Die Gartenlaube (1853)/Heft 51

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[557]

No. 51. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Aus dem Müglitzthale.

Eine historische Erzählung aus den letzten Jahren des siebzehnten Jahrhunderts.
Von Eduard Gottwald.
(Fortsetzung.)


„Ist Euch der Superintendent Dr. Schwerdtner in Pirna bekannt?“ frug er nun den Müller, welcher verwundert das Papier betrachtete.

„Wem sollte der weltberühmte und hochgelehrte Mann nicht bekannt sein!“ entgegnete dieser. „O, wohl kenne ich ihn, und noch aus frühern Jahren, als ich noch ein reicher glücklicher Mann und der hochwürdige Herr noch Archidiaconus war und nach Torgau berufen wurde.“

„Nun gut,“ sprach hierauf der Fremde. „Sobald Euch Eure Peiniger morgen fragen, wie Ihr zu dem Golde gekommen, so sagt nur dreist, dies habe Euch Dr. Schwerdtner geliehen, der sich Eurer Noth erbarmt und der auch Bürgschaft leisten wolle für die Rückzahlung des Kapitals acht Tage nach dem Osterfeste des Jahres 1693.“

„Aber, um Gott, wie soll ich – stammelte der Müller, bei der sich ihm so unerwartet zeigenden Aussicht auf Rettung seines Eigenthums, immer mehr und mehr in Verwirrung gerathend.

„Ihr sollt nicht grübeln und sinnen, sondern sagen, wie ich Euch eben gerathen,“ lächelte der Fremde. „Oder glaubt Ihr, daß den Gläubigern oder den Gerichten des Superintendenten Bürgschaft nicht genügt?“

„O, vollkommen!“ betheuerte der Müller. „Aber mir werden sie es nicht glauben, daß dem so sei.“

„Dann werft ihnen nur keck entgegen, daß sie den würdigen Pfarrherrn in Pirna nur selbst fragen sollen,“ entgegnete der Fremde. „Ich aber,“ fügte er dann hinzu, indem er Brieftasche und Geldbeutel sorgsam wieder in die Brusttasche seines Sammetwammses verbarg, „ich werde wohl früher in Pirna sein und den Superintendent von Allem in Kenntniß setzen, ehe Eure Blutegel dort Nachfrage halten können, denn mein Weg führt mich ohnedem dort hinüber.“

„Und wer seid Ihr, der wie ein guter Engel mir zur Seite getreten und mich rettet aus Schmach und Verderben, und dem ich im Wahnsinn bedrohet an Geld und Leben?“ frug beschämt und gerührt der Müller.

[558] „Wer ich bin?“ entgegnete dieser und griff nach Stock und Ränzel. „Nun, das wird Euch später, wie ich freudig hoffe, klar werden; vor der Hand wißt Ihr, daß ich ein Wandersmann bin, der zur Kurzweil sich Steine gesucht auf Euren Bergen.“

Der Müller schüttelte ungläubig den Kopf und der Fremde machte sich nun zum Aufbruch fertig.

Währenddem war es Tag geworden, dessen Anbruch schon längst das heisere Gekräh des Haushahns verkündet hatte. In der Küche und im Vorhaus verrieth das Geklapper der schweren Holzpantoffeln die Anwesenheit der Magd, welche jetzt die Hausthüre öffnete, in die Wohnstube trat, um die Fensterladen aufzustoßen, und nicht wenig erstaunt war, ihren Herrn und den Fremden beim verlöschenden Kienspahn schon wach zu finden.

Aber auch Agathe war wach; denn statt nach jener Scene des Entsetzens ihr Lager zu suchen, als Angst und Bestürzung sie kraftlos hingeworfen, hatte sie mit gespannter Erwartung lauschend jedes Wort des Gesprächs der beiden Männer vernommen, und als durch den Edelmuth des jungen Fremden sich Rettung für den unglücklichen Vater gezeigt, da war sie hinausgeeilt in ihr Gärtchen, und hatte mit dem anbrechenden Morgen Gott auf ihren Knieen inbrünstig gedankt, für die Hülfe, die er in ihrer höchsten Noth ihnen gesendet. Mit den Gefühlen des Dankes und der Verehrung, welche ihr Herz gegen den Fremden erfüllte, war auch die Liebe zu demselben in ihre jungfräuliche Brust eingezogen. Geräuschlos hatte sie die Magd geweckt, nachdem sie sorgfältig sich angekleidet, und trat nun mit dem Besten, was die arme Küche liefern konnte, mit einem frischen Mehltrank und einigen weich gesottenen Eiern herein, um dem Fremden den Morgenimbiß zu bringen.

„Nehmt vorlieb, edler Herr, mit dem Wenigen, was wir Euch bieten können,“ begann jetzt Agathe, und Purpurgluth übergoß ihr blasses Antlitz, als der Fremde bei ihrem Eintreten hocherfreut aufsprang, auf sie zutrat und ihre Hand zärtlich drückte.

„Tausend Dank, daß Ihr mir die Freude macht, Euch noch einmal zu sehen, ehe ich weiter reise,“ rief dieser, mit glühenden Blicken auf der lieblichen Gestalt Agathen’s verweilend. „Werdet Ihr denn auch meiner freundlich gedenken, wenn der lange Winter in Eurem rauhen Norden mich fern hält, bis hier die Lerchen wieder singen und ich mit dem Frühling wieder hierher kehre aus weiter Ferne in Eure Thäler und Felsschluchten?“

„Wie könnte ich Euch je vergessen, Euch, der Ihr uns von Schmach und Verderben gerettet,“ rief Agathe, und richtete voll inniger Liebe tief gerührt vertrauensvoll ihre Blicke auf den Fremden. „O glaubt mir!“ fuhr sie begeistert fort: „so lange ich lebe, wird mein Herz treu Euer Bild bewahren und Eurer dankbar gedenken, der Ihr an dem armen Vater so edelmüthig Gutes mit Bösem vergolten.“ Der Müller blickte bei diesen Worten seufzend zur Erde. Der junge Fremde aber rief, sein Bündel über den Rücken werfend und den Wanderstab erfassend: „Gebt der Vergessenheit anheim, was hier wie ein Gespensterspuk zwischen uns getreten. Denkt freundlich meiner, da auch ich Euer Bild mit in die ferne Heimath nehme als leiblichen Begleiter, und möge unser Wiedersehen ein recht fröhliches, glückliches sein. Gott schütze Euch!“

Mit diesen Worten umschlang er Agathen, drückte einen langen heißen Kuß auf die Lippen der in holder Schaam hocherröthenden Jungfrau, reichte dem Müller die Hand zum Abschied, und verließ mit raschen Schritten die Mühle, deren Bewohner mit Dank und Freudenthränen dem bald ihren Blicken verschwindenden Wanderer nachschaueten, und der noch am Ausgange der Thalschlucht ihnen ein herzliches Lebewohl zurief. –

Der Vater kehrte nun in die Mühle, Agathe aber in ihr Kämmerlein zurück, denn ihr Herz war voll von süßem Weh und unaussprechlich seligem Entzücken, und heitre bunte Träume der erwachenden Liebe suchten die finstern verworrenen Bilder der verhängnißvollen Nachtstunden aus ihrem Innern zu verdrängen. Ueber den Müller aber war ein ganz anderer Geist gekommen, seit der junge Fremde ihn verlassen hatte. Im Besitz der fünfzig Gülden, verbunden mit der Zusicherung so ehrenvoller Bürgschaft für sein schuldendes Capital, sah er furchtlos der Ankunft seiner Peiniger entgegen. Zum ersten Male seit langer Zeit fing er an in der verödeten Mühle und auf dem wüsten Hofraume Ordnung zu schaffen, und die gebeugte Gestalt des kräftigen Mannes richtete sich freier und stolzer empor. Mit dem wieder in seine Brust zurückgekehrten Vertrauen war auch der Sinn für Ordnung und die Liebe zur Thätigkeit in ihm zurückgekehrt, und nicht ohne tiefe Beschämung und Reue sah er in Haus und Hof die stummen Zeugen seiner argen Verblendung und seines bisherigen unsinnigen Treibens. Aber mitten unter den letzten Trümmern seines Vermögens, mit welch’ heiterm Muthe und gläubigem Vertrauen sah er jetzt der Ankunft der Gerichte entgegen, die herbei kommen würden, ihn auszupfänden und auszuweisen, mit welch’ stillem freudigen Danke gegen die Vorsehung, während noch vor wenigen Stunden finstere Verzweiflung sein Herz erfüllte. Mit freudigem Hoffen sah aber auch Agathe, mit stummer Verwunderung die alte Magd auf den von neuem Lebensmuth beseelten Mann, und geschäftig half die Letztere der Müllerstochter die Wohnstube fegen und aufputzen, als sei ein Feiertag nahe, nicht aber die Gerichte, die jetzt des Weges daher zogen in der sichern Meinung, den insolventen Bärenmüller mit Kind und Magd als Bettler aus der Mühle zu treiben.

Und sie kamen auch in der zehnten Stunde des Vormittags, nachdem sie durch den Büttel Gottlob Schwenke, unter Begleitung eines Amtsknechts, die Zeit ihrer Ankunft hatten melden lassen; und bald waren in der sauber aufgeputzten Wohnstube der Mühle versammelt der Amtsschösser von Lauenstein, Abraham Zapfe, der Richter zu Fürstenwalde, Elias Tränkner, der Besitzer des Kratzhammergutes bei Lauenstein, Urban Fleck als Gläubiger, und als Neugierige und Kauflustige, sobald es zum Losschlagen des verschuldeten Grundstückes kommen sollte, der Müller aus dem Oelsengrunde, der schwarze Mattheus genannt, und Christoph Hanitzsch, der Müller aus Dittersdorf. [559] Der Bärenmüller aber hatte seinen besten Festtagsstaat angelegt, und stand mit dem Rücken an den großen Kachelofen gelehnt, die fünfzig Gülden in der Brusttasche sorgfältig in einen linnenen Beutel gepackt, welchen er früher oft gefüllt in die Schenke getragen, aber leer wieder nach Hause gebracht hatte. Das räthselhafte Schreiben aber, welches der Fremde ihm an den Superintendenten Dr. Schwerdtner zu Pirna hinterlassen, hielt er im geheimsten Fache seines Wandschreins verschlossen.

Im Gärtchen aber auf ihrem Lieblingsplätzchen saß Agathe plaudernd mit der alten Magd, heiter und fröhlicher Laune, wie sie seit langen Jahren nicht gewesen, und als der Oelsengrundmüller Haus und Hof durchspähete, im Geheim abschätzend, wie viel die ganze Wirthschaft noch werth sei, und auch dem Gärtchen sich näherte, wo die liebliche, heute gar festlich geschmückte Müllerstochter lachte und scherzte, die er so gern in seiner Gewalt gehabt, da erschrak Agathe nicht wie sonst vor dem unheimlichen häßlichen Gast, sondern plauderte fort und blickte nicht ohne spöttischen Muthwillen auf den gräulichen Freier, der ihr jetzt näher trat.

„Nun, Jungfrau Agathe,“ begann dieser jetzt und fuhr mit der knöchernen Hand durch sein struppiges brandrothes Haupthaar, und sah mit den rothunterlaufenen lauernden Augen, aus welchen hämisches Frohlocken und sinnliche Gier nach dem schmucken Mädchen flackernd aufzuckten, auf die nun Verstummende. „Ihr scheint fröhlichen Muthes zu sein in Eurem Gärtlein, indeß Euren Vater die Gerichte hinausweisen aus der verfallenen Mühle und Ihr Beide nicht wisset, wohin Ihr heute noch wandern und Euer Haupt hinlegen werdet. Hat Euch der Vater nicht gesagt, wie ich ihm beistehen will und die Schmach von ihm abwenden, so Ihr mir zusagt, mir zu folgen als mein Ehegespons, auf daß ich Euch einsetze in die Mühle im Oelsengrunde als Besitzerin und reiche Hausfrau, indeß Ihr hier am Hungertuche nagt?“ –

Mit diesen Worten war er ihr näher getreten, um ihre Hand zu erfassen. Aber Agathe wich scheu zurück, und als sie das von bösen Hautflecken noch ärger verunstaltete häßliche Antlitz mit der niedern Stirn, der eingedrückten Nase und den blauen welken Lippen anschaute, um welche sich ein widersüßliches Lächeln zog, da durchrieselte es ihren Körper mit unheimlichem Schauer und dichter an die alte Magd sich drängend, rief sie entrüstet:

„Laßt ab von mir, noch habt Ihr hier nichts zu suchen, und von mir selbst dann nichts zu hoffen, wenn die Gerichte uns auch von hier treiben sollten; denn lieber will ich mein Brot vor fremder Leute Thüren suchen als in Eurer Nähe weilen.“

„Ei, ei, Jungfrau!“ krächzte der Oelsengrundmüller, unter giftigem Groll sich zum Lächeln zwingend. „Ihr tragt Euer Näschen noch sehr hoch, und stoßt gar stolz des Freundes Hand von Euch. – Nun, wir wollen abwarten, wie es nach wenigen Stunden stehen wird um Euren Hochmuth, und ob Ihr nicht noch froh sein werdet, wenn ich Euch als meine Haushälterin zu mir nehme, wo ich Eure Gunst dann billiger haben kann, als wenn ich Euch einsetze als meine ehrsame Hausfrau, wie ich es bisher gemeint war.“

Mit diesen Worten entfernte sich der Unhold, und Agathe, die den Sinn dieser hämischen Worte nicht verstand, athmete freier auf, während die alte Magd im stummen Grimme drohend die geballte Faust nach dem Fortschleichenden ausstreckte.


Drinnen in der Mühlstube aber schritten die Gerichte unter weitläufigen Förmlichkeiten zum Werke. Nicht ohne Mitleiden ruhete des Amtsschössers Zapfe Blick auf dem Müller, welcher die Versammlung ernst und unbefangen begrüßte, obgleich der Spruch derselben ihrem Vermeinen nach ihn zum Bettler machen sollte. Mit gefühlloser Gleichgültigkeit musterte der Kratzhammerwerksbesitzer die Ausschmückung der Wohnstube und mit langsamer Stimme begann jetzt der Amtsschösser:

„Es ist Euch, Gottlob Bär, gegenwärtig noch Besitzer dieses Mühlgrundstückes, wohl noch erinnerlich, wie Euch von den hochgräflich Bünauischen Gerichten zu Lauenstein auf Ansuchen Eures hier gegenwärtigen Gläubigers, des Kratzhammerwerksbesitzers Urban Fleck, kundgemacht worden, daß wenn Ihr nicht bis zum letzten Euch bewilligten Termine die rückständigen Zinsen Eurer Capitalschuld an Euren Gläubiger zu erlegen vermöget, wir, die Gerichte, einschreiten müssen gegen Euch sub executione et eventuali exmissione, und diese Mühle sammt Schiff und Geschirr Eurem Gläubiger anheim fällt laut Eurer auf Wandelpön ausgestellten Schuldverschreibung.“

„Ja wohl, gestrenger Herr Amtsschösser,“ entgegnete ruhig der Müller und heftete forschend seinen Blick auf Urban Fleck, welcher, ohne ihn anzublicken, in Gedanken mit Abschätzung des Werthes der Mühle beschäftigt schien.

„Nun denn, Gottlob Bär,“ fuhr der Schösser fort, „heute am Tage Hieronymi, dem letzten September des Jahres 1692 ist die letzte Euch bewilligte Frist abgelaufen. Könnt Ihr die fünfzig Gülden rückständiger Zinsen für das Euch geliehene Capital von 500 Gülden zahlen, so will Euch Urban Fleck in Berücksichtigung Eurer preßhaften Umstände das Capital bis Ostern des Jahres 1693 unter den bisher geleisteten Zinsen lassen, dann aber auf Besitznahme dieses Grundstückes dringen, so Ihr bis dahin nicht zahlen könnt, wie jetzt geschehen muß, so Ihr die 50 Gülden jetzt nicht erlegt, und als insolvent ausgewiesen werden müsset.“

„Mit Verlaub, gestrenger Herr Amtsschösser,“ nahm jetzt der schwarze Mattheus das Wort, welcher währenddem wieder in die Wohnstube eingetreten war; „von dieser Clausel ist bei der letzten Vorladung des Schuldners nicht die Rede gewesen und heute wohl Zinsen und Capital fällig?“

„Der Gläubiger hat, wie bereits erwähnt, diese Begünstigung in Erwägung der preßhaften Umstände des Schuldners heute an Gerichtsstelle nachträglich gestattet,“ entgegnete der Amtsschösser, während der schwarze Mattheus dem Urban Fleck einen Blick giftigen Grolles zuwarf.

„Ich wiederhole daher die Frage,“ fuhr der Schösser [560] fort: „Könnt Ihr jetzt in Gegenwart der Gerichte die 50 Gülden rückständiger Zinsen zahlen?“

Bei diesen Worten des Justitiars richteten Urban Fleck und Mattheus mit hämischem Lächeln ihre Blicke auf den Müller.

„Ich kann dies,“ entgegnete dieser ruhig, zog seinen Beutel aus der Brusttasche und zählte die Summe in Gold auf.

„Hölle und Teufel!“ knirschte der schwarze Mattheus. „Wie ist das möglich?“

„Ihr könnt zahlen?“ frug verblüfft der Kratzhammerwerksbesitzer und starrte, als traue er seinen Augen nicht, stier auf das aufgezählte Geld.

„Ihr seht ja, baar und richtig, wie ich es gelobt,“ entgegnete lächelnd der Bärenmüller.

„Dann hat das Gericht hier nichts zu schaffen,“ bemerkte jetzt der churfürstliche Amtsschösser Abraham Zapfe. „Dem Gläubiger ist sein Recht geschehen, und der Schuldner hat binnen acht Tagen die Kosten dieser Expedition an der Gerichtsstelle zu Lauenstein abzuführen.“

„Gestrenger Herr Amtsschösser!“ rief der schwarze Mattheus zitternd vor Wuth, so unerwartet all seine Pläne auf die liebliche Müllerstochter vernichtet zu sehen. „Es dürfte wohl nicht zu verargen sein, den Schuldner zu veranlassen, sich zu legitimiren, von wo ihm so unerwartet dies Geld zugekommen, denn noch gestern, dies kann ich bezeugen und der Schuldner muß es zugestehen, war derselbe gänzlich von Geld entblößt, und hatte keinen rothen Heller im Besitz.“

„Ist dem wirklich so?“ frug befremdet der Amtsschösser, und wendete sich an den Müller.

„Dem ist so, gestrenger Herr Amtsschösser,“ entgegnete ruhig der Gefragte, und maß verächtlich den schwarzem Mattheus von Kopf bis zu Fuß. „Als Alles mich verlassen, kam mir Hülfe durch den Hochwürdigen Superintendenten Dr. Schwerdtner zu Pirna, der mir dies Geld gesendet durch einen Eilboten, und auch Bürgschaft leisten will für mich bei Urban Fleck für die noch schuldenden 500 Gülden bis Ablauf der noch bis Ostern mir gegebenen Frist. Sendet nach Pirna und Ihr werdet die Wahrheit meiner Worte bestätigt finden.“

„Das Gericht wird dies untersuchen lassen!“ sprach der Amtsschösser, und fügte mit einem Blick finstern Unwillens auf den schwarzen Mattheus hinzu: „Um Eurer selbst willen hoffe ich, daß Ihr die Wahrheit gesprochen, denn Ihr habt Eurem frühern Ruf als ehrlicher Mann in letzterer Zeit arg geschadet durch Umgang mit allerhand bösem Gesindel in Schlemmen und Spielen.“

Mit diesen Worten entfernte er sich mit den übrigen Gerichtspersonen, der Kratzhammerwerksbesitzer aber rief giftig: „hätte ich ahnen können, daß Ihr im Besitz der zur Deckung der Zinsen nöthigen Summe gewesen, ich hätte Euch keine weitere Frist für die Zahlung des Capitals vergönnt, und heute noch hätte ich Euch hinausweisen lassen aus Eurem Erbe.“

Und hastig verließ er, noch unterwegs mit dem Oelsengrundmüller sich streitend und Verwünschungen ausstoßend gegen die Gerichte und den Schuldner, nebst dem Mattheus die Mühle.

Der Müller aber ging der aus dem Gärtchen nun herbeieilenden Tochter entgegen, und rief, diese freudig in seine Arme schließend: „Gott sei Ehre und Preis, der seinen Engel uns rettend gesendet und unsrer Feinde Tücke und Rachgier vernichtet.“


Sechs Monate waren seit jenem Tage verflossen, an welchem dem Bärenmüller so unerwartet Hülfe geworden. Auf den Höhen der Gebirge und in den finstern Felsschluchten lag zwar der Schnee noch in dichten Massen und der Winter sträubte sich mit der letzten Anstrengung, das Feld dem nahenden Frühling zu überlassen, der den Thauwind und die Schneeglöckchen voraussendet, seine Ankunft zu verkünden, aber im untern Müglitzthale, da war es schon Lenz, da entfaltete die Corneliuskirsche und das Stachelbeergesträuch das erste frische Grün, die Lerchen jubelten wieder auf den Höhen von Gamig und Maxen und überall auf Feld und Flur regte nach langem Winterschlafe sich neues thätiges Leben.

Auch in die Herzen der Bewohner der Bärenmühle war trotz dem dieselbe noch umstarrenden Winter der Frühling eingezogen mit dem frisch belebenden Hauche und den milderwärmenden Sonnenblicken gläubigen Hoffens und freudigen Muthes. Die Mühle, welche Jahre lang still und verödet von den Bewohnern der Umgegend scheu gemieden worden war, ließ das Geklapper ihrer Räder jetzt täglich wieder weit hin über die einsame Thalschlucht ertönen, mit verjüngter Kraft und unermüdlichem Eifer arbeitete der Müller nebst zwei wackern ihm treu ergebenen rüstigen Mühlknappen. Die funfzig Gülden, die der räthselhafte Fremde ihm geliehen, lagen längst gespart im geheimen Fache des Wandschreins und im Hof schnatterte und gackerte ein lustig Volk von Gänsen, Enten und Hühnern, in den Ställen ertönte das Brüllen der Kühe und das Blöken der Kälber, und auf der Mast liegende Schweine grunzten aus ihrem Versteck hervor. Ein neu gezimmerter Zaun schied Hof und Garten, die Lücken in der Schindelbedachung waren verschwunden und überall zeigte sich durch Ordnung und Fleiß wiederkehrender Wohlstand. – Wer den Müller jetzt sah, wie er unverdrossen bis spät in die Nacht sich mühete und dabei immer heitern Muthes war, wie die hohe kräftige Gestalt nicht mehr niedergebeugt einherwankte, sondern keck und rüstig hochaufgerichtet durch Haus und Hof schritt, wer Agathen jetzt nach sechs Monden wiedersah mit den Rosen auf den Wangen und dem lieblichen Lächeln um die frischen Purpurlippen, und in dem frommen vertrauensvollen Blick ein so süßes Bangen und träumendes Sehnen, wie die holde Gestalt in all’ ihrer jungfräulichen Anmuth so herrlich ausgebildet in Küche, Hof und Garten wirthschaftete mit der alten Magd, die immer mehr an Gehör verlor, die aber dem Müller und dessen Tochter durch ihre Treue und Hingebung so unentbehrlich geworden war, – wer diese drei Menschen jetzt wiedersah und sie vor sechs Monden gesehen hatte, ehe der junge Fremde Einkehr gehalten in der Bärenmühle, wie sie damals durch stille Verzweiflung, bittern Kummer und drückende Noth niedergebeugt trost- und hoffnungslos Tag für Tag [561] stumm und traurig einhergegangen, der hätte so recht deutlich sich überzeugt, welche Wunderkraft durch neu erwachtes Vertrauen auf Gott und sich selbst in trübe Seelen und kranke Herzen strömt.

Mild und ermuthigend hatte der Pfarrherr zu Pirna, der Superintendent Dr. Schwerdtner, den Bärenmüller aufgenommen, als dieser des andern Morgens nach dem Gerichtstage zu ihm geeilt und ihm das von dem Fremden beschriebene Blatt Papier überbracht hatte. Aber nicht allein bestätigt hatte dieser die Bürgschaft, sondern ihm auch noch 50 Gülden geliehen, um sich das Nöthigste in Haus und Wirthschaft anzuschaffen und die Mühle wieder in Gang zu bringen. Von dem Fremden aber war nach wenigen Monden ein Brief angekommen, in welchem dieser sich mit dem Namen Antonio unterzeichnet, und in welchem er dem Pfarrherrn mitgetheilt daß er die Müllerstochter innig liebe und sie als sein ehelich Gemahl begehre, daß er reich genug sei, um ihr alles bieten zu können, was ihr Herz verlange, und daß er, wenn er zum Frühjahre wiederkehre, er sie und den Vater mitnehmen wolle in die neue Heimath, an die herrlichen Ufer des Lago maggiore, wo er unweit von Lucarno ein freundliches Besitzthum habe. Der Superintendent hatte nach Empfang dieses Briefes den Müller sofort zu sich bestellt und ihm dies Alles mitgetheilt, und als dieser erstaunt über diese seltsamen aber auch frohen Nachrichten den Pfarrherrn gefragt, wer denn aber eigentlich dieser Antonio sei und was er hier in Sachsen getrieben, da hatte dieser lächelnd zur Antwort gegeben, das werde ihm, dem Müller, zu seiner Zeit schon klar werden.


Schumla, das Hauptquartier von Omer Pascha.


Als der Müller aber wieder nach Hause gekommen war und seiner Tochter Wort für Wort wieder erzählt hatte, was er von dem Pfarrherrn erfahren, da war diese dem Vater um den Hals gefallen und hatte demselben in jungfräulicher Schaam erröthend gestanden, daß auch sie den Fremden liebe und sein Bild sie Tag und Nacht umschwebe.

Und nun mit dem Nahen des Frühlings war die Zeit gekommen, wo der Müller und dessen Tochter mit jeder Stunde erwartungs- und sehnsuchtsvoll die Ankunft des geliebten Fremden entgegen sahen, aber auch der Tag war näher gekommen, an welchem der Müller die 500 Gülden erlegen sollte, wenn er nicht jetzt noch sich wollte von Haus und Hof treiben lassen. –

Zwei Tage noch, und der Zahltag war vor der Thür und Antonio noch nicht eingetroffen; von Neuem [562] wieder zeigte sich der schwarze Mattheus in der Nähe der Mühle, um zu versuchen, ob die Angst vor den Gerichten den Müller und seine Tochter nicht andern Sinnes werden lasse, denn von Neuem wieder drängte der Kratzhammerwerksbesitzer mit Auspfändung und Ausweisung, denn zum Unglück des Müllers – dies wußten seine Peiniger, – war der Superintendent in Pirna plötzlich zum Churfürsten nach Dresden berufen worden und von da nach Wittenberg gereis’t und Niemand konnte Nachricht geben, wenn er wiederkehre.

Aber unerschütterlich war das Vertrauen der Bewohner der Bärenmühle auf Antonio’s Verheißung. Als aber der entscheidende Tag gekommen, und der Müller in seiner höchsten Noth die Unglücks-Nachricht erhalten, daß sein Bürge, der Pfarrherr in Pirna, weit von ihm entfernt im Auftrage des Churfürsten verreist sei, da sank auch mit einem Male in seinem Herzen der Muth und wieder nahte sich ihm die stumme Verzweiflung, bei dem Gedanken, ein Opfer des Hasses und der Wuth seiner Gläubiger zu werden, und vergebens suchte die selbst des Trostes bedürftige Agathe den unglücklichen Vater aufzurichten und ihm glaubend zu machen, der Antonio müsse kommen, er müsse in die Mühle eintreten, ehe noch die Gerichte erscheinen würden. –

Aber die Gerichte erschienen wieder mit Büttel und Amtsknechten, doch die Hülfe blieb fern. In ihrem Kämmerlein saß Agathe und sah mit rothverweinten Augen und Verzweiflung im Herzen nach dem Thalwege, auf welchem Antonio zur Mühle kommen mußte. – In der Wohnstube aber stand der Bärenmüller voll bittern tiefen Schmerzes, des Bürgen und des rettenden Freundes beraubt, und schon erhob sich ernst und mitleidsvoll der churfürstliche Amtsschösser Abraham Zapfe, um durch den Ausspruch der Gerichte den Müller aus dem seit Kurzem erst so mühevoll sich erworbenen verbesserten Hausstand zu vertreiben, schon richtete der schwarze Mattheus und der Kratzhammerwerksbesitzer mit teuflischer Schadenfreude die hämischen Blicke auf den Unglücklichen, der all’ sein in den sechs Monaten erspartes Geld im Betrag von 150 Gülden dem hartherzigen Gläubiger vergebens als Abschlagzahlung geboten, schon begann die Verlesung der Schuldverschreibung auf Wandelpön, nach welcher nun sub executione et eventuali exmissione verfahren werden sollte, da drang ein helljubelnder Freudenschrei aus dem Kämmerlein Agathen’s zu den in dem untern Gemach der Mühle Versammelten.

Und ehe noch das Urtheil gesprochen, ehe noch die Uhr auf dem Schloßthurm zu Lauenstein die 12te Stunde des Mittags verkündet, flog die Thüre auf und herein stürzte Antonio in derselben Tracht, in welcher er vor sechs Monden in der Mühle Obdach gesucht, warf einen Beutel voll Goldstücke auf den Tisch und rief:

„Halt! Im Namen des Hochwürdigen Superintendenten Dr. Schwerdtner, welcher Bürgschaft geleistet für den Bärenmüller. Hier sind die 500 Gülden nebst Zinsen, die Gottlob Bär dem Urban Fleck schuldet.“

Und ohne sich weiter um die Anwesenden zu kümmern, eilte Antonio auf den Müller zu, welcher keines Wortes mächtig vor freudigem Schreck zusammensank auf den Stuhl, an welchen er sich in fieberhafter Aufregung und stummer Verzweiflung festgehalten, drückte diesem herzlich die Hand, und schloß vor sämmtlichen Versammelten die Müllerstochter, die glühend vor wonnigem Entzücken ihm entgegengeeilt und nun in jungfräulicher Befangenheit am Eingang der Wohnstube stand, laut aufjubelnd an seine Brust.

Starren Blicks schaute der Kratzhammerwerksbesitzer auf die den Beutel entrollenden Goldstücke, welche der Fürstenwalder Richter jetzt aufzählte. In wilde Fluchworte ausbrechend, verließ der schwarze Mattheus zum zweiten Male getäuscht die Mühle, der Amtsschösser aber rief, dem Bärenmüller die Schuldverschreibung zurückgebend:

„So ist denn endlich diese Angelegenheit in Ordnung gebracht und dem Gläubiger sein Recht geschehen, und der Verklagte ungefährdet wieder im Besitz seines Grundstücks.“ Mit diesen Worten stand er auf, schritt auf den Müller zu und sprach: „Dankt Gott, der Euch einen treuen Freund in höchster Noth gesendet, und grüßt den wackern Hochwürdigen Pfarrherrn in Pirna herzlich von mir, der noch zur rechten Zeit eingetroffen, um Euch aus so schlimmen Händen zu befreien. –“

Hierauf verließ er mit den Gerichten die Mühle, ihnen nach schlich beschämt und voll giftigen Grolles der Urban Fleck mit seinem Gelde, in der Bärenmühle aber blieben drei glückliche Menschen zurück, die unter Freudenthränen sich an’s Herz sanken.


Gegen Abend desselben Tages, welcher so Verderben bringend begonnen und so glücklich geendet, saß der Müller mit Agathen und Antonio bei Tische, der reichlich besetzt war mit Geflügel und Fisch, denn zu Ehren des geliebten Retters hatte Hühnerstall und Fischhalter das Beste hergeben müssen, so wie auch der feurige Rebensaft nicht fehlte, den ein Bote von Pirna aus nachgebracht aus dem Keller des Pfarrherrn.

Mit stiller Rührung schaute der Müller auf Antonio und seine Tochter, die ihre Liebe sich gestanden, und nun unter den Augen des Vaters kosend, von der Zukunft sprachen, die voll süßer Ahnung mit den herrlichsten Bildern geschmückt vor ihren trunkenen Blicken lag. Die Hände gefaltet in stillem Gebet, saß die Magd im Hintergrund des Zimmers, ihre Augen auf die Liebenden gerichtet und schüttelte verwundert den alten Kopf über den wunderlich-seltsamen Fremdling und über die so herzig und unbefangen sich ihm anschließende Agathe.

„Aber nun, Antonio,“ begann jetzt der Müller, dem die Neugier nicht länger ruhen ließ, „nun, da wir so glücklich beisammen sitzen, da dürfte die Zeit wohl gekommen sein, auf welche mich der Hochwürdige Superintendent in Pirna getröstet, um von Euch zu erfahren, was Euch in diese Gegend geführt, und welch' Gewerbe Ihr, der Ihr nun bald als Schwiegersohn mir so nahe steht, wohl eigentlich treibt. Mir ist immer, als stehe dasselbe in Verbindung mit den Steinen, die damals aus Euerm Ränzel fielen, als ich im Wahnsinn Euch bei Nacht plündern wollte.“

„Still davon, Vater Bär!“ bat Antonio und fuhr dann lächelnd fort! „Wer ich bin, habt Ihr erfahren, [563] und ich dächte, es müßte Euch genügen, daß Ihr wißt, Euer künftiger Schwiegersohn ist ein freier Bürger der Schweiz und im Besitz eines Vermögens, welches hinlangt, mich, Agathen und Euch, frei von drückenden Sorgen, zu ernähren. Was mich aber früher in diese Gegend geführt, und jetzt wieder hergebracht und mich noch einige Zeit hier festhalten wird, nachdem Ihr gerettet, dies, Ihr theuren Lieben, ist nicht mein Geheimniß allein, aber so Gott will, sollt Ihr es in wenigen Wochen erfahren, noch ehe der treue Freund in Pirna mich und Agathe für immer verbindet durch den Segen der Kirche.“

„Hm!“ brummte der Müller, getäuscht in seiner Erwartung, endlich zu erfahren, wer der Antonio eigentlich sei. „Dies ist alles recht schön, aber wissen möcht’ ich doch – –“

„Vater, laßt doch das Fragen,“ unterbrach ihn jetzt Agathe. „Ist Euch Antonio’s Wort nicht genug? Mir genügt es, und was er uns auch verschweigen mag, es kann gewiß nur etwas Gutes betreffen, und uns kommt nicht zu, weiter in ihn zu dringen.“

„Ja, Agathe hat Recht,“ entgegnete der Müller und reichte Antonio die Hand. „Ich werde nicht wieder fragen, und abwarten, bis Ihr für gut befindet, meine Neugier zu befriedigen.“

„So ist’s recht!“ rief Antonio lachend, drückte dem Müller die Hand, und küßte zärtlich Agathen’s Stirn. „Und nun darf ich auch hoffen, daß Ihr Euch nicht ängstigt, wenn ich früh von hier fortgehe, und vielleicht erst nach zwei Tagen zurückkehre, denn nur kurze Zeit soll dies noch währen, dann trennt uns nichts mehr und nichts mehr bleibt Euch dann geheim.“


Am Morgen des andern Tages brach Antonio auf und kehrte erst nach zwei Tagen in die Mühle zurück, freudig und zärtlich von Vater und Tochter empfangen, und wieder ging er fort und kehrte nach zwei oder drei Tagen zurück und trieb dies bereits schon Wochen lang, ohne daß irgend etwas sich ereignet hätte, welches dies geheimnißvolle Treiben desselben aufzuklären vermochte, bis endlich Neid und Rache der Feinde des Bärenmüllers die Enthüllung desselben herbeiführen sollten.

Denn so wie Antonio in der Bärenmühle sich einquartirt hatte, wo Liebe und Dank ihn bewirthete, so hatten längs des Schlottwitz- und Müglitzgrundes bis nach Wesenstein hinab, junge rüstige Männer aus fernen Landen sich eingefunden und ihr Quartier in irgend einem entlegenen Bauernhause oder einer in tiefem Grunde versteckten Mühle aufgeschlagen, von denen Niemand wußte, wer dieselben waren und was sie trieben, die aber überall ihren Wirthsleuten reichlich Zahlung gaben für Kost und Nachtlager.

Nun waren zwar die Bewohner des Muglitz- und Schlottwitzgrundes vor 150 Jahren nicht neugieriger, als dies die gegenwärtig dort lebenden Bewohner noch sind, allein wissen hätten alle doch gern mögen, was die fremden jungen Gesellen auf ihren Felsen, in ihnen Schluchten und Gewässern zu suchen gehabt hätten, die weiter nichts bei sich trugen als ein Ränzel und einen Wanderstab, welcher statt des Griffes eine Bergmannshacke hatte, die sich nirgends ausfragen ließen, und ihren Wirthsleuten, welche gut von ihnen bezahlt wurden, mit Wegzug drohten, als einzelne derselben den Fremden nachgeschlichen auf ihren Wanderungen. Nie sah man zwei oder drei dieser fremden Gäste beisammen, und nur in der Bärenmühle, wo der Antonio wohnte, kehrte hin und wieder, wenn dieser schon daheim war, so ein fremder Gesell ein, verlangte des Müllers Gast zu sprechen und verließ wohl gar des Nachts noch mit diesem die Mühle.

Agathe, des Geliebten Wort fest vertrauend, ließ dann ihren Antonio anscheinend beruhigt ziehen, aber als Woche für Woche verging, ohne daß dieses seltsame Treiben aufhörte, da ward ihr oft, wenn sie in ihrem Kämmerlein allein war, unbeschreiblich bang und weh um’s Herz und sie dachte mit Furcht und Zittern daran, wie leicht dem Geliebten im Dunkel der Nacht in der unwegsamen und unsichern Gebirgsgegend ein Unfall treffen könne. Als aber sogar in den Wirthshäusern der Umgegend böse Gerüchte über das Leben der abenteuerlichen Fremdlinge auftauchten und sie zufällig in der Mühle die Knappen davon sprechen hörte, da bestürmte sie selbst den Vater, nach Pirna zum Dr. Schwerdtner zu eilen und diesen zu bitten, daß er den Antonio bewegen solle, sein heimliches Umhertreiben aufzugeben. Dieser aber lächelte über des Müllers Besorgniß, sprach ihm Muth ein und als die Rede auf das geliehene Capital kam, bemerkte der Superintendent zu des Müllers nicht geringem Erstaunen, daß es damit Zeit habe, und daß er dies nicht ihm, sondern dem Antonio schulde, der durch und durch ein braver edler Mann sei.

Beruhigter aber auch um so neugieriger, war der Müller nach Hause zurückgekehrt und hatte der Tochter Wort für Wort seiner Unterredung mit dem Pfarrherrn mitgetheilt, und als Agathe dies dem Antonio und die um ihn gehegte Sorge und Bangniß nicht verschwieg, als derselbe Abends treulich kosend, neben ihr saß, entgegnete dieser lächelnd: „Nun, Agathe, noch acht Tage, dann ist mein Geschäft in hiesiger Gegend geendet, dann geht’s in die schönere Heimath, wohin ich Dich als meine Gattin führe.“

Der schwarze Mattheus aber und der Kratzhammerwerksbesitzer dachten ganz anders darüber, beide waren voll des giftigsten Hasses gegen den fremden Gast des Müllers, so wie gegen den Letztern selbst, Mattheus voll Rache gegen den von Agathen begünstigten Antonio und wegen des Scheiterns seines finstern Planes auf des Müllers Tochter, Urban Fleck wegen der ihm durch des Fremden Hülfe entgangenen Mühle, und als eines Abends in dem Gasthofe zu Glashütte, wo Beide sich zufällig befanden, der Feldmeister Georg Richart erzählte, daß vor wenig Tagen, als er mit seinem Fuhrwerk spät Abends vom Eisenhammer bei Rückenhain zurückgekehrt sei, und gegen Nachts zwölf Uhr in der wüsten Mühle im Trebnitzgrunde habe anhalten wollen, um nicht weit von dort ein gefallen Stück Vieh mit aufzuladen, er in der Wohnstube Licht gesehen und ein seltsam Gemisch fremder Stimmen vernommen habe. Er sei daher aus Neugier von seinem Karren abgestiegen und habe sich mit seinem Knechte näher geschlichen, und durch eine Spalte des Fensterladens lugend, [564] habe er 12 bis 15 junge Männer erblickt, alle bewaffnet um einen Tisch herum sitzend, auf welchem mächtige Haufen Gold gelegen, in die sie sich getheilt und dabei unter Gelächter in gebrochen Deutsch Spottreden auf die Bewohner dieser Gegend geführt hätten. Einer darunter, der einen reich mit Edelsteinen besetzten Leibgurt getragen habe, in welchem Dolch und Pistolen befestigt gewesen wären, habe den Vorsitz geführt und gewiß sei dies kein Anderer gewesen als der in der Bärenmühle wohnende Fremde, der, ehe sich diese Bande getrennt hätte, bestimmt habe, daß zwei Tage später die letzte Versammlung ebenfalls wieder in der Trebnitzmühle sein solle, da diese unbewohnt sei, und von welcher die Sage gehe, daß der böse Feind dort sein Wesen treibe.

„Nun seht!“ schloß der Feldmeister seine Rede; „es liegt doch klar am Tage, daß dies Gesindel nichts Geringeres treibt als Raub und Mord, denn woher sollte ihnen sonst das viele Geld kommen, und am Kürzesten wäre es, man höbe die Sippschaft morgen Nacht in der Trebnitzmühle auf, denn eben morgen ist dort die letzte Versammlung.“

(Schluß folgt.)




Atmosphäre und atmosphärische Luft.

Alles was lebt, lebt nur in atmosphärischer Luft. Deshalb ist diese überall, wo sich Leben zeigt und wo man Pflanzen, Thiere und Menschen antrifft. Sie umgiebt nicht blos einem Ringe gleich unsern Erdball, als Atmosphäre, Dunst- oder Luftkreis, sondern sie dringt auch in die feinsten Lücken der Erdrinde ein und mischt sich allen Gewässern bei. – Die atmosphärische Luft stellt ein farbloses, geruch- und geschmackloses Gas dar, welches aus zwei luftförmigen Grundstoffen zusammengesetzt ist, nämlich aus Stickstoff und Sauerstoff (s. Gartenlaube Nr. 28), und deshalb ganz mit Unrecht früher zu den Elementen gerechnet wurde. Diese beiden Grundstoffe sind nun aber nicht etwa mit einander innig verschmolzen und stellen eine chemische Verbindung dar, sondern sind nur unter einander gemengt. In 100 Gewichtstheilen atmosphärischer Luft befinden sich 77 Theile Stickstoff und 23 Theile Sauerstoff, und diesem Gemenge ist dann noch eine, nach Zeit und Ort sehr veränderliche Menge von Wasser, als unsichtbares Wassergas oder sichtbarer Wasserdunst, von Kohlensäure und Ammoniak, sowie von einigen andern, dem Menschen mehr oder weniger nachtheiligen Gasarten beigemischt. Auch feste organische und unorganische Substanzen in feinerer Zertheilung, wie Staub, Pflanzensamen und Eier von Infusionsthierchen, können sich in der Luft schwebend erhalten. Was die beiden eigentlichen, die Luft zusammensetzenden Gase, den Stickstoff und Sauerstoff, betrifft, so bleiben diese fast immer und überall in demselben Verhältnisse zu einander und nur in selteneren Fällen und in geschlossenen Räumen können sie um ein Geringes an Menge abweichen. –

Ihrer chemischen Zusammensetzung wegen ist die atmosphärische Luft für Pflanze, Thier und Mensch durchaus unentbehrlich, und während Thiere und Menschen vorzugsweise den Sauerstoff zum Leben bedürfen, lebt die Pflanze vom Wasserdunste, von der Kohlensäure und dem Ammoniak. Aber nur in ihrer richtigen Zusammensetzung kann die Luft das Leben dieser organischen Körper erhalten, da die genannten Gase für sich allein den Lebensprozeß zu unterhalten nicht geeignet sind. Es trägt auch ferner noch die Luft, ihres Sauerstoffgehaltes wegen, zum Verbrennen, Verwittern, Rosten, Gähren und Faulen das Meiste bei. – Was den Luftkreis betrifft, so wird dessen Höhe auf 10 bis 15 Meilen geschätzt; seine unteren, der Erdoberfläche zunächst liegenden Luftschichten bestehen aus mehr zusammengedrückter und deshalb dichterer Luft, die oberen Schichten aus dünnerer. Dichte Luft wird natürlich in einem bestimmten Raume eine (absolut) größere Menge von Gasen enthalten müssen, als dünne und der Mensch wird sonach beim Einathmen von dichter Luft mehr Sauerstoff in seinen Körper einführen, als wenn er in dünner Luft athmet, obschon das (relative) Verhältniß der Gasarten zu einander dasselbe geblieben ist.

Aber nicht blos die chemischen Bestandtheile der atmosphärischen Luft sind für die Erde und ihre Bewohner, zumal für den Menschen, von wichtigem Einflusse, sondern auch ihre physikalischen Eigenschaften, wie ihre Schwere, Dichtigkeit, Elasticität, Durchsichtigkeit, Feuchtigkeit, Bewegung, sowie ihre Fortpflanzungsfähigkeit für Licht, Wärme, Schall und Elektrizität. – Der Druck, welcher durch das Gewicht der atmosphärischen Luft auf die Erdoberfläche und auf jeden Körper auf derselben, somit auch auf den Menschen ausgeübt wird, beträgt (bei 28 Zoll Barometerstand, bei 0° Temperatur und unter dem 45. Grad geographischer Breite) auf einen Pariser Quadratfuß Fläche gegen 2216 Pfund. Somit würde dieser Druck auf die gesammte Körperoberfläche eines erwachsenen Menschen, welche etwa 14 bis 15 Quadratfuß beträgt, ungefähr 3300–3400 Pfund (über 300 Centner) ausmachen. Daß dieser enorme Druck der Atmosphäre vom Menschen nicht bemerkt und hinderlich gefunden wird, liegt darin, daß dieser Druck von allen Seiten her gleichförmig auf den Körper einwirkt, daß die in unserm Körper befindliche Luft gegen die äußere sich völlig im Gleichgewichtszustande befindet und daß das Innere unseres Körpers mit nicht zusammendrückbaren, jeden Druck zu ertragen fähigen Flüssigkeiten erfüllt ist. Die äußere Luft vermöchte uns nur dann zu erdrücken, wenn die in uns befindliche [565] Luft, welche jener das Gleichgewicht hält, entfernt würde, und umgekehrt müßte, wenn der äußere Luftdruck ganz aufgehoben würde, die innere Luft sich so ausdehnen, daß unser Körper zersprenge. Jedenfalls werden unsere Körperorgane unter stärkerem Drucke der atmosphärischen Luft (in der Tiefe) mehr zusammengepreßt, unter schwächerem (in der Höhe) ausgedehnt werden müssen. – Für den Menschen ist der atmosphärische Druck insofern von Unentbehrlichkeit, als derselbe das Athmen, das Saugen, den Blutumlauf und überhaupt die Bewegung der Säfte, die sichere Lage innerer Organe und die Gelenkverbindungen, sowie das Hören vermittelt. Der Arzt benutzt die Verminderung des äußern Luftdruckes zum Schröpfen. Das Gewicht der atmosphärischen Luft wechselt nun aber nach ihrer Dichtigkeit und Elasticität. Da in den obern Luftschichten der Atmosphäre nicht blos die Höhe des Luftkreises, sondern auch die Dichtigkeit, Temperatur, Feuchtigkeit und Elasticität abnimmt, so muß hier auch der Luftdruck geringer sein und daher rühren die verschiedenartigen Beschwerden, welche den Menschen auf hohen Bergen oder bei der Luftschifffahrt befallen, von Brustbeklemmung, Herzklopfen, allgemeine Erschöpfung, Schläfrigkeit, Blutungen u. s. w. Außerdem hat auf die Verdichtung und Verdünnung der Luft, und sonach auf ihre Schwere und Druckkraft, auch noch die Temperatur, der Wassergehalt und die Luftströmung Einfluß.

Die Feuchtigkeit der Luft richtet sich nach dem Gehalte derselben an Wassergas und Wasserdunst. Dieses luftförmige (meteorische) Wasser gelangt aber durch die beständigen Verdunstungsprozesse aus dem verschiedenen Gewässer, den Pflanzen, Thieren und Menschen in die Atmosphäre und kehrt von da als Regen, fallender Nebel, Thau, Schnee, Reif, Schloßen u. s. w. zur Erde zurück. Die Aufnahme von Wasser in die Luft ist nun aber nach der Temperatur, Dichtigkeit und Strömung derselben, und somit nach dem Himmelsstrich, der Jahres- und Tageszeit, der Oertlichkeit und überhaupt nach dem Witterungszustande eine sehr verschiedene; je wärmer die Luft ist, um so mehr Wasser vermag sie aufzunehmen. Für den menschlichen Organismus wie für die gesammte Thier- und Pflanzenwelt ist der Feuchtigkeits- oder Trockenheitsgrad der Luft von der größten Bedeutung. Denn je mehr Wasser in der Luft vorhanden, um so weniger ist sie geneigt, Wasser aufzunehmen und es muß deshalb die Verdunstung des Wassers aus dem menschlichen Körper, welche vorzugsweise durch die Haut und Lungen geschieht, sowie auch die aus dem Thier- und Pflanzenkörper bei feuchter Luft in schwächerem Grade vor sich gehen, während trockene und warme Luft dem Körper viel Wasser zu entziehen vermag. Dieser Verdunstungsprozeß wirkt dann aber insofern auf das Innere des Organismus zurück, als dadurch die Consistenz und Bewegung der Säfte geändert wird. Mit ihrem Wassergehalte ändert die Luft aber auch noch ihre Schwere und Dichtigkeit. So hat eine feuchtwarme Luft mit ihrer Wärme und ihrem Gehalte an Wassergas auch an Ausdehnung zugenommen und ist somit dünner und leichter geworden; auch enthält ein bestimmtes Maaß solcher Luft weniger Sauerstoffgas als sonst. Eine feuchte und kalte Luft entzieht ihres Wasserdunstes wegen (der ein guter Wärmeleiter ist) dem Körper auch noch Wärme und kann deshalb leicht Erkältung erzeugen. – Die Temperatur der Luft, welche immer und überall von der Sonne abhängt, bedingt auch ihren gasförmigen Zustand, so daß mit dem Steigen der Wärme die Schwere und Dichtigkeit der Luft abnimmt, was sodann wieder den Luftdruck und den Sauerstoffgehalt herabsetzen muß und umgekehrt. Auf den menschlichen Körper wird sonach die Lufttemperatur durch ihre Wärme oder Kälte, ihren vermehrten oder verminderten Druck und Sauerstoffgehalt einwirken. In warmer und also dünner Luft muß natürlich ein Athemzug weniger Sauerstoff enthalten, als in kalter dichter Luft.

Eine Bewegung ist in der Luft fortwährend, aber in sehr verschiedener Stärke und Schnelligkeit, im Gange, weil immerfort in dieser oder jener Gegend des Luftkreises eine Ungleichheit hinsichtlich der Dichtigkeit und Druckkraft, der Schwere und Elasticität der Luft eintritt. Am häufigsten hängen die Veränderungen des atmosphärischen Gleichgewichtes von einer Ungleichheit in der Erwärmung verschiedener Luftgegenden oder von einer mehr oder weniger raschen und ausgebreiteten Verdichtung der Wasserdünste an den einen und oft von der stärkeren Verdunstung an andern Stellen des Luftkreises ab. Stets wird natürlich die Luftströmung nach der Stelle hinziehen müssen, wo die Luft verdünnt und ausgedehnt ist. Die Luftströmungen (Winde) sind insofern von großer Bedeutung, als durch sie eine beständige Erneuerung der Luftschichten, ein Zuführen von Sauerstoff und ein Hinwegführen schädlicher Stoffe möglich gemacht ist. Auch helfen sie die verschiedenen Verhältnisse in der Temperatur und Feuchtigkeit zwischen den verschiedenen Gegenden des Luftraumes (z. B. durch Verbreitung der Wasserdünste, Wolken u. s. f.) ausgleichen. Vom menschlichen Körper entführt die bewegte Luft die umgebenden Ausdünstungsstoffe und erzengt durch Beförderung der Verdunstung Abkühlung desselben. Außerdem können die Luftströmungen durch Zuführen kalter oder warmer, trockener ober feuchter Luft, sowie fremdartiger Stoffe mehr oder weniger vortheilhaft oder nachtheilig auf den Menschen einwirken. –

Was die elektrischen und magnetischen Eigenschaften oder Strömungen in der Atmosphäre betrifft, so werden diese wahrscheinlich durch den erwärmenden Sonneneinfluß angeregt. Uebrigens ist der elektrische Zustand (die elektrische Spannung und freie Elektrizität) der Luft sehr veränderlich und wird durch die verschiedenartigsten Prozesse im Luftkreise bedingt. Der Einfluß der Luftelektrizität auf lebende Organismen und insbesondere auf den Menschen ist noch durchaus unbekannt. – Die ohne Unterlaß vor sich gehenden elektrischen Entladungen der Atmosphäre tragen zur Bildung eines eigenthümlichem Stoffes bei, welcher als eine stärker oxydirende Art von Sauerstoff betrachtet werden kann und Ozon (Riechstoff der Luft) benannt wurde. In der heißen, gewitterreichen Jahreszeit, wo die Luft durch Gase, welche von der ausgebreiteteren Verwesung organischer Körper herrühren, angefüllt ist, [566] wird das Ozon in der größten Menge bereitet und dient hier zur Vernichtung der schädlichen Fäulnißstoffe, so daß man mit Recht sagen kann, die Gewitter reinigen die Luft.

Vermöge der erwähnten chemischen und physikalischen Kräfte, welche die atmosphärische Luft besitzt und in Folge der mancherlei Naturerscheinungen, welche in diesem Luftmeer ohne Unterlaß vor sich gehen, übt die Luft nicht blos auf die gesammte Erdoberfläche, sowie auf die ganze Pflanzen- und Thierwelt, den Menschen nicht ausgenommen, einen sehr bedeutenden, ganz unentbehrlichen Einfluß aus, sondern sie hilft auch im Innern der Erdrinde und im Wasser beim Zustandekommen der mannichfaltigsten Prozesse. Aber alle jenen Eigenschaften der Luft und Vorgänge im Luftraume, welche zusammengenommen der meteorologische Zustand (das Witterungsverhältniß) der Luft genannt werden, sind einem beständigen Wechsel unterworfen, und zwar nach Tages- und Jahreszeit, nach Himmelsstrichen und Ländern. Anderntheils zeigen jedoch die stoffliche Mischung der Luft, die Grade der Temperatur, der Feuchtigkeit, der Elasticität, Schwere, Elektrizität derselben u. s. f. eine so innige Verkettung unter einander und einen so bestimmenden gegenseitigen Einfluß auf einander, daß es zur Zeit noch unmöglich ist, die Wirkung der atmosphärischen Luft auf das Befinden des Menschen genau beurtheilen zu können.

(B.)  




Aus dem mexikanischen Gerichtsleben.

Ein Gerichtshof in Mexiko ist selbst für einen verhältnißmäßig nur wenig betheiligten Zuschauer in jedem Lande ein imposanter Anblick. Es liegt eine so große ihrer selbst sich bewußte Würde und Wichtigkeit in den Gesichtern dieser mächtigen, ernsten und ehrwürdigen Herren, wenn sie einen Gefangenen bei seinem Eintritte in’s Auge fassen; ihre Miene ist so bedeutungsschwer, wenn sie ihre Köpfe zusammenstecken und mit leisem Tone zu berathen beginnen, ihre Aeußerung so furchtbar, wenn „wir“ nach reiflicher Ueberlegung zu einem Endurtheil gekommen sind! Die mexikanischen Justizbehörden machen von dieser allgemeinen Regel keine Ausnahme; ja sie scheinen im Verhältniß zu dem Elend und der Unwissenheit, womit sie beständig zu thun haben, stolzer und herrischer zu sein als gewöhnlich.

Ich schalte hier einige Begebenheiten ein, die zu meiner Kenntniß kamen, als ich einer Sitzung der „Administradores“ (Richter) in dem Accordada der Stadt Mexiko beiwohnte.

Ueber den Mittelpunkt der westlich von der Stadt gelegenen Gebirgskette führt ein Weg, der auf der einen Seite durch rauhe Klippen und auf der andern durch einer steilen aus zackigen Felsen bestehenden Abgrund begrenzt ist. Dieser Weg ist sehr einsam und gefährlich, besonders an einer Stelle, wo er für eine Strecke von ungefähr hundert Schritten über ein nur vier Fuß breites Felsenriff führt, wo selbst sicherfußende Maulthiere, wenn sie zu schwer beladen sind, oft genug ausgeglitten und in den Abgrund hinabgestürzt sind. Der Eindruck, welchen der wilde und öde Charakter der Gegend auf den Reisenden macht, wird durch nichts weiter gestört als durch eine Anzahl plumper Kreuze, die hier und da am Wege aufgerichtet sind – zum Andenken an arglose Wanderer, welche auf ihrer Gebirgsreise von räuberischen Ladrones angefallen und gemordet wurden.

Am Mittag eines trüben Tages wanderten auf diesem Wege zwei elend gekleidete Indianer – ein untersetzter kräftiger Mann und ein Jüngling von siebzehn Jahren. Beide waren aus demselben fernen Dorfe gebürtig, wo sie von Kindheit an ihren spärlichen Lebensunterhalt abwechselnd durch Betteln oder durch Feldarbeit erworben hätten. Während der letzten drei Monate hatten sie jedoch ungewöhnlich fleißig gearbeitet und einen Theil des verdienten Lohnes zu einer Reise nach der Hauptstadt bestimmt, um sich dort dem sorglosen Berufe der Lepero’s anzuschließen, in der Hoffnung dabei in Zukunft ohne Arbeit und Anstrengung behaglich leben zu können.

Als sie den Mittelpunkt des Gebirges erreicht hatten, wo der Reisende die Stadt zu erblicken hofft, nach welcher ihn sein Weg führt, war der Himmel trübe und umwölkt und es fielen einige Regentropfen herab; bald aber trat die Sonne hervor und beleuchtete mit ihren glänzenden Strahlen den Pfad der Reisenden, während sich über den Abgrund zu ihrer Rechten ein prächtiger Regenbogen spannte. In dem Gesichte des Jüngeren zeigte sich ein leiser Widerschein von dem Sonnenlichte, das ihn umgab, aber das Gesicht des Andern war finster wie die in der Ferne drohende Wolkenmasse, und während die beiden Wanderer neben einander hergingen, beobachtete der Jüngere mit halb furchtsamen halb neugierigen Blicken die mürrische Miene seines Gefährten.

„Du bist plötzlich sehr ernst und schweigsam geworden, Sanchez,“ rief er endlich. „Ich für meinen Theil freue mich, daß wir der Hauptstadt näher kommen. Sie kann jetzt nicht mehr weit entfernt sein und ich sehe im Geiste schon ihre schönen Thürme und prächtigen Kirchen – ja selbst die Plätze und Ecken, wo wir unseren Platz einnehmen werden, um Almosen zu erbitten. O welch’ ein herrliches Leben! Welche Aussicht!“

„Ei ja – und die Spieltische und Branntweinladen und das Aguardiente und die Gefährten, die wir haben werden!“ sprach der Andere hastig. „Das wird ein ganz anderes Leben sein, als wir in dem alten Dorfe geführt haben. Aber ich wollte wir wären [567] endlich dort, denn ich kann meine Ungeduld kaum mehr bezähmen.“

„Denke an die mildthätigen alten Mönche, an die Damen und reichen Bürger!“ hob der Jüngere mit Begeisterung wieder an.

„Ja und an die Früchte, die zum Wegnehmen dastehen, und an das Gold, das auf dem Pflaster zu finden ist,“ fügte der Andere mit schlecht verhehltem Hohne hinzu.

„Wir müssen einander sehr häufig sehen, Sanchez; es wird gar zu hübsch sein, mit Jemand reden zu können, den man kennt – nicht wahr? O welche angenehme Aussichten!“

„Ei ja, sehr angenehm – für mich,“ entgegnete der Andere. „Aber was Dich anlangt –“

„Wie, Sanchez, habe ich weniger Hoffnung als Du? Ich kann mich auf verschiedene Weise nützlich machen.“

„Für mich sind die Aussichten gut, wollte ich sagen,“ wiederholte Sanchez, „und sie könnten es auch für Dich sein, Nazas, wenn nicht etwas wäre –“

„Und was ist das? O sage es mir – sage es mir schnell, damit ich es beseitigen kann.“

„Du würdest Dich wohl genug befinden, denke ich,“ hob Sanchez mit wildem Tone wieder an – „aber es giebt einen Grund dagegen – und der ist, weil Du nie dorthin kommen wirst.“

„Nie dorthin kommen!“ rief der arme Jüngling, mit Entsetzen seinen Gefährten anblickend, dessen Gesicht noch finsterer wurde.

„Du wirst nie dorthin kommen, sage ich Dir!“ rief der Elende, indem er bemerkte, daß sie jetzt den Mittelpunkt des bereits erwähnten schmalen Bergrückens erreicht hatten. „Nieder auf Deine Knie!“ fuhr er fort, seinen Gefährten an der Gurgel fassend. „Nieder auf Deine Knie. Gieb mir jeden Grano, der sich in deiner Tasche befindet, und schwöre mir bei allen Heiligen, daß Du sogleich nach dem Dorfe zurückkehren und niemand sagen willst, was zwischen uns vorgefallen ist – oder ich werfe Dich wie einen todten Hund über diesen Felsen. Schwöre – schwöre.“

„Ich schwöre!“ rief Nazas, erschrocken auf seine Knie fallend. „Ich schwöre bei allen Heiligen, bei der heiligen Jungfrau, beim heiligen Petrus und Lazarus – aber schone mein Leben! Ich schwöre!“

„Schwöre, daß Du nie irgend einem Menschen entdecken werdest, was Dir widerfahren ist, oder Du kannst Dich darauf verlassen, daß ich Mittel finden werde, Dich selbst bis in das Dorf zu verfolgen.“

„Ich schwöre beim heiligen Paulus und Mathias, bei der heiligen Clara und Barbara –“

„So, nun gieb mir Dein Geld – jeden Grano muß ich haben – oder ich werfe Dich in diesen Abgrund. Ist dies alles? Hast Du nicht mehr? Ich muß selber nachsuchen. So! Nun danke dem Himmel, daß Du so leichten Kaufs davon gekommen bist – und nimm Dich in Acht.“

Seine getäuschten Hoffnungen beklagend und aufrichtig bedauernd, mit einem solchen Gefährten seine Heimath verlassen zu haben, trat der arme ausgeplünderte Jüngling entmuthigten Herzens den Rückweg an.

Er hatte nur erst eine kleine Strecke zurückgelegt, als er sich unwillkürlich umdrehte, um noch einen letzten Blick nach der Richtung zu senden, wo die heißersehnte Hauptstadt lag – und indem er dies that, überfiel ihn plötzlich ein Schauder wie im Vorgefühle einer drohenden Gefahr. Er blickte zum Himmel empor – er war jetzt heiter und unbewölkt – und dann richtete sich sein Blick auf den Boden zu seinen Füßen. Er befand sich allerdings auf dem schmalen Felsenpasse, aber er schmiegte sich dicht an die Felsen und hatte daher, wie er glaubte, nichts zu fürchten. Aber in diesem Augenblicke drehte sich auch der Bösewicht Sanchez, sein zeitheriger Gefährte um und als dieser sah, daß sein Opfer zögerte und zurückblickte, erhob er mit drohender Bewegung seine Hand und kam schreiend einige Schritte zurück.

Diese Bewegung und die Besorgniß, die sie einflößte, waren für die Geistesgegenwart des jungen Indianers zu überwältigend; er verlief den sicheren Halt am Felsen, suchte dem vermeintlichen Verfolger zu entfliehen, glitt aus, stürzte in den Abgrund und war ein lebloser verstümmelter und zerschmetterter Körper, ehe er den Grund der Tiefe erreichte. Sein Gefährte kehrte nach der Stelle zurück, wo der Jüngling hinabgestürzt war, betrachtete einen Augenblick den in der Tiefe liegenden entseelten Körper, ohne eine Spur von Bewegung oder Reue zu verrathen, ging dann davon und erreichte bald nachher die Thore der Hauptstadt.

Aber Sanchez war – so wenig er es auch vermuthet hatte und so selten Entdeckungen dieser Art in diesem Lande vorkommen mögen – von dem Augenblicke an, wo er nach dem Felsen zurückgekehrt war, von einem Arriero beobachtet worden und wurde daher gleich nach seiner Ankunft in der Stadt ergriffen. Die hier mitgetheilten Einzelheiten gestand er in dem Verhöre vor den Administradores.

Der nächste Rechtsfall, der die Aufmerksamkeit der Richter beschäftigte, war ein Gegenstand sehr kläglicher Art. Der Gefangene war ein elender hinfälliger Mensch, der mit seinen buntscheckigen Lumpen kaum seine Blöße bedecken konnte und dessen eingefallenes Gesicht durch Hitze und Wetter fast geschwärzt war. Die gegen ihn erhobene Anklage war eine zweifache, er hatte sich als Fremder ohne Erlaubniß oder carta del seguridad in’s Land eingeschlichen und nachdem er mehrere Monate ziemlich schlecht von milden Gaben gelebt, endlich seinen Hunger unrechtmäßiger Weise auf Kosten anderer gestillt. Seine äußere Erscheinung und noch mehr die ängstliche zitternde Stimme, womit er die Einzelheiten seiner Vertheidigung vorbrachte, rührten mich.

„Ich bin aus Quito gebürtig,“ sprach er (ich gebe seine Erzählung in etwas zusammenhängenderer Form als er sie selber vortrug) „und wollte der Himmel ich wäre in diesem Augenblicke in meiner Heimath, denn ich liebe sie, so stürmisch und gefährlich sie auch ist. Dort verlebte ich meine Zeit in Freude; ich war glücklich und unabhängig; ich besaß meine einstöckige Hütte (dort sind alle Häuser niedrig und alle Gemächer befinden sich im Erdgeschosse) und sie war mit Bewohnern und Vorräthen versehen. Ich war gesund und besaß Freunde, [568] Familie, Felder, Obstgärten und Rinder. Aber ich darf nicht daran denken, mir möchte das Herz brechen.

„Meine Heimath liegt – wie Sie vielleicht wissen, Sennores – fast zehntausend Fuß über dem Meeresspiegel und ist den furchtbarsten Erdbeben und Stürmen ausgesetzt. Das Dorf in welchem ich wohnte, hatte schon mehrmals von diesen Naturereignissen zu leiden gehabt, schon oft war unsere Wohnung ihres Daches beraubt und zum Theil zerstört worden; schon manchmal waren unsere Obstbäume entwurzelt worden und selbst ganze Baumgruppen, ungeheure Felsen und ganze Häuser spurlos verschwunden. Es war jedoch seit dem letzten Ereignisse dieser Art lange Zeit vergangen und wir lebten ruhig und zufrieden, unbekümmert um das Unglück, das da kommen konnte.

„In einer Nacht aber brach der zerstörende Sturm plötzlich wieder los, ohne daß außer einer ungewöhnlichen Röthe am Himmel irgend eine Warnung vorausgegangen war. Der lauteste Donner, der je gehört wurde, der furchtbarste Blitz der je das Auge geblendet hat – nichts würde genügen, um sich einen Begriff von den Ereignissen dieser Nacht zu machen. Die Erde bebte und stöhnte und öffnete sich weit unter unseren Füßen und um uns her. Wälder von riesenhaften Bäumen wurden entwurzelt und hoch in die Luft emporgeschleudert, wo sie mit furchtbarer Gewalt gegen einander stießen und dann wieder herabstürzten. Felsen wurden gespalten und von gähnenden Abgründen verschlungen oder in kleine Stücke zermalmt und wie Hagel vom Sturme umhergetrieben. Prangende Kornfelder wurden zerrissen und durch den Blitz in Flammen gesetzt, während der Donner der Wolken in der bebenden Erde unter uns ein Echo zu finden schien. Thiere wurden emporgehoben und in Abgründe hinabgeschleudert oder von dem Sturme hinweggetrieben, bis sie weit entfernt im Meere ihren Tod fanden. Hütten und Gebäude wurden überall zerrissen und zerstreut oder unter zusammenstürzenden Felsen begraben und mit ihren Bewohnern in der allgemeinen Erschütterung zu Staub zermalmt. Menschen wurden in die Luft geschleudert und von Ort zu Ort gejagt, bis sie in einer bodenlosen Tiefe unter der Erde ein Grab fanden. Aus den Ecken und Kanten der zusammenstürzenden Felsen brachen blaue und gelbe Flammen hervor und aus schwefeligen Schluchten entsprangen heiße Quellen. Das Geschrei und Geheul von sterbenden Thieren, das an sich gräßlich genug war, wurde von dem allgemeinen Aufruhr übertäubt. Der Regen goß in Strömen herab und Himmel und Erde schienen durch Rauchsäulen verbunden zu sein. Nur auf Augenblicke herrschte tiefe Dunkelheit, da ein leuchtender Blitzstrahl nach dem anderen den Horizont und das ganze Schauspiel hell beleuchtete. O welch’ eine furchtbare Nacht war das! Heilige Jungfrau, welch’ eine grauenvolle Zeit!

„Mein eigenes Haus war eines von den ersten, die zerstört wurden; es wurde augenblicklich zerschmettert und seine Bewohner wurden entweder unter den Trümmern begraben, oder gegen die Felsen geschleudert. Mich selber riß der Sturm in einen gähnenden Schlund, wo ich besinnungslos liegen blieb; ich fühlte den Felsen furchtbar erzittern, als ich wieder erwachte, aber der Abgrund schloß sich zum Glücke nicht. Außer mir war niemand von meiner Familie der allgemeinen Vernichtung entgangen. Am Morgen des nächsten Tages als die Erde zu zittern aufgehört und der Sturm seine Macht erschöpft hatte, verließ ich meinen Zufluchtsort und wanderte mit gebrochenem Herzen zwischen den Trümmern und Leichen umher. Welche Gefühle überwältigten mich, als ich nirgend eine Spur von denjenigen entdeckte, die mir theuer gewesen waren – als ich sah, daß ich das einzige menschliche Wesen war, das der furchtbare Aufruhr der Natur verschont hatte.

„Seit der Zeit bin ich ein einsamer trauriger Wanderer. Ich beschloß zur Erleichterung meines Elends nach andern Ländern zu reisen und habe dieses Gelübde gehalten; ich bin unter Beschwerden und Entbehrungen mühsam immer weiter nordwärts bis zu dieser Stadt gewandert und hier, denke ich, werden meine Wanderungen wohl bald ihr Ende finden.“

Was der arme Wanderer weiter zu seiner Vertheidigung mittheilte – seine Erzählung von der Art, wie er die Thorbeamten der Stadt getäuscht hatte, und von dem Diebstahle, zu welchem ihn der bittere Mangel veranlaßt, habe ich nicht aufgezeichnet. Es sei nur noch erwähnt, daß bei seiner Erzählung die Thränen stromweise über seine Wangen rannen, so daß selbst die Richter sichtbar gerührt waren. Das Verhör schloß mit der Abführung des Gefangenen in das Accordada und er hatte, nach dem elenden unsicheren Leben, das er in der letzten Zeit geführt, wohl kaum Ursache, diese Wendung der Dinge zu beklagen.




Blätter und Blüthen.

Zur Abbildung. Die Stadt Schumla in Bulgarien, von welcher wir heute unsern Lesern eine Abbildung mittheilen, ist für das Vertheidigungssystem der Türkei von höchster Wichtigkeit, indem die Stadt selbst als der Schlüssel zum Balkangebirge betrachtet wird. Das stark befestigte Schumla ist neun Tagereisen von Konstantinopel entfernt, und gilt für den natürlichen Wall des türkischen Reichs gegen Rußland, obschon es im Kriege von 1829 von dem General Diebitsch, der auch den Balkan überstieg, genommen wurde. Am Fuße des Balkan gelegen, ist Schumla ein um so günstigerer Mittelpunkt für die Operationen der türkischen Armee, als hier sämmtliche Straßen zusammenlaufen, welche nach den Festungen an der Donau, dem schwarzen Meere und in Thracien führen. Dies Alles waren Gründe genug, um daß Omer Pascha Schumla zu seinem Hauptquartier wählte.




Zugleich mit dieser Nummer wird die letzte dieses Jahrgangs, Nr. 52, ausgegeben.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.