Die Gartenlaube (1855)/Heft 44

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[579]

No. 44. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Es sind die alten Sterne.[1]

Es sind die alten Sterne,
Es ist die alte Pracht,
Wie sie der große Meister
Am ersten Tag gemacht.

5
Es steht viel tausend Jahre

Das große blaue Haus,
Worin die kleinen Menschen
Bald wandeln ein, bald aus.

Der Frühling füllt’s mit Blumen,

10
Der Winter es mit Schnee.

Ein ewig Kommen, Gehen,
Ein ewiges Ade.

Doch bleiben’s die alten Sterne,
Doch bleibt's die alte Pracht,

15
Wie sie der große Meister

Am ersten Tag gemacht.





Aus dem englischen Kriegerleben
im Kriege und im Frieden

Seltsamer Weise habe ich als Proletarier aus der Fremde, als eine Null ohne Geburt, ohne Vorfahren doch wieder einmal mit der flottesten, englischen, jungen, militärischen Hocharistokratie gegessen und getrunken und leibhaftig gesehen, was sie „Leben“ nennen. Ja, wie bei ihnen die goldenen Pfunde und Fünfpfundnoten sprangen! Viel ärger und massenhafter als die kleinen Silber- und großen, ungeschickten, englischen Kupferstücke aus meiner Tasche. Und dabei macht mir das Scheiden eines englischen Viergroschen-, des verächtlich behandelten, kleinen Sixpencestücks viel mehr Schmerzen als diesen Herren ein Papier von 33 Thaler 10 Silbergroschen Werth (in preußisch Courant gedacht). Sie haben in der That Geld wie das Pferd Heu in der Raufe. Hätten sie dabei nur Schulden „wie ein Baron,“ würden sie glauben, ihren „Stand“ zu entwürdigen. Styl und „Comment“ unter diesen jungen Löwen ist es daher, eine Heerde Schulden und Wechsel auf sich herumlaufen zu lassen, die mindestens ihren Hunderten und Tausenden von Pfunden baarer Einnahme entsprechen müssen. Bringt man’s höher, desto bewundernswürdiger, weil dann zuletzt immer eine „vabanque-Katastrophe“ eintritt, die den Holden in eine fette Regierungsstelle, zu einer Heirath mit einer in Gold schwimmenden Erbin und zum Verkauf der Militärstelle, die er bisher bekleidete, also in ein stets wichtiges, die ganze „Klasse“ aufregendes Ereigniß hineinwirft oder schmuggelt. Ehe sie’s aber bis zu einer bestimmten Frau mit Ministerial- oder irgend einem entfernten Colonialposten obern Ranges bringen, flattern sie mit ihren Pfunden, ihrem Kredit, ihren Damen auf eine Weise umher, die man dem nüchternen, rauchigen, immer handelnden und schachernden London gar nicht zutrauen mag. Ich sah in ein Beispiel hinein, das ich einleitungsweise zur Sache andeuten will. Zur vollen Darstellung dürfte es durchaus ungeeignet sein.

Ich befand mich zufällig bei einem deutschen Maler, der fast durchweg nur Aristokratie portraitirt, weil er einmal und plötzlich durch Empfehlung des „musikalischen“ Gesandten (früher in Berlin, jetzt in Wien) hier so in die Mode kam, daß er sich vor Bestellungen nicht retten kann. Plötzlich polterten eine ganze Menge Füße die Treppe herauf und stolperten denn auch sofort ohne Ceremonien [580] mit den darüber angebrachten langenglischen Körpern und schnurrbärtigen Köpfen in Civil, aber sehr uncivilisirt herein.

„Müssen mit uns essen heute, Sir! Keine Entschuldigung denkbar! Keine Flucht möglich. Unten halten unsere Equipagen. Werden gefangen genommen und nicht eher losgelassen, bis Sie das Portrait vollendet haben.“

In dieser Weise wurde der Maler bearbeitet. Dabei sah mich der Eine und der Andere zuweilen fragend an, als wollte er se­hen, ob ich „geboren“ sei oder nicht. Der Maler, ein Schalk, merkte das und stellte mich feierlich vor.

„Fürst von Thurmtaxen-Tecklenburg –“ Sir So und So – Baronet So und So – Sir X. Y. Z, u. s. w. und flüsterte dabei, auf mich deutend, den Herren in’s Ohr: „Lebt hier incognito – politische Verhältnisse im Vaterlande, verstehen Sie!“ und brach daher meinen Zurechtweisungen von vorn herein alle Glaubwürdigkeit ab.

Gegenseitige, vornehme, steife Verbeugungen, die auch meiner­seits Anstrengungen machten, den Mann von hoher Geburt zu zei­gen, obgleich ich auf der linken Hand noch einen ganz gemeinen Zwirnhandschuh trug. Ich war plötzlich entschlossen, als Fürst von Thurmtaxen-Tecklenburg meinen Stand der englischen Ari­stokratie gegenüber würdig zu vertreten.

My Prince“ – „sehr viel Ehre!“ „Würde uns sehr schmeichelhaft sein, wenn Sie unserer Einladung auch Gehör schenk­ten“ u. s. w.

Warum nicht? Also, um es kurz zu machen, der Maler und ich saßen etwa eine Stunde später mitten unter englischen Kriegs­helden in dem berühmten Trafalgar-Hotel zu Greenwich, wo das Parlament allemal vor dem Scheiden seine Weißfische genießt und sonst die goldenen Lebemänner höchsten Standes ausschließlich ver­kehren, weil ein gewöhnlicher Sterblicher dort kaum ein Butterbrot bezahlen kann und es überhaupt als ein Hotel „der Klasse“ von allen andern Klassen gemieden wird. Der Millionär aus der City würde sich trotz seiner noch überschwenglicheren Geldmittel doch lächerlich machen, wollte er unter der jungen und alten vornehmen Brut der Aristokratie speisen. Das „Diner“ galt einem von der Krim zurückgekehrten Invaliden von Stande, dem Haupthelden mei­ner Mittheilung. Ich widerstehe der Verführung, die goldenen und silbernen Geschirre, die Pracht des Saales, der Tafelaufsätze, die Fülle der Delicatessen: „Chablis“ mit Austern, in italienischer Sahnensauce gewälztes Geflügel, Torten und Pasteten, Eingemachtes, Gesottenes, Gebratenes, die rothen und gelben und Champagnerweine, die ganz aufgetragenen Fische wie ein erwachsener Mann groß, die ganz aufgetragenen jungen Schweine, die nach Art der Freier Penelope’s in der Odyssee im Freien gebratene, große Ochsenlende, die Sallate und Früchte (z. B. portugiesische Birnen, die ich kurz vorher in einem Laden mit 1 Schilling 6 Pence, d. h. einem halben Thaler das Stück angezeigt gesehen) – ich widerstehe der Vorführung, alle diese Herrlichkeiten zu schildern, weil man dies beim Lesen bald satt kriegt und doch nicht satt wird davon.

Auch die Unterhaltung bot nichts Gescheidtes, nur daß ich merkte, wie die junge Militär-Aristokratie Consonanten und Nebensylben eben so verächtlich behandelte und das wirklich Ausgesprochene eben so blasirt und höhnend durch die Nase quetschte, wie der junge höhere Lieutenant in Berlin. Im Allgemeinen drehte sich auch die in tausend unzusammenhängenden Fetzen umherfliegende Unterhaltung um Pferde, Hunde, Mädchen, Jagden. Nur zuweilen trat der Krieg mit Toasten für den Helden des Festes, mit einem „Pereat“ der Presse, besonders der Times in den Vordergrund. Als Kaffee und Cigarren kamen, war der Tumult der Angetrunkenen und Rothglühenden so arg, daß sich Jeder eigentlich nur mit sich selbst unterhielt, denn Keiner hörte auf den Andern und lallte deshalb auf eigener Orgel fort, nur um dem Weine Luft zu machen. Der invalide Held, nicht durch Wunden, sondern durch Mißverwaltung der Magen-Angelegenheiten ruinirt – der Tod der ganzen Kernarmee vom vorigen Winter – hatte sehr mäßig gegessen und getrunken und sehr oft deutlich seinen Widerwillen gegen die ungeschlachte, lärmende Lustigkeit seiner Collegen zu erkennen gegeben. Er zog sich mit dem Kaffee und der Cigarre an ein Ecktischchen zurück. Bald der Eine, bald der Andere setzte sich zu ihm, um ihn aufzumuntern oder wegen seiner Nüchternheit zu schelten. Endlich blieben zwei oder drei Herren bei ihm sitzen, angezogen durch Anekdoten aus seinem Krimleben. Ich saß zufällig dicht dabei, da er mich im Grunde allein interessirte, und sammelte auf diese Weise folgende charakteristische Mittheilungen aus seinem Munde.

„Eine der merkwürdigsten Erfahrungen, die ich unter diesen Scenen von Kampf und Gewalt, von Entbehrung, Langeweile, Confusion, Wunden, Tod und Verderben gemacht habe, ist die ungeheuere Gleichgültigkeit gegen Lebensgefahr unter beständigen Gefahren, in welchen täglich, stündlich, ja zuweilen jede Minute unsere Kameraden, unsere besten Freunde umkommen. Ich gestehe offen, daß ich selbst diese Gleichgültigkeit nie gefühlt habe, ich gestehe noch mehr, daß in dieser Gleichgültigkeit gegen das Leben Abstumpfung, Barbarei liegt. Wer sich, den Werth des Lebens, den Reiz und die Schönheit des Lebens kennt, wer Ideale, Pläne, Familie und sonstige Schätze hat, die seinem Leben einen Werth geben, kann nicht gleichgültig werden gegen das Spiel zwischen Tod und Leben. Ich fühle, daß ich mein Leben nur um einen sehr hohen Preis freiwillig auf’s Spiel sehen würde. Ich habe auch von Sebastopol nie das Gefühl gehabt, als könnt’ ich mich freiwillig der Zerstörung desselben opfern. Nennt’s wie Ihr wollt: ich weiß, daß auf den Trümmern von Sebastopol unsere jetzige Politik nichts aufbauen kann, das mein Leben werth wäre. – Unsere Soldaten liebten es, ihr Leben um einen Strohhalm, um eine Wette, um einen Spaß auf’s Spiel zu setzen. Die Leute nannten es Courage, ich nenne es Abstumpfung, Stupidität, Barbarei. Unsere Engländer besitzen durchweg keine feinen Nerven. Sie nennen die Ruhe, mit der sie schlachten und sich schlachten lassen, Tapferkeit, Muth. Das ist nicht mehr. Es ist Gleichgültigkeit, Mangel an Nerven, Abstumpfung, dabei bleibe ich. Einige Beispiele aus meiner unmittelbaren Erfahrung.

„Ihr kennt den Scandal über den grünen, ungebrannten Kaffee, der unter die Armee ausgetheilt ward, sobald sie sich im Süden von Sebastopol placirt hatte. Nach vieler Verlegenheit und Unzufriedenheit erfanden einige Genies, den grünen Kaffee in ihren blechernen Feldflaschen zu brennen. Aber nun Kaffeemühlen! Unsere weise Regierung hatte unter den Kriegstrommeln weder an eine Kaffeetrommel, noch an eine Kaffeemühle gedacht. Noth ist erfinderisch. Ein Genie in unserer Armee erfand denn also auch eine Belagerungs-Kaffeemühle: er streute den gebrannten Kaffee auf einen Stein und rollte eine große Kanonenkugel darauf herum. Kaum war die Erfindung – nicht patentirt – bekannt geworden, entstand eine leidenschaftliche Nachfrage nach Kanonenkugeln. Sie stiegen so ungeheuer im Werthe, daß sie vom Feinde durch die Luft geschossen, freudig begrüßt wurden. Sobald man einen russischen Kanonenball anpfeifen und zischen hörte, sprangen oft ein Dutzend Kerle aus ihren Schanzen auf, um aufzupassen, wo er niederkrachen würde, um dann gleich auf ihn loszustürzen. Glücklich schätzte sich der, dem der Spielball – so ward er behandelt – gerade vor die Füße fiel und sich in die Erde wühlte, um doch zuweilen wieder heraus- und emporzuspringen und Diesem und Jenem ein Bein, einen Arm abzureißen. Das genirte aber die ganz Gebliebenen nicht im Geringsten. Zuweilen hielten sie eine Bombe für ein Stückchen Kaffeemühle. Und dann brach hinter der geplatzten Bombe her, obgleich sie Manchen zerriß und zerstückelte, in der Regel ein schallendes Gelächter aus.

„Nach mehrwöchentlicher Erfahrung konnten die Leute schon im Fluge aus der Ferne Kanonenkugeln von Bomben sehr gut unterscheiden, so daß sie wenigstens nicht mehr danach liefen, letztere zu erhaschen. Aber viel machten sie sich just auch nicht daraus, wenn eine Bombe ihren Bogen auf sie herabsenkte. Sie warfen sich nieder auf die Erde, bis sie geplatzt war. Doch an eine Sorte Bomben konnten sie sich gar nicht recht gewöhnen, an ein furchtbares Ungeheuer, das nur aus einem einzigen bestimmten Mörser geschleudert ward. Sie maß sechszehn Zoll im Durchmesser und enthielt nicht weniger als achtzehn Pfund Pulver in ihrem tod- schwangern Leibe: Sie kam immer von einem Floß im Hafen und brauchte etwa vierzig Sekunden vom ersten weißen Rauchbüschel ihres Abgangs bis sie zu uns kam – whisch – whisch –- whisch, sich überstürzend, anstoßend, krachend, pfeifend, donnernd, um den letzten Bogen mit einem Niederschmettern von 500 Centnern Kraft zu vollenden und in demselben Augenblicke mit einem erderschütternden Krach Tod und Verstümmelung eine halbe Meile ringsum zu verbreiten. Deshalb kam sie nie zu der Ehre, von Kaffeemühlenbedürftigen [581] ersehnt zu werden. Nie kam sie zu dem Rufe, ein guter Nachbar zu sein. Sie war im ganzen Heere unter dem Spitznamen, „der pfeifende Dick“ (whistling Dick) bekannt. Alle, die in ihrem Bereiche arbeiteten, hielten sich Wachen, die, sobald sie den weißen Rauchbüschel auf der bestimmten Stelle des Hafens bemerkten, ein Alarmzeichen gaben, worauf sich Jeder augenblicklich in die nächste bombenfeste Höhle stürzte.

„Bombenfeste Höhlen! Das klingt stolz. Aber sie bestanden sehr oft blos in einem lebendigen Grabe, einem in die Erde gegrabenen Loche, in welchem zunächst je vier bis sechs Scharfschützen Platz nahmen, wenn sie während der Nacht vor der vordersten Schanze gegraben worden waren. Sie schützten gegen Flinten-, Kanonen- und selbst Bombenregen, wenn letztere nur so gut waren, daneben zu fallen. Nicht selten fiel aber eine mitten unter die Lebendigen im Grabe und zerschmettern sie jedesmal alle bis zur Unkenntlichkeit in zerrissene Körperfetzen. In diesen Höhlen steht immer Einer mit bereit gehaltener Büchse halb oberhalb derselben Wache, um auf Alles zu schießen, was ihm einen Schuß Pulver werth erscheint. Die unten Kauernden müssen die furchtbaren Stunden öder Langeweile mit allerlei Erfindungen vertreiben.

„Der üblichste Zeitvertreib nun in diesen Vorpostenwachhöhlen bestand darin, den Flug und Fall von Kanonen und Bomben zu beobachten, und auf deren Fall rechts oder links, vor, hinter und neben ihnen blitzschnell zu wetten, in der Regel um eine Pfeife Tabak oder, oft kostbarer, um die letzte vorhandene Pfeife.

Dies geschah mit der größten Heiterkeit, obgleich bald hier, bald da eine solche Höhle sich plötzlich in ein stilles Grab oder ein unterirdisches Lazareth verwandelte. Ich erinnere mich eines solchen Verstecks sechs Fuß tief, nicht größer, als ein runder Tisch, während des ganzen Tages von aller Möglichkeit benachbarter Hülfe abgeschlossen. Von den vier Bewohnern derselben litt der Eine fürchterlich an rother Ruhr, der Andere hielt mit dem rechten seinen zerschmetterten linken Arm, der Dritte jammerte unter den fürchterlichsten Schmerzen über ein von einem Splitter ausgeschlagenes Auge, der Vierte starb an Cholera. –

Einmal war ich in einer Höhle hundert Yards von den russischen Schanzen, aus welchen wir so scharf bewacht wurden, daß Niemand nur seine Mütze über der Oeffnung zeigen konnte, ohne daß ein Dutzend Büchsenkugeln drum herum pfiffen. Unter uns lag ein Offizier, nicht selten ohnmächtig, auf dem Schoße eines Soldaten unter den fürchterlichsten Schmerzen der Ruhr. Da fiel es ihm plötzlich ein, daß heißer Kaffee ihm gut thue, ihn retten werde. Kaffee fand sich, aber kein Holz. Einer von den Gemeinen hörte das und sagte: „Holz woll’n wir schon kriegen, wenn’s weiter nichts ist, Sir! Das woll’n wir schon kriegen, denk’ ich.“ So nimmt er ein Beil, springt heraus und wackelt langsam zu einem Baume, der etwa vierzig Yards hinter unserer Höhle umgehauen lag. Hier hackt er gemächlich, mit dem Rücken gegen die Russen, einen Spahn nach dem andern ab. Offenbar waren die Russen im ersten Augenblicke ganz erstaunt über dieses stupide, kalte Blut, bald aber knatterte ein bleierner Platzregen um den Holzhacker herum, der aber noch ganz ruhig eine Zeit lang abhackte. Die Russen, dadurch nur noch wüthender gemacht, feuerten nun um so leidenschaftlicher und selbst dreimal mit einer Kanone, ohne daß sich unser Freund deshalb im Geringsten beeilte. Endlich sah er sich die abgehackten Späne an, schien zu überlegen, ob es genug seien, kauerte dann nieder und sammelte das Holz in seinen großen Feldmantel, latschte zurück durch die ununterbrochenen Salven und sprang unversehrt mit seinem Schatze wieder herab. Ein merkwürdiger Zufall, an welchem die Leidenschaftlichkeit der Russen wohl ihren Antheil hatte, da sie nicht gezielt haben mochten, hatte ihn aus tausend Toden gerettet. Ich sah’s ihm deutlich an, er hatte nicht die geringste Vorstellung davon. Er schmunzelte blos über die Lobeserhebungen, meinte aber, das sei doch weiter gar nichts, so ein Bischen Holz zu holen.

(Ich weiß nicht genau, wann[WS 1] und wo es war, erinnere mich aber genau, daß einst preußische Soldaten, belagert und beschossen, öfter auf Festungsmauern stiegen, dem Kugelregen des Feindes den Rücken kehrten, etwas Kleidung von einem gewissen Körpertheile abzogen, und sich so vor dem Feinde und deren Kugeln gegenüber die höhnendsten Blößen gaben, obgleich Mancher dabei herunter purzelte, und die Wiederauferstehung des Fleisches vergaß.)

„Beim ersten Bombardement von Sebastopol war ein Schiff mit thätig, das mit 1500 Bomben befrachtet war, ganz gegen den Befehl des Admirals. Der Offizier desselben war aus Liebhaberei mitten unter den Regen der glühenden Kugeln gekommen, „um ein Bischen mitzumachen.“ Endlich bemerkte der Admiral die stupide Verwegenheit dieses Schiffes und gab plötzlich Befehl zu dessen Rückzug. Während es sich langsam aus dem glühenden Kugelregen entfernte, kam der Stewart mit militärischer Steifheit auf die Räderbrücke – es war ein Dampfschiff – zeigte mit dem Finger nach seiner Mütze, stellte sich dann steif auf und meldete: „Dinner is ready, Sir!“ (Mittagessen ist fertig). Unter 1500 Bomben, auf welche die glühenden Kugeln der Russen herabprasselten, hatte man Enten und Truthühner gebraten, welche bei dem Essen sehr gelobt wurden, während Erde und Meer ringsherum noch fortzitterten. Das Vaterland verlangt, daß Jeder seine Pflicht thue. Der Schiffskoch hatte demgemäß auch während der feurigsten Theilnahme am Bombardement die Truthühner weder roh, noch verbrennen lassen.“

Hiermit habe ich einige der Mittheilungen des Invaliden von Stande im Zusammenhange nachgeschrieben. Das Leben, Fragen, Lachen und Hänseln dazwischen und andere Kleinigkeiten habe ich weggelassen.

Auch mache ich zu guter Letzt noch einen Sprung, um rasch zum Schlusse zu kommen. Als geborner Fürst mit Zwirnhandschuhen hatte ich während des ganzen Abends keinen Verdacht erregt. Ich benahm mich aber auch: „jeder Zoll ein König“ und beantwortete die Frage eines der Herren, „ob in ganz Deutschland Preußisch gesprochen werde“, mit eben so viel Würde als Sachkenntniß. Daß bei dieser Kenntniß Deutschlands das Ländchen des Fürsten von Thurmtaxen-Tecklenburg“ eine günstige Lage in der dunkeln Phantasie der Herren bekam, scheint mir unzweifelhaft. Dieser Herr wollte mir mit Gewalt zeigen, was Leben sei und nöthigte mich daher, die halbe Nacht mit ihm und dem Maler in den „feinsten Kreisen“ Londons herumzufahren. Wir tranken bei seiner „Nicht-Zukünftigen“ Thee. Sie hatte einen Palast für sich allein. Diener mit künstlichen Waden, gelben Sammetkniehosen und goldtressenbesetzten Rücken öffneten Thüren. Von der Hausthür bis zum Wagen rollte sich plötzlich ein Teppich als Weg auf, weil es gerade geregnet hatte. Auf den Treppen innen lebensgroße Statuen mit Gasflammen in der Hand, im Besuchszimmer ein Meublement, wie man es sich in Feenpalästen nicht luxuriöser träumen kann. Theeservice, ganz von Silber, goldene Theelöffel u. s. w. Die Fee, von überraschender Schönheit, in einem blauen Sammetkleide mit weißem Schmuck und Diamanten in den dunkelblonden Locken. Kurz, eine Pracht, eine Verschwendung, die unglaublich klingt und mir jetzt selbst nur noch wie ein lebhafter Traum erscheint. Solche: „Nichtzukünftigen“ für einzelne und für mehrere der „obersten Zehntausend,“ die England sind, giebt es in fürstlicher Pracht Hunderte im Westend Londons, von Cavendish-Square bis Hyde-Park, Hunderte, welche so zurückhaltend und schüchtern sind, daß sie nur nach den mächtigsten Empfehlungen und nachdem der Aufwartende eine Fünfzig- manchmal eine Hundertpfundnote unten als Empfehlungsschreiben abgegeben hat, einen Besuch annehmen. Hunderte solche! Tausende, die wöchentlich höchstens 1 Thlr. 10 Sgr. verdienen, wenn sie die halbe Nacht hindurch mit nähen, um sich ihr elendes Leben und ihre verachtete Tugend zu fristen. –

Kann diese so geschichtete englische Gesellschaft, in der Zehntausend den Schweiß der Millionen in der skizzirten und in der üblichen politischen und diplomatischen Weise verprassen – noch lange so conservativ bleiben, bestehen, gedeihen? Nach Natur- und Sittengesetzen nicht.

[582]

Des Hochländers Rache.

Nach einer schottischen Sage.
Ballade von Wilhelm Schröder.



Wer ist der Reiter auf bäumendem Roß,
Gefolgt vom lustigen Jägertroß?
Es ist Mac-Lean, der schottische Lord;
Sein Schloß lehnt an dem Felsen dort,
Sein sind die Felder, Wälder, Gau’n,
So weit vom Schloß die Augen schau’n!
So weit die Grenze Schottlands reicht,
Ist Keiner fast, der ihm noch gleicht
An Wundergaben des Geschicks:
Er ist ein Günstling ganz des Glücks.

Beim Frührothsschimmer aus zur Jagd
Zieht heut’ der Lord - es gilt mit Macht
Den Edelhirsch zu hetzen weit
Durch Aecker, Gärten, Moor und Haid’.
Ha! das ist eine Fürstenlust!
Wie klopft des Edelmannes Brust
Im Vorgefühle schon der Freud’,
Die nur ein solches Waidwerk beut.

Heut’ werden soll ein Jagdturnier
Wie auf der braunen Haide hier “.
Ein solches kaum noch ward geseh’n,
So lang’ des Hochlands Tannen weh’n;
Denn Lehnsleut’, Hunderte an Zahl,
Entbot Mac-Lean durch Hüfthorns Schall
Zum Jagdgefolge sich zu stell’n
Mit Treibern und mit Spießgesell’n.

Ein prächtiger Hauf’, wie er sich zieht
Den Schloßberg abwärts; dann durch Ried
Und Schilf und Sand, dem Meer entlang
Sich fortbewegt bei Hörnerklang!
Dem Lord auf des Vergnügens Bahn
Schließt heut' sich seine Gattin an;
Ein leichter Zelter, silbergrau,
Trägt neben ihm die schöne Frau.

Und daß sein Sproß’, sein einz’ger Sohn,
Schon früh an nobler Passion
Erfreu’ sich, muß der Säugling klein
Heut’ auch mit im Gefolge sein.
Ein starkes, sichres Maulthier trägt
Die Amme, die ihn sorgsam hegt
An ihrer Brust, wo wohl versteckt
Ihn Sammt und Hermelin bedeckt.

So trabt der Zug zur Meereskant’,
Wo schon bereit ein Jagdzelt stand,
Daß, wenn die Hatz nun sei zu End’,
Man Speisen und Getränke fänd’,
Auf daß, wenn’s gut geendet hat,
Mög’ Jeder jubeln seiner That
Bei Becherklang und gold’nem Wein
Bis in die späte Nacht hinein.

Und hier, von Uferfelsens Bord,
Soll schauen auch der junge Lord
Des wilden Jagens tolle Lust,
Früh zu gewöhnen seine Brust;
Soll klatschend schlagen in die Händ’,
Wenn nun der edle Hirsch verend’t;
Und ob dem schönen rothen Schein
Von Wildes Blut sich kreischend freu’n. –

Die Reh’ und Sau’n laßt man bei Seit’ –
Denn bess’re Beute giebt es heut’:
Des Edelhirsches Sturz allein
Soll dieses Tag’s Belohnung sein.
Bald sieht denn auch ihr Auge den ersehnten Gast,
Ein Zwanzigender wird gespürt, kommt hoch und ras’t,
Gefolgt vom Jagdtrupp im Galopp und mit Hurrah
Gen jenen Wald, Entflieh’n verhoffend - da -

Starrt ihm entgegen an der Lichtung Thor,
Als dicht der Jagdlärm schon schlägt an sein Ohr –
Vorn an des Engpaß’ Oeffnung noch ein Feind,
Der ihm die Flucht hier zu verrammeln meint!
Der Mann hier hieß Murdoch von Scalladale;
Kraftvoll von Leib war er und kühn von Seel’;
Als Sieger hatt’ ihn mancher Kampf geseh’n –
Dem Hirsche doch nicht konnt’ er widerstehen.

Als seiner Mannen Tapfersten hatt’ ihn erwählt
Der Lord, und an den Hauptpaß hingestellt,
Daß er den Hirsch, wollt’ der durchbrechen hier,
Zurückscheucht in das Jagdrevier!
Allein des Waldes Fürst, wohl wissend, daß es sei, –
Ließ er sich scheuchen hier - mit ihm vorbei,
Warf wilden Sprungs den Schotten auf den Grund –
Und drüber weg war er – frei und gesund.

Auf seinem Hengste stürmt Mac-Lean herbei.
„Wo blieb der Hirsch?“ - herrscht er mit Wuthgeschrei –
Und Murdoch: „„Herr! er hat mich umgerannt
Mit wildem Sprunge und entfloh in’s Land!““
„Du lügst - Du wich’st – und ließest ihn entflieh’n –
Du, – Feigling! Weib! andonnert ihn Mac-Lean.
„„Ich wich nicht – was geschah - ich bin nicht Schuld daran –
So wahr ein Schotte ich, und freier Hochlandsmann!““ -

„Auf, Knappen, faßt und bindet ihn,
Und dann zum Jagdgezelte hin!
Er soll erfahren, was ihm recht:
Daß ich der Herr und er der Knecht!“
Gefesselt ward des Schotten Hand,
Drauf schleppt man ihn zur Felsenwand,
Mac-Lean so drohend grimmig schaut,
Daß seiner Gattin selbst drob graut. –

„Zu Boden ihn, den Rücken bloß!
Der Schuld gleich sei die Sühne groß!
Peitscht diesen Dienstmann, bis er stöhnt,
Zur Strafe, daß er frei sich wähnt!“
Und wie der Schotte in den Staub nun fiel,
Entblößt sein Leib ward, grimmer Streiche Ziel:
Da bat sein Auge flehend um den Tod –
Umsonst! – Beschimpfung heischt Mac-Lean’s Gebot. –

Die Zücht’gung ist vollbracht, „Genug es sei!“
Spricht endlich kalt der Lord – „Macht ihm die Hände frei!
Und Du zum Handkuß komm heran –
Bedank’ für gnäd’ge Strafe Dich, Dienstmann!“ –
Allein Murdoch, beim ersten Peitschenschlag,
Der ihm vor Scham das Herz fast brach –
Macht sich’s mit stummem Schwur zur Pflicht,
Mit seinem Herrn zu gehen in’s Gericht,

In das Gericht, das selbst sich giebt,
Wer Freiheit mehr als Leben liebt,
Wer an der Väter Spruch hält fest:
Daß Schimpf sich nie mehr abthun läßt. –
Wohl hatt’ Murdoch daheim ein Weib,
Liebreichen Sinnes, schön von Leib,
Wohl hatt’ auch er ein Kindlein klein –
Das mußt’ nun All’ vergessen sein!! -

[583]

Denn als er langsam nun und still
Aufsteht, als ob zum Herrn er will –
Dem Tiger gleich springt da zur Wand
Des Zelt’s er, dran gelehnet stand
Die Amme mit dem Kind im Arm,
Es sicher wähnend jedem Harm –
Und eh’ es wehren kann der Lord,
Hält hoch er’s ob des Meeres Bord!

Der Edelmann, so hart und keck,
Wie bald wirft jetzt den Stolz er weg!
Mit seiner Gattin flehend hin
Sieht man vor dem Vasall ihn knie’n.
„Gieb, Murdoch, mir mein Kind zurück –
Sei frei zur Stund’! – Nie an Dein Glück
Mehr tasten will ich fortan je,
So wahr ich einst zu Gott eingeh’!“

„„Die Rach’ ist mein jetzt, und erfüllt
Will ich sie seh’n!““ – ruft Murdoch wild; –
„„Laß peitschen von der Diener Schaar
Du Lord, Dich, wie zur Stund’ ich’s war!““ –
Und als die Gattin weinend fleht,
Zerknirscht der Ritter in sich geht: –
Daß er sein Kind erretten mag –
Giebt sich der Vater preis der Schmach. –

[584]

Der stolze Lord sinkt in den Sand,
Entblößt den Leib mit eig’ner Hand,
Befiehlet selbst der Diener Schwarm,
Nach ihm zu heben ihren Arm,
Zu treffen ihn mit Streich auf Streich,
Bis daß sich Murdoch’s Sinn erweich’,
Bis daß sich seine Rache stillt,
und er der Fleh’nden Bitt’ erfüllt! –

Erst als das Blut hernieder floß
Vom Lord, und purpurn sich ergoß
In Ufers Kies, rief Murdoch: „Halt!“
Versteint fast schien er an Gestalt. –
Sein einst’ger Herr, nun Herr nicht mehr, –
Denn solche Straf’ entherrlicht sehr –
Demüthig flehend hebt den Blick –
Daß er nun geb’ das Kind zurück. -

Doch Murdoch spricht mit eis’gem Hohn:
„„Du wähnst – so kämest Du davon?
Erniedrigt bist Du jetzt gleich mir –
Der Leib zerpeitscht von Knechten Dir –
Magst Du’s, so lebe Du fortan! –
Ich mag es nicht – will sterben dran!

„„Doch daß dies Volk es nie vergißt,
Dies Volk, das eins der besten ist:
Daß ungestraft den wahren Mann
Kein Wüthrich je beschimpfen kann –
Daß – wer nur ist von Herzen frei –
Zu strafen selbst weiß Tyrannei –
Weih’ mit dem Kind dem Tod ich mich!““
Er spricht’s – stürzt in die Brandung sich. –

Ein Wahnsinns-, ein Verzweiflungsschrei
Aus Aelternmund - umsonst – vorbei
Ist Alles. Ruhig wogt das Meer,
Als ob hier nichts geschehen wär’. –
Des Vaters Herz in Reue brach;
Die Gattin folgte bald ihm nach.
So sank der Stamm Mac-Lean’s in’s Grab,
Das Schloß selbst rollt in’s Thal hinab.
Jedoch Erinnerung blieb, sie zeigt dem Wand’rer noch die Stelle –
Wo Rache nahm der freie Schott’; Murdoch von Scalladale! –


Sprache und Musik in der Natur.

Erster Artikel.

Wochen und Monate lang war das Schiff des tapfern Seehelden Almeida auf den Wassern umher geirrt. Endlich, während einer finstern, stürmischen Nacht roch man Land. Die würzigen Dufte wehten mit dem Sturme über das Schiff und stärkten und erquickten die schon verzagten Mannschaften. Sie flehten zu ihren Heiligen und glaubten erhört zu sein, als sich mit Tagesanbruch die Wogen besänftigten und der aufgeklärte Himmel am fernen Horizonte Land aufsteigen ließ. Endlich sah man Berge und Wälder und Rauchwolken, entzückende Bilder, von deren Zauber sich nur der Seemann, nachdem er Monate lang nichts als Himmel und Wasser gesehen, einen Begriff machen kann. Aber diesmal war noch manche Gefahr zu überwinden, ehe die Portugiesen Almeida’s festen Boden unter ihre Füße bringen konnten. Das Land schien gegen Landung befestigt. Steile, mürrische Berge erhoben sich an der ganzen Küste entlang, drohend gegen das nahende Schiff, so daß es beim neuen Anbruche der Nacht noch keinen Hafen gefunden und die See wieder suchen mußte, um sich von der Gefahr des Scheiterns zu entfernen. Aber welche seltsame, grauenhafte Musik erscholl hinter ihnen her? Jetzt schwoll sie aus der Tiefe in ihrer Nähe, dann krächzten und kreischten wie Hohngelächter der Hölle die schrecklichsten Mißtöne aus der Ferne. Jetzt lachte, dann weinte es. Das Jammern und Wimmern platzte mit einem Male in ein furchtbares Zetergeschrei sich balgender Menschen aus mit Mordgebrüll und sterbenden Hülferufen dazwischen, die zuletzt allein übrig blieben und einzeln verschollen, als seien die Gemordeten nun alle todt. Die wetter-harten Gesichter der abergläubischen Matrosen erbleichten. Sie fielen auf ihre Knieen und beteten und kreuzten sich und flehten inbrünstig zu Gott und allen Heiligen, sie oder wenigstens ihre Seelen aus dem Rachen des brüllenden Satan zu retten.

Durch diese abergläubische Portugiesen kamen die ersten Nachrichten von der seitdem so mystisch berühmt gewordenen „Teufelsstimme“ auf der Insel Ceylon nach Europa. Ihre Schilderung lautete, wie wir sie eben theilweise angegeben. Die Eingebornen selbst schrieben die schrecklichen Töne dem leibhaftigen Teufel zu. Andere stellten die Vermuthung auf, der „Geist der Natur,“ der im Innern der Erde logire, lasse sich auf diese Weise zuweilen hören. Spätere Erklärer nahmen die ungeheuern Bergesklüfte und engen Höhlen, die das Meer in die Felsen geleckt, zu Hülfe. Der Wind pfeife hindurch und erschüttere die Felsen oder mache die Luft auf dieselbe Weise tönend, wie eine Orgel. Mit Uebergehung weiterer Hypothesen bemerken wir nur, daß diese fürchterliche Musik auf Ceylon, eine Fuge von Hundegebell, Menschenstimmen, Gelächter, Gebalge und Geschrei, von Heulen und Zähneklappern der Hölle, einem Vogel: „Teufelsvogel“ oder „Ulama“ zugeschrieben wird. Vielleicht macht der Teufelsvogel nur als Primadonna die nöthige Vocalmusik zu dem Naturorchester von Windharfen und Felsenorgeln. Man sagt wohl: „der Vogel singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist,“ obgleich just keiner so singt. Jeder Vogel ist eine Art Künstler, er singt, wie er’s gelernt hat von seinen Herren Aeltern oder als Waise von seinen Erziehern, von seinen Gespielen. Das weiß man nirgends besser, als in der Vogelsingakademie zu Ruhla in Thüringen, wo Kanarienvögel u. s. w. ausgebildet werden, die im Preise um Hunderte von Procenten abweichen, je nachdem sie von Finken, Lerchen oder Nachtigallen erzogen und ihr Gesangstalent entwickelt haben. Ueberhaupt haben die kultivirten, europäischen Kanarienvögel kein einziges Naturlied mehr mit ihren wilden Angehörigen auf den Kanarien-Inseln gemein.

Der Engländer Daines Barrington schickte einen Sperling bei einem Hänfling in die Schule, bis er eben so sang, wie sein Schulmeister. Ich habe einen Specialfreund im Hause, einen „Kocki“, wie er zärtlich genannt wird statt Kakadu, seit funfzehn Jahren einziges Kind einer von Australien eingewanderten Familie, der keinen einzigen Ton mehr singt, niemals krächzt und schreit, sondern mit seiner heisern Kinderstimme den ganzen Tag Englisch spricht und zwar so deutlich, daß man ihm jedes Wort versichert kann. Er bekümmert sich um Alles und hat in jede häusliche Angelegenheit mit hinein zu reden. Merkwürdiger Weise frühstückt er den ganzen Tag, und hat es noch nicht so weit gebracht, die verschiedenen Mahlzeiten zu unterscheiden. Noch Abends um elf Uhr, wenn Herr und Frau ihr Souper genießen, ruft er: „I want a bit of breakfast“ (Ich bitte um’n Bischen Frühstück). Mich erkennt [585] er schon weit vor’m Hause am Schritte und ruft, daß man öffnen solle. Er hat mich lieb bis zur Unerträglichkeit und klettert, so oft es geht, an mir in die Höhe, um mich zu küssen und sich dafür unter dem Flügel krauen zu lassen. Dafür macht er mir mit seiner großen gelben Krone ununterbrochen Komplimente. So oft er unten entwischen kann, kommt er die Treppe heraus und klopft an meine Thür, um „Good morning, Doctor!“ zu rufen und dann mit Kennermiene zuzusehen, wie ich schreibe, mir Zucker in den Kaffee zu werfen, immer ein Stückchen für sich zu behalten, und sich zu verdefendiren, wenn man ihn deshalb schilt: „Never mind! Only a little bit! Of no consequence, you know!“ („Schon gut! Blos ’n kleines Bischen! Ist ja gar nicht der Rede werth!“) nur daß dieser Sinn im Englischen ungemein leichter für die Sprechwerkzeuge ist, wie es auch überhaupt bekannt ist, daß Vögel von allen Sprachen Englisch immer am Leichtesten und Schnellsten lernen.

Dieser „Kocki“ spricht blos Englisch, weil er seit funfzehn Jahren nie etwas Anderes vernommen. Doch daß ich nicht lüge: er bellt auch zuweilen, aber selten und immer seltener in zärtlicher Erinnerung an einen dahingeschiedenen Freund, ein kleines Hündchen, mit welchem er zehn Jahre zusammenlebte, der aber auf der Reise von Australien starb. Wenn er so einsam in der Sonne sitzt und an die Vergangenheit denkt, tritt sein ehemaliger Freund und Spielgenosse vor seine Seele und da bellt er so rührend, so melancholisch, so zärtlich, so piano.

Der amerikanische Spottvogel, von den Indianern „Contla tolli“, d. h. „400 Zungen“ genannt, hat seit dem Eindringen der Civilisation seine 400 Sprachen bedeutend vermehrt: er spricht in der Nähe von Eisenbahnen wie eine Locomotive u. s. w. Noch weiter hat es der mächtige Lyra-Fasan in Australien gebracht. Der macht Alles nach: Pferdegetrappel, Rossegewieher, Rädergeknarre, Hundegebell, Kindergeschrei, Weibergezänk, kurz Alles, was er hört. Ein ähnliches Sprachgenie mag der Ulama auf Ceylon sein, wodurch sich die furchtbare Sage und sein furchtbares Höllengekreisch natürlich und ohne Mystik erklären lassen mag. Auch die schauerlichen Sagen von furchtbaren, unheimlichen Stimmen verborgener Naturgeister in der Wüste Cop, am Hindu-Kusch bei Kabul, bei El Nakuhs am rothen Meere, in den Granitfelsen am Orinokko, die Höllenmusikanten des Teufelsberges am Cap, das Tönen der Memnonssäule in Aegypten und anderer tönender oder blos erscheinender Spuk haben allmälig nüchternen natürlichen Erklärungen furchtloser Naturforscher weichen müssen, obgleich dadurch das Schauerliche, Fürchterliche, Unheimliche dieser in Sagen und Religionen verherrlichten Naturstimmen dadurch im Wesentlichen nicht geschwächt wird. Die Orgelmusik der Granitfelsen am Orinokko bei Sonnenaufgang soll zuweilen so hinreißend erhaben und überwältigend sein, wie kaum die genialste Composition von Mozart oder Beethoven, oder die renommirende „Zukunfts“-Musik Wagner’s, die sich in der Meinung abfiedeln läßt, als wären Mozart und Beethoven „überwundene Standpunkte.“

Bis vor nicht langer Zeit hielt man fast alle niedrigeren und niedrigsten Thiergattungen für taubstumm. Neuerdings haben wir die schönen Augen dieser Blinden und die verständliche Sprache dieser Tauben entdecken und bewundern lernen. Die Ohren mancher Muscheln und anderer Schalthiere sind Wunder von Schönheit. Da man durchweg bis in die niedrigsten Geschöpfe herab Andeutungen von Gehör und Mittheilungstalent bemerkt hat, darf man annehmen, daß alle Geschöpfe je nach ihrem Bedürfniß ihre Thore haben, aus denen und durch welche sie mit der Außenwelt verkehren. Dies geht so weit, daß selbst die durch und durch sprachlosen Thiere nicht nur sprechen, sondern auch Musik machen. Wenigstens hört man genau, wie sie Takt schlagen. Und warum sollten sie Takt schlagen, ohne in ihrer Weise zu singen und zu spielen? Sie machen Instrumentalmusik. Der große Roßkäfer schlägt jedesmal für die Ohren seiner Kollegen Höllenlärm, so oft man ihn erfaßt oder beunruhigt, indem er mit den Flügeldecken auf die Brust trommelt. Zwei Käfer, Todtenuhr und Tickuhr genannt, deren letzterer in regelmäßigen, schnellen Tritten sich durch’s Holz frißt und die wurmstichigen Löcher in Tische und Stühle der Bauern meißelt, gelten bei wackelköpfigen Großtanten immer noch als Verkündiger des Todes. Ersterer schlägt mit seinem wundervoll scharfen und künstlichen Meißel in der Nacht oft außerhalb alten Holzes, wohl gar an unsern Bettbrettern, seine Taktsprache, die von Andern seiner Art beantwortet wird. So unverständlich sie uns auch klingt, die Leutchen unter sich verstehen sich jedenfalls. Die Spechte, während der Brütezeit nicht gut bei Stimme, schlagen mit dem Schnabel gegen dürre, hohle Aeste und Zweige auf eine Weise, der eine gewisse Philologie, eine gelehrte, uns unverständliche Sprache zu Grunde liegt. Jedenfalls haben sie’s unter sich ausgemacht, so und so viel Schläge und die und die Art Schläge bedeuten dies und bedeuten das. Die wunderbarste Art der Sprache ohne Stimme findet man bei zwei Arten italienischer Grashüpfer, Cicada plebeja und Cicada orni. Blos die Männchen scheinen sprechen zu können und zwar mit einem eigenen äußern Instrumente, welches aus mehreren gewundenen Zellen unter dem Körper besteht. Sie sind durch Häutchen von einander getrennt und laufen nach Außen in zwei enge Klappen aus. In der Mitte dieser Zellen hängt ein wundervolles, kleines Meisterstück von Triangel, neben welchem zwei beinahe stahlharte Muskeln angebracht sind, mit denen das Thier sein Sprach- und Musikinstrument vermittelst Luftstöße schlägt. Durch die eine Klappe wird mit Hülfe der beiden Muskeln Luft eingesogen, durch die andere ausgestoßen. Indem sie auf diese Weise durch die Zellen strömt, giebt der Triangel mit guter Räsonnanz in den Zellen eine so laute Janitscharenmusik von sich, daß eine einzige männliche Cicade im Zimmer die angestrengtesten Stimmen einer ganzen menschlichen Gesellschaft übertäuben kann. Doch kann der Spieler auf seinem merkwürdigen Instrumente auch sehr piano flöten, namentlich in Liebesaffairen, wo die weiblichen Cicaden eben blos zum stummen Gehorchen verurtheilt zu sein scheinen, da sie eben gar keine Stimme haben.

Ameisen haben auch keine Sprachwerkzeuge und machen sich deshalb nur durch äußerliche Zeichen und Instrumente gegenseitig Mittheilungen, wie man besonders beim Häuserbau der Termiten beobachten kann. Die ausstehenden Wachen schlagen dann genau alle zwei Minuten (so daß man die Uhr danach reguliren kann) mit ihrer Zunge gegen eine Wand oder sonst einen festen Gegenstand. Jeder dieser Schläge wird jedesmal durch das ganze Gebäude von allen Arbeitern durch ein leises Hissen beantwortet. An der Spitze dieser Wachen oder Aufseher stehen eine Art Offizier oder Chef von stolzer, militärischer Haltung, der immer das Zeichen zu den zweiminutlichen Schlägen giebt. Bienen sind große Musikliebhaber und unterscheiden Menschen an deren Stimme. Der Engländer Huber, einer der intimsten Kenner des Bienenstaates (obgleich er blind war), erzählt uns, wie sie den Ruf des „Bienenvaters“ vernehmen und seinem Commando gehorchen. In Asien versteht man das besser als bei uns. Dort führen Väter ihre Bienen auf’s Feld und lassen sie nach Herzenslust weiden in den würzigen Blumenkelchen, bis sie ihnen auf eine eigenthümliche Weise pfeifen und sie sich dann folgsam wieder nach Hause führen lassen.

In allen Ameisen- und Bienenstaaten herrscht eine sehr ausgebildete Telegraphensprache vermittelst der Fühlhörner. Der Tod der Königin ist im Augenblicke durch das ganze Land telegraphirt. Menschen sehen dann blos geheimnißvolle Bewegungen, hören aber keinen Ton, obgleich jede Bewegung Lufterschütterungen erzeugt, die auch uns hörbar sein würden, wenn wir das Ohr so bewaffnen könnten, wie das Auge, durch 2 bis 4000 Mal vergrößernde oder näher bringende Mikro- und Teleskope. Auch „Wachsen“ ist Bewegung, so daß man am Ende noch wirklich das Gras wachsen hören könnte. Huber versichert, daß die Sprache der Bienen nicht blos Zeichensprache sein könne, sondern die Bewegungen hörbar sein müßten. Ameisen, die sich begegnen, erzählen sich unterwegs vermittelst der Fühlhörner lange Geschichten und bestimmte Thatsachen, wofür es so viele Beispiele giebt, daß wir sie im Allgemeinen als bekannt voraussetzen.

Mancher Gefangene erwarb sich in der einsamen häßlichen Spinne den einzigen, treuen Freund seines lebendigen Todes. Fauzun, Quatermère d’Jjonville und andere berühmte Gefangene gingen mit ihren Spinnen um, wie mit den treuesten Freunden. Sie ließen sich aus deren Händen füttern, und kamen freudig herangekrochen, wenn sie gerufen wurden. Die Gefängnißwärter ahmten den Ton vergebens nach. Die Spinnen kannten und unterschieden die Stimme ihres Freundes. Gänse retteten einst durch ihr Geschrei das Capitol in Rom, d’Jjonville’s Spinnen ihren Freund. Er hatte ihr Wetterprophezeihungstalent studirt, aus welchem er auf einen frühen harten Winter schloß. Deshalb sandte er den [586] Franzosen Nachricht, daß die Sümpfe und Seen Hollands bald vom Eise überbrückt werden würden. Der Frost kam, die Franzosen liefen darüber hin, nahmen Holland und gaben dem Gefangenen die Freiheit.

Selbst die gehässige Kröte hat sich zuweilen als fein gehorsamer, talentvoller und angenehmer Gesellschafter bei Gefangenen eingefunden. Sie kommen des Nachts heraus aus ihren Schlupfwinkeln auf den Ruf ihres Freundes, nehmen Fliegen aus seiner Hand und kehren wieder zurück, sobald sie merken, daß sie nicht mehr angenehm sind. Es sind Beispiele bekannt, dapß sie immer blos in Zeiten kamen, wenn der Gefangnenwärter nicht zu fürchten und Alles sicher war, Beispiele, daß sie immer zu einer bestimmten Stunde herauskamen, als hätten sie eine richtig gehende Wanduhr zu Hause.

Die Schlangen haben Ohren so fein, wie ihre Zungen und sind leidenschaftlich musikalisch. Die Haubenschlange in Westindien ist zuerst ungemein wild und wüthend. Der „Beschwörer" macht sie durch Schläge noch wüthender, um die zauberische Wirkung seiner singend gesprochenen Schmeichelworte desto effectvoller zu zeigen. Jetzt erhebt er seine Hand, wie zum Schlage. Die Schlange folgt jeder Bewegung mit den brillenartig umzeichneten Augen und spielender Zunge, um den Schlag augenblicklich durch giftigen Biß zu bestrafen. Aber der Blick und das Wort des rothbraunen Indianers hält sie im Zaume, jetzt mit einer pfeifend ausgestoßenen Drohung, dann wieder plötzlich mit süßtönendem Schmeichelwort. Singt und musicirt er nur, erhebt die Schlange entzückt das Haupt, nach den Tönen hingestreckt, und lernt bald nach dem Takte in graziösesten Wendungen und Windungen ihre Freude zu veranschaulichen. Schon Plinius erzählt von einer afrikanischen Menschenrace, die durch ihren Blick allein Schlangen zähmten. Am Nil oben in Nubien giebt es noch Schlangenrufer, die durch genaue Nachahmnug der Sprachtöne der Schlangen dieselben aus jedem Winkel und Risse hervor zwingen und mit ihnen machen können, was sie wollen, eine Kunst, die sich auch Napoleon in Aegypten ganz umständlich zeigen ließ.

Auch Vipern und Nattern sind weder taub noch stumm. Ihr feines Ohr wird ihnen zum Verderben. Man musicirte sie namentlich in frühern Zeiten sehr fleißig aus ihren Verstecken hervor, um kostbaren Theriak aus ihrem Fleische zu kochen, wie jetzt noch in Italien und Frankreich. In Italien kann man oft grimmige, zigeunerartige Kerle inmitten eines großen Reifens stehen sehen und eigenthümlich pfeifen hören. Bald gleitet eine dunkle Natter hervor, eine andere kommt hinzu, eine dritte, eine vierte u. s. w. Sie stellen sich mit ihren fleckigen Leibern am Reifen rings auf, freudig starrend mit ihren glänzenden Augen und entzückt horchend, um sich von der Zange des Zauberers eine nach der andern fangen und in den Sack stecken zu lassen. Er verkauft sie an Doctoren, Apotheker und Drogueriehändler, die sie lebendig, in Sägespähne verpackt, im ganzen Lande umher verschicken. In Frankreich wirft man irgend eine gefangene Schlange in siedendes Oel, deren zischender Schmerzensschrei nun oft Hunderte aus ihren Schlupfwinkeln herbeilockt. Sie werden mit Lederhandschuhen ergriffen und dann in Sicherheit gebracht.

Fische gelten für stumm und haben keine sichtbaren Ohren. Doch ist es bekannt, daß sie ein sehr feines Gehör haben. Die Karpfen in königlichen und fürstlichen Teichen lassen sich ja in der Regel durch eine Klingel rufen. Lacepède erzählt von hundertjährigen Karpfen in den Tuilerien zu Paris, welche auf ihre speciellen Namen, die man ihnen gegeben, hörten und sich einstellten, wie sie gerufen wurden, aber nur auf den Ruf Derer, welche sie kannten und liebten. Als königliche Pensionärs verachteten sie den Ruf und selbst die Leckerbissen gewöhnlicher Leute ohne Rang und Geburt. Störe werden durch lautes Schreien in die Netze getrieben, andere Fische durch Trommeln u. s. w., so daß der Gehörsinn der Fische keinem Zweifel mehr unterliegt. Ein Italiener hat neuerdings auf eine brillante Weise nicht nur das feine Ohr, sondern auch den Gehorsam der Fische bewiesen. Er hat eine große Menge derselben so gezähmt, daß sie auf Commando kamen und gehen, steigen und sinken und dabei mit ihren brillanten Farben spielen. Auch geben sie dramatische Vorstellungen. Ein Hecht ergreift eine Forelle und bringt sie herauf in die Hand des Meisters, der sie wieder in Freiheit setzt u. s. w. (Aus einem Berichte des Engländers J. M. Good, der nichts Näheres über diesen Künstler giebt).

Auch Schweine, sonst nicht sehr berühmt wegen großer Geistesgaben, hat man schon so weit in menschlicher Kultur gebracht, daß sie bestimmte Worte verstehen und Kunststücke machen lernten. Vor einiger Zeit las ich die Geschichte des berühmten Schweine-Professors vom vorigen Jahrhundert in England, der mit seinen reisenden Säuen viel Ruhm und Geld erwarb, seine Künstler melodisch grunzen, auf zwei Beinen stehen und tanzen ließ; doch hab’ ich die Stelle, wo ich’s las, nicht wiederfinden können, so daß wir dem Professor hier nur ein Denkmal ohne Namen setzen.

Der Seehund im zoologischen Garten zu London steckt seinen merkwürdigen blauen Kahlkopf immer sofort aus dem Wasser und lehnt sich mit seinen ungeschickten Vorderbeinen auf die Steinwand, die seinen Privatteich umschließt, sobald er Menschen sprechen hört, um zu horchen, was sie sagen und Einen nach dem Andern prüfend anzusehen, um zu errathen, was wohl seine Meinung über den fraglichen Gegenstand sein könne. Leider machen ihm die gefühllosen Engländer nur selten Musik. Sobald er aber etwas von den Concerten vernimmt, die zuweilen im Garten stattfinden, horcht er mit der größten Freude und wedelt im Wasser mit seinem langen Fischkörper und den Flossen dazu ganz taktmäßig.

Die idyllischen Dichter der Alten singen oft von dem Entzücken, mit welchem die weidenden Heerden den Flötentönen ihres Hirten lauschen. Die Schweizerin auf ihren würzigen Bergen oben weiß auch, wie gern ihre Kühe singen und den Kuhreigen hören. Jede Kuh hat ihren Namen und kommt, wenn gerufen, wie auch in England, wo man die Kühe überhaupt sehr reinlich und menschlich behandelt und dafür mit reichlicher Milch belohnt wird. Jeder kennt die Königin in jeder Kuhheerde, der sich alle fügen. Sie ist überall leicht an ihrer stolzeren Haltung, an der Majestät ihrer Attituden zu erkennen. Jede fremde Kuh wird von ihr mit dem fürchterlichen Ernste eines Criminal-Commissarius empfangen. Sie weiß, daß sie die beste Glocke trägt. Manche hat schon geweint und ist vor Kummer gestorben, wenn man ihr die Glocke nahm.

Manche Thiere hassen gewisse Töne. Der griechische Sophist Acteon, der siebzehn Bücher über die Natur der Thiere schrieb, versichert, daß man den Wölfen keinen größeren Schur thun könne, als wenn man ihnen etwas auf der Flöte vorspiele. Pytachoras, der Musiker, rettete sein Leben vor einer ganzen Heerde wüthend-hungriger Wölfe durch die Flöte. In Amerika geigte sich ein ähnlich Angefallener eine ganze Nacht hindurch von diesen gefräßigen Ungeheuern los. Bekanntlich soll der Löwe, der sich sonst nicht gern fürchtet, lieber Meilen weit laufen, ehe er einen gewöhnlichen Hahn krähen hört. Er theilt diese Idiosynkrasie mit dem großen Krieger Wallenstein. Ob unser Hausfreund Phylax so jämmerlich über Musik heult aus Rührung oder Abscheu, wissen wir kaum. Die Sache ist uns zu bekannt, als daß wir sie kennen sollten. Diese unsere liebe Erde wäre drei Mal schöner, wenn Hinz der Kater und Kunigunde die Katerine, ihre Liebespein und ihre minniglichen Herzensergüsse im Mondschein draußen etwas melodischer und mehr piano oder gar nicht äußerten. Diese Katzenmusik ist die schauderhafteste Pfeife in dem großen Orgelconcerte der Natur. Mutter Natur, sonst ziemlich vernünftig und anständig, zeigt hier eine Barbarei, eine Freiheit, um welcher willen ich ihr meine Meinung gehörig sagen werde, sobald ich sie einmal persönlich treffe.

[587]

Im königsberger Hafen.

Von Alex. Jung.
(Schluß.)
Myne Heeren, öß dat mönslik? – Ein unbekanntes Völkchen. – Die Dzimken, ihre Fahrzeuge und ihr Leben darauf. – Dzimken auf dem königsberger Jahrmarkt. – Dzimken als Tänzer und Sänger. – Abschied von Königsberg.

Es ist eines Sommertags Nachmittag. Wir befinden uns auf dem mehrfach geschilderten Standpunkte des Bollwerks, auf der linken Seite des Pregelflusses. Plötzlich ein gewaltiger Auflauf von Menschen. Individuen der verschiedensten Stände drängen sich zusammen und bilden einen Kreis von nicht geringem Umfange. Wir dringen hindurch, und sehen im Mittelpunkte dieses natürlichen Circus nur eine Person agiren, aber in einem Affekt, in einer Verstörtheit, die unsere Theilnahme, unser Mitleid vollauf in Anspruch nimmt. Der Mann, der vor uns auf- und niederläuft, die Hand jetzt zusammenballt, jetzt vor die eigene Stirn schlägt, daß der Hut wegfliegt, ist offenbar ein Holländer, und zwar ein Schiffskapitain. Auch ragt von drüben der der Mast eines Niederländers mit breit flatternder Flagge herüber. Unser Kapitain steht still, droht nach den Schiffen hin, scheint in einen Monolog ausbrechen zu wollen, indem er sich nach dem Publikum wendet, das Blut aber steigt dem Manne zu Kopf, und er bringt es nur zu den Worten:

     Myne Heeren, öß dat mönslik?

was denn in unser ehrbares Hochdeutsch übersetzt lauten würde: Meine Herren, ist das menschlich? Dem Unglücklichen schien etwas begegnet zu sein, was nicht blos seltsam, nein, so unerhört wäre, alle Glaubwürdigkeit überträfe, alle menschliche Natur verläugnete, aber auch das Strafgericht aller besseren Menschheit herausforderte, daß solche Namenlosigkeit des Geschehenen alle anderen Gedanken und Worte bei dem armen Schiffsmanne erstickt hatte. Er stampfte jetzt mit den Füßen, er sprang, wie von einer Tarantel gestochen, umher, er rang die Hände, er schlug sie über den Kopf zusammen, und stieß, immer schneller ihn wiederholend, die Menge immer leidenschaftlicher anflehend, den Refrain aus: Myne Heeren, öß dat mönslik?

Welch’ Ungeheures, Rache Heischendes war hier denn vorgegangen? Wir sahen alle einander an, befragten uns, wollten helfen, Gerechtigkeit üben; Niemand jedoch wußte Rede zu stehen, wie sehr ihn der Verzweifelte auch jammern mochte. Das Volk umher murmelte, murrte und grollte tief, so daß es sich schauerlich anhörte. Das Volk sollte hier gleichsam als Chor, wie in der griechischen Tragödie, dazwischen treten, vermitteln, richten, und wußte doch nicht was, nicht wen. Schon hielten einige den Mann für irr, äußerten es laut, und wollten ihn fortbringen, einem Arzte übergeben lassen. Endlich klärte die Sache sich auf.

Tages vorher waren nämlich die Matrosen eines dänischen Fahrzeuges mit der Mannschaft eines Holländers, der in ihrer nächsten Nachbarschaft ankerte, in den heftigsten Hader und Wortwechsel gerathen. Sie beschlossen, natürlich ohne Wissen ihres Kapitains, es den Niederländern nachzutragen. Als diese am folgenden Tage fast alle nebst ihrem Herrn das Schiff verlassen hatten, und die Zurückgebliebenen wahrscheinlich in dem untern Raum sich befanden, rückten die Dänen ihr Schiff, abscheulich zu sagen, in eine solche Stellung zu dem Holländer, daß die Ausläufer einer gewissen Oertlichkeit, die Niemand zu nennen pflegt, in eine solche Tragweite und Nähe zum Niederländer zu stehen kamen, daß sie über die zierlichsten Wassertonnen, sage: Wassertonnen des spiegelblanken Amsterdam ausmündeten. Das Unglück wollte aber noch dazu, daß die Wasserbehälter heute alle offen standen, der Durchlüftung wegen. Wir haben aber oben beschrieben, was ungefähr holländische Wassertonnen auf sich haben. Das keuscheste, frischeste, lauterste Koch- und Trinkwasser, mühsam geschöpft und gesiebt, schaukelte sich in diesen Fässern, und sollte noch heute von seinen Besitzern gebraucht werden. Furchtbare Ironie und Schadenfreude der Umstände! Die Dänen konnten ihrem Schiffe um so fein berechneter auf den Treffpunkt die Situation geben, da dasselbe leicht war, noch nicht Waaren trug, und also hoch über dem Wasser stand, während der Holländer, schon durch seinen Bau schwerfällig, vermöge starker Ladung vollends niederdrückte, kaum über Wasser lag, um so gelassener also die Zielscheibe eines so schlechten Dänenwitzes werden mußte. Richtig und sicher fingen denn jene Mündungen auch zu spielen an. Die Holländer, an der Spitze ihr Kapitain, fanden auch wirklich nach einigen Stunden die Bescherung. Ein Witzbold und Citatenfreund konnte die bekannten Worte unseres großen Dichters mit einiger Veränderung hier citiren:

„Wem ein solcher Wurf gelungen,
Eines Feindes Feind zu sein!"

Daß nach so schnödem Begegniß der ehrlich-verschämte Schiffshauptmann Niederlands außer Fassung kommen mußte, daß er sich unmöglich dabei beruhigen konnte, besagte Tonnen nur ausgießen, einseifen, scheuern, durchräuchern und aufbrühen zu lassen, wer wollte das noch in Zweifel ziehen; sie mußten vielmehr – die Nationalreinlichkeit forderte es – zertrümmert, durch Feuer von der Erde vertilgt, das Schiff selbst, wenn auch an den Geringstbietenden veräußert werden. – Auf die oben von dem trefflichen Manne an uns gerichtete Frage aber, ob das ihm Angethane „mönslik“ sei, müßten wir freilich erwiedern: menschlich allerdings, jedoch leider nur zu menschlich. –

Der Mensch ist und bleibt ein seltsames, räthselhaftes Wesen, welches eben deshalb eine unendliche Zukunft hat, weil es durch bereits vorhandene Zustände der Civilisation nie völlig befriedigt wird. Aus aller Mannigfaltigkeit der Bildung zieht der Mensch das Verlangen nach neuen Entwickelungen, neuen Verhältnissen der Kultur, ja, er sehnt sich mitten aus dieser in die einfachen Urzustände der Natur wieder zurück, um einen neuen Bildungsgang zu beginnen. So hat es auch für den Beobachter einen besondern Reiz, der fast überreifen Bildung gegenüber solche Menschen zu betrachten, die eben erst im Begriffe sind, sich aus der Natur zu entpuppen und sich doch bewundernswerth zu helfen wissen. Sie tragen fast noch Spuren der Wildniß an sich und wachsen doch schnell in all’ das hinein, was sie sicher stellt, was ihnen Nutzen gewährt, ihnen Annehmlichkeiten bringt. Dieser rasche Uebergang von der Wildheit zur Bildung gewährt oft eine Scenerie, die uns auf der Bühne des Lebens wie des Theaters nicht wenig Unterhaltung verschafft, die aber auch in einem Genrebilde der Sprache uns durch die Contraste fesselt, welche daraus gewonnen werden.

Auch unser Wasserprospekt gewährt uns eine Anschauung, in welcher wir das Schiffswesen und seinen speciellen Betrieb fast noch im Naturstande erblicken. Ihr Hauptgegenstand ist ein Menschenschlag, der aus dem russischen Polen unter dem Namen Dzimken alljährlich zu uns herüberkommt, um seine Handelsinteressen in bescheidener Weise zu befriedigen. Man kann auf diese Nomaden des Wassers jeden Sommer eben so mit Sicherheit rechnen, wie auf das Eintreffen der Zugvögel im Frühlinge. Gerade so bestimmt halten sie die Zeit ihres Abzuges ein. Sie kommen im Juni und gehen am Anfange des September wieder ab. Sie stammen meist aus der Statthalterschaft Wilna, aus den Gegenden von Kowno, Troke, Miedniki, Jurburg, Smorgonie, Kjedany, Kroge, und sind wohl meistens armselige Landbewohner.

Ihre Zuzüge und Rastplätze gewähren eigengeartete und doch frische Naturbilder, denen man denn auch das Malerische der Wirkung, zumal im Gegensatz zu der höchsten Ausbildung der Schifffahrt unter Engländern und Amerikanern, nicht absprechen darf. Ihre Fahrzeuge heißen Witinnen. Eine solche Witinne – besonders das eigentliche Floß – hat nicht selten eine Länge von 5 bis 600 Fuß und darüber. Wenn man aus der Ferne diese Dzimkenkaravanen auf dem Wasser herankommen sieht, so glaubt man den feenhaftesten Märchentraum verwirklicht. Sieht es doch aus, als wenn eine Hügelreihe, ein Waldrücken, eine ganze Landschaft mit Häusern, Häuschen und deren Bewohnern angeschwommen komme. Die schwimmende Landzunge rückt und rückt vor und will gar kein Ende nehmen. Endlich schneidet sie sich ab, aber schon folgt eine neue Landstrecke von derselben Riesenlänge. Nun erkennt man die Gegenstände schon näher und glaubt eine Völkerwanderung auf dem Wasser vor sich zu haben. Man hört wilde, rohe Naturlaute, [588] von Menschen ausgestoßen. So mögen wohl die Hunnen gesprochen und gelärmt haben. Eine solche Witinne rückt oft so im Schneckengange fort, daß ihre Bewegung kaum zu bemerken sein dürfte, da das Ungeheuer, zwar mit einem Segel versehen, bei uns doch zu wenig Strömung und Tiefe findet. Die Argonauten der alten Griechen, wie unvollkommen ihre Fahrt auch noch gewesen sein mag, hatten doch den Vortheil, daß sie ihr Schiff stellenweise tragen konnten, aber Herkules selbst, der sich bekanntlich unter ihnen befand, würde es wohl haben bleiben lassen, eine Witinne von Kowno auf seine Schultern zu nehmen. Die längsten derselben dürfen in unsern Hafen nicht hinein, da sie einen Raum von vier bis fünf der größten Meerschiffe ausfüllen würden. Einige der mittleren liegen eben vor uns, und wir können sie und ihr Bewohner sogleich ganz gemächlich in Augenschein nehmen.

Der königsberger Hafen.

Das ist ein Bauwerk der sorglosesten, lockersten Naturart; alles was man daran Kunst oder vielmehr Handwerk nennen könnte, ist kaum zusammengenagelt, nur geschoben, und doch hält es vor und erreicht vollständig seinen Zweck, aber ohne jede Spur von Plan, von Verhältnissen, geschweige von durchgehender Symmetrie. Das Ganze hat zu seiner Unterlage einen halbangefangenen Koloß von Kahn oder Prahm, der aber fast überall durch bloßes Floßwerk unterbrochen ist, dessen Balken weit auseinanderstehen, so daß Flußwasser massenhaft hervorquillt, und man bei jedem Fehlschritt mitten auf dem Schiffe sehr bequem ertrinken kann. In der Mitte ist ein Ständer eingerammt. Er ist der höchste von allen andern, und der eigentliche Träger der gesammten Bedachung. Die andern Pfeiler sind bald hoch, bald niedrig, so daß auch das Dach zwar in der Mitte einen Höhepunkt hat, dann aber nach beiden Seiten höckerartig abläuft. Von Fenstern und Thüren läßt sich in diesem langgestreckten Behälter, aus Bretern und Latten gefügt, dessen Dach Bastmatten und Baumrinden überkleiden, gar nicht sprechen, sondern diese seinsollenden Fenster und Thüren sind kleine wie große offen gelassene Stellen, viereckte Löcher, aus denen hier und da wohl ein Dzimkenkopf hervorguckt; was in diesem Breterwulst in gesteigertem Grade so aussieht, wie wenn im Kleinen eine Gluckhenne sich aufgebauscht hat, und aus ihrem Gefieder da und dort ein Küchelköpfchen vorblickt. Die Luxusparthie einer solchen Witinne ist nach dem einen Ende, dem etwaigen Steuer zu, die Wohnung des Kapitains, d. h. eines polnischen Juden mit einem langen Bart, zweien Seitenlocken, die bis auf die Schulter fallen, einem bis zu den Schuhen langenden schwarzen Rock und einem langen Stecken in der Hand. Der Zimmerer hat an diesem Theile der ganzen Holzjurte alle Kunst bewiesen, die ihm nur zu Gebote stand. Er hat eine Art Stube hergerichtet, deren Wände baufällig nach allen Seiten her schief ragen, mit einem angeschmauchten Guckfenster versehen, von der Größe eines kleinen Rasirspiegels. Auch hier ist der Boden zum Theil bloßes Floß, rohe Baumstämme sind zusammengebunden, das Wasser dringt hier wie in die Spelunken der Dzimken fortwährend ganz gemüthlich ein und muß einige Male des Tages und der Nacht ausgepumpt werden. Die Mannschaft hat sich demnach, wie die Sclaven auf manchen Galeeren, durch Pumpen mühsam am Leben zu erhalten, um nicht plötzlich zu ertrinken. Die Dzimken nehmen solchen Uebelstand hin, als verstände er sich ganz von selbst und wäre dem gar nicht abzuhelfen. Sie betrachten den Tod überhaupt sehr gleichgiltig, und sind in ihrer vegetirenden Existenz, die dennoch einen höchst anstelligen Instinkt hat, so sorglos, daß mancher in der Dunkelheit, zumal unter der Nachwirkung des Branntweins, in die Zwischenräume der Floßhölzer tritt und rettungslos in die Tiefe des Wassers sinkt. Um so mehr ist der Heroismus ihrer Schiffsherrn zu bewundern. Man pflegt zu sagen, der Jude gehe nicht auf’s Wasser, da es keine Balken habe. Hier hat es Balken, aber auch nur Balken; gleichwohl begeben sich jene polnische Juden auf eine solche Wasserreise, auf so gebrechliche Fahrzeuge. Man sieht, was die Aussicht auf Handelsgewinn vermag. An dem andern Ende der Witinne ist ein freier Raum, wo die Pumpe angebracht ist; hier steht ein langer [589] Trog, aus dem die Dzimken mit langen Holzlöffeln oder auch mit bloßen Händen, vor vielen Zuschauern am Bollwerk, ihr Mahl verzehren, welches aus Wasser und Kleie, mit spärlichem Fette angemacht, vielleicht auch aus einer Erbsenzuthat zusammengesetzt ist, wobei die gewaltigsten Brotkloben, aus Mehl und Kleie gebacken, das Verschlagsamste sind. Dennoch ist es ein Mahl, dessen Gaumenkitzel sich auf den frohesten Gesichtern ausprägt. Dieses Kleienbrot dürfte das wirksamste Mittel sein, Zähne zu conserviren und in der herrlichsten Weiße zu erhalten, welches nur ausfindig gemacht werden könnte, und unsere Zahnärzte würden es auch sicher empfehlen, wenn sie auf den Geschmack und die Verdauungswerkzeuge unserer Damen und Herren noch zu rechnen hätten. Nichts übertrifft den natürlichen Alabasterperlenschmuck, den jeder Dzimke in seinem Munde trägt.

Betrachtet man dieses lustige Naturvölkchen des Wassers vom Ufer nun weiter, so scheint es anfangs, es sei auf seinen Witinnen wie eingenistet. Diese rührigen Gestalten, Männer und die jüngsten Bursche, wie sie auf ihren Floßholz-Baracken campiren, die ohnehin etwas vom Kindergeschmacke China’s bis auf Schnitzwerk und aufgesetzte Tempeldächelchen haben, vergegenwärtigen uns auf’s Lebhafteste jene chinesischen Familien auf den Kähnen und Flößen des Pekiang bei Kan-Beg, welche auf ihren Fahrzeugen geboren werden, heranwachsen, sich verheirathen, Kinder haben und sterben, ohne oft auch nur einmal an’s Land zu kommen. Tragen doch die Dzimken einen Rock, der just die Farbe hat, wie das Holz, wie die Bastmatte, auf der sie haften, nämlich braun; wie es ja auch Insekten giebt, welche dieselbe Farbe haben, wie das Blatt, auf dem sie wohnen. Unter dem Rocke trägt der Dzimke ein Hemde von einem grob-grauen Linnen, beide durch einen Gürtel zusammengehalten, weite Beinkleider desselben Stoffes; Kopf und Fuß geben ihm ein leichtes, fast südliches Aussehen; jenen schmückt ein leichter, weißer Strohhut, mit schwarzem Bande verziert, unter den Füßen hat er eine Art Sandalen. Freilich liebt er die Extreme, denn er zieht während der strengsten Hitze bisweilen auch einen dicken Schafpelz an, und vertauscht den leichten Strohhut mit einer Pelzmütze.

Wir sehen aber alsbald, daß es sich mit unsern Hinterwäldlern von Kowno ganz anders verhält, wie mit jenen chinesischen Schifferfamilien. Von Familienexistenz kann schon deshalb auf den Witinnen keine Rede sein, weil die Dzimken nie Weiber mit sich führen. Dann aber trachten sie auch schnellmöglichst darnach, an’s Ufer zu kommen, schon um ihre brennende Neugierde zu befriedigen. Eine Stadt wie Königsberg gesehen, durchwandert zu haben, ist in einem Dzimkenleben das Hauptereigniß. Wir sehen im Dzimken, und wäre er ein Greis, das Kind mit dem Wilden vereinigt. Ein lebhafter Tauschhandel beginnt, wie ihn die Seefahrer mit Wilden zu führen pflegen, nur daß hier die Eingeborenen die Civilisirten, die Schiffsbewohner die Unkultivirten sind. Alles Blanke, aller Tabuletkram, jedes Kinderspielzeug hat für den Dzimken unendlichen Reiz. Er bietet Matten, bunt geschnitzte Haselstöcke dar, und tauscht Sachen ein, deren Gebrauch er gar nicht kennt. Metallknöpfe, kleine Messer, Scheeren, Kinderspiegelchen, Schnarren machen ihn überglücklich, und er setzt Alles daran, sie in Besitz zu bekommen. Nun betreten diese seltsamen Naturmenschen schaarenweise das Ufer, und durchwandern die Straßen der Stadt. Es giebt barocke Scenen, die muntersten Kabinetsstücke der Wirklichkeit. Da kehrt ein alter Dzimke vom Jahrmarkt der Stadt Königsberg zurück. Er hat sich eine Kindervioline oder -Trompete oder gar eine Kindertrommel erkauft. Er hat sie umgehängt, schlägt sie mit den Stöcken, daß es eine Lust ist, und ein ganzer Halloh und Janhagel von Jungen und Kindern umringt ihn und folgt ihm unter dem ausgelassensten Lachen und Brüllen. Das genirt unsern Dzimken nicht. Er schlägt und wirbelt, so schlecht es auch ausfallen mag, sein Kalbsfell fort, und vollführt dabei ein gellendes Freudengeschrei und Jauchzen. Die Buben versperren ihm den Weg, lachen und schämen ihn aus, zupfen ihn von hinten, stoßen ihm an die Trommel, so daß er auf den Reifen oder gar vorbei schlägt, nie bringt es ihn außer Fassung, im Gegentheil, es macht ihm nun erst rechten Spaß, und er versucht sein Trommelstück immer wieder auf’s Neue.

Ein anderer dieser gutmüthigen und in ihrer Art sehr bildungsbeflissenen Naturmenschen, der auch in seinem grobbraunen Kittel, mit Strohhut, Hals und Brust entblößt, auf Sandalen ausging, kehrt wie verwandelt aus der Stadt zurück. Auch ihm folgt ein Straßenschwarm. Unser Dzimke ahnt nicht, wie er sich in geschmacklicher Hinsicht verschlechtert hat, und träumt von einem Fortschrittssiege ohne Gleichen. Er hat sich eine Tuchmütze erkauft, die ihm zu groß ist, und die ihm die Jungen noch tiefer in’s Gesicht rücken. Er trägt eine Halskravatte, die er aus Unkenntniß sich verkehrt angeschnallt hat, vor Allem aber entstellt ihn ein Leibrock oder sogenannter Frack aus blauem Tuche, dessen Aermeln der Mann längst entwachsen ist, dessen Taille nebst Knöpfen ihm hinten zwischen Nacken und Oberrücken sitzen, während die Schöße kaum decken, was sie doch decken sollen. Unglücklicher Weise aber erhielt der so urplötzlich Europäisirte im Trödel keine anständigen Beinkleider mehr, so daß die alten, graulinnenen Säcke um so mehr oberwärts sich bauschen, als der Hinterwäldler ein Paar Cavalleriestiefel sich erstand, die ihm auch wieder zu eng sind, was ihm allein dadurch vergütet wird, daß daran Sporen klirren. Wahrlich, unsere Modejournale könnten sich vorkommenden Falls aus solcher Geschmacksverbesserung, die keine ist, manches zur Warnung entnehmen. Oft gelingt sie aber auch an unserm Dzimken bis auf Ungestaltung des ganzen Menschen. Man erzählt von manchem jetzt wohlbemittelten, vielleicht sogar reichen Kaufherrn Königsbergs, er sei als der ärmste solcher Witinnenpolen nach unserer Stadt gekommen, habe mit dem Tauschhandel um Knöpfe und eine Kindertrompete angefangen, und mit dem Großhandel und einer Million aufgehört.

Neue Wunder und Poesieen der Wirklichkeit enthüllen sich, denen selbst die Langmuth und Schwerbeweglichkeit einer Dzimkenphantasie nicht gewachsen sind. Schon die Dampfschiffe machen ihr was zu schaffen, und geben ihr unlösbare Räthsel auf. Geräth aber ein solcher Natursohn der polnischen Hinterwälder nun gar auf unsern Eisenbahnhof, der sich in der Nähe des Hafens prächtig erhebt und ausbreitet, so kann der Beobachter wahrnehmen, wie fast sinnestörend und vernichtend die neuesten Errungenschaften der Civilisation auf einen Menschen wirken, der sich fast noch im Naturzustande befindet. Der Wilde ist schon außer sich, wenn er zum ersten Male einen Menschen zu Pferde erblickt. Er hält Beide für ein Wesen. Was wird aber hier dem Dzimken zugemuthet! Er soll es natürlich finden, oder sich doch erklären, daß eine Wagenreihe im Fluge ankommt, die nicht von Pferden gezogen wird. Zumal aber das Ungeheuer vorne mit seinen Feueraugen und glühenden Füßen unten, mit seinen keuchenden und ächzenden Athemzügen, seiner Rauchsäule, die wie ein dicker Wasserstrahl in die Höhe schießt, wirkt auf unsern Witinnenfahrer, als kämen der Teufel, seine Großmutter und der ganze Hofstaat der Hölle an, er windet und krümmt sich, als ginge die satanische Sippschaft schon über seinen Leib weg und kreuzigt sich, um sich in seinem Entsetzen zu helfen, wie er eben kann.

Auf seinem Floßschiffe selbst vergeht einem solchen Dzimken, wenn er nicht besondere Arbeiten zu verrichten hat, der Tag in aller Eintönigkeit eines noch dürftigen Seelenlebens, welches aber dennoch durch die Eindrücke des Hafens und der Stadt Königsberg schon um etwas bereichert worden ist. Abends indessen, nach dem Leckermahle seines Erbsengerichts, wenn die Tage noch lang sind, giebt es einen Tanz im Kreise der Seinigen, auf dem Bollwerk, vor vielen Zuschauern. Den Tanz und die Violine liebt der Dzimke leidenschaftlich. Gesang hört man fast nie aus seinem Munde. Er tanzt musterhaft gewandt nach der Natur und nach der ihm angeborenen Anstelligkeit seiner Nationalität, aber er entlockt den drei oder drittehalb Saiten seiner Geige dafür auch Laute, daß man der kratzenden Schärfe des Durtons entlaufen möchte, wogegen der Mollton uns mit Wehmuth erfüllt. Ist der Tanzlehrer des Dzimken auch der Naturinstinkt und die Schule, die er gehabt, die erste beste Dorfschenke seiner Heimath, so führt er seine Masurka, seine Varsovienne, seine Polka doch mit Anmuth und Selbsterfindung durch, die uns in Erstaunen setzen. Seine Sandale hat eine Elasticität, eine Sprungfederkraft, deren nicht leicht ein Damenschuh fähig ist; sein Körper eine Geschmeidigkeit, Anempfindung und Hingebung, die sogar einem Vestris[WS 2] und einer Donna Pepita nicht trefflicher gelingen dürften. Dabei beobachtet er die Grenze und Sitte des ihm Angestammten, seiner Urväter, bei jedem Schritte und Tritte. Ungeachtet die polnische Nation längst aufgehört, eine zu sein, und bereits in aller Herren Länder gedient hat, wird der Dzimke in seinem Tanz doch nie den Polen schuldig bleiben, und etwa in eine Kosacka überschweifen; zum besten Beweise, wie harmlos und naturfrisch, wie unangebrochen sich dieses [590] Völkchen noch erhalten hat. Man wird ordentlich gespannt, wie die Frauen und Mädchen, die hier leider fehlen, erst hüpfen und springen mögen, und vollends, wenn beide Geschlechter, wie daheim, im Tanz einander ergänzen. Aber an unserm Festabende wissen die Dzimken alles Fehlende zu ersetzen. Die Sprachtöne, die dann laut werden, tragen auch nicht wenig dazu bei, einen solchen Dzimkentanz zu beleben, und die etwas dünnen Töne der Violine zu schwellen. Es strömt uns aus diesen slavischen Schrei- und Lachlauten eine Fülle von Wohltönen, von Zierlichkeit, Liebreiz, Stattlichkeit und Hoheit entgegen, die uns entzücken. Die Consonanten, als die männlich kräftigen Elemente, werden in der Aussprache so geschnellt und den Vokalen so galant unterthänig gemacht, daß diese, als die weiblich zarteren Klänge, in aller Schönheit sich hervorthun dürfen, und ihre artigen Führer in jeder Bewegung beherrschen, so daß die Sprache der Dzimken selbst wieder zum Tanze wird, der den Tanz mit hörbarer Grazie begleitet. Kurz, man kann es, wenn man sich anders auf Beobachtung versteht, an diesen Tänzen der Natursöhne Polens recht wahrnehmen, wie liebenswürdig ein Volk oft auch noch in seinen letzten Ueberresten, wie das Volk als solches unter allen Umständen ist; wie alle Anmuth der Bildung, aller Liebreiz der Haltung und des Auftretens, alle Blüthen der Kultur im Volke selbst ihren Ursprung haben, wie verfeinert sie auch späterhin werden mögen, eine Verfeinerung, die dem tiefen Kenner oft gar nicht mehr genügt, weil er die Ueberfeinerung, das Anbrüchige darin schon wittert.

Es erfüllt den empfindsamen Königsberger immer mit einer gewissen Wehmuth, und mahnt ihn daran, daß der Spätsommer da ist, und die Störche in ferne Länder ziehen, wenn die ehrlichen Dzimken ihre Holzjurten des Wassers abbrechen. Schon haben sie das Dach abgetragen, traurig sehen uns die darunter stehenden Holzsparren an, ein Balken nach dem andern fällt, eine Latte löst sich nach der andern, jetzt nehmen sie auch den langen Prahm auseinander, und krabbeln nur noch über das Floß hin, bis auch dessen letztes Holzstück an’s Land gebracht wird. Ihr Schiffsführer macht auch dieses Holz noch zu Geld, entläßt seine Leute, und sie ziehen gruppenweise über Land in ihre Heimath, um in den langen Winterabenden, wenn die Violine klingt, den Ihrigen zu erzählen von den wunderbaren Dingen, die sie in Königsberg erfahren haben.




Blätter und Blüthen.

Damentoilette sonst und jetzt. Man hört jetzt viele Klagen im Heere der Achäer, d. h. der Männer über zeit- und geldraubende tägliche Aufschmückung ihrer Weiber und Töchter. Allerdings ist es in manchem Damenankleidezimmer arg genug heut zu Tage, zumal wenn die Bewohnerinnen zu den vornehmen Unglücklichen gehören, die sich dem leibhaftigen Teufel mit Leib und Seele verschrieben haben. Wer ist aber der leibhaftige Teufel? Glaubt man in diesen aufgeklärten Zeiten doch nicht einmal mehr an einen bösen Geist, geschweige an das nordische Phantom mit Schweif und Pferdefuß. Nur der leibhaftige Teufel ist, mit Respekt zu sagen, die Mode, die herrschende aus Frankreich mit kostbarem, geschmacklosem, entstellendem Firlefanz aller Art. Sie ruinirt den schönsten Körper, die blühendste, graziöseste Gestalt und treibt mit der Zeit alle vernünftigen Gedanken aus dem Kopfe, alle nobeln Gefühle aus dem Herzen. Sie zerbricht Herzensverhältnisse, die Kasse des Mannes, die Liebe der Liebenden, die Gemeinschaft zwischen Mann und Weib und knüpft wohl gar abgebrochene Stücke aus Haus, Herd und Herz um die Ecke herum in der Fremde draußen an zur – Schmuggelwirthschaft. Im Allgemeinen darf man aber jetzt zur Ehre des weiblichen Geschlechts annehmen, daß sie zu gebildet, zu geschmackvoll, zu einsichtig sind, als daß sie sich von Mode- und Putzsucht sollten in Sclaverei führen lassen. Ein glatt sitzendes Kleid mit etwas Unterbau und Faltenwurf, ein Kragen, ein weißer Hals, rothe Lippen, weiße Zähne, ein hübsches, freundliches Gesicht, ein Bischen viel Seilerarbeit und Korbflechterei auf dem Kopfe, eine natürliche, ungezwungene, graziöse Haltung, frisches Plaudern vom lieben Herzchen weg – das ist Alles, was eine Schönheit jetziger Tage braucht und anwendet, um eine gute Toilette zu Stande zu bringen. Die große ästhetische Wahrheit: „Je einfacher und naturgemäßer, desto schöner,“ bricht sich langsam, aber siegesgewiß Bahn, zumal wenn Männer und Mütter, Helden auf Freiersfüßen, Kleider- und Courmacher hübsch brechen helfen. Im Ganzen und im Vergleich zu frühern Zeiten dürfen wir uns, die wir Moos und Moneten für den Verschönerungstrieb unserer weiblichen Anhänge zusammenschwitzen müssen, schon jetzt glücklich preisen. Da ein großer Theil unseres Glückes im Vergleichen unserer an sich noch nicht ganz glücklichen Lage mit einer viel schlimmeren besteht, wollen wir Leser und Leserin einmal in das Boudoir einer römischen Dame zur Zeit der Poppäa und Agrippina (der römischen Kaiserzeit und des Verfalls) einführen.

Damals stand die Dame von Stande zwischen zehn bis zwölf Uhr Vormittags auf, um sich sofort in ein Bad zu begeben. Hier ließ sie sich von Sclavinnen waschen und mit Bimstein scheuern, bürsten und poliren. Von hier wurde sie in die Hände der Kosmeten (vom griechischen „Kosmos,“ Schönheit) waren im Besitze mancher Geheimnisse zur Verschönerung und Verjüngung der Haut und des Teints und Erhaltung der Gesundheit. Sobald sie das Bad verließ, wurde ihr Gesicht mit einem Kataplasma, mit einer Art Maske (von der Kaiserin Poppäa erfunden) überzogen, die sie blos abnahm, wenn sie ausfuhr und Besuche machen wollte, so daß Mann und Kinder sie selten von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekamen. Sie wollte nicht für die Leute zu Hause schön sein, sondern für die Welt draußen, um ihr Bewunderung und Huldigung, Vorzug vor andern Schönheiten abzunöthigen. Wenn sie Abends nach Hause fuhr, wurde die Maske wieder vorgesteckt und nicht selten des Nachts behalten, so daß der Mann oder die Mutter an ihrer Tochter nur eine Maske küßte. Früh entfernte zunächst eine Sclavin das „Schild der Schönheit,“ um das Gesicht der Gebieterin mit Eselsmilch zu reiben; dann kam (nach Plinius)gewöhnlich eine andere Sclavin, um das vereselte Gesicht durch Reiben mit Asche verbrannter Schnecken oder Ameisen zu verschönern, manchmal auch mit Honig, in welchem die Bienen geschmort worden waren, mit Hühnerfett und Zwiebeln und zuletzt Schwanenfett, dem man das Kunststück zuschrieb, Runzeln zu entfernen. Die nächste Sorge war nun, etwaige rothe Flecke durch Reiben mit Rosenöl wegzuradiren, Sommersprossen u. s. w. durch ein Stück in Corsicaöl getauchtes Schaffell. Jetzt kam der dritte Akt. Eine neue Sclavin tritt auf mit einer Pincette in der Hand, die feinsten, noch zu entdeckenden Härchen aus dem Gesichte zu zupfen und der Herrin die Zähne zu putzen, erst mit Wasser, dann mit gestoßenem Bimstein oder Marmor (wie noch jetzt in Rom). Eine andere Sclavin mußte ihr die Zähne mit Stachelschweinborsten stochern. Dieser Operation folgte von noch andern Sclavinnen das Anstreichen der Brauen und Lider und des Haupthaares (wozu gern griechische Sclavinnen zum Blondfärben gebraucht wurden). Wenn diese nicht ächt zu bekommen waren, mußten sich Einheimische griechisch umtaufen lassen. Darauf kam das Anstreichen der Lippen, die vorher mit der Asche verbrannter Mäuse gerieben worden waren, gemischt mit Fenchelwurzel. Nach dem Ankleiden schritt die Lieblingssclavin hervor, versteckt hinter einem großen Spiegel von polirtem Silber oder Gold, um der Herrin Gelegenheit zu geben, die Resultate dieser Mißhandlungen zu bewundern und zu prüfen. Der Spiegel war rund, mit kostbaren Steinen eingefaßt und mit einem Perlmuttergriff versehen. Mehrere dieser Spiegel fand man noch gut erhalten in den aufgegrabenen Ruinen von Herculanum und Pompeji.

Nach Plinius waren Spiegel von polirtem Silber schon so gemein, daß man sie nur noch in Ankleidezimmern der Sclavinnen fand. Jede Dame vom Stande mußte eine spiegelglatte Goldfläche haben, um sich darin zu bewundern. Manche dieser Spiegel waren so groß, daß die Dame ihre ganze verputzte und verschmierte Unnatur darin bewundern konnte. Nach Seneca waren diese Spiegel gleichwohl so kostbar, daß der Preis für einen einzigen die Summe überschritt, welche einst der Senat von Staatswegen der Tochter des berühmten Scipio als Ausstattung und Mitgift vermachte. Man kann sich denken, wie die römischen Männer auf diese Weise durch ihre Weiber und die Mode gestachelt wurden, die ganze Welt zu erobern und auszuplündern, nichts gelten zu lassen, als Raub, der Geld brachte, Moral, Ehre, Natur und Anstand mit Füßen zu treten und so sich und den ganzen einst glorreichen Staat bis auf viele Jahrhunderte zu ruiniren, denn es ließe sich leicht nachweisen, daß Italien in seinem jetzigen Elende unter Fremdherrschaft und der Sclaverei seiner eigenen Verkommenheit noch an den Sünden jener Zeit leidet, die sich von Geschlecht zu Geschlecht wie eine ewige Krankheit forterbten und der unnatürlichen Tyrannei über Leib und Seelen Stätte bereiteten. Daran hatte die ehemalige Toilette römischer Damen Mitschuld und Mitgift, wie überhaupt das weibliche Geschlecht ohne alle politische Rechte in der Geschichte viel wichtiger ist, als sich Geschichtsprofessoren träumen lassen.


Unterricht in der musikalischen Composition

wird von Unterzeichnetem nach seiner schnell fördernden Methode fortwährend ertheilt. Jeder Schüler erhält einzeln Unterricht, und der Eintritt kann zu jeder beliebigen Zeit stattfinden.

Leipzig, im Oktober 1855.
J. C. Lobe, Professor. 

  1. Aus der nächste Woche erscheinenden Gedichtsammlung: „Palmen des Friedens“ von Ferdinand Stolle.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wenn
  2. Auguste Vestris, französischer Tänzer