Die Gartenlaube (1884)/Heft 13

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1884
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[209]

No. 13.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


An die alten und neuen Freunde der „Gartenlaube“.

Als wir vor dreizehn Wochen die erste Nummer dieses Jahrgangs in die Welt sandten, da thaten wir es in der Zuversicht, daß die mächtige Anziehungskraft, welche die „Gartenlaube“ seit Jahrzehnten auf das deutsche Volk ausgeübt, und welche ihr den unbestrittenen Rang des ersten deutschen Volks- und Familienblattes errungen – daß diese Kraft sich auch in der Folge bewähren werde, wenn wir festhielten an dem guten alten Programm der „Gartenlaube“, in welchem die Wurzeln ihrer außerordentlichen Entwickelung liegen.

Und diese Zuversicht hat uns nicht getäuscht.

Die alten Freunde haben sich in gewohnter Weise wieder um ihre alte „Gartenlaube“ geschaart, und wir sagen ihnen hiermit unseren herzlichen Dank für ihre Anhänglichkeit und Treue.

Aber indem wir es als unsere Aufgabe erkannten, dem guten Alten – soweit es in unseren Kräften stehe - Neues in zweckmäßigen Verbesserungen und ansprechenden Verschönerungen hinzuzufügen, gaben wir uns der Hoffnung hin, daß es uns gelingen werde, der „Gartenlaube“ eine stattliche Anzahl neuer Freunde zu gewinnen.

Und auch diese Hoffnung hat sich erfüllt, weit über all’ unser Erwarten erfüllt!

In der kurzen Zeit vom 1. Januar bis Mitte März dieses Jahres ist die Auflage der „Gartenlaube“ von 224,000 auf

250,000 Exemplare

gestiegen, und jeder Tag bringt uns neuen Zuwachs.

Wir rufen hiermit allen unseren neuen Freunden ein herzliches „Willkommen“ zu und wünschen, daß sie sich in der „Gartenlaube“ bald vollkommen behaglich und zu Hause fühlen mögen!

Getragen von dem Vertrauen und den Sympathien eines einzig in seiner Art dastehenden Leserkreises und unterstützt von den besten deutschen Schriftstellern und Künstlern, werden wir mit verdoppeltem Eifer in unseren Anstrengungen fortfahren.
Wir werden keine Opfer scheuen, um von den Schöpfungen unserer Erzähler, Dichter, Denker, Künstler das Beste, Gediegenste, Volksthümlichste in der „Gartenlaube“ zu vereinigen und dieselbe so immer mehr zu einem treuen Spiegel der populären geistigen Bestrebungen Deutschlands zu machen.


Das neue Quartal wird neben dem Schluß der gemüthvollen Erzählung W. Heimburg’s „Ein armes Mädchen“ unter Anderem den lange erwarteten Roman A. v. d. Elbe’s: „Brausejahre“ und in demselben fesselnde Schilderungen bringen aus der brausenden Jugendzeit Goethe’s und Karl August’s, sowie jenes wunderbaren Menschenkreises, welcher sich in Weimar um diese beiden Sterne schaarte, und aus welchem die Gestalten eines Wieland, Herder, Knebel, einer Herzogin Amalie und Luise, Frau von Stein, Corona Schröter etc. hervorragen.

Ernst Eckstein hat eine meisterhaft geschriebene, spannende Erzählung „Salvatore“ beigesteuert, welche neben hochinteressanten Schilderungen der verrotteten Zustände unter den letzten bourbonischen Herrschern in Neapel die Schicksale zweier Liebenden inmitten einer leidenschaftlich bewegten Handlung vor unseren Augen vorüberführt.

An hervorragenden Artikeln wird das nächste Quartal bringen:

Die Fortsetzung und den Schluß des Memoiren–Fragments von Heinrich Heine. Die Kindheit eines Riesen. Historie. Von Johannes Scherr. Der deutsche Reichsadler und die deutsche Kaiserkrone. Eine historisch-politische Plauderei von Karl Braun-Wiesbaden. Die Schleichpfade der Ansteckung in Kinderkrankheiten. Von Dr. L. Fürst. Ein chinesischer Schulmeister auf dem Throne. Von O. Henne am Rhyn. Photographien Hypnotisirter. Von Dr. G. H. Schneider. Deutsche Selbstsucht und französische Großmuth. Von Max Nordau. Ein Straßenbau und eine deutsche Niederlassung in Brasilien. Von F. Keller-Leuzinger. Karsten Lehr. Ein Beitrag zur Geschichte des seemännischen Aberglaubens. Von Edmund Höfer. Das classische Zeitalter der Geselligkeit. Von R. Artaria. Die Tulpomanie. Von K. Heigel. Die Clavierseuche. Von Eduard Hanslick. Im Paradiese Südspaniens. Von Fritz Wernick. Die Besteigung des Aetna. Von Ferdinand Avenarius. Wie man wider Willen zum Propheten wird. Die letzte Aufzeichnung A. Bernstein’s. Die Hexenprobe. Eine culturgeschichtliche Studie. Bilder von der Arlbergbahn. Mittheilungen über Erfindungen und Fortschritte der Neuzeit: Criminalistisch-photographische Untersuchtungen eines Tintenflecks. Die neuenthüllten Wunder des Meeresgrundes. Ein meteorologisches Observatorium über den Wolken etc.

Wenn wir noch hinzufügen, daß wir auch für die künstlerische Ausstattung des nächsten Quartals umfassende Vorkehrungen getroffen haben, welche es uns ermöglichen werden, auch diese Seite unserer Leistungen noch wesentlich zu steigern, so dürfen wir wohl vertrauensvoll zum Abonnement auf dieses Quartal einladen, in der Hoffnung, daß uns dasselbe dem gesteckten Ziele abermals näher bringen werde.

Die Redaction und Verlagshandlung der „Gartenlaube“. 


[210]

Ein armes Mädchen.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Der Brief des Bennewitzer lautete: „Mein Vorsatz, gnädigste Frau, heute bei Ihnen zu speisen, wurde mir leider unmöglich gemacht. Ich muß augenblicklich zurück nach Bennewitz, da soeben die Baucommission der M.’schen Eisenbahn die Strecke besichtigt, die über mein Terrain führt Verzeihen Sie die Eile, ich hoffe morgen mit Ihnen und meiner Braut in Ihrem trauten Heim ein paar Stunden verbringen zu können.
Ergebenft 
Hermann von Hegebach.“ 

„Gott sei Dank, es ist Frist gewonnen!“ Frau von Ratenow hatte wieder frischen Muth, sie konnte noch reisen um elf Uhr, sie konnte auch wohl auf das gütige Zureden der Schwester Beate in D. hoffen. Das Mädchen durfte nicht ihr Glück so mit Füßen von sich stoßen. Sie begann hastig ihre Vorbereitungen weiter zu treffen. Herr Gott, was mußte man nicht Alles thun um solch einen Trotzkopf! Wie ihr das Eisenbahnfahren verhaßt war, und in Halle mußte sie ein anderes Billet lösen! Ach, und der entsetzliche Trubel in Halle! Auf einmal kam ihr eine andere Idee – sie hatte das Trappeln eines Pferdes gehört und ging an’s Fenster. Wahrhaftig, er war es!

„Moritz!“ rief sie mit laut schallender Stimme über den Hof.

Er grüßte und nickte. „Gleich, Mutter!“

Und dann kam er in seiner ganzen Pomadigkeit daher, und sie hörte ihn noch im Flur mit dem Gärtner sprechen. Endlich trat er ein.

„Mein Gott, Jung, wie Du langsam bist!“ sagte sie ärgerlich.

„Hattest Du Eile? Verzeihe, Mütterchen.“

„Es ist ein Viertel auf elf Uhr, Moritz, und – – willst Du mir einen Gefallen thun, Moritz? Siehst Du, das Reisen wird mir schon sauer – fahr’ Du nach D., sprich Du mit Else, sie hat immer am meisten auf Dich gegeben. Du weißt noch gar nichts, Moritz? – nicht, daß die Krabbe ausgerissen ist? Oder doch? – Moritz, wußtest Du Etwas?“ Sie sah ihn forschend an.

Er blieb so ruhig bei ihren hastigen Worten.

„Ja wohl, Mutter, ich sah sie fortgehen.“

„Moritz! Und Du hast sie nicht gehalten, nicht mit aller Gewalt zu verhindern gesucht, daß sie ihren dummen sentimentalen Ideen folgte?“

Da stand er, so groß und breitspurig.

„Nein, Mutter!“ Und er nahm die Reitpeitsche wieder vom Tisch und bog sie in den Händen hin und her, so trotzig, wie er es als Junge gethan, wenn mal etwas nicht nach seinem Kopfe ging, und dennoch so überzeugend. „Nein, Mutter, dazu hatte ich kein Recht!“

„Mein Gott, Moritz!“ Die alte Dame war zornesroth geworden.

„Kein Recht!“ wiederholte er, „Du nicht und ich nicht, Mutter; das Recht hat, Gott sei Dank, Niemand bei unseren Gesetzen, ein Mädchen gegell ihren Willen zu einer Heirath zu zwingen.“

„Es ist um den Verstand zu verlieren! Was Ihr da alles für schöne Redensarten macht! Was zwang sie denn im entscheidenden Moment?“

„Alles! Die Menschen, die Umstände, das Leben und der Tod, Mutter. Und ihr eigen Herz schrie: ‚Nein!‘ Doch Niemand wollte es hören.“

„Aber warum, Moritz? Siehst Du denn den Grund ein? Ist es nicht in ihrer Lage ein Wahnsinn?“

„Einen Grund? Ja, frage danach nicht, Mutter; wer hat das Geheimniß ergründet, das einen Menschen zum andern hinzieht, einen von dem andern abstößt?“

„Du sprichst wie ein Versemacher, Moritz; sieh Dich doch um in der Welt, es ist Tag, heller Tag; das Menschenleben ist prosaisch, kein Idyll, es ist ein Kämpfen und Jagen, und Jeder sieht, wo er bleibt.“

„Und das, was diese Räder treibt, ist die Liebe, Mutter, und sie läßt sich nicht wegleugnen aus der Welt, wenn sich auch die Realisten noch soviel Mühe geben. Liebe und Treue – – das liegt einmal bei uns Deutschen so im Blute, Mutter,“ und er nickte ernsthaft mit dem Kopfe. „Ich kann Dir das nicht so sagen, dazu gehören schönere Worte, als ich sie im Vorrath habe.“

„Liebe?“ Die alte Dame fuhr auf. „Liebe,“ wiederholte sie, „Du meinst den kleinen Lieutenant? Was ist er gegen den Bennewitzer? Eine Null, ein Nichts – Salonverbeugungen macht er, und ein bischen geigen kann er – voilà tout.“

„Ich kenne ihn nur als einen liebenswürdigen Menschen,“ beharrte Moritz, „aber gleichviel, Mutter, auch das ist ein Mysterium. Die Liebe fragt nicht nach äußeren Dingen, nach Stellung, nach Liebenswürdigkeit; und dann – eine Null, Mutter? Gestehe doch offen, wenn Bernardi nun, nehmen wir zum Beispiel an, des Bennewitzer’s Sohn wäre, wie dann?“

„Dann wäre es eben etwas Anderes, mein Jung; hör’ auf mit dem sentimentalen Krims-Krams. Willst Du fahren?“ fragte sie kategorisch, „willst Du Else noch einmal Alles, Alles an’s Herz legen? Denn papperlapapp – ihren Bernardi kann sie doch nicht heirathen. Er hat sich sicher auch längst getröstet.“

„Was das Eine betrifft, so gebe ich Dir Recht, Mutter – heirathen kann er sie nicht, voraussichtlich nicht. Ob er sie vergessen schon, weiß ich nicht, glaube es aber nicht, denn heute früh brachte Rost’s Bursche in Bernardi’s Auftrage einen wunderschönen Kranz für das Grab. Hinfahren zu Else aber – nein, Mutter, ich habe Dir eben meine Ansicht gesagt, ich rede dem Kinde nicht zu.“

„Gut, so fahre ich!“

„Thue es nicht, Mütterchen; es ist nicht recht.“

„Soll sie mir später einmal Vorwürfe machen, wenn sie eine alte nervöse Gouvernante geworden ist?“ fragte sie zurück. „Ich thue meine Pflicht – basta!“

„Es ist umsonst, Mutter, besonders jetzt in ihrer furchtbaren Aufregung.“

„Hilf Dir selbst, so hilft Dir Gott!“ sagte sie. „Du bist noch immer der alte Phantast!“ Und sie ging in ihr Schlafzimmer.




Es war derselbe Weg, den sie gekommen, und den sie nun wieder zurücklegte im schwindelnden Tempo des Schnellzuges. Aber damals war Herbstnebel, und sie fuhr in den Abend hinein, das Herz voll seliger Erwartung, heute war’s ein Frühlingsmorgen, und die Sonne schien so erbarmungslos hell auf die Wagenpolster und zeigte jeden Riß und jede abgeschabte Stelle; der kleine Spiegel dort im Goldrahmen wies ihr ein blasses Gesicht und einen müden Zug um den Mund, und das war sie, war Else von Hegebach. Wie erschöpft lehnte sie sich in die Kissen, die Augen unverwandt auf die vorüberfliegende Landschaft gerichtet. Daß dort außen die Welt im vollsten Lenzeszauber lag – das sah sie nicht; es war so schauerlich düster und leer in der jungen Seele.

Nun hatte sie die Brücke abgebrochen hinter sich; nun hatte sie Niemand mehr, kein Herz, das sie verstand, nichts, nichts! Selbst Tante Lott hatte in einem wunderlichen, halb sentimentalen, halb jubilirenden Tone geschrieben, es sei doch ein großes Glück, das ihr am Rande des Grabes zu Theil geworden, ein beneidenswerthes Glück, solch Loos gezogen zu haben! – Glück! das nannten die Leute Glück! Was denn? Den Namen eines Mannes, sein Hab’ und Gut zu theilen, nicht sorgen zu brauchen für des Lebens tausendfache materielle Bedürfnisse – das war ihnen Glück! Und dafür sollte sie Alles geben, ihre Freiheit, ihr Denken, ihr Hoffen, sich selbst mit Leib und Seele? Es überkam sie ein nervöser Schauer, sie schloß die Augen. „Nimmermehr!“ sagte sie so laut, daß sie erschrak vor ihrer eignen Stimme und die alte Dame ihr gegenüber verwundert aufschaute.

Sie hielt die Wimpern gesenkt, sie merkte es nicht; sie sah nur einen dunkelrothen Schein vor ihren Augen, und in diesem Schein sich nähernd und wieder zurückweichend, sobald sie es erfassen wollte, das Bild eines dunkellockigen Männerkopfes mit schwermüthigen Augen und dem schwarzen Schnurrbärtchen über [211] der Lippe; und aus dem Rollen und Sausen der Räder klang es wie Schlittenglocken, und wie Veilchenduft wehte es um sie herum. Und doch hatte er sich von ihr gewandt, hatte sie verlassen – weil sie ein armes Mädchen!

Sie fuhr plötzlich empor.

„Liebes Kind, sind Sie krank?“ fragte eine theilnehmende Stimme, und ein altes Frauenantlitz neigte sich über sie.

„Nein! Nein!“ wehrte sie hastig ab, dunkel erglühend. „Ich schlief nur nicht in der Nacht, und –“

„Verzeihen Sie mir, Sie stöhnten so angstvoll, liebes Fräulein.“ Die Dame setzte sich wieder auf ihren Platz. Nun griff sie nach einer Schachtel, ein ganzes Heer kleiner Veilchensträuße lag darin. „Meine Enkelkinder haben sie mir gepflückt, darf ich Ihnen eins anbieten?“ Und sie hielt dem Mädchen die süßen blauen Blumen entgegen.

Die kleine Hand faßte danach, aber es kam kein Dank. Die Geberin sah nur, wie sie den schwarzen Schleier wieder hastig vor das Gesicht zog, und darunter die Blumen an die Augen preßte; und nach einer Weile meinte sie Schluchzen zu hören, aber so ein sonderbares, wie wenn man weint mit trockenem Auge. „Auch schon Leid, und noch so jung,“ flüsterte sie und blickte zum Fenster hinaus.

Auf den Bahnhöfen war überall reges Leben; zuweilen füllte sich das Coupé aüf eine kurze Strecke, dann ward es wieder leer. Und nun verließ auch die alte Dame den Zug. Sie blieb auf dem Perron stehen und schaute auf den langsam weiter rollenden Train hin; sie hätte gern noch einmal das traurige Kinderantlitz gesehen; vergebens; sie saß wohl noch immer so regungslos in den Polstern, wie bisher.

Und nun kam die vorletzte Station, und endlich, endlich das Ziel. Else stand plötzlich auf dem Perron des wohlbekannten Bahnhofes, es war ihr, als träume sie. Blau erhoben sich die Bergkuppen des Thüringer Waldes dort drüben, wie sie es so hundertmal gesehen. Ach, der schöne Wald dort oben, der große, weite einsame Wald; wie selig hatte sie ihn durchwandert! Und hier lag sie vor ihr, die menschenleere saubere Straße mit den netten alten Häusern, wo hinter jedem Fenster Blumen in Fülle blühten; dort unten das schmucklose Kirchlein und daneben der schattige grüne Friedhof. Alles noch unverändert; nur sie – nur sie –!

Hastig schritt sie vorwärts, die Straße hinab, an dem langen Zaun vorüber und durch den Anstaltsgarten. Kein Mensch zu sehen – Gott sei Dank! Noch waren sie Alle bei der Arbeit und in den Schulstuben. Die schmäle blendend weiße Treppe im Nebenhause knarrte leise, als das Mädchen darüber ging; wie das vertraut an ihr Ohr schlug! Sie kannte es so gut, dies Knarren, und horch! Da schmetterte hellauf der Kanarienvogel, der kleine gelbe Hans, in Schwester Beatens Stüblein.

Sie pochte und sie trat dann langsam über die Schwelle des kleinen Gemaches, in der schwarzen Trauerkleidung und dem düsteren Schleier um das blasse Antlitz.

„Elisabeth?“ fragte eine tiefe ruhige Stimme, „bist Du es wirklich, Elisabeth?“

Und eine kleine alte Frau in der Tracht der Herrnhuterinnen trat vor sie, und ein paar unendlich milde Augen schauten in ihr vergrämtes Gesicht.

„Schwester Beate,“ wollte sie sagen, aber sie vermochte es nicht, sie schlang nur beide Arme um den Nacken der alten Frau, und die ganze Qual der letzten Zeit löste sich in ein fast krampfhaftes Weinen auf.

„Du bist in Trauer, armes Kind?“

„Mein Papa –“ stammelte sie.

Die kleine Herrnhuterin drückte ihr sanft die Hand und führte sie zu dem altmodischen Sopha. „Beruhige Dich erst, Elisabeth; wir sprechen nachher. Komm, nimm eine Tasse Kaffee. Daß Du kämst, wußte ich – es ist eine Depesche da.“

„Von wem?“ Das Mädchen sah entsetzt die Sprecherin an. „Was will man? Was steht in dem Telegramm?“ setzte sie hastig hinzu.

„Ich soll Dich verhindern, einen Brief zu schreiben, Kind; und dann – Deine Tante kommt heute Abend hier an.“

Else saß stumm und zitternd. „Sie lassen mich nicht!“ schluchzte sie endlich auf. „Schwester Beate, helfen Sie mir, daß ich nicht schlecht werde, so schlecht wie ein Mädchen nur werden kann – helfen Sie mir, daß ich nicht zu Grunde gehe!“

„Elisabeth, Du bist außer Dir,“ klang ermahnend die ruhige Stimme der Schwester.

Else verstummte, und die Hände, die sich unwillkürlich in einander gerungen, sanken gelöst in ihren Schooß. Sie schaute finster und forschend in das leidenschaftslose Frauenantlitz vor ihr.

„Schwester Beate,“ begann sie mit völlig veränderter Stimme, „Sie sagten mir bei meinem Scheiden, ich würde immer bei Ihnen eine Zuflucht finden, Sie würden mir in Ihrem Pensionat stets ausreichende Beschäftigung geben können. Ich komme heute, Sie darum zu bitten.“

„Es trifft sich günstig, liebe Elisabeth; in der vierten Classe ist die Stelle der Schwester Angelika frei geworden.“

Die Sprechende hielt bei diesen Worten dem jungen Mädchen ein Tellerchen mit Herrnhuter Gebäck einladend hin.

Sie wies den Teller zurück. „Wo ist Schwester Angelika?“ fragte sie.

„Abgereist, nach Afrika. Elisabeth, Du solltest doch essen, Du siehst so ermattet aus.“

„Nach Afrika? Als Missionärin vermuthlich.“

„Ja, sie wird ihren Gatten unterstützen, der in Natal eine Schule hält; das Loos traf sie, und so ist sie gegangen. Vor drei Wochen reiste sie ab.“

Das klang so ruhig, das war so einfach gesagt, als ob Schwester Angelika in einen Nachbarort zur Kirche gefahren wäre. Else kannte sie gut, das zarte blonde Mädchen, und sie wußte auch, daß die Gemeinde ihre Töchter durch das Loos zu verheirathen pflegte. Sie hatte nie darüber nachgedacht, jetzt packte es sie, wie etwas der Menschheit Unwürdiges.

„Und sie ging gern, Schwester Beate?“ fragte sie und griff mit der Hand an die schmerzende Schläfe.

„Gern? Das hat sie wohl Gott allein nur gesagt: aber sie weiß, daß es sein Wille ist, sie ging freudig.“

Es wurde still in dem kleinen Zimmer. Erdrückend schwer dünkte dem Mädchen die Luft darinnen. Schwester Beate saß jetzt über den Aufsatzheften vor dem Tisch am Fenster und corrigirte. „Du hättest einen Augenblick ruhen sollen, Elisabeth, Du siehst bleich aus und abgespannt,“ sprach sie dazwischen. Das Mädchen schüttelte den Kopf und legte, zu ihr tretend, die Hand auf ihre Schulter.

„Schwester Beate,“ begann sie mit zitternder Stimme, „Sie haben mir einmal gesagt – es ist noch gar nicht lange her – Wahrheit sei das Einzige, was uns retten könne aus Noth und Bedrängniß, sie stehe über allen andern Tugenden?“

Der kleine Frauenkopf unter dem blüthenweißen Häubchen nickte bejahend, ohne aufzuschauen. „Gewiß, liebe Elisabeth, Du warst immer ein ehrliches gutes Kind, soweit Menschensinn das beurtheilen kann.“

„Es klingt wunderlich, Schwester Beate, was ich Sie fragen will; aber nicht wahr, in Angelika lebte noch kein anderes Bild vorher, sie trat nicht mit einer Lüge vor den Altar?“

Jetzt sah sie auf, die stille Herrnhuterin. „Nein, Elisabeth, ihr Herz ist wie ein unbeschriebenes Blatt; wir leben still hier und abgeschieden und die Leidenschaften kommen nicht über unsere Schwelle, die draußen die thörichten Menschenherzen quälen und peinigen; wir kennen sie kaum vom Hörensagen. Du mußtest das wissen, Elisabeth; was willst Du mit Deiner Frage?“

Das Mädchen lag plötzlich vor ihr auf den Knieen und barg den Kopf in die Falten des grauen Wollkleides.

„Ich wollt’, ich wäre nie hinausgegangen, ich wollt’, ich hätte ihn nie gesehen!“ schluchzte sie.

„Steh’ auf, Elisabeth, und fasse Dich.“

Die Herrnhuterin strich mitleidig zärtlich über das Haar des Mädchens.

„Helfen Sie mir, Schwester Beate,“ flehte Else noch einmal und sah sie an mit den gerötheten nassen Augen, „daß ich nicht schlecht werde und nicht lüge! Sagen Sie meiner Tante, daß ich ihm schreiben muß und die Wahrheit aussprechen, um jeden Preis.“

„Ihm – Elisabeth?“

„Ja, dem, den sie meinen Bräutigam nennen seit drei Tagen.“

Die Schwester Beate erwiderte nichts darauf.

„Du bist immer mein Liebling gewesen, Elisabeth,“ sagte sie dann, „aber wird es Dir gefallen hier? Denke es Dir nicht so leicht, wenn man erst draußen war in dem bunten Leben, sich hier einzurichten in der Stille; als Lehrerin, nichts weiter als

[212]

Blick auf Monte Carlo.
Originalzeichnung von H. Nestel.

[213]

Ein Opfer von Monte Carlo.
Originalzeichnung von Fritz Bergen.

[214] die Pflicht vor Augen und den Zeiger der Uhr, der die Stunden der Arbeit weist. Vor Jahren kam auch einst eine liebe Schülerin weltmüde und matt mit krankem Herzen zurück und bat, ich solle sie behalten immer, immer. Es ging vortrefflich im Anfange, sie arbeitete, um die traurigen Gedanken zu vergessen; ihren zerstörten Nerven that die Ruhe und Regelmäßigkeit wohl. Dann kam die Zeit und heilte das wunde Herz, und die Gesundheit kam und lockte in das frische fröhliche Leben da draußen, immer sehnsüchtiger wurden die Blicke und eines Tages sagte sie: ‚Ich gehe, Schwester Beate, ich muß hinaus, hier kriecht man und draußen fliegt man!‘ Und sie ging. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden, ich erzähle Dir dies nur, um Dir klar zu machen, daß hier kein Ort ist Deine Wunden zu heilen, die die Welt geschlagen; wenn Du die Stellung annimmst, Else, so verpflichtest Du Dich auf wenigstens zwei Jahre. Ueberlege Dir das wohl.“

Sie lag noch immer auf den Knieen, und im tollen Wirbel begannen die Gedanken hinter ihrer Stirn zu kreisen; wie luftige duftige Gewänder schwebte es vor ihren Augen, wie rothe Rosen und flatternde Schleifen; sie hörte Töne in wiegenden wogenden Melodien und Lachen und Singen – das war das Leben, das war die Jugend. Und wie ein farbloses Bild sah sie plötzlich die Schulstube vor sich mit ihren kahlen Wänden; grau in grau, einförmig rollte sich das Leben ab – und sie war so jung! Wie Blei lasteten die letzten Worte der Schwester auf ihrer Seele. –

Horch! Da scholl vom Nebenzimmer ein Ton in das stille Gemach, goldhell und schwingend; eine Geige sang da drinnen, eine Geige! Sie schluchzte plötzlich wieder auf, und drückte den blonden Kopf in ihre verschränkten Arme, die noch auf dem Schooß der alten Frau ruhten. Da waren die Dornen der Purpurrosen, die wehen Dornen!

„Ich habe nichts mehr da draußen, nichts mehr, Schwester Beate!“ stammelte sie, „ich bleibe bei Euch.“

(Fortsetzung folgt.)

Monte-Carlo.[1]

Eine Schlange unter Rosen. 0 Von Woldemar Kaden.


Was wir zu einem kräftigen Trauerspiel brauchen, wir finden es hier Alles beisammen: Local, Personen, Requisiten.

Local: ein glänzend-luxuriöser Villenpalast inmitten eines üppigen, in Pracht des Südens wuchernden Gartens, der, von sonnig-heitern Wandelwegen durchzogen, eine Menge lauschiger sterbestiller Verstecke hinter Rosen-, Agaven- und Opuntiencactushecken birgt.

Personen: Charles III. Grimaldi, Fürst von Monaco und Besitzer einer Spielbank. Mr. Dupressoir, Director dieser Spielbank, ein hocheleganter, äußerst liebenswürdiger Mann. Cajus, Titius, Sempronius, seine Sclaven, als Croupiers verwendet. Baron X., Kaufmannsdiener Y., Graf Z., Unterkellner XX., Fürst YY., Schwindler ZZ. (letzterer unter polizeilicher Aufsicht stehend), gute Freunde und getreue Nachbarn in den Sälen des Casino. Marchesa A., weggelaufene Kammerjungfer B., Fürstin C., Signorina Silvia (unter polizeilicher Aufsicht), Baronin D., Vertreterinnen weiblicher Rollen, daher in feinster Toilette. Außerdem als Statisten und Erscheinungen: eine Anzahl magenkranker Dickwänste, abgelebter Schwindsüchtiger, internationaler Gimpel, pariser Cocotten, Polizeidiener, Todtengräber.

Requisiten: im ersten Act viel Schminke, viel Parfüm, wattirte Glieder, Champagner; im zweiten, dritten und vierten Act eine „Roulette“ und ein paar grüne Tische für „Trente-et-Quarante“, Geld, viel Geld, noch mehr Geld; im letzten Act: ein Pistol, Revolver, Dolch und Strick, eine Todtenbahre, ein paar Schaufeln.

Man sieht, die Tragödie verspricht interessant zu werden, und es thut mir nur leid, daß es mir an Raum fehlt, sie ihrem Inhalte nach geordnet zu erzählen, aber ein paar Scenen, wie wir sie allwöchentlich zwei-, auch dreimal in nizzardischen, sanremesischen, genuesischen, pariser und römischen Blättern finden, mögen dem Neugierigen eine Idee von den Vorgängen auf der Bühne von Monte-Carlo geben. Ich interessirte mich einstens für die Sache und sammelte, zum Zweck einer Kritik über die Hauptdarsteller, im Jahre 1883, also in der Zeit von zwölf Monaten, siebenundfünfzig solcher Scenen! Fachleute jedoch versichern mich, daß meine Sammlung durchaus incomplet sei. Ich lese nicht alle Zeitungen und – das Meiste wird vertuscht. Ich greife auf Zufall aus meiner Sammlung Einiges heraus. Da heißt es:

„17. Januar 1883. Eine Pariser Dame, die in den Spielsälen von Monte-Carlo ungeheure Summen verloren hatte, reiste nach Paris, um mit dem Reste ihres Vermögens, 36,000 Franken, zurückzukehren. Nachdem auch diese bis auf den letzten Centime verspielt waren, ersucht sie den Director der Bank um 2000 Franken zur Heimreise. Da ihr diese verweigert werden, zieht sie einen Revolver und erschießt sich vor den Augen des Bankpersonals.“

„13. Februar. Graf Martini, der den Rest seines einst ungeheuren Vermögens dem Spielteufel auf Monte-Carlo geopfert hatte, und dem sodann ein Proceß wegen Wechselfälschung bevorstand, wurde gestern auf dem Bahngleise hinter Mentone todt, in gräßlichster Weise verstümmelt, aufgefunden. Er hatte, einem hinterlassenen Briefe zufolge, seinem Leben freiwillig unter den Rädern des Nizzarder Morgenzuges ein Ende gemacht.“

„15. Juni. Am verflossenen Montag erstickte sich durch Kohlendämpfe in einem Zimmer des Hôtel de Londres auf Monte-Carlo ein gewisser Finzi aus Modena. Er war zwei Monate auf Monte-Carlo gewesen und hatte in dieser Zeit sein gesammtes Vermögen verloren. Am Sonntag Abend war er mit einem Sack in der Hand, der ohne Zweifel jene verhängnißvollen Kohlen enthielt, nach dem Hôtel zurückgekehrt, erst nach zwei Tagen merkte man im Hôtel seinen Tod. Herr Angeli, der gewandte Polizeicommissar des Fürsten Charles, wollte die Sache ohne Aufsehen abthun und war daran, die Papiere des Selbstmörders mit Beschlag zu belegen, woran er jedoch durch den italienischen Consul verhindert ward. Aus den Papieren ergiebt sich, daß Finzi in den letzten Tagen allein mehr als 100,000 Lire empfangen und verspielt, während er in den zwei Monaten gegen 500,000 Lire verspielt hatte.“

„16. Juni. Diesen Morgen fand man auf einem Gartenwege von Monte-Carlo den Leichnam eines eleganten jungen Mannes, der sich eine Kugel in das rechte Ohr geschossen hatte. Sein Name konnte bisher nicht ermittelt werden, da er keinerlei Papiere bei sich trug und die Namen aus der Wäsche entfernt hatte. Er hatte weder Geld noch Uhr bei sich.“

„31. Juli. San Remo. Ein Bürger unserer Stadt, Vater einer zahlreichen Familie, hatte seine Liegenschaften verkauft, um nach Amerika auszuwandern. Den Verkaufspreis in der Tasche eilt er nach Monte-Carlo, das Glück erst noch im Spiele zu versuchen. Sein Onkel, durch die plötzliche Abreise überrascht, von bangen Ahnungen gepeinigt, telegraphirt an die Direction des Casinos, jenem den Eintritt zu verwehren. Vergebens! Vorgestern fand man den Unglücklichen, schon halb in Verwesung übergegangen, an einem Olivenbaum oberhalb Ospodale erhängt. Das Geld war bis auf den letzten Soldo verloren.“

Soll ich noch mehr solcher Geschichten wiederholen? Genug, mehr als genug, in ihrer ewigen Gleichförmigkeit werden sie fast [215] langweilig, und an Ort und Stelle haben sie schon lange aufgehört, Eindruck zu machen; da schreitet, hüpft, tändelt und walzt man mit Glanzstiefelchen und Atlasschuh witzelnd und lachend über die Tausende entstellter Leichen hinweg, die blühende Gräberstraße entlang die Marmortreppen hinan in die goldprangenden Lustsäle hinein, damit die Zahl der Opfer morgen um einige vermehrt werde. Und der Protagonist, der Entrepreneur, der Fürst Charles III., und sein Helfershelfer, der Intendant, der Herr Dupressoir, was sagen diese zu dem großen Todtentanz, der sie nun seit langen Jahren umwirbelt? O, die lassen die schönste und lustigste Musik dazu aufspielen und treten dann ohne Furcht, daß ihnen die Geister der Erschlagenen ihren Schlaf stören könnten, die verschiedenen klingenden Erbschaften an. Der Fürst stammt aus der Familie der Grimaldi, von der wir noch ein paar Anekdötchen erzählen werden, und deren Vorfahren sich durch Straßenräuberei, Piraterei und Falschmünzerei seit Jahrhunderten auszeichneten. Seine Diener aber tanzen des Goldes wegen nach seiner Pfeife, die er von Paris aus spielt.

Und dieses Monte-Carlo an der Küste des ligurischen Meeres, an der entzückenden Riviera di Ponente, ist ein Paradies, aber auch auf ihm ruht der alte Fluch eines Dämonen, und seine holden Blüthenbäume, Citronen, Orangen, Lorbeeren und Palmen umwindet in tausend Formen und schillernden Farben die alte Schlange der Versuchung, seine Rosen hauchen Gift, denn unter ihnen birgt sich die heimtückische Viper, und wen diese Schlange gebissen, der taumelt zur wahnsinnigen Anbetung des goldenen Kalbes nach dem Tempel der Fortuna, der inmitten des Gartens steht.

Hoch über der prangenden Sirenenklippe Monacos in den Steinen der Berge liegt ein stiller, einsamer Wallfahrtsort, „Notre-Dame de Laghet“; dorthin steigen die Armen des Volkes, die Genesungsbedürftigen, ihr Scherflein zu opfern, um gesund zu werden und getröstet heimzukehren; hier unten thront „Notre-Dame de Monaco“, Madonna Fortuna, in ihrem Tempel täglich von Tausenden von Wallfahrern aus allen Weltgegenden umlagert, die da zumeist gesund kommen, ihre gesammte Habe opfern, um krank und elend zu werden und in Verzweiflung heimzukehren, oder ihr Leben auf dem Platze zu lassen. Wie das heult, stammelt und flucht: „Grazia, Madonna! Grazia!“ Der Ungläubigste betet. Fortuna aber lächelt und wendet ihr Antlitz, sie kennt keine Grazie, keine Gnade. Und was da schillert und schimmert, gleißt und prangt an Bildern und Statuen, Marmor, Gold und Silber, das haben die „Mönche“ von Monaco aus den Opferpfennigen der fremden Wallfahrer errichtet, mit deren Blut verkittet.

„Ich habe hier Männer gesehen,“ – ich will einem leichtlebigen Franzosen, St. Genest[WS 1] (in seinem „Bride sur le cou“), das Wort geben – „Männer in weißen Haaren, gekommen, jenes Weltwunder zu beschauen; sie betraten die Spielsäle des Casinos mit Gleichgültigkeit, setzten ‚zum Spaß‘ ein paar Napoleons, nur um zu sehen, wie die Sache geht – eine Stunde darnach machten sie Anleihen bei ihren Freunden, schickten sie Depeschen über Depeschen in alle Himmelsgegenden.

Ich habe Damen gesehen, welche mich fragten: ‚Aber kann man wirklich hier eintreten?‘ – sie nahmen meinen Arm, um jene Säle mit dem Ausdrucke höchster Indignation zu durchschreiten – und am Abende fand ich sie an jene Tische gefesselt, zwischen einem fortgejagten Hôteldiener und einer Dirne, die um das Geld stritten und sich gegenseitig insultirten.“

In einem Spielhause sind Alle verrückt, denn Alle glauben an das Glück. Man läßt eine Marmorkugel sprechen: „Halt da! ich muß Nummer 36 aufsuchen, denn seit Langem habe ich sie nicht gesehen!“ und Alle, die stärksten Geister, Skeptiker, Schopenhauerianer und Andere, glauben es.

Wer nach der Corniche kommt, das ist die von Nizza über Monte-Carlo, Mentone nach San Remo und weiter laufende Küstenstraße, und Gelegenheit hat, ein wenig tiefer zu blicken, der wird sehen, wie der Ruin täglich wächst. Das ist ein Krebsgeschwür, das zu verbergen sich Niemand die Mühe giebt, mit dem man sogar in cynischer Weise kokettirt. Das verschleuderte Vermögen wäre ja schließlich nichts, wenn Einer mit Gewalt arm werden will, so thue er’s, das Uebel aber besteht darin, daß, nachdem man Geld und Vernunft verloren, man auch die Ehre darangiebt. Umsonst leugnet die hohe Direction, in deren Sold eine Menge lobpreisender Lohnschreiber stehen, den Schaden hinweg. Die Fäulniß ist da, aber über Fäulniß discutirt man nicht, man deckt sie einfach auf.

Welche Gegensätze zwischen der entzückenden Natur, welche sich um das Casino herbreitet, und dem Menschentreiben im Innern desselben! Hier draußen[2] ist der Himmel heiter, von milden Sternen durchglüht; die Decke des Saales drinnen ist vergoldet, aber das Gold ist falsch und getrübt durch Lampenrauch, durch den unreinen Athem der Menschen. Hier draußen weht der Duft eines ewigen Frühlings, Reseden, Magnolien, Lavendel und Rosen, eingeschlummert eine neben der andern, träumen unter dem Kusse des Schöpfers, dem frischen Thaue der Nacht, und hauchen den leisen Athem glücklicher Pflanzen aus; drinnen eine schwere drückende Schwüle von Eau de Cologne, von Patchouli und glimmenden Cigarren, von Gasflammen und schwitzenden Menschenleibern. Draußen das Geräusch der Wellen, die mit ihrem ewigen Kusse die Klippen des fernen Ufers rühren, das Flügelwehen des Nachtwindes, der leicht und zärtlich die breiten Blätter der schlanken Palmen liebkost und sich verliert in dem duftigen Gezweige der Geranienbüsche: das Schweigen einer Natur, die sprechen möchte, das traumgeflüsterte Wort einer Natur, die schlafen will. Drinnen das lüsterne Klappern und Klirren von Gold- und Silberstücken, und um das Gold her eine Handvoll menschlicher Fragmente, elende Trümmer der Hunderte im Meere des Lasters Gescheiterten, die um einen grünen Tisch her die letzten Funken eines müden und kranken, unter der Asche versunkenen Lebens verbrauchen!

Ja, grausamere Gegensätze vermögen die kühnsten Dichter nicht zu erfinden: draußen das Paradies, drinnen die Hölle; draußen Armidens Gärten, das größte Wunder Italiens, und in diesen Gärten hat der Mensch einen Stall gebaut, um seine schmutzigste Schande darin einzustellen; einen Stall, wo reiche gähnende blasirte Dummköpfe ihre Langeweile vertreiben wollen und Cocotten auf fremde Börsen speculiren.

Cocotten und – die Herren von Monaco und Monte-Carlo! Und daß dies für diese Herren ein Spiel ist, „bei dem man stets gewinnt“, ersieht man aus der Hinterlassenschaft des einzigen Mr. François Blanc, des menschenfreundlichen Gründers der Spielhölle (gestorben 1878): sie bestand aus sechszig, sage sechszig Millionen Franken! Und Millionen bezog und bezieht der Fürst, bezieht eine vom „Blute der Erschlagenen“ sich mästende noble Domestikenschaar, die man Administration nennt. Und da wagt es Monaco, wie eine liebe Unschuld vom Lande, das naive Sprüchwort von sich in Umlauf zu setzen:

„Monaco bin ich auf einem Stein,
Säe nicht, ernte auch nichts ein,
Dennoch will gegessen sein.“

Und wie es das anfing, ohne Arbeit zum Essen zu kommen, das berichtet die Geschichte des Landes. Die Heeren Grimaldi (der Name bedeutet im Italienischen auch Diebshaken oder Dietrich) waren anfangs (im 13. Jahrhundert) ungesetzliche, dann gesetzliche Piraten, dann Falschmünzer, dann Westentaschentyrannen, endlich Croupiers, aber Alles in Ehren und unter Frankreichs mächtiger Aegide.

Vor mir liegt eine alte Scharteke aus dem Jahre 1681; da erzählt ein gewisser Theodorus Hecht von dem Grimaldischen Piratensitz:

„In dem Meerhaffen müssen alle Schiff anländen, und die Wahren so sie führen verzollen, wenn man aber vorbeyfährt, so eylen gleich eine gute Anzahl Soldaten nach, und wenn sie das vorbey gefahrene Schiff erhaschen, so ist es mit Leib und Leben samt allem Gut verfallen.“

Diese Piraterie war durch Verträge mit Frankreich geregelt. Aehnliche Verträge regelten die Falschmünzerei: die Fürsten von Monaco prägten Sousstücke, die in Frankreich Cours hatten, aber nur die Hälfte werth waren.

Gegen jenes seeräuberische Zollrecht protestirten damals Genua, Nizza, Ventimiglia, die Herzöge von Savoyen, alle italienischen Fürsten, aber die monacaskischen Herren wußten sich sicher unter französischer Protection, und Ludwig XIV. nannte so ein Fürstlein seinen „aimé cousin le Prince de Monaco“, während dieses seine Nachkommen beschwor, „dem Allerchristlichsten Könige heilige Treue zu bewahren“. Der jetzige Fürst hat sie dem kaiserlichen und dem republikanischen Frankreich bewahrt. Er verkaufte die Hälfte seiner Nußschale im Jahre 1860 um vier Millionen [216] Franken an Frankreich, ließ sich wie ein junges Hühnlein unter die Flügel nehmen und seinen Sohn und Thronerben Albert im Jahre 1870 (vielleicht aus Seeräuber-Reminiscenzen) in die französische Marine, gegen Preußen, treten.

Die Devise des Hauses ist: „Deo juvante“, das Wappen: zwei Mönche. Unter dem „Schutze Gottes“ und der Grande Nation steht noch heute Thron und – Spielhölle.

Was hat man gegen diese gesprochen, geschrieben, gekämpft! Jeden Winter führen die italienischen Journale einen mächtigen Feldzug gegen Monte-Carlo, das Parlament wird bestürmt mit Petitionen, in langen Sitzungen wird die Frage erörtert, und was für Carthago der alte Cato mit seinem „ceterum censeo“ war, das ist für Monte-Carlo in Italien der Abgeordnete Bixio. In London besteht ein Comité zur Unterdrückung der Spielhöllen, dessen Vorsitzender der Menschenfreund Thompson ist, zu dessen Mitgliedern eine Menge hervorragender Deutscher (auch Bismarck) gehören.

Hoffen wir, daß es ihnen bald gelingen wird, ihr Ziel zu erreichen und dem gemeingefährlichen Treiben in Monte Carlo ein Ende zu bereiten. Dank dem erstarkten sittlichen Bewußtsein der Neuzeit sind ähnliche Spielhöllen in andern Ländern aufgehoben worden, und es wird wohl auch früher oder später der Augenblick kommen, wo die Fürsten von Monaco, unter dem Druck der öffentlichen Meinung und durch das Ehrgefühl geleitet, von den unrühmlichen Bahnen ihrer Vorfahren ablenken werden.


Bilder aus dem Sudan.[3]

Von Suez nach Suakin. – Das Venedig des Rothen Meeres. – Massaua. – Die Kriegshorden des Mahdi. – Das Hauptquartier des „falschen Propheten“.

Sinkat. Ansicht von Berber.

Wie sich der Kriegsschauplatz in den letzten Monaten aus dem südlichen Sudan immer mehr nach dem östlichen gezogen hat, so sind es jetzt die westlichen Küsten des Rothen Meeres mit den daran liegenden Städten, welche das Hauptinteresse in Anspruch nehmen. In erster Reihe das auch von uns bereits erwähnte Suakin, das die Engländer zu einem Centralpunkte ihrer militärischen Operationen gemacht und wo sie auch schon unter General Graham zu wiederholten Malen erfolgreich gegen die Rebellen unter Osman Digma gekämpft haben.

Von Suez fährt man mit einem guten Dampfer, vorzüglich wenn man von dem im Rothen Meere häufig wehenden Nordwinde begünstigt wird, in vier bis fünf Tagen nach Suakin, und zwar der westlichen, also der afrikanischen Küste entlang. Man bleibt aber immer einige Meilen vom Lande entfernt wegen der vielen Korallenbänke, die sich mit wenigen Unterbrechungen am Meeresufer hinziehen. Schon von Weitem sieht man den milchweißen Schaum der Brandung an diesen gefährlichen Klippen und lenkt besorgt das Steuer mehr nach Osten, ohne übrigens die östliche, asiatische Küste je zu Gesicht zu bekommen; denn die mittlere Breite dieser gewaltigen Wasserstraße beträgt über dreißig geographische Meilen. Wundervoll ist bei ruhigem Wetter der Anblick des unermeßlichen Spiegels: ein tiefes Ultramarinblau, das an den Küsten in lichtes Krystallgrün übergeht; in den sternklaren Nächten ein Meeresleuchten, wie man es im Großen Ocean nicht schöner sieht. Nur die im Rothen Meere vom März bis October herrschende starke Hitze beeinträchtigt den hohen Genuß der Reise: Aden und Massaua gehören bekanntlich zu den heißesten Gegenden der Erde. Die Stadt Koser (Kosseir) erreicht man schon am Abend des ersten Tages; früher, und auch noch im Mittelalter, ein bedeutender Handelsplatz, ist sie jetzt, nach Eröffnung des Suezcanals, völlig gesunken und unbedeutend.

Tags darauf passirt man den Wendekreis des Krebses und gelangt in die heiße Zone. Von Koser bis Suakin giebt es an der afrikanischen Küste keine nennenswerthe Stadt mehr; hohe, nackte Gebirgsmassen ziehen sich ununterbrochen im Westen hin, immer dieselben wildzerklüfteten dunklen Felsen, fast ohne alle Vegetation, und hinter ihnen die öden Sandflächen der Nubischen Wüste. Jenseits des Cap Ras-Raui (Djedda gegenüber), gewinnt die Landschaft erst bei Durruhr, wenige Meilen nördlich von Suakin, einen freundlicheren Anstrich, und Suakin selbst, schon im Gegensatze zu dem tagelangen Anblicke der unwirthlichen und düsteren Küste, liegt ganz heiter und einladend da. Im Hintergrunde ragen freilich gleichfalls hohe Felsgebirge, schon an das nahe Abessinien erinnernd, das man nicht mit Unrecht die afrikanische Schweiz nennt; aber sie bilden hier nur die malerische Staffage zu der frühlingsgrünen Landschaft des Vordergrundes. Imposante Wälder fehlen freilich, aber die Mimosen bilden hübsche Baumgruppen, aus denen die weißen Häuserwürfel der Stadt sehr freundlich hervorschimmern. Suakin liegt nämlich zur Hälfte auf einer Insel, aber so dicht am Festlande, daß ein Theil der Bewohner sich dort angesiedelt hat. Das ist auch insofern die wichtigere Hälfte der Stadt, weil uns dort in der langen Bazarstraße das eigentliche Volksleben entgegentritt. Tags über herrscht in jener Straße und in den Nebengassen und -gäßchen ein buntbewegtes Treiben, das, natürlich im Kleinen, an dasjenige von Alexandria und Kairo erinnert, nur daß in Suakin die Bevölkerung durchgehends noch dunkelfarbiger ist. In dem auf der Insel gelegenen Stadttheile befinden sich die Regierungsgebäude und mehrere recht ansehnliche [217] Häusern der begüterten Kaufleute, ferner das Zollamt, die Post mit dem Telegraphen und auch eine Caserne, die mit ihren Mauern und Bastionen nach der Landseite hin die Insel sogar gegen einen Ueberfall schützen kann.

An der ganzen Küste liegen außerdem noch eine Menge größerer und kleinerer Inseln, dicht neben einander, die sich sehr gut durch Brücken oder Dämme verbinden ließen, denen die Korallenriffe als Fundamente dienen könnten. Dies war wenigstens eine Lieblingsidee Munzinger’s, jenes verdienstvollen Gouverneurs von Suakin und Massaua, der in dem unglücklichen abessinischen Feldzuge von 1875 sein Leben verlor. Munzinger, der die Bedeutung Suakins für den ganzen Binnenhandel mit dem östlichen Sudan sofort erkannte, wollte aus der Stadt ein kleines Venedig machen, und wer weiß, ob die Engländer, die es jetzt in Händen haben und es sehr wahrscheinlich so bald nicht wieder fahren lassen werden, diese originelle, aber jedenfalls höchst praktische Idee nicht dereinst verwirklichen. Landeinwärts, schon eine Stunde von der Stadt, beginnen die Baumwollenfelder, die Dattelpalmen- und Sykomorenwälder und bieten ein überraschendes Bild von der außerordentlichen Fruchtbarkeit des ganzen Landes. –

Ansicht von Massaua.0 Originalzeichnung von R. Cronau.

Wenige Meilen südwestlich von Suakin liegen die beiden kleinen Städte Sinkat und Tokar, an sich unbedeutende Ortschaften, in die man aber doch beim Ausbruche der Insurrection ägyptische Garnisonen legte, die sich dort, so gut es gehen wollte, verschanzten und muthig eine lange und hartnäckige Belagerung aushielten, bis sie der Hungersnoth und der Uebermacht erlagen. Weder der einen noch der andern Stadt konnten die Engländer rechtzeitig Entsatz bringen, denn die Baker’sche Expedition mißglückte bekanntlich, und die anderweitige Hülfe kam zu spät. Der Fall beider Städte und die dabei geopferter zahlreichen Menschenleben müssen mit ernster Schrift in das britische Schuldbuch geschrieben werden.

Sehr wichtig ist noch die letzte, ganz südlich und hart an der abessinischen Grenze gelegene ägyptische Hafenstadt Massaua – ja, eben dieser Lage wegen, die bedeutendste von allen. Von Suakin braucht ein Dampfer nicht mehr als vierundzwanzig Stunden, aber das Schiff muß sich wegen der vielen Untiefen und Korallenbänke noch weiter vom Festlande entfernt halten, als auf der früheren Fahrt. Massaua liegt ganz auf einer Koralleninsel, deren es dort wie bei Suakin mehrere giebt, die aber in neuester Zeit durch Dämme (ein Werk des oben genannten Munzinger) mit dem Festlande verbunden sind. Vom Meere aus gesehen, macht Massaua einen ähnlichen freundlichen Eindruck wie Suakin, der aber durch die weit höheren Berge des nahen Abessiniens im Südwesten ungleich imposanter wird. Die Umgegend der Stadt ist gut bebaut; der Boden ist überaus fruchtbar und könnte bei rationeller Bewirthschaftung einen außerordentlichen Ertrag liefern. Bis weit nach Taka hinein gedeiht dort Alles, namentlich Baumwolle, die sogar noch weiter nach Westen, in Sennaar, wild wächst – ebenso der Kaffeebaum und in den Niederungen das Zuckerrohr und die Reispflanze. An Wasser aus den zahlreichen Gebirgsquellen fehlt es gleichfalls nicht, und wer weiß, was die Berge selbst an metallischen Schätzen in ihrem Schooße tragen? Aber noch ist das weite, reiche Land fast ganz im Naturzustande und wartet auf die fleißigen Hände guter Colonisten; vielleicht werden die Engländer auch hier thatkräftig eingreifen, denn, wie wir bereits früher gesagt, Massaua ist für sie ein sehr verlockender Platz.

Zunächst handelt es sich aber um die Wiederherstellung der Ruhe und des Friedens im Sudan, und diese Aufgabe ist keine leichte.[4] Zur Zeit, das heißt im März, wo wir dies schreiben, scheint der Mahdi sich ziemlich ruhig zu verhalten; das Gerücht geht sogar, daß ihm das Anerbieten Gordon’s (das Sultanat von Kordofan) sehr verlockend erscheine und daß er nahe daran sei, sein immerhin sehr zweifelhaftes Prophetenthum aufzugeben und sich mit einer weltlichen Herrschaft zu begnügen. Dann wäre er also doch und in Wahrheit der „Falsche Prophet“. Bestätigung bleibt übrigens abzuwarten. Fast scheint es dem Mahdi zu ergehen wie dem Goethe’schen Zauberlehrliug: „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.“

Die entfesselten Horden, die man noch dazu durch die Aussicht auf den Paradieseslohn im Jenseits fanatisirt hat, sind schwer zu bändigen und noch schwerer. in die frühere Hörigkeit zurückzuführen. Hauptsächlich gilt dies von den Beduinenstämmen Sennaar’s und Taka’s, die jetzt die letzten Niederlagen bei Suakin zu rächen haben. Sie gehören zu den wildesten Kriegern des Mahdi und stellen sich mit einer an Wahnsinn grenzenden Todesverachtung dem Feuer der Feinde entgegen. Ihre Hauptwaffen bestehen, wie vor tausend Jahren, noch immer aus Speeren, Bogen und Pfeilen, Messern, Schwertern und Keulen mit den dazu gehörenden Schilden. Die Schilde sind durchweg von hartem Holz, mit zolldicker Elephanten- oder Nilpferdhaut überzogen, rund oder länglich, oft bunt bemalt und mit Metallzierrathen geschmückt; die Speere sind entweder sechs bis zehn Fuß lang zum einmaligen Schleudern, oder kürzer und dann mit einem Lederriemen versehen, um sie nach dem Wurf wieder zurückzuziehen und von Neuem zu verwenden. Diese letzteren sind die gefährlichsten. Die oft mehr als fußlangen eisernen Spitzen sind mit scharfen Widerhaken versehen, [218] meist sehr roh, aber auch manchmal hübsch zierlich gearbeitet. Von den Pfeilen gilt dasselbe, und das Gift, in das die Speer- und Pfeilspitzen getaucht werden, ist Pflanzengift, von verschiedenen Euphorbienarten, schnell wirkend und unbedingt tödtlich.

Fast durchweg pflegen die Sudanesen, wie die Abessinier, die Leichen der gefallenen Feinde zu verstümmeln, leider auch oft die blos Schwerverwundeten; sie schmücken sich sogar selbst mit einzelnen Gliedertheilen und hängen auch wohl die Schädel neben einem Heiligengrabe auf, wenn sich dort zufällig ein Baum vorfindet (vergl. Illustration S. 221). Das Schlachtgeschrei ist, je nach den einzelnen Stämmen, verschieden, selten ein wirklich verständliches Allah, sondern meist ein Geheul oder Gebrüll, das ganz an die wilden Thiere ihres Landes erinnert. Auch ist bei ihrer Kriegführung an kein geregeltes Vorrücken und Zusammenhalten, oder gar an irgend einen strategischen Plan von Seiten der Befehlshaber, wenn überhaupt solche da sind, zu denken.

Dies alles gilt aber nur, was wir nicht vergessen dürfen, von einzelnen Stämmen, die sich gewissermaßen auf eigene Hand der Bewegung angeschlossen haben; der Mahdi hat außerdem noch und speciell in seinem Hauptquartier in Kordofan ganz gut einexercirte und uniformirte Regimenter, die vortrefflich mit Schießgewehren, mit Säbeln und Seitengewehren bewaffnet sind. Tausende von Remington-Gewehren hat er in seinen Siegen erbeutet, und Tausende von Ueberläufern aus den verschiedenen ägyptischen Regimentern brachten ihre Waffen mit. Auch europäische und zwar italienische Officiere sollen in seinem Heere dienen, und in El-Obeid soll ein vollständiger Artilleriepark von mehr als dreißig Kanonen aufgestellt sein. Alles sehr problematisch; sicher ist nur, daß der Mahdi eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Geschützen besitzt, theils als Beute auf den Schlachtfeldern, theils von den kleinen südlichen Garnisonen, die sich ihm ergaben.

(Schluß folgt.)




Dschapei.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Schluß.)


Eine Almrosenstaude war es gewesen, deren lichtes Grün das Dschapei von der Seite seiner Herrin gelockt hatte.

Freilich machte das getäuschte Thier beim Näherkommen die Erfahrung, daß nicht Alles zum Aesen taugt, was grün ist. Doch fand es sich rasch getröstet, als es mehr in der Höhe zwischen den Steinen einen mit dichtem Grase bewachsenen Rasen erblickte. Da war dann in der Nähe ein zweites lockendes Plätzchen – ein drittes – und wie das Dschapei am Ende das Aesen und all das Hin- und Widerziehen satt bekam und zurückhüpfte auf den Weg, sah es nur Felsen und Bäume in der stillen unbelebten Runde.

Eine Weile sprang es mit hurtigen Füßen in thalwärts führender Richtung am Steige dahin, blieb lauschend wieder stehen, wandte sich und rannte eine Strecke über den Pfad zurück.

Ja – wenn es nur jetzt sein Glöcklein gehabt hätte! Das aber hing noch immer an dem Latschenbusche jener Schluchtwand, deren Höhe bei dem Dschapei wohl in böser Erinnerung stehen mochte.

Mit ängstlichem Schmählen irrte das verlassene Thier zwischen den Steinen hin und her, bis die Nacht über die Berge sank. Lange suchte es nach einer trockenen Lagerstelle, und da eine solche nicht zu finden war, ließ es sich schließlich auf dem Platze nieder, auf dem es gerade stand.

Die Nacht war rauh und kalt – und als beim ersten Tageslichte das Dschapei sich erhob, fiel ihm zu Anfang ordentlich das Gehen schwer, so steif waren ihm die Glieder geworden.

Wieder verging ein Tag – und wieder eine Nacht.

An dem nun folgenden Abende gelangte das Thier mit Aesen und Suchen auf die Höhe des Rauhenkopfes – und sah zu seinen Füßen die wohlbekannte Hütte liegen. In freudigen Sprüngen hüpfte es hinunter von Stein zu Stein; doch als es den Almenplatz erreichte, starrte es mit wundernden Augen die geschlossene Thür an und blinzelte empor. Nach dem steinbelegten Dache, aus dessen Lucken nicht, wie sonst allabendlich, der graue Rauch sich in die Lüfte kräuselte. Da klang keine menschliche Stimme mehr, und keine Almenglocke war zu hören. Nur die Holzbank stand noch da – und unter ihrem Sitze verbrachte das Thier die kommende Nacht.

Am nächsten Morgen, während es müde den weiten Weideplatz durchzog und von den mageren, schon gelblich sich färbenden Grasresten zupfte, vernahm es plötzlich das Läuten der Glocken – fernher aus dem Griesthale.

Es folgte dem Tone und fand auch wirklich den Pfad, der dahinunter führt. Doch als es an die Stelle kam, an welcher linker Hand die Felsen schroff zur Tiefe sich senken und rechts die Wände steil und glatt zur Höhe steigen, da sah das Dschapei den schmalen Weg versperrt durch ein festgeschlossenes Gatter.

Hier stand es den ganzen Tag und fuhr mit der Schnauze schmählend über die Stäbe. Beim Einbruche der Nacht aber wanderte es zurück nach der Hütte und streckte sich wieder unter die Holzbank.

So verging nun dem Thiere Tag um Tag.

Da es auf der ebenen Weide gar wenig mehr für seinen Hunger fand, nahm es seinen Aufenthalt zumeist am Rauhenkopfe, wo es zwischen den zerklüfteten, von dichtem Latschengestrüpp überwucherten Felsen in den nun immer kälter und kälter werdenden Nächten manch einen geschützten, windstillen Schlupf zu finden wußte.

Wie es nun hier eines Morgens erwachte und herauskroch aus seinem engen, dunklen Verstecke, sah es mit gar verdutzten Augen um sich her – da war Alles weiß in der Runde – wohin seine Blicke reichten – Alles weiß – und weiße lustige Flocken flatterten noch immer in drängender Menge hernieder durch die windige Luft.

Neugierig neigte das Dschapei den Kopf und stieß die Schnauze in den Schnee; doch fuhr es hastig wieder zurück und schüttelte das kalte, nasse Ding von der Nase. Wie es aber jetzt hinaustrat auf den weißen Teppich und mit jedem Schritte darein sank bis an den Leib – wie die fallenden Flocken ihm in die Augen stäubten und sein Vlies umwirbelten, da fing es an, diese Sache gar lustig zu finden, sprang in muntereu Sätzen hierhin und dorthin, wälzte sich mit schlagenden Füßen im Schnee und trieb alle Possen, welche so ein Dschapei nur immer zu treiben weiß. –

Bald jedoch verging ihm all die Freude. Da ward es zuerst müde und fühlte sich so unbehaglich naß am ganzen Leibe; dann verspürte es einen tüchtigen Hunger – doch fand es, um ihn zu stillen, weder Gras noch Kraut – nur Schnee. Am Ende fing es wohl zu scharren und zu kratzen an und kam auch auf den Grund; aber das Ergebniß seiner Mühe war ein recht geringes.

Gegen Mittag wurden die fallenden Flocken kleiner und seltener, bis sie schließlich ganz verschwanden. Da schaute nun die Sonne zeitweilig durch die zerklüfteten Wolken hernieder, und ihre Strahlen machten den Schnee so weich, geschmeidig und glitschig, daß er sich in dicken Klumpen an die Füße des watenden Thieres hängte oder an schiefen Stellen unter ihm hinwegrutschte, im Falle das Dschapei eine Strecke mit sich führend.

Als sich die Sonne schon hinüber zu neigen begann über den Grat der Palfenhörner, kam das müde Thier bei seiner Suche nach Aesung in die Gegend der Hundstodgrube.

Da sah es in der Tiefe des Kessels einen Menschen wandeln, der über den Schnee hinwegglitt, als wäre sein Körper ohne Schwere. Quer in den Händen hielt er den Bergstock, über die [219] Schulter hing ihm die Büchse, und unter jedem Fuße trug er einen dünnen, mit Schnüren übernetzten Holzreif.

Mit starren Augen sah das Thier diesen Menschen näher und näher kommen – und das Zittern, welches ihm die mageren Glieder rüttelte, war nicht ein Zittern im Froste, es war das sichtliche Zeichen von Angst und Entsetzen vor diesem Menschen, den es ja kannte, den es dreimal schon gesehen: einmal am sonnigen Morgen drunten im Wimbachthale, einmal zur Mittagsstunde am Rande jener Schlucht, in deren Tiefe das Thier um dieses Einen willen so qualvolle Stunden hatte durchleben müssen – und ein drittes Mal zu nächtlicher Zeit in seiner Herrin Hütte.

Ueber dem bebenden Thiere lag’s wie ein Bann, der seinen Gliedern jede Bewegung wehrte – und erst, als jener Kommende in einer Mulde verschwand, da sprang es auf mit jähem Satze und arbeitete sich mit dem Aufgebote seiner ganzen müden Kraft dahin durch all den tiefen Schnee.

So kam es auf seiner Flucht in den Sigerethgraben. Hier hielt es lauschend inne. Nichts war zu hören – nur das dumpfe Klatschen der Schneeklumpen, die ab und zu von den dickbeschneiten Felsen über die Wand hernieder fielen. Das Dschapei glaubte sich geborgen. Doch trieb es der fallende Schnee bald wieder aus dem Graben; es kletterte, unter immerwährendem Rutschen und Stürzen, den der Sigerethwand gegenüberliegenden Hang des Rauhenkopfes empor. Hier zwang die Müdigkeit das arme Thier zur Rast.

Noch lag es nicht lange, da sah es den Gefürchteten am Eingange der Schlucht erscheinen und sah ihn herniedersteigen, immer dem Fuße der Felswand folgend.

Zitternd sprang es auf die Füße und begann des Neuen zu flüchten. Da raschelte unter ihm ein Stein – und dieses Geräusch machte jenen Menschen dort unten aufblicken zur Höhe.

„Schau – Du bist noch da? No – Schaffleisch war mir allweil lieber als an alter Gamsbock!“

Mit diesen lachenden Worten hob er die Büchse zum Gesicht.

Es krachte der Schuß – und der von der Kugel getroffene Steinblock sprühte dem verschonten Thiere seine Splitter in das Vlies.

Das Echo rollte – und als wäre die Natur selbst in Zorn gerathen über diese Störung ihres Friedens, so begann in der Höhe der stummen Felsen ein seltsam unheimliches Leben sich zu rühren.

Wohl suchte jener Störenfried in verzweifelten Sätzen dem Graben zu entrinnen – schon aber prasselte, sauste, knatterte, dröhnte und donnerte die Vernichtung hernieder über die Wände – Schnee, Staub, Rasen, Steine und wieder Schnee und Schnee –

Jetzt noch ein leises Grollen und Summen in den Lüften – dann tiefe, regungslose Stille.

Und wo nun war er, der Gefürchtete?

Die Augen des entsetzten Thieres fanden ihn nicht wieder. Lange, lange stand es und schaute hinab in den mit trübem Wust erfüllten Graben. Da rührte sich kein Steinchen mehr, und schwer wie Blei lag der gehäufte Schnee.

Langsamen und unsicheren Ganges mühte das Dschapei sich vollends empor zur Höhe.

Die Nacht kam heute früher, als sie sonst zu kommen pflegte, denn finstere, dicht geballte Wolken zogen von Westen über die Berge einher und verschlossen den abendlichen Himmel.

Wieder begannen die Flocken zu fallen, dichter und dichter – und ein schneidender Wind umfuhr mit gellenden Lauten die Felsen und Schroffen.

Die Nacht war da – solch eine Nacht – und noch hatte das verlassene Thier kein Lager gefunden. Es tappte nur immer so zu, ohne zu sehen, wohin seine Schritte führten. Hier brach es mit den Füßen in eine Steinschrunde – dort stürzte es über einen niederen Hang – und wo es stehen blieb zu kurzer Rast, da blies ihm der Wind den starrenden Frost in alle Glieder.

Müder und müder wurde sein Gang, schlaffer und schlaffer seine Kraft, so daß es kaum mehr im Stande war, den Kopf erhoben zu tragen.

Ein Zufall führte seinen Weg zur Almenhütte. Hier meinte es eine Ruhestatt zu finden – und eben hier war seines Bleibens weniger als sonst an einer Stelle; johlend umkreiste der Sturmwind die nachtschwarzen Holzwände, den Schnee aufpeitschend zu wirbelnden Wolken.

Wieder schlich das Thier von dannen – und dieses Vorwärtskommen war kein Gehen – es war ein Fallen und Fallen, und dabei blieb es auch manchmal eine Weile liegen und ließ sich vom Schnee verwehen.

Als es einmal langsam unter sich den Boden weichen fühlte, that es kaum eine Bewegung, um sich zu halten. Gehüllt in eine stäubende Masse, stürzte das Thier in kollerndem Falle dem Thale zu – hier aufschlagend – und hier – nun lag es, gepreßt und gequetscht – und bei jedem Athemzuge fuhr ihm der scharfe kalte Schnee in die Nasenlöcher.

So verblieb es eine lange, lange Weile; dann fing es an, den Hals zu rühren und mit den Füßen zu stoßen. Leichter und leichter ward die weiße Decke über ihm – endlich theilte sie sich – und das Dschapei sah empor an einer schiefen Felswand, sah über sich den morgendämmerigen Himmel und sah vor seinen Füßen flach und weitgestreckt das überschneite Griesthal.

Den ganzen Rest seiner Kraft verbrauchte nun das Thier, um den halb erstarrten Leib aus seiner kalten, drückenden Umhüllung los zu winden – vergebens.

Als ihm die Kräfte dann versiegten, als seine Glieder, zerschunden und erstarrt, keiner Bewegung mehr fähig waren, da ließ das arme Dschapei seinen Kopf zur Seite sinken, sodaß es kaum noch mit dem einen Auge hinweg schauen konnte über den Schnee und über das von schütteren, nun weiß bedeckten Büschen bewachsene Thal.

Lichter und lichter hob sich der Morgen – und aus dem schneeverhüllten Grunde kam ein Glitzern und Funkeln, das dem Dschapei fast den Blick erblendete.

Und dennoch sah es fern in den Büschen jenes sachte Regen und Leben, welches langsam näher und näher kam – sich nun herauswand aus den überschneiten Zweigen auf den freien Grund – ein röthliches Thier – schlankleibig und mit spitzem Kopfe – halb wie ein Hund und halb wie eine Katze – mit dichtbehaartem Schweife die Spuren seiner Tritte hinter sich verwischend –

Nun hob der Schleicher witternd seine Nase – nun zog es ihn näher und näher – nun stand er vor dem Dschapei, mit geiferig klaffenden Zähnen, mit mordlust-funkelnden Augen – schon duckte er sich zum Sprunge –

Da schob sich zwischen den Büschen lautlos die Gestalt des Wimbachjägers hervor, der lächelnd seine Büchse hob.

Nur blitzen sah das Dschapei noch den Schuß – den Hall und Widerhall vernahm es nicht mehr – da lag ihm mit gebrochenen Augen schon der blutende Kopf am Schnee – – in langen Sätzen aber sprang der Räuber, dem das tödtliche Blei gegolten, zwischen die schützenden Felsen.




10.

„Allezeit ist sie eine in der Furcht Gottes lebende Frau gewesen! Denn wie auch sonst wäre es zu erklären, daß sie alle die harten Prüfungen, mit welchen die liebevolle Hand des Allerhöchsten sie bedachte, so geduldigen und standhaften Herzens hätte [220] ertragen können? Wie? – meine christlichen Zuhörer, saget mir das! Und was sie auf Erden als Mutter gewesen ist, das könnet Ihr hier an ihrem Kinde sehen, das seine bitteren Thränen hineinweint in der geliebten Mutter offenes Grab. Mein geliebtes Kind! Zu Deinem Troste will ich Dir die Worte sagen, welche der Herr in seiner Güte und Weisheit verkündiget hat: ‚Es giebt Eines – und das ist schlimmer denn der Tod!‘“

So und so weiter sprach im Untersteiner Friedhofe der hochwürdige Herr Cooperator vor dem Grabe der alten Baslerin und dabei fuhr er bald mit dem rechten, bald mit dem linken, bald auch mit beiden Armen zierlichen Schwunges durch die neblige Schneeluft.

Was er sagte – die Nachbarn und Nachbarinnen der Verblichenen, die das Grab mit Frösteln und Frieren umstanden, glaubten ihm alles auf das Wort, und sie hätten’s ihm noch lieber geglaubt, wenn er’s ein wenig kürzer gemacht hätte.

Eine Einzige aber war da, die hörte ihn gar nicht. Die hielt ihre hängenden Hände verschlungen und schaute mit nickendem Kopfe, mit nassen rothverschwollenen Augen nur immer hinunter auf den schwarzen Fichtensarg mit dem langgestreckten gelben Kreuze. Und wie dann die schneedurchfrorene Erde zu fallen und im Grabe zu häufen sich begann, da war ihr jedes Poltern und jeder Schaufelwurf wie ein Stich und ein Riß im Herzen.

So konnte sie auch nicht gewahren, wie den Friedhof noch ein verspäteter Trauergast betrat. Die Leute, die ihn kommen sahen, betrachteten sein dickverbundenes Gesicht und dachten bei sich, daß heute kein Wetter wäre für Einen, den das Zahnweh plagte. Weiteres zu denken, dazu hatten sie keine Zeit mehr – denn eben sagte der Herr Cooperator sein seufzendes „Amen!“, bekreuzigte sich und verließ, mit hurtigen Fingern die blaue Nase reibend, langen Schrittes die Begräbnißstätte.

Nun traten die Leute zu dem Mädchen und brachten ihre Tröstungen vor, dieselben mit längeren und kürzerem Händedrücken geleitend. Sie schienen alle recht betrübt – in dem Augenblick jedoch, in welchem jeder Einzelne von der weinenden Waise sich abwandte, verflog diese Miene der Trauer, und die Gesichter wurden um so freundlicher, je näher sie dem Kirchhofthore kamen. Jetzt war der Letzte gegangen – nein – seitlich hinter einem dicken Holzkreuz stand noch jener verspätete Trauergast mit dem verbundenen Backen.

Zu Häupten des frischen Grabes ließ sich die Trauernde auf beide Kniee nieder und faltete leise weinend die Hände. Da hörte sie hinter sich einen knisternden Tritt – sie schaute nicht auf, aber in all dem Schmerz und all der Kälte ward es ihr so seltsam leicht und warm um’s bange Herz – nun kniete Einer an ihrer Seite nieder – sie schaute nicht auf, rückte nur ein wenig, damit seine Kniee noch Platz finden möchten auf dem kurzen Brettchen.

Eine Weile beteten sie mit einander – dann suchten sich ihre Hände.

„Ich – ich –“ schluchzte das Mädchen – „ich soll Dich recht schön grüßen noch – von ihr – hat’s g’sagt.“

Er nickte nur – und während er sich mit den Fingern durch die Augen fuhr, hörte sie ihn laut schlucken.

Sie erhoben sich und verließen den Friedhof. Solange die Häuser dauerten, schritten sie wohl auch neben einander her, aber getrennt durch einen schicklichen Zwischenraum – doch schon beim ersten Tritte in die schneebedeckte Wiese faßten sich ihre Hände.

Langsam wanderten sie dahin.

„Wie geht’s Dir denn? Han?“ sagte sie einmal.

„Ich danke Dir schön! Es thut’s – ja, ja – es thut’s schon – – Da!“ Dabei zog er die breite Binde vom Gesichte und hielt dem Mädchen den linken Backen hin, welcher der ganzen Länge nach von einer rothen, noch schlecht vernarbten Schramme durchzogen war.

„Mein – – mein –“ jammerte das Mädchen und strich mit der zitternden Hand über die wunde Stelle. „Geh – thu’ nur g’rad ’s Tüchl wieder drüber – es is gar feindlich kalt.“

„Ja – der Doctor hat’s auch noch net verlaubt, daß ich an d’ Luft geh’ – aber weißt – wie – wie ich gestern g’hört hab’ – daß – da hat’s mich nimmer g’litten – wärst ja sonst allein g’wesen jetzt!“

Sie nickte nur vor sich hin.

„Gelt – der Wimbacher G’hülf wird Dir’s schon g’sagt haben – von wegen –“ begann sie nach einer Weile wieder, „gestern is er da g’wesen bei mir.“

„Ja – schon so verzürnt hab’ ich mich über den – g’rad als ob er gar keine Augen g’habt hätt’!“

„Das arme, arme Viecherl – das! Mein – was muß das ausg’standen haben!“

Jetzt nickte Er statt aller Antwort.

Als sie dann in dem kleinen Häuschen die Wohnstube betraten, die von starkem Weihrauchduft erfüllt war, begann das Mädchen wieder leise zu weinen.

„Sixt –“ sagte sie, nach der offenen Kammer deutend, unter schwerem, langaussetzendem Schluchzen, „– sixt – da – da drin hat’s – g’legen.“

Er nahm den Hut ab und schaute ehrfurchtsvollen Blickes auf das stille Lager.

„G’wiß wahr – es is mir recht hart, daß ich’s nimmer hab’ sehen können. Da bin ich g’rad froh, daß ich’s selbigsmal ’troffen hab’.“

„Ja – und so feindlich gern hat’s Dich ’kriegt. Weißt, wann ich oft so g’jammert hab’ in die letzten Tag’, da hat’s allweil g’sagt: Geh, Nannei, geh – hat’s g’sagt – da brauchst Dich net zum sorgen – der – bald er g’sund is – der kommt schon – der schon!“

Auch ihm wurden nun die Augen feucht.

„Weißt – die hat mich halt gleich derkennt – ja – das war halt Eine! Um die is schad’! Mein – da laufen viel andre – no – ich will kei’m ’was ansagen, aber – geh, Nannei, setz’ Dich doch nieder! Es muß Dir ja jetzt in alle Glieder liegen. Und nachher – nachher habe ich so wie so ’was z’reden mit Dir – weißt –“

Sie gingen auf die Bank zu, rückten dicht an einander – und saßen so eine Zeitlang schweigend.

„Ja – mit meiner Frau Oberförsterin habe ich halt gestern g’redt – weißt – da könntst nachher den Winter über im Dienst sein – bei ihre Kinder - weißt – da hättst es recht gut –

[221]

Krieger des Mahdi.
Nach einer Originalzeichnung von W. Gentz.

[222] a Deandl is da mit so a fünf Jahr’ und a kleiner Bua – so a lieber Kerl – ja – der thät’ Dir selber g’fallen. Was meinst?“

„Ganz wie D’ willst! Du wirst schon ’s Rechte finden!“

„Und nachher im Fruhjahr – so gegen Pfingsten – da hätt’ ich g’meint, daß wir mit einander – oder – oder meinst net? Meinst ’leicht – erst später ’naus? Weißt – Dispenz wär’ schon zum kriegen – weil halt so allein stehst. Geh, Schatzerl, mein lieb’s – geh – red’ – weißt, bei so ’was muß man schon selbander reden!“

„Geh, Festei – na – heut’ net, schau – an andersmal!“ stammelte Nannei, das unter Thränen erglühende Antlitz an der Brust des Jägers bergend, der seine Arme fest um ihren Nacken schlang. „Mein – wie könnt’ ich mich jetzt freuen, wann mein Mutterl, mein gut’s, halt noch dabei wär’!“ schluchzte sie nach einer Weile – dann hob sie den Kopf und fuhr sich mit beiden Handballen gleichzeitig über Augen und Wangen. „Und – und mein Dschapei, mein arms – wann uns das jetzt so sehen könnt’, so z’sammg’hörig – meinst net? – das hätt’ g’wiß auch a rechte Freud’ dran!“

„Ja – g’wiß – g’wiß!“ betheuerte Festei. „Aber weißt – mich selber – mich freut’s halt schon am meisten!“

Er hätte sie gerne geküßt – da aber streifte sein Blick die offene Kammerthür und das verwaiste Lager – und er fand nicht mehr den Muth dazu.

„Heut’ net – an andersmal!“ so wiederholte er im Stillen Nannei’s Worte.




Gedankenlesen, Gedankenmittheilung, Hellseherei.

In Wien wußte in den letzten Wochen ein Tausendkünstler ganz besonderer Art das allgemeine Interesse in Anspruch zu nehmen, die weitesten Kreise mit seinen Productionen in Spannung zu erhalten und durch die letzteren sogar einen wissenschaftlichen Streit gelehrter Professoren hervorzurufen. Nachdem Kronprinz Rudolf und der Erzherzog Johann den bekannten Spiritisten Mr. Bastian entlarvt und die Nichtigkeit seiner Gaukeleien dargethan hatten, meldete sich in der Hofburg ein anderer Engländer, Mr. Cumberland, der sich einen „Anti-Spiritisten“ nannte und den hohen Herrschaften die intimeren Praktiken des spiritistischen Hokuspokus erläutern wollte. Das haben freilich vor ihm Andere bereits viel gründlicher besorgt, und es giebt auch keine einzige spiritistische Charlatanerie, in deren geheimen Mechanismus wir nicht, dank entsprechenden Enthüllungen, geblickt hätten. Wir wollen hier nur auf das Aufsehen erregende Buch „Confessions of a medium“ (Bekenntnisse eines[WS 2] Mediums) von Parker hinweisen, in welchem der Verfasser alle Geschäftsgeheimnisse seines früheren Chefs, des „berühmten“ amerikanischen Spiritisten Thomson, der sich im Jahre 1879 in England producirte, rücksichtslos und mit beißender Ironie verrieth. Gleichwohl fand Mr. Cumberland, wie man in allen Tagesblättern lesen konnte, Eingang in die Wiener Hofburg, deren hohe Kreise er mit seinen Taschenspielereien unterhielt, um sie schließlich für seine „Gedankenkunst“ zu interessiren. Was die Journale davon berichteten, klang gar wunderbar. Mr. Cumberland errieth angeblich, daß Kronprinz Rudolf den ganzen Tag an ein Thermometer gedacht, daß derselbe während der Production an eine schwarze Dogge denke, faßte ihn bei der Hand und führte ihn zu dem Hunde in der Dienerstube, ebenso wie den Erzherzog Rainer zu einer Officierskappe im Antichambre, welche dieses Mitglied des Kaiserhauses eben im Sinne hatte.

Den „Séancen“ in den Hofcirkeln folgten unmittelbar öffentliche Productionen Mr. Cumberland’s, und es erwies sich bald, daß seine Leistungen durchaus nicht so wunderbar waren, wie die Fama wissen wollte, wenn sie auch noch immer manches scheinbar ganz Unerklärliche boten. Die erste der öffentlichen „Manifestationen“ des „Gedankenlesens“ war sogar eine ziemlich verunglückte. Wohl gelang es Mr. Cumberland, drei Namen, die Adolf Wilbrandt auf drei Zettelchen geschrieben, zu nennen, ohne die Papiere zu entfalten, die er blos an die Stirn hielt. Als er aber mit verbundenen Augen eine Nadel finden wollte, welche Wilbrandt in Abwesenheit Cumberland’s in einer Logendraperie verborgen hatte, verließ ihn sein Glück; er konnte die Nadel nicht finden. Das gleiche Experiment mißlang auch vollständig mit Professor Weinlechner und wurde erst mit einem Herrn Mayer nach Wunsch durchgeführt. Das Mißglücken der ersteren Experimente erklärte der „Gedankenleser“ damit, daß er von einer Vorstellung, die er in der vergangenen Nacht beim Fürsten Metternich gegeben, überaus erschöpft sei. Die weiteren öffentlichen Productionen Cumberland’s gehörten indessen bekanntlich zu den gelungenen.

Am zweiten Abend führte der „Anti-Spiritist“ den Grafen Strachwitz zu einer Person im Saale, auf die derselbe seine Gedanken concentrirt hatte. Den Baron Schwarz-Senborn bat der Demonstrator an einem dritten Abend, seine Gedanken auf eine Person im Saale zu fixiren, einen Gegenstand im Besitze derselben in’s Auge zu fassen, und eine zweite Person auszusuchen, welcher er diesen Gegenstand übergeben möchte. Mit verbundenen Augen führte dann Cumberland den Baron, dessen Hand er mit beiden Händen erfaßte, zu einem Herrn in der ersten Sitzreihe, nahm demselben einen Zwicker ab und übergab diesen einem Officiere in der zweiten Sitzreihe. Schwarz-Senborn bestätigte, daß Personen und Gegenstand die richtigen seien. Das Experiment mit der Nadel, welche diesmal zuerst General Kodolitsch, dann Professor Schnitzler versteckten, wurde von dem „Gedankenleser“ in der befriedigendsten Weise durchgeführt.

Die höchst überraschenden Productionen Cumberland’s führten in Wien selbstredend zu vielfachen Erörterungen. Der Psychiater Dr. J. Hinterstoißer gab öffentlich der Vermuthung Ausdruck, Cumberland arbeite mit der Hypnose, da er die Individuen, die er bei der Hand führe, veranlasse, ihren ganzen Ideenkreis auf eine bestimmte Person oder auf einen bestimmten Gegenstand zu concentriren, und sie dabei herumzerre, als wären sie regelrechte „Medien“. Von anderer Seite wurde hervorgehoben, daß der Puls die feinsten Erregungen verrathe und Cumberland, welcher die Leute bei der Hand fasse, hierdurch bei dem Errathen bestimmter Personen oder Gegenstände wesentlich unterstützt werde. Professor Weinlechner, mit welchem, wie erwähnt, in der zweiten Soirée Cumberland’s das Experiment mit der Nadel mißglückte, gab damals sofort die folgende Erklärung ab:

„Ich erkläre, daß dies kein Gedankenlesen ist. Gedankenlesen heißt, Gedanken so errathen, daß man sie zu Papier bringen kann. Hier aber handelt es sich nicht um Gedanken, sondern um ganz concrete Gegenstände, zu welchen Cumberland hingeführt werden muß. Hier ist nun der Führer der Geführte und der anscheinend Geführte der Führende. Cumberland braucht nämlich zu seinem Experimente übermäßig nervöse Leute, das heißt solche, welche die Bewegung ihrer Muskeln im gegebenen Falle nicht in ihrer Gewalt haben. Wenn Cumberland mit solchen in die Nähe des zu errathenden Gegenstandes kommt, so zeigt ihm ein gewisses willenloses Abwehren oder Hinzudrängen der Hand des Geführten die genaue Richtung an. Ich habe mich überzeugt, daß dies ausschlaggebend ist, und zwar dadurch, daß ich absichtlich an ganz ungefährlichen Orten mit der Hand zuckte und so Cumberland den Impuls gab, stehen zu bleiben und zu suchen. Dies that er denn auch regelmäßig, wo ich ihn irreführen wollte, und dies verschafft mir die Ueberzeugung, daß das Gedankenlesen Cumberland’s in nichts Anderem besteht, als in einem besonders fein ausgeprägten Muskelgefühl.“

Die Ansicht Weinlechner’s scheint sehr plausibel; man bemerkte auch bei einer Soirée, daß Cumberland den Grafen Strachwitz wirklich zu der Person führte, an die dieser dachte. Graf Strachwitz mochte seine Gedanken durch eine Muskelbewegung verrathen haben, als ihn der „Anti-Spiritist“ zwischen den Sitzreihen entlang führte. Auffallend war es dabei, daß der Letztere die gedachte Person nicht direct bezeichnete, sondern den Grafen fragte: „Ist es diese?“ Als der Graf nicht antwortete, wiederholte Cumberland viermal seine Frage, bis sie bejaht wurde. Indessen erklärte Professor Schnitzler, mit welchem ein ähnliches Experiment zum Besten gegeben wurde, er sei nicht der Führende, demnach auch nicht der „Angeführte“ gewesen. Cumberland selber veröffentlichte schließlich eine Erklärung in den Journalen, welche im Wesentlichen besagte, er könne nur einen bestimmten Gegenstand errathen, wenn ein Individuum alle seine Gedanken auf denselben concentrire, und seine Divinationsgabe lasse ihn im Stiche, wenn die betreffende Person zwei dominirende Ideen im Kopfe habe, nämlich auch die Idee, ihn irrezuführen und zu bekämpfen.

Aus Alledem geht nur das Eine mit Sicherheit hervor, daß C. Stuart Cumberland ein Mensch mit ganz besonders entwickelten, ganz besonders feinen Sinnesorganen ist. Das fein ausgeprägte Muskelgefühl, welches Professor Weinlechner constatirte, ist eine Thatsache. Zu dem außerordentlichen Tastsinne dürfte sich aber auch ein ausnehmend feines Geruchsorgan gesellen, was sehr Vieles erklärlich macht, so auch die Experimente mit der Nadel. Ein guter Schweißhund verfolgt ja meilenweit die Spur eines Wildes, warum soll ein Mensch mit abnormem Geruchsorgan nicht auch eine Fährte im engen Raume eines Saales verfolgen können? Ich bin der Ansicht, daß Cumberland nicht die Nadel sucht, sondern den Ort, wohin sich eine betreffende Person begab und an dem sie am längsten verweilte, bevor sie auf die Estrade zurückkehrte. Mit ausgeprägtem Tastsinne [223] dann die Nadel zu finden, wenn der Ort einmal gefunden ist, wo sie verborgen wurde, ist gar nicht schwer.

Es fehlt nicht an Beispielen für einen so stark ausgeprägten Geruchssinn beim Menschen. Eckartshausen berichtet in seiner „Geschichte der Magie“ von einem Manne, der an den Stühlen erkannte, welcher seiner Bekannten auf denselben gesessen, und die Personen nennen konnte, die einen bestimmten Gegenstand berührt hatten, was er durch seinen Geruchssinn entdeckte. Der Dichter Goeking hatte in seiner Jugend das Vermögen, das Begegnen mit einem Bekannten zu ahnen, der gleich darauf erschien, was er ganz auf Rechnung seines feinen Geruchssinnes setzte. Eckermann erzählt, daß er, von einem Spaziergange heimkehrend, etwa zehn Minuten von Weimar den geistigen Eindruck hatte, daß ihm an der nächsten Ecke eine Person begegnen würde, die er seit Jahr und Tag nicht gesehen und an die er sehr lange nicht gedacht. „Es beunruhigte mich zu denken, daß sie mir begegnen könnte, und mein Erstaunen war daher nicht gering, als sie mir bald darauf wirklich entgegentrat.“ Goethe erwiderte auf diese Erzählung: „Das ist sehr merkwürdig und mehr als Zufall. Wir tappen alle in Wundern und Geheimnissen.“ Auf ganz natürliche Art dürfte sich aber die Sache mit dem feinen Geruchssinn Eckermann’s erklären lassen, ohne daß man uns deshalb beschuldigen dürfte, in die Seelenriecherei des Professor Jaeger zu verfallen. Thatsächlich würde jeder Schweißhund in einem Saale einen verborgenen Gegenstand mit Leichtigkeit auffinden; ja, selbst bei gewöhnlichen Stubenhunden ist das Auffinden verlorener Gegenstände keine ungewöhnliche Erscheinung. Die Art nun, wie Cumberland sucht, seine gebückte Haltung, das Niederbeugen seines Kopfes, sein Schnuppern mit der Nase, spricht für die geäußerte Anschauung.

Was nun das Experiment anbelangt, zu errathen, an welche Person Jemand denke, so giebt es in den Angaben Professor Weinlechner’s dafür auch eine Erklärung. Ein Zucken der Hand, ein lebhaftes Schlagen des Pulses können das verrathen. Uebrigens will ich nicht leugnen, daß manche ernste Denker eine gewisse Divinationsgabe bei manchen Menschen zugegeben, ja eine solche bei sich selbst beobachtet haben. Ich will hier unter Anderem auf Schopenhauer hinweisen, welcher („Parerga und Paralipomena“, I.) schreibt:

„Unmittelbare Mittheilung der Gedanken ist so gewiß, daß ich dem, der ein wichtiges und gefährliches Geheimniß zu bewahren hat, anrathe, mit dem, der es nicht wissen darf, über die ganze Angelegenheit nie zu sprechen, weil er während dessen das wahre Sachverhältniß unvermeidlich in Gedanken haben müßte, wodurch dem Anderen plötzlich ein Licht aufgehen kann, indem es eine Mittheilung giebt, vor der weder Verschwiegenheit noch Verstellung schützt.“

Und weiter:

„Meine schöne Wirthin in Mailand, vor langen Jahren, fragte mich in einem sehr animirten Gespräche an der Abendtafel, welches die drei Nummern wären, die sie als Terne in der Lotterie belegt hätte? Ohne mich zu besinnen, nannte ich die erste und die zweite richtig, dann aber, durch ihren Jubel stutzig geworden, gleichsam aufgeweckt und nun reflectirend, die dritte falsch.“

Ferner schreibt Zschokke („Selbstschau“, I.):

„Es begegnete mir zuweilen beim ersten Zusammentreffen mit einer unbekannten Person, wenn ich schweigend ihre Rede anhörte, daß ihr bisheriges Leben mit vielen kleinen Einzelheiten (Kleidung, Bewegung der handelnden Personen, Zimmer, Geräthe etc.) – oft nur diese oder jene Scene – traumhaft und doch klar an mir vorüberging, ganz unwillkürlich, in wenigen Minuten. Während dem ist mir gewöhnlich, als wäre ich in das Bild des fremden Lebens so völlig versunken, daß ich zuletzt weder das Gesicht des Unbekannten deutlich mehr sehe, noch seine Stimme verständlich höre. Es wandelte mich öfter ein Grauen an, wenn mir die betreffenden Personen dann die Richtigkeit jener Einzelheiten, die ich angab, staunend bestätigten.“

Zschokke erzählt des Weiteren, daß er einem jungen Mann auf diese Weise einmal vorhalten konnte, daß er die Casse seines Principals bestohlen, wobei er das Zimmer, in welchem solches geschah, genau zu beschreiben vermochte. Dieses Durchschauen äußerte sich gewöhnlich nur bei Personen, an welchen Zschokke wenig gelegen war. Die Richtigkeit all dieser Beobachtungen zugegeben, wäre Mr. Cumberland jedenfalls kein neues Weltwunder, geeignet, Sensation hervorzurufen, sondern eine Erscheinung, wie sie bereits sattsam vorgekommen; es giebt eben nichts Neues unter der Sonne.

Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, daß Mr. Cumberland sich bei manchen seiner Experimente in einem somnambulen Zustand befindet, in welchen er sich ja durch die Concentrirung aller seiner Gedanken auf einen bestimmten Gegenstand versetzen kann. Die Hypnose ist ein physiologisches Phänomen, das einmal besteht und Gegenstand ernster wissenschaftlicher Erforschung geworden ist. Er kann auch durch einen Magnetiseur in einem Nebensaale, durch seine Frau, die allen seinen Productionen, selbst in der Hofburg, beiwohnt, in einen hypnotischen Zustand versetzt werden. Auf diese Vermuthung führt mich der Umstand, daß er aus zusammengefalteten Zettelchen Namen ablesen kann, indem er die Papiere blos an die Stirne hält, was sonst nur Somnambulen zu Stande bringen. Ohne den wohlfeilen Prophezeiungen solcher den geringsten Glauben zu schenken, ohne ihren hysterischen Visionen Bedeutung zuerkennen zu wollen, muß ich mit Professor Fr. Fischer, der sich in seinem Buche über den Somnambulismus (Basel, 3 Bände) allen somnambulen Erscheinungen gegenüber höchst skeptisch verhält, die beglaubigten Zeugnisse doch beachten, welche über diese Fähigkeit der „Hellseherei“ vorliegen. Man hat Briefe in dreifache, undurchsichtige Umschläge gelegt, hat jeden derselben dreifach versiegelt, und einzelne Somnambulen lasen den Inhalt ab, ohne daß die Couverts verletzt und geöffnet worden wären.

Die Anhänger des thierischen Magnetismus haben eine ganze Bibliothek von Beispielen dieser Art zusammengetragen. Noch bemerkenswerth ist es, daß Cumberland die erwähnten Namen las, wie die Somnambulen die Briefe, nämlich buchstabirend, Buchstaben für Buchstaben, die er dann zu Worten construirte. Auch das „Gedankenlesen“ fände auf diese Weise seine Erklärung. Perty schreibt in seiner „Geschichte der mystischen Erscheinungen der menschlichen Natur“:

„Die hellsehende Person verfolgt mit unendlich feiner Spürkraft den Weg zu Jenem, von welchem man ihr z. B. eine Haarlocke, einen Brief oder einen andern Gegenstand gegeben hat, unbeirrt durch die unzähligen anderen Spuren bei dieser specifisch unterschiedenen beharrend, wobei die dazwischen liegenden Dinge gleichsam verschwinden, wie für den Magnet die indifferenten Körper zwischen ihm und dem Eisen.“

Sind solche Erscheinungen auch nicht unzweifelhaft beglaubigt, so seien sie doch hier angeführt, weil sie eine überraschende Analogie zu dem Verfahren Cumberland’s bieten.

Ist nun Mr. Cumberland ein „Gedankenleser“? Oder ein Gedanken-Divinator? Oder ein Hellseher? Nachdem es feststeht, daß wir es hier mit einer Person von ganz besonderer, ja krankhafter Sensibilität zu thun haben, ist keine der drei Möglichkeiten ausgeschlossen, doch erklärt sich alles, wie wir ausgeführt haben, so ziemlich auf ganz natürliche Weise. Seine Erscheinung hat nichts Wunderbares, nichts Niedagewesenes an sich. Es ist physiologisch möglich, Gedanken zu lesen, wie er sie „liest“ – mit den Fingerspitzen, mit der Nase. Und so wollen wir uns auch an diese Deutung seiner Kunstfertigkeit halten, obgleich es auch vor ihm Menschen gegeben hat, welche die Gedanken Anderer zu errathen wußten, obgleich einzelne somnambulische Erscheinungen wirklich beobachtet wurden, wenn auch ihre Verallgemeinerung ungerechtfertigt erscheint. Es dürfte dem Herrn im Grunde wohl gleichgültig sein, wie man ihn classificirt. Die Hauptsache ist, daß seine „Séancen“ bei hohen Entréepreisen gut besucht seien, und dieses Ziel hat er, in Wien wenigstens, vollständig erreicht. Es werden sonst die Leute nicht so gut bezahlt, welche Uhren aus den Taschen und Gedanken aus dem Kopfe Anderer stehlen, wie dies Mr. Cumberland unter dem lauten Beifall der staunenden Menge öffentlich producirt.Hugo Klein.     


Blätter und Blüthen.

Erzählungen von Ludwig Ganghofer. Unsere Leser, welche der soeben in der „Gartenlaube“ beendigten Erzählung „Dschapei“ mit stets steigendem Interesse folgten und sich von der echt volksthümlichen Darstellungsweise, der Naturwahrheit der geschilderten Gestalten und Scenen, den einfachen, aber echt menschlichen und darum ergreifenden Conflicten angezogen fühlten, werden es uns Dank wissen, wenn wir sie auf zwei vor kurzer Zeit erschienene Bände des rasch berühmt gewordenen jugendlichen Erzählers hinweisen. „Der Jäger von Fall“ nennt sich der eine, und „Bergluft, Hochlandsgeschichten“ – der andere, welcher eine Sammlung kleinerer Erzählungen, darunter auch den in dramatischer Bearbeitung auf die Bühne übergegangenen „Herrgottsschnitzer von Ammergau“ enthält. Reine, frische Bergluft ist es in der That, welche aus all diesen trefflichen, bald heiteren, bald tragischen Lebens- und Sittengemälden dem Leser entgegenweht. „Ludwig Ganghofer“ – wir entnehmen dies einer eingehenden Würdigung, welche Franz Muncker dem Dichter in der „Allgemeinen Zeitung“ angedeihen läßt – „pflegt regelmäßig einen Theil des Jahres im baierischen Hochlande, und zwar im innigsten Verkehre mit dessen Bewohnern, zu verbringen. Er kennt Land und Leute gründlich, nicht nur ihre einfache, treffende und oft humoristische Redeweise, sondern auch den Umkreis ihrer Anschauungen, ihre Art zu denken und zu empfinden. Nirgends eine falsche Sentimentalität, nirgends eine Situation, die dem Wesen des Gebirgsvolks widerspricht. Wohl aber manchmal eine und die andere Scene, die unseren üblichen, aber irrigen Vorstellungen von dem Leben und Wesen der Alpenbewohner widerspricht. Es dürfte schwer halten zu entscheiden, welcher seiner Geschichten der Preis gebühre. Aber deutlich sieht man beim Vergleiche der sieben Stücke[5], die Ganghofer in seine Sammlung ‚Bergluft‘ aufgenommen, welch eine bedeutende, erfolgreiche Entwickelung der Dichter während der kurzen Jahre, da er auf dem Gebiete der erzählenden Poesie thätig ist, bereits durchgemacht hat. In dieser Mannigfaltigkeit erblicken wir zugleich die Gewähr, daß der Dichter auch in Zukunft nicht blos die längst gewohnten Wege auf’s neue durchwandele, sondern selbst immer frische, noch wenig oder nicht betretene Pfade aufsuchen wird. Mögen sie ihn nie in die Irre, vielmehr stets richtig zum Ziele führen!“ – Diesen Hoffnungen und Wünschen des trefflichen Kritikers und Literaturforschers schließen wir uns aus vollem Herzen an.

  1. Monaco mit Monte-Carlo, 25 Minuten von Nizza, 20 Minuten von Mentone. Die Mehrzahl der Passagiere steigt nicht bei Station Monaco aus, sondern bei Station Monte-Carlo, welche unmittelbar unter dem weltberühmten „Casino“, zu deutsch Spielhölle, liegt, das man auf einer breiten, nach den Gärten aufsteigenden Freitreppe erreicht. Monte-Carlo, zu dem Fürstenthum Monaco gehörig, das auf dem Südhange der See-Alpen liegt, ist eine moderne, großartige und geniale Schöpfung durch seine Gärten, die in Terrassen bis zum Meer hinabsteigen. Malerische Aussichtspunkte, Promenaden unter Palmen, Camelien, Johannisbrodbäumen, Aloen, Rosen und vielen andern tropischen Bäumen in Menge. Das Casino ist das Stelldichein der höchsten aristokratischen Welt Europas und der tiefsten plebejischen Gauner. Die Spielhölle entfaltet hier ihre ganze unheimliche Macht: Theater, Concertsäle, venezianische Gondelfeste, glänzende Bälle, auserlesenes Orchester und Solovorträge der ersten Künstler der Welt, Conversationssäle, großartige Lesehallen – Alles dient nur als Folie dem Spielteufel. Wer sich eingehend unterrichten will, sehe des Verfassers „Riviera“, ein soeben bei Spemann in Stuttgart erscheinendes prachtvoll ausgestattetes Werk.
  2. Nach des Italieners Mantegazza Darstellung.
  3. Vergl. Nr. 11.
  4. Auch in Berber, von welcher Stadt wir gleichfalls ein Bild bringen, soll neuerdings die Bevölkerung unruhig geworden sein. Berber liegt schon weit nördlich über Khartum hinaus, und insofern könnte diese Nachricht bedenklich werden, weil die noch nördlicher wohnenden Bischariestämme sich bereits für den Mahdi erklärt und auch, wenigstens theilweise, an den Kämpfen bei Suakin theilgenommen haben. Berber selbst ist nur durch seine Lage am Nil, wodurch es mit Khartum eine sehr lebhafte Schifffahrtsverbindung unterhält, bemerkenswerth und augenblicklich doppelt wichtig, weil die nach Aegypten zurückkehrenden Truppen sämmtlich über Berber müssen.
  5. „Der Herrgottsschnitzer“. – „Assi Manlasse“. – „Die Seeleithnersleut“. – „Der schwarze Teufel“. – „Hochwürden Herr Pfarrer“. – „’s Geigenkröpfl“. – „Die Hauserin“.

„Bilder aus dem Soldatenleben“ waren die ersten Erzählungen, durch deren liebenswürdigen Humor F. W. Hackländer die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, und noch heute zählen seine „Soldatengeschichten“ zu den Lieblingsbüchern unseres Lesepublicums. Die Stuttgarter Verlagshandlung von Karl Krabbe giebt nun diese Geschichten unter dem Titel „Aus dem Soldatenleben“ in einer von dem frischen, kecken Stifte Emil Rumpf’s illustrirten Ausgabe dem deutschen Volke von Neuem in die Hand. Die bereits erschienenen Hefte (das Ganze soll 20 Lieferungen zu je 40 Pfennig umfassen) berechtigen uns, dieses Geist und Herz erheiternde Werk unseren Lesern für die Hausbibliothek zu empfehlen.


[224] Die deutschen Lehrer in England. Die Folgen des Auswanderungstriebes, welcher tief in der Natur des Deutschen begründet scheint, machen sich in keiner europäischen Hanptstadt so fühlbar, wie in der englischen; ist doch amtlich ermittelt worden, daß die Deutschen fast ein Drittel der Gesammtheit aller Fremden in London bilden. Besonders dem deutschen Kaufmannsstande, der Lehrer- und Erzieherwelt dünkt London noch immer ein Eldorado, wo ein rasches Emporkommen, ein ausreichender Erwerb gar nicht fehlen könne. Leider machen die nach London gekommenen Deutschen nur zu häufig die trübe Erfahrung, daß dort nicht leichter als in der Heimath eine Stellung zu finden ist, die den Kenntnissen des Stellungsuchenden und seinen Anforderungen an’s Leben entspricht. Aber während die deutschen Kaufleute und auch besonders die deutschen Kellner in London seit langer Zeit eine vortreffliche Organisation besitzen, sodaß der stellenlose oder der rathlos aus Deutschland herübergekommene Angehörige dieser Stände weiß, wo er einen Rückhalt, wo er moralische und im Nothfalle auch materielle Unterstützung finden kann, fehlte es den deutschen Lehrern bisher gänzlich an einer solchen Organisation. Diesen Mangel hat bereits ein Artikel in einem früheren Jahrgange der „Gartenlaube“ (1882, Nr. 12 und 13) beklagt, und es ist erfreulich, daß jetzt endlich ein ernster Anlauf genommen ist, um die dort geschilderten Mißstände zu beseitigen. Auf die Anregung des Herrn Karl Tuchmann, dessen Verdienste als früherer Präsident der deutschen Wohlthätigkeitsgesellschaft in jenem „Gartenlauben“-Artikel hervorgehoben wurden, hat sich in London unlängst ein „Verein deutscher Lehrer in England“ constituirt. Der Verein bezweckt, die sociale und materielle Lage des deutschen Lehrers in England zu heben, für seine Mitglieder gegen geringe Entschädigung die Vermittelung von Stellen zu übernehmen und neu nach England herübergekommenen Lehrern hülfreiche Hand zu bieten. Das Comité wendet sich nun an alle deutschen Lehrer und Studirenden mit der Bitte, durch Beiträge oder durch den Beitritt zu dem Vereine die Zwecke desselben fördern zu helfen. Da der Jahresbeitrag der Mitglieder, der zum Anspruche auf den Schutz und alle Wohlthaten des Vereins berechtigt, zehn Mark nicht übersteigen wird, so findet die Bitte des Londoner Comités hoffentlich im deutschen Heimathslande bereitwilliges Gehör; Anmeldungen und Beitrittserklärungen nimmt der Secretär des Vereins. Herr Oberlehrer H. Reichardt in London, Park Road, Haverstock Hill, N. W., entgegen.


Ein neues Generalstabswerk. Feldmarschall Graf von Moltke hat sich in einem Aufruf an das deutsche Publicum gewandt. Daß der ruhmbedeckte deutsche Stratege, den der Volksmund den großen Schweiger genannt hat, mit einem Aufrufe an die Oeffentlichkeit tritt, ist ein schon durch seine Seltenheit interessantes Ereigniß, aber auch der Gegenstand dieser öffentlichen Kundgebung verdient die Theilnahme der weitesten Kreise. Es ist bekannt, daß wir dem Großen Generalstab, dessen Chef Moltke ist, ein in seiner Art einzig dastehendes Werk über den letzten Krieg verdanken. Kaum ist dieses großartige Werk aber endlich zum Abschluß gediehen, so tritt an den Generalstab eine zweite Aufgabe der Geschichtsschreibung heran: dem Generalstabswerke über den deutsch-französischen Krieg soll ein ähnliches Werk über die Feldzüge Friedrich’s des Großen folgen. Eine solche Aufgabe bietet natürlich ganz andere Schwierigkeiten als das Generalstabswerk über den Krieg von 1870. Das letztere beruhte auf den Mittheilungen von Augenzeugen; was die Geschichte der Friedericianischen Kriege betrifft, so ist man auf Ueberlieferungen, auf ältere Darstellungen und auf Documente aus jener Zeit angewiesen. Feldmarschall Moltke wendet sich nun an die Oeffentlichkeit mit der Bitte, daß die deutsche Nation die große und mühevolle Aufgabe des Generalstabes fördern helfe. Unbeachtet, in jahrzehntelangem Staube, befinden sich sicher in manchem Archive, mancher alten Familienbibliothek Schriften, die dem Generalstab bei der Abfassung des Werkes von Nutzen sein können. Mitunter kann ein alter Quartierzettel Auskunft über die Stellung eines Truppentheils geben und zur Feststellung der historischen Wahrheit dienen. Graf Moltke bittet, Beiträge an die kriegsgeschichtliche Abtheilung des Großen Generalstabs zu richten, und sichert rasche Rückgabe der eingehenden Originale zu.


Ein Denkmal für die Gebrüder Grimm. Hundert Jahre sind im Januar nächsten Jahres verflossen, seit Jacob Grimm, der Aeltere des berühmten Brüderpaares, in Hanau geboren wurde. Noch fehlt den Gebrüdern Grimm in ihrer Vaterstadt ein Denkmal, das sie doch wie wenige deutsche Gelehrte verdient haben, und es lag daher nahe, Angesichts des hundertsten Geburtstages von Jacob Grimm endlich die Errichtung eines solchen in’s Auge zu fassen. Wie aber die Bedeutung der Gebrüder Grimm weit hinausreicht über ihre Vaterstadt und über das alte Kattenland Hessen, wie sie eine wahrhaft nationale ist, so wird auch die ganze Nation dazu beitragen müssen, wenn ein würdiges, dem edlen Brüderpaare entsprechendes Denkmal errichtet werden soll. Und wir glauben, daß der soeben veröffentlichte Aufruf des Comité’s nicht ungehört verhallen wird; gilt es doch das Andenken zweier deutscher Gelehrten zu ehren, welche uns die lange verlorenen Schätze unserer Vorfahren wiedergebracht, den Anfängen unserer deutschen Sprache nachgeforscht und die deutsche Grammatik eigentlich begründet und ausgebaut, die köstlichen deutschen Volksmärchen gesammelt und durch ihre Forschungen sowohl wie durch ihr mannhaftes Verhalten in einer trüben Reactionsperiode so bedeutend zur Hebung und Erstarkung des deutschen Nationalgefühls beigetragen haben. Geldsendungen für den Denkmalbau nehmen die Herren Ludwig Limbert (vor dem Canalthor 2h) und Ph. Heinr. Zeuner (Sterngasse 1) in Hanau entgegen.


Allerlei Kurzweil.

 Die Fahne.

Aus den an dem linken Rande der Fahne befindlichen Buchstaben ist die Bezeichnung eines jetzt vielgenannten Mannes zu errathen. Eine genaue Beachtung der Sterne und Striche in der Fahne giebt den Schlüssel zur Lösung der Aufgabe.


 Königszug.

Der König zieht bekanntlich von dem Felde, auf welchem er steht, immer nur (entweder in gerader oder in schräger Richtung) nach einem der angrenzenden Felder.

Durch die Züge des Könige soll nun aus den Silben im nebenstehenden Quadrat eine Stelle aus einem Armeebefehl des Königs von Preußen, jetzigen Kaisers Wilhelm, während des deutsch- französischen Kriegs gefunden werden.


 Die Halskette.

Aus den sieben einzelnen Worten soll man einen Spruch bilden. Wodurch wird die Reihenfolge derselben in der Kette angedeutet?


Kleiner Briefkasten.

H. L. in Breslau. Eine Modernisirung der Fignren auf der Titelvignette der „Gartenlaube“ ist schon vielfach angeregt worden, wir haben uns aber nie dazu entschließen können, die Tausenden unserer Leser in allen Welttheilen liebgewordenen guten alten Bekannten anzugreifen. Zudem: die Mode wechselt ja beständig. Sollten wir mit jedem Wechsel derselben auch die Toilette unserer gemüthlichen „Gartenlaube“-Gesellschaft wechseln? Die Zeichnung auf dem Heft-Umschlage mußten wir aus praktischen äußeren Gründen neu herstellen lassen.

G. H. in L. Einfach blühende Georginen oder Dahlien eine verhältnißmäßig neue Gruppe jener Pflanzengattung, welche trotz unaufhörlicher Vervollkommnung den Höhepunkt ihrer Beliebtheit bereits überschritten hat, eine Gruppe, welche sich durch den Glanz der Farben ihrer Blumen und die Grazie ihres Baues ganz entschieden vor der mit gefüllten Blumen auszeichnet. Sie darf mit derselben in keiner Weise verglichen oder verwechselt werden und ist derselben auch deshalb vorzuziehen, weil die abgeschnittenen Blumen besser zu allen „Bindereien“, namentlich aber beim eleganten und graziösen, leicht gebundenen deutschen Blumenstrauß zu verwenden sind, bei dem jede einzelne Blume mit ihrem langen, bis in’s Wasser reichenden Stiele voll zur Geltung kommt. – Die Cultur unserer Gruppe, von der die Firma Ferd. Jühlke Nachfolger in Erfurte in Reiches Sortiment besitzt, in genau dieselbe wie die der gefüllten Varietäten; die Engländer empfehlen jedoch, sie über Sommer in Töpfen zu lassen, sie mit diesen im Freien einzusenken, im Herbste aber sie gleichzeitig mit den Herbstastern (Chrysanthemum), bevor der Frost sie zerstört, in’s Kalthaus zu bringen, um sie zu den Herbst- und frühen Winterdecorationen verwenden zu können. Im andern Falle empfehlen wir, sie im Freien zienlich tief zu pflanzen, die jungen aufwachsenden Triebe aber vorsichtig umzulegen, wonach sie Seitenzweige treiben, niedrig bleiben und die unschönen Pfähle entbehren können. O. H.     

Ein Abonnent im Harlinger Land. Das betreffende Bild ist vom Maler längst verkauft worden, der Künstler ist aber erbötig, dasselbe zum Preise von 1500 Mark noch einmal zu malen. Wollwn Sie sich direkt an ihn wenden, so adressiren Sie den Brief nach München, Gabelsberger-Straße 32.

H. K. in Leipzig. Die Biographie Karl von Piloty’s finden Sie im Jahrgang 1880 unseres Blattes, S. 648, diejenige Paul Thumann’s im Jahrgang 1875, S. 220. Adolf Menzel’s Biographie hat die „Gartenlaube“ gleichfalls veröffentlicht und zwar im Jahrgang 1874, S. 271.

Herrn Dr. von R. in Hagenau. Zu beziehen durch Weibezahl und Schneider in Dresden.

von Ue....tz in Breslau. Nein!


Inhalt: An die alten und neuen Freunde der „Gartenlaube“. S. 209. - Ein armes Mädchen. Von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 210. – Monte Carlo. Eine Schlange unter Rosen. Von Woldemar Kaden. S. 214. Mit Illustrationen S. 212 und 213. – Bilder aus dem Sudan. S. 216. Mit Abbildungen S. 216, 217 und 221. – Dschapei. Eine Hochlandsgeschichte. Von Ludwig Ganghofer (Schluß). S. 218. Mit Illustrationen S. 219, 220 und 222. – Gedankenlesen, Gedankenmittheilung, Hellseherei. Von Hugo Klein. S. 222. – Blätter und Blüthen: Erzählungen von Ludwig Ganghofer. – Bilder aus dem Soldatenleben. S. 223. – Die deutschen Lehrer in England. – Ein neues Generalstabswerk. – Ein Denkmal für die Gebrüder Grimm. – Allerlei Kurzweil: Die Fahne. – Königszug. – Die Halskette. – Kleiner Briefkasten. S. 224.



Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart.0 Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Pseudonym von Emmanuel-Arthur Bucheron (1834–1902)
  2. Vorlage: eine