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Die Gartenlaube (1859)/Heft 10

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1859
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[133] No. 10. 1859.

Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Hahn von Gallien hat gekräht![1]

Der Hahn von Gallien hat gekräht;
Wacht auf!
Reibt Euch die Augen, eh’s zu spät,
Wacht auf!

5
Eh’ sich sein stolz Gefieder bläht,

Und ihm sein falsches Spiel geräth,
Wacht auf, wacht auf, wacht auf!

Du Kaiseraar, Du Königsaar,
Wach auf!

10
In Deinen Horsten, stolzes Paar,

Wach auf!
Laß Deine Schwingen leuchten klar,
Das Vaterland ist in Gefahr,
Wach auf, wach auf, wach auf!

15
Wirf Deine Mähnen, Welfenroß,

Wach auf!
Schäum’ in’s Gebiß, Du Kampfgenoss’,
Wach auf!
Beiß in die Zügel, beiß in’s Schloß,

20
Die Hufen zeig’ dem feilen Troß,

Wach auf, wach auf, wach auf!

Heb’ Deine Tatzen, Kattenleu,
Wach auf!
Brüll’ um das ganze Truggebäu,

25
Wach auf!

Zeig Dich dem Rechte Deutschlands treu,
Die alte Ehre, mach’ sie neu,
Wach auf, wach auf, wach auf!

Du weißer Falk, wohlauf zum Stoß,

30
Wach auf!

Aus Deiner Wälder grünem Schooß
Wach auf!
Schieß in die Luft und mach’ Dich los,
Es dünken kleine Kräh’n sich groß –

35
Wach auf, wach auf, wach auf!


Du Bär von Bernburg, alt und braun,
Wach auf!
Dein Brummen wird die Welt erbau’n,
Wach auf!

40
Was Fänge, Tatzen hat und Klau’n,

Das soll dem Hahn die Federn krau’n,
Wacht auf, wacht auf, wacht auf!

Nun kräh’ Du nur am Seinestrand,
Wacht auf!

45
Hier steht ein Volk und hebt die Hand,

Wacht auf!
Und hebt die Hand, zum Streit bemannt
Für Freiheit, Recht und Vaterland,
Wacht auf, wacht auf, wacht auf!


Onkel Fabian.
Ein Lebensbild von Ernst Fritze.
I.

Der Regierungsrath von Sieveringk saß in seinem elegant ausgestatteten und mit allen Bequemlichkeiten versehenen Zimmer vor dem Schreibtische, jedoch ohne zu schreiben, und schlürfte mit dem Behagen, welches nur ein Epikuräer zu empfinden vermag, seinen aromatisch duftenden Mokka. Es war schon zehn Uhr vorbei, aber noch herrschte die Stille der Nacht in seinem Haushalte, und er schien, außer der Bedienung, der Einzige zu sein, welcher von den Freuden der Sylvesternacht ausgeschlafen hatte.

Herr von Sieveringk, ein Mann von funfzig Jahren, noch [134] gut conservirt bis auf die Spuren einer schnell um sich greifenden Kahlköpfigkeit, ließ wahrscheinlich die Leiden und Freuden des eben beschlossenen Jahres an sich vorüberlaufen. Sie schienen überwiegend heiter und freudenvoll zu sein, die Gedanken, womit er den zurückgelegten Zeitraum recapitulirte, denn ein Lächeln lag auf seinen schmalen Lippen und Zufriedenheit leuchtete aus seinen Blicken. Bisweilen blitzte ein sarkastischer Strahl über das feine, blasse Gesicht, und es sah sich an, als ob er sich über irgend etwas freue, was er Böses angestiftet hatte.

Eine Viertelstunde mochte unter diesen Gedankenspielereien verflogen sein, als er draußen im Vorsaale eine Männerstimme fragen hörte:

„Mein Onkel schon auf?“

„Aha, mon cher Cécil,“ murmelte der Regierungsrath aufstehend, und wieder flog das Spottlächeln über seine Züge, blieb aber dieses Mal in den Mundwinkeln hangen. „Der kommt mir sehr gelegen – kann seiner douche nicht entgehen, die ich ihm seit gestern Abend zugedacht habe.“

Er wendete sich kriegslustig gegen die Thür, welche sich in diesem Momente öffnete, um einen jungen Mann einzulassen, der ein richtiges Abbild des Regierungsrathes war und somit als Stammverwandter sich ankündigte.

Bon jour, mon cher Cécil, bon, jour!“ rief er dem Neffen entgegen. „Ausgeschlafen und restaurirt? Hast Dich tapfer auf dem Schlachtfelde des langweiligen Cotillons gezeigt und die Orden ritterlich verdient, die Dir von der Schönheit und dem Liebreize in Person demüthig geweiht wurden. Hoffentlich trägst Du den Ballast der Cotillonsgeschenke heute dicht auf dem Herzen? Nicht?“

Der junge Mann lachte zu dem Spotte seines Onkels und verneinte die letzte Frage. Aber sein Lachen erschien gezwungen und das Nachdenken, das auf seiner Stirn lag, widersprach dem Ausdrucke der äußeren Heiterkeit.

„Es würde den knabenhaften Ansichten eines achtzehnjährigen Jünglings entsprechen, wollte ich mich dergleichen schuldig machen,“ antwortete er, „und ich bin zehn Jahre älter und um zwanzig Jahre vernünftiger, als ein Achtzehnjähriger, Onkel Fabian.“

Der Oheim verbeugte sich mit spöttischem Respecte und fuhr mit malitiöser Feierlichkeit fort:

„Auch die Bundesschleife der schönen Helena, deren Paris Du warst, solltest Du der Vergessenheit preiszugeben entschlossen sein?“

„Nein!“ rief Cécil erglühend, griff in seine Brusttasche und hob ein kleines rosarothes Schleifchen hoch empor. „Ich denke, dies Bändchen soll mir heute zu einem haltbaren Bunde für’s ganze Leben verhelfen!“

„Das wäre übereilt, mon cher Cécil! „Drum prüfe, wer sich ewig bindet,“ singt ein gewisser Schiller, der die „Glocke“ gedichtet haben soll, „der Wahn ist kurz, die Reue lang.““

„Ich habe drei Monate Zeit gehabt, mich zu prüfen,“ erklärte Cécil entschlossen, dem Spotte seines Onkels Trotz bietend, mit jener schönen feierlichen Demuth, die das Resultat echter Liebe zu sein pflegt. „Vielleicht bin ich nicht würdig, Helenens Gatte zu werden, aber ich will dies Glück zu verdienen suchen.“

Der Regierungsrath lachte.

„Immer die Sprache übertriebener Liebe vor der Verlobung, mon cher Cécil. Aber curios, gleich nach, der Verlobung steigt man wieder sachte auf die erste Stufe zum Throne schöner Selbstverehrung, erreicht dicht vor der Hochzeit die letzte Stufe und setzt sich acht Tage nach der Trauung, wupp! auf den Platz, der einem nach rein subjectivem Ermessen ganz gehörig ist.“

„Deinen Erfahrungen alle Ehrerbietung, Onkel Fabian,“ fiel Cécil ein, „allein ich fühle keinen Ueberfluß an Selbstverehrung, muß im Gegentheil behaupten, durch meinen Mangel an Selbstvertrauen und an Selbstständigkeit oftmals unglückliche Minuten verlebt zu haben. Jetzt steht mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele –“

„Daher willst Du eilen, Helenens Hand und Herz zu erobern?“ unterbrach der Regierungsrath den jungen Mann, mit ausgeprägter Malice fragend. „Wahrhaftig, der beste Weg zum Glücke, wahrhaftig!“

„Wie soll ich das verstehen, Onkel? Was weißt Du von Helene? Ich halte Helene für ein vortreffliches Mädchen.“

„O ja, o ja!“ bekräftigte der Onkel mit Spottgebehrden.

„Helene ist schön –“

„O ja, o ja!“

„Sie ist liebenswürdig, mild, anmuthig –“

„O ja. o ja!“

„Ihre sprechenden schönen Augen verrathen eine reine Seele –“

„O ja, o ja!“

„Ihr liebliches Lächeln ein gutes Herz, ein gefühlvolles Herz und ein sanftes Gemüth!“

„Und wie tanzt sie?“ fragte Onkel Fabian, sarkastisch die Lobrede auf das Mädchen fortsetzend. „Wie Terpsichore selbst! Und welch’ eine Tournüre, welch’ ein Anstand, welch’ ein Grazie, welch’ eine Weiblichkeit! In jedem Athemzuge von ihr liegt eine Tugend, in jedem Worte, das sie hören läßt, eine Erhabenheit, und in der Art, wie sie den Bissen zum Munde führt, den sie zur Erhaltung ihres Lebens verschluckt, eine Genialität. Ja, so ist es immer, wenn man siedet in Liebe und glüht in Anbetung, mon cher Cécil!“

„Ich gebe gern zu, daß für einen gereiften Mann das Wallen eines jugendlich fühlenden Herzens etwas Komisches haben kann, Onkel Fabian,“ sagte der junge Mann gemessen und griff nach seinem Hute, „aber der Spott in Deinen Worten und Mienen ist eine unverdiente Kritik, da ich Dir meines Wissens noch keine Gelegenheit gegeben habe, mich zu der Classe der unvernünftigen Liebhaber zu zählen. Noch weniger aber begreife ich, womit Helene von Kursen Deinen Spott verdient. Helene ist der allgemeinen Anerkennung zufolge ein vortreffliches, geistig begabtes und sehr reizendes Mädchen.“

„Das bestreite ich keineswegs, mon cher Cécil,“ lachte der Regierungsrath, „und ich pflichte Dir sogar bei, daß sie Deiner anbetenden Liebe vollkommen würdig ist, aber so gern ich mich auch für dieses Urbild aller Vollkommenheit enthusiasmiren möchte, ich werde immer durch den Gedanken an eine Scene verhindert, wo ich sie belauschte, wie sie den Brezelkorb ihrer Tante um eine Brezel leichter machte, jedoch mit Kunstfertigkeit die Ordnung in demselben wieder herstellte, dann eine Torte um ein Stückchen betrog, allein ganz kunstvoll die geeignete Rundung wieder hervorbrachte. Und wie sie dann die geraubten Süßigkeiten in ihren „lieblich lächelnden Mund“ stopfte, um während des hastigen Kauens „ihre sprechenden schönen Augen“ begehrlich nach weiteren Eroberungen auszusenden. Mir wurde bange – die Kaffeegesellschaft der guten Tante Starkloff fing an, mich zu dauern, deshalb trat ich vor, begrüßte sie und fragte: Schmeckt’s, mein Fräulein?“

Ein schmerzlicher Widerwille hatte sich während dieser Erzählung über die Gesichtszüge Cécil’s gebreitet. Er zwang sich aber zu einem Lächeln und wollte, die geflissentliche Verhöhnung unbeantwortet lassend, den Onkel mit einigen Höflichkeitsfloskeln verlassen. Doch dieser hielt ihn durch die Bande des Respectes mit der Beharrlichkeit eines Mephisto fest und trieb seine Quälereien durch die speciellsten Schilderungen des verwirrten und verzweiflungsvollen Zustandes, worin die Dame verfallen war, bis auf die höchste Spitze.

Was der arme junge Liebhaber unter dieser Tortur litt, ist leicht zu begreifen. Man denke sich nur die Situation dieses liebeentflammten Herzens, welches das Bild seiner Erwählten wie eine Gottheit in sich trug und man denke sich diesen Wassersturz einer demüthigenden Wirklichkeit auf eine glühende, im höchsten Schmucke der Idealität prangende Phantasie! Wer kann es ihm verargen, daß er still resignirend sein Atlasschleifchen tiefer in die Brusttasche schob, daß er, die Treppe endlich hinabeilend, Entschlüsse voll barbarischer Härte faßte und nicht, wie er sich vorgenommen hatte, auf den Flügeln der Liebe die Straße hinab zu dem Hause der Stillgeliebten eilte, sondern zur Eisenbahn ging und ein Billet löste, um eine verwandte Familie zu besuchen.

Der Regierungsrath, der von der Einladung dieser Familie Kenntniß hatte, mochte diese muthvolle Entschließung ahnen. Er blickte seinem Neffen nach, rieb sich schadenfroh die Hände und murmelte mit dem Ausdrucke des höchsten Behagens:

„Gut so, mon cher Cécil! Gut so! Der Wassertropfen in die glühenden Visionen Deines Herzens wird Deine Vernunft befruchten und Dich befähigen, Deine Entschlüsse reiflich zu erwägen. Man muß kein Mitleid mit solchen Liebesphantastereien haben, und ich gebe mich der beruhigenden Ueberzeugung hin, daß die brennenden Gefühle für Fräulein Helene auf einige Tage gedämpft sind, und nur Rauch aufsteigen lassen. Stürmische Herzen müssen in Wasser gebadet werden, und es ist doch wirklich ein ganz absonderlich [135] süßes Vergnügen, Feuersbrünste im Menschen mit der nassen Wirklichkeit zu löschen. Mon cher Cécil hat noch Zeit, glücklich zu werden, und Fräulein Helene mag ihr stolzes, rosig blühendes Köpfchen ein wenig senken. Es schadet Beiden nichts, ma foi! Der gute Cécil würde aber schwerlich so jähe geflohen sein, wenn er wüßte, von welchem Datum die Geschichte wäre! – Es ist ridicule, wie blind und taub der Mensch im Liebesstadium ist.“

Hier wurde sein Monolog von dem Eintritte seiner beiden Kinder, eines Zwillingspaares, unterbrochen, die jubelnd mit einer Neujahrsgratulation hereinstürmten. Sogleich verschwand der Spott von den Lippen des Herrn von Sieveringk und eine strahlende Freude verklärte sein Angesicht, als die kleine, Meta pfeilgeschwind an ihm hinaufkletterte, um den Platz an seiner Brust zu erobern. Der phlegmatische Leopold stand ruhig dabei, mit schmollender Miene die gelungenen Kletterkünste seines Schwesterchens betrachtend, und sagte dann bittend:

„Papa nimmt mich auf den andern Arm.“

„Praktisch gedacht, petit Léo!“ rief der Regierungsrath, und hob ihn auf das andere Knie.

Zwischen den Kindergesichtern eingeklemmt, von beiden Seiten geküßt und mit kindischen Neujahrswünschen überschüttet, erschien der Mann ein ganz Anderer, wie in der eben beschriebenen Scene. Man hätte an eine Verzauberung glauben können, an eine Metamorphose in bester Form, wenn man den Glanz in seinen Augen und das gütige Lächeln seines Mundes belauschte, womit er sich den sehr zutraulichen und liebevollen Liebkosungen seiner Kinder hingab. Die Achillesferse dieses gefährlichen Mannes war also die Vaterliebe, und in ihr allein ruhten die Elemente seiner Besserung, wenn sie sonst noch möglich war.

Seine Gattin, Frau Olga von Sieveringk, erschien auch in seinem Zimmer. In reizendem Morgenanzuge, umwoben von einem merkwürdigen und fremdartigen Zauber, dem eine sonderbare Hurtigkeit und Hastigkeit etwas Gespenstisches beimischte, trat sie auf die Gruppe zu, die ihr Gatte mit den Kindern bildete, und lächelte auf sie herab. Nur einen Moment dauerte das, nein, nur den vierten Theil eines Momentes, dann war sie wieder fort, verschwunden, aus dem Zimmer, ohne daß man es gehört hatte, als sie ging. Ihre kleine Gestalt, im vollendetsten Ebenmaße, von der zierlichsten Art, bewegte sich so schnell und geräuschlos, daß man sie selten kommen und gehen hörte. Sie war da und sie war fort! Nahm man zu dieser Eigenthümlichkeit noch ein scheues, unstätes Wesen, umhüllt vom Schleier einer angebornen Schüchternheit und ihre vollkommen ideale Geistigkeit, so mußte man den Namen „Undine“, den ihr das Publicum gegeben hatte, vollständig natürlich finden. Wer Frau Olga von Sieveringk zum ersten Male an der Seite ihres stattlichen, stolz und hoch gewachsenen Mannes sah, fragte gewiß: „Wie ist der Mann zu dieser Frau gekommen, die so unheimlich blickt, so seltsam lacht, so wenig spricht und so spurlos verschwindet?“ Man erwartete als Erklärung ein besonderes Begegniß, ein abenteuerliches Erlebniß zu hören. Keinesweges. Die Geschichte zeigte sich ganz gewöhnlich und alltäglich.

Der Herr Fabian von Sieveringk war in seiner Jugend der Lion der Residenz gewesen. Seine hervorragende Persönlichkeit, verbunden mit einem glücklichen Humor und der vollendeten Kunst, sich interessant zu machen, hatte ihm dazu verholfen, als ein Schmetterling ersten Ranges sich den holdesten und edelsten Blumen der Haute Volée nähern zu können, und es würde ihm überall eine günstige Antwort geworden sein, wenn er als Bewerber aufgetreten wäre, allein – er verpaßte seine Zeit, und es passirte ihm eines Tages, daß er sich von schönen Lippen, denen er mit Aufbietung aller seiner Liebenswürdigkeit ein Lächeln des Beifalls zu entlocken strebte, hinterrücks „Onkel Fabian“ nennen hörte. Diese Erfahrung verscheuchte plötzlich seinen reizvollen und entzückenden Humor. Er dachte nach, nahm auf mehrere Jahre Urlaub, um die Welt zu durchstreifen, und verschwand vom Horizonte des glänzenden Cirkels, wo er bis zum „Onkel Fabian“ degradirt worden war.

Er besuchte Paris und Rom nebst Allem, was dazwischen lag, ging nach dem Nordpol, besuchte die Finnen, zu denen er seit Mügge’s „Afraja“ eine ganz absonderliche Zuneigung gefaßt hatte, und schlich dann peu à peu, wie er selbst sagte, wieder der Heimatherde zu, als ihm einfiel, daß eine seiner Ur-Urgroßmütter vor hundert und einigen Jahren in irgend einem Winkel der Erde, umflossen von Meeresarmen, einen Mann geheirathet hatte, der Simon von der Höllbork hieß, und er erinnerte sich gerade noch zur rechten Zeit, daß dieses Simon’s Wittwe den Tod ihres Mannes der Familie angezeigt und dabei den Wunsch ausgesprochen hatte, mit dem Stamme Sieveringk in nähern Rapport zu treten.

Herr Fabian machte in seiner Reisetour eine Schwenkung nach Osten, und kam glücklich auf Höllbork an, als gerade Fräulein Olga von der Höllbork wie ein aufgeblühtes Röschen der Stolz und die Zierde der engbegrenzten Heimath war.

Was war natürlicher, als daß sich der fünfundvierzigjährige Lion der Residenz für fähig hielt, das schöne Cousinchen mit seiner Liebe zu beglücken, obwohl er ein Vierteljahrhundert älter war, als sie. Er fand es ganz in der Ordnung, daß Fräulein Olga ihn vor den vierschrötigen Landjunkern ihrer Heimath auszeichnete, und konnte nicht begreifen, weshalb die Mutter des jungen Fräuleins mit einiger Angst und Beklemmung Einwendungen gegen diese Heirath erhob.

Herr Fabian von Sieveringk besiegte ihren Widerstand, der keineswegs seiner Persönlichkeit zu gelten schien, und führte seine bildhübsche kleine Frau triumphirend in die Residenz, wo er förmlich mit ihr Staat und auch Aufsehen machte.

Im zweiten Jahre dieser Ehe wurde dem Regierungsrathe sein Zwillingspärchen geboren, und dabei zeigte sich zum ersten Male, daß unter seiner pomphaften Oberflächlichkeit ein regsames Gemüth verborgen lag. Die Kinder waren seine Leidenschaft und die Kinder waren sein Glück. Alles Andere, selbst seine hübsche Frau, brachte er unter die Loupe des ausgearteten Humors, und regierte Alles mit der Spottsucht. So schonungslos er aber dabei verfuhr, eben so empfindlich war er selbst über Beurtheilungen des allgemeinen Publicums, und er hütete sich mit allen seinen Verhältnissen krankhaft penible vor der Offenbarung von Begebenheiten, die der Spötterei zum Opfer dienen konnten.

In seinem jetzigen Aufenthaltsorte, einer stark bevölkerten Mittelstadt, befand er sich erst seit Jahresfrist, und er hatte die Frau Justizamtmann Starkloff nebst ihrer Nichte, Helene von Kursen, die er beide in der Residenz kennen gelernt, zu seinem Erstaunen hier ansässig getroffen. Frau Starkloff hatte sich nur wegen der Ausbildung Helenens in der Residenz aufgehalten, und als diese vollendet war, hatte sie sich beeilt, in ihr ererbtes Elternhaus zurückzukehren, worin sie mit Helenens Mutter die Freuden der Jugendzeit erlebt hatte. Auch in dieser Stadt brillirte Herr von Sieveringk mit seiner jungen hübschen Frau, mußte aber nach wenigen Monaten schon die unangenehme Bemerkung machen, daß sich eine gewisse Mißliebigkeit gegen dieselbe zeigte. Da er seinen Aufenthalt aber nur als eine Zwischenstation betrachtete, um reif zu irgend einem Präsidentenstuhle zu werden, so forschte er der mysteriösen Abneigung gegen Frau Olga nicht nach, sondern schob sie ohne Weiteres auf die unfertige Bildung der Ortsbewohner, die nicht fähig waren, eine Natur wie seine Frau zu beurtheilen.


II.

Während Herr Fabian von Sieveringk über sein gelungenes Spottwerk triumphirte, war das Herz des Fräulein Helene von Kursen von tiefer Trauer erfüllt und ganz nahe daran, ein Anathema über alle Männerherzen auszusprechen. Aber nur die ersten acht Tage verfiel sie willenlos in den Zustand innerer, aufreibender Schmerzen, dann erhob sich ihr Gemüth und sie stellte muthig feste und gediegene Vorsätze vor ihr Herz, um sich nie wieder einer solchen Verzweiflung überantwortet zu sehen.

Sie gestand es sich selbst gern zu, daß sie Cécil von Sieveringk lebhaft zugethan gewesen sei, daß sie schwerlich Jemand wieder so lieb gewinnen werde, daß sie aber von seinem abscheulichen Betragen dergestalt beleidigt wäre, um ihn für immer zu verachten. Mädchenherzen verachten und hassen immer, wenn sie in ihren Liebesvoraussetzungen getäuscht werden, allein die Verachtung und der Haß pflegt stets eben so rasch wieder zu verschwinden, wie er gekommen ist, wenn der Gegenstand der Liebe reuevoll sein Unrecht einsieht.

Weit weniger ist dem Hasse zu trauen, den die Mütter oder Tanten der Betrogenen in sich aufspeichern, und zwar zeigt er sich um so gefahrdrohender, wenn Frauen vom Charakter der Tante Starkloff ihn in sich aufzunehmen Gelegenheit finden.

Die Frau Justizamtmann Starkloff gehörte zu den „weisen Damen des Morgenlandes“, wie der Onkel Fabian von Sieveringk [136] die hülfreichen Frauen des Frauenvereines spöttisch getauft hatte. Sie war eine jener resoluten und entschlossenen Naturen, die immer bereit sind, Jedem die Wahrheit und die eigene Meinung straff in’s Gesicht zu sagen, wobei sie selbst gelegentlich ihre Grobheit als eine Charakterstärke bewundern und sich etwas darauf zu Gute thun. Wer solchen Frauen näher steht und ihren inneren Werth von der äußeren bitteren Schale trennt, der liebt sie. Von allen anderen Menschen aber werden sie wegen ihrer offenherzigen und vorlauten Urtheile gefürchtet. Frau Amtmann Starlloff befand sich in diesem Falle. Da sie aber in der Stadt geboren und erzogen worden war, so fiel derjenige Kreis von Leuten, der sie ihrer wackeren Tüchtigkeit wegen liebte, überwiegend aus. Sie fußte darauf und maßte sich in weiterer Ausdehnung, als gut und nöthig war, die Rolle des Rathgebers an.

Voll Gift und Galle trat sie acht Tage nach dem Neujahrstage zu ihrer Nichte, die sie mit ganzer Hingebung liebte, in das Zimmer, in der rechten Hand einen Blumenwedel, in der linken einen nassen Schwamm, dem gelegentlich ein Tröpfchen entfiel, was sie jedoch in ihrem wilden Eifer gar nicht bemerkte.

„Weißt Du denn, Helene, wo Dein abtrünniger Anbeter, der Herr Cécil, eigentlich steckt?“ fragte sie, Hochroth im Gesichte und mit so starker Stimme, als solle das ganze Haus sie hören.

Helene richtete, unangenehm von der Ausdrucksweise ihrer Tante berührt, den Kopf von ihrer Stickerei auf und entgegnete mit möglichster Unbefangenheit:

„Laß ihn stecken, wo er will; was kümmert es mich, Tantchen?“

„Pfui, heuchele nicht, Helene; ich habe wohl gesehen, daß Du von seinem Betragen verletzt bist,“ eiferte die Amtmännin und schwang den Blumenwedel, als wolle sie ihr die Grillen wegscheuchen.

„Ach, wie gut, daß sie nicht Alles weiß!“ dachte Helene, sagte aber laut:

„Verletzt könnte ich mich doch nur fühlen, wenn ich Rechte hätte, sein Betragen zu tadeln, liebe Tante.“

„Bah, bah – Du heuchelst, Kind!“ schrie Frau Starkloff. „Denke Dir, er ist beim Oberförster Hanstein, der vier schöne Töchter hat und für’s Leben gern Alle vier verheirathen möchte.“

„Aber doch hoffentlich nicht Alle an den armen Herrn Cécil,“ scherzte Helene, obwohl es ihr wie schwarze Nebel vor den Augen flimmerte.

„Bah, bah, zwinge Dich nur nicht zum Spaß, Kind. Die Jüngste von den Fräulein Hanstein’s ist schon längst Cécil’s bestimmte Braut – aber er hat sie bis jetzt nicht gewollt.“

„Wer hat Dir denn diese speciellen Nachrichten überbracht?“ rief Helene mit erkünsteltem Lachen.

„Bah – bah – lache nur nicht, Kind. Der Regierungsrath ist eben bei mir vor dem Fenster gewesen und hat mir’s erzählt und hat sich gerühmt, daß er seinen Neffen fortgeschickt habe.“

„Das glaube ich,“ flüsterte Helene sehr leise und senkte ihr erbleichtes Gesicht wieder tief auf ihre Arbeit. „Seine spöttischen Mienen ließen dergleichen fürchten, als Cécil am Sylvesterabend so verrätherisch glühend wurde. O, mein Gott, wie schärft der Stolz meinen Kummer! Wenn doch nur erst das Gerede darüber ein Ende nähme! Mit mir selbst will ich schon fertig werden.“

Sie stickte sehr eifrig und erwiderte gar nichts mehr, als ihre Tante heftig drohenden Tones fortfuhr:

„Wenn ich wüßte, daß der Regierungsrath seine Hand hier im Spiele hätte, so würde ich ihm den Streich vergelten und ihm ein Capitel über seine „Undine“ vorlesen, das auf mehrere Nächte den Schlaf aus seinen Augen bannen sollte. Er mag mich nicht reizen – er mag sich hüten! Wenn ich ein Wort sage, bricht der ganze Bau zusammen, das weiß ich und darum habe ich immer um Schonung gebeten, wenn man sich Raths bei mir erholte. Nun, Helene, antworte doch – was meinst Du?“

„Ich meine gar nichts und wünsche gar nichts, mein Tantchen,“ sprach das Mädchen ganz kalt und stolz, „als daß man mich in Frieden lasse. Der junge Herr von Sieveringk hat sich keiner weiteren Sünde schuldig gemacht, als daß er mich einige Tage als Tänzerin auszeichnete. Wäre ich so thöricht gewesen, weitere Pläne auf diese Auszeichnung zu bauen, so verdiente ich Dein Bedauern, und zwar meiner Dummheit wegen. Sei so freundlich, und laß die Sache nun ruhen. Was den Regierungsrath betrifft, so werden ihm ohne Dein Zuthun eines Tages die Augen über seine unglückselige Frau aufgehen – eine Strafe für sein Vergehen gegen mich soll es aber keinen Falls abgeben. Mir thun nur die Kinder leid. Gott mag ihre jungen Seelen vor dem Erbgifte bewahren!“ Sie schwieg und stickte weiter.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Besteigung des Großglockner.[2]

Am 8. August 1857 bei guter Zeit kam ich in Heiligeblut an. Das Wetter war prächtig, auch auf Beständigkeit zu rechnen, da es bis dahin mehrere Tage hindurch heftig geregnet hatte und (hier ein gutes Zeichen) der Wind vom Glockner kam. Wohl wissend, wie selten schöne Tage in diesem Erdenwinkel, auch gewitzigt durch die Erfahrung des vorigen Jahres, beschloß ich, keine Zeit zu verlieren, und beauftragte sofort den Wirth, mir meinen alten Freund, den Fleißner, holen zu lassen.[3] Er ist einer der drei Haupt-Glocknerführer. Ich hatte ihn bereits als zuverlässig erkannt, als er mich im vorigen Jahre beim furchtbarsten Wetter, welches ich je erlebt, durch die Eis- und Felsenwüste der Zirknitzer Tauern, über das Goldbergwerk und den Verwaltersteig nach Gastein geführt.

Ich ließ diesem sagen: „derselbe Mann sei wieder da, mit dem er im vorigen Jahre bei dem furchtbaren Wetter über den Tauern nach der Gastein gegangen; er solle sogleich herunterkommen, wir wollten noch heute den Marsch zum Glockner antreten, den wir damals besprochen, alles Andere würde ich inzwischen besorgen.“ – Vor zehn Uhr Morgens wanderte der Bote ab. Durch die Wirthin ließ ich nun reichlich Wein und Essen für vier Mann auf zwei Tage herrichten und verpacken. Ein Alpstock für mich, eine Anzahl starker Waschleinen, die nöthigen Eiseisen wurden zusammengeborgt, und nun hieß es, die andern beiden Führer auftreiben, die denn auch nach einigen Bemühungen in den Personen eines Dorfdieners und eines Thürmergehülfen, beides rüstige Männer, gefunden wurden.

Zu meiner Freude kam gegen drei Uhr endlich der Fleißner. Nach unserer Begrüßung ging es nun an Besprechung der Reise. Der Fleißner war zwar zu Allem bereit, hatte aber viel Bedenken wegen der Ausführung. Bald war es der kürzlich gefallene neue Schnee, der die Spalten im Eise verdecken und den Marsch gefährlich machen sollte, bald waren es Stürme, die er fürchtete. Ich merkte wohl, er hatte aus mir damals unbekannten Gründen keine Lust zum Marsche, indessen kehrte ich mich an seine Bedenken um so weniger, als die andern beiden Führer dieselben nicht sonderlich zu theilen schienen. Es wurde daher gepackt und gerüstet.

Endlich war Alles zum Aufbruche bereit. Den Stock in der Hand, den Hut auf dem Kopfe, umgeben von drei mit Allem beladenen Führern und einem großen Theile der von der Neugierde herbeigeführten Ortsbewohner, saß ich und wartete auf ein Paar Schuhe, mit denen der eine Führer die seinen vertauschen wollte.

Wahrend dessen fielen unter denselben, wiederum angeregt von Fleißner, einige bedenkliche Aeußerungen wegen der endlichen Ausführung der Sache, die ich anfangs nicht beachtete, die aber nach und nach eine immer größere Unterstützung unter den Umstehenden fanden. Der Fleißner, der anfangs nur leise Bedenken gehabt, sodann immer größere Zweifel aufgestellt, erklärte endlich wegen des neuen Schnee’s und der drohenden Stürme es für sehr unwahrscheinlich, daß wir auch nur die kleinere Spitze erreichen würden. Da nun nach und nach alle Umstehenden dieser Erklärung beistimmten, so brach endlich mein Verdruß über den ganzen Verlauf, den die Sache genommen, um so mehr aus, als ich der festen Ueberzeugung war, daß es dem Fleißner nur am guten

[137]

Uebergang über die Eiskante.

Willen gefehlt. Ich warf Hut und Stock in eine Ecke und begab mich auf mein Zimmer.

Ein Schreck ergriff mich, als ich am andern Morgen beim Erwachen in die Gegend hinausschaute. Der ganze Himmel grau, dabei der Glockner in allen Umrissen ganz deutlich und verdächtig nahe anzuschauen. – Indessen, die Sache konnte noch nicht aufgegeben werden. Ich wanderte hinauf zum Fleißner. Das ganze Haus war voll lustiger Leute, welche die Messe in der Capelle gehört, die oben in den Bergen liegt. Sehr munter, aber offenbar angeheitert, trat mir der Fleißner entgegen, auf seine Bekleidung zeigend, die allerdings anders, als am vorigen Tage, und offenbar besser zu einer solchen Bergpartie geeignet war. Wir kamen auf den vorigen Tag nicht weiter zurück, und es stand stillschweigend zwischen uns fest, daß heute, trotz des grauen Himmels, marschirt werden sollte. Punkt drei Uhr wollte er bei mir sein, ich sollte mich um nichts weiter bekümmern, für alles Zeug und die andern Führer wollte er sorgen. Auch die Verpflegung dieser wünschte er denselben selbst überlassen und statt dessen für einen jeden eine Zulage von einem Gulden.

Punkt drei Uhr erschien der Fleißner, aber allein, die beiden Andern sollten noch kommen. Der Eine war der berühmte Führer, der Eder, der Andere ein gemeinschaftlicher Verwandter von Beiden, der Tribusser, der schon mit Beiden oben gewesen. Jetzt erfuhr ich denn auch, weshalb der Fleißner am vorigen Tage nicht fortgewollt, und spätere Erfahrung zeigte mir, daß seine Behauptung ganz richtig war. Man kann nicht mit beliebigen Leuten die Sache unternehmen, es genügt nicht, daß die Führer festen Fuß und schwindelfreien Kopf haben, daß sie der Gletscherwanderung kundig sind. Sollen die Führer einen Andern nicht blos führen, sondern auch hinaufschaffen, so müssen sie die schwierigsten Passagen schon öfter miteinander gemacht haben und zur ganzen Sache miteinander eingearbeitet sein. Das war Tags zuvor nicht der Fall. Mit dem Eder zusammen fürchtete der Fleißner keine Gefahr.

Wir ordneten, was die andern Beiden nachbringen sollten, und bald nach drei Uhr ging ich mit dem Fleißner vorwärts. Der Weg führt durch die Wiesen des Dorfes über den Leiterbach und [138] fängt bald an, allmählich zu steigen. Unterwegs besahen wir den Jeßnitz-Fall, der sehr versteckt aus einer wilden Kluft hervorbraust, übrigens an Größe dem weiter nach der Pasterze zu gelegenen Leiterfall bedeutend nachsteht. Lange bevor man den Fall selbst sieht, scheinen große Staubsäulen in der Gegend, wo er liegt, aufzusteigen. Nach etwa zwei und einer halben Stunde scharfen Steigens erreichten wir die Alm des Fleißner, erquickten uns mit Milch und Brod und setzten unsern Weg fort. Bis dahin hatten wir bei bedecktem Himmel doch noch schönes Wetter gehabt, plötzlich aber wurde es, wie es im Hochgebirge vorkommt, dunkel und ein heftiger Regen stürzte herab. Zu unserm Glücke sahen wir einen mit Heu halb angefüllten Stadel am Wege liegen, den wir, gleich nachdem das Wetter begonnen, erreichten und hier, im Heu vergraben, dessen Vorüberzug abwarteten. Bald nachher kamen wir an den sogenannten Katzensteig, dessen Passage Bädecker für sehr gefährlich erklärt; ich fand ihn nicht so. Es ist allerdings ein sehr schmaler Pfad, der, bald fallend und steigend, sich an einzelnen Stellen bis zu einer Höhe von mehreren hundert Fuß über den unten brüllenden Leiterbach erhebt und ziemlich steil nach demselben abfällt, indessen hat man auf der rechten Seite fortwährend steil ansteigende Felswände, an denen man sich halten und denen man beim Schwindel das Gesicht zuwenden kann. Der Leiterbach selbst ist an vielen Stellen mit Schneebrücken, Resten alter Lawinen, bedeckt.

Nach einer Stunde, als die Dunkelheit schon einbrach, überstiegen wir auf schmalem Stege den Bach und standen im engen, von hohen Wänden eingeschlossenen Thale vor zwei Sennhütten, deren eine unser Nachtquartier sein sollte. Die Sennerin, ausnahmsweise ziemlich hübsch, machte uns zuvörderst einen Kaffee, oder vielmehr eine Milchsuppe mit Kaffee und den bekannten Schmarrn. Der Aufenthalt war ziemlich behaglich. Die Hütte gehörte zu den besten im Lande. Sie sind verschieden, die Hütten im Gebirge. Die unsrige hatte (und mir war leider hinlängliche Zeit, dies festzustellen) 12 Fuß in der Breite und 8 Fuß in der Tiefe. Den dritten Teil derselben nahm der ungeheuere Heerd in der einen Ecke ein, eingefaßt mit einem breiten Holzrande. An beiden Seiten, wo der Heerd an die Wand stieß, befanden sich bequeme Bänke, auf denen man die Zeit gar behaglich verbrachte. An dies Gemach stieß die Milchkammer, in der die Sennerin schlief, über derselben war ein Heuboden, zu dem man mit der Leiter gelangte. An der Seite grenzte an das Gemach der Kuhstall, in dem sich etwa ein Dutzend Kühe befanden, während eben so viele die regnerische Nacht hindurch in der Nähe der Hütte im Freien lagerten. Auch über einem Theile des Kuhstalles befand sich ein Heuboden.

Es regnete draußen leise fort; indessen auf besseres Wetter hoffend und für den Augenblick wohl aufgehoben, lagen wir Beide behaglich am Feuer, rauchten guten Orinoco von Justus und erzählten uns ganz gemüthlich Jagd- und andere Geschichten. Der Regen hatte inzwischen aufgehört und es war dunkel geworden, als ich aus der Hütte trat, weshalb ich das Herannahen der beiden andern Führer, die plötzlich vor mir standen, nicht wahrnahm. Nun wurde Kriegsrath gehalten. Gegen zwölf Uhr sollte der Mond aufgehen. Der Aufbruch wurde auf Mitternacht angesetzt, um noch vor dem Wirken der Sonne über das tiefer gelegene Eis zu kommen, bevor die Schneebrücken erweicht, welche die Spalten der Gletscher decken.

Den Eder, diesen König der Führer, sah ich jetzt zuerst; eine magere Gestalt mittler Größe, mit sehr markirten Gesichtszügen und, wie sich bald zeigte, mit Sehnen von Stahl. Er berieth nicht mit den Andern, sondern er entschied mit kurzen Worten, was geschehen sollte. Er sprach seine große Abneigung aus, die Besteigung zu unternehmen, falls das Wetter nicht klar würde. Unter allen Umständen wollte er nicht gehen, wenn es stürmisch sei, wodurch die Besteigung unmöglich werde. Gegen neun Uhr begaben wir uns zur Ruhe, die drei Führer die Leiter hinauf zu dem Heuboden über der Milchkammer, ich auf den Heuboden über dem Kuhstalle, wohin ich von der Krippe mittelst starken Voltigirens gelangte, während der Meißner getreulich nachhalf.

Meine Aufregung war nicht gering, und es dauerte wohl eine Stunde, ehe ich einschlief. Als ich erwachte, schien mir Mitternacht längst vorüber. Mittelst eines Streichholzes sah ich nach der Uhr; es war in der zweiten Stunde. Leider überzeugte ich mich nun, daß das verdächtige Geräusch dicht über mir, dessen Ursache klar zu machen ich mich so lange als möglich gesträubt, von dem auf das Dach schlagenden Regen herrührte. Ich rief nach dem Fleißner, fragte, wie es mit der Reise stände, und erhielt die Antwort, daß er bereits draußen gewesen und wir, abgesehen von dem Regen, wegen der Dunkelheit nicht gehen könnten. Ich mußte einverstanden sein und versuchte, wieder zu schlafen.

Die Dämmerung war angebrochen, wir erwachten, aber die Winde, die uns den Regen in’s Gesicht peitschten, jagten uns bald in die Hütte zurück. Gegen sechs Uhr war der Tag, so wie er bei dieser Witterung sein konnte, völlig heraufgekommen. Der feine Sprühregen hielt an. Nebel durchjagten das Thal und die Stürme, wie es in diesen Höhen bei 6000 Fuß zu sein pflegt, hielten ihren Kampf. Bald siegten die, welche in’s Thal herein, bald die, welche hinaus wollten. Eder erklärte, daß das Wetter gut würde, wenn, was bis jetzt nicht der Fall, der obere Wind vom Glockner käme und den Sieg behalte. Er hielt andern Falles die Besteigung nicht für ausführbar und redete nur die Rückkehr nach Heiligeblut vor, um dort anderes Wetter abzuwarten. – Schon im vorigen Jahre hatte ich den Versuch wegen des Wetters aufgeben und Heiligeblut verlassen müssen, weil der Urlaub dem Ende nahte. Dieses Mal konnte ich noch elf Tage auf die Unternehmung verwenden, wenn ich alles Andere unterließ, was ich mir noch vorgenommen. Ich erklärte daher dem Fleißner, daß ich nicht nach Heiligeblut zurückkehren werde, indem ich noch elf Tage auf die Sache verwenden könne und jeden Tag zu einem Versuche, den Berg zu besteigen, benutzen wolle und, wenn die Andern nicht bei mir ausharren möchten, ich dies doch von meinem alten Gefährten, dem Fleißner, erwarte, der mir bei besserem Wetter andere Führer suchen sollte. Das wirkte. Sie verstanden sich zum Weitergehen, bis ich selbst die Umkehr vorschlagen würde, es sei denn, daß wir oben Sturm fänden, welchen Falles, wie ich selbst sehen würde, vom Weitergehen keine Rede sei, der würde uns wie Strohhalme in die Tiefe werfen, kein Anklammern könne da helfen. Auf meine Vorstellung an den Fleißner, daß wir ja auch im vorigen Jahre bei starkem Regen, Schnee und Sturme über das Eis der Zirknitzer Tauern und der Goldberge glücklich nach der Gastein gekommen, entgegnete dieser mir mit leiser und ehrfurchtsvoller Stimme, mit der Hand in der Richtung nach dem Glockner zeigend:

„Ach, Herr, da oben ist es ganz anders.“

Das Wetter änderte sich nicht, aber um sieben Uhr rückten wir auf mein Verlangen aus, den Katzensteig weiter verfolgend, bis das Thal sich in einen öden Kessel erweitert, immer ziemlich bergan steigend. Der, Boden, schon mit vielen kleinen Bächen versehen und mit kurzem Rasen bedeckt, hatte sich in einen Sumpf verwandelt, aus dem eine Unmasse grauer Felsblöcke hervorragten. Nach etwa zweistündiger Wanderung ließ der Regen nach und das Wetter klärte sich auf. Die durch die Wolken brechende Sonne erwärmte uns bald ganz angenehm, und ich konnte nun die Gegend überschauen. Hinter uns, nach Südosten bis Südwesten sah das Thal, von grauen Felswänden oder grünen Bergen, natürlich ohne jeden Baum, begrenzt, mit seiner grünen Rasendecke im Sonnenscheine jetzt ziemlich freundlich aus. Vor uns, von Nordwest nach Nordosten, zog sich eine weiße Schnee- und Eiswelt, durchzogen in ziemlicher Höhe von einer dunklen Felswand der s. g. hohen Warte, um welche und über welcher sich schwarze Nebel jagten. Unmittelbar vor uns lag ein Eisfeld, der Salms- oder Leiterbach-Gletscher. Vor diesem hatte früher eine Hütte gestanden, angelegt vom Fürstbischof Salm, auf dessen Veranlassung zuerst der Glockner im Jahre 1800 bestiegen ward. Man hatte jedoch bei dem Bau das regelmäßige Wachsen und Schwinden der Gletscher nicht beachtet, und so hatte denn die Moräne die Hütte leider längst spurlos vernichtet. Sonst könnte man am ersten Tage bis hierher gelangen und die Besteigung viel bequemer machen. Wie prächtig müßte es sein, durch diese Eiswüste im klaren Mondschein zu wandern, der dort so hell ist, wie das Tageslicht! Indessen mußte ich zufrieden sein, daß der Regen aufgehört, und wir die Wanderung im warmen Sonnenschein machen konnten. Sobald wir den Gletscher erreicht, warfen sich die völlig erhitzten Führer auf einen Felsblock, und tranken in langen Zügen von dem kältesten aller Wasser, dem Gletscherwasser. Ich kannte wohl den köstlichen Genuß, hatte aber viel von seiner Gefährlichkeit, wenn man erhitzt ist, gehört, wagte daher weder davon zu trinken, noch mich in dem trotz des Sonnenscheins eisigen Winde niederzusetzen, und beschäftigte mich mit den Moosen und Steinen, die [139] ich neben und zwischen den Moränen fand (den Fels- und Schuttwällen, welche der Gletscher vor sich her schiebt).

Durch allerlei Fragen hatte, wie ich bereits gemerkt, Eder meine Kräfte jeglicher Art zu prüfen versucht. Mehr als meine Antworten schienen ihn die Erklärungen des Fleißner zu beruhigen, daß er mich ja von früher her kenne, und ich schon aushalten würde. Es wurde nun, nachdem die Eiseisen angelegt, das Eis betreten, zuvor mir noch der alte Tyroler-Spruch: „Laß Zeit“ eingeschärft. Als Laie würde ich des Gletschers Breite bis zur hohen Warte auf fünf Minuten geschätzt haben, als alter Gletscherwanderer würdigte ich sie ganz richtig auf zwei Stunden.

Er war von vielen Spalten durchrissen, bei denen uns zur Hülfe kam, daß die meisten und kleineren mit jungem und gefrornem Schnee, wenigstens oben, ausgefüllt waren, auf dem wir sie, Einer dem Andern vorsichtig folgend, überschritten. Indessen sahen wir auch manchen offenen und dunklen Schlund, darunter einen, in dem ein Vierspänner spurlos verschwinden konnte. Kein Unfall traf uns, denn den einen Führer, der in einen Spalt durch den Schnee brach, vermochten wir glücklich herauszuziehen, weil der Spalt sehr bald so eng wurde, daß er nur etwa bis zum Halse hineinsinken konnte. Nach etwa 1½ stündiger Steigung wurde der Gletscher so steil und, da Schnee nicht haften konnte, so glatt, daß wir die Seile umlegen und uns einander emporziehen mußten. Dabei fanden wir große Erleichterung durch einzelne Felsblöcke, welche sich von der hohen Warte herabzogen und aus dem Eise herausragten. Nach halbstündiger Wanderung war der Fuß der hohen Warte erreicht, welche uns von der höher liegenden Eiswelt trennte, und die an dieser Stelle kaum zwanzig Fuß hoch ist, auch wegen hervorragender Felsecken leicht erstiegen werden kann. Ich war bei dem Marsch im Sonnenschein, den wir auf dem Eise hatten, so warm geworden, daß ich schon auf der Mitte die leider noch immer nasse Jupe ausziehen wollte. Die Leute protestirten indeß dagegen, mich auf die dunkeln Nebel, welche auf der hohen Warte lagen, verweisend. Sie hatten sehr wohl gethan.

Mir war aufgefallen, daß der Sonnenschein, das klare Wetter gerade bis auf die hohe Warte reichte und dort ohne Uebergang von dem schwarzen Nebel begrenzt wurde. Deshalb kletterte ich hinauf und trat in diesen Nebel, auf das neue Eisfeld, fuhr aber entsetzt vor dem Unwetter zurück, welches mich hier packte. Zwar war es unten an der hohen Warte schon sehr kalt geworden, aber man befand sich doch noch im hellen Sonnenschein und fühlte diesen noch. Auch in den Nebel getreten, sah ich die Sonne noch durch den gelben Schein, den ich bei den ersten Schritten um mich herum wahrnahm. Er wurde aber bei jedem Schritte dunkler. Eine eisige Kälte hatte mich sofort empfangen, und ein die Haut verwundender, noch nie wahrgenommener Hagel, aus Eisspitzen bestehend, wie von zerbrochenen Nadeln, ließ mich eilig den Rückweg suchen.

Die Führer lachten, als sie mich wieder kommen sahen, und unter dem Schutze der Felswand ließen wir uns nun zum Frühstück, aus allerhand Fleisch, harten Eiern und Wein bestehend, nieder. Hier überzeugte ich mich, wie thöricht ich gewesen, den Führern ihre Verpflegung gegen besondere Bezahlung zu überlassen. Denn unmöglich konnte ich sie hier an ihrem Schnaps und trocknen Brode zehren lassen, während ich Wein, Backhähnel und andere Delicatessen vertilgte. So mußte denn für Vier herhalten, was für Einen bestimmt war.

Der Frost ließ uns nicht lange rasten, obwohl wir uns eng aneinander gesetzt hatten. Ich hatte mir schon unten ein schwelgerisches Mahl hier oben, über 10,000 Fuß hoch, ausgemalt; wir vermochten aber nur wenige Minuten auszuharren, und mußten eilig für unsern Leib sorgen.

In einer Felsspalte werden hier ein für alle Mal für den Nachfolger Eis- und Schneehacke aufbewahrt. Sie wurden hervorgezogen und frischen Muthes ging es nun in das Hagelwetter, in die eisige Dunkelheit hinein, immer noch besser als Regen, den es bekanntlich so hoch nicht mehr gibt. Es ging zwar steil, aber doch viel weniger steil in die Höhe, als während der letzten halben Stunde. Der tiefe Firnschnee war grobkörnig und trocken, wie er stets in dieser Höhe ist. Er erschwerte das Gehen nicht wenig, aber die Anstrengung war bei der furchtbaren Kälte eine Wohlthat für den Körper. Meine ganze bis dahin noch nasse Kleidung, vom Hut bis zur Gamasche, war sofort steif gefroren, mein Bart mit Eis überzogen und die Hände so erstarrt, daß ich den Alpstock nicht mehr zu halten vermochte. Abwechselnd steckte ich ihn unter den einen Arm, dessen Hand ich im Rock verbarg, um sie einigermaßen zu erwärmen, während der andere gleich einem Flügel in der Luft rudern mußte. Wenige Minuten nur konnte ich indessen die gut behandschuhete Hand im Freien lassen, sie mußte Schutz suchen und den andern Arm ablösen. Es war dabei so dunkel, daß man kaum das Zifferblatt der Uhr sehen konnte und, um die Stunde zu ermitteln, mit dem Finger nach dem Zeiger fühlen mußte. Die Sonne hatte uns aber auch hier nicht ganz verlassen, wenigstens für das Auge, wie wir an der gelbgrauen Luft wahrnahmen, die uns umgab. Eder fing an, über Augenschmerzen zu klagen, meinend, daß dieser dunkle, gelbe Schein hier oben den Augen weher thue, als das helle Sonnenenlicht. Ich selbst fühlte keinerlei Beschwerde, auch nicht an den Augen, und hatte letzteres wohl der blauen Schneebrille zu danken, die ich bereits auf dem Salmsgletscher aufgesetzt.

Nach etwa zweistündigem Steigen, von der hohen Warte ab, kamen wir an den Fuß der ersten Spitze, und hier beginnt nun die eigentliche Beschwerde, wenn auch noch nicht die Gefahr. Der Berg steigt jetzt in der Gestalt und Steile eines Zuckerhutes empor. Wir erreichten die Spitze vom Fuße dieser Stelle ab in 1 bis 1½ Stunden.

Um den Rückweg besser zu finden, und weil die Hände beim Klettern gebraucht werden sollten, den Alpstock daher nicht mehr halten konnten, wurden diese schon vorher von ½ zu ½ Stunde in das Eis gesteckt und stehen gelassen. Der Marsch war sehr beschwerlich. Vorauf ging der Eder, und hieb mit Beil und Hacke Stufen in das Eis, weil ohne solche kein Schritt gethan werden konnte. Ihm folgten der Fleißner, ich und der Tribusser, durch Seile mit einander verbunden, an diesen uns emporziehend. Wir mußten sehr langsam schreiten und nach etwa drei bis vier Schritten jedesmal eine Pause machen. Die Brust arbeitete wie bei der größten Anstrengung. Ich glaube, es war mehr die dünne Luft, die uns so angriff, als der Marsch. Der Hagel hatte sich längst in einen dick fallenden Schnee verwandelt. Je höher wir kamen, je gelber und heller wurde der Lichtschein um uns. Noch ehe wir die Höhe erreichten, ließ der Schnee nach, und es wurde völlig Tag. Etwa eine Stunde unter der Spitze, beim Beginn derselben, hatten wir einen Schmetterling, wenn ich nicht irre, einen Schwalbenschwanz, auf dem Schnee umherkriechend gefunden, den irgend ein Sturmwind heraufgebracht haben mußte. Sonst sahen wir an lebenden Wesen nur zwei Schneekrähen mit rothen Füßen und Schnabel. So hatten wir denn gegen zwei Uhr endlich die kleinere Spitze des großen Glockner erreicht. Sie besteht, so weit sie dem Auge sichtbar ist, aus reinem Firneise, und in einem etwa 25 Schritt langen Grath von circa einem Fuß Breite. Auf der südwestlichen Seite fällt der Berg ganz steil ab und bildet eine Wand von etwa 3000 Fuß. Auf der nordöstlichen Seite fällt der Berg nicht ganz so gerade, aber doch gleichfalls ziemlich steil, etwa 6000 Fuß tief auf die unten liegende Pasterze ab. Die ganze Wand besteht, wie auf der linken Seite, aus lauter Firneis, nur an wenigen Stellen tritt der graugrüne Fels hervor. Diese Wand ist voller Eisklüfte und Zacken, so daß ein Herabstürzender vorher in einer der ersteren liegen bleiben würde. Von einem Hinab- oder Hinaufsteigen ist natürlich keine Rede. Auf dieser nordöstlichen Seite findet oder fand sich damals (denn die Witterung verändert wohl) eine Eiswand von etwa sechs Fuß Höhe, eine gleiche, etwa halb so hoch, fand sich auf derselben Seite am Ende des schauerlichen Pfades, der in der Mitte auf eine Länge von circa zwanzig Schritt völlig bordlos zwischen den gräulichen Tiefen hinführte.

Ich kam ziemlich erschöpft auf der Spitze an, fand über mir dunkelblauen Himmel und eine prächtige, wenn auch beschränkte Fernsicht. Doch von alle dem vermochte ich im ersten Augenblick nichts zu empfinden. Oben angekommen und einen Blick in die Tiefe werfend, bemächtigte sich meiner eine große und da oben sehr gefährliche Nervenaufregung. Ich drehte mich deshalb schleunigst um, und legte mein Gesicht an die Eiswand zur Rechten. Hier faßte ich mich und wendete mich wiederum nach Südwesten, während ich mit dem Rücken an die Eiswand lehnte. Ich sah nicht vor mir in die Tiefe, sondern weit hinaus in die Ferne. Die Aussicht war ziemlich dieselbe, wie von der zweiten Spitze, nur von dieser theilweise verdeckt, weshalb ich sie nachher beschreiben will.

Jetzt wurde berathen, was weiter geschahen sollte. Neben mir an der Eiswand standen, Jeder einen Strick in der Hand haltend, [140] der um meinen Leib befestigt war, der Tribusser und der Fleißner, den seine Gefährten den Bürgermeister nannten, einige Schritt von uns, seine kurze Pfeife rauchend, stand frei in der Mitte des Graths der Eder, schweigsam dem Gespräch zwischen uns Dreien zuhörend. Der Tribusser schlug den Rückweg vor, da wir ja die erste Spitze erreicht, die zweite nicht viel höher (circa 40 Fuß), der Uebergang zu ihr aber das Schlimmste bei der ganzen Sache sei. Er malte mir sehr unzeitgemäß aus, daß Einer den Andern dabei in die Tiefe reißen könne, ich daher als Urheber des Ganzen für unser Aller Leben verantwortlich sei. Der Fleißner stimmte so ziemlich bei. Ich entgegnete aber, daß es mir gleich sei, ob wir bis zur ersten Spitze oder nur zur Hütte der letzten Nacht gekommen, in beiden Fällen hätten wir den höchsten Punkt des Glockner nicht erreicht, und dies sei meine Absicht.

Der Eder fiel mit den Worten ein: „Der Herr hat Recht, und nun vorwärts.“

Er ging darauf über den Grath und der Meißner folgte ihm, während ich mit dem Tribusser an der Eiswand zurückblieb, der das an mir befestigte Seil fortwährend hielt. Darauf ließ Fleißner den Eder am Seile in den Grund hinab, der beide Spitzen trennt, sich selbst an der oben gedachten kleinen Eiswand haltend. Nach sehr langer Zeit kam Eder an diesem Seile wieder empor, verkündete, daß Alles bereit sei und ich kommen solle. Nun hieß es: die schmale, bordlose Kante überschreiten. Hier überfiel mich ein neues Grauen. Ich überzeugte mich, daß ich außer Stande war, den Steg zu überschreiten, deshalb kniete ich nieder, legte mein Gesicht dicht auf meine Hände, sah nur auf diese, weder rechts noch links und kroch so über den Grath, während an beiden Enden der Tribusser und der Meißner standen, jeder ein um meinen Leib befestigtes Seil haltend. Am Ende, bei der kleinern Eiswand, oder, um es richtiger zu sagen, dem kleinern vielfach ausgezackten Eishügel angekommen, mußte ich aufstehen.

(Schluß folgt.)


Erziehung im Hause.[4]
Nr. 3. Vater und Mutter.

Mag auch die Erziehung überwiegend der Mutter zugewiesen sein, selten finden wir eine Mutter, welche allein im Stande wäre, ein günstiges Ziel zu erreichen, der Vater muß sie unterstützen. Ebenso wenig werden wir anders, als ausnahmsweise, Fälle entdecken, in denen der Vater allein erwünschte Erziehungsresultate erreicht. Der Vater allein, der Mann, erzieht wohl leichter den Knaben zum Manne, die Mutter allein, das Weib, besser das Mädchen zum Weibe. Knaben ohne männliche Erziehung werden in der Regel Flegel oder Weichlinge. Mädchen, ohne weibliche Erziehung, fehlt meistens die echte Weiblichkeit. Allein, nur unter der Einwirkung von Vater und Mutter, welche sich in ihren Extremen mildern, ihre Lücken ergänzen, ihre Fehlgriffe verwischen, vermag die häusliche Erziehung ihre süßesten und segensreichsten Früchte zu reifen. Glücklich darum auch in dieser Weise die Kinder, denen Vater und Mutter zur Seite geblieben, bis sich die Erfahrung gereift und der Charakter geklärt!

Die gemeinsame Erziehung der Eltern vermag das höchste Ziel zu erreichen. Warum muß sie es nicht? – Warum sprechen die täglichen Erfahrungen unsern Angaben Hohn? – Warum tönt uns jeden Tag das bedeutungsvolle Wort „ungezogen“ entgegen, und bilden „Ungezogenheiten“ stets die überwiegende Menge dessen, was uns die Jugend zeigt? – Auf diese Einwürfe gibt es mehr als eine Antwort, allein ich will für diesmal nur eine geben. Zuvor nur noch die Frage: „Gibt es denn keine Beispiele von guter häuslicher Erziehung?“ – Es wäre Frevel, solches zu behaupten; allein in vielen Fällen sieht man nur deren Resultate, nicht, wie man es angestellt, sie zu erzielen.

Greifen wir jetzt in das Leben hinein, um die Wirksamkeit der Eltern auf ihre Kinder in ihren beiden größten Gegensätzen uns zu vergegenwärtigen!

Der Mann und die Jungfrau lernen sich kennen, nicht blos im Salon, nicht im blendenden Ballputz allein, nicht einseitig noch oberflächlich; auch im Kreise der stillen, häuslichen Wirksamkeit, im bescheidenen Hausgewande, alles prunkenden und täuschenden Flitters baar. Sie lernen sich hochschätzen mit ihren Vorzügen, ohne gegen die entdeckten Schwachheiten blind zu sein, und aus dieser gegenseitigen Hochachtung entspringt jene goldechte Liebe, welche allein ein dauerndes eheliches Glück verbürgt. Eine solche glückliche Ehe und das Familienleben, welches in ihrem Schooße ruht, ist allein der Garten, in welchem eine gute Erziehung gedeihen kann. – Das Wort des Pfarrers am Trauungsaltare: „Ihr müßt eure Kinder erziehen!“ verhallt nicht im Taumel des ersten Glücks, mahnt sie vielmehr seiner Zeit an ihre Pflicht, und doch nicht als Pflicht, als ein angenehmes Vorrecht, als eine Quelle neuen Glücks betrachten sie die Erziehung ihrer Kinder, und ist es denn nicht der edelste und schönste Acker, dessen aussprießende Keime, wie deren allmähliche Entfaltung und endliche Reife uns Augenblicke und Stunden seligen Genusses gewähren, wenn wir die Mühe und Sorgen des Gärtners nicht scheuen? – Darum genügt es ihnen nicht, wie tausend Andern, auf’s Gerathewohl in die Erziehung hineinzupfuschen, in dem guten Glauben, so, wie es Jeder mache, sei es eben am besten. Sie begreifen, daß, wenn schon jeder Gärtner, Landmann, Handwerker erst lernen muß, bevor er seine Sache versteht, es wahrhaftig wohl Roth thue, sich auch über die Erziehung zu belehren. So greifen sie denn gemeinsam zu den Werken, welche Belehrung bieten, erholen von gediegenen und erfahrenen Leuten sich praktische Rathschläge, und auf diese Weise befestigen sich in ihnen vernünftige und bewährte Grundsätze der Erziehung. In traulich ernsten Gesprächen werden diese Grundsätze, das Ziel ihres Strebens und der Weg, auf welchem sie dieses erreichen wollen, ihnen gemeinsam. Nur, wenn Vater und Mutter ein und dasselbe wollen und auf ein und dieselbe Weise, wenn beide stets nur wie aus einem Munde sprechen, erwächst im Bewußtsein der Kinder jener wahre Respect vor den Eltern, der, entfernt von Furcht, den liebenden Gehorsam und das sichere Vertrauen gegen die Eltern gebiert.

Voll Vertrauens gegen einander gehen Vater und Mutter sicheren Schrittes vorwärts auf der betretenen Bahn. Es ergreift sie kein Zagen und Schwanken, welches die Kinder als Schwachheit gegen sich auslegen und leicht benutzen. Sie haben keine Ursache, Maßregeln des Anderen zu mißbilligen oder zu widerrufen, viel weniger noch einander Vorwürfe zu machen. Jeder hat vollständig den Respect, den beide genießen, mithin wird keiner von ihnen in Versuchung kommen, den Andern zur Unterstützung seiner Autorität, oder zur Ergänzung des eigenen Verfahrens durch Executionen und dergleichen herbeizurufen. – Die Ergebnisse ihrer Beobachtungen bei den Kindern theilen sie sich sorgsam mit, die auf dem Gebiete der seelischen Entwickelung gleich genau, ja noch genauer, als die Erscheinungen in ihrem Körperleben. Sie führen dadurch gegenseitige Belehrung und Verständigung im Einzelnen herbei, welche sie vor Fehlgriffen zu behüten geeignet ist. Durch eine solche fortgehende Anregung und sich ausbildende Erweiterung des Gesichtskreises mittelst neuer Erfahrungen wird das Interesse für die Idee der Erziehung stets lebendig erhalten, dergestalt, daß selbst Täuschungen bitterer Art dasselbe nicht abzustumpfen im Stande sind.

So gehen Vater und Mutter Hand in Hand, so allein können sie ihre väterliche und mütterliche Einwirkung zur vollen Geltung bringen. Niemand kann sehnlicher, als ich, wünschen, daß in allen Familien Vater und Mutter so aufrichtig, vertrauend und sorgsam Hand in Hand gehen möchten!

Was hindert sie daran?

Wenn den Neuvermählten erst nach den Rosentagen, Wochen oder Monden die Augen aufgehen, nachdem ein flüchtiger Reiz oder allerlei äußere Convenienzen und Rücksichten den unauflöslichen Knoten geschürzt, von welchem der Dichter singt: „Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang!“ wo sollte denn da, in der Nüchternheit der Enttäuschung nach dem Rausche der Vergötterung, Gemüth, Frieden, Lust und Muth herkommen, sich wahren Ernstes der Erziehung der Kinder zu widmen! Nicht zu gedenken dessen, was [141] Leichtsinn, Unwissenheit, Gewohnheit und Beispiel anrichten. Das häusliche Glück wird eine Chimäre, die Familie ein förmlicher Höflichkeitscirkel, das Haus ein Kriegsschauplatz, auf welchem Mißtrauen das Scepter führt, Eifersucht die Kammerzofe spielt, Intriguen die Schauspieler sind und Parteien in Worten und Thaten um die Oberherrschaft oder den Vortheil ringen. Die Kleinen werden nicht berücksichtigt, man meint, die verständen das noch nicht. Aber sie reifen schnell und ergreifen Partei.

Der Ungemüthlichkeit eines solchen Lebens sucht sich Jeder möglichst auf seine Weise zu entziehen, und sich in anderer Umgebung zu entschädigen. Jetzt erziehe nur, Vater! – Du triffst vielleicht vernünftige, weise Anordnungen, aber Deine Macht reicht nicht aus, ihnen immer Folge zu verschaffen. Eine feindliche Macht steht Dir entgegen in dem Einflusse der Mutter, tief eingesenkt in das Herz Deiner Kinder. Deine Consequenz wird Härte, welche sie in ihrer Weise wieder gut macht. Deine Strafen werden Barbarei, welche Dir Aerger, Kämpfe, Sorgen bereitet und Dir die Herzen der Deinen, wenn möglich, noch mehr entfremdet. Deine Ermahnungen werden unleidliche, übertriebene Sermone, welchen Keiner Werth beimißt. Deine wohlmeinenden Maßregeln werden gemißdeutet. Dein strafender Blick verschafft ihnen einen zärtlichen Kuß der Mutter, Dein Scheltwort ein Geschenk an Naschwerk, Dein Versuch, zu züchtigen, führt eine thätliche Auflehnung gegen Dein Recht herbei, als willkommnen, schlau benutzten Port gegen den Sturm Deines Zorns; die vollzogene Züchtigung eine Fluth von Thränen und Anklagen, und Du darfst sicher darauf rechnen, daß man sich so oder anders gegen Dich wappnet. Höre auf, Unglücklicher, wenn es Dir nicht gelingt, Deine Gattin, die Mutter Deiner Kinder zu versöhnen, und sie mit Liebe und Ernst zur Vernunft zu bringen! Wenn es Dir irgend Deine Lage erlaubt, thue Deine Kinder weit, weit von Dir! Es ist ein großes Opfer, sie in fremden Händen zu wissen, des Vaters und der Mutter beraubt, allein in der Ferne erhält sich sicher ihre kindliche Liebe ungetrübter, als in solchem Hause, und sie finden an fremden Leuten bessere Eltern wieder, als sie daheim zurücklassen.

Ebenso wenig wird die Mutter in ihrer Erziehung ausrichten, wenn der Vater ihr hindernd in den Weg tritt. – Sie wünscht sehnlich, sich mit ihm zu verständigen, allein er hat dafür weder Herz noch Sinn. Der Unverstand verwirft ihre Bitte mit rohem Spott. – Sie strebt nach Sittlichkeit, nach Anstand, Bescheidenheit und Ordnung in Worten und Benehmen, da stürzt oft eine leichtsinnig scherzende oder spottende Bemerkung des Vaters das mühsam Aufgerichtete schonungslos zusammen. Der Vater scheut sich oft nicht, in Gegenwart der Kinder die Erziehung der Mutter scharf zu tadeln, ja, sie auf hunderterlei Weise merken zu lassen, wie wenig er sie achtet. Sie hat mit Worten, welche dem liebenden Mutterherzen heiß entquollen, versucht, den Grund für Wahrheit in ihnen zu befestigen. Der Vater weiß nichts davon. „In der Welt ist nichts als Lüge und Bosheit,“ ruft er in Gegenwart der Kinder, denen die Welt so lange als thunlich ein Paradies bleiben sollte; und da finden die Kinder es sehr natürlich, so mit der lügnerischen Welt fortzulügen, und der Mutter Worte sind in ihren Augen selbst nur – Lüge – mindestens nicht glaubhaft. Wie oft heißt es im Herzen des Kindes – und ich hörte es mehr als einmal auch von Kindeslippen –: „Du Vater oder Mutter taugst selbst nichts! – „Du verstehst das nicht!“ – „Das muß ich besser wissen!“ u. s. f. – Wie oft habe ich schon – und keineswegs allein unter den niedrigsten Volksclassen – sogar Schimpf- oder Spottworte im Munde selbst jüngerer Kinder gefunden und diese traurigen Erscheinungen werden nur dadurch möglich, daß die Eltern oft unabsichtlich und in Unwissenheit gegenseitig ihre Autorität untergraben, und Jeder einzeln zertrümmert, was der Andere gegründet.

Erziehen kann nur derjenige, der in freiem Besitze voller Autorität dem Zöglinge gegenübersteht. Jede Schwachheit, welche der Zögling entdeckt, reizt ihn zu Uebertretungen. Wer wird nun gerade hierin besser von Natur und Verhältnissen unterstützt, als die Eltern? – Vom ersten Augenblicke seines Bewußtseins an muß sich dem Kinde das Gefühl der Abhängigkeit einprägen, – und wie leicht, wie natürlich bildet sich in ihm die Ehrfurcht, die Liebe und Dankbarkeit aus! – O, gewiß bedarf es da starker Mittel, um den Bau auf solchem Grunde zu ruiniren! – Wer deshalb sehen will, der erblicke an den zahlreichen Ruinen mißlungener Erziehungsmühen die Gewalt des häuslichen Unfriedens, den Einfluß widersprechenden Verfahrens von Vater und Mutter, die Nothwendigkeit, daß Eltern den Kindern gegenüber nicht Zwei, sondern nur Eins sind.

Eine Antwort habe ich versprochen auf die Fragen am Anfange dieses Artikels, sie heißt: Der Grund der Ungezogenheit kann in der Uneinigkeit liegen zwischen Vater und Mutter. – Der süße Name „Vater! Mutter!“, der mindestens zu Anfange wohl jedes Elternherz entzückt, ist gewiß ein inhaltschwerer Mahnruf an ernste Pflichten und Sorgen!




Pariser Bilder und Geschichten.

Der Schreiber dieser Skizzen kennt Paris seit dem Jahre 1845; er hat es also bereits unter drei verschiedenen Regierungsformen, unter dem constitutionellen Königthum, unter der Republik und unter dem unumschränkten Empire gesehen. Er wird dem Leser nicht frische Eindrücke geben, wie ein Tourist, der auf vierzehn Tage die Weltstadt besucht, und dann sein Leben lang als eine Autorität über dieses ewig bewegliche Räthsel spricht; aber er – oder vielmehr ich – werde en connaissances de cause, d. i. mit Sachkenntniß sprechen. Verschiedene Schicksale haben mich in die verschiedensten Kreise und Classen der Gesellschaft gebracht; ich habe Alle Stufen vom Faubourg du Temple, dem proletarischsten Arbeiterwinkel, bis in die Faubourg St. Germain, die Heimath der ältesten Aristokratie, herauf und herunter durchgemacht; ich war reich und war arm, ich habe meine Kleider bei Dusautay auf dem Boulevard des Italiens und im Temple fix und fertig gekauft; ich fuhr in Equipagen, die auf dem Kutschenschlage Wappen trugen, und ich ging zu Fuß in zerrissenen Schuhen; ich erfreute mich eines großen Ansehens und ich wurde vergessen; ich schrieb Empfehlungsschreiben, die an Minister gerichtet waren, und ich schrieb für Geld schlechte Manuscripte schlechter Autoren und reicher Blaustrümpfe ab – kurz, ich habe Paris als eine Art von Gil Blas von Santillana kennen gelernt – ich habe es ausgekostet mit seinen Freuden und Leiden, mit seinen unerschöpflichen Süßigkeiten und Bitterkeiten. Ich sage „unerschöpflich“ – das ist das rechte Wort. Wer sich einbildet, Paris bis auf die Neige gekostet zu haben, der kennt Paris nicht, das immer neue, ewig veränderliche, den Proteus der Städte – das von Tag zu Tag größer wird und immer gewaltiger und mehr und mehr unergründlich. Wie sollte es nicht? Es sitzt in der Mitte Frankreichs wie eine gewaltige Spinne und nährt sich von seinem Marke, von seinem Lebenssaft und wird immer dicker. Und alle Eisenbahnen sind nur Spinnenfäden, die alle nach dem einen Mittelpunkte führen und alles Leben dahin leiten. Man nannte sie die Arterien Frankreichs; sie sind nur die Venen, die alles Blut dem Herzen zuleiten.

Paris wird immer mehr Frankreich; Frankreich immer mehr eine Nebensache. Die Hauptstadt ist nicht des Landes wegen da, das Land ist der Hauptstadt wegen da. Es hat nie eine Stadt gegeben, die ihr Reich so sehr absorbirt hätte, wie Paris. Eine solche Stadt zu schaffen, war dem centralisirenden, polizeilichen, mehr, als man glaubt, pedantischen und ordnenden Geist der Franzosen aufbehalten. Zu dem ganzen Frankreich, das dieses Paris in sich verschlingt und zu seinem Fleisch und Blut macht, kommen noch die ungezählten fremden Bestandtheile und Elemente, welche von allen Ländern der Welt, von kalten, warmen und heißen, von gebildeten, halbbarbarischen und barbarischen geliefert werden. Welch ein Hexenkessel! Ist es da ein Wunder, daß Explosionen vorkommen, daß Unberechenbares hervorgeht, daß immer Neues, immer Unbekanntes und Ueberraschendes aus diesem Kessel heraussprudelt? Eine solche Stadt läßt sich nicht im Ganzen und aus der Vogelperspective beschreiben; man kann nur Einzelnes herausgreifen, das von der Umgebung dieses Einzelnen, von seinem Rechts und Links, von seinem Darüber und Darunter einen Begriff gibt. Wie die Schüler Cuvier’s nach einem einzelnen kleinen Knochen sich das ganze riesige, vorweltliche Thier construirten, so wird sich der kluge [142] Leser nach einzelnen kleinen Skizzen vielleicht ein ungefähres Bild, ein à-peu-près von Paris selber zusammenstellen können.

Wir greifen nur so hinein in’s volle Menschenleben und bieten dem Leser

1. Sonderbare Pariser Existenzen.

Vor einigen Jahren ging ich an der Seite einer eben erst in Paris angekommenen deutschen Dame auf dem Boulevard de la Madeleine auf und ab. Aus dem Auslegekasten eines Modegewölbes in einer der Seitenstraßen glänzte ihr ein schöner mit Sammt und Federn aufgeputzter Hut entgegen. Magnetisch angezogen, näherte sie sich dem Laden. Ueber der Thüre stand die einfache Inschrift: Modes; auf der Glasscheibe selbst in bronzenen Lettern der Name Adeline. Der Hut war auch in der Nähe schön und meine Deutsche, noch nicht gewohnt, den Verführungen der Pariser Auslegekasten zu widerstehen, beschloß sofort, ihn zu kaufen, und wir traten ein.

Im Hintergrunde des sehr einfachen Ladens, in welchem kaum fünf oder sechs Hüte und einiger Kopfputz zu sehen waren, arbeiteten drei junge Mädchen; neben ihnen saß eine junge Frau, die sofort aufstand, uns entgegen kam und sich als Besitzerin des Geschäfts zu erkennen gab. Der Handel begann, aber meine Deutsche sowohl als ich selbst hatten über die Schönheit und Anmuth der Madame Adeline bald den Hut selbst vergessen. Sie sprach ein so schönes Französisch, sie hatte in ihrem Benehmen eine so edle und bescheidene Zurückhaltung und ihr ganzes Wesen war, ohne Pedanterie, so gemessen, daß man nach wenigen Minuten überzeugt war, es hier mit einer Frau zu thun zu haben, die, wenn ihr nicht durch Erziehung eine edle Bildung angeeignet worden, sie dieselbe angeboren und als freie Gabe der Natur besitze. Sie fühlte bald heraus, wie sehr sie ihrer Clientin, der Deutschen, gefallen, und wie sehr diese wünschte, sich mit ihr in ein längeres Gespräch einzulassen, und auf das Ungezwungenste kam sie diesem Wunsche entgegen. Bald saßen wir plaudernd neben einander. Madame Adeline wußte wenig von Paris; sie lebte ihrem Geschäfte und des Abends zu Hause, auf ihrer stillen Stube mit ihrem lieben Kinde, doch wußte sie manche treffende Bemerkung über Pariser Leben und Gewohnheiten in’s Gespräch einzustreuen. Meine Deutsche war entzückt. Absichtlich tadelte sie etwas an dem gekauften Hut, um ihn verändern zu lassen und wieder zurückkommen zu können. Als wir gingen, öffnete uns Madame Adeline selbst die Thüre, und sagte uns mit der graciösesten Kopfbewegung Adieu!

„Diese Kopfbewegung, dieses Nicken,“ sagte die Deutsche, „würde ihr eine deutsche Prinzessin mit einer Million abkaufen. Mein Gott, welche Grazie, welche Liebenswürdigkeit! Das findet man doch nur bei einer Französin! Und dies ist um so erstaunlicher, als sie nicht in der Welt lebt, sondern nur der Arbeit und auf ihrer Stube!“

„Wer weiß, wer kann wissen!“ warf ich in den Enthusiasmus der Landsmännin ein – „hier in Paris! – Ah, Madame, diese kleine, höchstens fünfundzwanzigjährige Frau hat vielleicht mehr gelebt und erlebt, als wir beide zusammengenommen.“

„Aber sie sagt ja –“

„Ist sie gezwungen, uns die Wahrheit zu sagen? Sind wir ihre Vertrauten?“

Meine Deutsche war über meinen Skepticismus empört und noch empörter, als ich hinzufügte, daß ich Pariser Putzmacherinnen nicht traue. Die Unschuld, die Reinheit selbst sprach ja neben allem Geiste auf’s Deutlichste aus den Augen der Madame Adeline.

So empört war die Deutsche gegen mich, daß sie mich nicht mehr mitnahm, als sie das nächste Mal zu Madame Adeline ging, und nachdem sie dieselbe mehrere Male besucht, versicherte sie mich, daß ich nicht würdig sei, ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Sie sei ein Engel. Die Deutsche kannte sie nun genau; sie hatte sie auch in ihrer Häuslichkeit, mit ihrem Kinde, bei einer Tasse Thee gesehen. Madame Adeline heiße eigentlich Madame Adeline Raymond und sei die Frau eines Capitains de long cours, der jetzt mit seinem Schiffe, das den Rothschilds gehöre, in Rio Janeiro sei.

Ich lachte. „Rothschilds haben keine Schiffe.“ Die Deutsche behauptete, wenn es Madame Raymond sage, so sei es wahr. Ich erkundigte mich und erfuhr zu meiner Beschämung, daß die Rothschilds in der That große Rhederei treiben.

Von dem Momente an waren meine Einreden noch wirkungsloser als vorher. Zum Glück verließ die Deutsche bald Paris, nicht ohne von Madame Adeline Raymond einige zarte Verse in ihrem Stammbuch über den Rhein zu nehmen, und ich dachte nur an die schöne und liebenswürdige Putzmacherin, wenn ich zufällig durch ihre Straße ging.

Eines Tages – ungefähr acht Monate nach meiner ersten Bekanntschaft mit Madame Adeline – stieg ich mit einem Professor an einem der Collegien diesseits der Seine, einem jungen Manne, in der Rue de Turin seine fünf Treppen hinauf, um auf seinem ganz Paris beherrschenden Balkon eine gemüthliche Abendcigarre zu rauchen. Auf der dritten Treppe begegneten wir einer Dame, die abwärts stieg.

„Guten Abend, Madame!“ rief mein Professor und zog den Hut mit großer Ehrerbietung.

Ich sah näher, erkannte Madame Adeline und grüßte ebenfalls.

„Wie, Sie kennen einander?“ rief der Professor erstaunt, fragte nach dem Kinde der Madame und wir gingen weiter.

Ich erkundigte mich und erfuhr, daß Madame Adeline Raymond und der Professor Nachbarn waren. Der Professor kannte sie seit vielen Jahren; denn er wohnte mit ihr in demselben Hause. Er konnte sie nicht genug rühmen und nicht genug davon erzählen, wie sehr sie im Hause geachtet war wegen ihres stillen, bescheidenen und überhaupt ehrenwerthen Wesens. Sie sei die Frau eines Schiffscapitains, der sie aber vernachlässige und schon lange nichts habe von sich hören lassen. Da sei sie denn gezwungen gewesen, ein Geschäft, ein armes, kleines Modegeschäft zu eröffnen nur um sich und ihr kleines Töchterchen anständig zu ernähren.

„Mein Gott,“ rief der Professor aus, „wenn diese Frau mit ihrer Schönheit, ihrer Grazie so thun wollte, wie viele andere, sie könnte im Ueberfluß leben, in Freuden und Genüssen jeglicher Art; aber nein, sie zieht ein stilles, anständiges Leben vor; – was sage ich? – ein mühsames, arbeitsames Leben voll Ermüdung und Entbehrungen. Ganze Nächte kehrt sie nicht nach Hause zurück; da arbeitet sie in ihrem Magazin bis Tagesanbruch. Sie sieht oft arg ermüdet aus, die arme Frau. Auch nehmen alle Nachbarn den lebhaftesten Antheil an ihrem Schicksal; jeder sucht ihr zu helfen, ihr irgendwie unter die Arme zu greifen oder gefällig zu sein. Sehen Sie mich an,“ fuhr der Professor fort, „wie viel ich auch zu thun habe, steige ich doch jeden Tag für eine oder zwei Stunden zu ihr hinab, um ihr kleines Töchterlein gratis zu unterrichten, und bei Gott, dabei bin ich so uneigennützig als möglich, denn ich bekomme Madame Raymond, die in ihrem Geschäft ist, fast nie oder äußerst selten zu sehen.“

Im Gedanken bat ich Madame Raymond und die deutsche Frau, ihre Freundin, um Verzeihung für den Verdacht, mit dem ich sie einmal, freilich auch nur in meinen Gedanken, beleidigt hatte. Ein vieljähriger Nachbar und erfahrener Pariser legte ja ein solches Zeugniß für sie ab.

Ungefähr zwei Jahre später – ich hatte Adeline und selbst den Professor ganz aus den Augen verloren – ging in einem mir intim befreundeten Hause ein kleines Trauerspiel vor. Die Tochter des Hauses liebt einen jungen Mann aus der Normandie, den Sohn eines der großen Fabrikanten in Elboeuf, der, obzwar er seine Studien längst vollendet hatte, wieder für einige Zeit nach Paris gekommen war, um die Vorlesungen des berühmten Chemikers Orsila zu hören, da ihm dessen Wissenschaft in seinem Geschäfte nothwendig geworden war. Alter, Vermögen, Stand, Bildung, Familienverhältnisse – Alles stimmt vortrefflich zusammen und die jungen Leute, Marie und Alphonse, verlobten sich und waren glücklich. Alphonse sollte nur noch die neu aufgenommenen Studien vollenden, und dann die glückliche und schöne Braut heimführen. Aber nach und nach wurden seine Besuche seltener; wenn er, oft durch mehrere Tage vergebens erwartet, endlich doch zum Thee kam, sah man ihm die Ungeduld im ganzen Gesichte an, und er benutzte die erste beste Gelegenheit, um sich unter irgend einem Vorwande zu entfernen. Er war gegen seine Braut offenbar gleichgültig geworden, er war zerstreut und oft düster und mürrisch. Die arme Marie weinte oft lange Nächte hindurch. Die Mutter war die erste, die auf den Gedanken kam, daß er irgend einer Sirene in’s Netz gefallen, und ich, als Freund des Hauses, bekam den unangenehmen Auftrag, „de tirer l’affaire au clair“, über die Sache Aufklärung zu verschaffen. Ich suchte anfangs so loyal als möglich zu verfahren, und verhörte den jungen Mann; aber er war ein verstockter Sünder, und ich konnte kein Bekenntniß aus ihm heraus verhören. [143] Ich setzte mich mit einigen jungen Männern in Verbindung, die, wie man sich in der Gesellschaftssprache ausdrückt, „den Platz kannten“, und erfuhr bald, daß Alphonse seine Abende bei Mademoiselle Zoë zubringe.

„Wer ist Mademoiselle Zoë?“

„Parbleu!“ lachte man, „er kennt Zoë nicht. Zoë ist eine alte, bekannte Löwin! Ein prächtiges Weib! Es ist wahr, man sieht sie wenig in der Welt, aber man kann sie, so oft man will, bei ihr zu Hause sehen.“

„Wo wohnt Mademoiselle Zoë?“

„In der Rue de la Madeleine hat sie ein prächtiges Appartement, das ihr ein reicher Kaufmannssohn aus Bordeaux eingerichtet hat; er hat sich für sie ruinirt.“

„Kann man bei Mademoiselle Zoë eingeführt werden?“

„Nichts leichter als das. Wollen Sie jetzt gleich? Bon! Kommen Sie!“

Das Gespräch fand im Café du Helder statt. Wir wanderten die Boulevards hinab, die Madeleine vorbei, in die schöne neue Straße, die sich hinter dieser berühmten Kirche hinzieht. Wir stiegen zwei hell beleuchtete Treppen hinauf, und traten in einen eleganten Salon, der weiß und golden verziert und mit schönen Damastmöbeln angefüllt war. Vier bis fünf junge Männer umgaben die Dame des Hauses, die nachlässig, aber nach der neuesten Mode gekleidet, am Kamin stand, und deren ausgelassenes Gelächter wir schon im Vorzimmer gehört hatten. Unter den vier anwesenden jungen Männern befand sich Alphonse, und Mademoiselle Zoë war keine andere als meine alte Bekannte, Madame Adeline, Modehändlerin in der Seitengasse, ganz nahe von hier, und Madame Adeline Raymond, die tugendhafte Capitainsfrau aus der sehr fernen Rue de Turin. Meine Ueberraschung war groß. Ich vergaß Alphonse und den Zweck meiner Sendung und starrte nur Zoë oder Adeline an. Sie war es, und sie war es nicht. Die Züge, die Gestalt, das Haar waren Adelines; der ganze Ausdruck, die Stellung, kurz das ganze Wesen gehörte einer Andern. Die bescheidene, verlassene, Frau war verschwunden – die kecke, verführerische herausfordernde Löwin stand vor mir. Zwar war auch sie bei meinem Anblick einen Moment lang überrascht, aber bald fasste sie sich wieder und lachte laut auf.

„Sehen Sie das Gesicht dieses Herren an!“ rief sie den Andern zu, „sehen Sie, wie lang, wie erstaunt, wie erstarrt es ist! Sollte man nicht glauben, er sehe ein Monstre, indem er mich ansieht?! Sehe ich so erschreckend aus?“

Und wieder erfolgte ein lautes und freches Gelächter, in das die andern Anwesenden, Alphonse ausgenommen, mit einstimmten.

„Sie werden zugeben,“ sagte ich schnell gefaßt, „daß ich Ursache habe, ein wenig erstaunt zu sein.“

„C’est vrai!“ rief sie. „Ich will Ihnen das erklären, Messieurs, dieser Herr kennt mich nur als honette Frau.“

Von diesem Augenblicke an fühlte sich Zoë nicht mehr beengt, und zeigte sich vor mir als das, was sie war; sie bat mich nur, ihr das Geheimniß zu wahren, besonders beim Professor und im Hause in der Rue de Turin, da sie ihre Ursachen habe, für eine honette Frau zu gelten. Ich versprach es ihr unter der Bedingung, daß sie Alphonse aus ihren Schlingen loslasse.

„Nichts leichter als das,“ sagte sie, „ich verspreche Ihnen, daß er in vier bis fünf Tagen meiner überdrüssig sein soll. Ich kann ihn ohnedies nicht brauchen; er ist zu sentimental, zu verliebt; er nimmt die Dinge nicht, wie man sie nehmen soll, und genirt mich. Ich kann solche Provinzialen nicht brauchen.“

Sie hielt Wort. Nach wenigen Tagen war Alphonse dem ordentlichen bürgerlichen Leben und seiner Braut wieder gegeben. Ich erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß Adeline, denn das war ihr wirklicher Name, seit vielen Jahren dieses Doppelleben führte und die zwei Haushaltungen habe. Sie hatte die Leidenschaft, für eine anständige Frau gelten zu wollen, und konnte sich doch dem Leben nicht entziehen, das ihr allein angenehm war. Auch ist sie nie an einen Capitain verheirathet gewesen.




Das neue Museum zu Leipzig.

Am 18. December 1858 feierte die Stadt Leipzig in der würdigen Vollendung und Uebergabe des für Aufnahme und Aufstellung von Kunstwerken bestimmten neu erbauten Museumgebäudes ein Freudenfest, dessen Veranlassung wohl nicht ohne Nachahmung bleiben wird. Die Entstehung dieses Baues, der in seiner Intention und in seiner Lösung das Interesse auch außerhalb Leipzigs auf sich gezogen hat, verdanken wir dem reichen Erbe an Kunstschätzen und eines erheblichen Capitals, welches ein edler Bürger Leipzigs, A. Schletter, seiner Vaterstadt vermachte, und einer reichlichen Spende, welche die Stadt in höchst ehrender Weise aus ihren eigenen Mitteln diesem Unternehmen zuwies.

Der Plan zu diesem Gebäude, welches sowohl die alte Leipziger Gallerie nebst ihren sonstigen Kunstschätzen wie die von Schletter geschenkten Gemälde aufnehmen sollte, wurde durch eine Concurrenz bestimmt; unter achtzehn eingelaufenen Plänen wurde der von Professor Ludwig Lange in München für den besten erklärt und in Folge dessen demselben die Ausführung des Baues übertragen.

Ein nach allen Seiten freiliegender Platz war für dieses Gebäude bestimmt und somit nach allen Richtungen hin eine ebenbürtige Ausführung bedingt. – Im Juli 1856 wurde der erste Stein gelegt und in der kurzen Zeit von nicht ganz drei Jahren wurde das Ganze vollendet.

Der überaus günstige Eindruck, den das Gebäude an sich und hinsichtlich seiner Einrichtung und Ausstattung bei der Eröffnung auf den Beschauer machte, gibt uns Veranlassung, diesen Bau und besonders sein Inneres in unserem vielgelesenen Blatte näher zu besprechen. Ein besonderes Verdienst erwarb sich hierbei der Architekt durch seinen klar gedachten Plan, dessen Aeußeres und Inneres in der schönsten Harmonie sich abwiegt; kein verlorner Raum, keine Ueberschreitung von Maß, sondern was ist, das ist bedingt.

Wir wollen nun zur näheren Beschreibung des Baues übergehen und, um das System kennen zu lernen, welches unser Architekt dabei zu Grunde legte, eine Wanderung durch dasselbe vornehmen.

Am südlichen Ende der Längenachse des großen Grimmaischen Platzes, der die Alt- und Vorstadt östlich scheidet, erhebt sich auf einem soliden Unterbaue von Rustika-Quadern das in seiner Höhe in zwei Geschosse abgetheilte Museumsgebäude und bietet diesem Platze entgegen die Hauptfronte; längs derselben breitet sich eine Terrasse aus, die durch schmälere Treppen von der Seite und durch eine majestätische Haupttreppe in der Mitte zugängig ist. Von der Ebene derselben führen noch einige Stufen zu dem durch Säulen und einen Balkon besonders ausgezeichneten Portale, und zu der mit Sculpturen, die drei Künste darstellend, nach Zeichnungen von M. Schwind, geschmückten Eingangsthüre.

Von da gelangt man zuerst in einen breiten schönen Corridor, der in seinem architektonischen Schmucke, mit seinen Pilastern, Gesimsen und Casettendecke zu einem würdigen Empfange eingekleidet ist. Zu beiden Seiten führen daselbst Thüren nach der Garderobe und dem Versammlungssaale. – Dem Eingange gegenüber schließt sich das Vestibule (Vorhalle) an, zu dem man einige Stufen aufwärts durch einen Porticus (Bogenthor) gelangt. Sogleich beim Eintritt in das Gebäude gewährt der Blick dahin, der sich durch das Vestibule nach dem daranliegenden Sculptursaale und so in’s Freie fortsetzt, eine überraschende Perspective, die um so anmuthiger wirkt, als verschiedene Raumverhältnisse und verschiedene Lichtwirkung in diesem Bilde zur Erscheinung kommen, was noch höher gesteigert werden könnte, wenn in der Mitte des Sculptursaales ein größeres plastisches Werk unmittelbar das Auge fesseln würde. Das Vestibule nimmt die Mitte des Gebäudes ein und bildet ein von acht Portiken umschlossenes Octogon (Achteck), das in vier Zugänge und vier Fensternischen abgetheilt ist und durch die hell beleuchteten Nachbarräume sein Licht empfängt, was auf den im Ganzen hell gehaltenen, reich decorirten Raum eine magische Wirkung ausübt.

Von dem Vestibule gelangt man östlich durch eine der Portiken nach dem Treppenhause. Eine reiche Treppenwange mit festen Doggen und dunklen Marmorsäulen, die das Treppenpodest tragen, zeigt uns den Weg nach diesem Raume, über den durch ein mächtiges Oberlicht eine brillante Beleuchtung ausgegossen ist. – Bei näherem Zutritt dahin wird der Beschauer unwillkürlich durch den Anblick eines Fensters gefesselt, das oberhalb der Treppe nach einer [144] Gallerie führt und das nicht ohne Absicht durch einen reichen architektonischen Schmuck hervorgehoben scheint. Mit Wohlgefallen blickt man dahin und sieht in diesem reich umrahmten Bilde Vorübergehende und im Geiste schon sich selbst vorüberziehen. – Weiter schreitend auf soliden, breiten Stufen von Granit, die durch eine steinere Brustwehr gefaßt sind, erhebt man sich auf dieser schmucken Treppe zu dem oberen Geschosse nach einem breiten Podeste hin und gelangt so zu dem Portale des Empfangsaales, das, geöffnet, durch seine breite Pforte einen freien Blick in die Länge des Gebäudes gewährt. – Wenn Treppen im gewöhnlichen Dienste des Lebens nur zur Vermittelung dienen, um zu einem weiteren Geschosse sich zu erheben, so ist hier der dieselbe umgebende Raum zugleich ein Palladium des Hauses geworden. Durch eine reiche Pilasterstellung nämlich sieht man die Wände des oberen Geschosses in Flächen abgetheilt, wovon bereits eine, zunächst die, welche dem Zutretenden zuerst entgegensteht, das Reliefbild Schletter’s in würdiger Weise eingerahmt enthält. Man erkennt hier recht, was der Künstler wollte, und sieht im Geiste schon die würdigen Männer folgen.

Entsprechend dem im Parterre liegenden Vestibule, nur in erweitertem und mächtig erhöhtem Raume, empfängt uns hier oben


Das neue Museum in Leipzig.


abermals ein Octogon, mit einer Kuppel und einfallendem Lichte umschlossen. Dieser Raum, durch seine Verhältnisse besonders wirkungsvoll, ist vollständig dazu gemacht, dereinst Perlen der Kunst an seinen wohlbeleuchteten Wänden zu tragen. Graue Granitflächen mit Emblemen in der Mitte bilden die Decoration der Seitenwände, während in den acht Feldern der Kuppel in großen Medaillons acht Darstellungen aus der Mythe von Amor und Psyche zum Ausdruck gebracht sind. Dieselben wirken als helle Zeichnungen auf Goldgrund und geben in gesteigertem Maße die Lichtpunkte ab zu den sie umgebenden musivisch gehaltenen Ornamenten.

Von dem Kuppelsaale kommt man, die Richtung des Einganges verfolgend, in den Vorraum des westlichen Saales, der durch einen dreibogigen Porticus mit demselben verbunden ist. Dieser Saal wird durch drei große Fenster an der gegenüberliegenden Seite beleuchtet und ist durch eine reiche ebene Decke mit Consolenfries sehr wirkungsvoll hervorgehoben. – Dieser Raum enthält die Hauptschätze, soweit das Museum im Besitz von solchen ist, aus der altdeutschen und altitalienischen Schule. Er dient zugleich als Verbindung, um nach den südlichen Sälen und den Cabineten zu gelangen. Durch die dreifache Verbindung, die der Saal hat, und besonders durch die mit dem Porticus vermittelte nach dem Kuppelsaale, gewährt er ein reizendes Bild, in welchem der Beschauer als wohlthätige Staffage mitwirkt; begibt man sich nach der mittleren Fensternische und blickt von da durch den Porticus und den Kuppelsaal nach dem Eingange zurück in das Treppenhaus, so empfängt man eine reizende Perspective, die durch die beständige Abwechselung von Ab- und Zutretenden und durch die verschieden beleuchteten Räume von nachhaltiger Wirkung ist. – Die Stimmung des Westsaales zu erhöhen, dienen einzelne kleine plastische Werke, die man zum Theil auf einem in der Mitte des Saales stehenden Tische, theils auf den Brüstungen, die der Porticus bietet, angebracht hat.

Es ist gewiß, daß es in dem Charakter eines Museums liegt, daß Plastik und Malerei nicht zu strenge geschieden sind, daß sie sich vielmehr von Zeit zu Zeit begegnen und ergänzen.

An diesen Saal schließen sich längs der südlichen Fronte drei Säle an, von denen die Endsäle eine quadratische Grundform, der mittlere ein längeres Oblongum (längliches Viereck) bilden.

Eine anpassende Höhe, so daß die Bilder dem Auge nie zu fern sind, das einfallende Licht, das aus einer gewölbten Decke zutritt, sowie ihr Zusammenhang und ihre einheitliche Decoration gibt diesen Sälen einen, wenn auch in kleinerem Maßstabe, dennoch großartigen und einheitlichen Ausdruck. Die Wände derselben sind roth, und an den gewölbten Decken wirken musivisch gemalte Ornamente abwechselnd mit verschiedenen Emblemen, deren Darstellungen in den Ecksälen auf die reale und ideale Kunstrichtung, in dem Langsaale auf die Ausübung und die Sammlung von Kunstwerken sich beziehen.

Der Künstler hat es wohl verstanden, die Bestimmung seiner Räume stets im Auge zu behalten und sowohl durch seine Ornamentik geeignete Gedanken zu erwecken, als auch durch günstige Farbenstimmung die Wirkung der Bilder zu erhöhen.

An der Südseite des Mittelsaales schließt sich eine Loggia an, welche durch drei große Fenster einen Blick nach außen und zwar auf die neue Promenade gewährt. Diese Loggia ist durch eine heitere Malerei geschmückt und gewährt eine freundliche Interpunction, indem sie eine Verbindung der Wirklichkeit des Lebens mit der Ideenwelt der Kunst erzielt.

Von dem Endsaale tritt man zur östlichen Loggia, die gleichsam die Brücke zu den Cabineten bildet. In diesem Raume gelangt man zu jenem Fenster, dem man schon früher beim Antritte der Treppe seinen Blick zugewendet hatte, und man erfreut sich abermals einer schönen Perspective, die uns hier durch die Längenachse [145] des Gebäudes gewährt wird. Es ist ein Bild, wie ein Paul Veronese, nur mit dem Unterschiede, daß die Figurengruppen in wechselnder Form sich zeigen.

Durch diese mehrfachen points de vue, die unser Künstler in seinen Bau so glücklich zu verweben wußte, hat er demselben eine Elasticität verliehen, die ihn geistig vergrößert und den Beschauer stets mit angenehmen Stimmungen belebt.

An diese Loggia reihen sich längs der nördlichen Fronte des Gebäudes die Cabinete an, die, neun an der Zahl, durch nördliches Seitenlicht beleuchtet werden. Dieselben gewähren durch ihre wohlgeordneten Raumverhältnisse genug Ruhepunkte, um in den Detailgenuß der verschiedenen hier aufgestellten Bildwerke einzugehen. – Am Ende dieser Cabinete tritt man wieder in den westlichen Saal zurück, wandert durch den Porticus in den Zwischenraum und von hier die Stufen aufwärts nach den Kupferstichcabineten, welche sich längs der nördlichen Fronte in dem oberen Theile des Gebäudes, da, wo die geringere Höhe der Cabinete einen Raum ermöglichte, ausbreiten. Eine reiche, nach kunstgeschichtlicher Entwickelung geordnete Sammlung von Kupferstichen hat hier ihren Anfang genommen und wird sich demnächst an den verschiedenen Wänden dieser Räumlichkeiten fortsetzen.

Durchsicht vom Westsaal aus.

Diese Sammlung bildet dereinst eine Gallerie für sich, die zum Studium der Kunst nicht günstiger angelegt werden konnte. Nicht allein diese Sammlung, sondern zugleich auch ihre kunstgerechte Aufstellung verdanken die Leipziger einem ihrer wackersten Mitbürger, Herrn Lampe, der seine höchste Freude darin sieht, die Wohlthaten, welche ihm seit Jahren der Kunstgenuß gewährt, seinen Nächsten näher zu bringen.

Diese Räume verlassend, schlägt man durch dieselbe Treppe seinen Rückweg ein, kommt durch den Porticusraum zum Kuppelsaale, zur Treppe, dem Vestibule und verfolgt seinen Weg in directer Linie nach dem Mittelsaale des Kunstvereins, durch welchen man in die drei Säle für plastische Werke gelangt. Von diesen drei Sälen ist der größere, mittlere um einige Stufen tiefer gelegt, wodurch diesem Saale ein schönes Verhältniß und dem Ganzen eine übersichtlichere Perspective gewährt wird.

Von dem letzteren Saale tritt man durch die untere östliche Loggia in den großen Parterresaal, welcher wohl bestimmt sein dürfte, einer Sammlung von Cartons von verschiedenen Meistern Raum zu bieten. –

Eine wohlthätige Einrichtung ist es, daß das ganze Gebäude durch eine circulirende Wasserheizung auch für den Winter ein freundliches Asyl bietet, sich hier in heiterem Leben ergehen zu können.

Der hohe, durchaus gewölbte Unterbau des Gebäudes bietet noch verschiedene Räume, eine Wohnung für den Custos, desgleichen für den Hausmeister, und können außerdem eine Reihe Gewölbe für reale Zwecke abgegeben werden.

Resumirt man sich unwillkürlich den Eindruck des Inneren des Gebäudes, so verbleibt ein sehr wohlthätiges Gefühl in der Erinnerung; wie musikalische Harmonie, so wirken hier die wohlgeordneten Räume.

In keiner Weise konnte unsere Zeit ein sichereres Zeugniß ihrer höheren Gesittung an den Tag legen, als daß sie bei den dermaligen gewaltigen Anregungen für industrielle Unternehmungen, bei dem Gewicht der materiellen Interessen auch der edlen Neigung nach Offenbarung der Seele, Kunst und Poesie, durch die Ausführung dieses Werkes Ausdruck zu geben wußte, einen Ausdruck, der durch lebhafte Anregung zur Kunst auf die Veredelung der Gewerbe eine nachhaltige Wirkung ausüben wird. – Wir glauben dieses um so mehr voraussetzen zu können, da dieser Bau bei seiner gewählten und vollendeten Form so ganz das Wesen an sich trägt, wodurch die Kunst sich heimisch macht, und das in seinen Räumen jeden Insassen mit dem Bewußtsein erfreut: auch ich habe meinen Theil daran!




[146]

Berliner Polizei.

(Fortsetzung.)
V.

Es war auch in den Zimmern, die der Baron von Goddentov am Gensd’armenmarkte zu Berlin gemiethet hatte, beinahe Mitternacht. Der Baron und die Baronin saßen, ein trauerndes edles Paar, unter den Trümmern ihrer Reiseeffecten.

„Ach, Theure, kein Schlaf will in meine Augen kommen!“

„Auch nicht in die meinigen, theurer Freund!“

„So ohne Schlafrock hier sitzen zu müssen!“

„Und mein sämmtliches Nachtzeug ist fort, Verehrtester!“

„Und fast unser sämmtliches Geld!“

„Und alle meine Pretiosen!“

„Ach, Theure, diese Berliner Diebe!“

„Sie sind doch nicht so dumm, wie wir sie glaubten.“

„O doch, Verehrte, sie haben ja nicht uns, sondern nur unsere Domestiken betrogen. Siehe, das ist mein großer Trost. Ich sage Dir, die Berliner Diebe sind dumm.“

„Aber jener Graf Schimmel, theurer Freund, ich fürchte doch beinahe –“

„Er war nicht der Dieb, meine Gemahlin, Du wirst es erfahren. Morgen werden wir uns nach ihm erkundigen, und ich bin überzeugt, daß wir ihn nächstens bei Hofe wiedersehen werden. Aber jener Polizeihauptmann! Oder vielmehr jener Mensch, der sich dafür ausgeben wollte! Ihn halte ich am Ende noch immer für den Dieb. Du selbst sprachst von seinen Spitzbubenaugen –“

„Aber er gehörte zur Polizei, Verehrtester, da müssen sie solche Augen haben.“

„Aber ich bleibe bei meinem Verdachte.“

„Woher hätten alle die Polizeibeamten um ihn her kommen sollen?“

„Meine Verehrteste, von solchen Spitzbubenverkleidungen, auch in Masse, hat man viele Beispiele. – Aber horch, welch’ ein seltsames Geräusch läßt sich da vernehmen!“

„Wo, mein theurer Baron?“

„Es war mir schon einige Male, als wenn ich flüstern und hin- und hergehen gehört hätte.“

„Aber wo, Theuerster?“

„Und jetzt höre ich es wieder.“

„Aber wo, mein Gemahl?“

Die Dame war ungeduldig geworden.

„Auf der Treppe, über uns, unten an der Hausthür, überall, Verehrteste.“

„Es werden Hausbewohner sein, die zurückkehren.“

„Es ist möglich, auch daß sie aus Achtung vor uns so leise gehen und sprechen. Aber sollten die Berliner so rücksichtsvoll sein? Ich habe andere Gedanken, Theure.“

„Und welche?“

„Wenn es da ein Liebesabenteuer gäbe?“

„Wie kommst Du auf den Gedanken, theurer Freund?“

„Dieses Gehen ist so zart, dieses Flüstern lautet so süß.“

„Aber wie kommst Du zu dieser lebhaften Einbildungskraft, lieber Baron?“

„Ach, meine Verehrteste, als wir heute durch die Straßen fuhren und ich überall die feinen hübschen Gesichter und die schlanken Taillen sah –“

„Wie? Ich hoffe nicht, daß die Deine Phantasie in solchem Grade entzündet haben –“

„Ich muß Dir nur gestehen, Theure –“

„Was, Du gestehst es ein?“

„Aber gib es selbst zu, meine Gemahlin, Hinterpommern, und besonders Kassuben, ist ein schönes Land und es gibt nirgends in der Welt fettere Gänsebrüste. Aber solche anmuthige Gesichter, solche reizende Taillen –“

„Himmel, mein theurer Freund! Anmuthige Gesichter, reizende Taillen, Liebesabenteuer! Und das Alles soll es nicht in Hinterpommern geben?“

„Daß es dort keine Liebesabenteuer gebe, habe ich nicht gesagt, meine Liebe.“

„Du hast wohl selbst schon welche gehabt?“

„Ei, ei, Du wirst doch nicht eifersüchtig? Aber ich leugne nicht, daß ich hier wohl so ein kleines Liebesabenteuerchen haben möchte.“

„Mit den anmuthigen Gesichtern und reizenden Taillen?“

„Hm, hm! Aber ich muß wahrhaftig das Licht nehmen und nachsehen, was da draußen auf der Treppe schleicht.“

„Du unterstehst Dich nicht.“

„Aber, meine Gemahlin –!“

„Du stellst im Augenblick das Licht wieder hin.“

Plötzlich vernahm man oben im zweiten Stock des Hauses einen lauten Schrei.

„Meine Verehrte, was ist denn das?“ Dann hörte man ein augenblickliches Balgen. „Was mag das sein?“ Dann rief es oben laut: „Ah, Bursch, haben wir Dich!“

„Meine Gemahlin, jetzt habe ich es.“

„Was hast Du, lieber Baron?“

„Ich hatte Recht; es ist ein Liebesabenteuer. Sie haben den Seladon gefangen. Gewiß ein alter Brummbär von Ehemann oder Vormund oder Onkel! Ah, ich muß den armen Menschen doch sehen.“

„Mein Freund, wohin willst Du? Begib Dich in keine Gefahr.“

„Ich werde mich doch nicht fürchten!“

Der Baron hielt das Licht, das er schon vor einer Weile genommen hatte, noch immer in der Hand. Er ging damit an die Thür und öffnete diese, freilich leise und vorsichtig genug. Auf einmal prallte er zurück; das Licht wäre ihm beinahe aus der Hand gefallen. Ein junger Mensch in einem alten, abgetragenen Rocke stand in dem Flur, unmittelbar vor ihm. Auch der junge Mensch flog zurück, als so unerwartet und leise neben ihm die Thür sich öffnete und ein helles Licht ihn beschien. Und als er gar den Baron von Goddentov aus Hinterpommern erkannte, mußte er unwillkürlich zwischen den Zähnen murmeln: „Jetzt bin ich vollends verloren!“ Aber auch der Baron hatte den jungen Mann erkannt, und er hatte ihn erkannt mitten in seinen Gedanken an freundliche Gesichter, schlanke Taillen, Liebesabenteuer, süßes Flüstern, und der Baron sammelte sich wieder.

„Ah, ah, Graf! Ein kleines Liebesabenteuer? Ei, ei!“

Hätte der Baron gehört, wie der Graf Schimmel sich jetzt innerlich für einen Dummkopf erklärte, daß er auf den Einfall eines solchen klugen hinterpommerschen Edelmannes nicht von selbst gekommen sei, wie würde er über die Dummheit der Berliner Diebe – freilich wohl nicht triumphirt haben!

„Ja, mein lieber Baron,“ sagte der Graf Schimmel von Hengst auf Füllendorf, „aber ein verunglücktes Abenteuer. Und wenn der Himmel mir nicht Sie als einen rettenden Engel gesendet hat, so bin ich verloren.“

„Ah, Graf, der Vater!“ sagte der Baron listig.

„Ein Barbar von Vater! Er macht mich unglücklich! Meine Ehre! Die Ehre der Dame!“

„Treten Sie ein, lieber Graf. Schnell, schnell, damit Niemand Sie sieht.“

Der Graf Schimmel sprang in das Zimmer. Der Baron schloß rasch und leise die Thür hinter ihm zu.

„Ah, Baron, wie danke ich Ihnen! – Gnädige Frau, Sie zürnen mir doch nicht? Sie kennen ja auch die Macht der Liebe!“

„Ja, ja,“ lachte der Baron. „Schlanke Taillen! Reizende Gesichter!“

„Mein Gemahl!“ rief die Baronin zornig.

„Ah, meine Frau wird eifersüchtig! Ich gestehe, hier in Berlin – Aber, lieber Graf, wie sehen Sie aus! In welchem Anzuge sind Sie!“

„Ah, lieber Baron, zu welchen Verkleidungen nimmt die Liebe nicht ihre Zuflucht!“

„Ah, ah! Liebe und Diebe. – Apropos, lieber Graf, hatten Sie mich nicht schon beim Aussteigen auf dem Bahnhofe vor einem lauernden Spitzbubengesichte gewarnt?“

„Allerdings.“

„Denken Sie sich, der Mensch wollte sich mir gegenüber für einen Polizeihauptmann ausgeben!“

„Aber Sie erriethen ihn, Baron?“

„Leider zu spät. Der Spitzbube hat mir meine Uhr und meine Börse gestohlen.“

„Dieses Berliner Diebsgesindel ist sehr frech, Baron.“

[147] „Sehr, lieber Graf! – Aber welch’ ein entsetzlicher Tumult entsteht da im Hause!“

„Bekümmern wir uns nicht darum. Man wird mich suchen.“

„Aber, lieber Graf, wer schrie denn vorhin so entsetzlich da oben?“

„Ah, Baron, mein Tölpel von Bedienten. Ich halte den Menschen auf Wache gestellt, um nicht überrascht zu werden. Auf einmal läßt er sich fangen. Ich konnte kaum noch von oben entspringen. Unten fand ich die Hausthür besetzt. Denken Sie sich meine Verzweiflung. Da kamen Sie, mein rettender Genius. Sie werden mich doch nicht ausliefern, verrathen?“

„Aber, Graf, was denken Sie denn von mir? Ich bin Cavalier!“

„Man wird Ihnen von Dieben sprechen.“

„O, ich kenne das, Graf!“

„Mein Gemahl, Du kennst das?“ rief entrüstet die Baronin. „Ich hoffe nicht –“

„Meine Verehrteste, nur aus Romanen und aus dem Theater zu Stolpe.“ Es wurde von außen mehrmals heftig an die Thür des Zimmers geklopft.

„Ah, ah, Graf, da sind sie schon. Aber seien Sie unbesorgt. Eilen Sie in das Schlafcabinet meiner Gemahlin dort. Ich werde Ihre Ehre und die der jungen Dame zu vertheidigen wissen. Die Herren werde ich abfertigen; sie sollen an mich denken.“

Der Graf Schimmel eilte in das Cabinet. Der Baron öffnete die Thür des Zimmers. Ein alter Herr und ein paar Gensd’armen standen vor der Thür. „Meine Herren, was wäre Ihnen gefällig?“ fragte der Baron sie stolz.

„Mein Herr, hier ist –“

„Ich bin der Baron von Goddentov auf Goddentov in Hinterpommern.“

„Herr Baron, hier im Hause ist ein frecher Einbruch verübt worden.“

„Ah, ah, ein Einbruch!“ lächelte der Baron listig. „Bei mir nicht, meine Herren.“

„Aber da oben –“

„Sie halten mich doch nicht für den Dieb?“

„Keineswegs. Aber es waren zwei Diebe –“

„Ah, Zwei?“

„Und wir haben erst einen.“

„Und suchen den zweiten?“

„Er muß noch im Hause sein.“

„Ah, da suchen Sie ihn bei mir?“

„In der That.“

„Sehen Sie sich gefälligst in dem Zimmer um.“

„Sie haben also nichts gehört?“

„Einen Schrei da oben.“

„Sonst nichts?“

„Sonst nichts.“

„Auch nichts gesehen?“

„Gar nichts.“

Die Gensd’armen sahen sich einander an. Bei dem Baron sah Alles so unverdächtig aus, und er hatte seine Rolle so natürlich gespielt. „Entschuldigen Sie, Herr Baron.“

„Ich bitte, meine Herren, Sie haben Ihre Pflicht gethan.“

Der alte Herr und die Gensd’armen gingen. Der Baron verschloß die Thür wieder.

„Die habe ich angeführt!“ triumphirte er.

Der Graf Schimmel war aus dem Cabinete zurückgekommen.

„Ah, lieber Graf,“ triumphirte der Baron weiter, „jetzt begreife ich, wie die Berliner Diebe dumm sein können. Die Berliner Polizei ist noch dümmer. – Nun, Sie bleiben die Nacht hier bei uns. Das Sopha ist bequem. Morgen sehen wir, was weiter zu thun ist.“




Blätter und Blüthen.

England und Deutschland. Man hat unserm Londoner Mitarbeiter Dr. Beta oft den Vorwurf gemacht, er sähe England und englische Zustände mit dem griesgrämigen Auge eines Flüchtlings und deshalb nicht vorurtheilsfrei an. Wir können uns allerdings die Logik eines solchen Vorwurfes nicht ganz erklären, denn ein Flüchtling dürfte sich als solcher doch wohl eher zum Gegentheil veranlaßt fühlen, indeß lassen wir das dahingestellt sein und bemerken nur beiläufig, daß Beta nie vergessen hat, die vielen guten Seiten Englands mit Ausdruck hervorzuheben. Was sagen die Gegner Beta’s aber zu nachfolgenden Zeilen eines bereits seit zwölf Jahren in England lebenden reichen Deutschen, der nicht Flüchtling, sondern einer der geachtetsten deutschen Geschäftsleute in London ist? Er schreibt wörtlich: „Ich möchte, ich könnte den Engländern rückschtlich der socialen und humanistischen Zustände Deutschlands ein richtiges, sichtbares und verständliches Bild unseres lieben deutschen Vaterlandes geben, das hier gerade von denjenigen Leuten mit Geringschätzung behandelt wird, welche ihrer geistigen Stellung nach eigentlich verpflichtet wären, von dem großen humanistischen Berufe Deutschlands Notiz zu nehmen. Ich habe eben jetzt gegen meine Gewohnheit in einem englischen Blatte für deutsches Wissen und deutsche Kraft eine Lanze brechen müssen. Lassen Sie mich doch in Ihrem nächsten Schreiben wissen, ob ein scharfer, aber gemäßigter Artikel über englische Anmaßung und Unwissenheit Deutschland gegenüber der Tendenz der „Gartenlaube“ nicht widersprechen würde. Ich meines Theils halte es für meine Pflicht, bei aller Anerkennung für das wirklich Gute in England denn doch mein deutsches Vaterland nicht mit Füßen treten zu lassen, und ich glaube, daß es gar nicht schaden könnte, wenn die Deutschen hie und da erführen, wie man in England von ihnen denkt und spricht. Sie würden vielleicht von jener übertriebenen und unbedingten Verehrung englischer Zustände zurückkommen, die sie zu Schmeicheleien verleitet, über welche die Engländer selbst lächelnd die Achseln zucken.“




Der Proceß Arbenz. Den Lesern der Gartenlaube außerhalb der Schweiz ist der „Proceß Arbenz“ wahrscheinlich zum bei weitem größten Theile unbekannt geblieben. In der Schweiz hat dieser Proceß desto mehr Aufsehen gemacht. Monate lang konnte man kein schweizerisches Blatt in die Hand nehmen, ohne darin Mittheilungen und Urtheile über ihn zu finden, und dann war noch eine ihn darstellende Brochüre in einer Auflage von 2000 Exemplaren in Zeit von kaum vierzehn Tagen vergriffen.

In der That liefert auch dieser Proceß einen der betrübendsten Justizmorde der neueren Zeit, wenn man nach einem einmal allgemein gestatteten Gebrauche das Wort Justizmord auf solche richterliche Entscheidungen in Criminalsachen beziehen darf, durch welche ein völlig Unschuldiger für schuldig erklärt und zu einer Strafe verurtheilt wird, durch welche somit das Recht geradezu getödtet worden ist.

Der Proceß Arbenz hat stattgefunden in den Jahren 1857 und 1858, also in der allerneuesten Zeit. Er ist geführt in dem Canton Zürich, in dem Cantone der Schweiz, der überall als an der Spitze der Intelligenz in der ganzen Schweiz stehend anerkannt wird, in dem auch von politischen Parteileidenschaften keine Rede ist. Er ist verhandelt nach einem Proceßgesetze, das erst aus dem Jahre 1852 datirt und auf die neuesten Rechtsanschauungen und Rechtsgrundsätze, denen die meisten neuesten Strafprozeßgesetze auch in Deutschland huldigen, gegründet ist. Er ist geleitet von Beamten, die vom Volke gewählt werden, und die als die „Wägsten und Besten,“ wie man in der Schweiz sagt, allgemein in der größten Achtung der Rechtlichkeit stehen und diese allgemeine Achtung verdienen.

Sein Thatbestand endlich ist folgender:

Im Canton Zürich, im Dorfe „Dorf“, einige Stunden von der Stadt Zürich gelegen, lebte ein wohlhabender Bauer, der zugleich einen Wein- und Holzhandel trieb, mit Namen Conrad Arbenz. Er stand in gutem Rufe. Nicht weit von ihm, im Dorfe Neftenbach, wohnte der Zimmermann Jakob Heidelberger, ein gewandter Mensch, der gleichwohl keines guten Rufes genoß, in seinen Vermögensverhältnissen ruinirt, vielfach ausgeklagt und gepfändet, dennoch in einem Scheine von Wohlhabenheit lebte und stets zu neuen Unternehmungen bereit war.

Dieser Jakob Heidelberger hatte im Jahre 1856 mit der Direction der Glattthalbahn (Eisenbahn durch eine sehr belebte, fabrikreiche Gegend des Cantons Zürich) einen Vertrag über Schwellenlieferungen geschlossen. Er mußte der Direction eine Caution von 3000 Franken bestellen. Er hatte – im August 1856 – den Conrad Arbenz vermocht, daß dieser die Caution für ihn leistete. Er hatte den Arbenz ferner zu bestimmen gewußt, die Schwellenlieferungen gemeinschaftlich mit ihm zu übernehmen. Er hatte ihn endlich zu bereden gewußt, ihm, dem Heidelberger, ein bedeutendes Darlehn zu geben. Aus dem Allen war er Schuldner des Arbenz zu einem Betrage von noch etwa 3400 Franken geblieben.

Am 3. März 1857 waren Arbenz und Heidelberger in dem Dorfe Uster, wo die Direction der Glattthalbahn ihren Sitz hat und wo Heidelberger aus deren Casse auf die bisher geleisteten Schwellenlieferungen eine bedeutende Zahlung erhalten sollte, von welcher er den Arbenz zu befriedigen versprochen hatte.

Heidelberger erhielt von der genannten Casse die volle Zahlung. Er berechnete sich auch vollständig mit Arbenz, verschwieg diesem aber einen erheblichen Betrag der aus der Casse erhaltenen Summe und leistete demnach auch dem Arbenz nur eine Theilzahlung, blieb ihm namentlich die Summe von 1700 Franken, die er hätte bezahlen müssen, schuldig. Beide gingen in Streit auseinander. Arbenz klagte darauf seine Forderung an Heidelberger gegen diesen ein.

Heidelberger erhob nun dagegen eine gerichtliche Denunciation gegen Arbenz, worin er behauptete, daß er am 3. März den Arbenz vollständig befriedigt habe, dieser also, indem er dennoch bereits bezahlt erhaltene 1700 Franken nochmals von ihm fordere, sich eines Betruges schuldig mache. Er stützte diese Behauptung einzig und allein auf jene Berechnung, die er dem Arbenz heimlich entwendet hatte.

Arbenz wurde auf Grund dieser Denunciation zur Criminaluntersuchung gezogen und am 13. Mai 1857 von den Geschworenen schuldig erklärt und von dem Gerichte zu einer zweijährigen Zuchthausstrafe und zu 208 Franken Entschädigung an Heidelberger verurtheilt; zugleich wurde ein nicht bezahlter Wechsel Heidelberger’s an Arbenz über 1000 Franken für nichtig erklärt. [148] So hatte Heidelberger, der Betrüger, über 1800 Franken gewonnen, und Arbenz, der um diese Summe Betrogene, mußte als Betrüger in’s Zuchthaus wandern.

Am 14. Mai, wenige Stunden nach der Verurtheilung, saß er schon im Zuchthause. Wie war das Alles möglich? fragen mit Entrüstung und Erschrecken die Leser.

In diesen Tagen ist im „Magazin für Literatur“ zu Leipzig das vierte Bändchen der „Deutschen Criminalgeschichten“ von J. Temme erschienen. Dasselbe enthält den Proceß Arbenz in ausführlicher, actengetreuer Darstellung. In demselben finden die Leser die Antwort aus ihre Frage.

Es wird darin gezeigt, wie der verübte Justizmord so nur unter den Grundsätzen und Formen des französischen Strafverfahrens, das auch in Deutschland Aufnahme gefunden, so daß der Verfasser es das „moderne französisch-deutsche Strafverfahren“ nennt, und das auch, vielfach verbessert, im Canton Zürich gilt, habe ausgeübt werden können. Es wird insbesondere nachgewiesen, wie die in diesem Strafverfahren dem Staatsanwalt eingeräumte bevorzugte, mit obrigkeitlicher Gewalt ausgestattete Stellung gegenüber einem, zumal in einer geheimen inquisitorischen Voruntersuchung und in enger, einsamer Haft, fast bis zur Willkür unterworfenen Angeklagten, das herbeigeführte traurige Resultat möglich machte. An Thatsachen mögen folgende Punkte (nur wenige aus großen Reihen ähnlicher) hier angedeutet werden:

Am 13. Mai (1857) war Arbenz vor die Geschwornen gestellt. Am 5. Mai hatte er zum ersten Male in seiner Haft Jemanden von seinen Angehörigen und seinen Vertheidiger sprechen dürfen. Es wurde jetzt Aussetzung der Schwurgerichtssitzung nachgesucht; der Staatsanwalt widersetzte sich, das Gericht wies sie zurück. Acht Tage blieben nur, um in einer äußerst verzweigten und verwickelten Betrugssache die Vertheidigungsmomente zu ermitteln und herbeizuschaffen, nach denen in der Voruntersuchung der Angeklagte nicht einmal gefragt war.

In der Schwurgerichtssitzung wollte der Vertheidiger die Untersuchungsacten einsehen. Der Staatsanwalt legte den Ellnbogen auf sie, und sie blieben dem Vertheidiger verschlossen.

In den Acten (die der Staatsanwalt hatte) hatte sich ein günstiges Leumundszeugniß für den Angeklagten befunden; in der Schwurgerichtssitzung war es fort. Der Angeklagte und der Vertheidiger hatten es nicht gekannt; der Staatsanwalt erwähnte seiner nicht.

Der Angeklagte hatte acht Entlastungszeugen zu der Schwurgerichtssitzung vorladen lassen. Als sie vernommen werden sollten, erklärte der Staatsanwalt sie für seine Belastungszeugen. Nach dem Züricher Strafproceßgesetze werden (wie im englischen Proceß) die Zeugen von dem vernommen, der sie vorgeschlagen hat. So vernahm der Staatsanwalt sie „in seiner Weise.“

Nach geschlossenem Verfahren verlangte der Staatsanwalt von den Geschwornen die Verurtheilung des Angeklagten, indem er ihnen zurief: „Der Fall Arbenz sei der Prüfstein für den Werth der Jury, jetzt müsse es sich zeigen, ob die Geschwornen im Stande seien, einen Mann von Einfluß und Vermögen schuldig zu sprechen.“

Dabei gab er ihnen eine von ihm selbst gefertigte und von ihm als richtig versicherte Berechnung der Schuldverhältnisse zwischen Arbenz und Heidelberger mit, nach welcher – in Uebereinstimmung mit seiner Anklage – Arbenz dem Heidelberger noch 108 Franken verschulde. Diese Berechnung, einseitig von ihm ausgestellt und den Geschwornen mit in das Berathungszimmer gegeben, war objectiv falsch.

In solcher Weise war die Verurtheilung des Angeklagten möglich geworden, auf Grund einer Anklage, die auf nichts weiter begründet war, und die auch im Laufe der Verhandlungen durch nichts weiter gestützt wurde, als blos auf die Behauptung des beteiligten, in schlechtem Rufe stehenden Heidelberger und auf jene (nicht unterschriebene) Privatnotiz des Arbenz, welche Heidelberger dem Arbenz heimlich entwendet hatte.

Nur unter kaum glaublichen Mühen und Schwierigkeiten, die wiederum nur jene bevorzugte Stellung des Staatsanwaltes bereiten konnte, gelang es endlich nach länger als einem Jahre, die Unschuld des Angeklagten zu ermitteln. Das Nähere auch hierüber – eine der rührendsten und erhebendsten Geschichten kindlicher Liebe und Aufopferung – enthält gleichfalls jene Darstellung des Processes Arbenz, der überhaupt reich an dem interessantesten Material nach so vielen Seiten hin ist.

„Möge,“ schließt die Darstellung des Processes, „die Geschichte des Processes Arbenz eine Lehre für Juristen, Geschworne und Richter sein, am meisten für Gesetzgeber!“




Schach.

Aufgabe Nr. 3.
Von Herrn Jean Dufresne in Berlin.

Schwarz.

Weiß.
Weiß zieht und setzt mit dem fünften Zuge matt.




Briefwechsel.

Herr Dr C. in Posen. Sie fragen nach unserm Urtheil über Herrn Morphy’s Spiel. Wir halten ihn für einen der stärksten lebenden Schachspieler. Vielleicht ist er auch im Augenblick bei der großen und ernsthaften Uebung, die er seit längerer Zeit hat, allen andern hervorragenden Schachgrößen überlegen. Aber diese Ueberlegenheit ist keine so bedeutende, daß er berechtigt und im Stande wäre, Herrn Harrwitz oder Loewenthal, geschweige denn unserm Anderssen auch nur einen Bauer vorzugeben. Daß Herr Harrwitz, der doch mehrere Partieen glänzend gegen Morphy gewonnen, über einen derartigen Vorschlag sehr unwillig ist, finden wir ganz in der Ordnung. – Die Kunst des Herrn Morphy, aus dem Gedächtniß gleichzeitig 8 Partieen, und zwar mit vieler Schärfe zu spielen, ist ohne Zweifel bewundernswerther, als sein praktisches Spiel, das bei aller Vortrefflichkeit doch über das von dem großen De la Bourdonnaie erreichte Maß gewiß nicht hinaus geht.

Herr W. Fuhr in Mühlhausen. Lösung richtig. Daß Anderssen und Morphy Figuren nicht nehmen, wenn es ihnen nützlich ist, bitten wir zu beweisen.

Herr A. B. in C. Richtig, Walker übersetzt von Schiereck.

Herr G. Seeberger in Graz. Dankend erhalten. Theilweise bereits zur Aufnahme bestimmt.




Ein Buch für Arm und Reich.
In unterzeichneter Verlagshandlung erscheint und ist durch alle Buchhandlungen zu haben:
Das Buch vom gesunden und kranken Menschen.
Von Dr. Carl Ernst Bock, Professor der pathologischen Anatomie in Leipzig.
Mit 25 feinen Abbildungen.
Dritte vermehrte Auflage in Heften.


An das Publicum.

Jeder Mensch hat von Natur die Macht und deshalb auch die Verpflichtung, sich, und soweit es in seinen Kräften steht, auch seine Mitmenschen, gesund und bei langem Leben zu erhalten. Denn Krankwerden, frühzeitiges Altern und vorzeitiges Sterben sind ebensowenig wie Gesundbleiben und ein langes Leben weder Zufälligkeiten noch Vorausbestimmung, sondern die nothwendigen Folgen unseres Verhaltens; sie hängen von ganz bestimmten Ursachen ab und gehen nach feststehenden Naturgesetzen vor sich. Es ist deshalb die Aufgabe jedes wirklich Gebildeten, überhaupt Jedes, der den Namen „Mensch“ verdienen will, sich mit jenen Bedingungen und Gesetzen nicht nur vertraut zu machen, sondern denselben auch nach Kräften nachzukommen, um Krankheit und frühen Tod zu verhüten.

Das vorliegende Werkchen soll den Leser mit den Bedingungen zur Gesundheit und zum langen Leben, soweit es zur Zeit die Wissenschaft vermag, bekamt machen. Es lehrt deshalb, gestützt auf den Bau und die Verrichtungen unseres Körpers und seiner einzelnen Organe, ebenso die Pflege des gesunden, wie des kranken Körpers. Müttern und Lehrern ist es aber vorzugsweise deshalb gewidmet, weil diese die Macht haben, durch richtige Erziehung der Kinder ein in körperlicher, wie geistiger und moralischer Hinsicht gesünderes und besseres Menschengeschlecht, als das jetzige ist, zu erziehen.

Bock.




Zur Empfehlung dieses Werkes bedarf es keiner buchhändlerischen Anpreisungen. Es hat in zwei Auflagen für sich selbst gesprochen und wird das in der dritten um so mehr können, als sein Werth durch die umfänglichen, dem Standpunkte der heutigen Wissenschaft entsprechenden Verbesserungen und Vermehrungen noch erhöht wird.

Die unterzeichnete Verlagshandlung hat daher den obigen Mittheilungen des Herrn Verfassers nur noch Folgendes hinzuzufügen.

Die dritte Auflage des „Buches vom gesunden und kranken Menschen“ ist in einer neuen übersichtlicheren Form bearbeitet, nach welcher das Werk in drei Abtheilungen:

1) vom Baue und den Tätigkeiten des menschlichen Körpers und seiner Organe;

2) Pflege des gesunden Körpern, Schutz gegen Krankheiten;

3) Pflege des kranken Körpers, Behandlung der Krankheiten;

zerfällt, die in sieben, in monatlichen Zwischenräumen aufeinander folgenden Lieferungen erscheinen. Der Subscriptionspreis für jede Lieferung ist 71/2 Ngr. Nach dem Erscheinen der letzten Lieferung tritt ein etwas höherer Ladenpreis ein.

Von der durchaus würdigen typographischen und künstlerischen Ausstattnng gibt die vorliegende erste Lieferung Zeugniß.

Leipzig, im Februar 1859. Die Verlagshandlung. Ernst Keil.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig,

  1. Von unserm Mitarbeiter Jul. Rodenberg, der soeben unter dem Titel: „Deutsche Antwort auf die welsche Frage“ ein Heft politischer Gedichte bei C. Rümpler in Hannover erscheinen ließ.
    D. Redakt.
  2. Unsern zahlreichen Lesern im Auslande diene die Mittheilung, daß der Großglockner, auf der Grenze zwischen Tyrol, Kärnten und Oberösterreich gelegen, nach den neuesten Messungen 12,158 Fuß hoch, mithin der höchste Berg in Deutschland ist. D. Redact.
  3. Die Leute werden stets nach dem Haus- und nicht nach dem Familiennamen genannt.
  4. Siehe die Artikel in Nr. 4 und 30. (1858).