ausschließt.“
„Wa–as?“ fuhr der Zukünftige beinahe erschreckt auf. „O, das thut mir sehr leid. Bitte um Verzeihung. Hätte ich das geahnt! – Ich dachte, es seien Personen von untadelhaftem Charakter.“
„Sie mißverstehen mich, lieber Cousin, wahrscheinlich wieder absichtlich. Ich habe nichts gegen ihren Charakter gesagt, ich wollte nur andeuten, daß sie – schneidern, schneidern für Geld.“
„Aus reiner Geldgier hoffentlich, um sich eine Equipage anzuschaffen oder mit einem Vermögen von 10,000 Pfund zu sterben.“
„Um nicht zu verhungern, lieber Cousin, so arm sind sie. Und wenn Mr. Custis wieder Damen kennen lernen will, so denke ich, er wird besser thun, mehr in den Kreisen zu bleiben, wo er zu Hause ist.“ –
Der Zukünftige sah die Sprecherin scharf an, welche nun über den Sinn ihrer Worte erröthete, sich aber sofort zu resolviren wußte und mit leichtem Scherze fortfuhr: „Sie gehören unter die gute Gesellschaft, mein gestrenger Herr Vetter, und müssen Ihren Republikanismus und Atheismus ablegen.“
Die Vorgänge in China.
Im fernen Ostasien bereiten sich Ereignisse vor, die in ihren Folgen für jetzt gar nicht zu berechnen sind. Das unermeßliche China, ein Reich, das mit den tributpflichtigen Staaten einen Flächenraum umfaßt, der über 90,000 Quadratmeilen größer ist als Europa, und das gegen vierthalbhundert Millionen Einwohner zählt, ist in diesem Augenblicke der Schauplatz eines Kampfes, der wahrscheinlich schon in der nächsten Zeit sein Ende erreichen, und nicht nur eine vollständige Umwälzung im Innern herbeiführen, sondern auch die bisherige isolirte Stellung des chinesischen Volkes aufheben und dasselbe mit der Kultur und Civilisation
[289][290] der westlichen Welt in nähere, ja engere Berührung bringen dürfte.
So viel wir von der Geschichte Chinas wissen, reicht dieselbe Jahrtausende über unsere Zeitrechnung hinaus, und Jahrtausende hindurch, ja bis auf die neuesten Zeiten hin, blieb China unberührt von allen Einflüssen europäischer Bildung und behielt die Formen, in welche das staatliche Leben von frühester Zeit eingezwängt war, unverändert bei. Jedenfalls lag es in der Politik der chinesischen Herrscher, ihre Völker auf das Strengste von allem Verkehr mit fremden Völkern abzusperren, und die ungeheuere Ausdehnung des Reiches, die hohen unzugänglichen Gebirge, sowie die weiten Steppen und das stürmische Meer, welche die Grenzen China’s bilden, trugen wesentlich dazu bei, diese Politik leicht durchzusetzen; auch haben der Stolz und Eigendünkel der Chinesen, die sich für das gebildetste Volk der Welt halten und auf alle übrigen Völker mit Verachtung herabsehen, dem Abschließungssystem bedeutenden Vorschub geleistet und die Annahme fremder Einrichtungen und Kunstfertigkeiten verhindert.
Unter den eigentlichen chinesischen Dynastien, deren letzte, die Ming-Dynastie, vor zweihundert Jahren in Folge eines inneren Aufruhrs durch die, aus dem Norden berbeigerufenen Mandschu gestürzt wurde, ward dies Absperrungssystem nicht immer streng gehandbabt, und schon im ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts traten die Portugiesen und Spanier mit den Chinesen in Verkehr, und unter der jetzt noch regierenden Mandschu-Dynastie, die sich Too-tsing, d. h. die sehr reine nennt und seit 1644 auf dem Drachensitze des himmlischen Reichs thront, wurden die ersten Handelsverbindungen mit Rußland angeknüpft, die bis auf diese Stunde fortbestehen. Bald darauf gelang es auch den Franzosen und Engländern, in gleiche Verhältnisse zu China zu treten, ja sogar sich in Kanton festzusetzen.
Von dieser Zeit an begann die Thätigkeit englischer und französischer Missionäre für die Verbreitung des Christenthums in China, doch konnten sie, wenn gleich schon lange vor ihnen besonders die Jesuiten in derselben Richtung gewirkt hatten, um so weniger wesentliche Resultate erzielen, da die, unter dem zweiten Herrscher der Mandschu-Dynastie den Christen zugestandene freie Ausübung ihrer Religion von dem nächsten Nachfolger desselben zurückgenommen ward. An die Stelle der Duldung trat bald eine harte Verfolgung der Christen, auch das locker gewordene Absperrungssystem wurde wieder strenger beobachtet, ja immer schärfer und schärfer durchgeführt, je kräftiger sich die britische Macht in Indien entwickelte. Es scheint, daß der jetzt regierende Kaiser – vorausgesetzt, daß er in diesem Augenblicke noch seinen Sitz im Palaste zu Peking hat – der 1820 zur Herrschaft gelangte, geahnt haben mag, daß von den immer mächtiger werdenden „rothborstigen Barbaren,“ wie der chinesische Staatsstyl die Engländer nennt, dem Reiche der Mitte Unheil drohen werde; denn er ließ die einmal bestehenden Verkehrsverhältnisse nach Möglichkeit einschränken, trieb 1828 alle katholischen Missionäre aus Peking und verbot auf das Strengste den Umgang mit den Fremden.
Dies Verfahren, dann aber auch die Aufhebung des Monopols der englisch-ostindischen Kompagnie, wodurch der Handel der Engländer nach China einen ganz andern Charakter annahm, führten vorzugsweise in Kanton zu allerlei Händeln, die schon im Juli 1834 so bedenklich wurden, daß die chinesischen Behörden allen Verkehr mit den Engländern aufhoben. Es traten nun zwar momentane Ausgleichungen ein, jedoch brachte der von den Engländern mit Eifer betriebene, höchst vortheilhafte Schmuggelhandel mit Opium eine solche Erbitterung bei der chinesischen Regierung hervor, daß sie den Verbrauch des Opiums bei den schrecklichsten Strafen untersagte, ja sogar die Auslieferung alles auf englischen Schiffen und in Magazinen befindlichen Opiums verlangte, um so auf einen Schlag den Handel mit dieser „Teufelswaare“ zu vernichten. In Folge dieses Verfahrens brach der Krieg zwischen England und China aus, der nach wiederholten blutigen Niederlagen der chinesischen Land- und Seemacht im Jahre 1842 mit dem Frieden von Nanking endigte, die Eröffnung von fünf chinesischen Häfen und Zulassung von Konsuln in denselben herbeiführte und die Engländer in den Besitz der Insel Hongkong setzte.
Dieser Friede ist ein weltgeschichtliches Ereigniß: er brach das chinesische Absperrungssystem und öffnete die bis dahin so gut wie unbekannte Ostwelt Asiens dem Einflusse europäischer Kultur um so mehr, da die Siege, welche die Engländer in verhältnißmäßig kurzer Zeit, mit an sich nur geringen Kräften und unter ganz unbedeutenden Verlusten über den Sohn des Himmels davon trugen, aller Welt verriethen, auf wie schwachen Füßen die Macht des so gewaltigem Reiches stehe.
Daß der Ausgang des Kampfes mit den Engländern auch im Innern des eigentlichen China, eines Landstrichs, der mindestens fünfmal so groß ist, wie Deutschland, außerordentliche Bewegungen hervorgerufen habe, darüber hatte man lange Zeit hindurch keine bestimmte Nachrichten. Man hörte wohl bald nach dem Frieden von Nanking, daß sich in den südwestlichen Provinzen gewisse Reformbestrebungen kund gäben, daß sich eine mächtige Partei erhoben habe, welche sich bemühe, überall geheime Gesellschaften zu stiften und mittelst dieser das Volk gegen die verhaßte Mandschu-Dynastie aufzuwiegeln, und daß ein Nachkomme der vor zweihundert Jahren vertriebenen Ming-Dynastie von allen Seiten her Unzufriedene an sich zu ziehen suche und entschlossen sei, sein gutes Recht auf den Thron in Peking mit den Waffen geltend zu machen und dem chinesischen Volke, das von fremden Tyrannen niedergedrückt werde, eine bessere, ruhmreichere Zukunft zu eröffnen. Nachrichten dieser Art wiederholten sich von Zeit zu Zeit, fanden aber, da sie zu sehr den Charakter von Gerüchten an sich trugen, wenig Glauben, bis man endlich in englischen Blättern von einer Verschwörung las, die in Kanton im Jahre 1848 entdeckt und an den Theilnehmern, deren man habhaft werden konnte, auf das Grausamste bestraft wurde. Man erfuhr nun, daß ein Dreieinigkeits-Bund bestehe, der mit andern geheimen Gesellschaften den engsten Verkehr unterhalte, daß dieser Bund bereits eine bedeutende Streitmacht habe, und daß die Ermordung [291] des kaiserlichen Statthalters in Kanton das Signal zum allgemeinen Aufstande hätte sein sollen.
Dieser allgemeine Aufstand der Ming-Leute, wie sich die gegen die Mandschu-Dynastie Verschworenen nennen, erfolgte zwar nicht, aber eben so wenig gelang es der Regierung, die ihr gefährliche Bewegung zu unterdrücken, vielmehr griff dieselbe in den südwestlichen Provinzen immer mehr um sich, dehnte sich über die nördlichen und östlichen Lande aus und verpflanzte sich an die Küsten, die nun von Seeräubern im Laufe des Jahres 1849 so unsicher gemacht wurden, daß der Handel gänzlich in’s Stocken gerieth und die Engländer zu Hülfe gerufen werden mußten, denen es freilich in kurzer Zeit gelang, die Piraten unschädlich zu machen. Indessen schon im Jahre 1850 begann der Kampf der Ming-Leute in verschiedenen Provinzen mit solcher Entschiedenheit und so glänzenden Erfolgen, daß schon im Mai desselben Jahres der Himmelssohn auf dem Drachensitze in Peking in Erlassen an das Volk seinem Zorn über die Rebellen Luft machte, sich bitter über seine Generale und Beamten beklagte, dem Volke die großen Summen vorrechnete, die er auf Unterdrückung des Aufstandes bereits verwendet, und unter Verheißung seiner Gnade dasselbe zu den außerordentlichsten Anstrengungen aufforderte. Diese kaiserlichen Appellationen an das Volk hatten den erwarteten Erfolg nicht, die Rebellen erfochten Siege auf Siege und befanden sich schon im September des genannten Jahres in so großem Vortheile über die kaiserlichen Truppen, daß ihr Führer Tiente (der große Himmelssohn), der sich auch zuweilen Tai-ping (der große Friedensfürst) nennt, sich zum Kaiser ausrief.
Tiente, der Kaiser und Heerführer der Ming-Leute, stammt, wie er selbst sagt, in gerader Linie von der im Jahre 1644 durch die Mandschu vertriebenen Ming-Dynastie, deren Mitglieder, trotz der zweihundertjährigen Herrschaft der Usurpatoren, sich diesen niemals unterworfen und nie eine Gunst von ihnen verlangt. Er selbst habe stets im Verborgenen gelebt, bis ihm die Tyrannei der Tartaren nicht mehr Ruhe gelassen; darauf habe er sich entschlossen, mit seinen Kriegern den Kampf zu beginnen, die Tsing-Dynastie zu stürzen, den alten Glanz des Reichs zu erneuern und allgemeinen Frieden herzustellen. Mit diesem großen staatlichen Zwecke verfolgt Tiente aber noch einen religiösen, und das ist das bei weitem Wichtigste in dem Auftreten dieses chinesischen Helden.
Die Proklamationen, worin sich die religiösen Ansichten Tiente’s aussprechen, lassen, wenn sie wirklich mehr sind als Mittel zum Zweck, kaum noch einen Zweifel daran, daß die Ming-Leute wie ihr Führer längst dem Christenthume angehören, und daß, wenn Tiente siegt und die Reformen, welche er in politischer wie religiöser Beziehung verheißt, wirklich zur Ausführung bringt, eine ganz neue Zeit über China anbrechen werde. Tiente fordert zur gänzlichen Ausrottung des Buddha- und Tao-Glaubens, zur Vernichtung der Priester dieser Lehren, so wie zur Zerstörung aller Götzentempel auf und erklärt selbst die dem Tode verfallen, die zum Bau der Götzentempel beigetragen haben. Er verehrt den „großen Gott, den himmlischen Vater, der in sechs Tagen Himmel und Erde geschaffen, das Land und das Meer, die Menschen und die Dinge;“ er nennt diesen großen Gott einen „geistigen Vater, allwissend, allmächtig und allgegenwärtig, dessen große Macht alle Völker unter dem Himmel erkennen.“ Nach diesem Bekenntnisse heißt es in der Proklamation weiter: „Indem wir die Urkunden vergangener Zeiten verfolgen, finden wir, daß seit der Schöpfung der Welt der große Gott zu verschiedenen Malen sein Mißvergnügen kund gethan hat, und wie kommt es, daß Ihr davon Nichts wisset?“ Zuerst offenbarte der große Gott seinen Zorn, indem er durch 40 Tage und 40 Nächte einen gewaltigen Regen herabsandte und dadurch die Fluth erzeugte. Bei einer zweiten Gelegenheit zeigte er sein Mißvergnügen und kam herab, um Israel aus den Händen der Aegpyter zu retten. Bei einer dritten Gelegenheit zeigte er seine Majestät, als die Verkörperung des Retters der Welt, des Herrn Je-su, geschah im Lande Judäa, und er duldete für die Erlösung des Menschengeschlechts. Auch in spätern Zeiten hat der große Gott seine Entrüstung offenbart und im Jahre Ting-yu (1837) sandte er einen himmlischen Boten[1] mit dem Auftrage, die Schaaren des bösen Feindes zu vernichten. Weiter hat er den himmlischen König[2] gesandt, die Zügel der Regierung zu ergreifen und das Volk zu retten.“
Man sieht aus dieser Proklamation, daß der Führer der Ming-Leute mit den Lehren des alten und neuen Testaments vertraut ist, und daß er dies offen ausspricht, beweist hinlänglich, daß seine Anhänger denselben Ansichten huldigen. Erkennt man nun hierin deutlich, wie groß bereits der Einfluß der europäischen Völker, die seit einem Decennium mit China verkehren, geworden ist, so geht auch aus der Organisation der Streitmacht Tiente’s hervor, daß er sich mit europäischer Taktik und Kriegführung genau bekannt gemacht hat und eben deshalb den kaiserlichen Truppen in jeder Weise überlegen ist. Während der Jahre 1851 und 1852 sind die Ming-Leute in allen Gefechten Sieger geblieben und haben, sobald sie eine Provinz eingenommen, auch dort sofort die Einrichtungen getroffen, die ihr Führer verheißen und für die Wohlfahrt des Volkes für nöthig hält. Aus der südwestlichen Spitze des Reiches ist der Aufstand nach und nach bis zum Nordosten vorgedrungen, und im März dieses Jahres hat sich der Himmelssohn in Peking so tief herablassen müssen, die Hülfe der Vertreter von England, Frankreich, Nordamerika und Hamburg anzusprechen. Eine direkte Einmischung der Europäer ist nicht erfolgt, vielmehr haben sich dieselben nur darauf beschränkt, das Eigenthum europäischer Kaufleute zu beschützen, was aber nicht einmal nöthig sein dürfte, da die Ming-Leute so vorsichtig sind, die Interessen des Fremden nicht zu verletzen. Dem weiteren Vordringen der Kriegsmacht [292] Tiente’s ist von Seiten der Engländer und Nordamerikaner kein Hinderniß in den Weg gelegt worden, und so ist es denn geschehen, was der Kaiser in Peking um jeden Preis aufhalten wollte: Nanking nämlich, die zweite Hauptstadt des Reichs, ist, wie die neuesten Nachrichten melden, von den Ming-Leuten erobert worden, und damit dürfte der Sturz der Mandschu-Dynastie entschieden sein. Der Weg nach Peking steht den Siegern offen, und nur zu bald wird man lesen, daß Tiente „den Drachensitz gereinigt“ habe. – Was geschehen werde, wenn der Sprößling der Ming-Dynastie diese wieder hergestellt, steht zu erwarten; indessen ist nach dem, was bereits geschah, anzunehmen, daß China den europäischen Völkern vollständig geöffnet und damit dem Unternehmungsgeiste der westlichen Welt ein weites Feld für geistige und materielle Thätigkeit werde geboten werden.
Aus der Gewerbswelt.
Der Glaspalast in Sydenham.
Im grünen Hydepark zu London stand im Jahre 1851 ein ungeheurer Palast von Eisen und Glas, in dem die Industrie ein großes Fest feierte. Aus allen Enden und Orten der Welt kamen ihre Unterthanen herbei und breiteten die reichen Erzeugnisse ihres Kunstfleißes vor den staunenden Augen aus.
Die hohe Königin von England, an der Hand ihres Gemahls, des Prinzen Albert, umgeben von den Großen ihres Reichs weihte diese Ausstellung ein.
Man sprach in der ganzen Welt von nichts Anderm, als von der großen Industrieausstellung in London und von dem wunderbaren Krystallpalast mit seinen hunderttausend Säulen, seinem hohen Glasbogendach, unter dem die höchsten Ulmen grünten, und von seinem langen Mittelgange, dessen Ende sich in blaue Ferne verlor – –.
Dieser Krystallpalast ist verschwunden! Man findet seine Stelle nicht mehr. Die Dandy’s und die ritterlichen Engländerinnen auf ihren schönen Pferden und hübschen Jokay’s hinterdrein, jagen über den Plan, wo er stand. Die Schafe grasen darauf, Hunde und Jungen treiben sich darauf umher. Es ist wieder der alte Hydepark!
Aber der Krystallpalast ist nur in Hydepark untergegangen, um wie ein Phönix – nicht aus seiner Asche, sondern in seinen Säulen, Trägern, mit seinem gläsernen Dache – in Sydenham wieder verschönert aufzustehen.
Man baut fleißig und bald wird man von seiner Vollendung hören! Sydenham ist ein Ort, der sich etwa 6 englische Meilen (11/4 deutsche) von London aus an dem höchsten Punkte des Gehölzes von Dulwich hinzieht. Dort baut man auf einem Raum von 3000 Fuß auf seiner längsten Seite, und einem Gebiete von 300 engl. Ackern den Krystallpalast wieder auf und umgibt ihn mit den reizendsten Parkanlagen. [293] Dies geschieht durch Vermittlung einer Aktiengesellschaft, die damit den Zweck verfolgt, eine Halle für Erfindungen, zur Ausstellung von Modellen und gehenden Maschinen, einen Völkerbazar oder eine Weltmesse zu verwirklichen. Daneben wird in einem großartigen, bewunderungswürdigen Maßstabe Belehrung mit Unterhaltung zu verbinden gesucht, und zu dem Ende dem Glaspalaste eine Einrichtung gegeben, wie sie nur eines Dichters Phantasie zu erträumen, Umsicht und Erfahrung zusammenzustellen, die Schöpferkraft des Gelehrten und des Künstlers zu beleben und auszuschmücken vermag. –
In einem folgenden Artikel werden wir, mit einem Grundriß des Gebäudes in der Hand, über jene Einrichtung ausführlichere Nachweisungen geben, während wir uns heute beschränken, oben im Bilde den mittleren, gegen den Garten gekehrten Theil der Façade zu versinnlichen.
Die Bodenfläche des Bauplatzes, wie die des ganzen Raumes ist gegen den Garten abfallend – die Höhe wird durch den Palast bekrönt. – Die Abdachung dieser Höhe beträgt 200 Fuß. Auf diesem anmuthigen Hange wird der Park angelegt. In Folge der ziemlich schroffen Abdachung ist nun an der, dem Parke zugewendeten Façade ein Erdgeschoß neu hinzugekommen. Ohnstreitig wird dadurch das Gebäude selbst verschönert. Es wird höher im Verhältniß zur Länge. Diese beträgt nur noch 1650 Fuß, daher 240 weniger als der Palast in Hydepark. Dahingegen ist das mittlere Querschiff, das man auf unserem Bilde sieht, um 44 Fuß höher als der Transept: demnach 194 Fuß hoch. Die Weite ist 170 Fuß. Die Seitenquerschiffe, je eins zu jeder Seite des mittleren Querschiffs, erhalten eine Höhe von 150 Fuß bei einer Tiefe von 72 Fuß. Mit einem Blicke läßt sich das Gebäude übersehen, was mit dem in Hydepark, aus dem es sich entpuppt hat, nicht der Fall war, demnach die Gesammtwirkung geschwächt wurde.
Die geschilderten Querschiffe treten über die Hauptlinie des ganzen Gebäudes heraus. Dort, wo deren Dächer das Dach des Hauptschiffs durchschneiden, treten thurmartige Aufbaue hinzu. Dadurch entsteht eine bewegtere Gliederung der ganzen Baustellung.
Anstatt des flachen Furchen-Glasdachs des früheren Längeschiffs erhält das neue Länge- oder Hauptschiff ein Bogendach von Glas, dessen spiegelnde Scheiben in Verbindung mit denen der senkrechten Fenster in Sonne, blauer Luft und frischem Grün einen zauberischen Anblick gewähren werden.
Nach Mitteilung von Friedrich Förster in Wien sind die mit dem Innern des Gebäudes getroffenen Veränderungen von wesentlicher Bedeutung. Der künstlerische Eindruck wird durch ihre Gesammtwirkung ungemein verstärkt werden. Beim älteren Baue wechselten blos Säulen und Streben gleichförmig ab, und standen da in schnurgrader Fronte wie ein Regiment Soldaten. Dem neuen Plane ist hingegen die Anordnung zu Grunde gelegt worden: daß in Abständen von 72 Fuß ein paar 24 Fuß von einander entfernte Säulen um 8 Fuß in das Hauptschiff vortreten. Von diesen Säulen gehen gebogene eiserne Streben mit Gitterwerk gegen die Längenbalken des Dachs, so daß Pfeilergruppen gebildet werden, wie sie im Spitzbogenbau vorkommen. Thürme an den Enden des Gebäudes werden innerlich mit Wendeltreppen versehen. Von den Zinnen herab wird man des herrlichsten Anblicks auf den Park, die reiche Umgegend und London genießen. 40 Acker von der Parkfläche zunächst vor dem Palast werden im italienischen Geschmack angelegt, und geht weiter entfernt dann die Anlage in den englischen Garten- oder eigentlichen Parkstyl über. Die königl. Gärten in Versailles unweit Paris, werden von dem Sydenham- Volksgarten in Schatten gestellt werden. Die Springbrunnen werden zusammengenommen nahezu fünfmal so groß als die von Versailles. Dieselben erhalten ihr Wasser unmittelbar aus den Behältern zu beiden Seiten des Hauptgebäudes auf Thürmen 256 Fuß hoch. Dampfmaschinen von fast 1000 Pferdekräften heben die Wasser. Diese bilden zuerst glitzernde Sturzbäche und schäumende Ergüsse; vereinigen sich dann, um hohe Wasserfälle zu bilden, deren Gewässer in hohen Strahlen wieder emporsprudeln und endlich in zwei ungeheuren 180fachen Wassergarben, deren mittelster Büschel bis 200 Fuß Höhe getrieben wird, man könnte fast behaupten sich bis in die Wolken verlieren.
So sind wir denn bereit in’s Innere des Palastes zu treten, was in unserem nächsten Artikel geschehen soll. –
Wanderungen durch die Sternenwelt.
Fürchte nicht, mein Leser, daß ich Dich mit einer langen wissenschaftlichen Abhandlung über Astronomie behelligen werde. Ich kann mich blos darauf beschränken, Dich mit einigen Resultaten, welche die Wissenschaft, namentlich in neuerer Zeit auf dem Gebiete der Sternkunde gewonnen hat, bekannt zu machen. Nicht um tiefere Wissenschaftlichkeit, die mannigfache Kenntniß voraussetzt, sondern um möglichste Deutlichkeit und Anschaulichkeit soll mir es zu thun sein.
Lieber Leser, wenn Du in einer tiefdunkeln Sternennacht zum Himmelsdom emporschautest und der wunderbare Glanz des Firmaments in seiner erhabenen [294] Stille zu Dir herniederleuchtete, so ist vielleicht zuweilen in Dir die Frage aufgestanden: Wie viel mögen das wohl Sterne sein, die ich mit bloßem Auge sehe? Du hast vielleicht sogar einmal den Versuch gemacht, eine Anzahl zu zählen, bist aber bei der übergroßen Anzahl bald davon zurückgekommen. Und gleichwohl ist Deine Frage nicht unschwer zu beantworten. Wer von Gott mit einem recht scharfen Auge gesegnet ist, der erblickt in unsern Breitegraden, wenn die Nacht vollkommen dunkel und die Luft möglichst rein und klar ist, etwa zweitausendfünfhundert unterscheidbare Sterne.
Diese sämmtlichen Sterne sind nun von den Astronomen, je nach ihrem größern oder geringern Lichtglanze, in verschiedene Classen oder Größen eingetheilt worden. So stellt der berühmte Archelander in Bonn, und zwar für das ganze Himmelsgewölbe, von dem wir bekanntlich stets nur die eine Hälfte zu sehen bekommen, folgende Berechnung auf: Es leuchten am Himmel von
Erster Größe 20 Sterne,
Zweiter Größe 65 Sterne, Fünfter Größe 1100 Sterne,
Dritter Größe 190 Sterne, Sechster Größe 3200 Sterne.
Diese sechs Classen der unter den günstigsten Verhältnissen dem unbewaffneten Auge sichtbaren Sterne würde eine Anzahl von 5000 ergeben. Nimmt man die Hälfte davon, die auf unsre Himmelshalbkugel kommen, so erhält man die oben angegebene Zahl von 2500.
Dies wären denn die dem bloßen Auge sichtbaren Sterne. Aber mit ihnen ist der Reichthum der Sternenwelt lange nicht abgeschlossen. Nehmen wir ein Fernrohr zur Hand, das uns die Sterne der siebenten Größe – und die Astronomen zählen bis zur 15. und 16. Größe – erkennen läßt, so vermehrt sich die Anzahl der Sterne sofort um 13,000. Die Sterne der achten Größe bereichern den Himmel um 40,000; die der neunten Größe um 142,000 und so fort. Welch’ Sternengewimmel, welche Pracht, welcher Reichthum der Schöpfung! Ja, wer Gelegenheit und das Glück haben könnte, durch einen der großen Riesentelescope, wie solche namentlich in England anzutreffen, zu schauen, der würde den uns sichtbaren Theil der Milchstraße in etwa achtzehn Millionen unterscheidbare Sterne aufzulösen vermögen.
Seit es der neuern Astronomie gelungen, vermöge ihrer Instrumente von außerordentlichster Tragweite selbst eine Unzahl der seit Jahrtausenden dem menschlichen Auge verschleierten Nebelflecke in Sternenstückchen abzuklären, erscheint der Reichthum der Fixsternwelt geradezu unermeßlich. Nach einer mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung schätzen die Astronomen die Anzahl sämmtlicher Sterne am ganzen Himmel auf 273 Millionen. Und wo ist selbst hier die Grenze!
Die verschiedenen astronomischen Sternverzeichnisse führen 25,000, 50,000, ja 75,000 einzelne Sterne auf, die alle sorgfältig beobachtet und deren Stand am Himmel mit außerordentlicher Genauigkeit bestimmt worden ist. Wie weit es überhaupt die Astronomie in der Haarschärfe ihrer Beobachtungen heutzutage gebracht hat, davon will ich später erzählen. Diese sorgfältigen Sternenverzeichnisse reichen also weit über die Anzahl der uns mit bloßem Auge sichtbaren Sterne hinauf. Man kann also getrost behaupten, daß kein Stern am Himmel steht, und wenn er uns als noch so unbedeutendes Fünkchen erschiene, der nicht der genauesten Beobachtung und der gewissenhaftesten Berechnung unterlegen hätte.
Der Reichthum der Sternenwelt erscheint uns von unserm dunkeln Erdensandkörnchen aus nicht ganz gleich vertheilt. Wir erblicken sowohl mit bloßem Auge, als hauptsächlich durch die Telescope sternenarme und auch wieder sehr sternenreiche Gegenden. So stehen in der Gegend des prachtvollen Sternbildes Orion auf einem Raume von etwa 30 Vollmondlängen und 4 Vollmondbreiten Funfzigtausend unterscheidbare Sterne. Am Sehfelde des zwanzigfüßigen Spiegeltelescopes des großen Astronomen William Herschel[3] zogen – in der Nähe der Milchstraße binnen 41 Minuten etwa 258,000 unterscheidbare Sterne vorüber.
Alle dem bloßen Auge unsichtbare und nur durch die Fernröhre erkennbare Sterne werden telescopische Sterne genannt. Kehren wir eine zeitlang zu den nichttelescopischen, wie wir sie Abends mit unbewaffnetem Auge erblicken, zurück.
Bereits im grauen Alterthume theilte man diese Sterne in Gruppen oder Sternbilder, denen man großentheils die Namen von Helden und Thieren, in neuerer Zeit sogar von nützlichen physikalischen Instrumenten wie: Herschel’s Telescop, Electrisirmaschine, Kompas, Buchdruckerwerkstätte u. s. w. beilegte. Man darf aber nicht glauben, daß die betreffenden Sternbilder in ihrer Sterngruppirung auch nur eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Gegenstande haben, dessen Namen sie tragen. Höchstens könnte das Kreuz des Süden, dessen glanzvolle Sterne der Gestalt eines Kreuzes ähneln und die drei hellen in gerader Linie neben einander stehenden Sterne im Orion, die unter dem Namen des Jacobstabes bekannt sind, eine Ausnahme machen. Die bekannten sieben Sterne, welche unsern Himmelswagen bilden, sind kein Sternbild für sich, sondern nur der vierte Theil des Sternbildes des großen Bären. Die Benennung der Sternbilder der Alten hing auf das Innigste mit ihren Helden- und Göttersagen zusammen. Diese Sterngruppen, die in den verschiedenen Jahreszeiten regelmäßig ihre goldenen Bahnen wandeln, waren den uralten Völkern ein untrüglicher himmlischer Kalender; dem Hirten, Ackerbauer, Jäger und Seefahrer ein sicherer Wegweiser. Bei Beschreibung des Zodiakus oder himmlischen Thierkreises in einem spätern Artikel, werde ich ausführlicher hierauf zurückkommen. Heutzutage bekümmert sich die Wissenschaft der Astronomie wenig mehr um die Sternbilder. Sie zieht ein Netz von geometrischen Linien über das Himmelsgewölbe und kann darnach weit sicherer den Standpunkt eines Sternes bestimmen, als mit Hülfe der abenteuerlichen Gestalten von Menschen, Thieren und Geräthschaften. Daher [295] findet man auch auf neuern Sternkarten diese Sternbilder ganz und gar weggelassen und die zu einem solchen Bilde gehörigen Sterne durch eine einfache Linie umgrenzt. Auf einigen Karten fehlt selbst letztere und man findet blos die Sterne und die Linien der himmlischen Meridiane und Breitegrade verzeichnet. Ich muß mich hier so verständlich wie möglich machen. So wie nämlich der Geograph weit genauer die Lage einer Stadt bestimmt, wenn er ihre geographische Länge und Breite angibt – und was geographische Länge und Breite ist, weiß jeder Schulknabe – als wenn er blos das Land oder die Provinz oder den Bezirk nennt, in welchem sie liegt; eben um so sicherer geht der Astronom, wenn er anstatt zu sagen, der Stern liegt in diesem oder jenem Sternbilde, lieber sagt: der Stern liegt unter dem oder dem himmlischen Länge- und Breitegrade. Der Astronom drückt das nur etwas anders aus. Er sagt nicht Längegrad, sondern nennt es die Gradaufsteigung oder rectascensio; auch sagt er nicht Breitegrad, sondern Abweichung oder declinatio. Wie es aber auf unsern Landkarten nördliche und südliche Breitegrade gibt, ebenso gibt es auf den Himmelskarten nördliche und südliche Abweichung oder nördliche und südliche declinatio. Wenn Du daher, mein Leser, am Rande der Sternkarten die lateinischen Buchstaben R. A. und D. findest, so bedeuten sie die Worte Rectascensio und Declinatio und bezeichnen die himmlischen Länge- und Breitegrade.
Was nun die Bezeichnung der Einzelsterne anbetrifft, so haben die der ersten und zweiten Größe, wie auch eine kleine Anzahl der dritten und vierten ihre besondern Namen, die fast größtentheils der arabischen Sprache entnommen sind, da sich eine geraume Zeit in früheren Jahrhunderten die astronomische Wissenschaft unter den Arabern einer hohen Blüthe erfreute. Allerdings sind im Laufe der Jahrhunderte diese Namen sehr verstümmelt worden, so daß man aus verschiedenen Namen die ursprüngliche Bedeutung kaum herausfindet. Im Vorbeigehen sei hier bemerkt, daß alle sieben Sterne unsers Himmelswagen arabische Namen haben, und daß diese Sterne nicht zu allen Zeiten und bei allen Völkern den Namen „der Wagen“ führten. Im Königreiche Aegypten hießen diese Sterne die sieben Dreschochsen und in noch frühern Zeiten waren sie den Indiern unter dem Namen der Todtenbahre und der drei Klageweiber bekannt.
Uebrigens fährt dieser himmlische Wagen nicht wie es die Wagen auf Erden thun, vorwärts, sondern er wird rückwärts geschoben, die Deichsel hinterdrein, alle vierundzwanzig Stunden um den berühmten Polarstern herum, dessen interessante Bekanntschaft wir später zu machen Gelegenheit haben werden.
Wie bezeichnet man aber nun die Sterne, die keine besondern Namen haben? Hier bedient man sich des griechischen Alphabets; der hellste Stern jedes Sternbildes heißt jedesmal a (alpha), der minderhelle ß (beta), u. s. f. Reicht das griechische Alphabet nicht aus, nimmt man das lateinische zu Hülfe. Bei manchen Sternverzeichnissen und Sternkarten sieht man von der Buchstabenbezeichnung ganz ab und zählt einfach von Eins an bis in die Tausende.
Das wären die nothdürftigsten Bemerkungen über die Zahl, Eintheilung und Bezeichnung der Fixsterne.
Man würde indeß sehr irren, wenn man nach dem hellern oder schwächern Glanze dieser Sterne auf ihre Größe und Entfernung schließen wollte. Ein kleines, dem unbewaffneten Auge völlig unbekanntes Sternenfünkchen kann eine größere Sonne sein als der Sirius, welcher als prachtvollster Fixstern am Himmel funkelt; Sternleins von zehnter, zwölfter Größe können uns näher stehen als die strahlenden Gestirne des Orion. Bei der schärfsten Vergrößerung unserer Fernröhre wachsen die Fixsterne nicht wie die Planeten zu kleinen Scheiben an, sie bleiben dieselben Lichtpunkte; nur daß sie klarer aus dem Abgrunde der Welten herüberschauen.
Wie ist aber ein Lichtpunkt, wo Anfang und Ende zusammenfällt, zu messen, zu berechnen, seine Entfernung zu bestimmen? Und gleichwohl ist es den neuern Entdeckungen der Astronomie, dem Forschergeiste, der Beobachtungsgabe und dem Scharfsinne der Priester dieser himmlischen Wissenschaft in neuester Zeit gelungen, die außerordentlichsten Resultate zu erzielen und so der Lösung des großen Problems, des Räthsels aller Jahrtausende „wie fern stehen uns jene Sonnen?“ näher und näher zu kommen.
Diese hochwichtige Frage: wie fern stehen jene Sonnen? würde uns aber für heute in ein zu umfangreiches Gebiet führen. Ihre Beantwortung bleibe der nächsten Mittheilung vorbehalten.
Blätter und Blüthen.
Das Lynchgericht in Californien. Ein Europäer hat gar keinen Begriff davon, wie wesentlich dies Lynchen gegenwärtig noch ist; nur ein Monate langes Leben in den Bergen könnte es ihm lehren. Denkt euch, ihr steht auf dem Gipfel eines Hügels in einem Fichtenwalde; die Stumpfen gefällter Bäume stehen umher; Reihen schindelgedeckter Blockhäuser an den Abhängen des Hügels bilden die Stadt. Oben ist eine Schaar rauhaussehender, bärtiger Männer in Filzhüten, rothen Flanellhemden und großen Stiefeln. Sie erwählen einen Präsidenten durch Acclamation, und Einer aus dem Haufen, auf einen Baumstumpf [296] steigend, setzt auseinander, daß der Zweck der Zusammenkunft sei, über gewisse Männer zu richten, welche aus einem Laden in der Stadt einen Beutel mit Goldstaub gestohlen hätten. Die Gefangenen seien in den Händen des Sheriffs, und es sei beschlossen, sie in’s Gefängniß nach Marysville abzuliefern. Ob es der Wille der Versammlung sei, solcher Verbrechen verdächtige Männer laufen zu lassen? Gelächter und Geheul antwortet dieser Anspielung auf die Entfernung von Marysville und die bekannte dort herrschende Schlaffheit in Fällen solcher Art. Immer von ihrem Präsidenten geleitet – die Amerikaner sind äußerst geschickt in der Leitung öffentlicher Versammlungen – wählen sie einen zeitweiligen Sheriff und ein Sicherheitscomité. Ein prachtvolles Exemplar von einem Goldgräber tritt vor; ihm folgt sein Comité. Sie werden von dem Haufen beauftragt, die Gefangenen der gesetzlichen Obbut, der Behörde zu entreißen und sie sogleich zur Stelle zu bringen.
Bald kehren sie mit den Schuldigen zurück. Die Behörden hätten widerstanden, sagt der Sheriff, Bericht abstattend, und ihre beschworene Pflicht erfüllt. Aber sie waren überwältigt worden, wodurch sie in den Augen des Volks nichts an Ansehen einbüßten. Der Sheriff bildete dann einen Kreis, und die Gefangenen setzten sich, von ihren Wächtern umgeben, auf den Boden. Sachwalter werden von der Versammlung ernannt und ihnen hundert Dollars für ihre Dienste bestimmt. Die Gefangenen machen ihr Unvermögen geltend. Sechs Geschworene werden vereidet. Verschiedene zu Geschwornen Bestimmte machen Einwendungen. Ihre Einreden werden zur Abstimmung gebracht und anerkannt oder verworfen. Der Sheriff des Volks wird beauftragt, die Zeugen für und wider herbeizuschaffen, und ein Richter wird ernannt, freilich nicht ohne einige Mühe. Denn diejenigen, welche Aemter in den Staaten gehabt haben, protestiren gegen die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens und sagen, sie hätten geschworen, die Verfassung zu vertheidigen. Ein alter Mann mit grauen Haaren erhebt sich, den Hut in der Hand, und sagt den Versammelten gerade heraus, daß sie Unrecht thäten. Man hört ihn ruhig und ohne Störung an. Endlich wird der Präsident zum Richter bestimmt, und die Gerichtssitzung beginnt.
Die Untersuchung gegen die drei Golddiebe dauert zwei Tage, und sie werden in der That schuldig befunden. Einer der Gefangenen, der gewesene Officier, erhebt sich vom Boden und bekennt seine Schuld. Er hatte die letzte Unze des erworbenen Goldes verspielt und die Reue in Spirituosen ertränkt. Betrunken, wurde er von einem der beiden Anderen, den er bezeichnete, aufgefordert, eine Schachtel zu stehlen, von welcher der Versucher wußte. Dieses leugnete der Bezeichnete standhaft; als aber die Vollstreckung des Urtheils, das auf neununddreißig Hiebe lautete, herannahte, erklärte er sich bereit, den Ort, wo er seinen Antheil am Raube verborgen, anzugeben, wenn man ihm nur einen Theil der Strafe erlassen wolle. Die Geschwornen versammelten sich auf’s Neue und milderten das Urtheil in Betreff des ersten und zweiten Verbrechers.
Am nächsten Morgen führte der Sheriff in Regen und Wind die Verurtheilten hinaus. Sie wurden mit Händen und Füßen an einen Baum gebunden und gepeitscht, daß sie, losgebunden, halbohnmächtig, elend und stöhnend, sich am Boden wanden. Kaum gestattete man ihnen den Aufenthalt in der Stadt, bis ihre Wunden geheilt waren, und einer starb. Die Andern machten sich hinweg, ich weiß nicht wohin.
Abschreckungstheorie in Schnupftaback. Professor Miller erzählte neulich in einem Arbeiter-Verein zu Edinburg folgende Geschichte, die in einem schottischen Dorfe passirt war, wo Geistliche und Laien noch in sehr reinen, gemüthlichen Beziehungen stehen sollen. Ein junger Geistlicher sollte sich nach seiner Verheirathung durchaus das Schnupfen abgewöhnen. Er that alles Mögliche seiner jungen Frau zu Liebe, fiel aber immer wieder heimlich in die alten Sünden zurück, indem er besonders Leute besuchte, die schnupften. Endlich weinte die Frau und schmollte und er faßte nun einen heroischen Entschluß. Er arbeitete die ganze Woche an einer Predigt gegen das – Schnupfen, ohne sich durch eine einzige Prise dabei aufzumuntern. Sonntags fühlte er sich zwar sehr miserabel, predigte aber doch herzhaft gegen die Sünde des Schnupfens, begeistert von dem beifälligen Lächeln seiner jungen Frau und empört über das deutliche Schnarchen eines ehrsamen Mitgliedes seiner Gemeinde dicht an der Kanzel. Das ehrsame Mitglied machte es endlich so arg, daß ihn ein Nachbar so lange rüttelte, bis er aufwachte, worauf er seine große runde Dose herauszog, ernsthaft und bedächtig auf den Deckel klopfte, diesen abnahm und unter die Dose schob, worauf er mit dem feierlichsten Ernste eine tüchtige Prise nahm und sehr umständlich die Nase damit fütterte. Dem Prediger blieb die Rede in der Kehle stecken; mit der größten Aufregung beobachtete er jede dieser Manipulationen und donnerte endlich: „John, was ist das? Welch eine Schande, Sir! Wie können Sie mich so beleidigen? Haben Sie nicht gehört, was ich gepredigt?“ Er hatte in der That keine Sylbe gehört und starrte seinen Seelsorger im größten Erstaunen an. „Ich weiß wirklich nicht, was ich verbrochen habe,“ stammelte er. – „Fern sei es von mir,“ erwiederte der Geistliche mit Salbung, „meine Lippen durch Namhaftmachung dessen, was Sie thaten, zu entweihen. Ich will Ihnen zeigen, was Sie thaten, damit es Alle sehen und davor zurückschaudern. Geben Sie mir Ihre Dose da!“ („Hand me up that box!“) Man reichte ihm die Dose hinauf. Jetzt machte der Prediger den ganzen Proceß des Nehmens einer Prise durch und zwar in möglichster Nachahmung des Sünders unter ihm. „Das ist es, was Sie thaten, Sir!“ sagte der Prediger, „und was noch viel schlimmer ist“ (mit ungeheurer Begierde die Prise nehmend) „sogar dies thaten Sie, Sir!“
- ↑ Dies deutet ohne Zweifel auf den bekannten Missionär Gützlaff, der vierundzwanzig Jahre hindurch mit rastloser Thätigkeit für die Verbreitung des Christenthums in China wirkte, und der auch mit Tiente in enger Verbindung gestanden haben soll.
- ↑ So nennt sich Tiente selbst.
- ↑ Noch jetzt glänzt der Name Herrschel leuchtend in der astronomischen Welt. Es ist John Herrschel, der ebenbürtige Sohn des großen William, dem wir die großen Entdeckungen am Südhimmel verdanken.