Die Gartenlaube (1862)/Heft 36

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1862
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 36.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Sophie Dorothea.

Eine Hofgeschichte.


1. Exposition.

In den Empfangssälen des kurfürstlichen Schlosses in Hannover war reges Leben und Treiben. Die Wohlgerüche der Atmosphäre vermischten sich mit dem leisen Gesumme der Plaudernden, und der Glanz der Lüstres verschmolz mit dem Strahlenreflex der hohen Wandspiegel zu einem Ocean von Licht, welcher den transparenten Blättern der exotischen Pflanzen das Aussehen von zitternden Smaragden gab. Seidenstarrende Damen, deren Costüme in allen Farben des Regenbogens glänzten, flatterten vor den Spiegeln umher wie lebendige Blumen, umgaukelt von den glänzenden Cavalieren des Hofes, wie von leichtfertigen Schmetterlingen. Alles war Gelächter, Geschwätz, Wohlgeruch und Aufregung.

In der Mitte des Thronsaales standen vier Männer in eifriger Unterhaltung. Der Größte derselben war ein robuster, junger Mann von etwa vierunddreißig Jahren, mit einem unangenehmen breiten Gesichte und kleinen grauen Augen. Das war der Erbprinz Georg Ludwig von Hannover, der Gemahl der schönen Prinzessin von Celle. Er plauderte eben mit einem hochgewachsenen, schlanken Cavalier, dessen männliche Schönheit noch von seiner schönen Männlichkeit übertroffen wurde. Sein Antlitz vereinigte den feinen Typus des Franzosen mit den kräftigen Umrissen des Schweden. Er hatte ein schönes, sprechendes Auge, eine entschlossene geistvolle Miene und einen feingeschlitzten Mund. Seine Kleidung von mattgelber Seide, mit granatrothem Moire eingefaßt, war ebenso weit von der Ueberladung des damaligen Hofcostüms, wie von der geschmacklosen Einfachheit der Bürgerkleidung entfernt. Es war dies der Graf Philipp Christoph von Königsmark, der Sohn Konrad’s von Königsmark und der Bruder der schönen Aurora. Er war erst heute auf eine Einladung des Kurprinzen in Hannover angekommen, um einige Monate hindurch in der Atmosphäre dieses zahmen Hofes von seinen pikanten Abenteuern in Holland und Flandern auszuruhen.

Nicht weit von diesen Beiden stand der alte Kurfürst von Hannover, ein gelber, dürrer, unangenehmer Greis. Er war im tiefsten Gespräche mit Lord Walpole, dem Gesandten Englands, begriffen, der ebenfalls erst an diesem Tage angekommen war, um den an Verdauungsbeschwerden gestorbenen Mäßigkeitsapostel Lord Rivers zeitweilig zu ersetzen. Weiter gegen die Orangerie hin befand sich eine Schaar kichernder und schwatzender Hofdamen, welche einen alten Höfling umringten, der sie augenscheinlich mit irgend einer pikanten Chronique scandaleuse unterhielt.

„Du bist zur guten Stunde gekommen, Philipp!“ rief Georg, indem er die Hände seines Jugendfreundes ergriff. „Nie bedurfte ich eines gewandten Intriganten so sehr, wie eben jetzt. Du, der Meister aller Geniestreiche, welcher seine ersten Sporen an dem prachtliebenden Hofe des sächsischen Kurfürsten gethan hat, Du mußt mir helfen den Eigensinn einer Frau zu bekämpfen, welche sich’s zur Aufgabe gemacht hat, mir das Leben zu verbittern.“

Philipp lachte. „Eine Frau? Aber Prinz! Sie bedürfen einer Alliance gegen eine Frau? – Gewiß eine hartherzige Geliebte? Nehmen Sie sich in Acht, Monseigneur, ich bin in derlei Dingen ein gefährlicher Helfershelfer – vorausgesetzt, daß die Dame hübsch ist.“

Georg zuckte ungeduldig mit den Achseln. „Bah! hartherzige Geliebte! – Die verwünschte Dörthe ist’s, die sich’s seit einiger Zeit in den Kopf gesetzt hat, die verfolgte Märtyrin zu spielen, und die mich mit ihren larmoyanten Phrasen verfolgt. Denke Dir einen Hof, Philipp, dessen Fürstin eine personificirte Thränenweide ist, und dessen Fürst seine Geliebten mit petites maisons beschenken muß, wie ein kleiner Bürger, nur um seine allenfallsigen Liaisons vor der Spionage seiner Gemahlin zu verbergen.“

„Welch ein Unglück!“ lachte Philipp mit komischem Entsetzen, „Ihre Gemahlin ist also naiv genug, zu glauben, sie habe mit der Fürstenkrone zugleich einen Mann geheirathet?“

Georg warf einen raschen Blick auf seinen Vater und Lord Walpole. „Still!“ flüsterte er, „sprich leise – der rothhaarige Lord schnappt jedes Wort auf, um es seiner allergnädigsten Souverainin zu rapportiren und mich dadurch in Mißcredit zu bringen.“

„Ah, richtig!“ meinte Philipp, indem er sich zum Ohre des Prinzen neigte. „Man muß die alte, bigotte god-save menagiren – der Succession wegen? Getroffen!“

Georg nickte. „Um aber wieder auf unser Gespräch zu kommen,“ fuhr er fort, „ich habe heute Abend einen Gewaltstreich vor.“

„Einen Gewaltstreich?“ lächelte Philipp mit maliciöser Miene. „Eine Entführung?“

Georg machte eine Bewegung der Ungeduld. „Du, der Ränkeschmieder par excellence, der Intrigant sans pareil, Du weißt doch, daß man diese heroischen Mittel nur noch in den Romanen des Herrn von Ayren und der Frau von Scudéry findet. Und übrigens, wen sollte ich entführen?“

Philipp verbeugte sich. „Ah, ich hatte ganz vergessen, daß ich zu dem „Unwiderstehlichen“ sprach, wie Sie auf der Universität hießen, Prinz.“

Georg lächelte fad. „Ohne Schmeichelei, Graf. Höre mich. Stelle Dir vor, daß ich jetzt die schönste Frau Hannovers anbete. Ein Weib, schön wie Venus, majestätisch wie Diana, wild wie … wie …“

[562] „Wie eine Amazone?“ half ihm Philipp lächelnd ein.

„Ja – wie eine … Du kennst die Gräfin Platen nicht, Philipp?“

„Hoheit wissen, daß ich in Hannover ein Wilder bin.“

„Du, der alle Welt kennt!“

„Ich, der alle Welt kennt, muß zu meiner Schande gestehen, daß ich die schöne Platen nur renommée kenne.“

„Nun denn, so sieh dorthin, Philipp – die große Brünette.“

Königsmark ließ seine blinzelnden Augen über die Gruppe der Damen schweifen und hatte die Bezeichnete rasch gefunden. Es traf sich, daß die Gräfin zufällig ebenfalls herübersah, und ein aufmerksamer Beobachter hätte wahrnehmen können, daß die Beiden einen Blick tauschten, der ein halbes Lächeln aufwog. Dennoch suchte der Graf noch immer fort.

„Es giebt so viele Brünetten hier,“ sagte er.

„Die mit der grünen Seidenrobe.“

„Ah!“

„Nun?“

„Ich mache Ihrem Geschmacke mein Compliment, Monseigneur!“

„Ach – ich wußte es!“ Ich wollte aber sagen, daß ich, aller dieser Heimlichkeiten satt, diese Liaison offen bekennen und die Gräfin Platen an die Person meiner Gemahlin attachiren will.“

„Teufel! Ganz Louis quatorze!“ sagte Königsmark mit einer Grimasse. „Aber Madame Sophie Dorothea –?“

Georg stampfte ungeduldig mit dem Fuße und rieb sich unruhig die Hände. Sie wird wohl meinem Willen weichen müssen!“ sagte er mit einem Blicke auf die Thüre des Saales. „Ich schrieb ihr heute ein Billet, worin ich ihr meinen Entschluß mittheilte, ihr heute Abend die Gräfin Platen vorzustellen.“

„Wie? Heute Abend? – Jetzt?“

„Ja, ja, ja.“

„Nun, und Madame Dorothea?“

„Dörthe ließ das Billet ohne Antwort, folglich willigt sie ein.“

„Glauben Sie?“ lächelte Königsmark. „Hm. Ich kenne das Schweigen der Frauen. Es gleicht der Stille vor dem Sturme. Nehmen Sie sich in Acht, Monseigneur!“

In diesem Augenblicke lüftete sich in der Nähe der Sprechenden die damastene Portière einer Seitenthüre, und das Knistern einer Seidenrobe ertönte hinter ihnen, – jenes Knistern, welches leise ist wie der Hauch des Windes, der durch die Zweige der Linden raschelt, und welches dennoch die eigenthümliche Macht hat, uns einen Schauer durch alle Glieder zu jagen. Trotz des Summens der Sprechenden hatten die Beiden dennoch dieses Rauschen gehört und wandten sich um.

Georg erbleichte ein wenig. „Ah! Frau von Nassau –“ Königsmark blickte neugierig auf die Kommende.

„Frau von Nassau? Wer ist Frau von Nassau?“

„Die Unzertrennliche meiner Frau.“

Königsmark’s Miene zeigte ein lebhaftes Interesse. „Ah! der Sturmvogel, Hoheit!“ flüsterte er, indem er sich discret zurückziehen wollte.

Aber Georg hielt ihn zurück. „Bleib, Philipp,“ sagte er, indem er sich zugleich an Frau von Nassau wandte, die mit einer tiefen Verbeugung vor ihm stehen geblieben war.

„Darf ich Monseigneur um ein gnädiges kurzes Gehör ersuchen?“ sagte die Dame mit gedämpfter Stimme, indem sie sich wieder aufrichtete.

Der Prinz nickte und schlug ungeduldig die Hände aneinander. Frau von Nassau ließ einen raschen Blick auf Königsmark hinübergleiten. Der Prinz machte ein Zeichen der Ungeduld. „Dieser Herr ist mein Freund, und ich habe keine Geheimnisse vor ihm.

Monsieur le comte Philippe de Königsmarkmadame Jeanne de Nassau-Scharffenstein, dame d'atours – und jetzt, da die Vorstellung geschehen ist, machen Sie schnell, Frau von Nassau – ich bin auf der Folter – haben Sie mir wieder eine Bizarrerie meiner Gemahlin zu melden?“

Frau von Nassau und Königsmark hatten sich kalt vor einander verbeugt, und die Gräfin wandte sich wieder an den Prinzen, indem sie mit gedämpftem Tone sprach: „Die Prinzessin hat das Billet Monseigneurs empfangen und ist entschlossen, lieber zu sterben, als die Präsentation der bewußten Dame zu acceptiren.“

Georg stieß einen Schrei der Ueberraschung aus. „Das wollen wir doch sehen!“ rief er, roth vor Wuth. „Ich will selbst zu meiner Frau – ich werde sie zu zwingen wissen!“

„Was ist’s?“ rief der Kurfürst, indem er heranschritt, gefolgt von dem lauernden Lord Walpole.

„Nehmen Sie sich in Acht, Monseigneur!“ flüsterte Königsmark.

„Laß mich!“ rief Georg, indem er zur Thüre schritt. „Ich will doch sehen, ob Dörthe es wagt!“

„Da ist die Prinzessin!“ rief Frau von Nassau, indem sie zur großen Eingangsthüre eilte, deren Portière soeben bei Seite geschoben wurde und auf deren Schwelle Sophie Dorothea von Celle inmitten einiger Damen, erschien.

„Ah! ah!“ murmelte der Graf von Königsmark, indem er sich die Hände rieb. „Es scheint, man amüsirt sich hier beinahe so gut, wie in Dresden!“



2. Eine Kriegserklärung.

Die Prinzessin war eine hohe, majestätische Gestalt, von jener üppigen Schönheit, wie sie der Pinsel eines Velasquez und eines Mignard zu schildern verstand – und welche für die starrenden Seidenroben und die hohen Frisuren des 17. Jahrhunderts wie geschaffen zu sein schienen. Ein matter bläulicher Hauch, welcher wie der Blütenstaub einer Lilie ihre großen lichten Augen umgab, verlieh ihrem interessanten Gesichte einen neuen Reiz und gab ihr ein schmachtendes Aussehen, welches durch die leichtgeringelten braunen Locken, die ungezwungen über ihre Schultern niederwallten, noch erhöht wurde. Sie war sehr schön, und Königsmark, dieser große Kenner der Schönheit, hatte einen Ausruf der Bewunderung nicht unterdrücken können, als der Blick ihrer herrlichen großen Augen zum ersten Male auf ihn fiel und wohl die Ewigkeit einer Secunde hindurch auf ihm haften blieb.

Georg blieb beim Eintritte seiner Gattin stehen und wandte sich dann, statt ihr vollends entgegen zu gehen, mit einem raschen Entschlusse nach der Seite, wo sich die Hofdamen und Cavaliere befanden, welche sich beim Eintritte der Prinzessin wie auf ein Commando verneigt hatten, und deren Rücken die normale Lage noch nicht wieder angenommen hatte. Er blieb neben der Gräfin von Platen stehen und erwartete hier seine Frau.

Die Gräfin blickte ihn beinahe flehend an und hatte die Hand auf ihr pochendes Herz gelegt. Er beruhigte sie aber mit einem entschlossenen Lächeln. Der alte Kurfürst war auf Sophie Dorothea zugegangen und stellte ihr den englischen Gesandten vor, welcher sich vor der Gattin seines präsumtiven Herrn tief und ehrfurchtsvoll verneigte.

Während einige verbindliche Phrasen in englischer Sprache gewechselt wurden, schritt die Gruppe den Saal entlang an den Damen und Cavalieren vorbei, welche alle in ihrer tiefen Verbeugung verharrten. Sophie Dorothea blieb mit dem Kurfürst von Zeit zu Zeit vor dieser oder jener Person stehen und wechselte einige verbindliche Worte mit ihr.

„Ah, Herr von Nassau!“ lächelte sie, indem sie vor einem alten stutzerhaften Herrn stehen blieb. „Sind Sie uns endlich aus dem abscheulichen, nebligen Holland zurückgekehrt? Meine arme Johanna ist mir schon ganz melancholisch geworden –“

Der Kurfürst unterbrach sie, indem er mit seiner dürren Hand auf ein junges, hübsches Mädchen wies, welches sich erröthend verbeugte.

„Das ist die Gräfin von Hohenstein, ma fille,“ näselte er mit seiner unangenehmen Stimme, „die uns von unserem guten Vetter von Sachsen empfohlen worden ist.“

Sophie reichte dem Mädchen mit einem freundlichen Lächeln die Hand. „Wie hübsch die Kleine ist!“ sagte sie. „Wir wollen Freundinnen werden – wollen Sie, Gräfin?“

Fräulein von Hohenstein erröthete noch tiefer, und ihre Hand zitterte in der Hand der Fürstin. Wie Sophie jetzt wieder aufblickte, runzelte sie leicht die Stirne, denn ihr Blick fiel auf den Grafen von Königsmark, welcher sich soeben an der Seite des Kurfürsten näherte. Sie hatte den Grafen nie gesehen, aber sie wußte, daß er gekommen sei, und errieth ihn. Er war für sie ein Feind mehr an diesem Hofe. Der Jugendfreund ihres Gatten, der leichtfertige und berüchtigte Cavalier vom Hofe des sächsischen August mußte jedenfalls, wie alle Andern, Partei gegen sie nehmen.

„Monsieur le comte de Königsmark, général de son altesse l'électeur de Saxe,“ sagte der Kurfürst.

Königsmark verbeugte sich. Sophie nickte leicht mit dem Kopfe, sagte ein leises: „Seien Sie willkommen!“ und schritt weiter.

Während des Weiterschreitens machte sie einige Schwingungen [563] mit ihrem großen Fächer, und verborgen hinter den Planchen desselben flüsterte sie eilig der Frau von Nassau, welche an ihrer Seite ging, zu: „Sie ist nicht hier!“

Die Nassau lächelte bitter und ließ ihre Blicke mit einem bezeichnenden Ausdrucke auf einem Theile der Damengruppe haften.

Sophie Dorothea folgte der stummen Aufforderung, stieß plötzlich einen leisen Schrei aus und blieb wie angewurzelt stehen, als habe sie ein Gespenst erblickt.

Dieses Stehenbleiben konnte aber ebenso gut von der hastigen Bewegung einer langen, dürren Dame – der Obersthofmeisterin von Waiden – herrühren, die jetzt mit der Gräfin von Platen vortrat. In demselben Augenblicke wurde auch Prinz Georg sichtbar, welcher die Gräfin aus der Hand der dürren Dame empfing und mit derselben vor die Prinzessin trat.

Die Gräfin von Platen war ein schönes brünettes Weib, deren dunkle Schönheit durch das grelle Grün ihrer Robe noch gehoben wurde. Sie trug nach der damaligen Mode drei Schönpflästerchen im Gesicht, eine Neuerung, die an diesem Hofe noch Niemand gewagt hatte, und die erst in den Privatcirkeln acceptirt worden war. – Sie verbeugte sich vor der Prinzessin mit ungezwungener Anmuth und Leichtigkeit, aber die wogende Brust und die festgeschlossenen Lippen verriethen die Aufregung, welche diesen stolzen Körper durchzitterte.

„Hier stelle ich Ihnen die Wittwe des Grafen von Platen vor, Dorothea,“ sagte der Prinz mit harter, hastiger Stimme. „Ihr Gemahl ist in unserem Dienste umgekommen, und ich habe wohl nicht nöthig, Ihnen seine Wittwe zu empfehlen.“

Eine athemlose Pause trat ein. Man hörte das Knistern der Kerzen, das Rascheln der Seidenroben und das Knarren des Parquets. Eine tiefe Gluth hatte den Nacken und den Hals Dorothea’s übergossen, war wie ein rosiger Hauch in ihr Antlitz hinaufgestiegen und blieb auf ihrer Stirne haften wie ein Diadem ihrer verletzten Würde. Etwas wie eine Drohung blitzte in ihren Augen.

Dann wurde sie todtenbleich, und ein Zittern lief über ihre Gestalt, wie ein Windhauch über die Fläche eines Sees. Ohne ein Wort zu sprechen, wandte sie sich um und ergriff den Arm der Frau von Nassau, um sich mit ihr zu entfernen.

„Dorothea!“ wiederholte Georg mit einer dumpfen und concentrirten Stimme, „Dorothea, ich stelle Ihnen hier die Gräfin von Platen vor – sprechen Sie mit ihr –!“

Die zitternden Lippen der Prinzessin öffneten sich, und während sich ihre Augen mit Thränen füllten, murmelte sie mit halberstickter Stimme: „Ah! und welchen Namen wollen Sie, daß ich Ihrer Maitresse gebe, Georg?!“

Die Worte waren leise, sehr leise gesprochen worden – und nur wenige Ohren konnten sie vernommen haben, – aber dennoch brachten sie eine blitzartige Wirkung hervor. Georg trat mit einem wüthenden Ausrufe zurück und fing Frau von Platen auf, welche mit einem leisen Schrei in Ohnmacht sank. Der Kurfürst warf einen bösen Blick auf seine Schwiegertochter und wandte sich mit bebenden Lippen zu Lord Walpole, welcher mit seinem ewigen süßen Lächeln die Gruppe betrachtete.

Sophie Dorothea hatte den Arm ihrer Freundin ergriffen und schritt langsam und aufrecht durch den Saal, während die Damen und Herren des Hofes – welche nicht wußten, was eigentlich vorgefallen sei – theils mit einer tiefen Verneigung sich rangirten, um die Prinzessin vorbei zu lassen, theils mit einem Rufe des Bedauerns zu der ohnmächtigen Gräfin von Platen hineilten.

Als die schweren Portièren hinter der Prinzessin niedergefallen waren und dieselbe in ihre Gemächer trat, faltete Frau von Nassau entsetzt die Hände: „Was haben Sie gethan, Prinzessin! was haben Sie gethan!“

„Was ich gethan habe?“ rief Sophie Dorothea mit einem Seufzer der Befriedigung und des Triumphes, indem sie ihre Arme ausbreitete. „Ich habe mich endlich gerächt!“ Dann aber brach der ganze lang zurückgedrängte Jammer ihres Herzens aus, und sie sank bitterlich weinend auf einen Divan nieder, während sie die Arme rang, um welche sich die goldenen Armbänder krallten wie glänzende Schlangen.

Noch waren nicht zehn Minuten vergangen, als sich rasche Tritte auf dem Corridor hören ließen und die Thüre des Gemaches hastig aufgerissen wurde. Die beiden Frauen fuhren empor. Der Prinz stand auf der Thürschwelle und hielt die Falten der Portière in der Hand. Sein Auge blitzte, und die Zornader auf seiner Stirn war zum Zerspringen angeschwollen.

„Georg!“ rief Dorothea, indem sie aufsprang, „Georg!“

„Ich komme Ihnen zu sagen, Dörthe,“ rief er mit heiserer Stimme, „daß von heute an zwischen uns Beiden Alles aus ist. Bisher waren Sie mir nur gleichgültig, jetzt hasse ich Sie, wie mein Vater Sie haßt. Sie haben mich in dem beleidigt, was meinem Herzen und meiner Seele das Liebste ist – und ich werde mich rächen, das schwöre ich Ihnen. Hören Sie, Dörthe, von heute ab haben Sie einen Feind mehr am Hofe, der sich freuen wird, Sie leiden zu sehen. Und ich werde sorgen, daß Sie leiden und jene Scene nie vergessen! Leben Sie wohl!“ Und damit ließ er die Portière wieder herabfallen, und seine dröhnenden Schritte hallten im Corridor wieder.

„Georg!“ schrie Dorothea, „Georg!“

Aber er schritt weiter, ohne sich umzuwenden, und sah nicht ihre gebrochene Gestalt, wie sie mit gerungenen Händen und zurückgeworfenem Kopfe auf dem Boden lag und mit demselben jammernden und verzweifelnden Tone schrie: „Georg! Georg!“




3. Soyons amis, Cinna

In dem kleinen Palaste, welchen die schöne Gräfin von Platen unweit des kurfürstlichen Schlosses bewohnte, war es heute stiller als gewöhnlich. Keine Soirée zu sechs Couverts, kein kleines Spiel, kein petit comité. Denn die Gräfin war unwohl – und selbst dem Prinzen Georg, welcher jederzeit Zutritt bei ihr hatte, wurde der Eintritt in ihr Boudoir verwehrt – auf welchem er aber in Wahrheit nicht allzusehr bestand. Denn der Prinz, dieser verkörperte Egoismus, liebte seine Bekannten und Geliebten nur, um sich von ihnen erheitern und schmeicheln zu lassen – eine Indisposition scheuchte ihn von seinen besten Freunden zurück. Er haßte nicht nur alle Krankheiten, sondern auch alle Kranken.

Frau von Platen war also unwohl. Man hätte es kaum glauben sollen, wenn man einen Blick in ihr Boudoir warf – in dieses heimliche, lauschige Nestchen von Seide und Sammt, wo das Feuer so lustig knisterte und die Lampe so matt brannte. Auf einem Tische, welcher sich in der Nähe des Kamins befand, standen zwei langhalsige Weinflaschen und einige Assietten mit kalter Küche, Confect und Früchten. Frau von Platen, welche nachlässig in ihrem Fauteuil lehnte und an einer Apfelsine schälte, blickte mit ihren halbgeschlossenen Augen in’s Feuer und ließ nur von Zeit zu Zeit einen Blick auf ihr vis-à-vis fallen, welches Niemand anders als der schöne Graf von Königsmark war. Der Graf hielt sein schlankes Kelchglas zum Lichte empor und betrachtete das Farbenspiel der tanzenden Perlen des Burgunders.

„Sagen Sie, Gräfin, es war doch eine schöne Zeit, nicht? – Wie haben wir uns damals geliebt!“

Die Gräfin betrachtete lächelnd den pausbäckigen Amor, welcher die Lampe auf seinen Schultern trug, und seufzte. „Wir waren Beide sehr jung. Sie waren meine erste Liebe, Philipp.“

Königsmark schloß die Augen und schlürfte die obersten Perlen des Burgunders. „In Wahrheit?“

„Wirklich!“ sagte die Gräfin. „Ich habe damals geglaubt, ich müsse sterben, wenn ich Sie einen Tag nicht gesehen hatte.“

„Und ich wollte mir eine Kugel durch den Kopf jagen, als Ihr Vater Sie zwang, den Grafen von Platen zu heirathen.“

Die Gräfin seufzte abermals. „ Es ist so schön, wenn man jung ist!“

„Und verliebt!“ ergänzte der Graf. „Schade, daß die schöne Zeit schon vorbei ist.“

„Wer weiß, wozu das gut ist!“ sagte die Gräfin philosophisch, indem sie dem pausbäckigen Amor einen Nasenstüber gab. „Wir sind wenigstens ein wenig gescheidter geworden.“

„Glauben Sie?“ lächelte Königsmark. „Ich sage Ihnen, Gräfin, ich gäbe gern alle Weisheit der Welt für einen Moment jener närrischen Liebe! Ach! ich möchte’ wohl ein Stückchen von ihr wiederfinden – es müßte eine Curiosität sein, die ich in Gold fassen und als Agraffe tragen könnte. Uebrigens steht es nur bei Ihnen, diese Zeit wieder herbeizuzaubern,“ fügte er mit einer galanten Verbeugung hinzu.

Die Gräfin sah ihn durchdringend an. „Keine Heuchelei, Graf! Wir Beide wissen, was wir von einander zu halten haben. Ihr Herz ist schon längst todt – und ich habe nie eins gehabt. Sie sehen, ich bin aufrichtig.“

[564] Philipp blickte halb ernst, halb spöttisch auf sein Gegenüber. „Sie haben mich also nie geliebt?“ flüsterte er, indem er mit den Mundwinkeln lächelte.

Die Gräfin zuckte ungeduldig mit den Achseln. „Du lieber Gott,“ seufzte sie spöttisch, „ich war ein kokettes Gänschen, und Sie waren zufällig der Erste, in den ich verliebt war. Ich konnte nicht leben ohne Sie, so lange Sie mir den Hof machten. Als ich den Grafen geheirathet hatte, war ich in acht Tagen von meiner Liebe geheilt!“

„Wie von einem Schnupfen!“ lachte Königsmark. Aber sein Lachen klang etwas gezwungen. „Gut, daß ich das jetzt erst erfahre – damals wäre ich an diesem naiven Geständniß gestorben! Es lebe die Wahrheit! Aber à propos,“ sagte er dann, nachdem er sein Glas geleert hatte, „dann lieben Sie ja auch den Prinzen Georg nicht?“

Die Gräfin sah ihn mit einem unaussprechlichen Ausdrucke von Ironie und Verachtung an. „Sie trauen mir also gar keinen Geschmack zu, Philipp?“ sagte sie.

Königsmark brach in ein lautes Gelächter aus. „Bravo!“ rief er. „Ich sehe, Sie sind wirklich aufrichtig!“

„Nicht wahr? ich gebe mich ganz in Ihre Hände –“

„Wahrhaftig! Aber dazu müssen Sie jedenfalls einen Grund haben. Denn unnütze Empfindungen traue ich Ihnen nicht zu.“

Die Gräfin machte eine leichte Verbeugung. „Sie sind zu galant. Der Grund dieser Offenherzigkeit ist übrigens ganz einfach und derselbe, welcher mich heute bewog, Sie allein zu empfangen – obwohl wir hier einander fremd sein müssen.“

„Und dieser Grund?“

„Errathen Sie ihn nicht?“

„Glauben Sie, Jedermann müßte so scharfsichtig sein wie Sie?“

„Danke. „Nun, ich will Ihrer Naivetät zu Hülfe kommen: ich will Sie zum Freunde haben.“

Philipp warf einen erstaunten Seitenblick auf die Gräfin. „Bah! Ich denke, wir sind es schon?“

„Verstehen wir uns. Wenn ich sage Freunde, so meine ich Bundesgenossen.“

Philipp warf seinen Kopf zurück. „Ah! ah!“ murmelte er für sich. „Es scheint, ich soll mich hier um jeden Preis amüsiren!“ Dann fügte er laut hinzu, indem er die Gräfin mit affectirter Einfalt anblickte: „Bundesgenossen, Gräfin? Zu was brauchen Sie einen Bundesgenossen, Sie, die Sie hier allmächtig sind?“

Die Gräfin blickte nachdenklich in die Flammen und zerzupfte eine prachtvolle rothe Blume, welche sie aus einer der Kaminvasen genommen hatte. „Meine Allmacht geht nicht so weit, als ich möchte.“

(Fortsetzung folgt.)




Das Denkmal eines deutschen Patrioten.
Von R. v. R.

Der 25. Mai dieses Jahres war ein Festtag für die Stadt Freiburg im Breisgau, ein Festtag für Baden, ein Tag von großer, für alle Gauen deutscher Erde hochwichtiger Bedeutung. An diesem Tage wurde nämlich das Denkmal des unsterblichen Geschichtsschreibers und unerschütterlich muthigen Volksvertreters Karl von Rotteck wieder aufgestellt in der Stadt, welche seine Wiege, welche Zeuge seiner großartigen Thätigkeit war. Ich sage „wieder aufgestellt“, denn, so unglaublich es vielleicht einst unsern Söhnen klingen wird, das schon im Jahre 1847 auf einem der öffentlichen Plätze Freiburgs errichtete Denkmal Rotteck’s wurde durch den damaligen Stadtdirector v. Uria im Juni 1851 nächtlicher Weile wider alles Recht im zelotischen Eifer blinder Reactionswuth heimlich abgebrochen, verstümmelt, zerstört! Daß dieses Denkmal heute in feierlicher Weise auf einem schöneren Platze wieder errichtet wurde, ist eine That der Sühne für jenen Act vandalischer Barbarei, es ist ein Sieg des Rechts über die Unterdrückung und liefert den erfreulichen Beweis, daß in Baden wenigstens die herrliche Saat von Rotteck’s Lehren aufgegangen ist und reiche beglückende Früchte trägt. In diesem Sinn und von diesem Standpunkt aus betrachtet, gewinnt die Feier, welche den Charakter einer reinen Volksdemonstration auch keinen Augenblick verleugnete, jene hohe, am Eingang erwähnte Bedeutung. Abgesehen aber davon, ist Karl von Rotteck selbst eine so bedeutende Erscheinung, daß ein sein Andenken feierndes Fest schon an und für sich alle Aufmerksamkeit verdient. Ich will es versuchen, den Lesern der Gartenlaube ein Bild des Schaffens und Wirkens dieses großen Bürgers in Kürze in’s Gedächtniß zurückzurufen, damit der badische Festtag seinen Wiederhall haben möge in weiten deutschen Kreisen.

Wir übergehen Rotteck’s Jugendjahre als bekannt mit Stillschweigen. Mit dem Jahre 1818, wo er zum Lehrer der Weltgeschichte an der Universität Freiburg ernannt wurde, beginnt seine literarische Thätigkeit. In jener verhängnißvollen großen Zeit, wo Deutschlands Völker sich vom Joche der Fremdherrschaft befreiten, und die Morgenröthe einer glücklicheren Zukunft am politischen Horizont emporstieg, erschien bei Herder in Freiburg seine Weltgeschichte; ein Werk, das im edelsten Sinne geschrieben, von reiner Freiheits- und Wahrheitsliebe durchdrungen ist und allein schon hinreicht, ihm einen bleibenden Ruhm als Schriftsteller zu sichern.

Mit einem tiefen Ernst, mit einer reinen Begeisterung für das Recht verfaßt, ist dieses Werk eines der bessern in der deutschen Literatur. Von mächtiger Wirkung sind namentlich seine Parallelen zwischen der antiken Welt und der Neuzeit, und wenn er mit dem mächtigen Zorne des durch jede Rechtsverletzung empörten Gemüthes die großen Eroberer des Alterthums brandmarkt, so sind diese Blitze dem modernen Imperator in’s Antlitz geschleudert, und seine begeisterte Apotheose der großen Republikaner der alten Welt sind eben so viel Lobgesänge für die edlen Märtyrer der Freiheit in unsern Tagen.

Er ehrte die Geschichte nach seinen eigenen Worten „nur als treue Rathgeberin in den ewig heiligen Angelegenheiten der Menschen, und vor Allem als Pflegerin politischer Weisheit und Tugend und als die unbestechliche Richterin, deren hehre Aussprüche die letzte Hoffnung sind für das der trotzigen Gewalt sonst preisgegebene Recht.“ Und so verminderte sich von Tag zu Tag seine Liebe zum Studium des positiven Rechtes, auch das römische nicht ausgenommen. Zuletzt hatte unter den Disciplinen der Rechtswissenschaft nur noch die Rechtsphilosophie Interesse für ihn; nur die Frage, was nach der ewigen Vernunft überall Recht sein sollte, hielt er für hochwichtig und ganz besonders in Beziehung auf die öffentlichen Verhältnisse. Er selbst beantwortete diese Frage in seinem zweiten berühmten Werke über das Vernunftrecht. Mit aller Kraft eines philosophisch durchgebildeten Verstandes begann er den Kampf mit dem historischen Rechte, indem er dessen Nichtberechtigung nachwies. Die „ewig unveräußerlichen Menschenrechte“ sind es, auf die alles Recht gegründet sein muß, jede Bevorzugung Einzelner oder ganzer Classen constituirt ein Unrecht, gegen welches er zu Felde zog. – Ausgerüstet mit der Kenntniß der Geschichte als Rathgeberin für die Zukunft, die gründliche Forschung des Rechtes als Leitstern, beginnt im Jahre 1819 Rotteck den wichtigsten Abschnitt seines Lebens, seine Laufbahn als Volksvertreter.

Sein Wirken in der badischen Kammer, in dem er von seinem getreuen Freunde Welcker so standhaft unterstützt wurde, hat Herr Hofrath Professor Woringen in der am 25. Mai gehalten Festrede trefflich charakterisirt, indem er sprach: „Das Vernunftrecht war sein Schwert, das historische Recht sein Feind.“ Mit unerschütterlicher Consequenz, mit einer nie sich verleugnenden Kraft und Energie kämpfte er fort und fort für Recht und Freiheit. Keine Niederlage vermochte ihn niederzubeugen, und immer erhob er sich auf’s Neue zum Kampfe gerüstet. Er und Welcker, die Freiheits-Dioskuren Badens, und mit ihnen Männer wie Itzstein, Wessenberg und Andere haben unendlich viel geleistet in der badischen Kammer, und wenn heute Baden allen deutschen Stämmen voranleuchtet auf der Bahn constitutioneller Entwicklung, so gebührt ein großer Antheil an diesem Ruhme jenen Männern, die den Keim dazu legten im Herzen des Volkes.

In den ersten Jahren seiner parlamentarischen Wirksamkeit war Rotteck als Abgeordneter der Universität Freiburg Mitglied der ersten Kammer, bis er 1831, in fünf Wahlbezirken gewählt, [565] den ihm mehr zusagenden Boden der zweiten Kammer betrat, auf welchem er bis zum Jahre 1840, d. h. bis zu seinem Tode wirkte. Seine erste Motion in der ersten Kammer war ein Antrag auf die Aufhebung der aus der finstern Barbarei des Mittelalters stammenden Frohnden und Zehenten. Man kann sich sehr leicht denken, wie ein solcher Antrag in der „ersten Kammer“ aufgenommen werden mußte. „Wo sind denn,“ rief einer der hochadeligen Gegner, „die Urkunden der Bauern, welche ihr Recht begründen sollen?“ – „Seht hin,“ antwortete der begeisterte Rotteck, „seht hin, er trägt sie auf sich herum, er hat ein menschliches Antlitz, dies sind seine Urkunden, welche die Vorsehung selbst bei seiner Geburt ihm gab!“

Rotteck’s Denkmal in Freiburg.

In dieser Weise wirkte Rotteck mit seinen Freunden, und theils auf seine Veranlassung, theils unter seiner thätigsten Mitwirkung entstanden nach und nach das Ablösungsgesetz der Frohnden, die Aufhebung der Censur, das Gesetz über Studienfreiheit, Ministerverantwortlichkeitsgesetz, Vereinsgesetz u. a. m. Eine solche Persönlichkeit konnten die Machthaber jener Zeit auf einem so einflußreichen Lehrstuhl, wie der des Naturrechtes ist, nicht dulden, und er sowohl als Welcker wurden von der Universität entfernt. Im Herbst 1840 erst wurde ihm die hohe Genugthuung zu Theil, wieder reactivirt zu werden; er konnte aber das neu verliehene Lehramt nicht mehr antreten, denn am 26. November 1840 ereilte ihn der Tod mitten unter den Seinen im 65. Jahre seines Lebens. Weder Bänder noch Ordenssterne schmückten seine Brust, aber in seinem Busen schlug ein großes, edles Herz voll glühender Vaterlandsliebe, mit den reinsten Empfindungen für Freiheit, Recht und Ehre. Seine Vaterstadt hat dies auch anerkannt und ihm im Jahre 1847 ein Denkmal gesetzt, welches als Zeugniß für Freiburgs Dankbarkeit gegen ihren größten Bürger dastehen sollte.

Da geschah, was man im neunzehnten Jahrhundert nicht für möglich halten sollte – in einer Nacht des Juni 1851 wurde das Denkmal heimlich und gewaltsam zertrümmert und beseitigt, die Stadt gezwungen an dieselbe Stelle ein anderes zu setzen, wozu man in boshafter Ironie Berthold Schwarz, den Erfinder des Schießpulvers, wählte. Es gewährt Befriedigung, daß der Urheber dieses vandalischen Actes kein Deutscher ist. Herr Mariano v. Sarachaga Uria, damals Stadtdirector in Freiburg, ist ein Spanier von Geburt, welcher als Kind auf die abenteuerlichste Art der Welt nach Deutschland kam. Er war es, der unter dem Schutze der Nacht, welche allerdings besonders geeignet ist zu Thaten, die das Licht zu scheuen haben, jene fluchwürdige Handlung beging. In edler Entrüstung erhob sich der ganze Gemeinderath Freiburgs, mit Ausnahme eines einzigen Mitgliedes (Bürgermeister Rieder), und protestirte gegen dieses Verfahren, natürlich vergebens. Die drei muthigsten Männer darunter, Schreinermeister Schmid, Instrumentenmacher Hausmann und Wirth Trescher mußten ausscheiden, Ersterer wurde sogar in den Kerker geworfen, und erst der neuesten Zeit blieb es vorbehalten, jene Schuld zu sühnen.

Zum Theil aus Gemeindemitteln, zum Theil aus freiwilligen Beiträgen ist Rotteck’s Denkmal auf dem neuen schönen Platze vor seinem früheren Wohnhause aufgestellt worden, und feierlich beging die ganze Stadt das schöne Fest. Ehre den wackern Freiburgern, die so gehandelt; es ist eine That des Patriotismus, welche alle Anerkennung verdient und welche vom ganzen deutschen Volke gekannt und gepriesen werden muß; denn, wie Düntzer in seiner Vorrede zum Faust-Commentar sagt: „Ein Volk, das seine Dichter und Weisen nicht achtet, ist werth, daß es der allgemeinen Verachtung anheimfalle.“



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Wilhelm Bauer’s Erfindungen,
ihr bisheriges Schicksal und eine Nationalstiftung für deutsche Erfinder.
Was deutschen Erfindern fehlt – Bauer – Die unterseeische Schifffahrt – Robert Fulton – Der Brandtaucher – Unterseeische Corvette und Kanonenboote – Eiscanalbrecher – Rettungsboot – Schwimmende rotirende Batterie – Finanzielles für Volksvertreter – Kabelschneider – Kabelträger und Kabelauslege-Maschine – Bauer’s zweite Lebensaufgabe – Frage.

Darüber ist in Deutschland Niemand mehr in Zweifel, daß unsere Erfinder der Unterstützung und ihre Erfindungen des Schutzes noch sehr ermangeln.

Trotzdem wir in drei Jahren das fünfzigjährige Jubiläum der Wirksamkeit des durchlauchtigsten deutschen Bundestags begehen können, trotz der langen Friedenszeit und der hohen Entwickelung der deutschen Industrie haben wir es noch heute nicht zu einem allgemeinen deutschen Patentgesetze gebracht. Erst in diesen Tagen wird in Frankfurt die Anregung dazu laut, bis man aber dort einen Erfolg erzielt hat, ist noch jeder deutsche Erfinder genöthigt, will er für seine Erfindung den Schutz in ganz Deutschland erwerben, so viele – und meist kostspielige – Patente zu lösen, als es deutsche Vaterländer giebt. – Da nun die wenigsten Erfinder zu den wohlhabenden Leuten gehören, ja, in jeder Beziehung des Wortes, das Bedürfniß die Mutter der meisten Erfindungen ist, so wird es nicht Wunder nehmen, daß unter allen großen Industrieländern verhaltnißmäßig in Deutschland die wenigsten Erfindungen öffentlich als patentirte angezeigt werden, trotzdem von keinem Volke mehr Tüchtiges erfunden worden ist, als von dem deutschen. In dem Verzeichniß der denkwürdigsten Erfindungen aller Zeiten und Nationen sind von den aufzuzählenden 337 Nummern nicht weniger als 160 – also fast die Hälfte – deutschen Ursprunges! Freilich hat von diesen nicht wenige das Ausland erst in’s Leben rufen und ausbeuten müssen.

Noch kläglicher sieht es mit den Mitteln zur Erprobung deutscher Erfindungen aus. Sie ruhen, wo sie überhaupt in einzelnen deutschen Ländern vorhanden sind, meist in der Hand der Gnade und deshalb für die Erfinder in der Hand des Glückes, dessen Eigenschaften bekannt sind. Es besteht weder ein vom dringenden Bedürfniß und vom Gefühl staatsbürgerlicher Ehrenverpflichtung zusammengerufener Verein deutscher Fachmänner für diesen Zweck, noch hat unsere oberste deutsche Behörde es in ihrem diplomatischen, noch unsere oberste Zollvereinsmacht in ihrem volkswirtschaftlichen Pflichtenkreis angezeigt gefunden, hier der Privatthätigkeit vorzugreifen. Das deutsche Capital ist mit der Industrie noch nicht lange genug verbunden, um schon an Wagnisse zu gehen; es sieht alle neuen Erfindungen so lange mißtrauisch an, als sie nicht auf fremde Kosten erprobt sind und ihre Vortheile im Voraus berechnen lassen. So ist der deutsche Erfinder meistens auf sich allein angewiesen, und die Schicksale vieler Familien, deren Häupter das Unglück hatten, unter solchen Verhältnissen „deutsche Erfinder“ zu sein, bezeugen das auf das Traurigste.

Daß Erfindungen ohne Erprobung ein todtes Stück Papier oder ein Modell für den Kinderspielkram bleiben, hat von den neueren deutschen Erfindern lange und bitter genug auch Wilhelm Bauer erfahren, und eben darum ist er es, der den Gedanken an eine Nationalstiftung für deutsche Erfinder schon vor mehreren Jahren faßte, den Plan derselben mir ausführlich mittheilte und auch die Mittel andeutete, die ihre Begründung und ihr Gedeihen sichern.

Da diese Stiftung hinsichtlich ihrer Mittel aber von dem Schicksal seiner eigenen Erfindungen abhängt, und da dieses Schicksal gegenwärtig in die Hand der deutschen Nation gelegt ist, so halte ich es für nothwendig, hier zuerst über die wichtigsten Bauer’schen Erfindungen zu sprechen, daran ein Wort über die bisherige Behandlung derselben anzuknüpfen und mit dieser, als aus ihr hervorgegangen, Bauer’s Idee einer Nationalstiftung für deutsche Erfinder zu verbinden.

Die Erfindung, welche Bauer’s Namen zuerst bekannt machte und aus welcher seine übrigen Erfindungen größten Theils hervorgingen, ist das unterseeische Schiff, oder vielmehr die unterseeische Schifffahrt überhaupt. Alle Versuche vor Bauer, und auch die gleichzeitigen, einen Apparat für den Aufenthalt, die Fortbewegung und die Thätigkeit von Menschen unter dem Wasser herzustellen, haben nicht dahin geführt, eine solche Vorrichtung unabhängig von oben und zu selbstständiger Bewegung fähig zu machen. Auch die ersten Schritte zur unterseeischen Schifffahrt hafteten noch an dem Gedanken einer „beweglichen und lenkbaren Taucherglocke“, und selbst Robert Fulton, Wilh. Bauer’s größter Vorgänger unterm Wasser, scheint mit seinem Taucherboot nicht ganz frei von der Verbindung mit oben gewesen zu sein; wenigstens sind an dem bekannten, nach seinem Plane gebauten Taucherschiff, mittelst dessen Napoleon von St. Helena entführt werden sollte, Luftröhren angebracht, wie Jedermann im Londoner Arsenal, wo es als Curiosum aufbewahrt wird, noch heute sehen kann. Fulton verließ, nach wahrhaft Bauer’schem Mißgeschick, die Submarine, um an das Dampfschiff seinen unsterblichen Namen zu knüpfen. – Die übrigen hyponautischen Versuche vor und nach dem Bauerschen müssen wir hier übergehen; sie finden ihre Stelle später bei einer besondern und illustrirten Darstellung des Taucherschiffs.

Wilhelm Bauer war, wie Robert Fulton, durch den Krieg auf die Submarine geleitet. Wie dieser erst im Dienste Frankreichs die Engländer, dann im Dienste dieser die Franzosen, so wollte Bauer erst im Dienste Deutschlands die Dänen, dann im Interesse Englands den ersten besten ihrer Feinde und schließlich im Dienste Rußlands die Engländer in die Luft sprengen, und dafür war ihm von Letzteren bereits die Aussicht gestellt, an einem ihrer höchsten Maste aufgehängt zu werden. – Bauer besaß von allen Vorarbeiten für seine Erfindung nur geringe Kenntniß, und das war vielleicht gut: er war dadurch frei von dem Festhalten an dem Gegebenen, auf das die Wissenschaft hinwies und das die Praxis erprobt hatte. Er begann ganz von vorn und ganz für sich, und wie einst Columbus, so griff auch er nach dem Ei, um seine Gegner zu überführen. Eine Schüssel Wasser und ein leeres Ei, das war das ganze Erforderniß, um zu beweisen, daß ein hohler Körper unterm Wasser je nach seiner Beschwerung in jeder Höhe selbstständig beharren und folglich auch selbstständig bewegt werden könne, und das Gesetz, welches sich im Wasser der Schüssel bewährte, galt ihm auch für den Ocean. Das Ei hatte die Seele der neuen Schifffahrt geliefert, und der Seehund, welcher vor Bauer’s Augen an Schleswigs Küste in die Ostsee sprang, gab dem ersten Schiffe die Gestalt. (Wir bitten, hierüber Gartenl. Nr. 41, Jahrg. 1861, S. 648 ff. nachzulesen und Jahrg. 1862, Nr. 21, S. 331 f. zu vergleichen.) Mit dem Grundsatz aber, daß sein Taucherschiff luftdicht verschlossen sein müsse, damit die im Raume abgeschlossene Luft dem Druck der Wassersäulenschwere nicht ausgesetzt werde und darum selbst in der größten Tiefe den menschlichen Athmungswerkzeugen für eine gewisse Zeit angemessen bleibe – mit diesem Grundsatze sagte Bauer sich von dem bis dahin herrschenden Principe der Tauchapparate los und betrat seine eigene Bahn.

Mit dem Brandtaucher begann also die unterseeische Schifffahrt, und Rußland bot unserm Bauer die Mittel, sie bis auf den damals möglichen Grad auszubilden. Die Schicksale Bauer’s in Rußland und die Ursachen seines Scheidens aus dem Lande seiner ersten Erfolge erfahren die Leser der Gartenlaube, wenn wir ihnen mit Bauer’s Bildniß seine Lebensbeschreibung mittheilen. Jetzt haben wir es nur mit den Erfindungen zu thun und gehen gleich zur zweiten über.

Eine unterseeische Corvette zu 24 Kanonen, die Bauer in Rußland construirte und im Auftrag des Großfürsten Constantin, seines von ihm stets mit herzlicher Ehrerbietung genannten damaligen Beschützers, im Modell zu 1/12 Mßstb. ausführte, ist eine geniale Verbindung der Triebkraft des Dampfes mit der Sicherheit des unterseeischen und der Zerstörungskraft des oberseeischen Kriegsschiffes. Diese Corvette ist berechnet für eine Besatzung von achtzig Mann, die in einem Luftraume von 28,800 Kubikfuß leben. Ganz dieselbe innere Einrichtung, äußere Form, Bewegkraft und Thätigkeit haben seine unterseeischen Kanonenboote. Diese sind bei einer Länge von 140 Fuß nur 12 Fuß hoch, dagegen 20 Fuß breit. Eine gewöhnliche Hochdruckdampfmaschine bringt sie, und zwar auf dem Wasser, mit der nöthigen Schnelligkeit in die Nähe der feindlichen Schiffe. Hier schließen sich plötzlich alle Oeffnungen, das Schiff sinkt unter das Niveau und wird durch Repulsionskraft stark comprimirter Luft weiter bis in die wirksamste Nähe des Feindes [567] gebracht, worauf es rasch mit dem wallfischartigen breiten Rücken über die Oberfläche sich emporschwingt und seine 64-Pfünder entladet. Die Luken schließen, das Schiff geht wieder in die Tiefe, ladet von Neuem und setzt so seine Angriffe fort, bis die Nothwendigkeit der Lufterneuerung es nöthigt, die sichere Entfernung unter dem Wasser zu gewinnen, wo es wieder auf dem Meere erscheint. Der Gewichtsverlust, den es durch das Verschießen seiner Munition erleidet, wird durch eine entsprechende Masse Wassers ausgeglichen, das in die Reservoirs zu den Pumpen tritt. Es ist keine Frage, daß ein solcher Gegner selbst einem Merrimac und Monitor unheimlich genug sein würde, um für den Küstenschutz Werth zu gewinnen.

Ebenfalls auf Veranlassung des Großfürsten Constantin construirte Bauer in sehr sinniger Weise einen Apparat, um den Schiffen (namentlich von der Newa und dem Petersburger Hafen aus) einen Weg in das Meer durch das Eis früher zu bahnen, als die Natur dies durch das Aufthauen desselben thut. Dieser Eisschneider oder Eiscanalbrecher, oder wie man ihn heißen will, besteht aus zwei auf einem eigens dazu erbauten Dampfboote wirkenden Kreissägen und einer Vorrichtung, durch welche die ausgesägten Eisstücke nicht nur abgebrochen, sondern zugleich zur Seite auf die Eisfläche hinausgeschoben werden. Die Maschine arbeitet sehr schnell und kann fähig gemacht werden, durch das dickste Eis und für die größten Schiffe in kurzer Zeit den nöthigen Canal herzustellen.

Das furchtbare Schicksal der mit der „Austria“ Untergegangenen lenkte Bauer’s Aufmerksamkeit auf die den Schiffen gewöhnlich mitgegebenen Boote, und er fand, daß selbst die sogenannten Lifeboats, Schwimmer und sonstigen Rettungsapparate nur wenig Vertrauen einflößten. Darum stellte er sich die Aufgabe, ein Rettungsboot zu bauen, welches „1) genügenden Raum für zwanzig Menschen biete, 2) Proviant für zwanzig Menschen auf zehn Tage erhalte, 3) wenn auch völlig mit Wasser gefüllt, dennoch weder untergehe noch kentere, 4) auf dem Deck des Schiffes nur für seine Höhe und Länge und 1 Fuß 6 Zoll Dicke Raum wegnehme, 5) beim plötzlichen Gebrauch ohne besondere Sorgfalt und nur nach vorangegangenem Aufschneiden der Bandage zum Behufe des Oeffnens über Bord geworfen werden könne, 6) sowohl leer als beladen unempfindlich gegen Stöße von Schiffen sei, 7) im Nothfall mittelst einer mit der Hand getriebenen Schraube fortbewegt werden könne und 8) Compaß und Steuer untrennbar besitze.“ Das Material dieses Bootes besteht aus einer Substanz, die vor der Hand noch Bauer’s Geheimniß ist; denn wie oft und günstig auch besprochen, blieb doch auch dieses Bauer’sche Werk bis jetzt unausgeführt. –

Auch der Zustand des deutschen Küstenschutzes mußte das Auge des Patrioten auf sich ziehen. Er führte ihn zu einer Erfindung, die abermals nicht aus der Luft, sondern aus eigener ernster Erfahrung im schleswig-holsteinschen Kriege gegriffen ist: zu seinen schwimmenden Revolver-Batterien. Ich habe schon bei der Schilderung des Kampfes zwischen dem Merrimac und Monitor (Nr. 18, S. 286) darauf hingewiesen, daß die deutsche Saumseligkeit oder vielmehr die vielen Vorurtheile, an welchen besonders in militärischen Dingen jeder Besserungsvorschlag, der nicht von stark Epaulettirten ausgeht, anstößt und in der Regel scheitert, es abermals verschuldet, daß eine deutsche Erfindung nicht zu der ihr gebührenden Ehre der ersten praktischen Ausführung und darum allgemeiner Anerkennung gekommen. Die rotirende Batterie, die den Sieg des Monitor entschied, war längst ausführlich in Plan und Beschreibung fertig und bereits der Prüfung deutscher Militärstaaten vorgelegt worden. Sie hatte alle möglichen Beurtheilungen gefunden, von begeisterter Würdigung, kaltem Anschauen über die Achsel bis zu grober Zurückweisung,[1] nur Anwendung fand sie in Deutschland nicht. Als aber der Ruhm des Monitor als einer englisch-schwedisch-amerikanischen Erfindung über den Ocean donnerte, da sandte man von gewisser deutscher Seite eine Commission nach Amerika, um eine Einrichtung zu studiren, die, neben der vollendeten Bauer’schen, die man kurz vorher fast mit Hohn zurückgewiesen, noch im Zustand der Kindheit ist! –

Ueber das Wesen dieser Batterien selbst hier nur wenige Worte. Bauer, der den Werth des Wassers ganz besonders zu schätzen weiß, hat es auch zum Träger seiner Batterien gewählt, daher sie schwimmende sind. Auf dem runden Schwimm- und Tragkörper von Holz erheben sich Krönung und Brustwehr von Erde mit leichter Blechbekleidung. Brustwehr und Traversen decken die Geschütze und Mannschaft vor Horizontal-, Front- und Defilirfeuer; hinter ihrem Kranze liegt, den Kern des Ganzen bildend, das bombenfeste Blockhaus mit einzelnen von einander abgeschlossenen Casematten. Die Munition ist in den Handmagazinen unter der Brustwehr gesichert und durch das Blockhaus vor Rückenfeuer geschützt. Auf dem Blockhaus ist eine Ringbatterie angebracht, welche die mit Kleingewehrfeuer das Terrain beherrschende Infanterie und die Raketengeschütze deckt. Die ganze Batterie wird in dem für sie ausgegrabenen Bassin mittelst Propeller oder Zahngestänge um eine feststehende und von einem starken Roste umgebene Achse bewegt, einem Schafte, auf welchem auf dem Deck des Blockhauses ein fester Standpunkt für den Commandirenden (den Richtmeister) und die Visirröhre bestimmt ist. Von hier aus kann sowohl die Umgegend, die etwaige Annäherung eines Feindes, als auch der Rundgang der Geschütze ruhig beobachtet werden. Das Eigenthümlichste und Interessanteste bei dieser Batterie ist aber das, daß nicht der Kanonier sein Geschütz zu richten und zu entzünden hat, sondern daß dieser wichtigste Theil des Dienstes einzig Sache des Richtmeisters ist. Die Zündung geschieht nämlich durch eine elektrische Batterie, deren Funken der Richtmeister zu dem Punkte hinleitet, wohin er das Feuer und so lange er dies für nöthig hält. Das Feuer kann gegen zwei und drei Objecte im Halbkreis zugleich gerichtet werden. Ueber die großen Vortheile dieser Batterie, das Genauere ihrer Einrichtung, die Stärke ihres Erdwerkes, die Befestigung des Schwimmkörpers in Flußmündungen, Lagunen und Meeren u. dergl. muß ein besonderer Artikel berichten, in welchem wir, unterstützt von einer Illustration, näher in die technischen Einzelheiten eingehen können.

Nur eine Bemerkung, die finanzielles Gewicht hat, können wir unsern Lesern nicht vorenthalten. Bauer thut mit überzeugender Klarheit dar, daß bei einer entsprechenden Vereinigung von seinen Batterien 500 Kanonen mehr leisten, als bei den Festungsbauten und Strandbatterien nach alter Art 2000 in allen Winkeln festgebannte Geschütze. Das ist ein Rechenexempel auch für Volksvertreter. Wer die Summen beachtet, welche ein großer Staat nur für die Waffe der Festungsartillerie verausgabt, und zu der Einsicht kommt, daß Tausende der kostspieligen Geschütze wie verwunschene Einsiedler auf ihrem Flecke stehen und warten müssen, bis sich vielleicht nach Jahrhunderten einmal ein Feind in ihren Schartenwinkel verirrt, der wird einer „Neuerung“ nicht abhold sein, die auch in diesem Punkte eine bedeutende Ersparniß oder wenigstens eine zweckmäßigere Verwendung der Staatsgelder möglich macht.

Zwei andere Erfindungen W. Bauer’s, das Schiffheben mittelst sog. unterseeischer Kameele und die Taucherkammer haben wir unsern Lesern (Nr. Nr. 4 u. Nr. 21 dieses Jahrg.) bereits in Wort und Bild vorgelegt.

Mit den drei nächsten Erfindungen, dem Kabelschneider und hauptsächlich dem Kabelträger und der Kabelauslege-Maschine, kommen wir zur großartigsten Anwendung von Bauer’s unterseeischen Apparaten, die ihren Triumph einst selbst um die Erde zu tragen bestimmt ist. – Da unsere nächste illustrirte Mittheilung über Bauer’s Erfindungen gerade sein „telegraphisches Kabel“ behandelt, so können wir uns hier auf wenige wesentliche Andeutungen über den Kabelschneider beschränken. Wenn nach der bisherigen Weise der Kabellegung, d. h. auf den Grund des Meeres, ein Kabel die Leitungsfähigkeit verlor und man den Fehler untersuchen wollte, so mußte man an einer Stelle das ganze Kabel an das Niveau emporheben oder vielmehr emporzerren, emporreißen, und man brach ihm, nach Bauer’s drastischer Ausdrucksweise, noch ehe es wieder an’s Licht kam, das Rückgrat. Um diesem Uebelstand abzuhelfen, construirte Bauer ein aus zwei Theilen zusammengesetztes Instrument, an deren jedem ein Tau befestigt ist. Dieses Instrument wird an den nöthigen Verbindungsmitteln auf den Meeresboden gelassen und vom Schiffe aus auf ihm hingezogen. [568] Sobald es das Kabel gefunden, macht es (durch einen elektrischen Draht) oben Mittheilung davon; das Kabel hängt dann in einer Scheere; durch einen Zug von oben öffnet sich ein Cylinder, das mit mächtigem Druck hineinstürzende Wasser übt die Kraft aus, welche zum Zerschneiden des Kabels nothwendig ist, und die beiden Hälften können nun, jedes von seinem Theile des Instruments festgehalten, ohne weitere Beschädigung des Kabels vorsichtig an das Niveau gezogen werden.

Zum Schluß dieser Uebersicht seiner Erfindungen können wir nur noch andeuten, daß Bauer auch an eine andere, vor ihm noch ungelöste Aufgabe ging: er glaubt, auch für die Luftschifffahrt das bis jetzt unerreichte beliebige Sinken und Steigen, Verharren und Incliniren des Fahrzeugs gewonnen und dazu auch die rechte Fortbewegungskraft gefunden zu haben. (Man vergleiche hierüber Ludwig Hauffs bereits erwähnte Schrift über „Die unterseeische Schifffahrt, erfunden und ausgeführt von W. Bauer,“ Bamberg, bei Büchner, 1859.) Bauer selbst hat diese Erfindung oft seine zweite Lebensaufgabe genannt. Hoffen und wünschen wir, daß sein Plan gelinge, daß er einst siegreich in den Lüften herrsche, wenn sein Sohn, Wilhelm Bauer der Zweite, die Tiefen der Meere durchfurcht.

Nach dieser Ueberschau einer Reihe durchweg genialer und großartiger Erfindungen, welche wenigstens darthun wird, daß Wilhelm Bauer für jedes Land, das Männer besitzt, welche Großes zu würdigen wissen und vor dem Kühnen nicht zurückschrecken, wirklich ein sehr achtbarer Gewinn ist, stehen wir vor der Frage: was ist bis jetzt für die Ausführung und Ausbreitung seiner Erfindungen geschehen? Was hat insbesondere Deutschland für sie gethan?

Die Beantwortung dieser Fragen in Nr. 39.




Die neueste Luftfahrt in Deutschland.
Dargestellt von Dr. W. Pitschner.

Wenn der Mensch mit offnem, unbefangenem Sinne es versucht, sich in dem fast verwirrenden Reichthum der irdischen Lebensformen zu orientiren, und ihrem geheimnißvollen Ursprunge und Entwicklungsgange nachspürt, wenn sein bewaffnetes Auge von der Unendlichkeit des ihn begleitenden thierisch- und pflanzlich-organischen Lebens selbst in die sternenleeren Räume der unermeßlichen Welt forschend hineindringt und bis an den Markstein der Schöpfung den Schlüssel zum vollen Verständniß der irdischen Wunderheere aufsucht – dann fühlt er sich beinahe auf jedem Schritte seiner Wanderung lebhaft angeregt, tiefer hineinzublicken in die ihn umgebende irdische Natur. Bei einer solchen Anregung zieht ihn der schaffende Geist in die verborgensten Schlupfwinkel hinein, in diejenigen Werkstätten, wo er selbst seit dem ersten Schöpfungsmorgen thätig war und bis zur gegenwärtigen Stunde wirkt und unaufhörlich schaffen wird bis zur dereinstigen Vollendung des großen Schöpfungswerkes.

So durchbohrte der Mensch mit rastloser Thätigkeit die Rinde der Erde und drang durch zum Theil senkrecht, zum Theil mehr oder weniger wagerecht angelegte unterirdische Canäle in alle Gebirgsschichten ein, die auf dem granitischen Erdfundamente ruhen – so versenkte er sich furchtlos bis auf den Grund des Meeres und brachte Kunde von der Bodenbeschaffenheit desselben – so durchwanderte er muthig und unerschrocken Steppen und Wüsten, Urwälder und Oceane, und wagte den Kampf mit den wildesten Elementen, mit allen Schrecken der Natur, wie sie der eisige Norden und die Gluth der Sahara, die schreckenerregenden Lawinen und der über Alles furchtbare Schneesturm des Hochgebirges in sich bergen.

Aus diesem rastlosen und begeisternden Streben, welches den Schlüssel zum Verständniß der unbegreiflichen Welt ebenso im Mikrokosmos wie im Makrokosmos sucht, ging hauptsächlich die kühnste aller Ideen hervor, der Gedanke, die Erde zu verlassen und schwebend über ihr sich den trügerischen Winden anzuvertrauen.

Es findet sich dieser Gedanke, gleich einem Vogel die Luft zu durchsegeln, bereits in einigen fabelhaften Andeutungen und Erzählungen, die aus dem grauesten Alterthume auf uns gekommen sind; aber alle diese Erdichtungen, die an die Flügel des Saturn, an die Adler des Jupiter, an die Tauben der Venus, selbst an den Widder des Phrixus und der Helle und an die geflügelten Pferde der Sonne erinnern, können nur auf den geheimen Wunsch der Völker des Alterthums hindeuten, das Luftmeer zu durchschiffen und in seiner geheimnißvollen Werkstätte genauer kennen zu lernen.

Den ersten Anstoß zur Ausführung dieser kühnen Idee gaben die Gebrüder Stephan und Joseph von Montgolfier, die gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts im südlichen Frankreich, am Fuße der westlichen Hochalpen lebten. Hier hatten sie beinahe täglich Gelegenheit, das Schauspiel des Aufsteigens der Wolken beobachten zu können. Diese einfache Erscheinung führte sie zu dem Gedanken, als Nachahmung der natürlichen Wolken ein künstliches Wolkengebilde hervorzubringen und dasselbe der Luft frei zu überlassen.

Bald ward ein Ballon aus leinenem Zeuge bereitet, mit Papier gefüttert und mit erwärmter Luft gefüllt, die aus angezündetem Stroh entwickelt wurde; nachdem derselbe den Lüften übergeben worden war, erreichte er innerhalb zehn Minuten eine Höhe von 6000 Fuß und senkte sich alsdann allmählich wieder herunter. Dieser erste Versuch mit einer aerostatischen Maschine (Luftballon) wurde am 5. Juni 1783 zu Annonay im südlichen Frankreich ausgeführt. Ihm folgten sodann mehrere andere ähnliche Versuche. Endlich ward noch im Laufe desselben Jahres, am 21. November, im Schloßgarten von La Muette zu Paris die erste Luftreise veranstaltet, unter der Führung von Pilatre des Rosiers in Begleitung des Marquis d’Arlandes. Gewiß ist es die kühnste That, welche damals nur vollbracht werden konnte. Denn die aërostatische Maschine war zu jener Zeit als ein Feuerball noch nicht in einem Entwickelungsstadium, das den glücklichen Erfolg dieses Unternehmens selbst nur wahrscheinlich hätte machen können. Die unerschrockenen Männer befanden sich in einer leichten und niedrigen, aus trockenen Weiden geflochtenen Gallerie, die schneller als jeder andere Körper hätte Feuer fassen können; um sie herum lag dürres, brennbares Stroh, das, ein einziges Mal vom Feuer ergriffen, nimmermehr gelöscht worden wäre, und neben sich hatten sie die Gluthpfanne und das helle auflodernde, heftigste Flammenfeuer, das die erhitzte Luft erzeugen sollte. Außer diesen gefahrdrohenden Umständen ist noch die Unvollkommenheit der ersten Montgolfière[2] in Betracht zu ziehen. Sie hatte keine Gondel und kein Netz, kein Ventil, keinen Kautschuküberzug, auch trug sie keinen Ballast zur Regulirung während der Auf- und Niederfahrt. Alle diese wesentlichen Verbesserungen wurden erst einige Wochen später vom Physiker Charles[3] angebracht, der dadurch die Kunst der Aëronautik plötzlich wie mit einem Zauberschlage zu einer Vollkommenheit erhob, die bis zum heutigen Tage beinahe um nichts Wesentliches erweitert worden ist.

Unter diesen Umständen und bei der großen Wichtigkeit der Luftfahrten, als Mittel zur Lösung vieler noch unerledigter Fragen aus dem Gebiete der Meteorologie, darf es wohl mit Befremden erfüllen, daß seit dem ersten berühmten Versuche zu Paris, am 21. November 1783, nur sehr wenige Fahrten für wissenschaftliche Zwecke unternommen worden sind. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß solche Fahrten zur genaueren Kenntniß des unsern Erdkörper umgebenden Luftmeeres von hoher Bedeutung sind. Diese Bedeutung bezieht Alexander von Humboldt namentlich auf die Stärke der elektrischen und magnetischen Ladung in den verschiedenen Zonen und Höhen der Atmosphäre, auf die hygroskopische[4] und chemische Beschaffenheit der Luft, auf die jährliche, monatliche und stündliche mittlere Wärmeabnahme der Temperatur in den [569] höheren Luftschichten, sowie auf eine Prüfung des Gesetzes, welches diese Abnahme befolgt; außerdem sind die Stärke des Lichtes, sowie auch physiologische Erscheinungen in den Kreis dieser Beobachtungen aufzunehmen.

Eine mehrfache Wiederholung solcher Höhenfahrten darf wegen der so außerordentlich abweichenden Temperatur-Beobachtungen die volle Aufmerksamkeit der Naturforscher in Anspruch nehmen.

Aber auch die Engländer veranstalteten im Jahre 1853 unter der Präsidentschaft des Colonel Hykes ähnliche Fahrten, welche die Herren Welsh und Niclin vom Observatorium zu Kew bei London ausführten. Sie erreichten eine Höhe von 19,500 Fuß englisch und machten namentlich über die Beschaffenheit der Temperatur in den verschiedenen Schichten der Atmosphäre während verschiedener Monate interessante Beobachtungen. So betrug unter Anderen in den beiden Monaten auf der ersten und vierten Fahrt der Unterschied der Temperatur in einer Höhe von 19,500 Fuß nur 10 ° Fahrenheit, während er sich an der Oberfläche auf mehr als 22 ° Fahrenheit belief. Dies ist als eines der interessantesten Resultate jenes verdienstvollen Unternehmens anzusehen.

Die Deutschen sind in dieser Beziehung hinter den Engländern und Franzosen zurückgeblieben, obwohl es unter ihnen schon seit dem Jahre 1805 an einzelnen Anregungen zu einem solchen Unternehmen nicht gefehlt hat; denn genau ein Jahr nach der großen Gay-Lussac’schen Fahrt, am 16. September 1805, stieg der ehemalige Professor Jungius in Berlin auf und erreichte nach der Angabe seiner Instrumente eine Höhe von über 20,000 Fuß. Außerdem sind noch mehrere andere deutsche Naturforscher mit Instrumenten im Dienste der Wissenschaft in dieser Beziehung thätig gewesen.

Der lebhafte Wunsch, einige selbstständige Untersuchungen in verschiedenen Höhen der Atmosphäre auszuführen, regte mich schon vor vier Jahren bei der Ankunft des russischen Aëronanten W. Berg in Berlin zu meiner ersten Luftreise an. Zum hauptsächlichsten Gegenstande meiner Beobachtungen wählte ich damals das physiologische Verhalten meines eigenen Körpers und die ähnlichen Erscheinungen an verschiedenen Thieren aus allen großen Abtheilungen des Thierreiches; ferner nahm ich in den Kreis meiner Beobachtungen die Veränderungen der Temperatur und der Feuchtigkeit der Atmosphäre auf. Im weitern Verlaufe der Darstellung werde ich diese Beobachtungen selbstverständlich nur so weit berühren können, als sie von allgemeinem Interesse sind. Es sei mir jetzt nur die Bemerkung gestattet, daß ich damals, am 13. Juli 1858, nur eine Höhe von 9500 Fuß habe erreichen können; der Ballon kam schon nach einer Stunde und 10 Minuten 7½ Meilen ostsüdöstlich von Berlin wieder zu Boden.

Nach meiner zweiten vorjährigen Montblanc-Expedition, während welcher ich so glücklich war, 16 Tage und Nächte in einer Höhe von 10,000 Fuß auf dem Firn von Tacconay, einem der größten Eismeere des Montblanc, eine Reihe meteorologischer Beobachtungen auszuführen, erfüllte mich das unwiderstehliche Verlangen, meine daselbst gemachten Erfahrungen durch eine zweite Luftfahrt zu erweitern und zu vervollständigen. Die Befriedigung dieses Verlangens wurde durch die Ankunft des rühmlichst bekannten Aëronauten Anton Regenti hierselbst ermöglicht und die Fahrt bis auf ihr schrecklich schönes Ende am 17. August des laufenden Jahres nach Umständen glücklich zurückgelegt.

Bevor ich indessen zur Darstellung meiner Beobachtungen und Erlebnisse während dieser zweiten Luftfahrt übergehe, dürften einige Worte über den kolossalen Ballon selbst nicht uninteressant sein.

Der Riesenballon, dem wir uns anvertrauten, trug den Namen „Adler“ und stellte sich in seinen außerordentlichen Dimensionsverhältnissen als ein besonders riesenmäßiges Luftschiff dar. Bei mäßiger Füllung hatte er eine birnförmige Gestalt; er war aus rein leinenem Zeuge gearbeitet und mit gutem Firniß überzogen. Sechszehn lange Streifen, die durch dreifache Nähte verbunden waren, liefen vom Scheitel bis zum Fuß herab; die größte Breite eines jeden dieser Streifen betrug 8 Fuß, der ganze Umfang demnach 128 Fuß. Das Netz war am untern halsförmigen Theile durch sechszehn Schnüre zusammengezogen, die am obern Ringe der Gondel befestigt wurden. Von hier liefen alsdann jene Schnüre zur Gondel hinab, die aus mäßig starkem Weidengesträuch geflochten war; gleichzeitig stand die Gondel mit jenem Ringe durch eine Strickleiter in Verbindung, die bei der Niederfahrt fast unentbehrlich ist. Der wichtigste Theil des Ballons ist das in seinem Scheitel angebrachte Ventil. Zur leichten und sichern Oeffnung desselben war die Schnur am untern Theile des Ventils, also innerhalb des Ballons befestigt und lief von dort durch den Ballon nach der Gondel herab. Der Anker hatte ein Gewicht von 10 Pfund und war an einem weichen, ungefähr 100 Fuß langen Tau befestigt. Der Ballast in fünf kleinen Säcken à 20 Pfund befand sich am Boden der Gondel. Die Gesammthöhe des Ballons nebst der Gondel von seinem Scheitel bis zum Fuße der Gondel betrug 80 Fuß.

Nachdem die nothwendigen Vorbereitungen zur Reise getroffen worden waren, wurde die Abfahrt auf den 17. August anberaumt. Das Wetter war vor diesem Tage etwas veränderlich gewesen; am 16. August Nachmittags 2 Uhr drehte sich der Wind von O. nach S.-O, diese Richtung behielt er bis zum folgenden Tage Mittags 1 Uhr 25 Minuten; alsdann setzte er sich leider in einen Südwind von mäßiger Stärke über. Das Barometer beharrte seit dem Abend des 16. August in allmählichem Sinken und stand in der Stunde der Abfahrt Abends 6 Uhr auf 332 Par. Linien; die Lufttemperatur betrug 18° R., das Saussure’sche Haarhygrometer zeigte 62°. Mein Cyanometer[5] ließ im Zenith Nr. 27 als die Farbe des Himmels erkennen. Der Himmel erschien dunstig und war etwa zu zwei Fünftheilen mit Wolken bedeckt, deren unterste Schichten aus zerrissenen Gruppen von lockerem Cumulus (Haufenwolke) bestand; darüber lagen im fernen Osten allmählich heranziehende Gewitterwolken, während im Zenith die Schäfchen an verschiedenen Theilen des Himmels in bedeutender Höhe sich vertheilt hatten.

Die Füllung des Ballons mit Kohlenwasserstoffgas begann im Angesichte einer unzähligen Menschenmenge am 17. August Nachmittags 3 Uhr auf einem der besuchtesten Plätze der Hauptstadt in der Nähe des Kroll’schen Etablissements, auf dem frühern Exercirplatz unweit des Brandenburger Thores; es waren zu dem Ende vom Thiergarten aus lange Gasröhren bis zum Centrum des umschlossenen Kreises hinübergelegt. Durch königliche Bewilligung hatte Herr Regenti die großen Jagdnetze und Leinen-Wandungen vom Hofjagdamte erhalten und damit beinahe zwei Drittheile des Exercirplatzes eingeschlossen. Im weitern Umkreise, zum Theil in den Gipfeln der Bäume, zum Theil auf den Dächern der zunächst liegenden Häuser und Paläste, hatte sich amphitheatralisch der Zuschauerkreis ausgedehnt und aufgebaut.

So harrte Alles in ruhiger Spannung auf die allmähliche Füllung des kolossalen Ballons und war begierig auf den Ausgang derselben. Noch hatte er nicht 20,000 Kubikfuß Gas aufgesogen, als die Strömung in den untern Luftschichten mit den allmählich aus großer Ferne heranziehenden Gewitterwolken sich verstärkte und den dienstthuenden Leuten, sechszehn an der Zahl, die an langen Leinen den Ballon zu halten hatten, die Arbeit sehr erschwerte. Der kühne Aëronaut hätte sich kaum dazu entschließen können, die bereits angekündigte und so weit vorbereitete Fahrt aufzugeben, obgleich starker Wind und Gewitter von dem erfahrenen Luftschiffer mit Recht als die größten Gefahren der Luftschifffahrt bezeichnet werden. Denn bei starken Windstößen befürchtet er ein Zerreißen des Ballons, während die Gewitter eine Gasexplosion nur zu leicht herbeizuführen im Stande sind.

Es prägte sich eine gewisse Unruhe auf Regenti’s Gesicht aus, so oft er nach den Wolken blickte; doch er wurde wieder ruhig, sobald er den von ihm so oft mit Muth und Unerschrockenheit geführten Ballon betrachtete. So leitete er, keinen Augenblick die Besonnenheit verlierend, mit großer Vorsicht die Füllung des immer mehr und mehr sich erhebenden kühnen Adlers. Wiederum fragte er die dunkeln, erzürnten Wolken, und noch immer blickten sie ihn drohend an. Da er sich nun von jeglicher Verantwortung befreien wollte, sagte er mit gedämpfter, etwas zurückgehaltener Stimme: „Meine Herren, ich darf Sie nicht mitnehmen, ich fahre allein.“

Willig, doch ungern fügten wir uns diesem bestimmten Ausspruche des erfahrenen Mannes, mein Begleiter, Herr Dr. Wachenhusen, und ich. Es wurden mehrere kleine Probeballons entsendet, [570] welche die Stärke der Luftströmung und den Weg anzeigten, auf dem der Ballon in den ersten Minuten der Abfahrt fortgeführt werden würde. Unaufhörlich verfolgte ich den Zug und das Spiel der Wolken – so vergingen zwanzig Minuten; da veränderten sie mit einem Male ihre unfreundliche Physiognomie – der Wind wurde schwächer, und der muthige Capitain fühlte sich angeregt, uns zu fragen, ob wir unter diesen günstigern Umständen geneigt wären, die Fahrt mitzumachen. Wir waren sogleich dazu bereit; doch ich muß es lebhaft bedauern, daß die Ungunst der Witterung es verhinderte, diejenigen Vorrichtungen im Innern der Gondel anzubringen, welche nothwendig gewesen wären zu einer zweckmäßigen Aufstellung und Befestigung einer größern Reihe von Instrumenten. Ich beschränkte mich dieses Mal daher nur auf die allernothwendigsten meteorologischen Instrumente. Außerdem nahm ich noch eine Brieftaube mit, die ich auf meiner vorjährigen Montblanc-Expedition aus einer Höhe von 13,000 Fuß über die Gletscher und Schneefelder des Mont-Blanc mit einem Briefe nach Chamounix entsendet hatte, wo sie nach wenigen Minuten glücklich ankam und Kunde von unserem Aufenthalte und Befinden überbrachte.

Noch einmal blickte Regenti nach den Wolken und nach den Blättern der Bäume, ein freudiges Lächeln erfüllte ihn, und nachdem er dem riesigen Ballon durch neue Zuführung von Gas auch die letzten Falten genommen hatte, befestigte er die schwarz-weiß drapirte Gondel an dem Seilwerk des Netzes. Der nothwendige Ballast, fünf mit Sand gefüllte Säcke à 20 Pfund, wird auf dem Boden der Gondel vertheilt – drei von den dienstthuenden Leuten begeben sich zur Prüfung der Steigkraft des Ballons in das kleine Fahrzeug, während die Andern den bereits unruhig gewordenen Adler durch festes Eingreifen in die herabhängenden Leinen zu bändigen sich bemühen.

„Hinaus! er hat genug –“ commandirte Regenti. Die Arbeiter erfüllen diesen Befehl. Sofort besteigt unser Führer das kleine Schiff, und wir beeilen uns, ihm zu folgen. Wenige schwache Menschenhände halten den Ballon noch mit der festen Erde in Verbindung – ein Wort zerschneidet dieses Band – denn kaum war dem muthigen Aëronauten der laute Ausruf entflohen „Laßt los!“ da erhob sich der kühne Aar mit gelösten Schwingen, majestätisch, unter bewunderungswürdiger Schnelligkeit hinauf in sein heimathliches Reich der Lüfte. Welch ein Anblick! Welch tief erschütternder Eindruck! Die Erde schien unter unsern Füßen hinabzusinken. Freudiges Erstaunen und ängstliche Besorgniß paarten sich mit Rücksicht auf die nur zu gerechtfertigten Befürchtungen in den Gemüthern der Zurückbleibenden. Mehr denn hunderttausend Menschen hingen stumm und unverwandten Blickes an dem stolzen Aar, der als Raub mit seinen Krallen uns in dem kleinen, den Winden preisgegebenen Nachen ohne Segel und Steuer und Ruder hinaufzog.

Wie hoch willst du dich erheben? Wo wirst du ermüdet deine Schwingen senken? Wann und wie wirst du wiederkehren? Und was wirst du uns berichten können aus dem Reiche der Lüfte? Das waren die ersten Fragen, welche bei allen denjenigen in den Vordergrund traten, die bei dem in der That imposanten Anblick überhaupt noch fragen konnten. Wir aber stiegen höher und immer höher – in wenigen Secunden beherrschten wir das Häusermeer, die Paläste und die Kirchthürme der weitausgedehnten Residenz. Ihre Straßen erschienen wie schmale bräunliche Bänder – die Spree glich einer mehrfach gewundenen, metallisch glänzenden Riesenschlange, deren Körper durch die wie schmale Breter sich darstellenden Brücken gegliedert erschien. Die großen, umfangreichen Gebäude der Residenz, der Gensd’armemnarkt mit seinen Tempeln, die Hedwigskirche, das königliche Schloß traten zwar deutlich hervor, doch glichen die kleinern Gebäude den hölzernen Spielsachen aus den Spielschachteln eines Kindes. Die auf den Straßen verweilenden Menschen hatten die Größe kleiner Insecten und Würmer, und der große Menschenhaufe tief unter uns auf dem Platze der Abfahrt glich einem ruhigen Bienenschwarme. In der That, es war ein herrlicher, großartiger Anblick, ein Anblick, dessen staunenerregender Eindruck empfunden sein will, denn er läßt sich durch keine Beschreibung erwecken.

(Schluß folgt.)




Ein deutscher Festungscommandant aus dem Volke.

Der dreißigjährige Krieg wird noch lange eine unerschöpfte Fundgrube für historische Forschung und Darstellung bleiben, und wie jener Krieg für Deutschland in seinen Folgen bis in unsere Gegenwart hereinwirkt, der Riß, den er und sein ebenso verderblicher Friede durch das Reich zog, bis heute nicht ausgefüllt ist, so lebt auch allenthalben im Volke noch die Theilnahme für jene Zeit und ihre großen wie ihre gräßlichen Thaten.

Eine der wohlthuenderen Erscheinungen dieses Krieges ist der Gegenstand der folgenden Darstellung. Conrad Wiederhold, ein Haudegen aus dem hessischen Ziegenhain, der von der Pike auf gedient und, nachdem er unter verschiedenen Fahnen gefochten, endlich in Würtemberg Officiersrang erwarb, ist der Held derselben.

Die für die Evangelischen so unglückliche Schlacht von Nördlingen war geschlagen, und der jugendliche Herzog Eberhard III. entfloh mit seinem Hofe von Stuttgart nach Straßburg, nachdem er Wiederhold zum Obersten und Commandanten der Veste Hohentwiel ernannt hatte, und zwar mit dem bestimmten Befehl: „die Festung um alle Welt Niemand zu übergeben, als allein ihm, ihrem rechtmäßigen Herrn.“ Kaum war dies geschehen, so hielt König Ferdinand, der Sohn des Kaisers, seinen siegreichen Einzug in Stuttgart.

Wiederhold’s erste Sorge war es, das verkommene Festungswerk auf Hohentwiel wieder in Stand zu setzen und zugleich die für die Veste gefährlichen Schlösser Mägdeberg, Hohenkrähen und Stauffen zu zerstören. Kaum war dies vollbracht und die Festung eiligst verproviantirt, so erschien ein kaiserlicher Befehlshaber, Vitzthum von Eckstädt, mit einer Schaar Dragoner vor dem hohen Felsenberge der Festung und verlangte, nach einigen fruchtlosen Sturmversuchen: „der Commandant solle alle seine Soldaten bis auf zweihundert abdanken, dann wolle man kaiserlicher Seits die Festung in Ruhe lassen.“ Wiederhold wies ihn mit derben Worten ab und ließ ihn auf’s Neue seine vergeblichen Sturmversuche machen, bis er ihm dies endlich so gründlich verleidete, daß gar bald von den Kaiserlichen nichts mehr vor der Veste zu sehen war. Wuth und Grimm erfaßten den Kaiser ob dieses Ausganges und besonders darüber, daß ein einziger Mann es wagte, von Würtemberg noch ein Stücklein besitzen zu wollen! Denn alle anderen Festungen und Schlösser waren gefallen, Wiederhold war die einzige Hoffnung des geknechteten Landes, nach ihm hinauf schauten vertrauensvoll die armen trauernden Patrioten. Und ihre Hoffnung ist nicht zu Schanden geworden. Selbst nachdem einmal auf der Veste die Pest gewüthet hatte und eine Hungersnoth ausbrach, während der Feind den Felsen umschlossen hielt, verharrte Wiederhold in männlicher Unerschütterlichkeit bei seinem Vorsatze, bis es der Feind endlich selbst für gut hielt, bei dem unüberwindlichen Aar auf dem Horste von Hohentwiel einen Friedensvergleich zu beantragen. Dieser Vergleich kam zu Stande. Hierauf hatte Wiederhold zwei Jahre Ruhe und Frieden.

In dieser Zeit war es, daß er seinem „Herrn und Herzog“, der sich zu Straßburg in großer Geldnoth befand, einen ausgehöhlten Wanderstock voll Ducaten übersandte. Kam dieses Geld auch eben recht, so dauerte es doch nicht lange, und da den armen Herrn auch das Heimweh im Herzen bedrängte, so vergab er sich’s endlich und flehte den Kaiser an, ihn in den Prager Frieden mit aufzunehmen. Dieser schenkte dem Herzog anfangs gar kein Gehör, und als er sich endlich herabließ, dem Flehen des Herzogs sein Ohr zu leihen, behielt er sich vor, daß ihm zuerst Hohentwiel zur Verfügung gestellt werden müsse, ehe er, der Herzog, auch nur das Geringste von seinem Lande wieder erhalte. Davon wollte jedoch Herzog Eberhard nichts wissen, er befahl sogar dem Commandanten der Felsenfestung, um jeden Preis sein gegebenes Wort zu halten. Endlich trieb ihn dennoch die Noth, das kaiserliche Verlangen zu erfüllen. Sofort schickte der Kaiser drei seiner Höflinge nach Hohentwiel, um Besitz von der Veste zu nehmen. Aber man hatte eine Zahl bei der Rechnung vergessen – diese Zahl war Wiederhold’s treuer, ehrenvoller Charakter. Als die Gesandten des Kaisers ihr Begehr zu erkennen [571] gaben, ließ ihnen der Held lakonisch sagen: „Daraus wird nichts!“ und auch den später anlangenden Abgeordneten seines Herzogs ward, außer den gebührenden Entschuldigungen, keine bessere Antwort. Da fand Eberhard es sogar für gut, sich bei dem Kaiser über den Ungehorsam seines Commandanten zu beklagen und um Nachsicht gegen sich selbst zu bitten. Nun schlug der Kaiser einen gütlichen Weg gegen Wiederhold ein. An Versprechungen jeder Art fehlte es nicht; aber Wiederhold blieb unerschütterlich. Endlich versuchte Eberhard ein Anderes und schrieb einen Brief voll Befehlen und Bitten, voll Drohungen und Verheißungen an seinen treuen Commandanten. Da es jedoch sonnenklar vor Wiederhold’s Geist stand, daß mit der Felsenveste die letzte Stütze Würtembergs zerbrochen werde, so schloß er sogar mit dem Herzog Bernhard von Weimar ein Schutz- und Trutzbündniß und erklärte dies ganz offen auf das Schreiben seines Herzogs.

Noch blieb dem Kaiser ein Mittel: die Garnison gegen ihren Commandanten aufzuwiegeln. Es ward versucht – aber Wiederhold war der Vater seiner Krieger, und der Plan schlug vollständig fehl. Wer dadurch in immer größere Verlegenheit gerieth, war der junge Herzog von Würtemberg; er schrieb Wiederhold immer energischere Briefe. In dem letzten heißt es: „Wofern Du, Wiederhold, uns noch mit Treue dienest, wirst Du diesem Befehl Folge leisten, Dich mit befohlener Lieferung dieses Hauses an kaiserl. Majestät nicht länger aufhalten, sondern eines Endlichen gegen uns erklären.“ Da dachte Wiederhold: „Du schreibst, weil Du mußt!“ und – gab dem Herzoge gar keine Antwort.

Mittlerweile gingen die zwei Jahre des mit dem Kaiser abgeschlossenen Friedens zu Ende. Dieser hatte dem Herzog Eberhard den Ungehorsam seines Commandanten nicht entgelten lassen, sondern ihn wieder in sein Land eingesetzt. Aber Hohentwiel hielt kaiserliche Majestät nach wie vor für einen dem Hause Habsburg eben recht gelegenen Punkt und nahm deshalb im Juni des Jahres 1639 durch den General Guyn von Gelern die Belagerung der Veste wieder auf. Man versuchte zunächst, den starren Commandanten durch den verheißenen Glanz hoher kaiserlicher Gunst zu berücken, aber dies mißlang ebenso, wie der nachherige nicht weniger kühne Versuch, die Felsen der Veste zu untergraben, und so sah sich auch Guyn von Gelern endlich genöthigt, abzuziehen; dasselbe Schicksal hatte kurze Zeit nach ihm ein Oberst, Namens Truckmüller, der sein kaum fertiges Lager wieder abbrach, weil Wiederhold es ihm zu heiß und der Winter zu kalt machte. Das war im Anfang des Jahres 1640.

Gegen das Ende desselben Jahres erschien vor der Veste ein spanischer Caballero, Friedrich Enriquez, mit einem Heere von 7000 Mann Oesterreichern und Spaniern. Nachdem Wiederhold auch diesem gegenüber die Feuerprobe der Unbestechlichkeit bestanden hatte, schlug er ihn in Verbindung mit dem zum Entsatze der Festung herbeieilenden Obersten Rose, Anführer eines Regiments französischer Truppen, dermaßen auf’s Haupt, daß von seinen 7000 Kriegern nur 700 davon kamen.

Während nun drei bis vier Jahre Ruhe auf Hohentwiel herrschte, besserten sich auswärts die Sachen der Katholischen, und ob dieses Umstandes wieder muthig geworden, verschworen sich sechs österreichische Obersten, Hohentwiel unter jeder Bedingung zu erobern. Am 25. Juli 1641 kam der Oberst Neumark, anfangs October der General Sparr mit Baiern und Oesterreichern vor der noch immer „jungfräulichen“ Veste an. In zwei langen Schreiben versuchte der Letztere bei dem ritterlichen Commandanten eine moralische Eroberung und stellte demselben hauptsächlich vor, „wie kaiserliche Majestät zu Regensburg auf allgemeinen Frieden bedacht sei, doch einzig unter der Bedingung, daß zuvor Hohentwiel übergeben werde. So also er, Wiederhold, sich noch weiter sträube, ob er dann längeres Blutvergießen verantworten und vor Gott und der Welt rechtfertigen könne?“ Dem entgegnen der hochverständige Held ganz kurz und rund: „daß der Kaiser solche Bedingung gar nicht stellen könne, da ja die Veste nicht ihm, dem Kaiser, sondern seinem Herzoge gehöre, dem allein er auch dieselbe seiner Zeit getreulich übergeben wolle.“ Darauf begann eine Belagerung, wie sie Hohentwiel noch niemals erlebt. Nach dem Zeugniß von Augenzeugen konnte man das feindliche Feuer tagtäglich einige Meilen weit sehen. Wiederhold selbst donnerte 2700 Kanonenschüsse von der Veste herab auf den Feind und warf mehr als 360 Granaten und 108 Feuerbälle in seine Lager, so daß man ein zusehends Lichterwerden der kaiserlichen Kriegsvölker bemerkte. Trotz alledem war Wiederhold’s Lage gefährlicher denn je, und er entschloß sich endlich, die schwedischen Bundesgenossen zu Breisach um Hülfe zu bitten. Hundert von seinen Reitern suchte er aus zu dem kühnen Wagestück, sich durch die Kaiserlichen hindurch zu schlagen – und muthig haben’s diese Hundert vollbracht und sind glücklich zu Breisach angekommen. Kaum sah der kaiserliche General die Schweden in Eilmarsch gegen die Veste heranziehen, als er noch viel eiliger abzog und den größten Theil seiner Munition in den Händen Wiederhold’s zurückließ. Mit Spott äußerte damals der verwunderte Held, „daß eine solche Flucht ohne Beispiel in der Kriegsgeschichte wäre.“

Danach verspürte der Kurfürst von Baiern Lust, einmal seine Kraft gegen Wiederhold zu versuchen. Dazu gehörte natürlicherweise Geld, und da es der Kurfürst mit seinem eigenen nicht riskiren wollte, so wandte er sich behufs einer Beisteuer an die Stände des Schwabenlandes. Dazu gehörte auch Würtemberg, und so kam es, daß auch Herzog Eberhard zur Eroberung seiner eigenen Festung monatlich 3000 Gulden beisteuern mußte. Die Geldmittel in Händen, erschienen nun auch alsbald die Baiern vor Hohentwiel und fingen gewaltig zu stürmen an. Indeß dauerte es nicht lange, und der Weg der Güte ward wieder einmal gewandelt. Man versprach Wiederhold nicht nur ungeheuere Summen Geldes, sondern auch dem Herzoge selbst die Zurückgabe seines ganzen Landes, mit Ausnahme von vier Klöstern. Wiederhold sollte auf der Veste bleiben dürfen, jedoch nur unter drei Bedingungen: „daß ihm noch ein zweiter Commandant beigegeben werde, daß er aus dem Bunde mit den Franzosen trete, und endlich, daß er fürder wider die Katholischen nichts weiter mehr unternehme.“ Auf diese Bedingungungen entgegnete der Biedermann: „Man habe ihm zwar schon auf verschiedene Weise zugesetzt und um seine Veste gebuhlt, doch begehre er nichts, als allein seinem Herrn treu zu dienen, was auch Andere thun sollten. Und damit hoffe er fest, das Land Würtemberg für denselben wieder zu bekommen. Wie man aber in Würtemberg an Land und Leuten hause, so plage er dieser Feinde Orte ebenmäßig, wie er könne.“ Und es dauerte gar nicht lange, so hatte er das Schlußwort in That umgesetzt und dem Feinde wieder einmal empfindlichen Schaden zugefügt. Der leitende Gedanke seiner Handlungen war klar und kurz der: Man müsse nach Kräften dazu beitragen, dem Kaiser den Krieg zu verleiden, damit er sich entschlösse, den Frieden im deutschen Lande wiederherzustellen. Und daß Wiederhold sich hierin nicht geirrt, beweist die Erklärung seiner apostolischen Majestät an Wiederhold bei Gelegenheit der Auslösung vornehmer Gefangener zu Hohentwiel, die dahin lautete, „daß man gar nicht gemeint sei, die Festung dem Herzoge zu entziehen, sondern vielmehr, daß ihm dieselbe zu Händen gestellt werden sollte. Es könne auch gar leicht dahin gerichtet werden, daß man dem Herzoge das ganze Land wieder abträte.“ Wiederhold aber traute der kaiserlichen Erklärung nicht, ließ deshalb auch diesen Fingerzeig unbenutzt und gab die öffentliche Erklärung ab: „daß sein Absehen allein dahin gehe, das zerrissene Herzogthum Würtemberg einst einmal wieder zusammen und so viel tausend bedrängte Seelen in Ruhstand zu bringen, wie auch Vergießung weiteren Christenbluts zu verhüten.“

Das schrieb seine Feder, und im Einklänge damit schrieb auch sein Schwert, so daß sich endlich der Kaiser soweit herabließ, Wiederhold die Bedingungen anheim zu geben, unter denen er gewillt sei, die Veste zu übergeben. Der Getreue stellte folgende Forderungen: 1) dem regierenden Herzog Eberhard muß das ganze Herzogthum, wie er es früher besessen, abgetreten, 2) die vier oberen Aemter müssen zum Unterhalt der Festung, wie zuvor gewesen, überlassen, 3) die Jesuiten abgeschafft und alle Klöster und Stifter in vorigen Stand gesetzt, 4) die Streitigkeiten zwischen Oesterreich und Würtemberg aufgehoben, und 5) alle kaiserliche und baierische Besatzung aus dem Lande abgeführt werden. „Geh’ es, wie es wolle,“ schrieb Wiederhold damals an einen Freund, „spreche der Kaiser ja oder nein dazu, ich stehe in meinem alten Posten und gebe nicht nach.

Indessen umhenken uns die Baiern mit ihren Schanzen, wie ein Jakobsbruder mit Muscheln. Ich hoffe aber, sie werden die längste Zeit dagewesen sein.“ Wiederhold täuschte sich nicht; ging auch der Kaiser auf seine Forderung nicht ein – so dauerte es doch nicht lange, und der Stand der Schlachtenwage zwang ihn zum Frieden. Als endlich im Herbst des Jahres 1648 der Tag des Friedens für Deutschland anbrach, saß noch immer der Held von Hohentwiel ruhig

[572]

Die Veste Hohentwiel unter Wiederhold’s Vertheidigung.
Nach einem alten Originalbilde.

auf seiner Veste und wartete der Stunde, wo der letzte feindliche Soldat und der letzte Pfaffe aus dem Lande geschieden war. Da erst, am 4. Juli 1650, nach 10 Jahren fast unausgesetzten Kämpfens im Dienste der Treue, gab er das ihm vertraute Pfand zurück in die Hände seines Herrn. Thränen der Rührung im Auge zog Eberhard ein durch das Festungsthor von Hohentwiel, und tiefbewegt drückte er die Hand des Commandanten, während er mit gebrochener Stimme Worte des Dankes flüsterte.

Wiederhold starb, in Frieden wirkend, im 70. Jahre seines Lebens. Das Anerbieten des dankbaren Fürsten, ihn in den Grafenstand zu erheben, hatte er groß und bescheiden ausgeschlagen und statt dessen sich mit dem Amte eines Obervogts zu Kirchheim, mit der schönen Wirksamkeit eines Richters begnügt. Herzog Eberhard weinte heiße Zähren an dem Grabe des treuen Helden, das er mit einem Denkstein schmücken ließ.

Jahrhunderte waren darüber hinweggegangen, als sich (im Jahr 1834) ein neues Monument an der Stelle des alten erhob, das, ihm und seiner Gattin gewidmet, außer anderen auch die folgende Inschrift trägt:

„Der Commandant von Hohentwiel,
Fest wie sein Fels, der niemals fiel,
Des Fürsten Schild, des Feindes Tort,
Der Künste Freund, der Armen Hort,
Ein Bürger, Held und Christ, wie Gold:
So schlaft hier Conrad Wiederhold.“




Zwei Welten.

Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung und Schluß )


Zedwitz blickte eine Weile starr nach der Thür, durch welche Römer verschwunden, dann lösten sich die verschlungenen Arme; wie von einer plötzlichen Mattigkeit überkommen schritt er nach dem nächsten Stuhle am Tische, setzte sich dort schwer nieder und ließ den Kopf in die aufgestützte Hand fallen. „Er wäre nicht gekommen, wenn er nicht sichere Nachricht hätte,“ Murmelte er nach einer Weile, „aber es wäre doch gräßlich, wenn es sich in dieser Nacktheit bestätigte – wie sollte ich jemals den Kindern dieses verspielte [573] Capital ersetzen? – Verspielt!“ fuhr er sich langsam gerade aufsetzend fort, „das ist der rechte Ausdruck für das, wozu sich dieser alte Kopf hat verlocken lassen, für das, was ein ganzes Leben voll Grundsatztreue zu nichte macht, was den strengen Vater seinen Kindern gegenüber auf die Armsünderbank bringt. Wie soll ich jemals diesen Ausfall decken?“

Sein Kopf fiel von Neuem schwer in die Hand zurück; nach einer Weile aber erhob er sich matt und griff nach einem vielgebrauchten Notizbuche auf seinem Pulte, langsam die beschriebenen Seiten durchblätternd. „Den 6. Januar!“ murmelte er innehaltend, „das ist der Tag, an welchem ich mit dem mir anvertrauten Gelde meinen leichtfertig gegebenen Namen einlösen, mit einer Sünde die andere decken muß – und was soll Meßner sagen,“ unterbrach er sich, während eine verdoppelte Sorge sich auf seine Stirn zu lagern schien, „den ich nicht zurückgehalten, den mein Vorgehen erst ermuthigt und dem jetzt sein gesammtes kleines Vermögen verloren ist?“ Er warf, wie von seiner Erregung übermannt, das Buch auf das Pult zurück und griff nach der Klingel.

„Den Brief von Ihrem Sohne!“ rief er dem eintretenden Mangold zu, sich nach seinem frühern Platze wendend; aber erst nach einem langen stillen Blicke auf das veränderte Gesicht des Chefs verließ Jener das Zimmer wieder.

Es währte eine geraume Weile, eine Weile, in welcher nur ein zeitweiliges Zucken in den Zügen des Dasitzenden verrieth, daß Leben in ihm war, ehe sich die Thür von Neuem öffnete; das rasch aufschauende Auge des Geheimraths aber traf auf die Großmutter, welche mit einem eigenthümlich glänzenden Blicke auf ihn zuschritt.

„Ich denke, ich bringe Ihnen Trost, lieber Sohn, wenn Sie ihn in der gegebenen Weise annehmen wollen!“ sagte sie in hörbarer Bewegung. „Unter allen Umständen aber ist Ihnen durch des jungen Mangold Brief jede besondere Mittheilung an uns erspart. Lesen Sie!“ Sie reichte ihm mit leise bebender Hand ein geöffnetes Couvert und nahm dann einen im Schatten zurückstehenden Sitz ein.

Zedwitz ließ den befremdeten Blick zwei Secunden lang auf der Adresse ruhen, als nehme er nach den gehörten Worten Anstand, sich von dem Inhalte zu unterrichten; dann aber ging es auf’s Neue wie ein nervöses Zucken durch seine Mienen, und langsam entfaltete er den von seinem Umschlage befreiten Bogen. Er las in Heinrich‘s kräftigen Schriftzügen:

„Herzlieber Vater!

Ob uns Dein lieber Brief nicht einen teufelmäßigen Schrecken eingejagt hat! dem Hugo natürlich am allermeisten, denn Du weißt ja, wie er trotz aller erlittenen Ungerechtigkeit an seinem Vater hängt. Die Papiere nämlich, welche in Deinem Briefe bezeichnet sind, wären wohl ganz gut, wenn nur nicht hier beim Ausstellen derselben ein ungeheurer Schwindel damit getrieben worden wäre, der ihnen wohl für eine lange Zeit, bis nämlich die deshalb angestellte Untersuchung zu Ende ist, allen Werth nehmen muß. Und wie es nachher werden wird, weiß auch noch Niemand, wenn auch Viele sagen, daß die Stadt doch zuletzt für alle durch ihre rechtmäßigen Beamten ausgestellten Schuldscheine aufkommen müsse. Der eine von diesen Beamten hat sich schon im Gefängnisse erhängt.

Nun glaubt aber Hugo bestimmt, daß er durch die besondere Kenntniß, die er von den ganzen Verhältnissen hat, seinen Vater schadlos halten könne, wenn dieser nur einen solchen Dienst von ihm annehmen wolle – da sitzt aber eben der Haken. Wir meinen hier vielleicht einen ganz gescheidten Streich auszuführen, wenn wir das Geld retten, und verdienen uns zuletzt noch Teufels Dank damit; denn Hugo, obgleich er sich heute noch für seinen Vater in Stücke schneiden ließe, meint dennoch, daß der alte Herr wohl lieber das letzte Hemde opferte, als sich von seinem verstoßenen Sohne einen Gefallen thun lasse. Gott weiß es, Vater, Du bist nur Büreaudiener, aber ich möchte Dich doch nicht tauschen gegen einen noch zehnmal größern Geheimrath mit einem so eiskalten Herzen.

Indessen meinte nun Hugo, daß sein Vater wohl nicht allein unter dem Schlage zu leiden haben würde, daß der Hauptverlust wohl auf seine Schwestern fallen müsse, und so könne es wohl möglich sein, daß er die Erlaubniß erhielte, für diese die nöthigen Schritte zu thun. Zu seiner eigenen Sicherheit aber werde er dennoch eine Vollmacht des alten Herrn haben müssen. Es ist also wohl das Beste, lieber Vater, Du gehst zu der Großmutter, die Gott mit ihrem lieben Herzen segnen möge, und sagst ihr Alles; sie wird am Besten wissen, was zu thun ist. Kann sie die Vollmacht erlangen, so verspricht Hugo, daß nicht ein Pfennig von dem Betrage der Papiere, die in Deinem letzten Briefe verzeichnet waren, verloren gehen soll; diese Vollmacht aber soll nach Frankfurt, an das untenbezeichnete Kaufmannshaus gesandt werden, von wo sie ihm richtig zugehen wird – er ist heute von hier abgereist, und ich selbst muß erst aus Nachricht warten, ehe ich weiß, wo er sich befindet.

Im Uebrigen, lieber Vater, bin ich wohl und habe mein gutes Auskommen, und ich will Dir nur noch sagen, daß, wenn ich Dir einmal unerwartet anzeigen sollte, daß ich mich verheirathet habe, Du nicht zu erschrecken brauchst.

Dein getreuer Sohn     
Heinrich Mangold.“

Lange saß der Geheimrath, den Blick auf das Schreiben gerichtet; seine Augen schienen an einzelne Stellen gebannt zu sein, die er wieder und immer wieder überlas; da legte sich endlich kaum fühlbar eine Hand auf seine Schulter.

„Nicht wahr, lieber Zedwitz,“ klang die milde Stimme der Großmutter, „Sie lassen den Sohn wieder gut machen, was er gegen den Vater durch sein unbesonnenes Davongehen gesündigt haben mag? Sind wir trotz unserer Gerechtigkeit nicht allzumal Sünder und bedürfen der Vergebung?“

Der Geheimrath preßte die Lippen wie im Unterdrücken einer gewaltigen Bewegung auf einander, erhob sich und machte einen raschen Gang durch das Zimmer. Dann blieb er vor der alten Dame stehen und blickte zwei Secunden lang in ihre bewegten Augen. „Ich habe hier nichts mehr zu entscheiden,“ sagte er mit hörbarer Anstrengung, „es handelt sich um die Mädchen und um Meßner; aber,“ setzte er hinzu, die Hand wie besiegt nach ihr ausstreckend, „– ich werde die Vollmacht abschicken!“ – –

Als die Großmutter ihr Zimmer verlassen gehabt, waren dort die beiden Schwestern und der Schuldirector zurückgeblieben; Helene aber hatte sich unmittelbar darauf erhoben, um in dem Nebenzimmer zu verschwinden.

„Sie mögen Ihrer Fräulein Schwester mittheilen, was ich unter dem Eindrucke von Mangold’s Brief nicht zu sagen vermochte,“ begann Meßner, der Entschwundenen einen Blick nachsendend, „daß meine Gegenwart sie nicht mehr beunruhigen darf, daß der Papa ihr die volle Freiheit mich zurückzuweisen giebt, wenn ich ihr jemals dazu Anlaß geben sollte, und daß er sich überhaupt um diese mißverstandene Werbung meinerseits nicht mehr kümmern wird. Er hat mich autorisirt, dies der Großmama mitzutheilen.“

Marie hatte langsam die großen Augen von ihrer Arbeit gehoben, und eine leichte Blässe breitete sich über ihr Gesicht aus. „Indessen,“ fuhr Jener fort, seinen Blick in den ihren senkend, „habe ich diese Zusage nur durch eine Hinterlist erhalten können, ich habe von meiner sichern Hoffnung gesprochen, trotz Helene’s Weigerung ein Sohn des Hauses zu werden – halt, Marie!“ unterbrach er sich und sprang, als das Mädchen, von einem glühenden Roth übergossen, sich von ihrem Sitze erhob, nach ihrer Hand fassend aus, „ich habe Ihre Bedingung erfüllt, jetzt halten Sie ehrliches Spiel!“

Sie stand mit zitterndem Blicke vor ihm, aber ihre Hand machte keinen Versuch sich der seinigen zu entziehen. „Denken Sie denn nicht daran, daß wir arm geworden sind? daß der Vater sich niemals zu Hugo’s Schuldner machen wird?“ fragte sie, während plötzlich die Thränen in ihre Augen schössen. Er aber umschloß ihre Hand nur fester.

„Und bin ich es nicht geworden?“ fragte er drängend. „Jetzt, gerade jetzt spreche ich zu Ihnen, damit nie wieder der Schatten einer Mißdeutung zwischen uns falle. Antworten Sie mir, Marie –“

„Jetzt nicht, jetzt nicht!“ unterbrach sie ihn fast ängstlich, während sich dennoch ihre Hand fest um die seinige schloß, „noch ist das hereingebrochene Unglück nicht einmal abzusehen; aber,“ setzte sie mit leichtem Stocken hinzu, während sich ein verklärendes Lächeln über ihre reinen Züge breitete, „ich denke, die Zeit der Mißdeutungen ist vorüber! Lassen Sie mich Helenen Ihre Nachricht bringen!“ Und wie erst jetzt von einer zurückgedrängten Befangenheit übermannt, befreite sie ihre Hand von der seinigen und eilte aus dem Zimmer. Meßner schaute ihr in stillem, glücklichem Sinnen nach. „Und ist es denn nicht wirklich so, daß das Weib das veredelnde Princip im Menschengeschlechte ist?“ murmelte er endlich; „wohin wäre ich vielleicht gerathen, ohne sie?“


[574] Am nächstfolgenden 5. Januar Abends saßen in dem ersten Hotel der alten Stadt zwei junge Männer in einem Privatzimmer, die soeben geöffnete zweite Flasche Wein vor sich.

Zwei Stunden vorher war der Eine von ihnen erregt hereingestürzt und hatte sich mit einem: „Hugo! ist es denn möglich?“ dem bereits Anwesenden an die Brust geworfen. Nach den ersten stürmischen Begrüßungen aber hatte er lachend vor innerer Freude und mit immer wieder unterbrochenen Fragen, was den Freund nach Deutschland zurückgeführt, diesen bei beiden Schultern gefaßt und ihn betrachtet, als könne er noch kaum an die Wirklichkeit glauben. Und der Andere hatte endlich mit einem Lächeln voll Glück seinen Gast nach dem Sopha zu einem ruhigen Gespräch geführt.

„Was mich hierhergebracht hat, Fritz?“ begann er. „Zuerst einmal meine Frau, welche in dem großen Lande, wo der Dollar König und der Schwindel Minister ist, nicht mehr auszudauern vermochte –“

„Deine Frau? Deine – Hugo Zedwitz’s Frau?“ unterbrach ihn Römer mit weit aufgerissenen Augen; aber Jener winkte ihm hastig Ruhe.

„Um Gotteswillen, schrei’ meinen Namen nicht in die Welt hinaus,“ lachte er, „es darf vor morgen Niemand eine Ahnung davon erhalten. Ich bin hier als Bevollmächtigter eines Frankfurter Hauses, um von meinem Vater das Geld für eine Anzahl amerikanischer Papiere, die er gekauft, in Empfang zu nehmen, und bin auf morgen, den Verfalltag seines Wechsels, bei ihm angekündigt – natürlich ohne Namensnennung. Daß diese Papiere im Augenblicke aber keinen Pfennig werth sind, wirst Du wissen, und ich habe es zugleich ermöglicht, meinen Vater für seinen Verlust schadlos zu halten, was bei derselben Gelegenheit abgemacht werden soll. So werde ich also in geschäftlicher Eigenschaft vor ihn treten können, was mir unter meinem einfachen Namen kaum gelingen würde.“

Römer schüttelte aufgeregt den Kopf, lachte und rieb sich die Hände. „Ich verstehe, was Du sagst, und verstehe doch auch wieder kein Wort davon. Verheirathet – Bevollmächtigter – Schadloshalten, wo es hoch in die Tausende geht – hier in Deutschland, wo Dich jeder Gedanke über dem Meere sucht –“

„Sollst bald genug die Lösung mit Händen greifen können!“ lachte Hugo mit dem vollen Ausdrucke der Genugthuung, welche ihm die Scene bieten mochte. „Jetzt vor allen Dingen aber berichte, was hier vorgegangen ist und wie es in meines Vaters Hause steht!“

Und zwei Stunden waren mit gegenseitigem Erzählen, Fragen und Erklären verstrichen; oft waren die Gläser aneinander geklungen oder die Hände hatten sich in stillem Drucke vereinigt, als Hugo, der mit seinen Mittheilungen bis zu dem entscheidenden Morgen gelangt war, welcher die Geliebte an seine Brust gelegt, den abgerissenen Faden wieder aufnahm: „Ich hatte Jessy nach einem vorläufigen Asyl zu einer Familie ihrer Bekanntschaft in Philadelphia gebracht und war mit einer unbeschränkten Vollmacht von ihr zurückgegangen. Der Advocat, den ich mit Wahrung ihrer Interessen bei unserer Abreise betraut, hatte das ihr eigenthümlich gehörende Vermögen bereits von der ganzen Nachlaßmasse ihres sogenannten Mannes trennen und sicher stellen lassen; auf das Uebrige aber hatte vorläufig das Gericht Beschlag gelegt. Der Selbstmord Graham’s indessen, welcher durchaus nicht seiner Schuld, sondern seiner ruinirten Geschäftsehre zugeschrieben wurde, hatte auf die ganze Geschäftswelt einen gewaltigen Eindruck gemacht; dazu kamen die Nachrichten, daß in Folge des Untersuchungs-Spectakels der städtische wie Privat-Credit unserer Handelswelt in New-York einen gefährlichen Stoß erlitten habe, und in wenigen Tagen hatte sich die gesammte amerikanische besitzende Classe zu einer so mächtigen Reaction vereinigt, daß „aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt“ jede weitere Verfolgung des stattgefundenen Schwindels sistirt werden mußte. Selbst Marquart, den ich einmal traf, kratzte sich in den Haaren und sagte, so eine verfluchte Geschichte sei nur in Amerika möglich, er sehe aber ein, daß es nicht anders gehe. – Vor diesem Rückschlage indessen hatte ich an meinen frühern Prinzipal, mit dem ich eine mündliche Erörterung nur im äußersten Nothfalle hätte herbeiführen mögen, geschrieben, hatte ihm seine wissentliche Theilnahme an Graham’s Betrug durch Mittheilung der Nummern, unter welchen mein Vater seine Obligationen gekauft, Nummern, welche ich selbst als zum zweiten Male verkauft in das Copirbuch eingetragen hatte, nachgewiesen und forderte eine sofortige Schadloshaltung meines Vaters, wenn ich nicht die Angelegenheit dem Untersuchungs-Committee übergeben solle. Umgehend erhielt ich eine Anweisung an seinen Frankfurter Agenten, die Papiere, welche durch ein Versehen unter unrichtigen Nummern ausgegeben worden seien, zurückzunehmen und den Betrag wieder zu erstatten – aber nicht ein einziges Wort von ihm außerdem.

Graham’s Vermögen, welches nach dem Heiraths-Contracte an Jessy fallen sollte, sobald bei seinem Tode keine Kinder vorhanden seien, war nun freigeworden; ehe es aber völlig festgestellt werden konnte, rief mich Jessy zurück. Sie verlangte in ihrem Briefe fort aus Amerika mit mir und wollte von Graham’s ganzer Hinterlassenschaft nichts wissen. Bevor ich indessen wieder bei ihr eintraf, mochten ihre zeitweiligen Schützer, denen sie volles Vertrauen gegeben, sie andern Sinnes gemacht haben. Sie trat das ganze bedeutende Vermögen, „als Anerkennung der vielfachen Dienste, welche ich ihr geleistet“, an mich ab, und wollte ich es nicht aus einem übertriebenen Zartgefühle in fremde Hände gerathen lassen, so mußte ich es schon annehmen. Ich gönnte mir nur die Zeit, um die nöthigsten Dispositionen darüber zu treffen, dann wurde sie vor dem Altare mein Weib – mich, sagte sie, dürfe sie nicht durch einen nüchternen Friedensrichteract zum Gefährten erhalten – und am nächsten Tage traten wir die Reise nach Europa an.“

„Und von dem armen kleinen Mädchen, das Du so kalt von Dir gewiesen – Carry, wie Du sie nanntest – hast Du nichts wieder gehört?“ fragte Römer nach einer Pause sinnend.

Hugo blickte lächelnd in den rubinfarbigen Inhalt des Glases vor sich. „Sie ist nicht unglücklich geworden, wenn ihr auch anfänglich das Schwinden ihrer ersten Illusion einige Thränen gekostet haben mag,“ erwiderte er. „Jessy hatte von Philadelphia aus an sie wie an die Mutter geschrieben und mit Angabe dessen, was ihr für immer ihres Vaters Haus verschließen werde, Abschied von Beiden genommen; zugleich hatte sie ihr künftiges Verhältniß zu mir angedeutet. Nur von Carry war eine Antwort zurückgekommen, ein voller Ausdruck ihres warmen, leidenschaftlichen Herzens. Sie segnete Jessy, daß sie mich glücklich machen werde; sie wollte schon bei dem ersten Zusammentreffen, welches ich mit der damaligen Mrs. Graham auf der Farm gehabt, meine Gefühle für diese errathen haben, und bekannte der glücklichen Schwester, daß gerade diese vorausgesetzte unglückliche Liebe in ihr ein lebendigeres und wärmeres Interesse für mich erweckt habe, als es wohl ohne diesen Anlaß entstanden wäre, daß es ihr bei Winter’s geschäftlichen Plänen mit mir geworden sei, als müsse sie mir Ersatz leisten für das, was ich in Jessy verloren, und daß sie sich jetzt eben nur in dem Gedanken tröste, daß ich mein eigentliches und bestes Glück erlangt. Und getröstet hat sie sich jedenfalls ziemlich schnell, denn kurz vor unserer Abreise von Philadelphia erfuhren wir, daß Winter sein Geschäft geschlossen, mit der ganzen Familie sammt dem alten Henderson nach New-York gegangen sei, um sich dort niederzulassen, und daß Carry ihrem ganzen Auftreten nach verspreche, eine bedeutende Rolle in den Salons der „Upper tens“ zu spielen. – Diese Mittheilung erinnerte mich zugleich an meinen versäumten Abschied von Henderson; aber Jessy hatte Recht, es war besser so, der Friede seiner alten Tage mußte gestört werden, wenn sein mühsam festgehaltener Glaube au den langjährigen Brodherrn durch meine Erklärungen erschüttert worden wäre.“

„Und nun, Du tausendmal glücklicher Mensch, wo ist Deine Frau?“ rief der Freund aufblickend, „warum hast Du sie nicht hier, um sie zur rechten Zeit der Großmutter und Deinen Schwestern zuzuführen?“

Hugo schüttelte den Kopf, und ein Ausdruck von Sorge lagerte sich auf seiner Stirn. „Weiß ich denn schon, wie Alles hier gehen wird?“ erwiderte er. „Ich gestehe Dir, daß ich jetzt erst das gewagte Spiel erkenne, welches ich in Bezug auf meinen Vater unternommen habe. Wenn er das Gefühl, welches die Geldangelegenheit zum Vorwand genommen hat, um mir Zutritt in’s elterliche Haus zu verschaffen, mißversteht, sich wohl gar durch die Komödie, welche mich ihm als Inhaber seines Wechsels vorstellt, beleidigt fühlt und mich nach Beendigung des Geschäfts kalt zur Thür hinaus complimentirt – und er ist dessen fähig! so habe ich mehr verloren als jemals. Dazu kommt aber noch, Fritz, daß ich seine ausgeprägte Abneigung gegen Dich nur in Deiner Freundschaft für mich suchen kann – sie wäre sonst völlig unnatürlich! und daß, [575] wenn mir das Glück meinen frühern Platz in der Familie wieder schenken sollte, ich diesen niemals einnehmen könnte, wenn Dir nicht zugleich volle Gerechtigkeit würde. – Laß die Redensarten!“ unterbrach er sich bei einer lebhaften Bewegung Römer’s, „ich sage nur, was um Deinet- und Helene’s willen unverrückbar fest in mir steht. Du siehst also, daß es noch zu früh für eine Einführung meiner Frau ist. Sie lebt bis zur nächsten Ordnung meiner Angelegenheiten bei ihrer Schulfreundin, der Tochter des amerikanischen Gesandten in Berlin.“

Römer trank rasch sein Glas aus und wühlte dann mit der Hand in seinen Haaren. „Und wenn nun Alles glücklich gehen sollte,“ begann er endlich, wie von einem Gedanken gequält, „willst Du dann nur den reichen Mann spielen und allenfalls Naturwissenschaften oder dergleichen daneben treiben?“

Der Andere schüttelte lächelnd den Kopf. „Wenn Alles glücklich gehen sollte, Fritz,“ erwiderte er, „so soll mein Vater einen Sohn haben, der ihm zur Zufriedenheit lebt. Ich habe drei Wochen lang den Anfang zum Kaufmann gemacht und erst da recht empfunden, wie das Fach, dem sich der Mensch von Jugend auf gewidmet, in Fleisch und Blut übergeht. Nachdem ich mich schon von Hamburg aus durch den amerikanischen Gesandten versichert, daß niemals in Berlin eine Untersuchung gegen mich anhängig gemacht worden sei, war dort mein erster Gang zu meinen früheren Chefs, und ich habe durch sie die Hoffnung erhalten, daß mein Wiedereintrit in meine frühere Stellung sich arrangiren lassen wird. Geschieht dies, Fritz, so werde ich meinen Ehrgeiz in den Erfolgen, welche mein ursprünglicher Beruf zu bieten vermag, suchen, und Jessy wird schon sorgen, daß ich meine Nebenstudien, in denen ich doch nie über den Dilettantismus gelangt wäre, nicht mehr zu meiner Erholung bedarf. Ihr aber habe ich zu gleicher Zeit zu zeigen, daß ich mehr zu sein vermag, als nur „der Mann meiner Frau“. Gott helfe mir, Fritz, daß sich Alles zum guten Ende gestaltet!“

„Gott helfe es!“ wiederholte Römer unter einem liefen Athemzuge und faßte mit kräftigem Drucke beide Hände des Freundes. – –

Am nächsten Morgen um 10 Uhr trat Mangold mit einem wunderlichen Zucken der buschigen Augenbrauen in das Zimmer des Geheimraths; zweimal schien er vergebens zum Sprechen anzusetzen, bis er endlich, jeden Zug seines Gesichts steif anspannend, meldete: „Der Bevollmächtigte aus Frankfurt wünscht sich vorstellen zu dürfen!“

Zedwitz sah ruhig von seinem Arbeitspulte auf und neigte dann langsam den Kopf. „Lassen Sie ihn eintreten!“ sagte er und öffnete zugleich einen kleinen Schrank vor sich, eine Anzahl Packete Cassen-Anweisungen daraus entnehmend. Aber er konnte den halben Seufzer, welcher dabei unwillkürlich seine Brust hob, nicht ganz unterdrücken, und auf seiner Stirn schien sich sein früherer Gedanke: die eine Sünde mit der andern bezahlen! wie eine trübe Wolke zu lagern.

Als sich die Thür von Neuem öffnete, erhob er sich und schritt nach dem Mitteltische; im nächsten Momente aber wich die Farbe aus seinem Gesichte, und seine Züge nahmen einen Ausdruck völliger Starrheit an – er hatte den Sohn erkannt, der wie in Ungewißheit mit sich selbst am Eingänge stehen geblieben war.

„Ich bin hier als Dein eigener Bevollmächtigter, Vater,“ begann dieser nach einer kurzen Pause, und seine Stimme bebte trotz des sichtlichen Bemühens seine Erregung nieder zu halten; „ich bringe Dir Deinen Wechsel und habe dagegen nur die entwertheten Papiere in Empfang zu nehmen. Da es mir schon kurz nach dem Abgange von Heinrich’s Briefe möglich wurde die Angelegenheit zu ordnen, so beschleunigte ich meine Reise nach Europa, um Dich möglichst rasch Deiner Ungewißheit zu entreißen.“ Er faßte nach seinem Portefeuille, zog daraus das verpflichtende Papier des Geheimraths hervor und legte es, einige Schritte vortretend, auf den Mitteltisch.

Zedwitz hatte sich nicht gerührt, und erst Hugo’s Herantreten schien ihm wieder die Fähigkeit zur Bewegung zu geben. Wie mechanisch wandte er sich nach demselben Schränkchen, welches das Geld geborgen, entnahm ihm die gekauften Obligationen und legte sie, wieder in seine starre Haltung zurückfallend, neben seinen eigenen Wechsel. Hugo schob den Letzteren von sich und brach die Geldpapiere, ohne sie nur zu betrachten, mit einer krampfhaften Handbewegung zusammen; dann hob er langsam den zitternden Blick, ihn einige Secunden in dem unbeweglichen Auge des vor ihm Stehenden haltend. „Soll ich wieder gehen, Vater?“ fragte er, und in seinem gedrückten Tone klang die ganze Macht seiner herausdrängenden Bewegung. Zedwitz stand noch immer regungslos, und nur in seinen Mundwinkeln begann sich ein kaum merkbares nervöses Beben geltend zu machen. „Was ich auch gesündigt haben mag, Vater,“ fuhr der Erstere fort, während eine aufsteigende Thräne in seinem Auge zitterte, „es ist gegen das Wissen meines Herzens geschehen, und was meine unüberlegte Flucht äußerlich angerichtet, bin ich im Stande wieder gut zu machen – ich komme von meinen frühern Chefs in Berlin, Vater –“ Seine Stimme schien ihm zu versagen; jetzt aber schien auch in dem Gesichte des Geheimraths ein zurückgehaltenes Etwas zum Durchbruch kommen zu wollen, die bebende Bewegung um seinen Mund ward stärker, in seine Augen begann ein feuchtes Leben zu treten – „Vater!“ rief Hugo, nach der Hand des alten Mannes fassend und den hervorstürzenden Thränen nicht mehr gebietend; Zedwitz aber schien mit einer einzigen Anstrengung seine volle äußerliche Ruhe wieder erlangt zu haben, wenn auch sein Gesicht wie von einem Sonnenstrahle belebt erschien. „Komm!“ sagte er, und faßte den Arm des jungen Mannes, ihn mit sich aus dem Cabinet führend.

Sie schlugen schweigend den Weg nach dem Zimmer der Großmutter ein; der erste Blick durch die geöffnete Thür in die gespannten Gesichter der dort Versammelten aber zeigte, daß Hugo’s Ankunft bereits verrathen worden war.

„Hier ist er!“ sagte der Geheimrath eintretend, „er hat Wort gehalten und ist selbst gekommen, um wieder gut zu machen!“ und wie unter einem erlösenden Worte fuhren die beiden Mädchen in die Höhe. Als aber Hugo in ihren Armen auf die alte Dame, die ihm die Hände entgegenstreckte, zueilte, wandte sich Zedwitz nach dem bei Seite getretenen Meßner. „Holen Sie Ihr Geld von mir, Freund, er hat es mit dem meinigen gerettet!“ sagte er und trat, als wolle er den Ausdruck seines Gesichts nicht zeigen, an’s Fenster, der Stube den Rücken kehrend.

Bald indessen halte sich Hugo den Umschlingungen und Fragen der Frauen entzogen und wandte sich wieder nach dem Geheimrathe.

„Wenn ich volle Absolution erhalten soll, Vater, so drängt mich mein Gewissen erst noch zu einer Beichte!“ sagte er, und langsam drehte sich der Angeredete mit wieder leicht umwölkter Stirn nach ihm. Der glückliche Ausdruck von Hugo’s Gesicht indessen schien ihn von einer aufgestiegenen unbestimmten Sorge sichtlich zu befreien. „Ich muß in dieser ersten Stunde sogleich die Ursache bekennen, welche mich nach Amerika getrieben hat, da sie für mein ganzes Leben verhängnißvoll geworden ist!“ fuhr der junge Mann fort. „Es war nicht die Furcht vor der Untersuchung, Vater, denn ich war zur Rückkehr nach Berlin entschlossen – es war eine tiefe Leidenschaft für eine junge, hochgestellte Dame, die ich bereits in der Schweiz mit ihren Angehörigen getroffen und um deren willen auch allein mein unglückliches Rencontre mit dem Russen sich ereignete. Als ich Berlin verlassen, sandte sie mir durch dritte Hand die Bezeichnung ihrer Heimath als Wink für ein Asyl nach, sie war eine Amerikanerin aus reicher Familie und – alle näheren Erklärungen später, Vater – sie ist jetzt meine Frau!“

Trotzdem das letzte unerwartete Wort fast wie ein elektrischer Schlag auf die Frauen zu wirken schien, so äußerte sich die Ueberraschung doch nur durch ein rasches, fast ängstliches Aufsehen nach dem Gesichte des Hausherrn; dieser aber öffnete nur die Augen etwas größer und schien einen plötzlich entstandenen Gedanken zu verfolgen.

„Und hatte das Vermögen dieser jungen Dame etwas mit der Zurückgabe meines Wechsels zu thun?“ fragte er nach einer kurzen Pause, während seine Stirn sich wieder leicht faltete.

„Nichts, nichts, Vater, nur die Verbindungen, zu denen ich durch sie gelangte!“ rief Hugo eifrig; „der Schuldige hat allein Deine Schadloshaltung bewirkt, und ich werde es Dir beweisen!“

„So!“ ließ der Geheimrath nach einer neuen Pause hören. „Und trotz dieser veränderten Lage, die ich als gesichert für Dich voraussetze, willst Du in Deine frühere Carriere wieder eintreten?“

„Ich habe es gestern meinem Freunde Römer zugeschworen,“ rief Hugo in voller Herzlichkeit, seines Vaters Hand fassend, „daß ich für Alles, was in der Vergangenheit mir auch zur Last fallen mag, Dir volle Genugthuung durch meine Zukunft schaffen [576] werde – Du sollst nicht lange auf mein nächstes Examen zu warten haben!“

Ueber des Geheimraths Züge breitete sich zum ersten Male eine volle, heitere Zufriedenheit aus. „So werde ich allerdings gegen diesen letzten Streich keinen Einspruch erheben dürfen, und Du wirst ihn gegen die Großmutter und Deine Schwestern zu verantworten haben!“ sagte er, und der junge Mann sah sich plötzlich wieder in den Armen der aufathmenden Mädchen, die ihrer Ueberraschung in zehn sich durchkreuzenden Fragen Luft machten.

„Aber, mein Gott, eine Amerikanerin!“ rief die alte Frau in komisch kläglichem Tone dazwischen, „so wird man ja nicht einmal mit ihr reden können!“

„O, sie lernt bereits Deutsch,“ erwiderte Hugo mit dem vollen Ausdrucke seines Glückes, der Sprecherin Hände fassend, „und ich weiß, daß Du sie so lieb haben wirst, Großmütterchen, wie nur Deine eigenen Enkel –“

„Und damit ist die Beichte zu Ende?“ unterbrach ihn Zedwitz fast launig.

Hugo wandte sich wieder dem Fragenden zu, und in sein Gesicht trat eine Art weicher Ernst. „Noch ein einziges Wort, Vater, wenn ich ganz ruhig werden soll!“ sagte er fast bittend. „Ich erwähnte vorhin Römer’s – hast Du ihm einen bestimmten Vorwurf zu machen, der ihm Euer Haus verschließen muß?“

Ueber die klare Stirn des Hausherrn ging plötzlich eine Wolke; er neigte langsam den Kopf und schien einen Gang nach der Thür beginnen zu wollen; im gleichen Augenblick aber hatte sich auch die Großmutter in jugendlicher Lebendigkeit erhoben. „Halt, lieber Zedwitz,“ sagte sie, die Hand auf seinen Arm legend, „dies ist eine von Gott gesandte Stunde des Segens und der Versöhnung, von der wir Niemand mit kaltem Herzen ausschließen sollten. Und zudem steht vielleicht Manches anders, als Sie selbst wissen. – Komm her, Hugo, und laß Dir hier unsern Freund, den Regierungsrath Meßner, vorstellen, was ohnehin bereits hätte geschehen sollen,“ wandte sie sich nach dem Enkel, während der Letztgenannte, welcher, in eine Ecke hinter die Mädchen zurückgezogen, die Familienscene beobachtet, sich überrascht von seinem Sitze erhob; „hier aber ist Deine Schwester Marie, und wenn ich Dir sage, daß Du heute unwissentlich aus Beiden ein glückliches Paar gemacht hast, das jetzt nicht mehr zögern wird, sich dem Vater zu entdecken, so darfst Du der Großmutter glauben, die im Geheimnisse ist!“

Marie hatte aufschreckend und mit Purpur übergossen ihr Gesicht an der Schulter der Sprecherin geborgen, während Meßner in sichtlicher Bewegung dem jungen Manne die Hand mit einem: „Es war mir noch nicht vergönnt, Ihnen zu danken!“ entgegenstreckte; der Geheimrath indessen sah mit gehobenem Kopfe bald auf den Hausfreund, bald nach dem Mädchen in den Armen der Großmutter, und ein plötzliches Verständniß schien in ihm aufzugehen; dann blickte er wie sinnend nach Helenen, die in peinlicher Spannung jede Veränderung in seinen Zügen zu beobachten schien. „Das heißt also nach allen Seiten hin außer Activität gesetzt,“ begann er endlich. „Sie hatten carte blanche von mir,“ wandte er sich an Meßner, „und so ist hier gar nichts mehr zu sagen; im Uebrigen aber soll die Mama Recht haben,“ fuhr er mit einer leichten Bewegung in seiner Stimme fort, „ich will heute nicht undankbar sein, und so bringe Deinen Freund, Hugo, wenn Dir soviel daran gelegen ist –!“

Helene war mit einem unarticulirten Ruf bei seinen letzten Worten aufgefahren und warf sich an seinen Hals, seine weitere Rede abschneidend; zugleich aber hatte ihn auch schon Marie umschlungen, während die Großmutter mit einem aufglänzenden Ausdrucke von Genugthuung, der ihre Züge um zehn Jahre verjüngte, nach seiner Hand faßte; Hugo sah sich plötzlich allein, und von einem raschen Gedanken berührt, wandte er sich nach der Thür, von wo ihm indessen das Gesicht des alten Mangold, dessen Eintritt Niemand wahrgenommen, unter zwei großen, langsam in den grauen Bart rollenden Thränen entgegenblickte. „Und so wird Alles noch gut, Herr Referendar,“ sagte der Alte, „wie geht es aber meinem Heinrich?“

„Er ist auf dem rechten Platze und wird seinen Weg machen, wo wir Menschen von der Feder ganz ruhig zu Grunde gehen können,“ erwiderte der junge Mann, dem alten Diener kräftig die Hand schüttelnd. „Sie sollen noch des Ausführlichen von ihm hören – jetzt aber, Mangold, helfen Sie mir, den Tag vollständig zu machen; gehen Sie zu Römer und sagen Sie ihm, daß er sich Mittags hier zu Tische einfinde – sagen Sie nur, es sei Alles in Ordnung!“


Wenige Jahre sind seit den hier erzählten Ereignissen verstrichen, deren Mittheilung der Verfasser einer der betheiligten Personen verdankt, und es ist ihm nur noch verstattet, denselben einige leichte Ergänzungen hinzuzufügen.

Unter denjenigen Berliner Cirkeln, zu welchen der sich in der Residenz aufhaltende Amerikaner am liebsten Zutritt gewinnt, ist der einer jungen Landsmännin, welche mit eigenthümlichem Takte den deutschen und transatlantischen Ton zu vermitteln, die elegante, unabhängige Amerikanerin mit dem vollen Gemüthe der deutschen Frau zu vereinigen weiß, einer der gesuchtesten. Neben dem Elemente der fremden Gäste aber bildet dort unter den Männern eine gewählte Zahl von Vertretern heimischer Wissenschaft und Literatur einen Haupttheil der Gesellschaft und findet einen zweiten Mittelpunkt in der ebenso liebenswürdigen als geistreichen Schwägerin der Hausherrin.

In dieser letzteren aber haben wir Jessy vor uns, welche Hugo’s Befürchtung, daß ein erwachendes Heimweh ihr gemeinsames Glück trüben werde, völlig vernichtet hat und neben ihrem häuslichen Kreise den ihr beschiedenen Reichthum nur durch eine alljährliche mehrwöcheittliche Reise mit ihrem Manne genießt. Hugo erwartet seine Beförderung zum Gerichtsrath.

In der zweiten jungen Frau aber treffen wir auf Marie, deren Mann in das Cultus-Ministerium versetzt worden, und die in rasch entstandener Zuneigung sich eng an die neue Schwester angeschlossen hat.

Der Geheimrath ist noch in seiner frühern Stellung, aber eine seltsame Aenderung scheint in seinem Charakter vorgegangen zu sein – es wird ihm trotz der vielfachen Besuche seiner Kinder zu einsam, besonders da die Großmutter den größten Theil ihrer Zeit dem „Nesthäkchen“, der glücklichen Frau Römer, und deren beiden kleinen Sprossen widmet; er beabsichtigt stark, sich pensioniren zu lassen und mit dem alten Mangold nach Berlin, dem Schauplatz der jugendlicheren Tage Beider, zu seinen übrigen Kindern und Enkeln zu ziehen.

Heinrich lebt in Cincinnati und ist durch ein kleines Capital seines frühern Gefährten in den Stand gesetzt worden, Miteigentümer eines Möbellagers zu werden. Hugo und Römer haben bereits die Einladung zur Taufe eines dritten „echten Thüringers“ erhalten. Er möchte gern seinen „Alten“ zu sich hinüber holen, wozu dieser aber unter keinen Umständen seine Einwilligung geben zu können meint.

Von Carry war nur eine einzige Nachricht eingetroffen, welche deren Verheirathung mit einem Bostoner Kaufmann meldete. Jessy’s Beglückwünschungsbrief blieb indessen unbeantwortet, und diese hat sich auch längst ohne Reue darein gefunden, daß sie in Hugo ihre „einzige und alleinige Heimath“ erwählt.

Wenn aber bisweilen ein Leierkasten durch die nächtlichen Straßen Berlins zieht, und die Töne hinauf zu dem Arbeitszimmer des jungen Mannes, der noch über einem Actenfascikel brütet, klingen:

„Ach wie ist’s möglich dann,
Daß ich Dich lassen kann’?“

da beginnen wohl alle die früheren Erlebnisse in ihm aufzutauchen, jeden Gedanken an den vor ihm liegenden „Fall“ verscheuchend, und er murmelt, der Melodie folgend, mit eigenthümlichem Ausdrucke:

„Zwei Welten!“





Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:

Otto Ruppius,
Deutsches Volksleben.
2 Bändchen. Preis 1 Thlr. 6 Ngr.

Freunden einer guten, schönwissenschaftlichen Lectüre und den Leihbibliotheken sind diese Erzählungen vor allen andern zu empfehlen. Der Verfasser derselben ist in der literarischen Welt und in weiteren Kreisen sowohl als Mitarbeiter der Gartenlaube, wie auch als Verfasser verschiedener schönwissenschaftlicher Werke ehrenvoll bekannt. Die Vorzüge seiner Erzählergabe sind anerkannt. Er macht sie auch in dem obigen Werke geltend, indem er seine Stoffe mir der ganzen Gewalt des Romanschreibers beherrscht und so die Spannung bis ans Ende in steter Steigerung erhält.


  1. Jede Erfindung hat ihre Geschichte, aber wenige werden von dem besondern Interesse sein, welche fast jede der Bauer’schen Erfindungen auszeichnet – durch die Persönlichkeiten, welche im Schicksale derselben eine Rolle spielen. Diese Geschichte wird noch geschrieben, und ich glaube das reichste Material dazu zu besitzen. Es steht darin mancher große Herr in nicht besonderem Glanze. Aber gerade das Verhalten der höheren Kreise in dieser Angelegenheit muß mit aller Strenge der Wahrheit hingestellt werden, nicht etwa in irgend welcher unbilligen Absicht, sondern damit man dort vielleicht einsehen lerne, daß jeder Zusammenhang mit einer öffentlichen That Jedermann dem öffentlichen Urtheil unterwerfe, und damit eine solche Lehre künftigen deutschen Erfindern vielleicht zu Gute komme.
  2. Die Montgolfièren sind, wie das Obige schon andeutet, auf den Gedanken hin construirt, daß die dünnere, durch Wärme ausgedehnte Luft leichter ist, als die gewöhnliche, nicht ausgedehnte.
  3. Die nach ihm benannten Charlièren bekommen zu ihrer Füllung das leichte Wasserstoffgas, dessen specifisches Gewicht, wenn wir das der atmosphärischen Luft = 1 setzen, 0,0688 beträgt.
  4. Das Hygroskop, wörtlich Feuchtigkeitszeiger, ein meteorologischer Apparat, welcher anzeigt, ob überhaupt Feuchtigkeit in der Luft vorhanden; das Messen der Menge dieser Feuchtigkeit geschieht mittelst des Hygrometers, dessen vollkommenste Ausbildung der Haarhygrometer ist.
  5. Mein Cyanometer (von H. B. Saussure erfundenes Instrument, um die Stärke der Bläue des Himmels zu messen) besteht aus 32 Nuancen des Bleu de Prusse, von denen Nummer 1 die tiefste Stufe, ein sehr intensives Schwarzblau bezeichnet, während Nummer 32 den möglichst hellsten Ton angiebt; dazwischen liegen alsdann die andern allmählichen Uebergänge.