Zum Inhalt springen

Die Gartenlaube (1890)/Heft 1

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
>>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1890
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[1]

Halbheft 1.   1890.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1890.      Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.


Flammenzeichen.
Roman von E. Werner.

Durch die grauen Nebel des Herbstmorgens zog ein Schwarm von Wandervögeln. Wie zum Abschiedsgruße strichen sie noch einmal dicht über die Wipfel der heimischen Föhrenwälder hin, dann hoben sie sich hoch empor, wandten ihren Flug dem Süden zu und verschwanden langsam in der umschleierten Ferne.

Aus einem der Fenster des mächtigen schloßartigen Gebäudes, das am Rande der Forsten lag, blickte ein Paar Augen jenem Fluge nach, die ernsten, düstern Augen eines Mannes, der im Gespräche mit einem andern Herrn am Fenster stand. Es war eine hohe, markige Gestalt, mit nicht schönen, aber ausdrucksvollen Zügen, blond und blauäugig, eine echt germanische Erscheinung; aber es lag etwas wie ein Schatten auf diesen Zügen, und die hohe Stirn war tiefer gefurcht, als es die Jahre des Mannes mit sich brachten, dessen straffe Haltung auch ohne die Uniform, die er trug, den Soldaten verrathen hätte.

„Da ziehen schon die Wandervögel!“ sagte er, auf den Schwarm deutend, der immer weiter und weiter entschwand und sich endlich in den Nebelwolken verlor. „Der Herbst ist da, in der Natur – und wohl auch in unserem Leben!“

„In dem Deinigen doch nicht!“ warf sein Gefährte ein. „Du stehst ja erst in der Mittagshöhe dieses Lebens, in der vollsten Manneskraft.“


Guten Morgen!
Nach einem Gemälde von Hugo Oehmichen.
Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.


„Den Jahren nach allerdings, aber ich habe ein Gefühl, als würde mir das Alter früher nahen als jedem andern. Mir ist oft recht herbstlich zu Muthe.“

Der andere Herr, der einige Jahre älter sein mochte, eine schmächtige, mittelgroße Gestalt in Civilkleidung, schüttelte unmuthig den Kopf. Er sah auf den ersten Blick fast unbedeutend aus neben der kraftvollen Erscheinung des Offiziers, aber das blasse, scharfgezeichnete Gesicht hatte einen Ausdruck kalter, überlegener Ruhe, und der sarkastische Zug um die schmalen Lippen verrieth, daß sich hinter der kühlen Vornehmheit, die sich in der Haltung und dem ganzen Wesen aussprach, wohl noch etwas anderes, Bedeutenderes barg.

„Du nimmst das Leben zu schwer, Falkenried,“ sagte er tadelnd. „Du hast Dich überhaupt seltsam verändert in den letzten Jahren. Wer Dich einst als jungen, lebensfrohen Offizier gesehen hat, würde Dich jetzt nicht wiedererkennen. Und weshalb das alles? Der Schatten, der einst Dein Leben verdüsterte, ist ja längst geschwunden. Du bist Soldat mit Leib und Seele, wirst bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet, eine bedeutende Stellung ist Dir für die Zukunft gewiß, und was die Hauptsache ist – Du hast Deinen Sohn behalten.“

Falkenried antwortete nicht, er kreuzte die Arme [2] und blickte wieder in die Ferne hinaus, während der andere fortfuhr: „Der Junge ist bildschön geworden in den letzten Jahren. Ich war ganz überrascht, als ich ihn wiedersah, und Du gestehst ja selbst zu, daß er ungewöhnlich begabt und in manchen Dingen geradezu genial beanlagt ist.“

„Ich wollte, Hartmut hätte weniger Anlagen und mehr Charakter,“ sagte Falkenried in einem beinahe herben Tone. „Verse kann er schmieden und die Sprachen lernt er spielend, aber sobald es sich um eine ernste Wissenschaft handelt, bleibt er hinter all den anderen zurück, und in der Strategie ist nun vollends nichts mit ihm anzufangen. Du ahnst es nicht, Wallmoden, mit welcher eisernen Strenge ich da fortwährend eingreifen muß.“

„Ich fürchte nur, Du richtest nicht viel aus mit dieser Strenge,“ warf Wallmoden ein. „Du hättest meinem Rathe folgen und Deinen Sohn studieren lassen sollen. Zum Soldaten taugt er nun einmal nicht, das mußt Du doch endlich einsehen.“

„Er soll und muß aber dafür taugen! Es ist die einzig mögliche Laufbahn für seine unbändige Natur, die sich gegen jeden Zügel aufbäumt und jede Pflicht als einen Zwang empfindet. Die Universität, das Studentenleben würde ihn der vollsten Zügellosigkeit überantworten, nur die eiserne Disciplin, der er sich im Dienste beugen muß, zwingt ihn.“

„Für jetzt noch – ob sie ihn aber auf die Dauer zu zwingen vermag? Du solltest Dich nicht darüber täuschen, das sind leider ererbte Anlagen, die sich wohl unterdrücken, aber nicht ausrotten lassen. Hartmut ist ja auch äußerlich das Ebenbild seiner Mutter, er hat ihre Züge, ihre Augen.“

„Ja wohl!“ sagte Falkenried düster. „Ihre dunklen, dämonischen Gluthaugen, die alles zu bannen wußten.“

„Und Dir zum Verderben wurden!“ ergänzte Wallmoden. „Wie habe ich damals gewarnt und abgemahnt; aber Du hörtest ja auf nichts mehr. Diese Leidenschaft hatte Dich wie ein Fieber gepackt und Dein ganzes Wesen in Fesseln geschlagen – ich habe das nie begreifen können.“

Um die Lippen Falkenrieds zuckte ein bitteres Lächeln.

„Das glaube ich. Du, der kühle, berechnende Diplomat, der jeden Schritt erst sorgfältig abwägt, bist gefeit gegen solche Bezauberungen.“

„Wenigstens würde ich bei meiner Wahl vorsichtiger sein. Deine Ehe trug von Anfang an das Unglück in sich. Eine Frau aus fremdem Stamme und fremdem Blute, eine wilde, leidenschaftliche Slavennatur, ohne Charakter, ohne Verständniß für das, was uns hier Sitte und Pflicht heißt, und Du mit Deinen starren Grundsätzen, Deinem reizbaren Ehrgefühl – das mußte ja schließlich zu einem solchen Ende führen! Und ich glaube, Du liebtest sie trotz alledem bis zu der Trennung.“

„Nein,“ sagte Falkenried hart. „Der Rausch verflog schon im ersten Jahre, ich sah nur zu klar, aber ich schauderte zurück vor dem Gedanken, mein häusliches Elend durch einen Scheidungsprozeß der Welt preiszugeben. Ich trug es, bis mir keine Wahl mehr blieb, bis ich endlich – genug davon!“

Er wandte sich kurz ab und schaute wieder zum Fenster hinaus; aber es lag eine mühsam verhaltene Qual in diesem jähen Abbrechen.

„Ja, es gehörte viel dazu, eine Natur wie die Deinige aus allen Fugen zu reißen,“ sagte Wallmoden ernst. „Aber die Scheidung machte Dich doch frei von der unseligen Kette, und damit hättest Du auch die Erinnerung daran begraben sollen.“

Falkenried schüttelte finster den Kopf. „Solche Erinnerungen begräbt man nicht, sie erstehen immer wieder aus der vermeinten Gruft, und gerade jetzt –“ er brach plötzlich ab.

„Gerade jetzt – was meinst Du.“

„Nichts – laß uns von anderen Dingen reden! Du bist also seit vorgestern in Burgsdorf; wie lange denkst Du zu bleiben?“

„Etwa vierzehn Tage, ich habe nicht viel Zeit zur Verfügung und bin eigentlich nur dem Namen nach Willibalds Vormund, da der diplomatische Dienst mich meist im Auslande festhält. Die Vormundschaft ruht tatsächlich in den Händen meiner Schwester, die ja überhaupt alles regiert.“

„Ja, Regine ist ihrer Stellung gewachsen,“ stimmte Falkenried bei. „Sie regiert das große Gut und die zahlreichen Leute wie ein Mann.“

„Und kommandirt wie ein Wachtmeister vom Morgen bis zum Abend,“ ergänzte Wallmoden. „Bei aller Anerkennung ihrer vortrefflichen Eigenschaften fühle ich doch immer ein gelindes Haarsträuben, wenn es sich um einen Besuch in Burgsdorf handelt, und komme regelmäßig mit angegriffenen Nerven zurück. Es herrschen dort wirklich noch förmliche Urzustände, und Willibald ist nun vollends ein junger Bär; dabei natürlich das Ideal seiner Mutter, die das möglichste thut, ihn zu einem derben Krautjunker zu erziehen. Da hilft kein Einreden, und übrigens hat er auch alle Anlage dazu.“

Sie wurden durch einen Diener unterbrochen, der in diesem Augenblicke eintrat und eine Karte überreichte. Falkenried warf einen flüchtigen Blick darauf.

„Rechtsanwalt Egern? Es ist gut, lassen Sie den Herrn eintreten.“

„Du hast Geschäftliches vor?“ fragte Wallmoden, sich erhebend. „Dann will ich nicht stören.“

„Im Gegentheil, ich bitte Dich, zu bleiben. Der Besuch ist mir bereits angekündigt und ich weiß, was dabei zur Sprache kommen wird. Es handelt sich –“

Er vollendete nicht, denn die Thür öffnete sich bereits und der Gemeldete trat ein. Er schien überrascht, den Offizier nicht allein zu finden, wie er wohl erwartet hatte, aber dieser nahm keine Notiz von seinem sichtbaren Befremden.

„Herr Rechtsanwalt Egern – Herr Botschaftssekretär von Wallmoden,“ stellte er vor. Der Jurist verneigte sich mit kühler Höflichkeit und nahm den angebotenen Platz ein.

„Ich habe wohl noch die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein, Herr Major,“ begann er. „Als Vertreter Ihrer Frau Gemahlin in dem damaligen Scheidungsprozesse hatte ich bisweilen Veranlassung, mit Ihnen persönlich zu verkehren.“

Er hielt inne und schien eine Antwort zu erwarten; aber Major Falkenried neigte nur stumm bejahend das Haupt. Wallmoden dagegen wurde aufmerksam, jetzt konnte er sich die seltsam gereizte Stimmung erklären, in der er den Freund schon bei seiner Ankunft gefunden hatte.

„Ich komme auch heute im Namen meiner damaligen Klientin,“ fuhr der Rechtsanwalt fort. „Sie hat mich beauftragt – darf ich hier frei sprechen.“

Er warf einen Blick auf den Botschaftssekretär, aber Falkenried sagte kurz: „Herr von Wallmoden ist mein Freund und als solcher eingeweiht in die Sache. Ich bitte, ganz rückhaltlos zu sprechen.“

„Nun wohl, die Dame ist nach langjähriger Abwesenheit nach Deutschland zurückgekehrt und wünscht selbstverständlich ihren Sohn wiederzusehen. Sie hat sich deswegen schon brieflich an Sie gewandt, aber keine Antwort erhalten.“

„Ich dächte, das wäre Antwort genug. Ich wünsche diese Zusammenkunft nicht, also werde ich sie auch nicht gestatten.“

„Das klingt sehr schroff, Herr Major, Frau von Falkenried hat jedenfalls –“

„Frau Zalika Rojanow wollen Sie sagen,“ unterbrach ihn der Major. „So viel ich weiß, hat sie ihren Geburtsnamen wieder angenommen, als sie in ihre Heimath zurückkehrte.“

„Der Name thut hier wohl nichts zur Sache,“ entgegnete der Rechtsanwalt gelassen. „Es handelt sich einzig und allein um den durchaus berechtigten Wunsch einer Mutter, den der Vater nicht versagen kann und darf, selbst wenn ihm wie in diesem Falle sein Sohn unbedingt zugesprochen wurde.“

„Nicht darf? Und wenn er es dennoch thut?“

„So überschreitet er die Grenzen seines Rechts. Ich möchte Sie doch bitten, Herr Major, die Sache ruhig zu erwägen, ehe Sie ein so entschiedenes Nein sprechen. Die Mutterrechte einer Frau vermag kein Richterspruch so völlig aufzuheben, daß man ihr sogar das Wiedersehen mit ihrem einzigen Kinde versagen darf. In diesem Falle steht meiner Klientin das Gesetz zur Seite, und sie wird es geltend machen, wenn meine Forderung abgewiesen werden sollte wie ihre schriftliche Bitte.“

„So mag sie es versuchen, ich werde es darauf ankommen lassen. Mein Sohn weiß nicht, daß seine Mutter noch am Leben ist, und soll es auch vorläufig nicht erfahren. Ich will nicht, daß er sie sieht und spricht, und ich werde es zu verhindern wissen. Mein Nein bleibt unter allen Umständen bestehen.“

Diese Erklärung ließ an Energie nichts zu wünschen übrig; aber auf Falkenrieds Zügen lag eine fahle Blässe und seine Stimme klang dumpf und drohend. Man sah es, wie furchtbar die Unterredung ihn erregte, er zwang sich nur gewaltsam zur äußeren Ruhe. Der Rechtsanwalt schien auch die Nutzlosigkeit weiterer Bemühungen einzusehen, er zuckte nur die Achseln.

[3] „Wenn dies Ihr letztes Wort ist, so ist mein Auftrag allerdings zu Ende und wir müssen uns die weiteren Schritte vorbehalten. Ich bedaure, Sie belästigt zu haben, Herr Major.“

Er empfahl sich mit derselben kühlen Artigkeit wie beim Eintritt. Als sich die Thür hinter ihm schloß, sprang Falkenried auf und begann stürmisch im Zimmer auf und nieder zu schreiten; einige Minuten lang herrschte ein drückendes Schweigen, dann sagte Wallmoden halblaut: „Das hättest Du nicht thun sollen! Zalika wird sich schwerlich Deinem Nein fügen, sie führte ja schon damals einen Kampf auf Leben und Tod um ihr Kind!“

„Aber ich blieb Sieger – sie hat das hoffentlich nicht vergessen.“

„Damals handelte es sich um den Besitz des Knaben,“ warf der Botschaftssekretär ein, „jetzt verlangt die Mutter nur, ihn wiederzusehen, und Du wirst ihr das nicht verweigern können, wenn sie es mit Entschiedenheit fordert.“

Der Major blieb plötzlich stehen, aber aus seiner Stimme klang unverschleierte Verachtung, als er entgegnete:

„Das wagt sie nicht nach dem, was geschehen ist; Zalika hat mich kennen gelernt in unserer Trennungsstunde, sie wird sich hüten, mich ein zweites Mal zum Aeußersten zu treiben.“

„Aber sie wird vielleicht versuchen, heimlich zu erreichen, was Du ihr offen weigerst.“

„Das ist unmöglich, die Disciplin unserer Anstalt ist zu streng, es kann hier keine Verbindung angeknüpft werden, von der ich nicht auf der Stelle erfahre.“

Wallmoden schien diese Zuversicht nicht zu theilen, er schüttelte zweifelnd den Kopf.

„Offen gestanden, ich halte es für einen Mißgriff, daß Du Deinem Sohn mit solcher Hartnäckigkeit verschweigst, daß seine Mutter noch am Leben ist. Wenn er es nun von anderer Seite erfährt, was dann? Und einmal mußt Du es ihm ja doch sagen!“

„Vielleicht in zwei Jahren, wenn er selbständig in das Leben tritt. Jetzt ist er noch ein Schüler, ein halber Knabe, jetzt kann ich ihm das Drama, das einst in seinem Elternhause spielte, noch nicht entschleiern – ich kann nicht!“

„So sei wenigstens auf Deiner Hut, Du kennst ja Deine ehemalige Gattin und weißt, was von ihr zu erwarten ist. Ich fürchte, für diese Frau giebt es keine Unmöglichkeiten.“

„Ja, ich kenne sie,“ sagte Falkenried mit grenzenloser Bitterkeit, „und eben deshalb will ich meinen Sohn vor ihr schützen, um jeden Preis. Er soll nicht den Gifthauch ihrer Nähe athmen, selbst auf Stunden nicht. Sei ohne Sorge, ich unterschätze die Gefahr von Zalikas Rückkehr nicht, aber so lange Hartmut an meiner Seite bleibt, ist er sicher vor ihr, denn mir naht sie nicht wieder, darauf gebe ich Dir mein Wort.“

„Wir wollen es hoffen,“ entgegnete Wallmoden, indem er aufstand und ihm zum Abschiede die Hand reichte. „Aber vergiß nicht, daß die schlimmste Gefahr in Deinem Hartmut selbst liegt, er ist in jedem Zuge der Sohn seiner Mutter! – Du kommst ja übermorgen mit ihm nach Burgsdorf, wie ich höre?“

„Ja, er bringt die kurzen Herbstferien stets bei Willibald zu. Ich selbst werde wohl nur einen Tag bleiben können, aber ich komme jedenfalls mit. Auf Wiedersehen also!“

Der Botschaftssekretär ging und Falkenried trat wieder an das Fenster, aber er blickte nur flüchtig dem Freunde nach, der noch einmal heraufgrüßte, dann verlor sein Blick sich wieder mit der alten Düsterheit in den grauen Nebelwolken.

„Der Sohn seiner Mutter.“ Das Wort klang ihm noch in den Ohren, aber das brauchte ihm freilich nicht erst ein anderer zu sagen, er wußte es längst und das war es ja, was seine Stirn so tief furchte und ihm diesen schweren Seufzer erpreßte. Er war der Mann, jeder äußeren Gefahr die Stirn zu bieten; gegen diese unselige Erbschaft des Blutes bei seinem einzigen Kinde hatte er seit Jahren mit all seiner Energie, aber vergebens, gekämpft.




„Jetzt bitte ich mir aber ernstlich aus, daß der Unfug ein Ende nimmt, denn jetzt reißt mir endlich die Geduld! Das ist ja eine heillose Wirthschaft seit drei Tagen. es ist wahrhaftig, als ob ganz Burgsdorf verhext wäre. Der Hartmut steckt voll Tollheiten vom Kopf bis zu den Füßen. Wenn er einmal los ist von dem Zügel, den sein Herr Papa allerdings straff genug hält, dann ist auch kein Auskommen mehr mit ihm, und Du gehst natürlich mit durch Dick und Dünn und machst gehorsam alles nach, was Dein Herr und Meister angiebt – Ihr seid mir ein schönes Gespann!“

Diese Strafpredigt, die in sehr lautem Tone gehalten wurde, kam aus dem Munde der Frau von Eschenhagen auf Burgsdorf, die mit ihrem Sohne und ihrem Bruder beim Frühstück saß. Das große Eßzimmer lag im Erdgeschoß des alten Herrenhauses und war ein ziemlich schmuckloser Raum, dessen Glasthüren auf eine breite steinerne Terrasse und von dort in den Garten führten. An den hellgetünchten Wänden hing eine Anzahl von Hirschgeweihen, die von der Nimrodsthätigkeit des verstorbenen Besitzers Zeugniß ablegten, aber auch die einzige Zierde des Gemaches waren. Ein Dutzend hochlehnige Stühle, die steif und reihenweise geordnet wie Grenadiere dastanden, ein schwerer Eßtisch und zwei alterthümliche Schränke bildeten die ganze Einrichtung, der man es ansah, daß sie schon mehreren Generationen gedient hatte. Luxusgegenstände wie Tapeten, Teppiche und Gemälde gab es hier nicht, man begnügte sich augenscheinlich mit dem Ererbten, Althergebrachten, obgleich Burgsdorf eins der reichsten Güter der Gegend war.

Das Aeußere der Gutsherrin entsprach vollkommen dieser Umgebung. Sie mochte etwa vierzig Jahr alt sein, eine große kraftvolle Gestalt, mit blühender Gesichtsfarbe und derben, festen Zügen, die niemals schön gewesen sein konnten, aber dafür um so energischer waren. Dem scharfen Blick der grauen Augen entging nicht leicht etwas, das dunkle Haar war glatt zurückgestrichen, der Anzug derb und einfach, und den Händen sah man es an, daß sie zuzugreifen verstanden. Die Anmuth fehlte allerdings gänzlich bei dieser urkräftigen Erscheinung, die in Haltung und Auftreten etwas durchaus Männliches hatte.

Der Erbe und künftige Majoratsherr von Burgsdorf, der in dieser Weise abgekanzelt wurde, saß seiner Mutter gegenüber und hörte pflichtschuldigst zu, während er eine sehr bedeutende Portion Schinken und verschiedene Eier zu sich nahm. Es war ein hübscher, frischer Junge von etwa siebzehn Jahren, dessen Aeußeres zwar keinen hervorragenden Verstand, aber eine desto größere Gutmüthigkeit verrieth. Sein sonnenverbranntes Gesicht strotzte ebenfalls von blühender Gesundheit, sonst aber zeigte es nur wenig Aehnlichkeit mit dem der Mutter. Es fehlte der energische Zug darin und auch die blauen Augen und blonden Haare stammten nicht von ihr, sie mochten wohl ein Erbtheil des Vaters sein. Mit seinen mächtigen, aber noch sehr ungelenken Gliedern sah er aus wie ein junger Hüne und bildete den vollsten Gegensatz zu der schmächtigen, aber vornehmen Erscheinung seines Onkels Wallmoden, der neben ihm saß und jetzt mit einer leichten Beimischung von Spott sagte: „Du darfst Willibald wirklich nicht mit verantwortlich machen für all den Uebermuth und die Tollheiten, er ist ja das Muster eines wohlerzogenen Sohnes.“

„Ich wollte ihm auch nicht rathen, etwas anderes zu sein, bei mir heißt es Ordre pariren!“ rief Frau von Eschenhagen und schlug dabei nachdrücklichst auf den Tisch, so daß ihr Bruder nervös zusammenzuckte.

„Das lernt man allerdings unter Deinem Regiment,“ entgegnete er. „Ich möchte Dir aber doch rathen, liebe Regine, etwas mehr für die geistige Ausbildung Deines Sohnes zu thun. Ich zweifle nicht, daß er unter Deiner Leitung zum vortrefflichen Landwirth heranwächst, aber zur Erziehung eines künftigen Gutsherrn gehört doch etwas mehr, und den Hauslehrern ist Willibald nun nachgerade entwachsen; es wäre also wohl Zeit, ihn fortzuschicken.“

„Fortzu –?“ Frau Regine legte in maßlosem Erstaunen Messer und Gabel nieder. „Fortzuschicken?“ wiederholte sie entrüstet, „aber in des Kuckucks Namen, wohin denn?“

„Nun, auf die Universität und später auf Reisen, damit er doch etwas von der Welt und den Menschen kennen lernt.“

„Und damit er mir in dieser Welt und unter diesen Menschen gründlich verdorben wird! Nein, Herbert, daraus wird nichts, das sage ich Dir von vornherein. Ich habe meinen Jungen in Ehrbarkeit und Gottesfurcht erzogen und denke nicht daran, ihn in dies Sodom und Gomorrha hinauszulassen, dem der liebe Herrgott in seiner Langmuth immer noch den hundertfach verdienten Schwefelregen erspart.“

„Du kennst dies Sodom und Gomorrha ja nur vom Hörensagen, Regine,“ warf Herbert sarkastisch ein. „Du hast seit Deiner Vermählung in Burgsdorf gelebt, Dein Sohn aber soll dereinst als Mann in das Leben treten, das mußt Du doch selbst einsehen.“

„Gar nichts sehe ich ein,“ erklärte Frau von Eschenhagen hartnäckig. „Willy soll ein tüchtiger Landwirth werden, dazu taugt er und dazu braucht er keinen Gelehrtenkram! Oder willst

[4]

Karneval im Institut.
Nach einem Gemälde von Josef Weiser.

[5] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [6] Du ihn vielleicht in die Schule nehmen und einen Diplomaten aus ihm machen? Das wäre ein Hauptspaß!“

Sie begann überlaut zu lachen, und Willy, dem diese Voraussetzung ebenso komisch erschien, stimmte in der gleichen Tonart ein. Herr von Wallmoden betheiligte sich nicht an diesem dröhnenden Ausbruch von Heiterkeit, der ihm wieder auf die Nerven zu fallen schien, er zuckte nur die Achseln.

„Das beabsichtige ich in der That nicht, es würde auch wohl vergebliche Mühe sein. Aber ich und Willibald sind jetzt die einzigen Vertreter unserer Familie, und wenn ich wirklich unvermählt bleiben sollte –“

„Sollte? Denkst Du etwa noch daran, auf Deine alten Tage zu heirathen?“ unterbrach ihn seine Schwester in ihrer rücksichtslosen Weise.

„Ich bin fünfundvierzig Jahre, liebe Regine, das pflegt bei einem Manne noch nicht für alt zu gelten,“ sagte Wallmoden etwas verletzt. „Ich halte überhaupt die spät geschlossenen Ehen für die besten, man läßt sich da nicht mehr von der Leidenschaft beeinflussen, wie Falkenried es zu seinem Unglück that, sondern giebt der Vernunft das entscheidende Wort.“

„Gott steh’ mir bei! Soll Willy vielleicht mit dem Heirathen warten, bis er fünfzig Jahre auf dem Rücken und graue Haare auf dem Kopfe hat?“ rief Frau von Eschenhagen entsetzt.

„Nein, denn er hat als einziger Sohn und künftiger Majoratsherr Rücksichten zu nehmen; übrigens kommt es dabei doch auch auf seine persönliche Neigung an. Was meinst Du, Willibald?“

Der junge Majoratsherr, der eben mit seinem Schinken und seinen Eiern fertig geworden war und sich nun mit gesteigertem Appetit an die Wurst machte, war offenbar sehr erstaunt, daß er um seine Meinung gefragt wurde. Das pflegte sonst nie zu geschehen, er verfiel daher in ein tiefes Nachdenken, als dessen Ergebniß er endlich erklärte: „Ja, ich werde wohl auch einmal heirathen müssen, aber die Mama wird mir schon eine Frau aussuchen, wenn es so weit ist.“

„Das wird sie, mein Junge,“ bestätigte Frau von Eschenhagen. „Das ist meine Sache, Du brauchst Dich gar nicht darum zu kümmern, und so lange bleibst Du hier in Burgsdorf, wo ich Dich unter meinen Augen habe. Von der Universität und von Reisen ist nicht die Rede – abgemacht.“

Sie warf einen herausfordernden Blick auf ihren Bruder, aber dieser sah mit einer Art von Entsetzen auf die riesige Wurstportion, die sein Neffe und Mündel nun schon zum zweitenmal auf den Teller häufte.

„Hast Du immer einen so gesegneten Appetit, Willy?“ fragte er.

„Immer!“ versicherte Willy mit Selbstgefühl und nahm sich noch ein großes Butterbrot.

„Ja, wir leiden hier Gott sei Dank nicht an Magenbeschwerden,“ sagte Frau Regine etwas anzüglich, „aber wir verdienen uns auch rechtschaffen unser Brot. Erst beten und arbeiten und dann essen und trinken, aber gründlich, das hält Leib und Seele zusammen. Sieh Dir den Willy an, wie der dabei gerathen ist, ich meine, der kann sich sehen lassen!“

Sie schlug ihrem Bruder freundschaftlich auf die Schulter bei den letzten Worten, aber diese Freundschaftsbezeigung war so herzhafter Natur, daß Wallmoden schleunigst seinen Stuhl seitwärts rückte und sich aus dem Bereich der schwesterlichen Nähe brachte. Sein Gesicht verrieth deutlich, daß er wieder einmal ein „gelindes Haarsträuben“ empfand. Er gab es diesen urwüchsigen Verhältnissen gegenüber auf, die Vormundschaftsrechte geltend zu machen, die er ja überhaupt nur dem Namen nach ausübte. Willy dagegen fand offenbar auch, daß er außerordentlich gut gerathen sei, und sah sehr vergnügt aus bei diesem Lobe seiner Mutter, die jetzt ärgerlich fortfuhr:

„Und Hartmut ist wieder einmal nicht zum Frühstück gekommen! Er scheint sich hier in Burgsdorf alle möglichen Unpünktlichkeiten zu erlauben, aber ich werde mir den jungen Herrn ernstlich vornehmen, wenn er kommt, und ihm klar machen –“

„Da ist er schon!“ klang eine Stimme vom Garten her. In den hellen Sonnenschein, der durch das offene Fenster hereinfluthete, fiel ein Schatten und in dem Rahmen dieses Fensters erschien urplötzlich eine schlanke jugendliche Gestalt, die sich von draußen auf die Brüstung schwang.

„Junge, bist Du denn ganz des Kuckucks, daß Du nun gar zum Fenster hereinkommst?“ rief Frau von Eschenhagen entrüstet. „Wofür sind die Thüren da?“

„Für Willy und die anderen wohlerzogenen Menschen,“ lachte der Eindringling im vollsten Uebermuth. „Ich gehe immer den nächsten Weg und der führte diesmal gerade durchs Fenster.“ Damit sprang er mit einem Satze von der ziemlich hohen Brüstung mitten in das Zimmer hinein.

Hartmut Falkenried stand, wie der junge Majoratsherr von Burgsdorf, auf der Grenze zwischen Knabe und Jüngling, aber es bedurfte nur eines Blickes, um zu erkennen, daß er seinem gleichalterigen Gefährten in jeder Hinsicht überlegen war. Er trug die Uniform eines Kadetten und sie kleidete ihn sehr vortheilhaft, aber dennoch lag etwas in der ganzen Erscheinung, was dem strengen militärischen Zuschnitt zu widerstreben schien. Der schlanke hochgewachsene Knabe war ein wahres Bild von Jugend und Schönheit, doch diese Schönheit hatte etwas Fremdartiges, die Bewegungen und das ganze Auftreten etwas Wildes, Unbändiges und kein einziger Zug erinnerte an die markige Soldatengestalt, an die ernste Ruhe des Vaters. Dichtes üppiges Lockenhaar fiel auf eine hohe Stirn und das tiefe, bläuliche Schwarz dieser Locken, die warme dunkle Färbung der Haut deuteten mehr auf einen Sohn des Südens als auf die deutsche Abkunft. Auch die Augen, die in dem jugendlichen Antlitz flammten, gehörten nicht dem kühlen, ernsten Norden an, es waren räthselvolle Augen, dunkel wie die Nacht und doch voll heißen, leidenschaftlichen Feuers. So schön sie waren, es barg sich etwas darin, was beinahe unheimlich berührte, und so übermüthig das Lachen klang, mit dem Hartmut jetzt von einem der Anwesenden zum andern blickte, ein frohes herzliches Knabenlachen war es nicht.

„Du führst Dich ja in einer recht zwanglosen Art ein,“ sagte Wallmoden scharf. „Du scheinst es Dir zu Nutze zu machen, daß man in Burgsdorf nicht viel auf Etikette hält, ich glaube aber nicht, daß Dein Vater Dir einen solchen Eintritt in das Speisezimmer gestatten würde.“

„Bei dem untersteht er sich auch dergleichen nicht,“ sagte Frau von Eschenhagen, die zum Glück den Stich nicht fühlte, der auch für sie in der Bemerkung ihres Bruders lag. „Also jetzt kommst Du endlich, Hartmut, wo wir mit dem Frühstück fertig sind? Aber Nachzügler bekommen nichts zu essen, das weißt Du doch.“

„Ja, das weiß ich,“ versetzte Hartmut ganz unbekümmert, „und deshalb habe ich mir bereits von der Wirthschafterin ein Frühstück geben lassen. Aushungern kannst Du mich nicht, Tante Regine, dazu stehe ich auf viel zu gutem Fuße mit all Deinen Leuten.“

„So, und deshalb glaubst Du, Dir ungestraft alles erlauben zu dürfen!“ rief die Gutsherrin zornig. „Die Hausordnung brechen, keinen Menschen und kein Ding in Ruhe lassen und ganz Burgsdorf auf den Kopf stellen – das Handwerk wollen wir Dir doch legen, mein Junge. Morgen schicke ich einen Boten zu Deinem Vater hinüber und lasse ihn bitten, seinen Herrn Sohn, dem nun einmal keine Pünktlichkeit und kein Gehorsam beizubringen ist, gefälligst wieder abzuholen.“

Die Drohung wirkte. Der Uebermüthige erschrak und fand es für gut, einzulenken.

„Aber das ist ja alles nur Scherz und Neckerei, soll ich denn die kurze Ferienzeit nicht ausnützen –“

„Mit allerlei Dummheiten?“ fiel Frau von Eschenhagen ein. „Willy hat in seinem ganzen Leben nicht so viel Unsinn angerichtet, wie Du in diesen letzten drei Tagen, und schließlich verdirbst Du ihn mir mit Deinem schlimmen Beispiel und stiftest ihn gleichfalls zur Unbotmäßigkeit an.“

„O, Willy ist gar nicht zu verderben, bei dem ist alle Mühe umsonst,“ gestand Hartmut sehr offenherzig.

Der junge Majoratsherr sah allerdings nicht aus, als sei er zur Unbotmäßigkeit geneigt, er vollendete, unbekümmert um all diese Verhandlungen, in vollster Seelenruhe sein Frühstück, indem er sich nach dem letzten Butterbrote noch ein allerletztes nahm; seine Mutter aber war höchlich aufgebracht über diese Bemerkung.

„Das thut Dir wohl außerordentlich leid?“ rief sie. „Deine Schuld ist es freilich nicht, Du hast Dir Mühe genug gegeben, ihn zu verderben also es bleibt dabei, ich schreibe morgen Deinem Vater –“

[7] „Daß er mich abholen soll? Das thust Du nicht, Tante Regine, dazu bist Du viel zu gut. Du weißt es ja, wie streng der Papa ist, wie hart er strafen kann, Du klagst mich sicher nicht bei ihm an, Du hast es ja noch nie gethan.“

„Junge, laß mich in Ruhe mit Deinem verwünschten Schmeicheln!“ Das Gesicht der Frau Regine war noch sehr grimmig, aber ihre Stimme verrieth schon ein bedenkliches Schwanken und Hartmut wußte seinen Vortheil zu benutzen, er legte mit der ganzen Freiheit eines Knaben den Arm um ihre Schulter.

„Ich glaubte, Du hättest mich ein wenig lieb, Tante Regine, und ich – ich habe mich wochenlang gefreut auf die Fahrt nach Burgsdorf, ich habe mich krank gesehnt nach Wald und See, nach den grünen Wiesen und dem weiten blauen Himmel. Ich bin so glücklich hier gewesen – aber freilich, wenn Du mich nicht haben willst, dann gehe ich auf der Stelle. Du brauchst mich nicht erst fortzuschicken.“

Seine Stimme war zu einem weichen, schmeichelnden Flüstern herabgesunken, während die großen, dunklen Augen nur zu beredt die Worte unterstützten. Sie konnten noch heißer bitten als die Lippen und sie schienen in der That eine eigenthümliche Macht auszuüben – Frau von Eschenhagen, die ihrem Willy und ganz Burgsdorf gegenüber die unbeugsame Selbstherrscherin war, sie ließ sich hier zur Nachgiebigkeit bewegen.

„Nun, so bessere Dich, Du Eulenspiegel!“ sagte sie, ihm mit der Hand in die dichten Locken fahrend. „Und was das Fortschicken betrifft, so weißt Du es leider nur zu gut, daß Willy und alle meine Leute einen förmlichen Narren an Dir gefressen haben – und ich dazu!“

Hartmut jubelte laut auf bei den letzten Worten und küßte ihr mit ungestümer Dankbarkeit die Hand, dann wandte er sich zu seinem Freunde, der nun glücklich auch das allerletzte Butterbrot bewältigt hatte und in stiller Verwunderung die Scene mit ansah.

„Bist Du nun endlich mit Deinem Frühstück fertig, Willy? Komm, wir wollen ja nach dem Burgsdorfer Weiher – so sei doch nicht so entsetzlich langsam und bedächtig! Leb’ wohl, Tante Regine, dem Onkel Wallmoden ist es gar nicht recht, daß Du mich begnadigst, ich sehe es. Hurrah, jetzt geht es in den Wald hinaus!“

Und fort stürmte er, über die Terrasse in den Garten hinunter. Es lag eine überschäumende Jugendlust und Jugendkraft in dieser Unbändigkeit, die etwas hinreißend Liebenswürdiges hatte. Der ganze Knabe war Feuer und Leben. Willy trottete wie ein junger Bär ihm nach und schon in den nächsten Minuten verschwanden sie hinter den Bäumen.

„Das kommt und geht wie ein Sturmwind!“ sagte Frau von Eschenhagen ihnen nachblickend. „Der Junge ist nicht zu halten, wenn man ihm einmal den Zügel schießen läßt.“

„Ein gefährlicher Bursche!“ meinte Wallmoden. „Sogar Dich versteht er zu regieren und Du pflegst doch sonst das Regiment allein zu führen. Es ist meines Wissens das erstemal, daß Du Ungehorsam und Unpünktlichkeit verzeihst.“

„Ja, der Hartmut hat etwas an sich, was die Menschen förmlich behext!“ rief Frau Regine, halb ärgerlich über ihre Nachgiebigkeit. „Wenn er einen so anguckt mit den schwarzen Gluthaugen und dazu bettelt und schmeichelt, dann möchte ich den sehen, der ihm nein sagt. Du hast recht, es ist ein gefährlicher Bursche.“

„Jawohl, doch lassen wir jetzt Hartmut beiseite, es handelt sich um die Erziehung Deines eigenen Sohnes. Du bist also wirklich entschlossen –“

„Ihn hier zu behalten. Gieb Dir keine Mühe, Herbert; Du magst ein großmächtiger Diplomat sein und die ganze Politik in der Tasche haben, aber meinen Jungen gebe ich Dir nicht heraus, der gehört mir ganz allein und den behalte ich – Punktum!“

Ein kräftiger Schlag auf den Tisch begleitete dies „Punktum“. Damit stand die regierende Herrin von Burgsdorf auf und ging zur Thür hinaus, ihr Bruder aber zuckte die Achseln und sagte halblaut: „So mag er denn meinetwegen ein Krautjunker werden – es wird wohl auch das beste sein.“ –

Hartmut und Willibald hatten inzwischen den ziemlich umfangreichen Forst erreicht, der zum Gut gehörte. Der Burgsdorfer Weiher, ein einsames, schilfumkränztes Gewässer mitten im Walde, lag in der stillen Vormittagsstunde regungslos und sonnenbeglänzt da. Der junge Majoratsherr hatte sich einen schattigen Platz am Ufer ausgesucht und gab sich mit ebenso viel Ausdauer als Behaglichkeit dem interessanten Geschäft des Angelns hin, während der ungeduldige Hartmut in der Nähe umherstreifte, hier einen Vogel aufjagte, dort Schilf und Blumen abriß und endlich Turnübungen auf einem Baumstamme anstellte, der halb im Wasser lag.

„Kannst Du denn niemals ruhig an einem Orte bleiben, Du verjagst mir ja die Fische.“ sagte Willy mißvergnügt. „Ich habe heute noch gar nichts gefangen.“

„Wie kannst Du nur stundenlang so auf einem Fleck sitzen und auf die dummen Fische warten!“ spottete Hartmut. „Freilich, Du darfst das ganze Jahr durch Wald und Feld streifen, wenn Du Lust dazu hast, Du bist ja frei! frei!“

„Bist Du etwa gefangen?“ fragte Willy. „Du und Deine Kameraden, Ihr seid ja täglich im Freien.“

„Aber nie allein, nie ohne Zwang und Aufsicht. Wir sind ja immer und ewig im Dienst, selbst in den Erholungsstunden. O, wie ich ihn hasse, diesen Dienst und dies ganze Sklavenleben!“

„Aber Hartmut, wenn das Dein Vater hörte!“

„Dann würde er mich wieder strafen wie gewöhnlich. Er hat ja für mich nichts als Strenge und Strafen, meinetwegen – es geht in einem hin!“

Er warf sich der Länge nach ins Gras, aber so herb und übermüthig seine Worte auch klangen, es bebte etwas darin wie eine schmerzliche, leidenschaftliche Klage. Der junge Majoratsherr schüttelte nur bedächtig den Kopf, während er eine neue Lockspeise an seiner Angel befestigte, und einige Minuten lang herrschte vollständiges Schweigen.

Da plötzlich stieß etwas nieder aus der Höhe, dunkel, blitzschnell, das eben noch so regungslose Gewässer spritzte und schäumte auf und im nächsten Augenblick hob sich ein Reiher hoch in die Lüfte empor, die zappelnde, silberglänzende Beute im Schnabel.

„Bravo, das war ein guter Stoß!“ rief Hartmut auffahrend, Willy aber schalt ärgerlich:

„Der verwünschte Räuber plündert uns den ganzen Weiher! Ich werde mit dem Förster sprechen, der soll ihn einmal aufs Korn nehmen.“

„Ein Räuber?“ wiederholte Hartmut, während sein Blick dem Reiher folgte, der jetzt hinter den Baumwipfeln verschwand. „Ja freilich! Aber es muß schön sein, solch ein freies Räuberleben, hoch oben in den Lüften. So aus der Höhe niederfahren wie ein Blitz, die Beute packen, mit sich fortreißen und dann hinauf mit ihr, wo niemand folgen kann, das lohnt die Jagd!“

„Hartmut, ich glaube wahrhaftig, Du hättest Lust zu einem solchen Räuberleben,“ sagte Willy mit dem ganzen Entsetzen eines wohlerzogenen Sohnes über solche Gelüste. Sein Gefährte lachte, aber es war wieder jenes herbe, seltsame Lachen, das so gar nichts Jugendliches hatte.

„Und wenn ich sie hätte, dann würde man sie mir im Kadettenhause schon austreiben! Da ist ja der Gehorsam, die Disziplin das A und O von allem, schließlich lernt man es doch! – Willy, hast Du nie gewünscht, Flügel zu haben?“

„Ich? Flügel?“ fragte Willy, dessen ganze Aufmerksamkeit wieder auf die Angelschnur gerichtet war. „Unsinn! Wer wird sich Unmögliches wünschen!“

„Ich wollte, ich hätte sie!“ rief Hartmut aufflammend. „Ich wollte, ich wäre einer von den Falken, von denen wir den Namen führen. Dann stiege ich hoch empor, in die blaue Luft, immer höher, der Sonne entgegen, und käme nie, niemals wieder zurück!“

„Ich glaube, Du bist verrückt,“ sagte der junge Majoratsherr gleichmüthig. „Aber nun habe ich wieder nichts gefangen, der Fisch will heute durchaus nicht anbeißen, ich muß es einmal an einer andern Stelle versuchen.“

Damit nahm er seine Angelgeräthschaften und ging hinüber nach der andern Seite des Weihers, während Hartmut sich wieder auf den Boden warf. Wer konnte auch von dem braven Willy verlangen, daß er sich mit dem Gedanken an Fliegen abgebe!

Es war einer jener Herbsttage, die für wenige kurze Mittagstunden den Frühling zurück zu zaubern scheinen. Der Sonnenschein war so golden, die Luft so mild, der Wald so frisch und duftig. Auf dem leuchtenden kleinen Gewässer tanzten Tausende von strahlenden Funken und leise und geheimnißvoll flüsterte das Schilf, wenn ein Windhauch darüber hinstrich.

[8] Hartmut lag noch immer regungslos ausgestreckt und schien diesem Wehen und Flüstern zu lauschen. Verschwunden war die wilde Leidenschaftlichkeit, die Flamme, welche fast unheimlich in seinem Auge aufloderte, als er von dem Raubvogel sprach. Jetzt hingen diese Augen träumerisch an der strahlenben Himmelsbläue und es lag etwas wie verzehrende Sehnsucht in denselben.

Da nahten leise Schritte, fast unhörbar auf dem weichen Waldboden, und in den Gebüschen rauschte es, als streife sie ein seidenes Gewand. Jetzt theilten sie sich, eine Frauengestalt glitt lautlos daraus hervor und blieb dann stehen, den Blick unverwandt auf den jungen Träumer gerichtet.

„Hartmut!“

Der Gerufene fuhr auf und sprang dann rasch empor. Er kannte weder die Stimme noch die fremde Erscheinung überhaupt, aber es war eine Dame, er machte ihr mit vollendeter Ritterlichkeit eine Verbeugung.

„Gnädige Frau –?“

Eine schmale, bebende Hand legte sich rasch und verbietend auf seinen Arm.

„Still, nicht so laut! Dein Gefährte könnte uns hören, und ich habe nur mit Dir zu sprechen, Hartmut, mit Dir allein!“

Sie trat wieder zurück und winkte ihm, zu folgen. Hartmut zögerte einen Augenblick. Wie kam diese Fremde, deren Gesicht dicht verschleiert war, die ihrer Kleidung nach aber den vornehmen Ständen angehörte, an den einsamen Waldweiher, und was bedeutete das „Du“ aus ihrem Munde ihm gegenüber, den sie zum erstenmal sah? Aber das Geheimnißvolle dieser Begegnung begann ihn zu reizen, er folgte.

Sie standen jetzt im Schutze des Gebüsches, wo sie von der andern Seite nicht gesehen werden konnten, und langsam schlug die Fremde den Schleier zurück. Sie war nicht mehr ganz jung, eine Frau von einigen dreißig Jahren, aber das Antlitz mit den dunklen, brennenden Augen besaß einen eigenartigen Zauber, und derselbe Reiz lag in ihrer Stimme, die, wenn auch im Flüsterton, doch in weichen, tiefen Lauten klang, mit fremdartiger Betonung, als sei das Deutsch, das sie vollkommen fließend sprach, nicht ihre Muttersprache.

„Hartmut, sieh mich an! Kennst Du mich wirklich nicht mehr? Hast Du keine Erinnerung aus Deiner Kinderzeit bewahrt, die Dir sagt, wer ich bin?“

Der junge Mann schüttelte langsam verneinend den Kopf, und doch tauchte jetzt eine Erinnerung in ihm auf, undeutlich und traumartig, als höre er diese Stimme nicht zum erstenmal, als habe er dies Antlitz schon einmal gesehen in ferner, ferner Zeit. Halb scheu, halb gefesselt stand er da und blickte auf die Fremde, die jetzt plötzlich beide Arme nach ihm ausstreckte.

„Mein Sohn, mein einziges Kind! Kennst Du Deine Mutter nicht mehr?“

Hartmut zuckte zusammen und wich zurück.

„Meine Mutter ist ja todt!“ sagte er halblaut.

Die Fremde lachte bitter auf, seltsam, es klang genau so wie jenes herbe unkindliche Lachen, das vorhin von den Lippen des Knaben gekommen war.

„Das also war es! Man hat mich todt gesagt. Nicht einmal die Erinnerung an die Mutter wollte man Dir lassen. Es ist nicht wahr, Hartmut, ich lebe, ich stehe vor Dir, sieh mich an, sieh meine Züge, die auch die Deinen sind. Das wenigstens hat man Dir nicht nehmen können. Kind meines Herzens, fühlst Du denn nicht, daß Du zu mir gehörst?“

Hartmut stand noch immer regungslos und blickte in das Antlitz, in dem er wie in einem Spiegel das seinige wiederfand. Es waren dieselben Linien, dasselbe üppige, bläulich schwarze Haar, dieselben großen, nachtdunklen Augen; ja selbst jener seltsame dämonische Ausdruck, der in dem Blick der Mutter wie eine Flamme loderte, glühte bereits als Funke in dem Auge des Sohnes. Die Aehnlichkeit schon bezeugte es, daß sie eines Blutes waren, und jetzt wachte die Stimme dieses Blutes auf in dem jungen Manne. Er forderte keine Erklärungen, keine Beweise, die traumartig verworrenen Erinnerungen aus seiner Kinderzeit wurden plötzlich klar, noch ein kurzes, sekundenlanges Zögern, dann warf er sich in die Arme, die sich ihm entgegenstreckten.

„Mutter.“

In dem Ausrufe lag die ganze glühende Innigkeit des Knaben, der nie gewußt hatte, was es heißt, eine Mutter zu besitzen, und der sich doch danach gesehnt hatte mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seiner Natur! Seine Mutter! Jetzt lag er in ihren Armen, jetzt überschüttete sie ihn mit heißen Liebkosungen, mit süßen, zärtlichen Schmeichelnamen, wie er sie nie gehört – es versank ihm alles andere in den Fluthen dieses stürmischen Entzückens.

So vergingen einige Minuten, dann löste sich Hartmut aus den Armen, die ihn noch immer umschlungen hielten.

„Warum bist Du niemals bei mir gewesen, Mama?“ fragte er heftig. „Warum hat man mir gesagt, daß Du todt seiest?“ Zalika trat zurück, in einem Augenblick war all die Zärtlichkeit ausgelöscht in ihren Zügen. es flammte dort auf wie wilder, tödlicher Haß und die Antwort kam fast zischend von ihren Lippen:

„Weil Dein Vater mich haßt, mein Sohn – und weil er mir nicht einmal die Liebe meines einzigen Kindes lassen wollte, als er mich von sich stieß!“

Hartmut schwieg betroffen. Er wußte freilich, daß der Name seiner Mutter nicht genannt werden durfte in Gegenwart des Vaters, daß dieser ihn mit der herbsten Strenge zurückgewiesen hatte, als er es einmal wagte, danach zu fragen, aber er war noch zu sehr Knabe gewesen, um über das „Warum“ nachzugrübeln. Zalika ließ ihm auch jetzt keine Zeit dazu. Sie strich ihm das dichte Lockenhaar von der hohen Stirn, und es flog wie ein Schatten über ihr Gesicht.

„Die Stirn hast Du von ihm!“ sagte sie langsam. „Das ist aber auch das einzige, was an ihn erinnert, alles andere gehört mir, mir allein. Jeder Zug spricht davon, daß Du mein bist – ich wußte es ja!“

Sie schloß ihn von neuem in die Arme und überschüttete ihn mit endlosen Zärtlichkeiten, die Hartmut ebenso leidenschaftlich erwiderte. Es war wie ein Rausch des Glückes, wie eins von den Märchen, die er sich so oft geträumt hatte, und er gab sich fraglos und rückhaltlos diesem Zauber hin.

Da machte sich Willy drüben am andern Ufer bemerklich. Er rief laut nach seinem Freunde und mahnte, daß es Zeit zur Heimkehr sei. Zalika fuhr empor.

„Wir müssen uns trennen! Niemand darf erfahren, daß ich Dich gesehen und gesprochen habe. Vor allem Dein Vater nicht! Wann kehrst Du zu ihm zurück?“

„In acht Tagen.“

„In acht Tagen erst?“ Die Worte klangen fast triumphirend, „und bis dahin sehe ich Dich täglich. Sei morgen um dieselbe Stunde hier am Weiher, Deinen Gefährten hältst Du unter irgend einem Vorwande zurück, damit wir ungestört sind. Du kommst doch, Hartmut?“

„Gewiß, Mutter, aber –“

Sie ließ ihm keine Zeit zu einem Einwurfe, sondern fuhr in demselben leidenschaftlichen Flüstertone fort:

„Vor allen Dingen Schweigen gegen jedermann, wer es auch sei. Vergiß das nicht! Leb’ wohl, mein Kind, mein geliebter einziger Sohn, auf Wiedersehen!“

Noch ein glühender Kuß auf die Stirn Hartmuts, dann tauchte sie wieder in das Gebüsch zurück, so lautlos wie sie gekommen war. Es war die höchste Zeit, gleich darauf erschien Willy, dessen Nahen sich nun allerdings nicht durch Lautlosigkeit auszeichnete, denn er stampfte nachdrücklichst den Rasen mit seinen schweren Tritten.

„Warum giebst Du denn keine Antwort?“ fragte er. „Ich rufe nun schon zum drittenmal, Du warst wohl eingeschlafen? Siehst auch ganz verträumt aus.“

Hartmut stand in der That noch wie betäubt da und blickte auf das Gebüsch, in dem seine Mutter verschwunden war. Jetzt richtete er sich auf und fuhr mit der Hand über die Stirn.

„Ja, ich habe geträumt,“ sagte er langsam. „Einen ganz seltsamen, wunderbaren Traum!“

„Du hättest lieber angeln sollen,“ meinte Willy. „Sieh, welch einen prächtigen Fang ich da drüben gemacht habe. Der Mensch darf nicht am hellen lichten Tage träumen, er muß etwas Ordentliches thun – sagt meine Mutter – und meine Mutter hat immer recht!“

(Fortsetzung folgt.)




[9]
Am Rheinfall bei Schaffhausen.
Von Emil Rittershaus.

Ich saß mit einem schönen Kind
Am See in grüner Lauben;
Ich ließ der Furka rauhen Wind
Um meine Schläfe schnauben.
Ich sah den Aar, der einsam schweift
Um schroffer Felsen Glatzen,
Den Gletscher, der hinuntergreift
Ins Thal mit eis’gen Tatzen. –

Und in der Alpen hehrem Reich,
Wo graue Bäche quellen,
Fühlt’ ich mich einem Sandkorn gleich,
Verweht von Sturm und Wellen.
Wo matt das letzte Grün verdorrt
In ew’gen Winters Walten,
Da sucht das Herz umsonst das Wort
Zum Liede zu gestalten!

Und weiter hab’ den Wanderstab
Gesetzt ich auf der Reise –
Hurrah, da kommt ein wilder Knab’
Vom Schnee und aus dem Eise!
Das ist im Jünglingstrotz der Rhein
Mit Toben und mit Brausen,
Und er versucht sich schon im „Wein“
Im Lande von Schaffhausen!

Doch Lehrlingsarbeit bleibt es noch,
Man kann dabei nicht lachen. –
Getrost! Der wird als Traubenkoch
Sein Meisterstück schon machen!
Im Ranzen trug ich lang mit mir
Ein Fläschlein von dem Besten –
Ein volles Glas! Nun weih’ ich’s dir,
Sohn aus den Eispalästen! –

Beim Feuertrank, so goldig klar,
Da wird es mir zu Sinne,
Als küßte mich das Lippenpaar
Der schönsten Winzerinne!
Da fühl’ ich mich so jung, so jung,
Da sprossen mir die Lieder,
Da spüre ich den vollen Schwung
Der Jugendjahre wieder!

Dir, Stürmer, sei dies Glas geweiht,
Und laß den Wunsch mich sagen:
Den Geist aus deiner Jünglingszeit,
Den sollst du thalwärts tragen!
Wohin des Wegs du wandern mußt
Durch Wiesen, Wald und Reben,
Da hauch’ in jede Mannesbrust:
Die Freiheit ist das Leben!

So zieh’ als ein Apostel aus
Zu meines Stamms Genossen,
Du Strom, für den im heißen Strauß
Das Herzblut wir vergossen!
Es mahne deines Rauschens Klang
Ringsum die Völkerscharen:
Was einmal deutsches Schwert errang,
Das wird es auch bewahren.

Darauf sei dieses Glas geleert
Bis auf den letzten Tropfen! –
Du Strom, der durch die Felsen fährt
Wie fühl’ mein Herz ich klopfen!
Ade nun, Firn und Gletscherwand! –
Durch Wogenschaum und Brausen
Hör’ ich den Gruß vom Vaterland
Beim Rheinfall von Schaffhausen! –

[10]
Ueber Gehörinstrumente für Schwerhörige.
Von Prof. Dr. K. Bürkner.


Unter der erschreckend großen Zahl von Schwerhörigen giebt es leider nicht wenige, deren Gebrechen unheilbar ist. Diese schwersten Formen von Taubheit beruhen meist entweder auf einer durch Verdickungen und Verwachsungen hervorgerufenen verminderten oder aufgehobenen Beweglichkeit derjenigen Theile des Ohres, welche den Schall aufzufangen und durch ihre Schwingungen fortzuleiten haben, oder in Störungen des schallempfindenden, nervösen Ohrabschnittes. Häufig ist die Vernachlässigung eines anfangs geringfügigen Ohrkatarrhs von seiten der Kranken oder ihrer Aerzte schuld an dem Eintreten der schließlich unheilbaren üblen Folgen, in andern Fällen können die sehr oft nachweisbare, verhängnisvolle Vererbung einer Neigung zu Ohrleiden oder der allgemeine Körperzustand, sowie verschiedene Ansteckungskrankheiten, wie Scharlach, Masern, Typhus, den Ausgangspunkt der Taubheit bilden.

Ein jeder von diesen Unglücklichen, deren Dasein durch ein so schweres Gebrechen getrübt wird, hat den Wunsch, die durch die Schwerhörigkeit im geselligen und im geschäftlichen Verkehr entstehenden, nur zu leicht zu völliger Vereinsamung führenden Schwierigkeiten zu heben oder doch zu verringern, und wer selbst in der Nähe des Ohres laut Gesprochenes nicht mehr zu verstehen vermag, sucht meist auch ohne ärztliche Verordnung nach einem Mittel, welches zur verstärkten Wahrnehmung des Schalles dienen kann. Der einfachste Schallfänger, die hinter das äußere Ohr gelegte Hand, genügt in Fällen von hochgradiger Schwerhörigkeit nicht mehr, denn es wird dadurch nur eine geringe Vergrößerung der für die Gehörthätigkeit ohnehin untergeordneten Ohrmuschel erreicht; der Taube bedarf vielmehr eines von sachkundigem Arzte ausgewählten Hörwerkzeuges.

Solcher Vorrichtungen nun giebt es eine große Zahl in den verschiedensten Formen; aber leider findet sich darunter keine, welche etwa der von den Schwerhörigen so heiß ersehnten „Brille für die Ohren“ entspräche; denn sie sind alle unvollkommen und leisten bei weitem nicht das, was die Gläser für das Auge bieten. Sind doch auch die Verhältnisse bei beiden Sinnesorganen grundverschieden! Bei Anwendung der Brille für Kurz- und Weitsichtige sind wir in der Lage, nach physikalischen Gesetzen Unregelmäßigkeiten in der Lichtbrechung des Auges durch vorgesetzte Zerstreuungs- oder Sammellinsen aufzuheben, also das wahrzunehmende Bild außerhalb des Auges zu verändern, dem Fehler des Auges anzupassen, während wir den Ton vorläufig nur insofern beeinflussen können, als wir ihn verstärkt dem Ohre zuführen und durch den nun ausgiebigeren Reiz die verminderte Beweglichkeit der den Schall leitenden Gehörknöchelchen zu überwinden oder durch unmittelbare mechanische Einwirkung auf die letzteren eine lebhaftere Schwingungsthätigkeit herbeizuführen suchen müssen.

Leider sind auch die Hoffnungen, welche man auf die neueren akustischen Erfindungen, vor allem auf das „Mikrophon“[1] gesetzt hatte, nicht in Erfüllung gegangen. Bisher ist es wenigstens nicht gelungen, dieselben für Schwerhörige nutzbar zu machen.

Die schallverstärkenden Apparate sind im wesentlichen Trichter von verschiedener Größe und verschiedener Form, und zwar ist im allgemeinen die erstere für die Wirkung maßgebender als die letztere. Selten wird ein Schwerhöriger mit einem jener kleinen Instrumente, welche sich im Ohre verbergen lassen, eine erhebliche Gehörverbesserung erzielen, und an diesem Umstande scheitert nur zu häufig die Anwendung von Hörmaschinen überhaupt; denn es ist ein, zumal beim weiblichen Geschlechte, weitverbreitetes, im Grunde sehr thörichtes, durch eine gewisse Eitelkeit hervorgerufenes Bestreben, die Schwerhörigkeit möglichst zu verheimlichen; wird doch sogar die Empfehlung eines Hörrohrs von seiten eines Ohrenarztes zuweilen als eine beleidigende Zumuthung angesehen.

Betrachten wir die gebräuchlichsten Formen von Hörrohren etwas näher!

Die kleinsten Instrumente sind Röhren von Silber oder Hartgummi von kreisrundem oder ovalem Querschnitt, welche an dem einen Ende eine trichterförmige Erweiterung besitzen. Dieselben werden so tief in den Gehörgang eingeschoben, daß das weitere Ende in die Ohrmuschel zu liegen kommt, und sind daher allerdings nicht auffallend; allein da der geringe Querschnitt des Trichters in nur sehr beschränktem Maße zur Sammlung von Schallwellen geeignet ist, so nützen diese kleinen Röhrchen meist nur in Fällen, in welchen die Schwerhörigkeit durch das Zusammenfallen der erschlafften Gehörgangswände, wie es bei alten Leuten vorkommt, bedingt oder vermehrt wird; hier ist dann nicht die Verstärkung des Schalles, sondern die durch das Einführen des Instrumentes herbeigeführte Oeffnung des Kanals das Wesentliche.

Ein ähnliche, gleichfalls fast völlig zu verbergende kleine Vorrichtung besteht aus Hartgummi und besitzt eine jagdhornförmige Krümmung, auch hier wird der schmälere Theil in den Gehörgang geschoben, der weitere Theil hingegen erhält seinen Platz, mit der Oeffnung nach hinten, in der Ohrmuschel. Der Hauptzweck des Röhrchens ist, die Fläche des den Gehörgang von vorn her klappenartig schließenden, dreieckigen Knorpels zu vergrößern, weil diesem eine besondere Thätigkeit bei der Zuleitung der Schallwellen beigemessen wird. Allein ein bedeutender Erfolg wird auch durch diesen Apparat nur selten erzielt.

Hörschlauch.

Die größeren, wirklich brauchbaren Schallfänger bestehen aus einem trichter- oder becherförmigen, behufs Abschwächung von Nebengeräuschen zuweilen mit einem Drahtgeflecht oder Metallsieb gedeckten Sammelgefäß und einem in den Gehörgang einzufügenden, in sehr verschiedener Weise gekrümmten Ansatzrohr. Sie müssen in der Hand gehalten werden, lassen sich aber wohl auch auf dem Tisch aufstellen oder an Spazierstöcken befestigen. Diese Trichter oder Trompeten werden entweder aus Metall oder aus Hartgummi, Papiermasse u. dergl. hergestellt und besitzen je nach dem verwandten Material eine verschiedene Wirkungskraft; das Metall verstärkt den Ton zwar mehr, allein derselbe erhält leicht einen „blechernen“ Beiklang und wird durch das Auftreten störender Nebengeräusche mitunter so erheblich beeinträchtigt, daß im allgemeinen die Hartgummiapparate entschieden den Vorzug verdienen.

Von der früher fast ausschließlich verwendeten Trompetenform hat man in neuerer Zeit mehr und mehr abgesehen, indem man wohlüberlegter Weise versucht hat, durch Herstellung parabolisch gekrümmter Schallfänger den Zweck der Instrumente in befriedigenderer Weise zu erreichen. Solche parabolisch gekrümmte Apparate besitzen in der Regel die Form einer Suppenkelle, wenn der Ohransatz ziemlich lang und seitlich am Schallfänger angebracht ist, oder einer Tischglocke, wenn der Ohrtheil unmittelbar am Scheitel des Paraboloids ansetzt. Doch giebt es auch derartige Apparate von ganz anderer Form. Besonders zweckmäßig erscheinen parabolisch geformte Schallbecher, welche die Schallwellen in einen zweiten, nach innen, d. h. nach dem Ohransatz offnen, gleichfalls parabolisch gekrümmten Hohlraum werfen, von wo aus sie dann dem Ohr zugeleitet werden.

Dasjenige Instrument, welches weitaus am häufigsten bei hochgradig Schwerhörigen anwendbar ist, besteht in einem Trichter oder Becher aus Hartgummi, dem „Mundstück“, und einem etwa dreiviertel Meter langen Schlauch mit rechtwinkelig gekrümmtem Ohransatz. Das Mundstück ist so weit, daß es die Lippen des hinein Sprechenden nahezu bedeckt, der Schlauch, welcher aus spiralig aufgewundenem Draht mit Leder- und Seidenfadenüberzug besteht, verläuft am besten konisch, das heißt vom Trichter nach dem Ohrtheile zu enger werdend.

Diesem „Hörschlauche“ haftet gegenüber den größeren und weiteren Schalltrichtern, welche sich entschieden für minder Schwerhörige am besten eignen, nur der eine Nachtheil an, daß er nicht wie jene das von mehreren Personen gleichzeitig Gesprochene und [11] auch in größeren Räumen wie in der Kirche, in Konzerten zu hören gestattet. Allein dies kann eben nur bei noch nicht hochgradig Schwerhörigen die Aufgabe der Hörmaschine sein; die Mehrzahl der Kranken, welche überhaupt regelmäßig eines Apparates bedürfen, müssen auf die Beherrschung eines größeren Umkreises verzichten und sich auf das Zwiegespräch beschränken, und für dieses letztere giebt es kein bequemeres und kräftigeres Hilfsmittel als eben den Hörschlauch. Nur darf der Sprechende niemals laut in den Schalltrichter hineinschreien, da es fast stets genügt, mit gewöhnlicher Tonstärke oder doch mit ganz wenig erhobener Stimme zu sprechen, vorausgesetzt, daß sehr deutlich artikulirt wird. Zu starker Schall wird nicht nur unverständlich, sondern greift auch die Gehörnerven der Tauben sehr schnell an.

Ein nicht zu unterschätzender Vortheil des Hörschlauches besteht auch darin, daß derselbe leicht in der Tasche oder um die Schultern gehängt getragen werden kann und daß der Sprechende in einer verhältnißmäßig großen Entfernung vom Hörenden, jedenfalls etwa an der entgegengesetzten Seite eines Tisches, seinen Platz haben kann. Wer je zu einem Tauben längere Zeit ohne Hilfsmittel, also unmittelbar in das Ohr hinein, gesprochen hat, wird die Wohlthat, welche auch in dieser Hinsicht der Hörschlauch bietet, zu schätzen wissen.

Audiphon.

Für alle die bisher besprochenen Apparate und besonders für die trichterförmigen gilt das eine, daß sie nicht in dem gleichen Verhältniß, wie sie den Schall verstärken, auch eine größere Deutlichkeit der Wahrnehmung vermitteln. Vielmehr kann es sehr oft beobachtet werden, daß gerade, wenn ein Instrument den Ton der Stimme dem Ohre recht laut zuführt. die Deutlichkeit leidet, Nach- und Nebengeräusche entstehen; und da es für die Schwerhörigen meist weniger auf die bloße Verstärkung des Schalles als auf größere Deutlichkeit der gehörten, aber nicht verstandenen Worte ankommt, so ist der Nutzen der Hörmaschinen, zumal bei noch nicht höchstgradig Tauben, nur zu oft ein sehr geringer. Es kommt hinzu, daß bei einem großen Theil der Ohrleidenden, welche ein bestimmtes Instrument mit Erfolg benutzen, durch längere Anwendung desselben eine unerträgliche Reizung der Hörnerven entsteht, welche den Schwerhörigen von selbst zur Ausschaltung des Apparates zu veranlassen pflegt und stets als ein Zeichen dafür angesehen werden muß, daß, wenn überhaupt, nur mit Vorsicht, immer auf kurze Zeit und etwa bei besonderen Gelegenheiten ein künstliches Hilfsmittel angewandt werden darf. Solche Gelegenheiten sind für die minder Schwerhörigen, für welche überhaupt ein geselliges Leben mit seinen geistigen Genüssen noch in Frage kommt, Konzert, Vorträge, kleinere Gesellschaften, Theater; doch wiederholt sich die Erfahrung täglich, daß mit Ausnahme der Musik alle diese Arten der Unterhaltung meist schon sehr frühzeitig von den Schwerhörigen aufgegeben werden, nicht allein, weil nur immer ein Theil des Gebotenen richtig wahrgenommen werden kann, sondern auch wegen der mit dem angespannten Lauschen verbundenen Uebermüdung.

Immerhin wird im allgemeinen von Hörinstrumenten noch viel zu wenig Gebrauch gemacht. Im engeren geselligen Zusammensein könnte mancher Schwerhörige durch die Benutzung eines geeigneten Apparates sich und andern den Verkehr wesentlich erleichtern; vor allem aber ist für die Erziehung schwerhöriger Kinder ein Hörrohr zuweilen von überraschend günstigem Einfluß, sei es im Klassen– oder, was häufiger in Betracht kommt, im Einzelunterricht. Gar manches Kind, welches für den gewöhnlichen Schulbesuch zu schlecht hört, kann mit Hilfe eines Schalltrichters oder eines Hörschlauches sehr wohl unterrichtet werden, und es läßt sich in derartigen Fällen sogar zuweilen die Einweisung in eine Taubstummenanstalt, welche sonst erforderlich wäre, unnöthig machen.

Ein großer, oft verhängnißvoller Fehler ist aber auf der andern Seite, wenn ein Schwerhöriger eine Hörmaschine ohne Verordnung eines sachverständigen Arztes auswählt und in Gebrauch nimmt. Es ist immer ein besonderer Zustand des Gehörorgans für die Anwendung derartiger Hilfsmittel vorauszusetzen, und ob derselbe vorliegt, ob ferner dieses oder jenes Instrument für den Kranken geeignet sein wird, – was meist nur durch eine Reihe von Beobachtungen und Versuchen festzustellen ist, – wie oft, bei welchen Gelegenheiten, wie lange jedesmal der Apparat in Anwendung gebracht werden darf, alle diese Fragen kann nur und muß in jedem einzelnen Falle der Ohrenarzt nach eingehender persönlicher Untersuchung des Patienten entscheiden. Nur zu oft ereignet es sich, daß der Taube durch den unzweckmäßigen Gebrauch eines für ihn ungeeigneten Hörrohres, welches ihm von einem Bekannten empfohlen oder durch eine schwindelhafte Zeitungsanzeige bekannt geworden ist, dauernden Schaden leidet; und besonders wird dadurch oft gefehlt, daß ein Schwerhöriger zu früh ein Instrument, oder wenigstens ein zu kräftig wirkendes Instrument bei jeder ihm günstig scheinenden Gelegenheit benutzt und dadurch sein Gehör, anstatt es zu schonen und zu üben, abstumpft oder überempfindlich macht. Darum bediene sich niemand eines Hörrohrs ohne die Empfehlung eines dazu befähigten Arztes, dessen Vorschriften dann aber auch genau zu befolgen sind!

Außer den bisher besprochenen Schalltrichtern, denen auch der Hörschlauch als auf gleichem Grundsatze beruhend hinzugezählt werden kann, giebt es noch Hörapparate anderer Art. Früher waren z. B. „Schallfänger“ oder „Hörschalen“ vielfach in Gebrauch, schüssel- oder muschelförmige Instrumente von Metall, wohl auch geradezu Muscheln, welche hinter oder über dem Ohre befestigt wurden und gewissermaßen die Fläche der Ohrmuschel vergrößern, also mehr Schallwellen sammeln helfen sollten; einen Ohransatz besaßen dieselben nicht, der Ton wurde mithin nicht unmittelbar dem Gehörgang zugeführt. Einen ähnlichen Zweck hatten auch die „Ohrkissen“, welche hinter dem Ohre angebracht wurden, um den Anheftungswinkel der Ohrmuschel am Schädel zu vergrößern, ein vermehrtes Abstehen des Ohres herbeizuführen. Die Apparate dieser Gattung haben nur in vereinzelten Fällen irgend welchen Werth und werden heute kaum noch verordnet, zumal die Schallfänger leicht infolge zu starker Schwingungen Nebengeräusche erzeugen und die bei den Kissen wesentliche Voraussetzung, daß die Schärfe des Gehörs vom Ansatzwinkel der Ohrmuschel abhängig sei, vollkommen irrig ist.

Schallbecher.

In neuerer Zeit hingegen hat man mehrfach „feste Schallleiter“, meist in Gestalt von Fächern (Audiphon, Dentaphon) empfohlen, welche das Gesetz der Schallfortpflanzung durch die Schädelknochen nutzbar machen. Man glaubte, daß in Fällen, in welchen der Zustand des Trommelfells und der Gehörknöchelchen für eine Leitung des Schalls nicht mehr ausreicht, wohl aber die Schallwellen noch durch die Kopfknochen auf das Centralorgan übertragen werden können, durch eine vermehrte Zuführung von Tonschwingungen zum Schädel eine verstärkte Gehörwahrnehmung zu erzielen sein würde. Leider erweisen sich diese Instrumente, besonders das bekannteste, das Audiphon, ein am Griff in der Hand gehaltener, federnder Fächer von Hartgummi, dessen obere Kante gegen die Schneidezähne gedrückt wird, in der Praxis nur äußerst selten als nutzbringend, wenngleich allerdings durch die Anwendung nicht so leicht Schaden gestiftet werden mag, als durch die Schalltrichter.

Gleichfalls von beschränkter Brauchbarkeit sind solche Apparate, welche durch Uebertragung der Schallwellen unmittelbar auf das Trommelfell zu einer verstärkten Schallwahrnehmung führen sollen. Ein neueres kleines Instrument dieser Art besteht aus einer Gummiplatte, welche in die Ohrmuschel zu liegen kommt und die von dieser erhaltenen Tonwellen durch ein das Trommelfell berührendes Gummistäbchen auf diese sehr empfindliche Membran überträgt. Die Wirkung für die Hörschärfe ist selten groß, oft aber reizt das kleine Instrument mechanisch derartig, daß sich seine Anwendung schon dadurch verbietet.

Nur eigentlich unter einer Voraussetzung kann man durch unmittelbare Belastung des schallleitenden Apparates eine Gehörverbesserung herbeiführen, und zwar wenn das Trommelfell [12] durchlöchert ist. In diesem Falle läßt sich durch Bedeckung der beschädigten Stelle und einen gleichzeitig ausgeübten sanften Druck auf den stehengebliebenen Theil des Häutchens zuweilen viel helfen. Die Apparate, welche zur Verschließung des Loches benutzt werden, nennt man gewöhnlich „künstliche Trommelfelle“; sie bestehen aus Gummistoff, Papier, Watte oder ähnlichen leichten Körpern und können bei einiger Uebung vom Kranken selbst je nach Bedarf eingeführt werden. Doch ist ihre Verwendung nur dann gestattet, wenn keine Entzündung, namentlich kein eiteriger Ausfluß im Ohre besteht, und da sie immerhin sowohl die Schleimhaut als auch die Hörnerven nicht selten erheblich reizen, so dürfen sie auch nur tagsüber, zuweilen selbst nur wenige Stunden, getragen werden.

Leider finden sich unter den vielen Tausenden von Personen, welche beschädigte Trommelfelle besitzen, nur verhältnißmäßig wenige, denen das künstliche Trommelfell wirklich gute Dienste leistet. Es rührt das auch hier daher, daß eine Anzahl von hier nicht näher zu erörternden Bedingungen erfüllt sein muß, wenn die Vorrichtung anwendbar oder nutzbringend sein soll.

Gerade auch das künstliche Trommelfell darf nur auf Verordnung eines in der Ohrenheilkunde bewanderten Arztes in Gebrauch genommen werden, denn kein Instrument kann so schädlich werden wie dieses, weil hierbei nicht allein die oftmals sehr bedeutende Ueberreizung der Hörnerven eintritt, die in vielen Fällen für die Anwendung ein unüberwindliches Hinderniß bietet, sondern auch eine Entzündung der Paukenhöhlenschleimhaut und des Trommelfells hervorgerufen oder verstärkt und dann eine Zurückhaltung von Eiter herbeigeführt werden kann, welche nicht selten zu tödlichen Folgekrankheiten Veranlassung giebt.

Bei Besprechung des „künstlichen Trommelfells“ müssen wir zum Heile vielleicht manches schwerhörigen Lesers eines seit einigen Jahren lebhaft betriebenen Schwindels mit sogenannten „künstlichen Ohrtrommeln“ gedenken, welche leider nur zu häufig bei den Kranken, welche sie benutzen, Unheil stiften. Bekanntlich versuchen es viele an einer unheilbaren Krankheit Leidende, nachdem sie verschiedene Aerzte ohne den gewünschten Erfolg zu Rathe gezogen haben, schließlich gern mit irgend einem Geheimmittel oder dem Rathe eines Kurpfuschers. Ganz besonders neigen hierzu die Schwerhörigen, und dieser Umstand hat eine Unmasse von Geheimmitteln und angeblich sicher wirkenden Apparaten gegen Taubheit gezeitigt, unter anderem auch einen gewissen Nicholson veranlaßt, zum Zwecke des Gelderwerbes das leichtgläubige Publikum durch den Verkauf seiner „künstlichen Ohrtrommeln“ auszubeuten, – was den Ertrag betrifft, augenscheinlich mit bestem Erfolge, denn die Anfragen von Kranken bei den Ohrenärzten in betreff der angepriesenen Wundervorrichtung oder der darauf bezüglichen Schrift mehren sich von Monat zu Monat, zumal da die Art und Weise, mit welcher der „Erfinder“ des Apparates vorgeht, dazu angethan ist, bei weniger urtheilsfähigen Menschen den Eindruck der Vertrauenswürdigkeit zu erwecken. – Betrachtet man indessen die Schrift, welche mit ihren zum Theil gefälschten (weil auf das längst bekannte „künstliche Trommelfell“, nicht aber auf die „künstlichen Ohrtrommeln“ bezüglichen) Anführungen aus wissenschaftlichen Werken, ihren anatomischen Abbildungen. facsimilirten Diplomen und Empfehlungsschreiben für die „neue Erfindung“ Reklame zu machen bestimmt ist, so findet man, daß es sich um einen Schwindel handelt, und wir halten es für unsere Pflicht, denselben aufzudecken.

Was zunächst das Instrument selbst betrifft, so ist es ein künstliches Trommelfell in veränderter Gestalt; es besteht aus einem durchsichtigen Gummihäutchen, welches mit einer Gold- oder Silberplattirung versehen ist und auf das Trommelfell aufgedrückt wird; als Stiel dient ein Röhrchen von magnetischem Stahl, welches zum Zwecke einer verstärkten nervösen Thätigkeit „die Schallwellen in die Ohrnerven mit geringer magnetischer Kraft entladet“; das Röhrchen trägt überdies an seinem andern Ende eine zweite Scheibe, welche in den Gehörgang zu liegen kommt und den Apparat in der richtigen Lage halten soll. – Daß ein solches Instrument in Fällen, in welchen das natürliche Trommelfell schadhaft ist, von Nutzen sein kann, ist nicht zu bestreiten; aber gerade darin, daß wohl manchen Patienten damit geholfen wird, liegt eine Begünstigung und eine besondere Gefahr des Schwindels; eine Gefahr, weil die Vorrichtung gerade wie das gewöhnliche, von Ohrenärzten schon längst angewandte „künstliche Trommelfell“, von dem sie ihre Grundform und den leitenden Gesichtspunkt überhaupt entlehnt hat, bei der überwiegenden Mehrzahl der Kranken schädlich wirken muß. Die Versicherung des „Erfinders“, daß seine „künstlichen Ohrtrommeln“ „die Gehörorgane in keiner Weise schädigen“ und daß sie „ohne Unbequemlichkeit Tag und Nacht im Ohre getragen werden können“, ist daher ebenso unwahr wie die an anderer Stelle zu lesende Behauptung, daß die Erfindung „von den ersten Fachmännern Europas und Amerikas geprüft und als vollkommen unschädlich befunden worden ist.“

Was man ferner von der Betheuerung des „Erfinders“ zu halten hat, daß er seine „Ohrtrommeln“ niemals in Fällen versende, bei welchen seiner Ansicht nach keine Besserung durch Anwendung derselben zu erwarten sei, geht zur Genüge aus der Anpreisung hervor, daß, wie er schreibt, sein Instrument „vertrauensvoll als ein sichres Linderungsmittel angewandt werden kann, wenn die Taubheit verursacht wird durch Skrophulose, Katarrh, Brüche, Abscesse, Ausflüsse oder Trockenheit der Ohren, verhärtetes Ohrenschmalz, Wirkung von Chinin, Erkältung des Kopfes, Scharlach, Masern, Keuchhusten, Kanonenschüsse etc., oder wenn das natürliche Ohrtrommelfell durchbohrt, zerstört (wie wir gesehen haben, die einzige mögliche Vorbedingung für Anwendung des künstlichen Trommelfells!) oder locker ist, oder die Taubheit eine Folge hohen Alters ist.“ Es gehört wahrlich nicht viel Urtheilsvermögen dazu, um in dieser Liste den Schwindel sofort zu erkennen!

Natürlich ist der „Erfinder“ auch „genöthigt, auf Vorausbezahlung in allen Fällen zu bestehen,“ denn wenn die Apparate vor der Bezahlung versuchsweise angewandt werden dürften, so würde er sie mindestens in neun Zehnteln der Fälle zurückbekommen.

Indem wir unsere Leser eindringlich vor denselben warnen, empfehlen wir, vorkommenden Falles sich von einem sachkundigen Arzte ein geeignetes Hörrohr verordnen zu lassen. Wird sich auch leider, wie wir gesehen haben, nicht für jeden Schwerhörigen ein erfreulicher Erfolg damit erzielen lassen, so ist doch in einer großen Reihe von Fällen viel mit solchen Hilfsmitteln zu erreichen, und dieselben sollten deshalb viel öfter versucht werden, als es bisher geschah.




Theodor Fontane.

Am 30. Dezember des vergangenen Jahres feierte ein deutscher Dichter von ausgesprochener Eigenart und liebenswürdiger Begabung seinen siebzigsten Geburtstag: es ist dies Theodor Fontane, der am 30. Dezember 1819 in Neu-Ruppin geboren wurde. Er hat die Chronik seiner Vaterstadt in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ mit großem Fleiß und sehr eingehend aufgezeichnet, wie er überhaupt seine Anhänglichkeit an die heimathliche Scholle treu gewahrt hat und sein schriftstellerisches Wirken wesentlich durch dieselbe bestimmt worden ist; er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und später die Berliner Gewerbeschule, da er sich dem Studium der Naturwissenschaften, besonders der Chemie widmen wollte. Zu diesem Zwecke begab er sich im Jahre 1840 nach Leipzig; doch fesselte ihn das erwählte Studium nicht und er wandte sich bald der Dichtkunst und litterarischen Bestrebungen zu. Im Jahre 1844 finden wir ihn, nachdem er vorher eine kurze Reise nach England unternommen, in Berlin. Hier schloß er sich dem litterarischen Verein „Tunnel“ an; wahrscheinlich hat er aber schon früher einem solchen Verein angehört; in dem Gedicht „Lebenswege“ heißt es:

 „... blutjunge Ware,
Studenten, Lieutnants, Referendare.
Rang gab’s nicht, den verlieh das Gedicht,
Und ich war ein kleines Kirchenlicht.
So stand es, als Anno 40 wir schrieben,
Aber ach, wo bist du, Sonne, geblieben?
Ich bin noch immer, was damals ich war,
Ein Lichtlein auf demselben Altar;
Aus den Lieutnants aber und Studenten
Wurden Gen’rale und Chefpräsidenten.“

Im Jahre 1850 trat Theodor Fontane zuerst in die Oeffentlichkeit mit einer kleinen Sammlung „Männer und Helden“; ihr folgte der Balladencyklus „Von der schönen Rosamunde“ (1850), später „Gedichte“ (1851) und „Balladen“ (1861). In der [13] zweiten, vermehrten Auflage der „Gedichte“ (1875) und in der soeben erschienenen dritten, die als eine Art von Jubelausgabe betrachtet werden kann (1889), finden sich manche neue Lieder, Balladen, geschichtliche Bilder, meist aus der preußischen Ruhmeshalle; aber das Gepräge von Fontanes Lyrik ist dasselbe geblieben wie damals, als ihr noch der Stern der Jugend schien, und so können wir hier Fontane, den Lyriker, zusammenfassend schildern.

Er ist in erster Linie ein volksthümlicher Balladendichter, der preußische und englische Stoffe behandelt, mit vielsagender Kürze, in knapper, aber stimmungsvoller Fassung. Seine „Männer und Helden“, meistens Preußengenerale der altfritzischen Zeit, sind Bildnisse in Holzschnittmanier; sie streifen an den Bänkelsängerton; Vorbild sind ihm vorzugsweise Rückerts „kriegerische Spott- und Ehrenlieder“. Fontane hat freilich nur Ehrenlieder gedichtet. Der alte „Zielen aus dem Busch“ und der verwegene Reitergeneral Seydlitz vertrugen nur eine so derb zugreifende Verherrlichung; er trifft sehr glücklich den markigen Ton und schlaghafte Wendungen, welche entweder die einzelnen Strophen mit treffenden Wiederholungen befruchten oder dem Gedicht einen kräftigen Abschluß geben. „Der alte Dessauer“ ist solch ein Musterstück derb volksthümlicher Art, dem am Schluß eine beherzigenswerthe Nutzanwendung nicht fehlt:

„Wir haben viel von Nöthen
Trotz allem guten Rath,
Und sollten schier erröthen
Vor solchem Mann der That:
Verschnitt’nes Haar im Schopfe
Macht nicht allein den Mann,
Ich halt’ es mit dem Zopfe,
Wenn solche Männer dran.“

Die Muse Fontanes begleitet dann die weitere preußische Geschichte auf ihrer Ruhmesbahn; da finden wir Gedichte auf „Prinz Louis Ferdinand“, „Den Tag von Düppel“, „Die Gardemusik bei Chlum“ und in der neuesten Auflage auch auf „Kaiser Blanchebart“, „Jung-Bismarck“, „Kaiser Friedrich III.“ u. a. Von rednerischem Pomp und feierlichem Ton halten sich diese Gedichte fern; das Streben nach frischer Volksthümlichkeit und lebhafter Anschaulichkeit prägt sich auch in ihnen aus und es findet sich manch kräftiger Kehrreim: im ganzen aber ist der Ton nicht so herausfordernd keck wie in den Jugendliedern, welche den Helden der preußischen Walhalla galten; es sind häufiger weihevolle Klänge angeschlagen. Neben den zahlreichen Gedichten, die mehr geschichtliche Porträts als Schlachtenbilder sind, finden sich auch einzelne, die man echte Balladen nennen kann, wie die schwedische Sage „Der 6. November 1632“, eine gespenstige Beleuchtung des Schlachtentags von Lützen.

Theodor Fontane.
Nach einer Photographie von Loescher und Petsch in Berlin.

Die Hauptstoffquelle seiner Balladen war für den Dichter übrigens die englische Geschichte und Volkssage. Nach England führte ihn noch zweimal, in den Jahren 1852 und 1855, seine Reiselust und sein Interesse für englisches und schottisches Leben, für die Geschichte dieser Länder, ihre Kunst und Literatur; er hat mehrere Reiseschriften herausgegeben, in denen er sich über dies alles in fesselnder Weise ausspricht; namentlich aber hat der englisch-schottische Balladenschatz eine große Wirkung auf ihn selbst und seine eigene Dichtweise ausgeübt: eine beträchtliche Zahl dieser Balladen, wie sie im Volksliede oder von englischen Dichtern gestaltet worden sind, hat er frei übersetzt, dabei den Volkston und die knappe Fassung beibehalten und in der durchaus ungezwungenen Wiedergabe große Gewandtheit gezeigt. Er selbst hatte schon früh das Schicksal der schönen Rosamunde in einem lyrisch-epischen Liederkranz besungen; auch „Maria Stuart“ machte er zur Heldin von vier Balladen; doch auch sonst wandert seine nicht blutscheue Muse sowohl über die Schlachtfelder, von den Kämpfen der „weißen und rothen Rose“ an bis zu Cromwells Bürgerkriegen, als auch über die Richtstätten; nicht bloß Maria Stuart, auch Sir Edward York, Johanna Gray, Sir Walter Raleigh, James Monmouth begleiten wir auf ihrem letzten Gang zum Schafott. Es finden sich in diesen Gedichten viele stimmungsvolle Bilder; eine Perle ist das Lied von James Monmouth:

„Das Leben geliebt und die Krone geküßt
Und den Frauen das Herz gegeben,
Und den letzten Kuß auf das schwarze Gerüst –
Das ist ein Stuart-Leben.“

Noch enthalten die Gedichtsammlungen „Lieder und Sprüche“; die Zahl derselben ist nicht allzu groß, und man muß das aufrichtig bedauern; denn in den Liedern ist manches duftig Hingehauchte voll zarter Empfindung und die Sprüche lehren sinn- und maßvoll echte Lebensweisheit und sind von einer wohlgelungenen Form, so daß sie sich dem Gedächtniß einprägen:

„Du wirst es nie zu Tücht’gem bringen
Bei deines Grames Träumerei’n;
Die Thränen lassen nichts gelingen,
Wer schaffen will, muß fröhlich sein.

Wohl Keime wecken mag der Regen,
Der in die Scholle niederbricht:
Doch golden Korn und Erntesegen
Reift nur heran bei Sonnenlicht.

Das Glück, kein Reiter wird’s erjagen,
Es ist nicht dort, es ist nicht hier:
Lern’ überwinden, lern’ entsagen,
und ungeahnt erblüht es dir.“

Nach seiner letzten Rückkehr von England nahm Fontane in Berlin seinen dauernden Aufenthalt. Seine Beziehungen zum erbgesessenen Adel der Mark wiesen ihn auf die Geschichte ihrer Stammsitze und seiner heimathlichen Provinz hin; die Anregung dazu aber gab ihm ein Phantasiebild, das seiner Seele vorschwebte, als er über den Levensee in Schottland fuhr und auf einer Insel mitten im See, hinter Eschen und Schwarztannen halbversteckt, die Trümmer von Schloß Lochleven erblickte, aus welchem einst Maria Stuart geflüchtet war. Da gedachte er plötzlich einer andern Kahnfahrt über den Rheinberger See, ringsum die Schöpfungen und Erinnerungen einer großen Zeit: sollten solche Eindrücke verloren gehen? War die märkische Heimath mit ihrer reichen Geschichte nicht ebenfalls der Schilderung und Aufzeichuung werth? Er fühlte sich dazu berufen und so entstand sein umfangreiches Hauptwerk: „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ (4 Bde. 1862-82).

Wenn die Mark Brandenburg in Wilibald Alexis ihren Walter Scott gefunden hat, so besitzt sie in Fontane einen nicht minder poesievollen Erforscher und Darsteller ihrer Eigenart in Bezug auf [14] Land und Leute. Das Werk von Fontane enthält nicht nur die Chronik der Mark, ihrer hervorragendsten Geschlechter und berühmten Männer, die Geschichte ihrer Städte und Schlösser; auch eine Schilderung ihrer landschaftlichen Schönheiten, die gar nicht so spärlich in dieser „Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches“ ausgestreut sind, wie man gewöhnlich glaubt. Wie reizend schildert uns Fontane die Müggelsberge, die so unvermuthet und unvermittelt aus dem Flachland aufsteigen wie der todte Rumpf eines fabelhaften Wasserthieres, der hier in sumpfiger Tiefe zurückblieb, als sich die großen Fluthen der Vorzeit verliefen; wie weiß er alle Reize der Landschaft hervorzuheben, welche das Bad Freienwalde umgiebt, mit den eine prächtige Aussicht gewährenden Randbergen des Oderbruchs, und gern betreten wir an seiner Hand das große Wald- und Jagdrevier des Werbelliner Forstes mit seinem Muränensee. Wenn er uns das Wustrauer Luch und das Dossebruch schildert, so versäumt er nicht, auch eine Geschichte der Bestrebungen zu geben, durch welche Preußens Regenten diese unwirthlichen Landstrecken der Kultur zu gewinnen suchten. Wo er uns aber über berühmte Schlachtfelder führt, wie diejenigen von Zorndorf und Fehrbellin, da malt er anschaulich das Bild des Geländes, auf dem die Kämpfe hin- und herwogten. Die Chronik mancher Schlösser gehört mehr der Ortsgeschichte an; auch einige der hervorragenden Männer, deren Lebenslauf uns dargestellt wird, dürften sich nur wenig aus dem Bereiche der preußisch-brandenburgischen Geschichte erheben; doch auch an weltgeschichtlichen Größen fehlt es nicht und diese werden hier meist durch die kleinen Lichtflämmchen der Anekdote beleuchtet.

Ein so umfassendes Werk über eine einzelne Provinz zu schreiben, ohne daß der Strom der Darstellung allzu viele todte Arme bildet, dazu gehört ein aufgeschlossener Sinn für die kleinen Einzelzüge, die Fähigkeit zu einer meisterlichen Kleinmalerei und das warme Herz des Poeten, der alles, was einen höheren Flug nimmt, gleichfühlend zu verfolgen weiß. Und diese Vorzüge hat Theodor Fontane in seinem Werke bewährt. Spricht sich schon in diesem seine Vorliebe für das Kriegswesen und seine Begeisterung für preußischen Kriegsruhm an jeder geeigneten Stelle aus, so trieb ihn beides auch zu selbständiger Darstellung der letzten großen Kriege an. Die Schrift „Der schleswig-holsteinische Krieg im Jahre 1864“ erschien 1866; diejenige über den „Deutschen Krieg von 1866“ im Jahre 1869; die zweibändige Geschichte des „Deutsch-französischen Kriegs“ in den Jahren 1874–76. Es sind keine militärischen Fachwerke, es sind Volksschriften. Allen gemeinsam sind die Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Darstellung, die Rückblicke auf die Geschichte, die Schilderung von Land und Leuten, die farbenreiche Charakteristik der Heerführer und Fürsten, welche auch die Anekdote nicht verschmäht.

Als „Schlachtenbummler“ in Frankreich im Jahre 1870 hatte Fontane Abenteuer zu bestehen, die er uns in seiner Schrift „Kriegsgefangen“ in sehr eingehenden Plaudereien schildert. Niemand Geringeres als die Jungfrau von Orleans war schuld an den Fährnissen, welche ihm dort bereitet wurden. Im Oktober 1870 machte er von Toul einen Ausflug nach Domremy, dem Geburtsort der französischen Heldin; da ihm der Kutscher, der ihn fuhr, verdächtig erschien, nahm er sich einen Revolver mit, wie er auch im Besitze eines Stoßdegens war. Er besuchte die geweihte Stätte, wo die Jungfrau geboren wurde, und die gothische Kapelle, deren bunte Scheiben ihr Wappen aufweisen und vor deren Thore sich ihre Statue erhebt. Er klopfte mit seinem spanischen Rohr an der Statue umher, um sich zu überzeugen, ob es Bronze oder gebrannter Thon sei. Da kamen 8 bis 12 Männer auf ihn zu und fragten ihn nach seiner Legitimation; er überreichte eine rothe Tasche mit preußischen Papieren; man ging ins Wirthshaus zu näherer Untersuchung; da kamen zufällig Stockdegen und Revolver zum Vorschein; die Stimmung war eine heikle; man brachte ihn auf die Souspräfektur von Neufchateau. Nun begann jene lange Reihe von Verhören, Untersuchungen und Gefängnißwanderungen bis auf die Insel Oleron im Atlantischen Ocean, die uns Fontane in seiner kleinen Schrift so anschaulich und mit so gutem Humor schildert; es ist ein Gemälde, das nicht das geringste Kerkergrauen athmet. Ueber den französischen Nationalcharakter spricht sich Fontane im ganzen sehr günstig aus; er hat nur die besten Eindrücke erhalten. Im allgemeinen kämen, sagt er, auf 10 oder 7 oder 5 Individuen immer ein unleidlicher Mensch, in Frankreich habe er etwa 200 verschiedene Personen kennen gelernt und nicht die geringste Unannehmlichkeit, geschweige Unart erfahren; „sie waren alle verbindlich, rücksichtsvoll, zuvorkommend, dankbar für jeden kleinen Dienst, nie beleidigt durch Widerspruch, vor allem ohne Schabernack und ohne Neid.“ Leichter Sinn und heitere Laune, große Gutmüthigkeit war bei allen zu finden, – ein Urtheil, das sehr für Fontanes Unbefangenheit und Unparteilichkeit spricht.

In den letzten Jahrzehnten ist Fontane auch als Romandichter aufgetreten; sein Hauptwerk ist der Roman „Vor dem Sturm“ (4 Bände, 1878). Er spielt in Preußen in der Zeit vor dem Befreiungskriege 1812 bis 1813 und giebt ein treffliches, oft mit peinlicher Genauigkeit und Sauberkeit ausgeführtes Gemälde der damaligen Stimmungen und Vorgänge in allen Lebenskreisen. Volksthümliche Schilderungen, zum Theil mit humoristischer Beleuchtung, gehören zu den Glanzpunkten des Werkes. Die Handlung selbst bewegt sich nur langsam vorwärts. Kleinere Romane Fontanes sind „Ellernklipp“ (1881), ein düster schwermüthiges Stimmungsbild von poetischer Wirkung, in welchem das Leben der Heide meisterlich gezeichnet und die Liebe von Vater und Sohn zu demselben Mädchen den Knotenpunkt der Ereignisse bildet; ferner „L’Adultera“. ein Sittenbild aus dem Berliner Leben; „Schach von Wuthenow“ und „Graf Petöfy“. Die Ortsfärbung und die Charakterzeichnung sind in allen diesen Romanen gleich rühmenswerth. Das jüngste Werk aber, das aus Fontanes Feder geflossen ist, freut sich die „Gartenlaube“ als ein Angebinde zu des Dichters siebzigstem Geburtstage ihren Lesern vorlegen zu können. „Quitt“ zeigt die glänzenden Eigenschaften des Romanschriftstellers Fontane, die Kunst der Herausarbeitung der Charaktere und der liebevollen Kleinmalerei in ihrem vollen Lichte.

Ein Dichter aber von solcher Schlichtheit der Empfindung, so schlagfertiger Knappheit der Schilderung, so warmem patriotischen Gefühl, so unermüdlichem Fleiß in seinen geschichtlichen Studien und Vorstudien und uberdies von so gesundem volksthümlichen Humor wird unserem Volke immer lieb und werth bleiben.
Rudolf von Gottschall.     




Amor der Honigdieb.

„Einst ward Eros, der Dieb, von der zornigen Biene gestochen,
Als er Honig dem Korb entwendete. Vorn an den Händen
Hatte sie all’ ihm die Finger durchbohrt und er blies sich die Hände
Schmerzvoll, sprang auf dem Boden und stampfete. Jetzo der Mutter
Zeigt’ er das schwellende Weh und jammerte, daß so ein kleines
Thierchen die Biene nur sei und wie mächtige Wunden sie mache.
Lächelnd sprach Aphrodite: ‚Du bist wohl ähnlich der Biene!
Schau wie klein du bist und wie mächtige Wunden du machest.‘“


Diesen kleinen ansprechenden Gedanken, welchen wir mit diesen Worten in Voß’ Musenalmanach des Jahres 1800 wiedergegeben finden, birgt unter der Ueberschrift „Der Honigwabendieb“ ein reizendes griechisches Gedicht, das unter dem Namen des berühmten sicilischen Hirtendichters Theokrit geht. Der Dichter stammt aus Syrakus und seine Blüthe fällt um das Jahr 275 vor Christi Geburt; in der Sammlung seiner Idyllen bildet das Gedichtchen die 19. Nummer, und haben die Forschungen der Gelehrten das Liedlein dem alten Griechen auch aus mancherlei Gründen abgesprochen, so glaubte doch das Alterthum an seine Verfasserschaft und freute sich an dem lieben Geisteskinde seiner idyllischen Muse. Solch ausnehmendes Gefallen fand man daran, daß ein Dichter einer viel späteren Zeit sich entschloß, das Liedlein in eine neue Form zu gießen. Die hexametrische Bearbeitung schien nämlich für den leichten Stoff zu schwer, und nun wurde eines jener leichtfüßigen Liedchen daraus, die jeder andere Dichter eher als der gute Anakreon aus Teos (um 540 v. Chr.) verfertigte, die aber doch seinen Namen führen und „Anakreontika“ genannt werden. In diesem neuen leichten Gewande, das ihm vielleicht im zweiten vorchristlichen Jahrhundert umgehängt worden sein mag, fand es nun weiteres Gehör – wie mancher Liebhaber mag es geträllert haben! Nun drang der an sich nur unbedeutende [15] Gegenstand tief in das Gedächtniß der Menschheit, so tief, daß seinen Inhalt Jahrtausende nicht daraus verdrängen konnten.

Zwar entzieht sich die Geschichte und Wanderung dieses Liedes auf Jahrhunderte unseren spürenden Blicken, umgekommen aber ist das Blümlein der Poesie nicht. Im 10. Jahrhundert taucht es wieder auf, und von da an können wir seine weiteren Schicksale ziemlich deutlich verfolgen. Damals, im Zeitalter des Humanismus, blühte ja die klassische Dichtkunst neu auf, und so kam es, daß selbst dies kleine Machwerk einer längst entschwundenen Zeit wieder Leben gewann. Da war es zunächst ein Gelehrter, Ursinus Velius, der sich darüber hermachte, es zu neun lateinischen Hexametern umgestaltete und das Ganze „Amor Melligerus“ (Amor der Honigdieb) benamste. Auch andere zeitgenössische hochansehnliche Gelehrte fanden sich zu dem Theokritischen Idyll hingezogen und setzten es in lateinische Verse um, ja schließlich war es kein geringerer als Philipp Melanchthon selber, der als gewandter Meister in griechischer und lateinischer Sprache eine gleiche Uebersetzung in neun Zeilen versuchte. Sie alle geben wohl die einzelnen Worte des Urbildes in ihren Worten aufs genaueste wieder, doch die Glätte des griechischen Ausdrucks fehlt allen. Als aber im Laufe der Jahrhunderte der Glanz der lateinischen Sprache mehr und mehr erlosch, als die eigenen Muttersprachen wieder zur Geltung gelangten, da wollte man dies Liedchen vom Honigdieb im Klang der heimathlichen Mundart hören. Schnell ward es ins Italienische, ins Englische übersetzt, und selbst das islandische Idiom mußte sich dem Stoffe beugen.

Die Deutschen standen nicht zurück. Schon 1782 giebt Stäudlin im „Schwäbischen Musenalmanach“ eine niedliche deutsche Fassung, neben der andere ungefähr gleichzeitige Uebersetzungen kaum aufkommen können. Daß unser Lied in allen neueren Uebersetzungen des Theokrit oder des Anakreon nicht fehlt und auch in manche Blüthenlesen aus griechischen Dichtern Aufnahme fand, das versteht sich wohl bei der angedeuteten Beliebtheit von selbst. Ließ sich doch sogar ein Lessing, der die Schönheiten seiner Klassiker trefflich kannte, dazu herbei, den Anfang des Gedichtes zu benutzen und ihn in folgender Weise wiederzugeben:

„Als Amor in den goldnen Zeiten,
Verliebt in Schäferlustbarkeiten,
Auf bunten Blumenfeldern lief,
Da stach den kleinsten von den Göttern
Ein Bienchen, das in Rosenblättern,
Wo es sonst Honig holte, schlief.“

Aber auch die schönen Künste haben sich des reizenden Stoffes bemächtigt. Zunächst die Musik. Daniel Friederici setzt es vierstimmig in Musik und nimmt es in den 2. Theil seines „Musikalischen Sträußleins“ auf, der 1624 in Greifswald erschien. Auch den Text scheint er sich hierfür neu übersetzt zu haben, der bei ihm ganz selbständig lautet:

„Einstmals das Kind Cupido klein
Zum Bienenkorbe kame,
Den Bienlein ihren Honigseim
Zu essen daraus nahme.
Ung’fähr ihn in den Finger stach
Ein Bienlein mit dem Angel,
Drob er bekam groß Ungemach
Und in dem Finger Mangel.

Er lief bald zu der Mutter sein,
Thät ihr solches ansagen,
Sprach: „Mutter, liebste Mutter mein,
Was soll ich dir jetzt klagen!
Ich muß vor Schmerzen sterben schier,
Vom Bienlein ich’s bekommen,
Mich wundert, wo dies kleine Thier
So große Macht genommen.

Zu lachen fing die Mutter an,
Sprach: ‚Was hör’ ich jetzunder,
Hat dir das Bienlein leid gethan?
Das laß dir sein kein Wunder.
Du bist ja auch ein kleines Kind
Und thust oft großen Schaden
Denen, die da viel größer sind
Denn du, drum laß dein Klagen.‘“

Auch der bekannte Leipziger Thomaskantor Hermann Schein komponirte ein ähnlich anfangendes Gedicht, das freilich in der Form des 17. Jahrhunderts sich etwas dürftig ausnimmt:

„Einstmals von einem Bienelein
Amor sehr hart
Gestochen ward
In seine zarten Fingerlein,
Alß er zu tieff
In Bienstock griff,
Den Honig süß zu stehlen,
Er büßen mußt’
Die Honiglust,
Sein Anschlag thät’ ihm fehlen.“

Um 1650 singen ein ähnliches Liedlein zwei Mädchen im Walde, die der berühmte Satiriker Moscherosch in seinen „Gesichten Philanders“ einführt. Sie singen da:

„Hier auff dieser Liebesmatt’
0 Cupido vor dreien Tagen,
Weil er nichts zu schaffen hat’,
0 Wolt sein Zelt und Läger schlagen.
Ach Cupido, keiner Schelm
0 Wie machstu so große Wunden!“

Dann geht es aber anders weiter und schließt mit den poetischen Reimen auf Amor:

„Du Stupfer, du Hauser,
Du Lecker, du Lauser,
Du Schlecker, du Mauser,
So soll es dir gehen,
Recht ist dir geschehen,
So soll dir es gehen.“

In gleicher Weise machte sich die bildende Kunst den Vorwurf zu nutze. Lucas Cranach ist’s, der die Scene in einem Bilde von 1500 dargestellt hat, das sich jetzt in Weimar befindet, und ein diesem sehr nahe kommendes Bild treffen wir in der großherzoglich schwerinschen Galerie, unter welches ein paar lateinische Distichen geschrieben sind, die deutsch ungefähr so lauten:

„Während der Knabe Cupido entraubt dem Bienenkorb Honig,
0Sticht eine Biene den Dieb in seine Finger, o weh!
Also bringet auch uns das kurzverrauschte Vergnügen,
0Das wir ersehnen, nur Leid, bringt uns nur bitteren Schmerz.“

Erst neuerdings wieder zeigt uns den Gegenstand ein Aguarellbildchen: Amor, von einer großen Biene am Leibe gestochen, hält eine Fliegenkatsche in der Hand, um sich des Thieres zu erwehren. Das Blatt fertigte eine ruhmvolle Hand, der Künstler heißt Adolf Menzel. Es liegt in den Handzeichnungen der Berliner Nationalgalerie (Nr. 1630) und bildet daselbst einen werthvollen, treugehüteten Schatz. Vor Jahren wurde es nach dieser Skizze als Schmuck auf ein Tafelservice übertragen, das der verstorbene Kaiser Friedrich besaß.

So ist der eigentlich geringe Stoff des Theokrit und Anakreon allmählich in alle Kreise gedrungen. Leid in der Liebe: das ist ein altes Lied. Sogar unser moderner Roman hat sich nicht vor dem Eindringling schützen können! Ich erinnere nur an Georg Ebers’ „Aegyptische Königstochter“, wo er in das Gewebe des Werkes in einer Wiedergabe hineingeflochten ist, die ich hier zum Schluß herzusetzen mir nicht versagen kann, da sie den leichten Ton der Anakreontik in wunderbarer Weise trifft:

„Als Eros einstmals Rosen brach,
Da ist es ihm geschehen,
Daß seine Hand ein Bienlein stach,
Er hatt’ es nicht gesehen.

Nun schüttelt er die Händchen klein
Nun hub er an zu klagen
Und flog zu seinem Mütterlein
Mit schnellem Flügelschlagen.

‚O Mutter,‘ rief er, ‚Mutter, ach,
Mir ist so weh, so bange.
Ich werde sterben, denn mich stach
Gar eine böse Schlange.

Geflügelt ist das gift’ge Thier:
Du wirst es sicher kennen.
Es ist dasselbe, das allhier
Die Bauern Biene nennen.‘

Doch Kypris sprach: ‚Wenn du, mein Sohn,
Empfindest solches Wehe
Vom Stachel einer Biene schon:
Dann, lieber Sohn, gestehe:

Wie muß es erst dem Menschen sein
Mit deinem Pfeil im Herzen!
Ach, Eros, das ist eine Pein
Und schwerer zu verschmerzen.‘“

Reinhard Kade. 


[16]

Neujahrsgruß für 1890.

Setz’ du zur Erde deinen Fuß
Mit Vorsicht, erstes im Jahrzeh’nte!
Bringst wirklich du den Friedensgruß,
Den wahren, den die Welt ersehnte?

5
O hüt’ ihn wohl! Ein Funke schon

Kann leicht den großen Brand entzünden,
Daß hell des Krieges Fackeln loh’n
Und Feuer sprüht aus erz’nen Schlünden.

Wie athemlos harrt dein die Zeit!

10
Die Wünsche, Hoffnungen und Klagen,

Nie dich erwarten, würden weit
Die höchsten Zinnen überragen.
Wo noch ein finstrer Zorn sich bäumt
Und wo noch Unrecht kränkt, versöhne!

15
Wo gute That noch ward versäumt,

Wo danklos blieb Verdienst, da kröne!

Du führst den letzten Reigen an,
Bewahr’ fürs künftige Jahrhundert,
Was unsres recht und gut gethan

20
Und was gerechter Stolz bewundert.

Neig’ auch zu Wiegen deinen Stab
Und zu des Lebens ersten Stufen,
Zu jenen, die, wenn wir im Grab,
Zum Weiterkämpfen sind berufen!

25
Was birgt dein Schoß? O gieb es kund!

Wir späh’n nach deiner Stirne Falten,
Nach deinem festgeschloss’nen Mund;
Verhüllt umgeben dich Gestalten
Und alle schweigend – durch die Nacht

5
Ertönen Glocken, zu den Waffen,

Ihr Geister, die ihr mit uns wacht,
Mit uns’rem Denken, Ringen, Schaffen!
  Hermann Lingg.




Die Entdeckung der Nilquellen und Stanleys jüngster Afrikazug.

Ein geschichtlicher Rückblick von C. Falkenhorst.


Denkmünze auf James Bruces
„Reisen zur Entdeckung der Quellen des Nils
in den Jahren 1768-1773“.

Aber wenn auch ein noch so tapferer Muth in meiner Brust glüht, eine noch so große Liebe zur Wahrheit, so giebt es doch nichts, was ich lieber kennen lernen möchte, als die so viele Jahrhunderte lang verborgenen Anfänge des Stroms und seine unbekannte Quelle; man eröffne mir die sichere Aussicht, die Nilquellen zu sehen, und ich will vom Bürgerkriege ablassen.“

Diese Worte legt der römische Dichter Lucan in seinem Epos „Pharsalia“ Julius Cäsar in den Mund, und sie bezeichnen treffend das Interesse, welches von den Völkern des Alterthums der Nilforschung entgegengebracht wurde. Den Forschern der damaligen Zeit erschien der gewaltige Strom, der, aus fernem Süden und wüsten Ländern kommend, zur bestimmten Zeit alljährlich aus seinen Ufern trat, als ein großes Geheimniß der Natur, dessen Enthüllung seit Anbeginn der geographischen Wissenschaft von den hervorragendsten Gelehrten angestrebt wurde. Schon Herodot sammelt im 5. Jahrhundert v. Chr. Nachrichten über die Quellen des Nils, ohne zu einer entschiedenen Meinung zu gelangen. In späteren Werken, namentlich bei Eratosthenes (3. Jahrhundert v. Chr.), taucht die Meinung auf, daß der Nil fern im Süden aus Seen entspringe, und diese Ansicht wird am klarsten von Ptolemäus ausgesprochen. Laut den Nachrichten, die er arabischen Kaufleuten verdankte, entspringt der Nil südlich vom Aequator auf den nördlichen Abhängen des Mondgebirges. Sechs kleinere Flüsse ergießen sich zunächst in zwei im Osten und Westen von einander gelegene Seen; aus jedem derselben entspringt ein Flußarm und beide vereinigen sich ein wenig nördlich vom Aequator. Ein dritter kleinerer See liegt nordöstlich von den beiden zuerst erwähnten unter dem Aequator selbst, und er nährt den Blauen Fluß oder den Nil Abessiniens.

Dies war der Stand der Wissenschaft im 2. Jahrhundert nach Christi Geburt, eine Darstellung der Nilquellen, die in großen Zügen durchaus zutreffend ist und die durch die rastlose Forscherarbeit unseres Jahrhunderts nach 1700 Jahren zu Ehren gebracht wird. Die Entdeckung der südwestlichsten Nilquellen ist das große geographische Ergebniß der letzten Expedition Stanleys; die endgültige Lösung eines Räthsels, das 24 Jahrhunderte die Menschen beschäftigte.

Die Expeditionen zur Entdeckung der Nilquellen beginnen schon frühzeitig. Die Stromschnellen bei Assuan, das eigentliche Thor Aegyptens, wurden überschritten, und Kaiser Nero sandte eine Expedition unter zwei Centurionen aus, um das „Haupt des Nils“ (Caput Nili) zu finden. Sie drangen weit nach Süden vor, bis sich der Fluß in großen Sümpfen verlor, in denen es nur schmale Wasserrinnen gab, kaum für die kleinsten Kähne fahrbar. Die Centurionen nahmen eine Karte jener Gegend auf und kehrten zurück, um Nero den Bericht abzustatten. Wir wissen heute, daß auch diese Schilderung auf Wahrheit beruht. Der Weiße Nil wird oft durch das „Sett“ oder die Grasbarre verstopft. Der klassische Papyrus, das wunderbare, in der Regenzeit mit ungeahnter Schnelligkeit emporwachsende Ambatschholz und ein scharfes, mit weißlichem Flaum bedecktes Gras, welches die Araber die „Mutter der Wolle“ nennen, bilden hier an der Oberfläche des Stromes Wiesen, auf denen mitunter Rinder grasen können, und verstopfen den Fluß, daß er nur schmale Rinnen der Schiffahrt offen läßt, oder verstopfen ihn ganz und gar, daß die Barken ruhig liegen müssen und keine Macht sie vorwärts bringen kann.

Das Mittelalter brachte keinen Fortschritt der Nilforschung. Die Araber waren die Geographen Afrikas in jener Epoche; sie verwirrten das Bild des Ptolemäus, indem sie unter den Aequator nördlich von den beiden Nilseen des Ptolemäus noch einen dritten runden See setzten, aus dem nicht nur der Nil, sondern auch die andern damals bekannten großen Flüsse Afrikas, der Senegal und der Juba, entspringen sollten.

Jahrhunderte vergingen, bis europäische Reisende in die Gebiete der Nilquellen eindrangen. Der erste, der sich rühmte, die Nilquellen gesehen zu haben, war Pero Paez, der während seines [17] Aufenthaltes in Abessinien im Anfange des 17. Jahrhunderts an die Quellen des Blauen Nils gelangte - eine Entdeckung, die von Jerome Lobo, der 1625 bis 1632 Abessinien bereiste, bestätigt wurde. Beider Angaben fanden jedoch nicht den genügenden Glauben, und 1768 bis 1773 unternahm der Schotte James Bruce von Kinnaird eine Reise nach Abessinien, besuchte den Tanasee, dem der Blaue Nil entströmt, und wurde zu dem Nilbrunnen geführt, den er folgendermaßen beschreibt:

„Ich kam an die Raseninsel, welche die Gestalt eines Altars hatte und offenbar ein Werk der Kunst war, und stand voll Entzücken an der stärksten Quelle, die in der Mitte entspringt. Man kann sich nicht denken, was in diesem Augenblicke in meiner Seele vorging; ich stand an der Stelle, welche seit beinahe dreitausend Jahren sich dem Geiste und der Forschung der ausgezeichnetsten Männer entzogen hatte.

Vorläufige Skizze der Nilquellen nach den neuesten Angaben Stanleys.

Könige hatten an der Spitze ihrer Heere diese Entdeckung versucht, aber ihre Versuche unterschieden sich nur von einander durch die größere oder geringere Zahl von Menschen, welche dabei zu Grunde gingen. Reichthum, Ehre und Ruhm waren seit einer Reihe von Jahrhunderten demjenigen geboten, der diese Aufgabe lösen würde, und es fand sich keiner, der die Neugierde der Fürsten zu befriedigen, die Wünsche der Geographen zu erfüllen und diesen Flecken von der Thatkraft der Menschen abzuwischen vermochte. Ich triumphirte hier als ein einfacher britischer Privatmann über Könige und ihre Heere und jede Vergleichung machte mich stolzer."

Zu Ehren Bruces wurde in England eine Medaille geschlagen, auf welcher ein weiblicher Genius die Hülle von dem Haupte des Flußgottes hebt, während die Inschrift lautet: "Niemand war es bis jetzt gelungen , dieses Haupt zu schauen!" Es fanden sich auch Kritiker, welche das Verdienst Bruces nicht anerkennen wollten. Außerdem blieb lange Zeit unentschieden, welcher der beiden Flüsse, der Weiße oder der Blaue Nil, der Hauptarm des Nilstromes sei.

Die Frage kam von neuem in Fluß, als zu Anfang dieses Jahrhunderts die ägyptischen Paschas den Nil entlang auf Eroberungen auszogen. Längs des Stromes wurden türkische Forts errichtet und eines derselben, gerade an dem Zusammenflusse der beiden Nilarme, Chartum, schwang sich schon im Jahre 1830 zu einer Handelsmetropole von Nordostafrika empor. Im Jahre 1838 besuchte Mehemet-Ali seine neugewonnenen Länder. Als er den gewaltigen Weißen Nil erblickte, begann er sich von neuem für die uralte Frage des Caput Nili zu interessiren, und da er hörte, daß die weiterhin nach Süden gelegenen Länder nicht nur an Elfenbein, sondern auch an Gold reich sein sollten, beschloß er, Expeditionen zur Erforschung des Weißen Nils und seiner Nebenländer auszurüsten. Alle diese Unternehmungen erreichten nicht das gesteckte Ziel und kamen über den 4° n. Br. nicht hinaus. Die Nachrichten aber, welche über den ägyptischen Sudan verbreitet wurden, lockten nicht nur Naturforscher, sondern auch Händler dorthin; ein Strom von Elfenbeinhändlern, die später Räuber und Skavenhändler wurden, bemächtigte sich des unglücklichen Landes. Es waren das Leute, mit denen später Gordon und Emin zu kämpfen hatten.

Den Fluß hinauf sollte man jedoch die Nilquellen nicht entdecken; auf einem anderen Wege wurde das uralte Räthsel gelöst.

Deutsche Missionäre, die in englischen Diensten in Mombasa an der Ostküste von Afrika thätig waren, brachten die überraschende Kunde von schneebedeckten Bergen, die sie in Aequatorialafrika entdeckt hatten. Der Kilimandscharo und der Kenia bestätigten die Angaben des Ptolemäus von den Schneebergen an den Quellen des Nils und außerdem berichteten Krapf, Rebmann und Erhardt, daß sie von arabischen Handelsleuten, die mit dem Innern bekannt wären, Mitteilungen von einem oder mehreren großen Seen erhalten hätten. Erhardt fertigte sogar eine Karte dieser Seen an, die in den Verhandlungen der Königl. Geographischen Gesellschaft zu London 1856 veröffentlicht wurde. Dieser Anregung folgten die Forschungsreisenden Burton und Speke und erblickten und entdeckten am 13. Februar 1858 den Tanganikasee. Während nun Burton nach verschiedenen Fahrten auf dem See, dessen Ende nicht erreicht wurde, auf seinen Lorbeeren ausruhte, unternahm der ihm untergebene Lieutenant Speke auf eigene Faust einen Forschungszug nach Norden. Am 30. Juli 1858 kam er an das Südende eines Sees, welchen die Eingeborenen „Nyansa“, d.h. See, die Araber „Ukerewe“ nannten. Von einem 200 Fuß hohen Standpunkt überblickte er nothdürftig die ungeheure Wasserfläche und war fest überzeugt, daß der See zu seinen Füßen die Geburtsstätte des Nilstromes sei. Er kehrte zu Burton zurück, dieser aber trat seltsamerweise der Meinung seines Untergebenen nicht bei, erklärte vielmehr, daß der See, den Speke Viktoria Nyansa getauft hat, nur aus einer Reihe von Tümpeln und Teichen bestehe, und vertrat diese Ansicht auch nach der Rückkehr nach Europa aufs leidenschaftlichste. Die „Royal Geographical Society“ entsandte infolge dessen Speke zum zweitenmal nach Afrika, und dieser trat in Begleitung Grants die denkwürdige Reise an, auf der er durch die Gebiete, die heute Deutsch-Ostafrika bilden, an den Kitangele, den mächtigsten westlichen Zufluß des Ukerewe, und an diesen selbst gelangte. Er befand sich hier im Gebiete Mtesas, des mächtigen Herrschers von Uganda, an dessen Hofe er allerlei Erlebnisse zu bestehen hatte. Es gelang ihm jedoch, sich den Durchmarsch nach Norden zu erzwingen, und am 21. Juli 1862 stand er endlich am Ufer des Nils und erreichte die Stelle, wo dieser den großen Nyansa bei den Riponfällen verläßt. In seinem Tagebuch schildert Speke den denkwürdigen Augenblick wie folgt. „Wir waren gut belohnt; denn die ‚Steine‘, wie die Waganda die Fälle nennen, waren [18] weitaus der interessanteste Anblick, den ich in Afrika entdeckt habe. Alle meine Leute rannten sofort, sie zu sehen, obgleich der Marsch lang und ermüdend gewesen war, und selbst mein Skizzenstuhl kam in Thätigkeit. Obgleich sehr schön, so war die Skizze doch nicht so, wie ich erwartet hatte, denn die breite Fläche des Sees war durch einen Bergausläufer von der Ansicht ausgeschlossen und die ungefähr 12 Fuß hohen Fälle, 400 bis 500 Fuß breit, waren durch Felsen gebrochen. Doch war es ein Anblick, der stundenlang fesseln konnte. Das Getöse des Wassers, die Tausende von wandernden Fischen, die mit aller Gewalt aus den Fällen heraussprangen, die Wasoga- und Wagandafischer, die mit ihren Booten herauskamen und sich auf den Felsen mit Ruthen und Haken postirten; die Krokodile und Hippopotamus, die schläfrig auf dem Wasser lagen; die Fähre, die oberhalb der Fälle im Gange war; Rinder, die zum Trinken an den Rand des Sees getrieben wurden: dies alles zusammen mit dem hübschen Rahmen des Landes – kleinere mit Gras gegipfelte Berge und Bäume in den Einsenkungen und Gärten an den unteren Abhängen – machte das Bild zu einem so interessanten, wie man es nur zu sehen wünschen konnte.

Der Zweck der Expedition war nun erreicht. Ich sah, daß der alte Vater Nil ohne Zweifel in dem Viktoria Nyansa entspringe, und daß, wie ich vorhergesagt hatte, jener See die große Quelle des heiligen Flusses sei.“

In Unjoro brachte Speke in Erfahrung, daß sich im Westen noch ein zweiter See befinden solle, war aber verhindert, dem Lauf des Nils zu folgen, und wandte sich direkt nach Norden. Am Weißen Nil traf er mit dem ihm entgegengesandten Baker zusammen und veranlaßte ihn, weiter nach Süden vorzudringen. Der Erfolg dieses Zuges war die Entdeckung des kleineren Sees Luta oder Muta Nsige, welcher zu Ehren des Gemahls der Königin Viktoria der Albert Nyansa genannt wurde. So wurden die Nilseen entdeckt, und wenn auch die Schneeberge des Kilimandscharo und des Kenia dem Quellgebiete des Nils ihre Hauptwasser nicht zusandten, so fand man etwas, was auch an die Mondberge der Alten erinnerte: das Land Unyamwesi in dem Seengebiet bedeutete in der Landessprache das Mondland. Die Einzelheiten waren allerdings noch nicht klar, die Größe der Seen war nicht einmal annähernd bestimmt; Livingstone hatte indessen westlich vom Tanganika einen neuen Riesenstrom, den Lualaba, entdeckt, und bis Nyangwe verfolgt. Von dort floß dieser nach Norden. War auch dieser ein Quellfluß des Nils?

Zur Lösung dieser Frage wurde der durch die Auffindung Livingstones berühmt gewordene amerikanische Journalist Henry M. Stanley ausgesandt. Auf seiner großen Reise durch den dunklen Welttheil 1874–1877 stellte derselbe bekanntlich fest, daß der Lualaba der Kongo sei. Was die Nilquellen anbelangt, so bestätigten seine Untersuchungen zunächst die Richtigkeit der Entdeckungen Spekes, die durch Stanleys Aufnahmen vervollständigt wurden. Zum ersten Male wurde von ihm der Viktoria Nyansa umsegelt und als der größte See Afrikas erkannt. Unter den dunklen Punkten, die noch nach dieser Expedition über die Quellen des Nils übrig blieben, war namentlich einer von hervorragender Bedeutung, der Albertsee, über dessen Ausdehnung keine genaueren Nachrichten vorlagen.

Um diesen zu erforschen, sicherte sich der kühne Reisende den Beistand des Königs Mtesa von Uganda. Da die Bewohner um den Muta Nsige sehr kriegerisch waren, erwirkte er sich von Mtesa ein Begleitcorps von 2000 Mann, mit dem er in Uzimba einrückte. Er kam glücklich an den See. „Er lag wie eine ungeheure Spiegelfläche, ruhig und blau, unter uns, nur an der Küste bemerkte man eine schmale, weißliche, von der aufspritzenden Brandung gezeichnete Linie. Die gegenüberliegende Küste war der hohe Bergrücken von Usongora, der nach meiner wegen Unklarheit der Atmosphäre etwas unsicheren Schätzung ungefähr 23 km entfernt lag.“ Mehr konnte Stanley von dem See aus eigener Anschauung nicht berichten, da die Eingeborenen ihm eine Kriegserklärung überbrachten und die Soldaten Mtesas, sowie die der Expedition zum Rückzug drängten. Von einer Anhöhe hatte Stanley nördlich von dem Muta Nsige einen etwa 4500 m hohen Berg erblickt, den er Gordon Bennett nannte, und außerdem eigenartige Nachrichten von dem gebirgigen Lande Gambaragara und dessen Einwohnern gesammelt. Hier sind die Wohnsitze der hellfarbigen Völker, deren Hautfarbe ursprünglich weiß war. Die Rasse ist zwar sehr heruntergekommen, die jüngste Durchforschung des Landes verspricht jedoch interessante anthropologische Aufschlüsse.

Zu derselben Zeit wurde im Norden der Albertsee von Romolo Gessi, einem der Offiziere Gordons, umfahren und viel kleiner, als man glaubte, gefunden. Stanley hatte somit in Erfahrung gebracht, daß zwischen dem Tanganika und Albertsee noch ein anderer See vorhanden sei, welcher von nun als der Muta Nsige auf den Karten verzeichnet wurde, bis ihn Stanley neuerdings „Albert–Edwardsee“ taufte.

Seit Stanleys Anwesenheit am Muta Nsige im März 1876 hat kein Europäer jene Gegend besucht und es blieb unentschieden, in welchen Strom sich der Muta Nsige entleere, in den Nil oder in den Kongo. Emin hatte zwar am Südende des Albertsees einen Zufluß, den Kakibbi, entdeckt, glaubte aber, daß dieser Fluß von den Bergen von Usongora komme. Auf seinem Zuge zu Emin Pascha entdeckte Stanley zwischen dem Albertsee und Muta Nsige einen neuen hohen, mit ewigem Schnee bedeckten Berg, den Ruwenzori, und in seinen Briefen, die er aus Innerafrika durch Vermittlung Tippu-Tips nach Europa gesandt hatte, war er nach seinem ersten Aufenthalte bei Emin der Meinung, daß eben wegen dieser hohen Berge zwischen den beiden Seen keine Verbindung bestehe und der Muta Nsige dem Kongobecken zuzuzählen sei.

Erst als Stanley mit Emin den Rückzug antreten mußte, nahm er den Weg über jenes Gebirgsland zwischen den beiden Seen und nun begannen die überraschenden Entdeckungen. Es wurde der Kakibbi oder Semliki verfolgt und als Verbindungskanal zwischen dem Muta Nsige und Albert Nyansa erkannt. Gegen fünfzig Flüsse, die von den Bergen kommen, führen ihm große Wassermassen zu, und die Berge des Ruwenzori, die schneebedeckte Gipfel haben, sollen in der Sprache der Eingeborenen wirklich „Mondberge“ heißen!

So haben wir endlich nach Jahrtausende langer Forschung die südwestlichsten Quellen des heiligen Stromes entdeckt und das bestätigt gefunden, was die alten Geographen berichteten. Was noch zu thun übrig bleibt, das ist nur die Feststellung von Einzelheiten. Das allein stempelt die jüngste Expedition Stanleys zu einer der denkwürdigsten aller geographischen Reisen. Allem Anschein nach wird aber auch die Anthropologie von ihr großen Nutzen ziehen. Das wilde Zwergvolk, von dem schon Homer gesungen und von dem uns Schweinfurth die erste sichere Kunde gebracht hat, war bis jetzt nur als ein nomadisirender Jägerstamm bekannt, der auch im südlichen Kongobecken anzutreffen war. Stanley hat in den Waldwildnissen des Aruwimi gegen 150 Dörfer dieser Zwerge berührt und deren Geschicklichkeit im Pfeilschießen bitter empfinden müssen. Die Leute Emins erkannten in ihnen die „Akkas“ Schweinfurths, die Zwerge selbst aber nannten sich „Batua“ – ebenso wie die Zwergstämme, die in den Waldwildnissen des südlichen Kongobeckens leben!

Den düstern Urwäldern von Uregga, die wir aus den Schilderungen Stanleys auf seiner ersten Kongofahrt kennen, steht jetzt der Wald vom Aruwimi zur Seite. Stanley schildert ihn in einem seiner Briefe: „Stellen Sie sich einen dichten Wald Schottlands vor, der das Unterholz eines Hochwaldes von 30 bis 45 m Höhe bildet, ein unlösbares Gewirr von Dornsträuchen, in welches niemals das Sonnenlicht dringt; Bäche, die träge in dem Schilfdickicht dahinfließen; von Zeit zu Zeit einen tieferen Strom. Stellen Sie sich vor, diese wunderbare Vegetation in den verschiedenen Epochen ihrer Entwickelung in üppigem Wachsthum oder düsterm Zerfall; die jungen frischen Lianen einen todten Riesen des Waldes umschlingend.... Das Summen allerlei geflügelter Insekten begleitet das Geschrei der Affen und der Vögel. Von Zeit zu Zeit zeigt sich eine Herde Elefanten und verschwindet sofort in den Tiefen des Waldes. Manchmal lauert ein häßlicher Zwerg in dem Dickicht und schnellt gegen uns den vergifteten Pfeil ab, oder ein athletischer Eingeborener steht da, mit erhobenem Speer, unbeweglich wie eine Bildsäule und verfolgt unsern Marsch mit stummen Blicken. . . . Strömender Regen, eine unreine, Fieber und Ruhr erzeugende Luft – und die Nacht, die ewige Nacht, die uns wie ein Mantel umhüllt. . . . Das war der Schauplatz unseres Daseins während fünf Monate!“

Auf dem ersten Marsche durch diesen Wald verlor Stanley die Hälfte seiner Mannschaft, und die Schwierigkeiten und Kämpfe, die er zu bestehen hatte, als er seinen Nachtrab mit den Munitionsvorräthen wieder nach dem Albertsee führte, sollen die größten gewesen sein, die er auf seinen Reisen erlebt hatte. Doch die Einzelheiten dieses Zuges sind ja durch die Tagespresse zur Genüge bekannt. Emins Provinz, ein Bollwerk der Kultur, ist gefallen, aber wir können uns aufrichtig freuen, daß die tapferen Männer aus dem Herzen Afrikas wohlbehalten die Küste erreicht haben [19] und daß Emin sich von den Folgen des schweren Sturzes wenn auch langsam erholt. Aus Stanleys Berichten erkennen wir, daß die arabischen Sklavenjäger den Aruwimi entlang immer weiter sengend und mordend gegen den Albertsee vordringen, und so werden die Aegypter, die noch im Sudan geblieben sind, bald aufgerieben werden. Vielleicht haben sich schon heute die Araber des Nordens und des Südens die Hand gereicht und herrschen unumschränkt von den Grenzen Aegyptens bis zum Nyassasee. In der Nähe des Mondgebirgs ist ein herrliches Land entdeckt worden, Weiden, deren Anblick die amerikanischen Hirten mit Neid erfüllen würde. Leider ist nur der Augenblick, in welchem dem Entdecker der Kulturträger folgen könnte, in unbestimmte Fernen entrückt! In den Annalen des menschlichen Wissens wird aber diese Expedition unvergeßlich bleiben, denn durch sie ist die Arbeit von Jahrtausenden gekrönt - von dem "Haupt des Nils" der letzte Schleier gehoben warben.




Deutsche Bühnenleiter.

Dr. August Förster.

Es war unsere Absicht, den Lebensbildern deutscher Bühnenleiter in der „Gartenlaube“ binnen kurzem das August Försters folgen zu lassen. Da trifft die Kunde von seinem jähen Hingang ein, der ihn am 22. Dezember mitten aus voller Schaffenskraft herausriß, und uns bleibt nichts übrig, als den wohlverdienten Ehrenkranz, den wir gern dem Lebenden dargereicht hätten, nunmehr dem Todten um das stille Haupt zu flechten.

Dr. August Förster ist im Jahre 1828 zu Lauchstädt geboren; er studirte in Halle Philologie und erwarb sich in Jena den Doktorhut. Aber bald darauf betrat er statt des Katheders die Bühne, zu der ihn eine unbezwingliche Neigung hinzog; wir finden ihn zunächst thätig an kleineren thüringischen Theatern, dann in Posen, Stettin, Danzig und Breslau. Im Jahre 1858 gewann ihn Laube für das Wiener Burgtheater, an welchem Förster schon früher als Gast aufgetreten war, und das glänzende Lob Laubes hat nicht wenig dazu beigetragen, daß er nach Friedrich Haases Abgang im Jahre 1876 die Direktion des Leipziger Stadttheaters erhielt, die er bis zum Jahre 1882 mit gutem Erfolg führte. Zwar war er in der Pleißestadt nicht gerade auf Rosen gebettet und manche seiner Maßnahmen begegnete lebhafter Opposition, die sich besonders längere Zeit hindurch auch gegen seinen Operndirektor Angelo Neumann richtete, bis die künstlerische That, zu welcher der letztere die Anregung gegeben hatte, die erste Ausführung der "Nibelungen" an einem stehenden Theater, womit Leipzig allen Hofbühnen vorausging, die öffentliche Meinung zu Gunsten der Direktion umstimmte. Es war das damals ein großes Wagniß; die Kosten waren überaus bedeutend; aber der vollkommene künstlerische und finanzielle Erfolg belohnten die Kühnheit der Unternehmer. Im Schauspiel zeigten sich die Vorzüge von Försters dramaturgischer Bildung bei der glänzenden Leitung der Proben wie beim Einstudiren der Schauspielkräfte. Fräulein Wessely, die als Anfängerin von der Wiener Theaterakademie nach Leipzig gekommen war, wurde in Försters Schule eine hervorragende Schauspielerin, die „Schöne Helena": Frau Geistinger zu allgemeiner Verwunderung eine stilvolle Tragödin.

Im Jahre 1883 trat Förster als Sekretär und Mitleiter des "Deutschen Theaters" in Berlin an die Seite von L´Arronge. Das neue Kunstinstitut erwarb sich bald eine geachtete Stellung unter den Berliner Theatern, in der Ausführung klassischer Dramen und neuer dichterischer Erzeugnisse von Werth mit dem königlichen Schauspielhaus wetteifernd. Dr. Försters Regietalent, sein unermüdlicher Eifer waren ein wesentlicher Faktor, der diesen Erfolg mit herbeiführen half. Als im Jahre 1888 der Ruf an ihn erging, von der Spree an die Donau überzusiedeln und die Leitung des Burgtheaters zu übernehmen, da trennte er sich schweren Herzens vom Deutschen Theater und gab seine Stellung erst auf, als ihm von Wien aus die günstigsten Bedingungen zugesichert wurden.

Seit etwas mehr als einem Jahre stand Förster an der Spitze des Wiener Hofburgtheaters, und er war gewiß der geeignete Mann dazu; nach Laubes eigenem Zeugniß mußte er als der durchaus befähigte Leiter dieses Instituts erscheinen und der „Alte" würde gewiß mit der Wahl dieses Nachfolgers einverstanden gewesen sein. Groß waren allerdings die Schwierigkeiten, die Förster zu überwinden hatte. Es waren Lücken im Personal auszufüllen und auch das neue Theatergebäude in seiner jetzigen Gestalt fand durchaus nicht allgemeinen Anklang. Man glaubte manches an der Akustik aussetzen zu sollen und überhaupt hatte sich das Publikum an die traulichen alten Räume gewöhnt, der größere Rahmen war den Kabinettsstücken des Konversationsschauspiels, durch welche das Burgtheater sich vorzugsweise glänzenden Ruf verschafft hatte, nicht günstig. Auch der begabteste Kunstleiter kann dieser Schwierigkeiten allein nicht Herr werden, da sie nicht auf seinem eigensten Gebiete liegen; er kann nur ihre Ursachen erkennen und auf Abhilfe dringen. Was aber die innere Reform und Fortbildung des Theaters betrifft, so war August Förster jedenfalls der berufene Bühnenleiter des Wiener Hofschauspiels. Er war mit den Verhältnissen dieses Theaters genau vertraut, kannte die Geschmacksrichtungen des Publikums, die literarischen Strömungen in der Donaustadt und hatte stets mit Bezug auf dramaturgisches Urtheil, auf litterarische Bildung und schriftstellerische Gewandtheit unter den deutschen Direktoren einen hervorragenden Rang eingenommen. Sehr zu bedauern war nun daß Försters schauspielerische Thätigkeit durch seine neue Stellung lahm gelegt wurde. Durch Wahrheit der Darstellung, meisterhafte [20] Rhetorik, wo sie angebracht war, und durch gesunden Humor hatte er stets glücklich gewirkt: wir erinnern nur, was die beiden letzten Vorzüge betrifft, an seinen Nathan und Stadtmusikus Miller, an seinen König Friedrich Wilhelm I. in „Zopf und Schwert“ und an seinen Snoughton in „Pitt und Fox“. Eine vorzügliche Leistung auf dem Gebiete der Tragödie war sein Erbförster in Otto Ludwigs gleichnamigem Trauerspiel.

Was seine schriftstellerische Thätigkeit betrifft, so war Förster in den verschiedensten Sätteln gerecht. Er hat für einzelne Zeitschriften größere Aufsätze aus dem Bereiche seines Fachs geschrieben, welche sich durch innern Gehalt und Gewandtheit der Darstellung auszeichnen; er hat nicht nur zahlreiche französische Stücke für die Bühne bearbeitet, was er früher oft in Gemeinschaft mit Heinrich Laube gethan; er hat neuerdings auch spanische Lustspiele mit Erfolg dem deutschen Theater zu eigen gemacht.

So stand Förster mitten in einem hoffnungs- und erfolgreichen Schaffen, als der Tod ihn abrief, ein Tod, so jäh und unvermittelt, wie er nur an den Menschen herantreten kann. Das glänzende Haus des Hofburgtheaters aber hüllte sich in Trauer, während draußen die Weihnachtsfreude ihre Wogen schlug.

Rudolf v. Gottschall.     




Quitt.

Roman von Theodor Fontane.
1.

Die Kirche war noch nicht aus, aber die alte Frau Menz und ihr Sohn Lehnert – ein schlanker, hübscher Mensch von siebenundzwanzig Jahren, dem man, auch ohne seine siebziger Kriegsdenkmünze (neben der übrigens auch noch ein anderes Ehrenzeichen hing), den gedienten Soldaten schon auf weite Entfernung hin angesehen hätte – hatten den Schluß des Gottesdienstes nicht abgewartet. Sie saßen bereits draußen auf einem großen Grabstein, zu dessen Häupten eine senkrecht stehende Marmorplatte mit einer „Christi Himmelfahrt“ in Relief in die dicht dahinter befindliche Kirchhofsmauer eingelassen war. Der Sohn, der schon während einer ganzen Weile mit der Kante seiner Stiefelsohlen allerlei Rinnen in den Sand gezogen hatte, war augenscheinlich verstimmt und vermied es, die Mutter anzublicken, die ihrerseits ängstlich vor sich hin sah und darauf wartete, daß der Sohn reden solle. Dazu kam es aber nicht, und so hörte man denn nichts als die letzte Liederstrophe, die drinnen eben gesungen wurde. Sonst war alles still. Der grelle Sonnenschein lag auf den Gräbern, die Schmetterlinge flogen dazwischen hin und her und über dem Ganzen wölbte sich der tiefblaue Himmel und versprach einen heißen Tag.

Endlich nahm die Mutter ihres Sohnes Hand. Er zog sie aber unwirsch wieder zurück und sagte: „Ach, laß, Mutter! Du meinst es gut. Aber was hab’ ich davon? Eigentlich bist Du doch schuld an allem, weil Du nicht weißt, was Du willst, und es auch nie gewußt hast. Auf Paschen und Wildern hast Du mich erzogen und wenn’s dann schief geht und Du’s mit der Angst kriegst, dann steckst Du Dich hinter Siebenhaar und jammerst ihm was vor, und der soll dann mit einem Mal einen Heiligen aus mir machen.“

„Du weißt ja doch, Lehnert, was er alles für Dich gethan hat.“

„Weiß alles. Aber er darf mich nicht anpredigen, und wenn er’s thut, so darf er nicht nach mir hinsehen, daß auch der Dümmste merken kann, wen er meint. Das darf er nicht, und wenn ich ihn sehe, dann sag’ ich’s ihm auch.“

„Er will Dich sprechen nach der Kirche.“

„Da haben wir’s. Also wieder abgekartet. Dacht’ ich’s doch. Ach Mutter, Du quälst mich und richtest nichts Gutes damit an.“

In diesem Augenblicke schwieg es drin und statt des Gesanges der Gemeinde hörte man nur noch das Nachzittern der Orgel und bald danach den eigenthümlichen Klapperton, mit dem die Pfennigstücke der einzeln und in Gruppen aus der Kirche Kommenden in die dicht an der Kirchenthür aufgestellte Sammelbüchse fielen.

Und nun kamen auch die Leute selbst und gingen an dem Grabstein vorüber, auf die weit offenstehende kaum dreißig Schritt entfernte Kirchhofspforte zu, wobei sie der Frau Menz und ihrem Sohne freundlich zunickten; aber ehe sie noch den Ausgang erreicht hatten, erschien auch schon im Gesichtskreis der nach wie vor auf dem Grabstein Sitzenden ein breitschultriger und kurzhalsiger Mann von Mitte dreißig, dessen Stutzhut und hechtgrauer Rock mit grünen Rabatten, des Hirschfängers ganz zu geschweigen, über seinen Beruf keinen Zweifel lassen konnten. Vorn, im zweiten Knopfloch, an einem absichtlich nicht allzu kurzen Bande, trug er das Eiserne Kreuz, das sich, eben weil das Band zu lang war, bei jedem Schritt in herausfordernder und jedenfalls in respekterwartender Weise hin und her bewegte. Der ganze Mann ein Bild von Selbstbewußtsein und Hochmuth!

„Guten Tag, Herr Förster,“ sagte Frau Menz und stand rasch auf, um ihm einen Knix zu machen.

Der Förster Opitz nickte kurz, streifte Lehnert, der sich nicht gerührt hatte, mit einem Blick und ging dann weiter.

„Was bliebst Du nicht sitzen, Mutter? Warum hast Du geknixt? Er kam, er mußte grüßen, nicht Du. Aber das ist immer die alte Geschichte mit Dir. Du hast nur zwei Gedanken: Angst und Vortheil, und hast keinen Stolz und keine Ehre. Du bist noch ganz aus der Kriechezeit. Und nun gar kriechen vor dem, vor solchem Schubbejack! Ist er denn Dein Herr? Unser Feind ist er, weiter nichts. Gott sei Dank, er fürchtet sich vor mir. Aber ich wollt’ es ihm auch rathen! Er kennt mich noch vom Görlitzer Scheibenstand her und weiß, ich hab’ eine sichere Hand und ein gutes Auge.“

„Sei doch still, Junge! Du red’st Dich noch ins Gericht. Und wenn Du durchaus reden willst, so rede nicht so laut. Es kann’s ja jeder hören.“

„Soll’s auch!“

Er hätte wohl noch weiter gesprochen, wenn nicht in eben diesem Augenblicke der alte Pastor Siebenhaar in Person von der Kirche her den Kirchhofsgang heraufgekommen wäre, neben ihm der Küster, zu dem er leise sprach.

Und jetzt erhob sich auch Lehnert.

„Ich möchte Dich noch sprechen,“ sagte der Alte, während er Lehnert im Vorübergehen die Hand reichte. „Komm in einer Viertelstunde! Das heißt, so Dir’s beliebt.“ Und mit einem freundlichen Blick, der Lehnert zu Herzen ging, schritt der Alte weiter, erst auf die Pforte und dann, etwas rechts abbiegend, auf das hinter einer Reihe verschnittener Linden gelegene Pfarrhaus zu.




2.

Lehnert setzte sich nach dieser flüchtigen Begegnung wieder. Sonst, wenn der Gottesdienst aus war, ging er mit seiner Mutter in den nahen Kretscham hinüber, um erst eine Stonsdorfer und hinterher einen „Grünen“ oder auch wohl einen Ingwer zu trinken. Heut aber war ihm nicht danach zu Muthe. „Laß uns sehen, Mutter, wie das Grab aussieht!“ sagte er.

Er meinte das seines Vaters, und während er so sprach, nahm er der alten Frau Arm und ging mit ihr den langen Hauptgang hinauf, bis sie vor einem gut gepflegten Grabe standen, an dem nur die halb verwaschene Inschrift erkennen ließ, daß der Todte schon seit lange hier liegen müsse. Die Jahreszahl bestätigte das auch. „Hier ruhet in Gott Anton Menz, Stellmacher und Schreiner zu Wolfshau bei Krummhübel, geb. 13. März 1821, gest. 17. August 1859. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“

Lehnert faltete die Hände, als er die Worte las; wie er aber sah, daß die Alte nach ihrem Sacktuch suchte, riß er die Hände gleich wieder auseinander und sah ärgerlich weg, weil er wußte, daß alles bloß Schein und Komödie war und die Alte nur weinte, weil sie weinen wollte. Sie steckte denn auch das Tuch wieder ein und bückte sich, um eine große gelbe Studentenblume zu pflücken.

„Das war seine Lieblingsblume,“ sagte sie.

['21]

Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.
Frische Fische
Nach einem Gemälde von Otto Lingner.

[22] „Weißt Du das gewiß, Mutter? Ich habe noch keinen Menschen gekannt . . .“

In diesem Augenblicke schlug die Thurmuhr ein Viertel und Lehnert unterbrach sich mitten im Satz. „Es ist Zeit,“ fuhr er fort, „ich kann den Alten nicht warten lassen und muß nun hin und mir meine Litanei holen. Als ob ich in der Kirche nicht schon genug gehabt hätte! Willst Du hier auf dem Kirchhof warten oder gehst Du lieber gleich nach Hause? Eine Weile wird es in der Pastorstube doch wohl dauern, Siebenhaar ist nicht immer der kürzeste. Oder willst Du lieber nach dem Kretscham hinüber und Dir bei Pohl einen Ingwer geben lassen?“

Die Alte verschwor sich gegen den Kretscham und den Ingwer; ihr sei heute so andächtig wie lange nicht, und so wolle sie denn lieber gleich nach Hause. Da sei sie doch am liebsten und am nöthigsten. Opitzens Christine hab’ ihr freilich versprochen, in der Küche nach dem Rechten zu sehen, aber vielleicht habe die gute Seele selber alle Hände voll zu thun.

Und so verließen sie denn gemeinschaftlich den Kirchhof.

Als sie draußen vor der Pforte waren, mußte die Alte, wenn sie nach Krummhübel und Wolfshau zurück wollte, scharf nach links hin abbiegen, sie ließ sich’s aber nicht nehmen, ihren Sohn erst noch bis zum Pfarrhaus, das nach der entgegengesetzten Seite hin lag, zu begleiten, wo sie vorsichtig wartete, bis er eingetreten und im Flur verschwunden war. Dann aber steuerte sie sofort mit einem geschickten kleinen Umwege nach dem Kretscham hinüber, um sich hier den Ingwer geben zu lassen, den sie, „weil ihr heute so andächtig sei“, vor wenig Minuten erst abgelehnt hatte. –

Lehnert stand inzwischen auf dem kühlen Fliesenflur und wartete, denn niemand erschien, trotzdem die Klingel zweimal an geschlagen hatte. Die Hofthür, hinter der ein alter Nußbaum stand, war weit auf und das Summen einer Wespe, die sich vom Hof her in den Flur verirrt hatte, war das einzige, was die Stille unterbrach. Endlich kam die Magd und sagte, sie wisse schon, er möge nur eintreten.

Das that er denn auch.

Es war „des Alten“ Studierstube, die Lehnert von seinen Kindertagen her kannte. Das Christusbild, mit Friedrich Wilhelm III. und dem Kronprinzen zur Linken und Rechten, hing noch gerade so schief wie vor vierzehn Jahren, als er hier, wöchentlich zweimal, auf einer wackligen Konfirmandenbank gesessen hatte. Alles genau wie damals und nur die Dielen noch etwas ausgehöhlter.

Lehnert hatte so seine Betrachtungen, kam aber nicht weit damit, denn in der nächsten Minute schon trat der Alte, der mittlerweile seinen Talar abgelegt und einen Imbiß genommen hatte, von der Nebenstube herein und ließ sich in einen vor seinem Schreibtisch stehenden Polstersessel nieder.

„Ja, Lehnert,“ hob er an, „es ist das alte Lied. Deine Mutter hat sich wieder über Dich beklagt.“

„Ach, Herr Prediger . . .“

„. . . Und daß Du wieder Deine Tobsucht hast und nichts wie bittere Worte sagst und ihm, ich meine natürlich Deinen Nachbar Opitz, den Tod an den Hals wünschest und fluchst und Dich verschwörst, daß er dran glauben solle. Lauter gotteslästerliches dummes Zeug, für das Du viel zu klug, und ich muß Dir das nachsagen, auch eigentlich viel zu gut bist. Ich begreife Dich nicht. Du hast doch einen guten Verstand und hast die gute Schule gehabt, und wenn ich auch weiß, daß man nicht immer nach dem Worte Gottes lebt, so kennst Du’s doch und darfst nicht so sprechen, als ob Du’s nicht kenntest und als ob es gar nicht da wäre. Du weißt recht gut, daß es da ist, und weißt auch recht gut, daß Gottes Wort heilig ist und daß es das Klügste und Beste ist, seine Gebote zu halten. Aber Du redest drauf los wie ein Heide und Türke . . .“

„Ach, Herr Prediger . . . “

„Wie ein Heide und Türke, sag’ ich, und thust es nicht bloß zu Haus und in Deinen vier Pfählen, Du sagst es auch jedem, der’s hören will, und wenn Du Dich müde gesprochen und keine Worte mehr gegen ihn finden kannst, dann bindest Du mit dem Grafen an, dem guten gnädigen Herrn, von dem Du doch weißt, wie nachsichtig er ist, und hältst ihm vor, daß er was Besseres thun könne, als solchen Großthuer und Menschenquäler in die Försterei zu setzen, und daß es kein gutes Ende nehme.“

Lehnert nickte.

„Nun siehst Du, Du nickst und hältst es nicht ’mal für nöthig, ,nein’ zu sagen und Deinem alten Freund und Lehrer, von dem Du weißt, daß er’s gut mit Dir meint, mit einer Entschuldigung oder so was Aehnlichem entgegenzukommen. Du bist geblieben, wie Du schon warst, als Du hier mit Deinem blonden Krauskopf auf der Konfirmandenbank saßest. Das krause Haar haben sie Dir bei den Soldaten weggekämmt, aber den krausen Sinn haben sie Dir nicht wegschaffen können, Du bist ein Trotzkopf, voll Selbstgerechtigkeit, und glaubst, alles am besten zu wissen. Und nun liest Du auch noch allerlei dumme Blätter, in denen hochmüthige Schulmeister und verlogene Winkeladvokaten ihre Weisheit zu Markte bringen, und redest hier in den Kretschams herum von Freiheit und Republik und dem glücklichen Amerika. Lehnert, Lehnert, dazu bist Du mir viel zu schade! Sieh, Junge! aus Dir hätt’ eigentlich was Ordentliches und was ganz Gutes werden müssen, und nun verthust Du Deine Zeit mit schlechter That und schlechtem Wort. Ich lebe nun hier seit Anno 29 und noch zwei Jahre, dann hab’ ich mein Jubiläum und ich darf wohl sagen, ich kenne Euch und weiß, daß Euch allen der Pascher und Wilddieb von Kindheit an im Leibe steckt. Das wird Euch so gleich mit in die Wiege gelegt und so nehmt Ihr’s als Euer gutes Recht und wenn Ihr einen Grenzer oder Förster über den Haufen schießt, dann ist es nicht Mord, dann ist es Nothwehr. Ich weiß das alles und find’ es traurig genug. Aber ich finde mich darin zurecht, das heißt, mißversteh’ mich nicht, ich finde mich darin zurecht, weil ich die schwache menschliche Natur kenne, der es schwer wird, der Versuchung und der Sünde, die heute so ist und morgen so, zu widerstehen. Aber daß Ihr das alles in der Ordnung findet, daß Ihr thut, als ob das Gesetz sich gegen Euch versündige, sich, das ist das Traurige. Und daß Du die Dummheit mitmachst und auch so sprichst, als ob der Opitz ein Scheusal und eigentlich nicht viel besser als der Gottseibeiuns wäre, das thut mir leid. Und nun sprich und sage was Vernünftiges. Aber erst trink ein Glas Wein mit mir! Es ist heiß und die Zunge klebt einem am Gaumen.“

Der Pastor trank auch wirklich ein Glas; Lehnert aber dankte.

„Nun gut, dann setz’ Dich wenigstens. Und dann sage mir, was Du zu sagen hast.“

„Ach, Herr Prediger, Sie wissen ja, wie’s liegt, und wissen auch, wir sind nicht so schlimm, ich schon gewiß nicht. Ich war bei den Soldaten und weiß, was gehorchen heißt, und es ist gar kein vernünftiger Mensch, der gegens Gehorchen ist. Denn das hält alles zusammen. Und so muß auch das Gesetz sein. Aber die Menschen, ja, Herr Pastor, die Menschen, die machen den Unterschied und wenn die nichts taugen, dann ist es schlimm. Das weiß ich auch noch von den Soldaten her und ich darf wohl sagen, und ich hab’ es schriftlich in meinen Attesten, ich war ein guter Soldat. Aber auf die, die den Befehl haben, auf die kommt es an, und was giebt es nicht für Vorgesetzte! Da muß man antreten mit Gepäck und zwei Stunden auf dem Hofe nachexerzieren, und die Sonne brennt und sticht, und wie man sich quälen mag, der Paradeschritt taugt nichts, die Griffe bleiben falsch und wenn sie noch so richtig wären; immer wieder ’ran, immer wieder vor, und dann einen Stoß unters Kinn und Verwünschungen und Drohungen, ,daß man’s wohl noch bis zum Zuchthaus oder bis zum Baugefangenen bringen würde’. Ja, Herr Pastor, solch ein Unteroffizier – und es giebt solche – verlangt auch Gehorsam und findet ihn auch, aber wenn’s dann paßt, dann stellt man ihm ein Bein oder schafft ihn über Eck. Und die, die das thun, die sind nicht gegen Gehorsam und Disciplin, die sind bloß gegen den Unteroffizier. Und was mich angeht, Herr Prediger, ich bin nicht gegen das Gesetz, auch wenn ich’s nicht immer halte, ich bin bloß gegen den Opitz, diesen Schuft und Schelm, diesen Saufaus und Menschenschinder.“

Siebenhaar lächelte. „Da haben wir’s wieder, ganz wie ein Puter, wenn er den rothen Lappen sieht. Du willst Person und Sache trennen. Aber geht das, hast Du ein Recht dazu?“

„Ich meine ,ja’, Herr Pastor. Sie wissen, daß ich zwei Monat drüben in Jauer war, wie’n Verbrecher, unter lauter Gesindel. Und das verdank ich ihm.“

„Er hat Dich angezeigt. Das war seine Pflicht.“

„Er hat mich angezeigt, das war seine Lust. So liegt es. Er ist immer lustig dazu, bei jedem; aber doppelt bei mir, denn wir sind alte Feinde, noch von den Soldaten und vom Kriege her. Ich kenn’ ihn, Herr Pastor; er ist ein schlechter Kerl, und so lang [23] ich denken kann, hat er mich gequält. Er war mein Oberjäger und kein gutes Wort hat er mir je gegönnt. Immer hart, immer roh, und nur wenn’s in die Schlacht ging, war er wie’n Ohrwurm. Es giebt eben Kugeln, die sich verirren. Und dann, Herr Pastor, wenn er nicht gewesen wär’, so hätt’ ich das Kreuz. Aber er hat dagegen gesprochen. Und was hat er gesagt? Ich taugte nichts, ich wäre frech und übermüthig und man könne nicht jedem das Kreuz geben, der ein paarmal aus einem Fenster geschossen habe, bei guter Deckung. Wahr und wahrhaftig, ,bei guter Deckung’, so hat er gesagt, der schlechte Kerl. Und er war gar nicht einmal dabei. Ich will nicht sagen, daß er feig ist, nein, feig ist er nicht, aber ein Neidhammel ist er. Und was dann nachher kam, ich meine das vorige Jahr, nun das weiß der Herr Pastor. Von Unschlitt und Schimmelbrot will ich leben, wenn ich’s dem Kerl verzeih, daß er mich belauert und an die Grenzaufseher verrathen hat, und daß sie mich nach Jauer abgeliefert haben. Und warum? Um ein Stück Reichenberger Tuch, nicht der Rede Werth! Immer hat er mir den Weg gekreuzt. Hol ihn der Teufel!“

Siebenhaar drohte halb scherzhaft mit dem Finger. Lehnert, aber trat an den Alten heran und bat in einem Tone, drin sich Ernst und gute Laune die Wage hielten, um Entschuldigung.

„Ich will Dir den ,Teufel’ zu gute halten, Lehnert, wiewohlen man ihn nicht anrufen soll. Aber versprich mir dafür, Friede zu halten. Ich weiß nicht, ob Opitz Dir unrecht gethan hat mit dem Kreuz, aber wenn es auch wäre. Du mußt es vergessen.“

„Will’s versuchen.“

„Versprichst Du’s ernsthaft? Hab’ ich Dein Wort?“

„Ja! Aber wenn er wieder anfängt . . .“

„Er wird nicht. Ich werde mit ihm sprechen und Du sollst Bescheid haben. Vielleicht bald. Und dann komm ich selbst.“


3.

Während Lehnert dieses Gespräch hatte, schritt der, dem all diese Drohungen galten, heimwärts auf Wolfshau zu, wo seine Försterswohnung mit der Menzschen Stellmacherei zusammengrenzte. Der nächste Weg nach Haus wäre der unten im Thal, an der Lomnitz hin, immer flußaufwärts, gewesen, er mied ihn aber, weil dieser nähere Weg ohne Wirthshaus war und er ernstlich vorhatte, sich bei einem Glase Bier und einem guten Gespräch von den Anstrengungen der Siebenhaarschen Predigt, die wie gewöhnlich gut, aber etwas lang gewesen war, zu erholen.

So stieg er denn, den Umweg nicht scheuend, die große Straße bergan auf Krummhübel zu, wo er sicher war, in dem prächtig gelegenen Wirthshause „Zur Schneekoppe“ den ersehnten guten Trunk und vor allem auch eine gute, das heißt eine gefällige Gesellschaft zu finden, die sich’s angelegen sein ließ, ihn reden zu lassen und ihn bei jedem dritten Worte „Herr Förster“ zu nennen. Denn sich umworben und ausgezeichnet zu sehen und Ehre vor den Menschen zu haben, war das, wonach ihm zumeist der Sinn stand.

Sein Hühnerhund Diana, der darauf dressiert war, die Predigt draußen auf einer von der Sonne beschienenen Kiesstelle zu verschlafen, folgte dicht hinter ihm, ein schönes, schwarz und weiß geflecktes Thier. Und keine halbe Stunde, so bog er in Krummhübel ein, drin eine sonntägliche Stille herrschte. Links lief ein Wässerchen und schäumte, Hühner und Sperlinge pickten überall umher, wo eine Krippe gestanden hatte, und in der offnen Hausthür lehnten einzelne Dorfbewohner und genossen der Sonntagsruhe.

„Guten Tag, Herr Förster,“ sagte Gerichtsmann Klose, seine Pfeife respektvoll aus dem Munde nehmend, und „Guten Tag, Herr Förster“ wiederholte die nebenanwohnende, für gewöhnlich mit ihren Gunstbezeigungen etwas kargende Frau Böhmer den Gerichtsmann Kloseschen Gruß auch ihrerseits und trat aus ihrem Kramladen in die Dorfstraße hinaus, um dem Vorübergehenden die Hand zu geben, ja, sie schien ihn sogar anreden zu wollen. Des Försters Haltung aber war so steif und gemessen, daß selbst Frau Böhmer mit ihrer Frage zurückzuhalten für gut fand.

Und nun noch hundert Schritte, so stand unser Förster Opitz vor Exners „Schneekoppe“,“ trat aber nicht über den Schwellstein in den Flur, sondern bog gleich daneben in einen von einem Staketenzaun eingefaßten Garten ein, in dem um einen plätschernden Springbrunnen herum vor einer großen Veranda viele Sommergäste saßen. Sich diesen zu gesellen, fiel Opitz aber nicht ein, weil er im Vorübergehen herausgehört hatte, daß es Berliner waren, also Leute, von deren eigener Eingebildetheit er für die seinige nicht viel zu hoffen hatte. So ging er denn lieber auf eine kleine, von wildem Wein umwachsene Holzlaube zu, wo noch niemand saß, und ließ sich hier an einem langen braungestrichenen Eßtisch nieder; unmittelbar an der Wand daneben war ein Klingeldraht angebracht, der nach dem Wirthshause hinüber führte. Diesen zog er. Die Bedienung war aber einigermaßen säumig, was ihn, weil er eine Verkennung seiner Wichtigkeit und Würde darin erblickte, sofort heftig ärgerte. Wirklich, sein ohnehin etwas auf Schlagfluß deutendes Gesicht wurde von Minute zu Minute röther, und erst den Hut vom Kopf nehmend und gleich danach Unruhe bald mit dem einen bald mit dem andern zu beschäftigen. Endlich kam die Bedienung, eine schöne schwarze Person, von der es hieß, daß sie Kunstreiterin gewesen und als Kind durch fünf Reifen gesprungen sei, was ihr jetzt freilich etwas schwer geworden wäre, und entschuldigte sich, daß der „Herr Förster“ so lange habe warten müssen.

„Schon gut, Marie, schon gut.“

Und nun bestellte er eine Kulmbacher und ein Schnitzel. „Aber ohne Kapern und Sardellen!“

Die Kulmbacher kam denn auch bald, aber das Schnitzel ließ auf sich warten und in seiner sofort wiederkehrenden Unruhe nahm Opitz diesmal, statt des Sacktuches, ein Notizbuch aus seiner Tasche und begann Einzeichnungen zu machen, die, seiner Miene nach, von besonderer Wichtigkeit sein mußten. In Wahrheit aber waren es bloß Krikelkrakel, bei deren gedankenloser Hinmalung er, aller Aufregung und Wichtigthuerei zum Trotz, neugierig nach der großen Veranda und den vor derselben stehenden Tischen hinüber sah.

Endlich unterbrach die Marie mit dem Schnitzel diese nervöse Geschäftigkeit, und einige Augenblicke nachher bekam Opitz auch Lehrer Wonneberger, dessen Schule bei den „Baberhäusern“ hoch oben im Gebirge lag, waren in den Exnerschen Garten eingetreten, und Opitz ging ihnen, was eine große Auszeichnung war, drei Schritte entgegen und begrüßte jeden einzeln. Er sei froh, daß sie kämen, denn er hab’ einen ganzen Sack voll Neuigkeiten. Es gehe wieder was vor und der gottvergessene Kerl, der Sambetta, stecke dahinter. „Was meinen Sie, Kraatz? Sie sind ja doch auch ein Mann, der was hört und weiß und mit dabei war.“

Während Opitz noch so sprach, hatte man sich’s um den Tisch her bequem gemacht. Die Klingel wurde gezogen, eine Bestellung folgte der anderen, und ehe zehn Minuten um waren, hörte man aus der Holzlaube her nichts als Lachen und das Zusammenstoßen der Seidel.

Vor der nachbarlichen Veranda aber, wo die Berliner gesessen hatten, war alles still und leer geworden.

Ja, alles war still und leer geworden, und doch wurden Opitz und seine Freunde beobachtet, nicht von Gästen draußen, deren es kaum noch gab, wohl aber von Gästen, die drinnen im Exnerschen Hause saßen und durch die Fenster der Gaststube nach der Holzlaube hinübersahen, kleine Leute von Querseiffen und Wolfshau her, Freunde Lehnerts, Führer und Träger, auch wohl Pascher und Wilderer, die hier wie herkömmlich nach dem Gottesdienst ihren Sonntag feierten. Allen gemeinsam war das Gedienthaben bei den „Görlitzern“ oder den Siebenundvierzigern oder den Königsgrenadieren in Liegnitz, und kaum einer befand sich unter ihnen, der nicht die Kriegsdenkmünze getragen hätte. Von einer richtigen Mahlzeit war nicht die Rede, sie begnügten sich mit einem „Grünen“ oder einer Stonsdorfer und die kleine Stummelpfeife ging nicht aus.

„Opitz läßt heute was drauf gehn,“ sagte der dem Fenster zunächst Sitzende. „Wenn ich recht gezählt hab’, ist er schon beim dritten Seidel und sieht aus wie’n Puter. Ihr sollt sehen, er trinkt sich noch den Schlag an den Hals, und eh’ man den Schaden recht besieht, ist er um die Ecke.“

„Du mußt ihm heute was zu gute halten, Schmidt. Siebenhaar hat ja gepredigt, als ob Krummhübel und Wolfshau so was wie Sodom und Gomorrha wären. Und so was hört Opitz gern. Und was ihn am meisten gefreut haben wird, nu das [24] war, daß Siebenhaar immer nach der Ecke hin sah, wo Lehnert Menz saß, und es hätte bloß noch gefehlt, daß er ihn beim Namen genannt hält’. Und ich sah auch, wie Lehnert sich verfärbte.“

„Ja,“ sagte Schmidt. „Und dabei hat Lehnert noch ’nen Stein bei ihm im Brett und ist eigentlich sein Liebling. Daß er ihn, weil er so findig und anschlägig war, auf die Schule nach Jauer geschickt hat, na, das wißt Ihr, und nun nimmt er doch Partei für den Opitz, der den Lehnert zwei Monat ins Jauersche Amtsgefängniß geschickt hat. Ich versteh den Alten nicht und ich kann es mir mit seiner Predigt bloß so denken, daß er ein Unglück verhüten will. Er weiß, daß es beide harte Steine sind und daß es kein gutes Ende nimmt, wenn nicht Friede wird. Einer muß klein beigeben und der eine muß Lehnert sein, weil es Opitz nicht sein kann. Er is doch nu ’mal ein Mann im Amt und sozusagen im Recht. Hol’s der Teufel, daß ich das sagen muß. Und da hat Siebenhaar ihn warnen wollen, ich meine den Lehnert, und ihn ermahnen, daß er zu Kreuze kriecht.“

„Es wird aber nicht helfen. Is alles ein alter Schaden noch von den Soldaten her und nun schon sieben Jahre zurück. Opitz ist ein Quäler und Schuster und war es immer. Er hat ihn chikaniert vom ersten Tag an, ich weiß nicht warum. Ich glaube, Lehnert war ihm zu forsch und zu freiweg und nicht unterthänig genug, und ich erinnere mich, daß das ein ewiges Schnauzern war. ,Das will ein Jäger sein, Du mein Gott’, ,der Menz hat keinen Zug im Leibe’, ,der Menz hat keine Ehre’, ,der Menz hat keine Schneid’. Und so ging es weiter und nahm kein Ende, bis Menz den kleinen Fähnrich von Uttenhoven aus dem Wasser zog. Opitz natürlich spöttelte bloß, als sei’s nichts gewesen, keine vier Fuß tief und der Fähnrich so leicht wie ’ne Feder; als dann aber die Medaille kam, da mußte Opitz still sein und von ,nicht Ehre und nicht Schneid’ war keine Rede mehr. Ich sage Euch, Major Griepenkerl, der damals das Bataillon hatte, der hielt eine Rede, Donnerwetter, der verstand es, das ging an die Nieren, und hätte sich alles wieder zurecht gezogen, wenn nicht der Krieg gekommen wär’ und die Geschichte mit dem Kreuz. Opitz hat ihm das Kreuz gestohlen. Eine ganz verdammte Geschichte . . .“

„Warst Du denn mit dabei?“

„Nein. Aber so gut wie mit dabei, denn ich stand in demselben Zug und habe den ganzen Spektakel, der nachher kam, mit erlebt. Alles war für Menz. Aber Opitz, der sich bei seinem Hauptmann – es war ein neuer, der alte war gefallen – in Thee gesetzt hatte, das versteht er, denn nach oben hin kriecht er und nach unten hin tritt er und schuhriegelt er, Opitz, sag’ ich, wußt’ es so zu drehen, daß Lehnert leer ausging und das Nachsehen hatte. Und von dem Tag an war der Unfrieden wieder da.“

„Wie war es denn eigentlich? War es denn noch bei Sedan? Lehnert spricht nie davon.“

„Nein, bei Sedan war es nicht. Bei Sedan, das war Spaß, trotzdem wir fünf Minuten lang scharf drinsteckten. Aber das ging vorüber wie ’ne Regenhusche. Nein, dies war im Winter, als der französische General . . . nu, Donnerwetter, wie hieß er doch? Bazaine war es nicht . . . “

„Ducrot.“

„Richtig, Ducrot . . . als der seinen letzten Ausfall machte. Die dritte Kompagnie hielt die Vorderreihe von St. Cloud, und in dem Eckhause rechts, dran die große Straße vorbeiläuft, lagen zwölf Jäger von uns unter Oberjäger Jaczewski, und bei diesen zwölfen war auch Lehnert. Nun, daß ich’s kurz mache, die ganze Linie mußte zurück und der Angriff ging zuletzt auf das Eckhaus, das der Punkt war, auf den es ankam. Ging das Eckhaus auch verloren, so nahm man uns in die Flanke. Jaczewski fiel und das Kommando kam an Lehnert und da war bald keiner mehr, der nicht einen Denkzettel weggehabt hätte; Lehnerten, das hab’ ich nachher gesehen, wurde der Gefreitenknopf und der Ohrzipfel weggeschossen. Aber er wollte nichts von Uebergabe wissen und hielt aus, bis Unterstützung kam und die ganze Linie wieder genommen wurde.“

„Und kein Kreuz? Das begreife wer kann! Du mein Gott, da waren doch die Aussagen der Leute!“

„Ja, die Aussagen der Leute. Die Leute, die lagen verwundet im Lazareth und ließen sich natürlich betimpeln und beschwatzen und sagten aus, was Opitz ihnen vorredete. Jaczewski habe das Kommando gehabt und Jaczewski sei gefallen . . . “

„Aber bist Du denn auch sicher, daß Opitz unrecht hatte? Menz ist ein forscher Kerl, aber er dünkt sich was, weil er auf Schulen war, und ist eitel und hält sich für mehr als er ist. Er hat einen Nagel.“

„Ja, den hat er und es ist schwer, Friede mit ihm halten. Er hat so was wie Opitz selber und ist gleich aus dem Häuschen. Aber eins muß doch wahr bleiben, er is ein guter Kerl und ein guter Kamerad und dabei grundehrlich und läßt keinen im Stich, und wenn man ihn nicht reizt und ihm nicht widerspricht und ihm in seinem Willen zu Willen ist, dann ist er wie’n Kind und man kann ihn um den Finger wickeln.“

„Das sag’ ich auch. Und wenn Siebenhaar es recht angefangen hätte, na, dann hätt’ er Opitzen angepredigt und dem ins Gewissen geredet und von den Geizigen und Hartherzigen gesprochen, die nicht ins Himmelreich kommen. Aber er hat den Spieß umgedreht und hat Opitzen recht gegeben. Und das ist nicht recht. Denn Opitz ist ein Narr und ein Quälgeist, und ich wollte bloß, er tränke sieben Seidel und hätte seinen Schlag weg. Dann wären wir ihn los und das arme Volk wär’ ihn los, das in den Wald geht, und könnte sich ruhig sein bißchen Holz holen.“

„Und wir könnten einen Spießer wegschießen, ohne Gefahr und Gericht. Und das ist doch immer die Hauptsache!“


4.

Opitz hatte keine Eile, nach Hause zu kommen, und die dritte Nachmittagsstunde war fast schon heran, als er aufbrach und seinen Weg nach der Wolfshauer Försterei hin fortsetzte. Der alte Förster von der Annenkapelle blieb noch im Exnerschen Lokale zurück, ebenso Grenzjäger Kraatz, und nur Lehrer Wonneberger, der bis zur Obermühle hin denselben Weg mit Opitz hatte, schloß sich ihm an. Es war ein in wunderlichen Sprüngen gehendes Gespräch, das sie führten, erst über den Papst und das neue Dogma, dann über Mac Mahon, der viel zu gut für die Franzosen, und über den Corpskommandeur in Breslau, der zu lang im Dienste sei. All dies erledigten sie übrigens in kurzen Sätzen, um dann um so ausführlicher auf das Nächstliegende einzugehen, auf Siebenhaar, auf Exner, Vater und Sohn, auf den alten Laboranten Zölfel mit seinem Melissengeist und seinen Wundertropfen und auf das Blitzmädel, „die schwarze Marie“.

„Die Marie soll sich ja verheirathen wollen,“ sagte Wonneberger. „Ist es denn richtig, daß sie Kunstreiterin war und als Kind durch fünf Papierreifen gesprungen ist?“

„Ich habe sie nicht gezählt und es mögen wohl auch ihrer sieben gewesen sein. Aber fünf oder sieben, es ist eine forsche Person und sie hat so was, was nicht jede hat, und wenn sie so das Essen bringt und die Messer und Gabeln über den Tisch hinfliegen läßt, wie die chinesischen Messerspieler, dann denk’ ich immer, es geht wieder los. Haben Sie ’mal solche Messerspieler gesehen?“

„Ei freilich, einen Messerspieler und einen Degenschlucker. Und waren noch dazu Brüder. Das ’Runterschlucken ging noch; aber wenn er dann die lange Klinge wieder ’raus holte . . . na, so was wird die Marie doch wohl nicht gemacht haben.“

„Wer weiß! Sie hat so was Biegiges und da geht alles. Und dann, lieber Wonneberger, Sie glauben gar nicht, was die Weiber alles können, wenn sie wollen. Sie können eigentlich alles und wenn ich höre, Marie hat einen Windmühlflügel mit der Kniekehle festgehalten . . . aber hier ist ja schon die Mühle . . . Nu Gott befohlen, Wonneberger, und stecken Sie nicht immer mit dem Menz zusammen. Er hat jetzt seine zwei Monat’ abgesessen und wenn ich ihn recht kenne, so ruht er nicht eher, als bis er die zwei Monat’ auf zwei Jahre gebracht hat. Er ist ein Thunichtgut und, was schlimmer ist, ein Uebermuth und ein hochfahrender Schlingel, der große Rosinen im Sack hat. Aber ich werde sorgen, daß sie klein werden.“

Wonneberger wollte was zur Vertheidigung sagen, weil er eigentlich eine Liebe für Lehnert hatte. Opitz unterbrach ihn aber und fuhr fort. „Und Sie wissen doch, Freund, die Lehrer sollen ein gutes Beispiel geben. Der Liegnitzer Schulrath paßt auf und da steht man im schwarzen Buch, man weiß nicht wie: Reputation, Wonneberger! Immer aufpassen und nie vergessen, daß man Vorgesetzte hat und daß man dem Staat dient und daß man mitzählt.

['25]

Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.
Die Eifersüchtige.
Nach einem Gemälde von A. Ricci.

[26] Alles andere gilt nicht und wenn es gelten will, ist es Hochmuth und Unsinn. Und nun Gott befohlen, Wonneberger. Und nehmen Sie sich in acht, wenn Sie weiterhin übers Wasser müssen; die Brücke ist weggeschwemmt und die Steine sind glatt und Sie sind nicht mehr ganz fest auf den Beinen. Adieu, Wonneberger! Sie sind eigentlich ein guter Kerl, eine gute Schulmeisterseele. Kommen Sie her, Sie sollen noch einen Kuß haben.“

Und nun schieden sie wirklich und während der Lehrer höher bergan stieg, stieg Opitz einen Abhang nieder, der ihn unten, an einem Waldsaume hin, auf die Wolfshauer Gemarkung führte. Freundliche Häuser waren über einen weiten Wiesengrund hin ausgebreitet, durch den die Lomnitz schoß, an deren diesseitigem Ufer das Forsthaus, mit dem Hirschgeweih am Giebel, aufragte. Opitz, der jeden Steg kannte, nahm seinen Weg über eine hoch in Blumen und Gräsern stehende Wiese hin und eh’ er noch bis auf hundert Schritt an seine Gartenpforte heran war, schlug der große Kettenhund an und die bis dahin stumm hinter ihm her trollende Diana antwortete mit einem kurzen Blaff.

Und wenige Minuten später überschritt Opitz die Schwelle seines Hauses.

* * *

Frau Opitz, eine hagere Frau mit tiefliegenden dunklen Augen, die einmal schön und lachend gewesen sein mochten, jetzt aber nur noch geängstigt in die Welt blickten, empfing ihren Mann und fragte, ob sie decken und das Mittagbrot auftragen solle.

So zaghaft die Worte klangen, so klang doch auch etwas von Vorwurf und Anklage heraus, was Opitzen, trotz seiner Umnebeltheit, nicht entging.

„Ach was, Bärbel, Mittagbrot! Was soll das wieder! Wenn ich nicht da bin, bin ich nicht da. Du sollst nicht auf mich warten, ein für allemal. Alles bloß Eigensinn, und mir zum Tort wird das Essen bei Seite gestellt und schmort in der Schüssel, daß es wie Leder aussieht und wie Leder schmeckt. Ich will Ordnung und Stunde halten, so soll’s sein, und wenn ich die Stunde nicht halte, weil ich sie ’mal nicht halten will, nun dann will ich sie nicht halten und will nicht dran erinnert sein, am wenigsten durch Deinen Schmorbraten und Dein Jammergesicht, in dem immer so was liegt, was mich ärgert und was ich nicht leiden kann.“

Diana, müde von dem weiten Marsche, war auf den Großvaterstuhl gesprungen und wollte sich’s eben bequem machen. Aber das paßte Opitzen schlecht. „Ist denn alle Welt verrückt geworden?“ rief er, und den Hund beim Fell packend, warf er ihn auf die Erde und gab ihm einen Fußtritt. Dann ging er auf einen Schrank zu, nahm eine mit Rohr umflochtene Flasche heraus und trank. Es war Kirschwasser, zu dem er, mit oder ohne Grund, das Vertrauen hatte, daß es „niederschlage“. Dann hing er den Staatsrock an den Riegel, machte die Krawatte weiter und warf sich, einen Stuhl heranschiebend, aufs Bett. Und keine halbe Minute mehr, so, hörte man nur noch sein Athmen und Schnarchen. Diana kroch unter den Stuhl und die Frau Försterin verließ leise die Stube; draußen in der Küche aber setzte sie sich zwischen Wand und Herd und ließ sich von Christine, die seit etwa zwei Jahren in ihrem Dienste stand, die Kaffeemühle geben und begann sofort ein allerintimstes Gespräch. Denn in einem ihr eigenthümlichen Klageton über Ehe zu sprechen, war ihr so ziemlich das Liebste vom Leben, auf das sie nicht verzichten mochte, trotzdem sie wohl wußte, daß Christine durchaus abweichender Meinung war.

„Es war ihm wieder nicht recht, Christine! Und wenn ich es nicht warm stelle, ist es auch nicht recht. Er redet immer von Ordnung, aber jeden Tag hat er eine andere. Heb’ ich was auf, weil er zu spät kommt, dann ist zwölf Uhr Ordnung und darf nichts aufgehoben werden, und heb’ ich nichts auf, dann ist es Ordnung, daß eine Frau was aufhebt. Und immer grob und bullrig. Ich sage Dir, Christine, heirathe nicht! Du steckst so mit dem Lehnert zusammen, aber glaube mir, einer ist wie der andere.“

„Nein, Frau Försterin, Lehnert ist doch ganz anders.“

„Ja, das sagt Ihr, das sagt jede; jede denkt, ihrer ist besser und ihr wird der Kuchen besonders gebacken. Aber dem ist nicht so. Freilich hat er nicht solchen kurzen Hals wie Opitz und die Kurzhalsigen sind immer die schlimmsten, das ist wahr und kann ich nicht bestreiten, aber es bleibt doch dabei, sie sind sich gleich, oder wenigstens sehr ähnlich. Sie quälen uns bloß, heute mit Eifersucht und morgen mit Liebe.“

„Na, mit Liebe, das ginge doch noch, Frau Opitz; das is doch nich schlimm! Liebe, denk ich mir, is die Hauptsache.“

„Ja, Kind, das sagst Du wohl, weil Du noch jung bist. Da sieht es so aus. Aber nachher ist es alles anders und mit der Liebe auch. Und wenn man dann alt ist, ist man bloß noch dazu da, sich schimpfen und schelten zu lassen und Strümpfe zu stopfen und einen Knopf anzunähen.“

Christine versicherte das Gegentheil und schon ihre Mutter selig habe immer gesagt: „Christine, heirathen mußt Du, heirathen muß der Mensch! Und die, die viel schimpfen und schlagen, die sind auch gut und mitunter sind es die besten.“ „Und dann, Frau Opitz, ich habe doch auch schon gesehen; daß er Ihnen einen Kuß gegeben hat, und da waren Sie doch ganz vergnügt und so . . . ja, ich weiß nicht recht wie . . . Nein, nein, Frau Opitz, ich lasse mir nichts weismachen. Ich bin für heirathen, und wenn Lehnert nicht will, nu, dann will er nicht, dann will ein anderer. Ich werde schon einen finden. Und ich weiß auch, wie man’s machen muß. Man muß nur immer fidel sein und immer ,ja’ sagen und nichts merken von dem, was man nicht merken soll. Dann kann man hinterher machen, was man will. Ach, liebe Frau Opitz, Sie verstehen es nicht. Sie sehen immer aus, als ob einer gestorben wär’ oder eben dabei wär’, und das können die Männer nicht leiden. Nein, nein, Frau Opitz, ich heirathe!“

Und während sie noch so sprach, nahm sie den Kessel vom Herd und brühte den Kaffee. „Nicht zu viel Wasser, Christine, nicht zu viel!“ warnte die Frau; „Du weißt doch, daß er ihn gern stark hat, und weißt auch, was er immer dabei sagt: ,Schwarz wie der Tod und heiß wie die Hölle’, was mir immer einen Stich ins Herz giebt. Denn man soll vom Tod nicht so reden und am wenigsten, wenn man ein Förster ist. Da ist der Tod da, man weiß nicht wie. Und schlagflüssig ist er auch und von dem verdammten starken Bier kann er nicht lassen. Und dann immer das Kirschwasser! ,Es schlägt nieder,’ sagt er. Ja, wenn es bloß ihn nicht niederschlägt . . .“

In diesem Augenblick fuhren beide Frauen erschreckt zusammen, denn in der Stube nebenan fiel etwas mit dumpfem Schlage zur Erde. Der Schreck währte indessen nicht lange. Frau Opitz erholte sich zuerst. „Er hat den Stuhl umgestoßen und ich will nun hinein und Nachsehen, ob er ausgeschlafen hat.“

Opitz stand, als seine Frau eintrat, bereits vor dem kleinen Spiegel mit blankem Glasrand, der, sammt einer doppelten Verzierung von Zittergras, über der Kommode hing. Er fuhr sich eben mit der Hand durchs Haar und sah noch halb verschlafen aus seinen etwas gerötheten Augen. Ihr Ausdruck aber war mittlerweile doch ein anderer geworden, der Aerger schien mit dem Rausch dahin, und im Spiegel seine Frau gewahrend, trat er auf sie zu, legte den Arm um ihre Hüfte und gab ihr einen Kuß. Die Frau sah verschämt vor sich nieder, denn eigentlich liebte sie ihn und empfand es als einen Gram, daß solche Zärtlichkeiten so selten waren.

„Soll Christine den Kaffee bringen?“

„Versteht sich, soll sie. Und gieb mir die Pfeife! Die verdammte Trinkerei bekommt mir nicht und der Doktor will’s auch nicht und droht mir immer mit dem Finger. Aber das Fleisch ist schwach. Auch ein Förster und alter Soldat hat seine schwachen Stunden. Nicht wahr, Bärbel? Und nun gieb mir auch Feuer und dann den Kaffee. Aber keine Plämpe!“

Während Opitz noch so sprach, klopfte Bärbel mit dem Knöchel an die Wand, was das Zeichen für Christine war, den Kaffee zu bringen, und zündete gleich danach einen Fidibus an, woran Opitz, der sonst in solchen Dingen für das Neue war, eigensinnig festhielt. Er hatte nur zufällig einen Haß gegen Schwefel- und Phosphorhölzer.

Und nun brachte Christine den Kaffee.

„Nu, Christine, laß sehen! Ich hoffe. Du hast nicht zuviel Bohnen aus der Mühle springen lassen. Oder hat die Frau gemahlen? Na, na, nur still . . . Spaß muß sein . . . In Querseiffen ist heute Tanz. Was meinst Du, willst Du hin? Die Frau wird es schon erlauben; nicht wahr, Bärbel?“

Die Frau nickte.

„Nun siehst Du! Der Lehnert wird auch wohl da sein und das ist doch die Hauptsache. He? Na, thu’ nur nich’, als ob’s [27] anders wär’ . . . Und daß ihn Siebenhaar heute angepredigt und ihm den Kopf a bissel gewaschen und seinen Standpunkt klar gemacht hat, na, das wird ihn Dir beim Schottschen nicht verleiden und noch weniger draußen in der Laube. Tanz ist Tanz und Kuß ist Kuß. Und ich gönne ihn Dir auch und heute lieber als morgen. Denn Du bist eine verständige Person und wirst ihn schon zurecht rücken, besser als Siebenhaar. Und ist er erst aus dem Dünkel heraus und sitzt an der Wiege, vielleicht sind es Zwillinge, was meinst Du, Christine? Ja, was ich sagen wollte, sitzt er erst an der Wiege, statt zu paschen und zu wildern, dann werd’ ich auch gute Nachbarschaft mit ihm halten. Ich bin für Frieden, aber zu gutem Frieden gehören zwei.“

Christine hatte, während Opitz so redete, den linken Schürzenzipfel in die Hand genommen und strich an dem Saum entlang. Als er jetzt schwieg, sagte sie: „Nichts für ungut, Herr Förster, aber wenn Sie besser mit ihm wären . . .“

„. . . Da wär’ er besser mit mir,“ lachte Opitz. „Ja, das glaub’ ich. Ich soll anfangen und jeden Morgen, wenn ich ihn drüben hantieren seh’, meine Kapp’ abnehmen und über die Brück’ hinübergrüßen: ,Guten Morgen, Herr Lehnert Menz! Herr Lehnert Menz geruhten wohl zu ruhen? Ah, sehr erfreut. Empfehle mich zu Gnaden . . . ’ Nein, nein, Christine, Unterschiede müssen sein, Unterschiede sind Gottes Ordnungen. Und nun geh’ und komme nicht zu spät! All Ding will Maß haben.“

Christine ging. Frau Bärbel aber hatte mittlerweile nach ihrem Strickstrumpf gegriffen und sah verstimmt vor sich hin, weil es ihr gegen die Hausfrauenehre war, daß Opitz sich in ihre Sache gemischt und der Christine so mir nichts Dir nichts einen Ausgehetag angeboten hatte. Sie schwieg aber und erst als Opitz, der heute den Galanten und Rücksichtsvollen spielte, sie mit freundlicher Miene bat, das Licht und den Fidibusbecher vor ihn hin zu stellen, weil er sie nicht immer wieder belästigen wolle, hielt sie mit ihrer neben allem Aerger herlaufenden Neugier nicht länger zurück und sagte: „Angepredigt hat er ihn? Bist Du denn auch sicher? Er wird ihn doch nicht beim Namen genannt haben?“

„Nein,“ sagte Opitz, dessen gute Laune durch seiner Frau Neugier eher gesteigert als gemindert wurde, „nein, er nannte keinen Namen. Aber es war so gut, als ob er ihn genannt hätte, denn alles sah nach der Ecke hin, wo die Menzens saßen. Und die Alte nickte mit dem Kopf, als ob sie jedes Wort unterschreiben wolle. Freilich weiß ich, daß es nichts zu bedeuten hat, ihr steckt noch so was Polnisches im Blut, kriecht und scherwenzelt immer hin und her, und kann keinem ins Gesicht sehen, und von alldem, wovon der Lehnert zuviel hat, hat sie zu wenig. Alte Hexe, verschlagen und heimtückisch und feige dazu.“

„Sie taugt nicht viel. Aber Du wirst doch dem Sohne die Mutter nicht anrechnen wollen?“

„Nein,“ lachte Opitz. „Das nicht und ist auch nicht nöthig, denn er trägt an seinem eignen Bündel gerade schwer genug. Er trotzt mir, und weil er, außer der Denkmünze, auch noch das Ding, die Schwimmmedaille hat, ich sage, die Schwimmmedaille, denn von retten war keine Rede, und weil es, Gott sei’s geklagt, nahe dran war, daß er das Kreuz kriegte, spielt er sich mir gegenüber auf den Ebenbürtigen, ja den Ueberlegenen aus. Ich wette, er wildert bloß, um mir einen Tort anzuthun; er könnte die Dummheit sehr gut lassen, bei der ohnehin nicht viel ’raus kommt, aber es macht ihm Spaß, mir so unter der Nase hin ein Wild wegzuknallen. Das ist es. Aber ich denke, die zwei Monat in Jauer werden ihm gezeigt haben . . .“

„Du bist zu streng, Opitz.“

„Unsinn! Streng! Was heißt streng? Ich thu’ meine Pflicht.“

„Zu sehr. Du müßtest auch ’mal ein Auge zudrücken.“

„Bah, Bärbel, Du redest, wie Du’s verstehst! Auge zudrücken! Dazu bin ich nicht da, dazu bin ich nicht in Dienst und Lohn. Ich bin dazu da, die Augen aufzumachen. Und thu’ meine Pflicht zu sehr, sagst Du? Als ob man jemalen seine Pflicht zu sehr thun könnte! Man kann sie falsch thun, am unrechten Fleck, so viel geb’ ich zu, thut man sie aber am rechten Fleck, so ist von ,zu sehr’ keine Rede mehr. Die Gesetze sind nicht dazu da, daß Hinz und Kunz mit ihnen umspringen. Das verloddert bloß. Ich bin nicht so dumm, daß ich mir einbildete, wenn der Rehbock geschossen wird, geht die Welt unter. Nein, die Welt geht nicht unter. Aber Ordre parieren geht unter, Ordre parieren, ohne das die Welt nicht gut sein kann. Und heut am wenigsten, wo jeder denkt, er sei Graf oder Herr und könne thun, was ihm beliebt, und sei kein Unterschied mehr. Das ist die verdammte neue Zeit, die das Maulhelden- und Schreibervolk gemacht hat, Kerle, die keinen Fuchs von einem Hasen unterscheiden können, trotzdem sie beides sind. Geh’ mir damit. Ich weiß, was ich zu thun hab’. Und dieser Bengel, dieser Herr Lehnert Menz, gehört auch mit dazu, hat die Glocken läuten hören, schwatzt und quatscht von Freiheit, will nach Amerika gehen und hat keine Ahnung davon, daß sie da drüben noch ganz anders ’ran müssen als hier, sonst holt sie der Teufel erst recht und lacht sie mit ihrer ganzen Freiheit aus. Ich sage Dir, hier ist es am besten, hier, weil wir Ordnung haben und einen König und eine Armee. Ich bin ein Mann in Amt und Dienst und meinen Dienst thu’ ich, und wenn es mir ans Leben geht.“

„Sprich nicht so! Beruf’ es nicht!“

„Unsinn! Unsere Stunden sind gezählt und wir können uns keine zulegen und keine wegnehmen.“

„Doch, doch!“ sagte die Frau.

Der Förster war unter diesem Gespräch ans Fenster getreten und sah auf die hart an seinem Vorgarten vorüberführende Fahrstraße hinaus. Jenseit derselben, dem Blick entzogen, floß die tief eingebettete Lomnitz und man hörte nur ihr Hinschäumen über das Steingeröll. Opitz öffnete das Fenster, um frische Luft zu schöpfen, nahm ein Kiffen und wollte sich’s eben bequem machen, als er Lehnerts gewahr wurde; unwillkürlich trat er zurück, aber doch nur so weit, daß er von der Straße her immer noch deutlich gesehen werden konnte. Lehnert sah ihn auch wirklich und hob seinen Zeigefinger nachlässig und wie zu halbem Gruß bis an den Schirm seiner Mütze.

„Wie der Kerl nur wieder grüßt!“ rief Opitz seiner Frau zu. „Hast Du gesehen, Bärbel? Und das soll ich für einen Gruß nehmen! So grüßt man einen Rekruten, aber nicht einen Vorgesetzten. Und das Gesicht dazu . . .“

„Du bist nicht sein Vorgesetzter.“

„Ach was! Was weißt Du davon! Ich sage Dir, ich bin’s. Und wenn ich es nicht wär’, ein Mann in Amt und Würden ist allemal eine Respektsperson. Der Gernegroß da drüben kann seinen Gruß lassen und sagen, er habe mich nicht gesehen, aber wenn er mich grüßt, muß er mich grüßen, wie sich’s gehört, Mütze ’runter oder den Finger fest an den Streifen und nicht so wie von ungefähr und wie bloß zum Spaß. Das ist Unordnung und Unmanier!“

(Fortsetzung folgt.)


Der Bazar.

Plauderei von Oscar Justinus.

In den Tagen vom 25. bis zum 31. d. M. findet in den Räumen des Schießhauses zum Besten des Vereins zur Unterstützung verschämter Armer ein

Wohlthätigkeitsbazar

statt, zu dessen freundlichem Besuch das unterzeichnete Komitee Sie hierdurch ergebenst einzuladen sich die Ehre giebt.

Gaben wolle man bis zum 20. bei einem der Komiteemitglieder gütigst hinterlegen.

(Folgen neunundvierzig Unterschriften.)

Eine solche Karte in großem Umschlag fiel schwer aufschlagend in den blechernen Briefkasten. Ich erschrecke immer, wenn es so klappt: etwas Gutes klappt nie! Entweder ist es die Aufforderung zu einem Gesellschaftszauber oder eine Verlobungsanzeige oder eine Hochzeitseinladung oder ein zurückkehrendes Manuskript - eins so schlimm wie das andere. Diesmal nur eine Bazareröffnung. Das wird ja den Hals nicht gleich kosten!

Der Umschlag ist geschlossen, einige Privatzeilen sind beigefügt.

Sie rühren her von der Hand einer Freundin und deren Schriftzüge zusehen macht uns große Freude, weniger des Inhalts wegen als wegen dessen, was zwischen den Zeilen liegt. Die Dame hatte nämlich, von schwerem Unglück verfolgt, Jahre lang sich ganz dem Schmerze und der Klage hingegeben. Ihr Name unter den Komiteemitgliedern eines Bazars gab den Beweis, daß endlich sich wieder ein Fünkchen der erloschen geglaubten Lebenslust unter der Asche befunden, daß das Bedürfniß einer Zerstreuung die Weltentfremdete aus ihrer Einsamkeit hervorgelockt hatte. In diesem Sinne allein schon hatte das Unternehmen auf den Namen „Wohlthätigkeits“bazar ein volles Anrecht.

[28]

Aus dem Fürstenkrieg von 1462.
Zeichnung von G. A. Cloß.

[29] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [30] Wir sollten also einiges auf die Tische dieses Markes hingeben von dem was in unserem Haushalt entbehrlich war. Hatten wir denn solche abkömmliche Schätze? Gewiß - jeder hat sie - der kleinste Haushalt fast. Man muß erst einmal versucht haben, sich von einigen dieser unentbehrlichen Entbehrlichkeiten loszumachen, um zu empfinden, wie diese keine große Welt uns über den Kopf gewachsen ist. „Le superflu, chose très nécessaire“, „das Ueberflüssige, ein recht notwendig Ding“ - o nein, Herr Voltaire, es giebt bei diesem Ueberflüssigen auch manches, was wirklich nicht nothwendig ist. Wenn man von der Stadt in die Sommerwohnung übersiedelt, läßt man dreiviertel seines Hausraths zurück und wenn man acht Tage mit dem mitgenommenen Viertel in den entsprechend kleineren Räumen gehaust hat, meint man auch, jener dreiviertel überhaupt nicht zu bedürfen. Macht man von dort aus eine mehrwöchige Gebirgsreise. so läßt man alles zurück, nimmt nur eine Handtasche, einen Plaid, einen Regenschirm und einen Baedeker mit und ist mit diesem Hundertstel ausreichend versehen.

In jedem Haushalte sammeln sich so mancherlei Geschenke und Reiseandenken - es ist wohl ein Pietätsmangel, so etwas fortzugeben, aber der gute Zweck heiligt die schlimmsten Mittel, und wer weiß denn, wem es der gütige Geber verdankt? Es stellen sich so viele doppelt vorhandene Stücke heraus und das Gute ist des Bessern Feind - man würde manches Ding gern durch etwas Gefälligeres ersetzen, wenn man jenes erste los wäre, und so begegnet eine solche Entäußerungsgelegenheit mit wohlhätigem Hintergrund vielfacher Gebelust. Ich suchte also auch einige „Nippes“ heraus, deren Dasein ich erst bemerke, als sie fortgeräumt waren, einige Stickereien, an deren Herstellung sich irgend ein Nichtchen seine lieben Augen verdorben hatte, wenn sie nicht so schlau war, sie fertig zu kaufen; ich fügte einige „unsterbliche Werke“ bei - mit Autograph - glücklicher Gewinner! - und die Sendung machte sich auf den Weg.

„Geben ist seliger denn Nehmen.“ Aus der Fülle seiner Ladenhüter etwas geben ist seliger, als von den Ladenhütern des wohltätigen Nachbars etwas nehmen. Aber man muß eben beides thun und schon beim Anblick der holdseligen jungen Mädchen, die, Cigaretten und Blumensträuße feilbietend, mit den Geschossen ihrer Augen den Eingang beherrschen, wie die Schlösser der Dardanellen den Engpaß ins Marmarameer, nimmt man das harte Wort beschämt zurück.

Wir hatten keine günstige Zeit zum Besuche des Bazars gewählt. Es war am dritten Markttage in der Stunde, in welcher in vielen Häusern zu Mittag gespeist wird. Infolge dessen waren nicht viele Käufer anwesend und die Verkaufsgeneigtheit, der Wetteifer zu bedienen, hatte etwas Unheimliches. Wenn es voll ist, rutscht man besser unbemerkt durch. Heut war das nicht möglich: überall grüßen befreundete, jedenfalls freundliche Gesichter, und es ist herzbeklemmend, zu denken, wie vielen dieser schönen Bazarinen man nichts anderes wird geben können als einen Korb. Zum Glück sind wir zu zweit, meine Frau und ich. Ich allein wäre ja sicher nicht fortgekommen, ohne meine Geldtasche und einen Solawechsel in beträchtlichem Werthe dortgelassen zu haben. Welches männliche Einzelwesen kann einem aufgepflanzten Spalier von Huldinnen in den lieblichsten Bazartoiletten widerstehen, welche nicht müde werden, ihm ihre Schätze anzupreisen? Keines!! In der Begleitung aber gewinnt man Selbstvertrauen, den grausamen Muth, „nein“ zu sagen.

Unsere Strategie war die des siegreichen deutschen Heeres: getrennt marschieren, zusammen schlagen - nämlich abschlagen! Wenn ich vor irgend einer der Buden stehend plauderte, bewunderte, Kleinigkeiten kaufte, und ich fühlte das Nahen des Augenblicks, in dem meine Widerstandskraft erlahmte, rief ich : „Ruft mich dort nicht meine Frau?“ - und tun einem verbindlichen Abschiedsgruß sprang ich aus der gefährlichen Ecke.

Doch ich übertreibe: man muß ja bedenken, daß es der Verkäuferinnen schönes Recht und erhabenste Pflicht ist, zu Gunsten der Bedürftigen die Wohlhabenden zu besteuern. Hinter jeder dieser Salonerscheinungen stehen unsichtbar Hunderte in dürftigen, nicht einmal gegen die Kälte schützenden Kleidern, und je mehr jene euch aus euren Taschen zu locken vermögen, desto größer ist ihr Verdienst. Der heilige Crispinus stahl bekanntlich Leder, um Schuhe davon zu machen, die er den Armen schenke. Ein solches Vorgehen ist ja vor dem Gesetze strafbar - aber die Kirche sprach Crispinus heilig. Die Damen, welche wochenlang um Verkaufsgegenstände betteln gehen und dann in vollem Staat fünf, sechs. sieben Tage lang, sich kaum die Zeit des Mittagessens gönnend, hinter dem Ladentisch stehen, um solche möglichst hoch an den Mann - Käuferinnen bilden die Minderheit - zu bringen, haben mindestens das Anrecht auf - Straflosigkeit. Es sollen ja manche Herren ihren Besuch im Bazar mit einer erheblichen Unterbilanz bezahlen: aber darüber sollten sie sich doch nicht grämen! Wenn ich viel Geld hätte, ich würde mich über jede Kriegslist freuen, welche von schöner Hand in guter Sache gegen meinen Besitz eingefädelt wird; ich würde denen dankbar sein, die mir das Wohlthun so bequem und angenehm machen, und ich würde mich noch fröhlich damit trösten, daß ich, wieviel ich auch in den Händen der geschäftseifrigen Verkäuferinnen gelassen habe, im Vergleiche zu denen, für welche die Gabe bestimmt ist, noch immer als ein wohlhäbiger Mann herauskomme. Uebrigens sind die Damen auch einsichtig und mit dem Kleinsten zufrieden. Gute Freundinnen wollen uns scheuen, begehen einen Verrath an ihrer Sache und winken ab, wenn man kaufen will. Die eine erinnerte mich fast an den Kellner des Restaurant Vignon aus der französischen Posse „Verfolgt“. Für diesen frommen Mann sind die verschwenderischen Diners, für die er den Wein aufträgt, ein Gräuel, und er hält seinen Gästen stets erbauliche Reden, ernste Abmahnungen, giebt ihnen den Rath, solange es Zeit ist, nach Hause zu gehen, ehe er sich darein ergiebt, zu serviren. Wir gingen auch, nachdem wir noch von zarten Händen einen Imbiß kredenzt erhalten, und trugen unsere Packetchen mit innerer Befriedigung nach Hause.

Dort angekommen, wickeln wir unsere Einkäufe aus. Mit Schrecken erkennt meine Frau, daß ich ein Paar der von uns selbst hingelieferten Vasen mitgebracht habe, deren geschmacklose Form uns seit lange ein Dorn im Auge war und die wir glücklich waren, endlich einmal loszuwerden. In unbewußter Anhänglichkeit holte ich sie zum zweitenmal ins Haus. Das war schlimm! - Wenn ich aber später auf eines der genommenen Bazarlose etwa gar eins meiner geschenkten Bücher zurückgewinnen sollte, werde ich mich ernstlich gekränkt fühlen.





Fürsorge für Genesende.

Zu den Anstalten, welche im Dienste edelster Menschlichkeit stehen, gehören unsere Krankenhäuser in denen nicht nur die armen, sondern selbst die reichen Kranken Hilfe und liebevolle Pflege finden. Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist vieles geschehen, um diese Anstalten reicher auszustatten und zu vervollkommnen nach den Fortschritten der Wissenschaft. Wie viel Segen sie gestiftet haben und tagtäglich stiften, ist allbekannt: Die Krankenhäuser sind unentbehrliche, fest eingebürgerte Einrichtungen, deren weitere Entwickelung man der Sorge der Aerzte und Gemeinden anvertraut. Und doch dringt heute gerade aus den Krankenhäusern ein Ruf in die Oeffentlichkeit, welcher sich an den gemeinnützigen Sinn und die Opferfreudigkeit der Mitbürger wendet - ein Ruf, welcher neue edle Zwecke verfolgt und nicht ungehört verhallen darf.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Krankenhäuser den Patienten nur bis zu einer gewißen Grenze Hilfe leihen können; ihre Aufgabe besteht darin, den Kranken zu heilen, die Lebensgefahr abzuwenden; ist diese Heilung erfolgt, so wird der Kranke entlassen. Die Heilung in dem hier gebräuchlichen Sinne des Wortes ist jedoch nicht gleich bedeutend mit völliger Wiederherstellung. Wir wissen alle , daß nach schwereren und länger dauernden Krankheiten der Kranke sich nur allmählich erholt; er ist noch schwach, er muß noch für Kräftigung sorgen, er darf sich Anstrengungen nicht zumuthen; er ist noch kein Gesunder, sondern erst ein Genesender, ein „Rekonvalescent“, und als solcher bedarf er noch richtiger Schonung und Pflege.

Die Krankenhäuser sind nicht in der Lage, sich der Pflege der Genesenden zu widmen: einmal sind sie überall so sehr überfüllt, es kommen immer so viel neue schwere Kranke hinzu, daß die Genesenden den Hilfsbedürftigeren den Platz räumen müssen; andererseits ist das Krankenhaus kein geeigneter Aufenthalt für den Genesenden. Es fehlt ihm hier die Freiheit der Bewegung, namentlich in frischer Luft; die Anwesenheit Schwerkranker und der ernste Gang der Geschäfte wirken auf seinen seelischen Zustand nicht günstig ein.

Aus dem Hospital entlassen! Wie viele freuen sich, wenn sie durch das Thor der Anstalt schreiten können, um wieder in das volle Leben einzutreten, zu wirken und zu schaffen! Wie viele gehen aber noch schwankenden Schrittes mit bleichem Angesicht nach ihrem ärmlichen Heim! Der Winter ist da, der Schneesturm tobt und der Entlassene betritt seine Wohnung. In zahllosen Fällen ist diese Wohnung völlig ungenügend, dumpf und modrig, niemals vom lichten Sonnenstrahl erhellt. Und heute sieht es hier noch trauriger aus als vor ein paar Wochen. Die Krankheit des Familienernährers hat den Ausfall des Verdienstes zur Folge gehabt, und mit der Krankheit haben Entbehrung und oft Noth ihren Einzug die kleine Wohnung gehalten. Man lebt hier von Wind und Hoffnung; das können eine Zeit lang Gesunde ertragen, bis sie sich emporgearbeitet haben - aber der Genesende erwirbt sich in einem solchen Ringen um das Dasein nur zu oft den Keim zu neuem, tieferem, unheilbarem Siechthum. Diese Schattenseiten des Lebens waren längst bekannt und edle Menschen nahmen sich von jeher der Pflege der Schwachen an; jetzt greift in solchen Fällen unsere sociale Gesetzgebung durch ihre Krankenkassen vielfach helfend ein; aber Nächstenliebe und Geld sind nicht immer ausreichend.

Schon in früheren Jahrhunderten war man auf den Gedanken gekommen, für die Genesenden besondere Anstalten, „Genesungshäuser“" oder „Rekonvalescentenheime“ zu schaffen und so das Werk der Krankenpflege ganz durchzuführen. Es gab im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich eine große Anzahl solcher Anstalten, aber die Stürme der Revolution haben sie weggefegt.

Erst in der Mitte unseres Jahrhunderts regte sich dieser Gedanke von neuem. Frankreich und England hatten den Anfang gemacht, und ihnen schloß sich Deutschland an. Schon im Jahre 1861 wurde in München die Gründung eines solchen Heimes von dem „Verein zur Unterstützung hilfsbedürftiger Rekonvalescenten“ angeregt und durch eine große Schenkung Ludwigs I. und ein Vermächtniß des Münchener Bürgers Adelmann gesichert, und so entstand ein Heim, welches leider nur 20 Betten hatte, aber doch reichen Nutzen stiftete. Im Jahre 1869 wurde die Frankfurter Rekonvalescentenanstalt begründet, eine Stunde von der Stadt inmitten eines Gartens gelegen; sie ist eine Zweiganstalt des Heiligen-Geist-Hospitals, war aber bis jetzt nur während des Sommers geöffnet.

Nach dem Kriege von 1870/71 sahen wir in dem wiedergewonnenen Elsaß vielleicht das schönste deutsche Heim für Genesende entstehen. Im Jahre 1876 vermachte der durch wahre Menschenliebe ausgezeichnete Straßburger Bürger Johann August Ehrmann sein nahezu 2 Millionen Mark betragendes Vermögen für gemeinnützige Zwecke, und über 800000 Mark davon waren zur Errichtung und Erhaltung eines Heims für Genesende bestimmt, welches den Namen von des Stifters Mutter Lovisa tragen sollte. Bald darauf erhob sich dieses „Lovisahospital“ in dem Straßburger Vorort Ruprechtsau, mitten in einem großen Parke mit schattigen Alleen, umgeben von Wiesen und Obstgärten. [31] In den letzten Jahren errichteten für Berlin die Johanniter, sowie die Orts- und Berufskrankenkassen Heime für Genesende in Lichterfelde mit 25 Betten und in Heinersdorf und Blankenburg mit 50 Betten. Zuletzt ist noch in Nürnberg eine derartige Anstalt mit 24 Betten entstanden, und in München wird eine zweite für 80 bis 100 Betten gebaut, während für Leipzig durch eine Stiftung von Dr. W. Schwabe auf zwei Gütern im Erzgebirge ähnliche Anstalten ins Leben gerufen worden sind.

So ist diese Angelegenheit längst über die Zeit der Versuche hinaus, überall ist man mit den erzielten Ergebnissen überaus zufrieden und mit Recht fordert man weitere Kreise zur Nachahmung auf. Wie selbst kleinere Anstalten segensreich wirken können, ersehen wir aus der Thatsache, daß die Münchener Anstalt mit einem Belegraum von nur 20 Betten jährlich 300 Genesende verpflegt hat.

Die Heime für Genesende sind noch in einer anderen Beziehung beachtenswerth: „Niemand ist für Wohlthaten, für liebevolle Pflege empfänglicher und dankbarer als ein von schwerer Krankheit Genesender; er ist der günstigsten Einwirkung auf Gemüth und Charakter zugänglich. Man kann diese ethische Seite nicht hoch genug anschlagen, insbesondere für die große Kategorie der männlichen und weiblichen Dienstboten und alleinstehenden Arbeiter, welche ihren Verdienst verloren haben und nicht wissen, wo sie ihr Haupt hinlegen sollen. Auch finden die Pfleglinge in ihren Bemühungen nach neuen Arbeitsstellen hier Hilfe und Rath.“ So äußerte sich ein Gewährsmann auf diesem Gebiete, Professor Dr. v. Ziemssen in München, auf der vorjährigen Versammlung des „deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“; der Verein tagte in Straßburg und die Mitglieder konnten sich durch den Augenschein von dem segensreichen Wirken des „Lovisahospitals“ überzeugen.

Wir zweifeln nicht, daß unsere Berufsgenossenschaften die Errichtung solcher Heime anstreben und daß die Gemeinden sie dabei unterstützen werden; aber wir möchten auch an den Gemeinsinn und die Opferfreudigkeit der Mitbürger einen Mahnruf richten, für die unbemittelten Genesenden Stätten zu schaffen, „wo sie dasjenige finden, was dem Wohlhabenden im Kreise seiner Familie geboten wird, eine dem Körper wie dem Gemüth gleich wohlthuende Pflege“.*      


Blätter und Blüthen.

Gewitter auf dem Sonnblick. Unsere Leser kennen aus der Schilderung Dr. H. J. Kleins (vergl. Jahrgang 1888, S. 724) die Wetterwarte auf dem Sonnblick. Aus der Fülle der merkwürdigen Beobachtungen, die dort angestellt worden sind, möchten wir nur eine, die Beobachtung von Gewittern in jenen hohen Regionen, herausgreifen. Dr. Wilhelm Trabert, der sich während des Sommers 1889 als Assistent Dr. Perntners eine Zeitlang auf dem Sonnblick aufhielt, hat darüber Mittheilungen in der „Meteorologischen Zeitschrift“ veröffentlicht. Nach seiner Schilderung fehlt der Eindruck, den sonst ein Gewitter macht, auf dem Sonnblick fast vollständig; man sieht keine dunklen Wolken herannahen, man hört nicht wie sonst schon lange vorher den Donner, man fühlt keine Gewitterschwüle. Man würde auch über den ersten Blitzschlag höchlichst überrascht sein, wenn sich nicht auf der Wetterwarte ein Warner befände. Dieser Warner oder Ankündiger des Gewitters ist der Fernsprecher. Dieser giebt schon zeitig in der Frühe fast vollkommen verläßliche Anzeichen eines erst nachmittags eintretenden Gewitters. Während sonst vormittags nur ein schwaches Knistern in dem Fernsprecher zu hören ist, wird dasselbe nun schon am Morgen sehr deutlich vernehmbar und steigert sich von Stunde zu Stunde, sehr oft zu einem so heftigen Krachen, daß eine Benutzung zur Unmöglichkeit wird. Das Ueberspringen von Funken an den Blitzplatten, häufig auch von selbst erfolgendes unregelmäßiges Läuten der Glocken giebt das Zeichen, daß der Fernsprecher ausgeschaltet werden muß. Das Haus hüllt sich in Nebel und das Gewitter bricht los; Graupeln und Hagelkörner fliegen gegen die Fenster, und meistens schlägt es in einen der Blitzableiter ein. Der Donner ist dabei, verglichen mit dem in der Ebene, äußerst schwach, dagegen wird nach dem Einschlagen des Blitzes das Haus so heftig geschüttelt, als ob ein Erdbeben stattfände. Einmal erfolgte sogar eine Entladung ohne Donner. Als Dr. Trabert am 14. Juli abends gerade am Fenster stand, ging eine riesige Feuersäule unmittelbar vor demselben nieder, begleitet von einem prasselnden Geräusch, „etwa so, als ob etwas vom Dache herabgeschüttet würde“. Stehen jedoch die Wolken besonders hoch über dem Sonnblick, dann folgt auf den Blitz auch ein stärkerer Donner.

Fig. 1. Positives Elmsfeuer

Eine häufige Erscheinung auf dem Sonnblick ist das Elmsfeuer, und von dem schönsten, welches Dr. Trabert beobachtet hat, giebt er uns folgende Schilderung: „Nach einem Gewitter, während es noch ein wenig regnete, trat negatives Elmsfeuer ein. Das Haus war nicht bloß an den Spitzen, sondern auch an den Wänden mit leuchtenden Punkten besetzt; der Blitzableiter, die eisernen Verankerungen des Hauses, das Schalenkreuz des Windmesser, alles leuchtete; die Fahnenstange war vollständig in Feuer eingehüllt. Wenn man etwas entfernt vom Hause Aufstellung nahm, leuchteten die Haare, die Spitzen des Schnurrbarts, der Hut, die Kleider, und wenn man die Hand ausstreckte, erschienen an jedem Finger (besonders wenn man sie vorher im Schnee befeuchtet hatte) kleine Flämmchen, wobei man ein deutliches Brennen verspüren konnte. Gerade als die Entladungen am stärksten waren, ging in nächster Nähe ein Blitz nieder, worauf die Erscheinung wie abgeschnitten endete. Bald darauf trat positives Elmsfeuer ein, und zwar wiederum so prächtig, wie dies die früheren Male nicht gewesen war.“

Fig. 2. Negatives Elmsfeuer

Die Lichterscheinungen beim positiven und negativen Elmsfeuer sind verschieden. Beim letzteren (Fig. 2) sind die Flämmchen äußerst kurz und bieten nur den Eindruck leuchtender Punkte, tritt dagegen positives Elmsfeuer ein (Fig. 1), so werden die Flämmchen zu Lichtbüscheln von 8 bis 10 cm Länge, die auf 7 mm langen Stielen sitzen. Einen sonderbaren Anblick bot einmal ein Tourist, der auch zur Wetterwarte gestiegen war. Der Herr hatte etwas in die Höhe stehende Haare und sein Haupt war mit einem mehrere Centimeter breiten Heiligenschein umgeben. Da er diesen überirdischen Glanz zu lange über seinem Haupte leuchten ließ, das heißt zu lange außerhalb des Hauses verweilte, so stellte sich bei ihm später Kopfschmerz ein. Auch von anderer Seite wird behauptet, daß man nach dem Elmsfeuer einige Ermüdung fühle.

Einen ganz besonders schönen Anblick gewährte es, wenn man einen Blick in den Abgrund im Norden hinab warf, wo auf jeder Felsenspitze ein solches Lichtbüschel aufsaß, in erhöhtem Maße dort, wo gerade der Wind gegen die Felsen wehte. *      

Des Todes Ernte unter unseren Dichtern. Rasch hinter einander hat der Tod zwei deutsche Dichter dahingerafft, die, so verschiedenartig sie sonst in ihrem Wesen und Schaffen waren, doch beide ein vollgrünend Reis am Baume der deutschen Dichtkunst bildeten, Richard Leander und Ludwig Anzengruber. – Hinter dem Namen „Richard Leander“ hat sich bekanntlich niemand anders als der berühmte Chirurg Richard v. Volkmann verborgen, der am 28. November vorigen Jahres in Halle gestorben ist. Die Wissenschaft beklagt in dem Tode dieses Gelehrten einen unersetzlichen Verlust. Richard v. Volkmann, am 17. August 1830 geboren, seit 1857 Universitätslehrer in Halle und seit 1867 ordentlicher Professor der Chirurgie, hat sich durch zahlreiche Beiträge zu seiner Wissenschaft und durch seine Bemühungen zur Einführung der antiseptischen Wundbehandlung einen Namen gemacht, welchem seine Thätigkeit im deutsch-französischen Kriege, dem er als Generalarzt beiwohnte, neuen Glanz verlieh.

Merkwürdigerweise war es dieser Krieg mit allen seinen Schrecken, durch den Volkmann zu dichterischen Schöpfungen angeregt wurde. Unter dem schon angeführten Namen Richard Leander ließ er „Träumereien an französischen Kaminen“ (1871) erscheinen, Märchen, die, wie er selbst sagt, „aus der Liebe zu deutscher Art und deutschem Wesen hervorgewachsen sind“ und in der Fremde, an französischen Kaminen, den Dichter selbst mit ihren heimathlichen Zauber bannten. Diese Märchen sind voll inniger Empfindung und in edler Form ausgeprägt. In seinen „Gedichten“ (1877) weht eine frische Liebes- und Lebenslust; einzelne Lieder wie „Erster Frühling“ enthalten prächtige Naturbilder mit einem oft hinreißenden Schwung. Die letzte Gabe des Dichters waren die in alterthümlicher Gewandung erscheinenden, frischen und farbenbunten Gedichte „Alte und neue Troubadourlieder“ (1889). –

Ein Lebens- und Charakterbild Anzengrubers haben wir im Jahrgang 1879 der „Gartenlaube“ unter dem Titel „Ein Schillerpreisgekrönter“ gegeben. Jüngst erst wurde der fünfzigjährige Geburtstag des Dichters gefeiert; zahlreiche Zuschriften und Glückwünsche bezeugten, daß er Verehrer und Verehrerinnen in den weitesten Kreisen, auch außerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle, gefunden. Jetzt kommt die traurige Kunde seines Todes: er ist am 10. Dezember in Wien gestorben. Erst vor kurzem hatte die „Deutsche Genossenschaft dramatischer Autoren“ ihn an Joseph von Weilens Stelle zum Vorstandsmitglied und Vertreter ihrer Interessen in Wien gewählt. Anzengruber war ein Volksdichter, und doch hat er als solcher den Schillerpreis erhalten: ein Beweis dafür, daß in seinen Volks- und Dialektschauspielen, abgesehen von der markigen realistischen Kraft der Gestaltung, auch ein höherer Geist waltet, der, trotz der gänzlich abweichenden Form der künstlerischen Einkleidung, etwas Verwandtes mit dem Genius unseres großen Dichters hat.

Und in der That ist seinen meisten Stücken ein Grundgedanke eigen, der eine tiefere menschheitliche Bedeutung hat und aus einer edeln, echt menschenfreundlichen Gesinnung hervorgegangen ist. Dies gilt von seinem ersten Stück: „Der Pfarrer von Kirchfeld“, wie von seinem letzten: „Der Fleck auf der Ehr’“, mit welchem das Wiener Volkstheater seine Vorstellungen eröffnete und welches gegenwärtig die Runde über die deutschen Bühnen macht. – Geboren am 29. November 1839 zu Wien, hat Anzengruber sein fünfzigstes Lebensjahr nur um zehn Tage überschritten. Eines kleinen Beamten Sohn, hat er nur spärlichen Unterricht genossen: er war sieben Jahre lang Schauspieler, eine Zeit lang Polizeibeamter. Den einzigen Sonnenschein in sein Leben brachten die Erfolge seiner Dramen und der auszeichnende Schillerpreis. Außer dem „Pfarrer von Kirchfeld“ werden besonders „Der Meineidbauer“, „Die Kreuzelschreiber“, „Der G’wissenswurm“ von seiner kräftigen dramatischen Art ein dauerndes Zeugniß ablegen. †      
[32]

Der Rigi einst und jetzt. (Mit Abbildungen von R. Püttner, nach Skizzen von C. Käsli-Schultheiß). Der jetzt so viel gefeierte und viel besuchte Rigi war bis gegen die Mitte dieses Jahrhunderts nur den Hirten aus den umliegenden Thälern bekannt; auf ihm weideten sie im Sommer ihre Herden, bereiteten in den vielen zerstreuten Alpenhütten Käse und Butter, sammelten das Wildheu für den Winter und lebten froh und gesund in der reinen, dünnen Bergesluft, unbekümmert um die Stürme der großen Welt. Für die Aussicht in die Weite, für Sonnenauf- und Niedergang, für Naturschönheit, für alles das, was jetzt Hunderttausende aus aller Herren Ländern anzieht, hatten sie wenig oder keinen Sinn; gutes Wetter und ein voller kräftiger Graswuchs war ihnen alles, denn die ausgedehnten Alpenwiesen des Rigi gewährten etwa 3 bis 4000 Kühen Nahrung für den ganzen Sommer.

Das erste Gasthaus auf dem Rigi.

Die Ansammlung von Aelplern veranlaßt nun schon etwa um das Jahr 1700 einen begüterten Landmann, auf dem Rigi in einer Vertiefung 500 Meter unterhalb der höchsten Spitze eine Kapelle errichten zu lassen; auch ein kleines Kloster für die Kapuzinermönche wurde dazu gebaut, damit den vielen Hirten in diesen Alpen Gottesdienst gehalten werden könnte. Durch viele Spenden, Ablaß und erbauliche Geschichten wurden Kloster und Kirchlein bald bekannt unter dem noch jetzt üblichen Namen „Maria zum Schnee“. Bald erhoben sich daneben noch einfache Gasthäuser für Alpenluftbedürftige aus der Umgegend. Außer diesen und den vielen Hirten kam höchst selten ein Fremder auf diese Höhen; die Aussichtspunkte waren noch nicht bekannt und nicht gesucht, man hatte - der Leser findet über diese merkwürdige Erscheinung weiteres in Halbheft 19 des vorigen Jahrgangs - noch keine Empfindung für ihre Schönheit; erst später, im Anfang dieses Jahrhunderts, geschah es häufiger, daß Pioniere des Bergsteigens die leicht zugänglichen Gipfel besuchten. - Von den ersten Rigireisenden nennen wir J. J. Scheuchzer († 1733), J. G. Ebel († 1830) und seinen Zeitgenossen, den Maler Heinrich Keller, alle drei von Zürich; auch Saussure von Genf († 1799) war unter den ersten Besuchern. Alle diese beschrieben in ihren Schriften die wundervolle Aussicht über einen großen Theil der Schweiz und in die Gletscherwelt des Hochgebirgs, priesen die Großartigkeit des Sonnenaufgangs, die reine, stärkende Luft, die Nebelbilder und alle die Merkwürdigkeiten der Alpenwelt.

Das neue Hotel auf dem Rigi-Kulm.

Dies bewirkte nach und nach stärkeren Besuch aus der Schweiz und dem Auslande. Eine einfache kleine Hütte unterhalb des „Kulms“, der Spitze, genügte den immer zahlreicher werdenden Touristen nicht mehr, und es wurde im Jahre 1816 ein Gasthaus erbaut, welches, obschon im einfachen, landesüblichen Stile gehalten, doch nach damaligen Begriffen geräumig und bequem war; es ist dasjenige, welches die obere unserer Abbildungen zeigt. Jetzt ist dieser einfache Bau schon längst verschwunden; an seiner Stelle stehen die größten, mit allem Luxus der Neuzeit ausgestatteten Gasthöfe und Ferienwohnungen. Das neueste derselben ist aus unserer zweiten Abbildung zu sehen. Aber auch unterhalb der höchsten Spitze, auf Rigi-Staffel, Rigi-Kaltbad, auf Klösterli und Rigi-Scheideck und an zahlreichen anderen Punkten wimmelt es von Unterkunftsgelegenheiten aller Art. Zu diesen Gasthöfen und Kurorten führen sehr sorgfältig unterhaltene, gefahrlose und aussichtsreiche Wege, außerdem aber noch zwei Eisenbahnen. Die eine von ihnen, die von Vitznau aus nach Kaltbad und Kulm geht, wurde in den Jahren 1868 bis 1870 von den Ingenieuren Näff, Riggenbach und Zschokke gebaut mit Zahnradsystem und durchschnittlich etwa 20 Prozent Steigung; die andere, 1875 eröffnet, hat als Anfangspunkt Arth-Goldau und leitet mit gleicher Steigung und Anlage über Rigi-Klösterli ebenfalls nach Kulm; eine Zweigbahn führt von Kaltbad nach Rigi-Scheideck; alle diese Bahnen aber bieten prachtvolle Fernsichten von den Wagen aus.

Institutskarneval. (Mit Illustration S. 4 und 5.) Heute sieht es einmal lustig aus in dem sonst so ernsthaften Klassenzimmer! Studierlampe und Globus sind bei Seite gerückt, unbeachtet von den Vorsteherinnen prangt auf der großen Tafel eine höchst verpönte Kunstleistung der mutwilligen Jugend, aber niemand achtet darauf, denn die Zeit drängt; in einer halben Stunde soll der Ball beginnen, und wie viel ist bis dorthin noch zu thun. Das Festspiel wird herrlich werden, der junge Litteraturlehrer, das Ideal der gesammten Oberkasse, hat es gedichtet, mit einer gewissen Rücksichtnahme auf die vorhandenen Kostüme freilich, aber gerade deshalb um so genialer erdacht: eine Huldigung der Künste vor der höchsten von allen, der Poesie. Figuren aus klassischen und modernen Dichtungen leiten die Handlung ein; zum Schluß kommen palmentragende Genien mit weißen Gewändern und Lockenhaaren. Soeben ist man mit deren Anputz fertig geworden und sie treten den Abmarsch auf die Bühne an, begleitet von der ersten Gouvernante, die das Soufflirbuch trägt und sich gerade noch einmal von der Leistungsfähigkeit ihres Trüppleins überzeugt hat. Steht es bei den „Großen“ ebenso sicher?! Man weiß es nicht gewiß, und deshalb „überhört“ eine barmherzige Seele aus dem Volk geschwind noch die Helden und Heldinnen. Gerade stockt Dorothea in ihrer Rede, sie fühlt den Augenblick kommen, wo die Erinnerung plötzlich versinkt und nur das schreckliche Bewußtsein bleibt, daß man jetzt etwas sagen sollte, das mit aller Anstrengung nicht beizuschaffen ist! Theilnahms- und ahnungsvoll blickt der neben ihr stehende Hermann auf das rettende Papier; Max Piccolomini aber, in einer Sturmhaube, welche er nicht in seinem Kürassierregiment gefunden, sieht gespannt hinüber nach dem Wandschirm, hinter dem gerade die erste Vorsteherin sich bemüht, Theklas allzu rothe Backen durch einen Puderüberzug mit schwermütiger Blässe anzukränkeln.

Im Mittelgrunde kniet Corinna und heftet mit eiligen Fingern dem Trompeter von Säckingen die bunte Schleife an das Beinkleid. Lachend schaut die übermütige Blondine zu ihr nieder - sie kann sich noch nicht recht in das knappe Collet finden, und es steht zu vermuten, daß ihr auch Perücke, Federhut und Schnurrbärtchen keinen allzu drohenden Charakter verleihen werden. Die vom Stadtmusikus entliehene Trompete steckt noch in der neben Thekla stehenden Schachtel, sie kommt zuletzt, wenn das Stoßrappier umgehangen ist. Die zweite der gefährlichen, noch am Boden liegenden Waffen hat sich flehentlich das lustige Backfischlein ausgebeten, die muthmaßliche Künstlerin des idealen Lieutenantskopfes an der Tafel, die aus dem Hintergrund halbangezogen herauslacht und sich „furchtbar“ über die lang ersehnten Bubenhosen freut. Aber weit über solche Kindereien erhaben, in süßer eben erblühter Mädchenschöne stehen die beiden Siebzehnjährigen im Vordergrunde: Leonore von Sanvitale und Jung Werners Lieb, Margaretha. Die erstere betrachtet lächelnd von der Seite den angehenden Trompeter, die letztere heftet den träumerischen Blick auf die harmlosen Toilettenkünste der alten Lehrerin, aber ihre Gedanken fliegen dabei weit über das Institut hinaus, ins nächste Jahr, wo sie erwachsen in die Welt geführt wird . . . auf wirkliche Bälle . . . andern Erfolgen entgegen, als sie auf einem Institutsball blühen! . . .

Der Fürstenkrieg von 1462. (Zu dem Bilde S. 28 und 29.) Es ist eine der elendesten und trostlosesten Zeiten im Deutschen Reiche, von welcher der Künstler den Vorhang hebt, eine Zeit bitterer Rechtlosigkeit und Gewaltthat, die schwer auf den unglücklichen Bürgern und Bauern lastete. Fürstliche Willkür, schon ehemals durch den kraftvollen Hohenstaufenarm nur schwer niedergehalten, war unter der sinkenden Kaisermacht ihrer Nachfolger hoch emporgeschossen; die Herzöge von Bayern und Sachsen, die Grafen von Württemberg, die Kurfürsten von der Pfalz und von Brandenburg fühlten sich als die Herren im Reich, dessen machtloses Oberhaupt, der unselige Friedrich III., fern im Osten um die Erhaltung seiner Erblande gegen Rebellen und äußere Feinde ringen mußte, wenn er nicht gar als Flüchtling umherzog und die Gastfreundschaft der Reichsstädte anrief.

So fochten denn, unbekümmert um seine schwache Einrede, die kampfbegierigen Herren im Reich ihre Händel mit einander aus; Franken, Bayern und die Pfalz klirrten jahrelang von dem Getöse der Waffen, welche der Brandenburger Albrecht Achilles und Graf Ulrich von Württemberg gegen Ludwig von Bayern-Landshut und seinen Vetter, den Pfalzgrafen Friedrich, ins Feld führten. Der Bayernherzog hatte rechtswidrig die Reichsstadt Donauwörth überfallen und an sich gerissen, die beiden andern, welche in eigenen Landen schon oft genug das Gleiche gethan hatten, aber eifersüchtig auf die wachsende Macht des Bayern waren, ließen sich vom Kaiser die Achtsvollstreckung gegen ihn übertragen und kühlten als dessen Kommissare die eigene Rachsucht an dem Verhaßten und seinem Verbündeten, dem Pfalzgrafen bei Rhein. Es war ein wüster Raub- und Plünderungskrieg; Graf Ulrich, der früher die schwäbischen Reichsstädte mit blutiger Härte heimgesucht hatte, fiel jetzt mit seinen Mordbanden in die gesegneten pfälzer Lande ein, Korn und Wein unter den Rosseshufen zerstampfend, Gehöfte und Dörfer einäschernd, daß der Feuerschein weithin leuchtete. Und die ritterlichen Herren begnügten sich nicht mit der Verwüstung, die ihr Durchritt in den Getreidefeldern verursachte, sondern sie befestigten noch lange Baumäste an ihren Pferden, um dadurch alles gründlich zu brechen und zu zerstören.

Diese Scenen der Verwüstung sind es, welche der Künstler in trefflicher Weise schildert. Der Anführer der reisigen Schar, über dessen Haupt das württembergische Banner flattert, hat seine Lanze dem Troßbuben

[33]

Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.
Der Heirathsvermittler.
Nach einem Gemälde von Edm. Herger.

[34] gegeben, um freie Hand zu behalten, er beobachtet eben, sich rückwärts beugend, mit teuflischem Hohn das Zerstörungswerk. Weiterhin werden die armen Bauern, die versucht haben, ihren Herd zu vertheidigen, als Gefangene im Zug mitgestoßen, um im nächsten Dorf zum warnenden Exempel aufgehängt zu werden. Jeder der Grafen und Ritter führt ein Kriegsfähnlein, man sieht einige von ihnen auf einer Anhöhe im Hintergrund voll Befriedigung ihr ruhmloses Werk betrachten. Aber mitten in den gräulichen Raubzug fiel damals wie ein Wetterstrah1 Pfalzgraf Friedrich, er brach mit seiner Schar bei Seckenheim aus dem Wald, schlug die Württemberger, denen sich noch die badischen Markgrafen gesellt hatten, nahm die Fürsten gefangen und führte sie weg auf sein Schloß nach Heidelberg. Br.     

Studentenalter. In der preußischen Universitätsstatistik finden sich unter anderem auch interessante Erhebungen über die Frage: wie alt sind unsere Studenten? Es wurden dabei nur diejenigen berücksichtigt, welche mit dem Zeugnis der Reife immatrikuliert wurden und unter diesen nur Deutsche. Im Jahre 1887 betrug die Gesammtzahl derselben auf preußischen Universitäten 11 913. Darunter gab es wenig sehr junge Leute; denn die Jahrgänge unter 19 Jahren waren nur durch 447 Jünglinge vertreten. 19 bis 22 Jahre war über ein Drittel alt: zusammen 4040. Die mittleren Jahrgänge. 22 bis 23 Jahre, umfassten 2100 Studenten. Auf höherer Lebensstufe stand der beträchtliche Rest: 2833 Herren schwankten zwischen dem 24, bis 25. Lebensjahr und 1227 zählten 25 bis 28Jahre. Den Schluß bildeten 193, die bald das dreißigste Lebensjahr erreichten, und 168, die über 30 Jahre alt waren. Aus dieser Statistik hat man folgende Schlüsse gezogen. Unsere Studenten sind älter, als man gewöhnlich annimmt, und zwar aus zwei Gründen. Viele kommen zu spät von der Schule und viele bleiben zu lange auf der Universität. Die Statistiker haben den Studenten selbst die Semester nachgerechnet und dem Juristen z.B. 7 Semester, dem Philosophen 8 und dem Mediziner 10 Semester zur Vollendung seiner Studien bewilligt. Eine nähere Prüfung ergab jedoch, daß 12 Prozent, das heißt 1427 Studenten zu lange studiert haben, oder anders gesagt: mehr Semester als angegeben auf der Hochschule geblieben sind. In dem statistischen Bericht, dem wir diese Zahlen entlehnen, werden auch die Gründe angeführt, welche ein so langes Studium nöthig machten. Es sind dies folgende: Ableisten der Militärpflicht, Krankheiten, der Wunsch, sich gründlicher auszubilden und auch Abneigung gegen das Philisterleben. Zahlenmäßig ließen sich jedoch die einzelnen Gründe nicht belegen, so daß ein Vorwurf wegen zu langen Studierens gegen die Gesammtheit der 1427 nicht erhoben werden kann. Hier läßt uns die Statistik im Stiche und überläßt den Kennern der inneren Verhältnisse das Wort. - Es ist aber noch eine Studentengruppe in dieser Statistik zu erwählten. 35 Herren, die man in keinem der Jahrgänge unterbringen konnte; denn ihr Alter blieb „unbekannt“. *     


Tragisches Ende der Weihnachtsfreunde
Zeichnung von R. Gutschmidt.


Versuch eines „National-Almanachs für Teutsche“. Wir haben an dieser Stelle die Eintheilung und Einrichtung des von der ersten französischen Republik eingeführten Kalenders, sowie die Benennung der einzelnen Tage desselben mitgeteilt (vergl. „Gartenlaube“ 1889, S. 99). Dieser Kalender hat seinerzeit auch in Deutschland Nachahmung gefunden, allerdings in der Beschränkung, daß die frühere Eintheilung des Jahres beibehalten wurde und nur die einzelnen Tage nicht mehr nach Heiligen, sondern nach berühmten deutschen Männern benannt wurden. Der Historiker Ernst Ludw. Posselt, der zu den Ideen der französischen Revolution hinneigte, hat in seinen „Kleinen Schriften“ (Nürnberg 1795) den „Versuch eines National-Almanachs für Teutsche“ veröffentlicht. Es giebt von jedem Monate eine kurze in ungereimten Verszeilen gehaltene Schilderung, in welcher jedem bestimmte Wesenseigenschaften, manchmal allerdings in etwas gewaltsamer Weise, zugetheilt werden. Und zu diesen Eigenschaften sollten auch der Charakter und die Lebensschicksale derjenigen Personen in einer gewissen Beziehung stehen, nach welchen die Tage der betr. Monats benannt wurden. Wir wählen als Beispiel den November

Weh! Durch Felsenritzen heult der Nordsturm,
0 Heulet durch den blätterlosen Wald;
Schaurig heben in den Mitternächten
0 Der Erschlagnen Geister durch den Wald.

5
Weh dem Pilger! den sein böser Engel

0 Solcher Mitternacht entgegenführt:
Paradiese werden ihm zu Wüsten;
0 Seines Lebens Winter kommt so früh.

Jammer! Jammer! fern von seinen Lieben

10
0 Stirbt er in des Elends kaltem Arm:

Doch einst tönt des Weltgerichts Posaune;
0 Dann spricht Gott ihm den gerechtern Spruch."

Diesen gruselnden Versen entsprechend sind die Tage des Novembers meist nach Personen benannt, die auf dieser Welt viel auszustehen hatten und dieselbe meist auf gewaltsame Weise verließen. Die vorgeschlagenen Namen lauten: 1) Kaiser Heinrich IV.; 2.) Heinrich der Löwe; 3) Kaiser Philipp von Schwaben; 4) Herzog Otto von Wittelsbach; 5) Konradin von Schwaben; 6) Friedrich von Oesterreich; 7) Agnes Bernauerin, 8) Kaiser Adolf von Nassau; 9)Kaiser Albrecht I. von Oesterreich; 10) Günther von Schwarzburg; 11) Johannes Huß; 12) Hieronymus von Prag; 13) Friedrich V. Kurfürst von der Pfalz; 14) Wilhelm v. Grumbach; 15) Johann Friedrich, Herzog von Gotha etc. Einen praktischen Erfolg hatte dieser Vorschlag natürlich nicht.

Die klassische Quadratmeile der Geologie. So wird von den Geologen die Umgegend von Oker im Harz genannt, und mit Recht, denn hier stehen wie auf keinem andern Flecke der Erde fast alle Schichten der festen Erdrinde eng zusammengedrängt zu Tage. Mit leichter Mühe kann man darum hier einen tiefen Einblick in die wichtigsten Kapitel der Erdgeschichte erlangen. „Man kann die etwa 6 Kilometer lange Strecke vom Birkenthale an der Oker entlang bis zum Sudmerberge das aufgeschlossene Buch der Schöpfungsgeschichte der Erdrinde nennen. Die Bildungsperioden derselben sind mit unauslöschlicher Schrift, die man aber nur mit Hammer und Meißel in der Hand entziffern kann, in die Steine, Mergel und Thone eingegraben.“ So schreibt H. Schucht in seiner "Geoguosie des Okerthals" (Harzburg , C. R. Stolles Harzverlag) – einem Büchlein, welches Geologen zur leichten Uebersicht und Harzreisenden zur Belehrung dienen soll. *     


Guter Appetit ist ein Zeichen der Gesundheit und ein Gut, das die Menschheit sich gegenseitig wünschen. Er kommt bei vielen von selbst, viele aber klagen über den Mangel desselben und suchen ihn künstlich zu erzeugen. Eigentlich ist eine vernünftige Regelung der Lebensweise das beste Mittel, den verlorengegangenen Appetit wieder zu bringen, aber der Mensch wünscht oft auch rasche Mittel, die im Augenblick wirken. Es giebt eine ganze Reihe derselben und darunter weniger zuträgliche, wie z. B. ein Gläschen Branntwein oder "ein Schnäpschen", wie viele sagen. Wir möchten hier ein Mittel angeben, das den Appetit am besten anregt und nicht schadet. Dieses Mittel ist eine Tasse Fleischbrühe, die jetzt so leicht mit einem Löffel Fleischextrakt herzustellen ist. Professor Voit sagt hierüber: „Es ist nicht zu leugnen, daß die Wirkung der Fleischbrühe eine außerordentliche ist; sie bereitet den Magen Gesunder und Kranker auf die mildeste Weise auf das Verdauungsgeschäft vor und kann daher als Arznei dienen. Daher die glänzenden Erfolge bei den Rekonvalescenten, deren Magen lange unthätig war; sie würden die gewöhnlichen Speisen nicht vertragen, wenn der Magen nicht vorher für die Absonderungen von Saft und die Aufsaugung wieder eingerichtet worden wäre. So wie die Erregungen der Mundschleimhaut auf den Magen einwirken, bevor die Speisen in ihn gelangt sind, so kann vielleicht auch von dem Magen aus auf den übrigen Darm gewirkt werden.“

Es ist darum eine gute Einrichtung, die Suppe zum ersten Gericht zu machen; denn dadurch wird der Magen für die Mahlzeit vorbereitet. Leider ist vielfach Abneigung gegen die Suppe vorhanden; das wissen wir schon aus der Geschichte vom „Suppen-Kaspar“ die im „Struwwelpeter“ nachzulesen ist. Es giebt aber auch große Suppenkaspar, welche die Fleischbrühe durch ein Glas Bier ersetzen. Wenn sie über schlechten Appetit klagen, so ist dies kein Wunder. Mögen sie das Bier abends trinken und ihre Mahlzeit mit der Fleischbrühe eröffnen, dann werden sie den Wunsch „Guten Appetit“ nicht vergeblich anhören müssen. *     


Erleichterungen im Reiseverkehr. Am 1. Dezember 1889 ist in dem Verkehr mittels zusammenstellbarer Rundreisehefte eine gewiß von vielen Seiten mit Freuden begrüßte Neuerung in Kraft getreten, zunächst freilich nur für das Gebiet des Deutschen Reiches. Es wurden nämlich die bisherigen Bestimmungen bezüglich des Befahrens von Doppelstrecken gänzlich aufgehoben, so daß jetzt die bei der Hinfahrt benutzte Strecke ohne jede Einschränkung ganz oder theilweise, je nach Belieben, bis zum Ausgangspunkte der Reise zurück zum zweitenmal befahren werden kann. Bedingung bleibt jedoch auch ferner, daß die Fahrt hin und zurück mindestens 600 km umfaßt und daß Ausgangs- und Endpunkt derselbe bleibt und vor Beendigung der Reise nicht wieder berührt wird.

[35] Es sind also derartige „Rundreisehefte“ nichts anderes als eine besondere Art Rückfahrkarten, deren wesentliche Vorzüge: die Möglichkeit der Fahrtunterbrechung auf jeder größeren Zwischenstation ohne alle Förmlichkeiten, vor allem aber die ausgiebige Gültigkeitsdauer von wenigstens 45 Tagen man sich gern gefallen läßt.

Das König Johann-Denkmal in Dresden. Auf dem Platze zwischen der Hofkirche und dem Hoftheater zu Dresden erhebt sich das Denkmal des Königs Johann von Sachsen, von dem die „Gartenlaube“ schon früher (vgl. Halbheft 15 des vor. Jahrg.) kurz berichtet hat, ein eindrucksvolles Kunstwerk von Johannes Schillings Meisterhand, würdig des Anlasses, aus dem es geschaffen wurde, der achthundertjährigen Jubelfeier der Wettiner, und würdig des Mannes, dem es gilt.

Das König Johann-Denkmal in Dresden, entworfen von Johannes Schilling.

Ein Stufenbau aus grünem Syenit trägt eine Basis von 13/4 Metern Höhe. Dem Auge des Beschauers zunächst liegend, ist dieser Theil am reichsten mit figürlichem Reliefschmucke bedacht; lebendig entworfene Gruppen auf den beiden Langseiten versinnbildlichen das vielgestaltige Erwerbsleben des gesegneten Sachsenlandes, Land- und Forstwirthschaft, Handel und Gewerbe; wir sehen auf unserer Abbildung Merkur, den Gott des Handels, mit seinem Stabe, den Bergmann an der Arbeit, den Schiffer in seinem Nachen, den Fischer an seinem Netze, und über ihnen thront der Wohlstand mit seinem reichen Füllhorne. Die vorspringenden Rundungen an den vier Ecken tragen andere Gruppen, die Künste, die Wissenschaften, die Industrie und das Kriegswesen darstellend; übereinstimmende Sinnbilder zieren die Sockel der über diesen Rundpfeilern sich erhebenden Kandelaber. Auf der geschilderten Basis ruht das mächtige 3 Meter hohe Postament; es trägt auf seiner Vorderseite unter der Königskrone den einfachen Namen Johann, am unteren Rande aber auf einem durch zwei Kränze gewundenen Spruchbande die auf die goldene Hochzeit König Johanns und seiner Gemahlin bezüglichen Zahlen 1822–1872. An den beiden Langseiten sind Genien angebracht, welche in schwebender Haltung Tafeln tragen mit Sprüchen, die des Königs Charakter kennzeichnen, auf der einen Seite: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben“, auf der andern: „Fromm und wahrhaftig sein behütet den König, und sein Thron besteht durch Frömmigkeit“. Ein Buch mit dem Bildnisse Dantes, als Erinnerung an König Johanns wissenschaftliches Streben, die Regierungszahlen 1854–1873, endlich ein Schild mit der Jahreszahl der Errichtung des Denkmals nehmen die Rückseite ein.

Ueber diesem Postamente nun ragt das fast 6 Meter hohe eherne Reiterstandbild empor. Den Krönungsmantel über der Generalsuniform, das Scepter im rechten Arme, unbedeckten Hauptes, so schaut der greise König mit dem milden Ausdrucke des Gesichtes, der ihm eigen war, über die Welt zu seinen Füßen weg, „ein Fürst, der in Wahrheit auf der Menschheit Höhen wandelte“. Die Porträtähnlichkeit ist in hohem Grade gelungen und das ganze Denkmal darf sich den schönsten Werken plastischer Kunst in Deutschland ebenbürtig an die Seite reihen. Alle Theile desselben, mit alleiniger Ausnahme des Unterbaues aus Syenit, sind aus Bronze mit jener hohen Vollendung hergestellt, die der Künstler schon am Niederwalddenkmal vor aller Welt bewiesen hat. =     

Kaiserin Auguste Victoria. (Zu unserer Kunstbeilage.) Mit dem Halbheft 1 des vorigen Jahrganges der „Gartenlaube“ boten wir unseren Lesern in besonderer Kunstbeilage das Porträt Kaiser Wilhelms II. dar, mit dem jetzt beginnenden Jahrgang lassen wir als Gegenstück das Bildniß der jungen regierenden Kaiserin folgen. Die jedem Deutschen längst vertrauten freundlich gewinnenden Züge der Kaiserin Auguste Victoria – so, und nicht Augusta Victoria wünscht die hohe Frau genannt zu werden – sprechen auch aus diesem Bilde, und wir hoffen, gerade mit dieser Kunstgabe einem besonderen Wunsche unserer Leser entgegenzukommen.


Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

H. F. in Insterburg. Mittels folgender Flüssigkeit kann man Tintenflecke, Schriftzüge etc. entfernen, ohne das Papier zu beschädigen. 20 g Chlorkalk schüttelt man mit 30 g destillirtem Wasser, bis sich der Chlorkalk löst. Dann läßt man die Flüssigkeit so lange ruhig stehen, bis sie völlig klar erscheint, worauf man sie vorsichtig in ein dunkles Fläschchen gießt. Zu dem Flascheninhalte giebt man nunmehr 5 g Essigsäure, schüttelt tüchtig um und verschließt das Fläschchen fest, so lange man das Mittel nicht benutzt. Wenn dann die Tintenflecke, Schriftzüge etc. von dem Papier entfernt werden sollen, werden dieselben vermittelst eines feinen Haarpinsels mit der Flüssigkeit bestrichen, mit weißem Lösch- oder Fließpapier abgepreßt und schließlich getrocknet.

B. S. in Berlin. Das Gold ist keineswegs, wie Sie anzunehmen scheinen, das theuerste Metall; es giebt eine ganze Reihe Metalle, die höher im Preise stehen als dasjenige, aus dem die halben, die ganzen und die Doppelkronen geprägt werden, da sie äußerst selten oder schwierig darzustellen sind und meistens nur für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden. Die „Naturwissenschaftliche Wochenschrift“ brachte gewissermaßen eine Preisliste der selteneren und seltenen Metalle. Demnach sind theurer als Gold das Iridium, Osmium, Palladium, Barium, Niobium, Ruthenium, Didymium, Yttrium, Strontium, Beryllium, Lithium und das Vanadin. Das Kilogramm feinen Goldes gilt 3000 Mark; von den obengenannten Metallen ist am billigsten das Palladium, das Kilo kostet aber immerhin 4000 Mark. Am theuersten ist dagegen das im Jahre 1840 von Mosander aufgefundene Didymmetall, dessen Preis 36 000 Mark für das Kilogramm beträgt. Das leichteste der Metalle ist das Lithium (feine Salze in den sog. Lithionwässern sind bekanntlich Heilmittel gegen Gicht, „Zipperlein“ etc.) – aber ein Kilo davon kostet die schwere Summe von 20 000 Mark.

Frau H. H., Schönberg O/L. Wir bedauern, in die Geheimnisse der holländischen Wäsche nicht hinlänglich eingeweiht zu sein, um Ihnen den Grund angeben zu können, warum dieselbe durch besondere Weiße glänzt. Probieren Sie einmal das alte deutsche Rezept; sorgfältig jedes Stück vorher einseifen, viel Wasser, viel Seife, wenig Soda, sauber auswaschen, tüchtig kochen, brühen, schwenken, zuletzt Rasenbleiche im Sommer. Sie werden dann über Mangel an Weiße wohl nicht zu klagen haben.

Ant. S. Wenden Sie sich gefl. an einen Arzt.

R. K. in Kolmar i. P. Wir rathen Ihnen, sich das Buch von A. Dreger, „Die Berufswahl im Staatsdienste“ zu verschaffen. Dort finden Sie S. 12 und S. 21 der 3. Auflage auf alle Ihre Fragen ausführliche Antwort.

K. H. in Cilli. Sie finden im Jahrgang 1886 der „Gartenlaube“ eingehende Beschreibungen und zahlreiche Abbildungen der Schlösser König Ludwigs II. von Bayern. Eine „Gralburg“ ist nicht darunter.

J. H. O. „Nirwana“ ist ein Begriff der buddhistischen Religionslehre und bedeutet wörtlich „das Erlöschen“, das heißt die vollständige Loslösung von aller Unruhe und allen Schmerzen des körperlichen Daseins, ein traumhaftes Vergessen alles Irdischen, nach der buddhistischen Lehre der Gipfel der Vollkommenheit.

R. S. in A. Sie finden alle einschlägigen Bestimmungen in der Anlage 2 zur „Deutschen Wehrordnung“, in welcher die Prüfungsordnung zum einjährig-freiwilligen Dienst abgedruckt ist. Ueber die Erfolge der einzelnen Vorbildungsanstalten können wir Ihnen keine Auskunft geben.



[ Verlagswerbung für Julius Lohmeyers Jugendzeitschrift „Deutsche Jugend“. Hier nicht dargestellt.]



[36]

Allerlei Kurzweil.

Schachaufgabe Nr. 1. Scherzbilderräthsel. Räthsel.

Von Fr. Dubbe in Rostock.
SCHWARZ

WEISS
Weiß zieht an und setzt mit dem vierten Zuge matt.


Homonym.

 War wild ich einst und allgewaltig,
Mein Tod der Helden höchstes Ziel,
So diene bunt und vielgestaltig
Ich jetzt der Knabenwelt zum Spiel.

Oscar Leede.

Was unberührt läßt unser Herz,
Tritt’s uns mit m entgegen,
Verscheucht mit u jedweden Schmerz
Von uns’ren Lebenswegen.

Emil Noot.

Trennungsräthsel.

Kommt man zu mir getrennt,
Heißt flugs es sich erheben;
Was ich vereint bin, nennt
Man allerlei im Leben.


Logogryph.

Der Panther ist’s, der Leu, das Gnu,
Der Elefant, das Känguruh;
Doch giebst du ihm statt i ein e,
Geschwärzt davon manch Dach ich seh’.


Kapselräthsel.

Ein Theil bin ich von jedem Baum;
Doch wirst du meine Laute trennen
Und füllt ein „nie“ den leeren Raum,
Dann kann ich dir ein Land wohl nennen,
Das fern im Süd in Sonnenpracht
Dir wohlbekannt entgegenlacht.

Doppelmonogramm. Kombinationsaufgabe.

Aus je zwei Wörtern ist durch Umstellen der Buchstaben ein neues Wort zu bilden. So wird aus:

     01. Hope + Muster – ein Held der griechischen Mythe,
     02. Rad + Y[2]* – ein Maß,
     03. Epos + Richter – eine Muse,
     04. Giebel + Herd – eine Stadt in Süddeutschland,
     05. Lindau + Nase – eine spanische Landschaft,
     06. Genua + Sein – ein preußischer General,
     07. Guben + Lord – ein deutsches Land,
     08. Hirsch + Lena – ein Fisch,
     09. Alpen + Doria – eine Stadt auf der Balkanhalbinsel,
     10. Cato + Masern – ein Fluß in Amerika.</poem>
Sind alle Wörter richtig gefunden, so nennen ihre Anfangsbuchstaben einen berühmten Mathematiker und Philosophen.


  1. Eine schallverstärkende Vorrichtung in den Fernsprechleitungen.
  2. * Y = Meerbusen bei Holland.
Skataufgabe Nr. 1.
(Eingesandt von L. v. L.)
Magische Quadrate.
Vorhand gewinnt auf folgende Karte:

(tr.K.) (tr.D.) (tr.9.) (tr.8.) (tr.7.) (p.As) (p.D.) (p.9.) (p.8.) (car.As)


Eichel-(tr.)-Solo mit Schneider, obwohl nur zwei leere Blätter im Skat
liegen; würde aber mit Schneider verlieren, wenn die Gegner zwei Sieben
unter einander umtauschen dürften. Wie sitzen die Karten? Welche
Blätter sind zu tauschen und wie ist in beiden Fällen der Gang des Spiels?

I II

In jedem dieser Quadrate
lassen sich die Buchstaben so
ordnen, daß die einander
entsprechenden senkrechten und wagerechten
Reihen gleich lautende Wörter ergeben.
Diese bezeichnen:
I. 1) einen bekannten Ort am
Harz, 2) einen Berg auf der
Sinai-Halbinsel, 3) einen berühmten Physiker des vorigen Jahrhunderts, 4) einen Ausdruck für
„gesetzmäßig“, 5) eine Gestalt aus Schillers „Don Carlos“; II. 1) einen
Berg in Palästina, 2) einen weiblichen Vornamen, 3) einen Golf an der
Westküste von Afrika, 4) ein altes Kloster in Ost-Deutschland, 5) einen
französischen Orientalisten und Schriftsteller. A. St.




manicula 0 Hierzu die Kunstbeilage „Kaiserin Auguste Victoria“.




In dem unterzeichneten Verlage ist soeben erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:

Sechster Band: „Die Frau mit den Karfunkelsteinen“.

Die Band-Ausgabe von E. Marlitt’s illustrierten Romanen und Novellen erscheint vollständig in 10 Bänden zum Preise von je

Inhalt: Bd. 1. „Das Geheimniß der alten Mamsell“. – Bd. 2. „Das Heideprinzeßchen“. – Bd. 3. „Reichsgräfin Gisela“. – Bd. 4. „Im Schillingshof“. – Bd. 5. „Im Hause des Kommerzienrates“. – Bd. 6. „Die Frau mit den Karfunkelsteinen“. – Bd. 7. „Die zmeite Frau“. – Bd. 8. „Goldelse“. – Bd. 9. „Das Eulenhaus“. – Bd. 10. „Thüringer Erzählungen“ (Inhalt: „Amtmanns Magd“, „Die zwölf Apostel“, „Der Blaubart“, „Schulmeisters Marie“).

manicula Auch in 75 Lieferungen zum Preise von 40 Pf. zu beziehen. (Alle 14 Tage eine Lieferung.) Bis jetzt erschienen: Lfg. 1 bis 47. manicula

Bestellungen werden jederzeit in beinahe allen Buchhandlungen angenommen. Wo der Bezug auf Hindernisse stößt, wende man sich direkt an die

Verlagshandlung von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.