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Die Gartenlaube (1890)/Heft 21

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1890
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[645]

Halbheft 21.   1890.
      Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahrgang 1890. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.



Sonnenwende.
Roman von Marie Bernhard.

(2. Fortsetzung.)


5.

„Es ist zu ärgerlich! – Wenn man nur wüßte, was man thun soll!“ Annie Gerold stand im Wohnzimmer, halb gegen das Fenster gekehrt, und sprach diese Worte in etwas unmuthigem Ton.

„Ein Ausspruch voll tiefster Lebensweisheit!“ ließ sich Thekla vernehmen, die in ihrem Armstuhl am Tisch saß, ein Tablett mit sehr starkem Kaffee und vier übereinander gestapelte Bücher neben sich. „Kind, wenn jeder wüßte, was er thun soll –– wirklich soll von Rechts und Gewissens wegen, meine ich! – es stünde anders um die liebe Menschheit! – Darf man denn fragen, worauf im besonderen Dein tiefer Ausspruch Bezug nahm?“

„Ich sollte lieber Nein sagen, denn ich weiß im voraus, Du lachst mich aus, aber am Ende ist das ja nichts Neues mehr! Also in zwanzig Minuten ist’s Zeit, in die Kirche zu gehen – Du weißt, heute hält Conventius seine Antrittspredigt – ich bin noch im Morgenrock und weiß beim besten Willen nicht, welches Kleid ich anzuziehen habe, weil das Wetter alle fünf Minuten ein anderes Gesicht macht. Soeben schien noch ganz hell die Sonne, und jetzt ist sie fort und der Himmel hängt voll grauer Wolken. Da! Es fängt richtig an zu regnen!“

Thekla nahm einen Schluck Kaffee, wischte sich über den Mund und lachte; ihre klugen Augen funkelten spottlustig.

„O – also eine Toilettenfrage! Wie schwer macht es doch der liebe Herrgott seinen Kindern, sich ihm in einem schicklichen Gewande zu nahen! Zwar heißt es: vor Gott sind wir alle gleich, und an die Augen seiner Mitchristen wird ja doch keiner beim Kirchgang denken –“

„Pfui, Thekla! Du weißt recht gut, daß es mir nicht ganz einerlei ist, wie ich aussehe, es sei, wo es sei! Und nun habe ich das schöne neue Kostüm – es gefiel Dir ja selbst, und Du fandest, es stehe mir hübsch! – und nach dem Gottesdienst werden sicher hier die Ulanen Besuch machen … wenn Du Dich in meine Lage versetzen möchtest –“

Thekla drehte bedächtig eine Schnitte gebutterter Rostsemmel in der Hand.

„Hm! Ein bißchen viel von mir verlangt! Ich war nie hübsch wie Du – und wenn ich mich recht zurückbesinne, war ich eigentlich auch nie jung – ich glaube, ich bin als spintisirende, grübelnde, häßliche alte Jungfer auf die Welt gekommen!“

Annie machte eine rasche Bewegung, als wollte sie ihre Schwester umarmen und ihr einen Kuß geben – aber sie unterdrückte diese Kundgebung. Sie wußte, Thekla konnte kein Mitleid ertragen. „Wenn die Leute einen doch nur damit verschonen wollten!“ pflegte sie zu sagen. „Tiefer als über den Rand der Lippen geht es doch kaum einem einzigen – möchten sie doch ihr landläufiges Mitleid lieber in Thaten umsetzen, damit ließe sich eher etwas anfangen!“

Der erste Leseunterricht. Nach einem Gemälde von F. Defregger.
Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.

[646] Da Annie im Augenblick keine That einfiel, die ihre Schwester gewürdigt hätte, zuckte sie leicht die Achseln und sah wieder rathlos zum Fenster hinaus.

Die andere hatte die rasche Bewegung der jungen Schwester recht gut gesehen und ihre Bedeutung errathen, sie wiegte lächelnd den Kopf hin und her.

„Ja, so ein richtiger Vorfrühlingstag, der läßt nicht mit sich spaßen, der treibt es kraus und bunt, wie’s ihm durch den Sinn fährt, mit Hagelschauern, Schneegestöber, schmeichelnden Sonnenstrahlen und Regengüssen – seht zu, wie Ihr es macht, Ihr dummen, kleinen Menschenkinder, ich treibe mein Wesen, unbekümmert um Euren Firlefanz. Hm, hm! Die neue Toilette steht Dir wirklich auffallend gut zu Gesicht … die Ulanen nicht zu vergessen! Nun, Vögelchen, ich werde Dir ’mal etwas sagen! Kann ich mich auch nicht in Deine Gefühle hineinversetzen, so will ich einmal im Sinn unseres lieben Vaters reden – das wird mir um ein gut Theil leichter. Was meinst Du wohl, was würde er bei einer Gelegenheit wie diese zu Dir sagen?“

Annie drehte sich blitzschnell zurück, freudige Erwartung in jedem Zug ihres jungen Antlitzes; zwei reizende Grübchen waren darin aufgetaucht. „Nun?“ frug sie gespannt.

„‚Kindchen, man ist nur einmal jung, man bleibt auch nicht immer hübsch! Versage Dir niemals eine Freude, wenn sie ohne Gewissensbisse zu haben ist! Bis zur Lukaskirche ist’s keine halbe Meile, schöne Kleider sind leicht zu ersetzen, sollten sie verdorben werden … lieber Himmel, die Damenschneider wollen auch leben!‘ – So würde der Vater sprechen. Bist Du zufrieden? – Schön! Und nun, Vögelchen, flieg’ aus!“

Das Vögelchen flog nun doch noch der Rednerin dankbar um den Hals und dann zur Thür hinaus; draußen hörte man es eifrig: „Agathe! Agathe!“ rufen.

Auf Theklas scharfgeschnittenem Leidensantlitz erschien ein wehmütiges Lächeln; sie beendete ihr Frühstück, schob das Tablett zurück und vertiefte sich in eines ihrer Bücher. Wie gewöhnlich vergaß sie darüber alles um sich her und sah nicht einmal empor, als die Thür nach einer Weile hastig geöffnet würde und ihre junge Schwester, schön wie ein Frühlingstag, eintrat.

„Nun, Thea?“

„Siehst Du, Kind, ich habe auch so eine Art von Morgenandacht!“ Sie sah noch immer in ihr Buch. „Ich schlief nicht gerade sehr süß in dieser Nacht und überlegte mir fortwährend eine Sache, die mir schon seit lange im Kopf herumgeht – und nun finde ich es hier im ‚Helmholtz‘ bestätigt, daß ich wirklich noch keines von den dümmsten Frauenzimmern bin, die auf unserer Erde wachsen – unser Vater würde sich wieder über das freuen, was er Ahnungsgabe bei seinem Amanuensis nannte! Helmholtz sagt nämlich …“

Aber Annie konnte wirklich nicht mehr hören, was Helmholtz sagte – denn gerade jetzt setzten mit volltönigem Geläut die Glocken von Sankt Lukas ein; Agathe, ein frisches, grauhaariges Weiblein, erschien in der Thür, ein in Sammet gebundenes Gesangbuch und einen feinen Regenschirm in den Händen, und rief:

„So – aber nun ist es allerhöchste Zeit, Vögelchen! Sie läuten schon. Nein, wie der Anzug sitzt, und wie die Farbe zu Gesicht steht – und da bricht auch eben wieder die liebe Gottessonne durch! Hier, Annie, und bet’ auch schön mit für Deine alte Agathe! Ich gehe, den Salon fein herrichten, wir kriegen ja heute Herrenbesuch!“

„Ja so!“ – Thekla legte den „Helmholtz“ beiseite und kam in die Wirklichkeit zurück. „Laß Dich schnell noch ansehen, Kind! Sehr hübsch! Setz’ Dich nicht auf den Präsentirteller, damit Du nicht unheilige Nebengedanken in Deinen Brüdern erweckst! Adieu – und, wenn Du kannst, gieb auch ein bißchen auf die Predigt acht, ich möchte doch wissen, was dieser nagelneue Gottesstreiter, zumal er ja auch unser Haus mit seinem Besuch beehren will, dem versammelten Volk erzählen wird!“ –

Annie liebte es nicht, wenn Thekla in diesem ironischen Ton von religiösen Dingen sprach, und diese that sich häufig genug Zwang an. Heute hatten sie aber das neue Frühjahrskostüm und die Ulanenlieutenants zum Spott gereizt, und sie konnte ihre satirisch Ader nicht verschließen.

Und doch that sie Annie unrecht, wenn sie wähnte, diese betrachte die Kirche als Nebensache. Annie hatte eine unbefangene, kindliche Freude an der Thatsache, daß sie hübsch war, sie wählte ihre Kleidung nicht wlllkürlich, sondern mit Geschmack und Bedacht, es machte ihr Vergnügen, eine neue, kleidsame Toilette anzuziehen, aber darum war sie noch lange keine eitle Modenärrin. Und wie sie jetzt im hellen Sonnenschein langsam über den großen Lukasplatz hinschritt, hatte sie ihren Anzug und ihr Aussehen gänzlich vergessen und war mit ihren Gedanken einzig bei dem, was sie heute zu hören bekommen sollte: der Antrittspredigt Reginalds von Conventius. Wie er wohl sprechen – was er sagen würde? Sie dachte es sich unendlich schwer, zu einer ganz fremden Gemeinde zu reden, und aus verschiedenen Aeußerungen des Geistlichen, deren sie sich aus ihrem neulichen Gespräch entsann, hatte sie entnommen, daß auch er sich der Schwierigkeit seiner Aufgabe voll bewußt sei und es überaus ernst mit seinem Berufe nehme. Tief in Gedanken ging sie einher, während die feierlichen Glockenklänge über ihrem Haupt durch die milde Luft zogen.

So sah sie der, welcher eben jetzt von der entgegengesetzten Seite auf den Lukasplatz zukam – er wollte nicht zur Kirche, er war auf einem einfachen Morgenspaziergang begriffen – weiter nichts. Sein Hund war bei ihm, und das kluge Geschöpf stutzte, als es seinen Herrn stutzen sah. Quer über den von eben gefallenem Regen nassen Asphalt, in dem der jetzt leuchtend blaue Himmel sich spiegelte, kam Annie Gerold in ihrem knapp sitzenden, gewählten und dabei einfachen Kostüm von steingrauem Tuch, einen großen, breitgerandeten Hut mit kostbaren silbergrauen Federn auf dem nußbraunen Haar, das schöne, frische Antlitz leicht geneigt, die Augen gesenkt, ihr in Sammet gebundenes Gesangbuch in der Hand.

„Ego! Zu mir!“ Ein scharfer Pfiff begleitete den Ruf und riß die schöne Kirchgängerin jählings aus ihren Gedanken.

Der Neufundländer hatte auskundschaften wollen, was seinen Herrn so zusammenfahren machte; er war ohne weiteres über den Platz getrabt und hatte Miene gemacht, die junge vertiefte Dame freundschaftlich zur Außenwelt zurückzuführen.

Das war nun ohnehin geschehen, und Ego sprang gehorsam zurück und hob fragend seinen Kopf zu dem Gebieter empor: „Was nun?“

Ja – was nun? Ausweichen hätte ungezogen ausgesehen – ein ritterlicher Gruß vielleicht – stummes Weitergehen, – da stand er schon dicht vor ihr und hielt den Hut in der Hand.

„Haben wir Sie erschreckt, Gnädigste? Es thut mir sehr leid! Bitt’ um Verzeihung, Ego!“

Das schöne Thier senkte reumütig tief den Kopf und winselte leise.

„Es thut nichts!“ Annie legte ihre Hand auf Egos Rücken und lächelte seinen Herrn an. „Ich war nur so ganz mit meinen Gedanken bei – bei -“ Sie stockte; es wollte ihr doch gar zu merkwürdig klingen, wenn sie geschlossen hätte: beim Prediger Conventius.

„Sie gehen zur Kirche?“

„Ja! Haben Sie denn vergessen? Heut’ hält ja Pfarrer Conventius seine Antrittspredigt – sehen Sie, welche Menschenmenge in die Kirche strömt! Ich dachte, Sie wollten auch dorthin, Herr Professor!“

„Ich? Nein – ich hatte nicht die Absicht … und wenn ich sie jetzt habe … würden Sie mir gestatten, mit Ihnen zu gehen?“

„Ich habe nichts zu gestatten, das Gotteshaus gehört uns allen!“

„Aber nicht wir alle gehören ihm!“

Sie sah ihn forschend mit ihren schönen, klugen Augen an.

„Sie gehen nie in eine Kirche?“

„Sehr oft, – um die Bauten und die Malereien kennen zu lernen.“

„Zu keinem andern Zweck?“

Nein! Bisweilen hätte ich sehr das Verlangen, eine gediegene, ernstgemeinte Predigt zu hören, – aber ich kann nicht willkürlich sagen: heut’ ist Sonntag, heut’ ist die Kirche geöffnet, heut’ willst Du Dich erbauen lassen! Ich muß die Stimmung dazu in mir fühlen. Die kommt über mich, unvermittelt, urplötzlich, unabhängig von Ort und Zeit! Oft ist es ein gewaltiger Natureindruck, zuweilen ein menschliches Wesen, oft ein an sich ganz unbedeutendes Ereigniß, das den fast leidenschaftlichen Wunsch in mir wachruft: jetzt eine feurige und überzeugte Rede hören, die alles das sagt, was Du dunkel in Deinem Innern [647] empfindest, – jetzt einen Ausdruck für das, was sich in Deiner Seele emporringt, … aber den klugen und frommen Priester, der mir solches in solcher Stimmung geben könnte, – den habe ich bisher noch nie gefunden.“

„Vielleicht finden Sie ihn heute!“

Annie sagte es rasch und erröthete gleich darauf, – mußte er nicht denken, sie wünsche nichts sehnlicher, als seine Begleitung?

„Es ist nicht unmöglich, – sogar wahrscheinlich, nach allem, was man mir von diesem Mann gesagt hat.“

„Nun, – und Ihre jetzige Stimmung?“

Sie waren der Kirche ganz nahe gekommen, man hörte die Orgel brausen. Mit seinen mächtigen Augen sah Delmont das junge Mädchen an, zwang sie gleichsam, still zu stehen und seinen Blick zu erwidern.

„Brauche ich Ihnen wirklich noch zu sagen, daß die Stimmung plötzlich da ist? Ich sagte Ihnen, sie hinge oft von einem Naturereigniß, oft von einer geringfügigen Begebenheit, zuweilen von einem menschlichen Wesen ab. Das letztere aber ist sehr, sehr selten. Glauben Sie, daß ich zu jedem reden würde, wie ich jetzt zu Ihnen gesprochen habe? Ich bin menschenscheu, verdüstert und verschlossen – man hat es Ihnen ohne Zweifel von mir gesagt, und man hat recht gehabt. – Sie wissen, wie es kam, daß die Stimmung urplötzlich da ist – die Stimmung, die Ihnen vielleicht ein sehr unwürdiger Trieb ist, ein Gotteshaus zu betreten; ich kann aber nicht anders. Sie sollen mich kennen, wie ich bin! Darf ich nun noch bitten, daß Sie meine Begleitung annehmen?“

Als Antwort neigte sie stumm das Haupt – ihre junge Seele bebte in einem neuen, seltsamen Empfinden. Sie hatten die untersten Stufen, die zu dem geöffneten Portal führten, betreten; langsam stiegen sie aufwärts und betraten nun nebeneinander das Gotteshaus. –

Ein voller Strom gewaltiger Orgelmusik brauste ihnen entgegen. Ein Bekannter des Conventiusschen Hauses, ein berühmter Orgelspieler, hatte, der Antrittspredigt des neuen Geistlichen zu Ehren, seinen nur kurz bemessenen Aufenthalt in F. verlängert, um dem feierlichen Akt eine doppelte Weihe zu geben. Hier und da hatte sich das Gerücht dieses bevorstehenden musikalischen Hochgenusses herumgesprochen, und so hatten sich nicht nur die höhern Gesellschaftsklassen, die einen Aristokraten gern auf der Kanzel sehen, nicht nur neugierige junge Mädchen, die einen schönen Mann bewundern, nicht nur gesetzte, verständige Leute, die wirklich als Gemeindemitglieder den neuen Seelsorger kennenlernen wollten – – es hatten sich auch Musikprofessoren, Pianisten, Kritiker, Organisten in stattlicher Anzahl eingefunden, kurz, wie ein Zeitungsberichterstatter seinem Nachbar ins Ohr flüsterte, „es hatte sich ein äußerst gewähltes und zahlreiches Publikum versammelt und man erkannte die Lukaskirche kaum wieder, da der letzte Prediger sich mehr und mehr unbeliebt gemacht und das Publikum wahrhaft aus dem Tempel hinausgepredigt hatte.“

Annie Gerold schritt wie jemand, der seinen Weg genau kennt, durch die dichtbesetzten Reihen, sie nickte dem Küster, als einem alten Bekannten, zu und gab ihm einen Wink mit den Augen. den er sogleich verstand. Er schloß eine kleine Seitenbank auf, die, fast ganz hinter einem der mächtigen Pfeiler verborgen, den Blick auf die Kanzel gewährte, die auf der Bank Sitzenden aber fast gänzlich der Beobachtung der übrigen Kirchenbesucher entzog.

Hier hinein gingen das junge Mädchen und der Maler wie zwei Zusammengehörige; Annie machte sich aber keine Gedanken darüber, wie ihre Bekannten wohl diese ihre Begleitung deuten würden; ein wunderbares Gemisch von Glück und Bestürzung wogte in ihrem Innern, und dazu war sie mit aller Kraft bestrebt, ihre Seele voll dem zuzuwenden, um deswillen sie heute hierhergekommen war.

So versteckt auch das Plätzchen der beiden lag, – unbemerkt waren sie doch nicht bis dahin gekommen. Aus der Gruppe von Ulanenoffizieren, die nach der Mitte der Kirche hin Unterkunft gefunden hatten, kam ein klirrendes Geräusch – jemand unter ihnen hatte seinen Schleppsäbel etwas unsanft gegen den mit Fliesen ausgelegten Fußboden gestoßen und dazu ein nicht zeitgemäßes „alle Hagel!“ vor sich hingemurmelt. Fritz von Conventius war’s, dem der Aerger über das „unerhörte Glück, das dieser Mensch, der Maler, hatte,“ in den Hals stieg, und der, auf Thor von Hammersteins leises: „Was ist?“ nur eine bezeichnende Kopfbewegung nach den beiden machte, die soeben um eine Ecke verschwanden.

Parsifal hatte sie nun richtig auch noch gesehen und stieß im tiefsten Baß einen Laut des Unwillens heraus, der ihm von seinem Kameraden Gründlich die geflüsterte Frage eintrug: „Thor, Sie waren wohl noch niemals in einer Kirche?“

Professor Delmont saß neben Annie Gerold auf der schmalen Kirchenbank, es war ihm unendlich wohl. Die hohe, schöne Kirche, die, in ganz reinem gothischen Stil erbaut, Verhältnisse von großer Formenschönheit aufwies, die prachtvolle Bachsche Fuge, die sich unter den Händen des vortrefflichen Spielers wie ein kunstvoll gegliedertes Bauwerk vor ihm emporhob – die Nähe des reizenden Mädchens, die Abgeschiedenheit des Platzes, alles wirkte eigenartig erhebend und besänftigend zugleich auf sein empfindliches Innenleben; die „Stimmung“, von der er soeben zu Annie gesprochen, hatte ihn noch nie so völlig in Fesseln geschlagen wie eben jetzt. Vergessen waren seine Vorsätze vom neulichen Abend, vergessen alles, was ihn gequält und beunruhigt hatte; schon Annies unerwarteter Anblick allein hatte genügt, ihn mit einem Schlage jung und fast heiter zu stimmen wie in jener Abendgesellschaft bei Weylands – jetzt kam noch die Einwirkung des Gotteshauses, der schönen Musik dazu, um eine Begeisterung in ihm zu wecken, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt zu haben meinte. Es trug ihn wie mit Flügeln empor, – Motive, Bilder, Ideen drängten sich in seinem Geist, er fühlte sich erfinderisch und schaffensfreudig wie kaum in den Tagen seiner ersten schwärmerischen Jugend – und wehrlos gab er sich dem Zauber gefangen, der dies Feuer in ihm entzündet hatte.

Durch die spitzbogigen Fenster mit buntem Glase sah die Sonne herein – ein schräger Strahl schlich sich über Annies kastanienfarbenes Haar und tönte es mit Goldlichtern ab; er flimmerte auf dem weißen Halse und zitterte in den langen, dichten Wimpern, die tief gesenkt blieben und dem schönen Gesicht einen so süß träumerischen Ausdruck gaben. O junges, blühendes Leben!! –

Es war eine kraftvolle, metallisch klingende Stimme, die jetzt in die weite Kirche hinaustönte, und der Sprecher da oben auf der Kanzel, hoch und schlank und schön, sah nicht zaghaft aus und nicht verlegen, nein, freudig und zuversichtlich, ein echter „Streiter Gottes“!

Die Damen reckten die Köpfe, um ihn besser zu sehen, es ging eine Bewegung durch die Menge, wie wenn der Wind über ein volles Aehrenfeld hinfährt. Unter den Ulanen murrte einer: „Jammer und Schade! Was für einen Gardeoffizier hätte der abgegeben!“ – Dann kam eine lautlose Stille. –

Und wieder die metallene, kraftvolle Stimme:

„Wo der Herr nicht das Haus bauet, da arbeiten umsonst, die daran bauen. Wo der Herr nicht die Stadt behütet, da wachen die Wächter umsonst.“

Dies Wort, einem der Psalmen entnommen, war der Text der Predigt.

Wie er sie ausführte? Groß und leicht und frei, in schlichtester Weise – wie ein Mensch, der zu Menschen spricht! Wie er voll Dank und voll Zuversicht in diese Stadt, in dies Haus gekommen sei, wie er es ihnen allen heute danke, daß sie ihn aufgesucht hätten an der neuen Stätte seines Wirkens, wie ihn eine ernste, gehobene Freudigkeit erfülle, nun er sein Arbeitsfeld bestellen, den Platz, den Gott ihm angewiesen, ausfüllen könne nach bester Kraft. Er bat sie alle, die hier versammelt seien, ihm zu helfen bei seiner Aufgabe, ihm Vertrauen und guten Willen entgegenzubringen; und dann bat er Gott, das Haus zu bauen, die Stadt zu behüten, auf daß ihre Wächter nicht umsonst wachten. Sie alle, die heute hier beisammen seien, könnten helfen, das Haus zu bauen, durch Eintracht, durch werkthätige Liebe, durch wahres Bestreben, dem Nächsten zu nützen. In einfachen und doch so beredten Worten hob er hervor, welch’ köstliches Ding es sei um ein gut gebautes Haus, um eine wohlbehütete Stadt – köstlich, und doch, wie selten zu finden! Er eiferte nicht in heftiger Rede gegen die heutige Zeit – er war aber traurig und meinte, es sei unsagbar schwer, mit den Waffen des Glaubens zu kämpfen, jetzt, wo der Unglaube gewissermaßen schon in der Luft liege, wo Kinder und Unmündige mit sogenannten „freien Ansichten“ genährt würden, wo die seltenen Ausnahmen, die sich den Gottesglauben noch gerettet hätten, sich gar schämten, denselben laut zu bekennen, weil

[648]

König Gram befreit seine Braut Signe.
Nach einem Gemälde von Ferdinand Leeke.

[649] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [650] sie den Muth nicht besäßen, sich auf diesem halb verlorenen Posten zu behaupten. Von dem Glück und der unerschütterlichen Zuversicht, die gerade ein fester Gottesglaube zu verleihen imstande sei, kam er wieder auf den Ausgangspunkt seiner Rede zurück: „Helft, ach helft mir, das Haus zu bauen! Steht mir bei, die Stadt zu behüten!“ – –

Das letzte Gebet war gesprochen, das letzte Amen verhallt – nun setzte ein gut geschulter, vielstimmiger Kinderchor mit einem schönen, einfachen Kirchenlied ein. Wie Jubel klangen die hellen, jungen Stimmen, und durch die weit geöffneten Thürflügel des Gotteshauses fluthete ein breiter Strom freudigsten Sonnenscheins.

Annie Gerold hob die Wimpern, an denen schwere Thränen hingen, zu ihrem Nachbar empor; er hatte ein schönes, ernstes Lächeln auf seinem Gesicht und sah ihr tief in die Augen.

„Haben Sie Dank!“ sagte er leise. „Sie waren es, die mich hierhergeführt, und ich kann diese Stunde niemals vergessen. Sie hatten recht, als Sie meinten, mir könnte heute das begegnen, wonach ich lange vergebens gesucht. Ich habe heute den klugen und frommen Priester gefunden, von dem ich Ihnen sprach, und ich habe mich selbst wiedergefunden und den Glauben an meine Zukunft und mein Glück.“

Er drückte ihr leise die Hand, dann wandte er sich ab und verlor sich unter der hinausstrebenden Menge; Annie wartete noch eine Weile, bis das Gedränge sich abgeschwächt hatte. Als sie vor das Portal trat, sah sie Ego regungslos mitten auf dem Lukasplatz liegen, den klugen Blick unverwandt auf die Kirchenthüren gerichtet. Als er Annie gewahrte, wedelte er leicht mit dem Schweif, zum Zeichen, daß er sie wiedererkenne, zugleich rief ein leiser, wohlbekannter Pfiff ihn ab. Professor Delmont war aus einer der Seitenthüren getreten und ging jetzt, von Ego begleitet, davon, Annie aber sah sich plötzlich von verschiedenen Freundinnen und Herren umringt, die alle lebhaft auf sie einsprachen:

„Wie hat Ihnen denn die Predigt gefallen, gnädiges Fräulein?“

„Ich dachte, er würde poetischer sprechen!“

„Gerade gewählt oder elegant war es nicht, aber es ging doch zu Herzen, sollte ich meinen!“

„Ich fand es sehr hübsch!“

„Nein, zu komisch, daß ein solcher Mensch Pfarrer geworden ist! Und mit dem Gefängnißprediger hat’s wirklich seine Richtigkeit – weißt Du das auch schon, Annie?“

„Ich hörte. er soll jetzt einen zum Tode Verurtheilten vorzubereiten haben!“

„Schrecklich! Gräßlich! Nein, das glaube ich nicht!“

„Schönen guten Tag, meine Damen und Herren!“ ließ sich die Stimme des Lieutenants von Conventius hören. „Nun, lassen Sie meinen Vetter nur noch am Leben, er könnte am Ende noch so mancherlei Gutes wirken! Daß Sie ihn gleich unter der Kirchenthür zerzausen, finde ich nun nicht reizend. Fräulein Gerold geht es genau ebenso wie mir, ich lese es ihr an den Mienen ab. Habe die Ehre, meine Gnädige! Werde mir in zwei Stunden die Freiheit nehmen, mit ein paar Kameraden bei Ihnen vorzusprechen. Empfehle mich bis dahin!“

Die Offiziere nahmen die Hacken zusammen und grüßten rechts und links; dann verstreute sich die ganze Gesellschaft vor der Kirche. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Thekla Gerold wartete mit einem guten zweiten Frühstück auf ihre Schwester; sie war eigentlich verstimmt, es hatte sich so schön studiert und gelesen heute; trotz der schlecht verbrachten Nacht war ihr Geist hell und ihre Auffassung besonders rasch, das ward ihr nicht alle Tage zu Theil. Oft hing sich ihr kranker Körper wie ein unerträgliches Bleigewicht an sie und hemmte den Aufschwung ihres Geistes. Nun kam die biedere Agathe und riß sie ohne weiteres aus ihrem schönen Verkehr mit Helmholtz, Hartmann und anderen großen Geistern heraus, erinnerte sie, daß das Vögelchen bald aus der Kirche kommen werde und daß sie beide etwas essen müßten, daß Fräulein Thekla noch nicht Toilette gemacht habe, was doch unbedingt nothwendig sei, denn man erwarte ja Besuch, und drüben wäre schon alles in schönster Ordnung.

Mit einem schweren Seufzer und einem recht ungnädigen Gesicht packte Thekla ihre Bücher zusammen. Frau Agathe Lamprecht sah sie bloß von der Seite an und sagte kein Wort weiter; sie kannte ihre Leute. Wenn Fräulein Gerold so aussah wie eben jetzt, dann hatte sie ihren „gelehrten Turnus“, wie Agathe das nannte, und wünschte alles, was kein Buch war, ins Pfefferland. Schweigend half die getreue Alte der gebrechlichen Gestalt aus dem Morgenkleid heraus und in ein schwarzes Seidengewand hinein, das einfach im Schnitt, aber vom besten Stoff und mit einem Kragen von wunderschönen Brabanter Spitzen geschmückt war. Agathe brachte noch eine prachtvolle Brosche, aus einem riesigen Opal bestehend, der einzige Schmuck, den Thekla liebte, „weil er wie ein Menschenantlitz seinen Ausdruck wechsele“.

„Nun, alter Oberhofceremonienmeister! Sind Sie mit mir zufrieden?“ Die gelehrte Dame musterte ihr Konterfei im Spiegel mit humoristischem Behagen. „Die Herren Ulanen werden eine unbändige Freude an mir erleben. Ich sehe aus wie ein kranker Chinese, der sich aus Versehen in eine europäische Damentracht hineinverirrt hat. Daß man sich auf seine alten Tage nicht mal Ruhe gönnen darf und sich zum Narren machen muß wie ein abgerichteter Affe!“

Solche Auslassungen gönnte sich die Kranke nur vor Agathens Ohren, das Vögelchen bekam nie etwas davon zu hören. Sie hatte es übernommen, für das Kind zu sorgen, ihm ein angenehmes Dasein, wie es seiner Jugend und Schönheit zukam, zu sichern, und sie liebte Annie zärtlich, … folglich gab sie sich zu allen Dingen her, die der sogenannte gute Ton und die Geselligkeit von ihr verlangten, gab kleine und große Feste, nahm Visiten entgegen und verkehrte mit einer Menge von Leuten, die ihr im Grund der Seele so gleichgültig waren, als lebten sie auf dem Sirius. Das Vögelchen bekam höchstens dann und wann eine sarkastische Aeußerung zu hören, nie aber eine Klage, daß alle diese Dinge für Thekla nur eine Last, eine unangenehme Unterbrechung ihrer Studien wären.

„Fräulein sehen wohl und sehr gut aus!“ sagte Frau Lamprecht, von dem Bestreben beseelt, die Laune ihrer Dame ein wenig aufzubessern.

„Die Venus von Milo ist nichts dagegen!“ spottete Thekla. „Nun rasch zurück ins Speisezimmer, ich denke, die Kleine ist schon zurückgekommen!“

So war es in der That, und auf den ersten Blick gewahrten Theklas scharfe Augen, daß „ihrem Kinde“ irgend etwas Aufregendes begegnet sein mußte. Sie hatte Annie selten so schön gesehen, und nun steckte ihr zum Ueberfluß Agathe noch zwei herrliche, eben aufgeblühte purpurrote Rosen an die Brust – „Lamprecht hat sie für Vögelchen gebracht, sie waren soeben im Gewächshause aufgebrochen.“

Die Alte ging, mit einem letzten bewundernden Blick auf ihr Kleinod; die Schwestern waren allein, Annie sagte kein Wort und sah glücklich lächelnd vor sich hin, Thekla betrachtete sie kopfschüttelnd und begann. nach einer kleinen Weile in sanftem Tone:

„Iß und trink jetzt, Kleine, Du hast später keine Zeit dazu!“

Annie trank gehorsam von dem spanischen Wein und nahm ein belegtes Brötchen in die Hand.

„Wie schön die Sonne scheint!“ sagte sie träumerisch.

„Ja, das thut sie, und noch dazu über Gerechte und Ungerechte! Könntest Du es vielleicht über Dich gewinnen, mir einiges über die Predigt mitzutheilen?“

Das junge Mädchen fuhr verwirrt empor und erröthete bis unter die Stirnlocken. „Ach, Thekla, nein, was Du von mir denken mußt! Es war wundervoll in der Kirche, Conventius hat so wahr, so einfach, so schön gesprochen, ich wollte, Du wärst dabei gewesen!“

„Ich auch!“ pflichtete Thekla bei. „Schon, um festzustellen, ob es nur die Predigt allein war, die Dich so ungewöhnlich bewegt hat!“

„Ich? Ungewöhnlich bewegt? Nicht daß ich wüßte!“

„Nicht? Entschuldige doch! Ich dachte, Leute, die eben aus der Kirche kommen, sprächen die lauterste Wahrheit!“

Statt der Antwort lief Annie auf die Schwester zu, umschlang sie mit beiden Armen und drückte ihr warmes, rosiges Gesichtchen an die fahle Wange der Kranken. Thekla fühlte das rasche, heftige Schlagen des jungen Herzens, und eine weiche, mitleidige Stimmung bemächtigte sich ihrer; sie küßte Annie zärtlich auf Stirn und Augen.

„Kleines, liebes Vögelchen, macht es Dich denn so sehr glücklich?“

Annie nickte nur, dann aber löste sie sich rasch aus der Umarmung und begann von Reginalds Predigt zu erzählen, sehr [651] ausführlich und sehr begeistert. Thekla hörte aufmerksam zu und gab dann und wann durch beifälliges Nicken ihre Zustimmung zu erkennen.

„Der Mensch ist ein Wunder!“ rief sie, als Annie geendet, „Aristokrat und Geistlicher – und solch vernünftige, menschliche Ansichten! Sieh, sieh! Den möchte ich kennenlernen!“

„Das wirst Du ja!“ Annie fühlte zu ihrem Aerger, daß sie erröthete. „Er will bei uns Besuch machen. Vorläufig kommen heute die Ulanen!“

„Niemand sonst?“

„Nein!“

„Hm!“

Eine knappe Stunde später schlug der würdige Lamprecht die Salonportieren zurück und meldete den Damen, daß die Herren Rittmeister Thor von Hammerstein und Göben, sowie die Herren Lieutenants von Conventius und Gründlich um die Ehre bäten, ihre Aufwartung machen zu dürfen; dazu überreichte er die Karten auf silbernem Teller.

„Wir lassen bitten,“ sagte Thekla und sonderte sofort mit ihrem geübten Blick aus den vier neuen Gesichtern dasjenige heraus, das ihr am zusagendsten erschien: ein frisches, junges Antlitz war’s, mit einem flotten Bärtchen und übermütig blitzenden Augen.

„Wenn das der Conventiussche Vetter ist – der Bursch gefällt mir!“ dachte sie.

Und: „Alle Wetter, die gelehrte Schwester!“ dachte er. „Was sie für gescheite Augen im Kopf hat!“ Laut sagte er dazu: „Ich müßte eigentlich vor Ihnen eine heillose Angst empfinden, meine Gnädigste – aber nun ich Sie sehe, gestehe ich ehrlich: nein, ich habe keine!“

„Mir außerordentlich erwünscht! Leute mit Angst sind mir nicht angenehm; aber warum ist sie Ihnen denn geschwunden?“

„Sie sehen zu klug aus, um nicht auch menschlich gut zu sein!“

„Wenn Sie mich vermittels einer feinen Schmeichelei fangen wollten, Herr von Conventius, so erfahren Sie hiermit, daß es Ihnen halb gelungen ist!“

„Bloß halb? Denken Sie sich, ich hatte auf mehr gerechnet!“

„Da kennen Sie meine Schwester schlecht!“ rief Annie belustigt dazwischen. „So leicht gewinnt man die nicht! Der Weg zu ihrem Herzen führt durch ihren Verstand, und da dieser ungewöhnlich scharf ist, so kann man sich wirklich etwas darauf einbilden, wenn man ihr zusagt!“

„Damit haben Sie selbst sich die feinste Schmeichelei gesagt!“

„Mitnichten! Schwestern zählen gar nicht mit; ich hab’ es überhaupt nicht nöthig gehabt, mir Theas Liebe zu erwerben – sie selbst hat mir’s erzählt, dieselbe wäre einfach da gewesen mit dem Augenblick, als mein Vater mich ihr als kleines, neugeborenes Kind zum ersten Male in die Arme legte.“

„Das stimmt!“ nickte Thekla, und sie empfand jetzt noch das warme aufwallende Zärtlichkeitsgefühl, das sie durchströmt hatte, als sie damals die weiche, kleine, hilflose Last an ihr Herz gedrückt hielt.

Indeß hielten die Herren von Hammerstein und Göben Umschau in dem weiten, schönen Salon mit der blumigen Seidentapete, den Ebenholzmöbeln, dem prachtvollen Konzertflügel und Smyrnateppich. Alles gediegen und großartig, von Reichthum und Geschmack redend. In den Wandnischen schöne Büsten und Statuen, an der größten Wandfläche eine vortreffliche Kopie des Guido Renischen Helios in Originalgröße, in den Ecken große, kunstvoll geschnitzte Gestelle, mit Mappen, Bildern und Photographien gefüllt.

Und die Eigenthümerin all dieser Herrlichkeiten – die Haupteigenthümerin, denn die kranke Schwester zählte doch wohl hierbei nicht recht mit – paßte ausgezeichnet als reizendes Bild in den Rahmen, der sie hier umgab. In jugendlicher Anmuth und Schönheit, die um so reizvoller wirkte, da sie sich völlig unbefangen gab, plauderte und lachte sie mit den Herren, wußte auch den schweigsamen, phlegmatischen Thor, den ruhigen Göben geschickt ins Gespräch zu ziehen und parirte Gründlichs Witze so schlagfertig, daß dieser immer unternehmender wurde. Wetter noch eins – was für ein prächtiges Mädel! So die richtige Offiziersfrau – denn das bißchen Schöngeisterei und Klugkosen, das sie hier bei der gelehrten Schwester angenommen hatte, das würde man ihr schon bald abgewöhnen, wenn man sie erst einmal als Stern ersten Ranges auf den Kasinobällen, Korsofahrten und Reitpartien hatte!

Fritz von Conventius mußte innerlich lachen, wie jeder der drei Kameraden sich auf seine Art „ins Zeug legte“, um dieser schönen Annie Gerold zu gefallen. „Kinder, bemüht Euch nicht,“ hätte er ihnen zurufen mögen, „Hände weg! Das ist nichts für Euch! Die Trauben hängen ein bißchen zu hoch – die habe ich für meinen Vetter Reginald bestimmt!“

Und in diesem Sinn betheiligte sich, zu der drei andern heimlicher Verwunderung und Freude – denn mit Recht hielten sie ihn für den anziehendsten unter ihnen! – Lieutenant Fritz nicht im geringsten an dem galanten Treiben seiner Freunde; ganz ruhig und gesetzt hatte er seinen Stuhl an Theklas Sessel herangeschoben und unterhielt sich mit ihr, das heißt nur von solchen Dingen, über die er gut unterrichtet war. Spielte sie hie und da auf Gegenstände an, die ihm fern lagen, so sagte er in seiner treuherzigen Art sofort:

„Nehmen Sie mir’s schon nicht übel – davon verstehe ich aber nichts!“ und brachte es durch diese Ehrlichkeit dahin, daß er der gefürchteten Dame außerordentlich gut gefiel. Gottlob – ein Mensch, der nicht mehr vorstellen will, als er wirklich ist, und der in Dingen, mit denen er sich ernstlich beschäftigt hat, doch seinen Mann steht!

Von Hedwig Rainer sprachen sie, der niedlichen blonden Tischnachbarin des Lieutenants bei jener Weylandschen Gesellschaft, und Thekla nannte sie ein gutes, liebenswürdiges Kind, „keine gezierte Gans, wie so viele von den jungen Mädchen, die mit Annie verkehrten. Wissen Sie, Herr von Conventius,“ schloß sie lachend, „mir will scheinen, das wäre eine Frau für Sie!“

„Danke vielmals! Für jetzt will mir das noch nicht so ganz scheinen – man soll aber niemals etwas in Zukunft verschwören! Wie es scheint, liegen heute hier die heimlichen Heirathspläne in der Luft.“

„So? Machen Sie denn auch welche?“

„Sie können ganz ruhig sein“ – Fritz schob sich vertraulich etwas näher an Theklas Sessel heran – „ich sorge nicht fürs Regiment, obgleich das vielleicht unkameradschaftlich von mir ist. Nein, ich habe da so meine stillen, sehr edlen und sehr selbstlosen Pläne, und man kann gar nicht wissen, ob ein gütiges Schicksal dieselben nicht am Ende doch begünstigt“ – – hier stockte der Sprecher, wurde nachdenklich, sah mit seines Geistes Auge Annie Seite an Seite mit Delmont in die Kirche treten und auf der versteckten Bank Platz nehmen und schloß innerlich mit den Worten: „Dieser verteufelte Maler!“ – –

„Unsere zwei offiziellen Hausbälle sind schon vorüber,“ sagte Thekla Gerold, als die Ulanen nach einer Weile Abschied nahmen, „vielleicht darf ich aber die Herren bitten, uns gelegentlich einmal zu einer kleinen, zwanglosen Gesellschaft mit nachfolgendem Tänzchen zu beehren?“

O ja, sie durfte bitten! Die Herren waren so liebenswürdig, eifrig zuzustimmen, und maßen schon jetzt das spiegelnde Parkett des Saales mit tanzlustigen Blicken. Welch netter Einfall von dem Blaustrumpf, ihnen ein solches Vergnügen in Aussicht zu stellen! –

Sie können auch einmal ohne Einladung kommen!“ flüsterte Thekla dem Lieutenant von Conventius zu und freute sich über sein freundliches dankendes Kopfnicken. Und dieser Begünstigte erhielt jetzt auch einen Händedruck – nicht nur von der „alten Schwester“ – nein, auch Annie legte ihre Rechte freundlich in die seine … wie konnte sie es ahnen, daß der Schelm in diesem Augenblick dachte: „Wart’ Du nur! Bist Du erst meine Cousine geworden, dann küss’ ich Dich auch!“ – –




6.

Der Gefängnißdirektor Warnow, ein untersetzter Mann mit graugesprenkeltem Haar und Backenbart, eine goldgefaßte Brille über den gescheit und verständig schauenden Augen, stand, an seinen Schreibtisch gelehnt, in seinem Arbeitszimmer und sah nachdenklich auf den großen, kahlen, an zwei Seiten mit regelmäßigen Baumreihen bepflanzten Gefängnißhof, der augenblicklich ganz unbelebt war. Nur ein junger Gehilfe des Schließers ging träge in Wasserstiefeln, einen Eimer in der Hand, zu dem im äußersten linken Winkel des Hofes gelegenen Brunnen, von dessen Handhabe ein paar Krähen mit heiserem Krächzen emporflogen und sich in den lichtgrauen Aprilhimmel verloren.

Dem Direktor gegenüber stand Reginald von Conventius, den Hut in der Hand, wie jemand, der im Begriff ist, aufzubrechen; [652] die beiden Herren hatten sich nach längerem Gespräch von den Stühlen erhoben, aber Warnow zögerte sichtlich noch, irgend einen Entschluß zu fassen.

„Also Sie wollen es durchaus? Durchaus?“ Er hatte die Angewohnheit, das letzte Wort eines Satzes zu wiederholen.

„Ich halte es für meine Pflicht!“ entgegnete Conventius ruhig.

„Pflicht! Jawohl! Aber, mein bester Herr Pfarrer, Sie könnten sich dieselbe wesentlich erleichtern. Erstens: ich könnte Sie begleiten – könnte Sie etwa als einen höheren Regierungsbeamten einführen, der die Vollmacht und auch die Neigung habe, dem Gefangenen, falls er sich willfährig zeige, einige Erleichterungen zukommen zu lassen … zukommen zu lassen –“ .

Reginald machte eine abwehrende Bewegung.

„Nein, bester Herr Direktor, nein! Ich halte diesen Weg, trotz der unzweifelhaft guten Absicht, die Sie leitet, nicht für den richtigen. Bedenken Sie doch nur, ich bitte Sie: ein Geistlicher – ein Diener Gottes, der sich mit Unwahrheiten, gleichviel von welcher Idee dabei geleitet, bei einem Gefangenen einführt!“

„Ja, aber auch bei welchem Gefangenen!“ eiferte der Direktor dazwischen. „Sie müssen die Eigenart dieses Menschen bedenken – Sie müßten ihn kennen, um über ihn urtheilen zu können. Das ist ja kein gewöhnlicher frecher Einbrecher und Mörder – ich sage Ihnen ja, dieser Schönfeld gehört einer gefährlichen Sorte an, er ist mit einer gewissen Bildung überfirnißt, hat viel gelesen, drückt sich gut aus, faßt seine böse That, so widersinnig Ihnen das klingen mag, von einem gewissen idealen Standpunkt auf – als ein Verdienst, das er sich um die Menschheit erworben – Menschheit erworben –“

„Ich weiß dies alles, geehrter Herr Direktor, Sie haben es mir selbst gesagt. Ich erkenne auch mit Dankbarkeit Ihre gute Absicht an, mir meine schwierige Aufgabe erleichtern zu wollen. Aber da Sie sich so eingehend mit der Eigenart dieses Verbrechers beschäftigen, muß ich Sie schon herzlich bitten, auch der meinigen gerecht zu werden! Ich kann auch in dieser Angelegenheit nichts anderes sagen, nichts anderes thun, als dasjenige, was die Richtschnur meines ganzen Lebens ist, was meinem Handeln jederzeit den Stempel aufdrücken soll: die Wahrheit!“

Der Direktor sah den Redenden mitleidig an und seufzte. „Sie werden, denken Sie an mein Wort, in sehr schwere Lagen gerathen, Herr von Conventius, wenn Sie es sich wirklich zum Gesetze machen, immer und überall die Wahrheit zu sprechen.“

„Ich gebe das zu – aber ich bleibe meinem Grundsatz treu: nichts verschweigen, nichts feige beschönigen – die Wahrheit über alles!“

„Es gab eine Zeit, da dachte ich ebenso wie Sie – Sie sind noch jung und muthig … kommen Sie erst zu meinen Jahren, meinen Erfahrungen, da wird sich manches anders gestalten! Aber für jetzt – wollen wir also hinübergehen – also hinübergehen?“

„Wenn ich Sie bitten darf!“

Warnow drückte auf den Knopf der elektrischen Leitung.

„Remmler soll sich bereit halten!“

Die Herren durchschritten ein Vorzimmer und einen Hausflur und betraten den Hof; hier gesellte sich ein kräftiger, untersetzter Mann in mittleren Jahren mit einem ernsten, stillen Gesicht zu ihnen. Er trug einen kurzen, rauhhaarigen Flausrock und hatte einen gewaltigen Schlüsselbund in den Händen.

„Remmler, dies ist unser neuer Herr Pfarrer, Baron von Conventius.“

„Bitte, bitte, Herr Direktor, lassen Sie den Baron beiseite!“

Remmler nahm die Mütze ab, machte eine linkische Verbeugung und warf einen Blick unverhohlener Bewunderung auf den hochgewachsenen blonden Mann an seiner Seite.

„Zu Nummer 58!“ sagte der Direktor.

Der Schließer sonderte rasch einen der Schlüssel aus dem Bunde heraus und schritt den Herren voran quer über den langen Hof nach einem Seitenflügel, zu dem eine Außentreppe führte.

„Auf Wiedersehen, lieber Herr Pfarrer! Ich gehe nun zurück!“ Warnow schüttelte dem Geistlichen die Hand.

„Remmler, Sie bleiben ganz in der Nähe – Herr von Conventius wird ohne Zweifel sehr bald wieder da sein!“

Die beiden stiegen die Stufen vollends hinan und schritten einen langen, halbdunklen Flur, der an jeder Seite dicht mit Thüren besetzt war, hinunter. Wo dieser Flur ein Knie machte, bogen sie rechts ab und Remmler setzte seinen Schlüssel in eine ziemlich niedrige Thür ein, die sich mit einigem Geräusch öffnete; der Schließer ließ den Geistlichen eintreten und blieb in soldatischer Haltung wartend unmittelbar neben der Pforte stehen.

Das Wort „Gefängniß“ hat für den Unbefangenen immer etwas Unheimliches. Man weiß es ganz genau, daß es unterirdische Verließe, in denen die Gefangenen ohne Licht und Luft, mit Ketten belastet, auf verfaultem Stroh liegen, lange schon nicht mehr giebt – aber der Begriff des Düstern, Schauerlichen verknüpft sich unwillkürlich auch heute noch mit dem Wort „Kerker“.

Der Anblick, der sich dem Eintretenden bot, deckte sich nicht im mindesten mit dieser Auffassung.

Das mäßig große Zimmer war weder unfreundlich noch ungesund; eine gewisse kahle Nüchternheit in der Ausstattung ausgenommen, war nichts dagegen einzuwenden. Es erhielt hinreichendes Licht durch ein breites, allerdings recht hoch angebrachtes, stark vergittertes Fenster, die Temperatur darin war weder feucht noch dumpfig, in der Nähe des Fensters stand ein fester, einfacher Tisch mit Schreibgerät und Material zu Flechtarbeiten, eine Strohmatte bedeckte den Fußboden, im Hintergrund befand sich das eiserne Bettgestell und ein Holzstuhl. Von diesem erhob sich beim Eintritt des Fremden ein schlanker, mittelgroßer Mann mit sehr kurzgeschorenem, graugesprenkeltem Haar und Bart und ungewöhnlich tiefliegenden blauen Augen und fragte, mit höflicher Verneigung: „Sie wünschen, mein Herr?“

Ton, Blick und Gebärde, alles entsprach so vollkommen den Anforderungen der „guten Welt“, daß Conventius, trotz der vorbereitenden Rede des Direktors, innerlich stutzig wurde; einen Raubmörder und Einbrecher, der zum Tode verurtheilt war, hatte er sich wahrlich anders vorgestellt!

„Ich wünsche,“ sagte Reginald, dicht an den Gefangenen herantretend und ihm die Hand bietend, „Sie kennenzulernen und ebenso von Ihnen gekannt zu werden. Mein Name ist Conventius, ich bin Geistlicher an der Pfarrkirche zu Sankt Lukas und mit der Seelsorge der hier Wohnhaften betraut!“

Er hatte sich in der Stille auf einen heftigen Zornesausbruch und Widerspruch des Verbrechers gefaßt gemacht; aber nichts derartiges geschah.

Schönfeld nahm die dargereichte Hand nicht und trat einen Schritt zurück. „Hat Ihnen Herr Direktor Warnow nicht gesagt,“ begann er langsam, „daß ich den dringenden Wunsch ausgesprochen habe, mit allem geistlichen Zuspruch verschont zu werden?“

„Ja – er hat es mir gesagt!“

„Nun? Und? – Zwingt Ihr Beruf oder irgend ein Befehl von ‚oben herab‘ – ich meine die weltliche Obrigkeit! – Sie, mir dennoach, gegen meinen Willen, Ihre amtlich beschworenen Heilswahrheiten mitzutheilen? Dann beklage ich Sie!“

„Das ist nicht nothwendig. Mich zwingt nichts und niemand auf der Welt, als mein eigener, freier Wille!“

„So?“ Schönfeld trat wieder einen Schritt zurück und musterte den Geistlichen von Kopf bis zu Fuß. „Dann lassen Sie sich sagen, daß ich, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, auch noch im Besitz meines eigenen, freien Willens und entschlossen bin, denselben bis aufs äußerste geltend zu machen! Man kann mich einsperren, mich quälen, mich tödten … aber keine Macht der Welt soll mich zwingen, solange ich lebe, den sogenannten ‚Trost der Religion‘ in mich aufzunehmen oder auf alles, was mir in diesem Sinn vorgepredigt wird, ein Wort zu erwidern!“

„Das verlangt man auch nicht von Ihnen!“

„Wozu wären Sie denn hierhergekommen?“

„Ich sagte es Ihnen ja schon: vorerst, um Sie kennen zu lernen, um von Ihnen gekannt zu werden! Glauben Sie, mir wäre mein Gott, alles, was meine Seele Theuerstes und Heiligstes kennt, nicht tausendmal zu schade, um es einem Menschen preiszugeben, der es mit Spott und Hohn oder mit Gleichgültigkeit und Mißachtung aufnimmt? Sie sagen, keine Macht der Welt soll Sie zwingen! Das glaube ich Ihnen und spreche das gleiche! Die Macht aber, die Sie zwingen wird, ist nicht von dieser Welt, hat nichts mit ihr zu schaffen und ist doch stärker als alles, was diese Welt hervorzubringen vermag. Das habe ich Ihnen erwidern wollen. Ehe ich jetzt gehe, noch eins! Sie haben dem Direktor angedeutet – wenn auch sehr versteckt! – Sie hätten einen Wunsch … wollen Sie ihn mir nennen?“

„Glauben Sie, mich mit der Erfüllung dieses Wunsches für Ihren Himmel zu ködern?“

[653] Conventius antwortete nicht, aber in sein schönes und edles Gesicht trat ein Ausdruck so tiefen, lebendigen Mitleids, daß der Gefangene unwillkürlich betroffen wurde; fast schien es, als schämte er sich seiner schlimmen Frage. Es trat eine kurze Stille ein – draußen kämpfte ein matter Sonnenstrahl mit den schweren Wolken, um durchzudringen.

„Wunsch!“ fing Schönfeld endlich wieder an, „Sie sind gewiß der Meinung, ein Mensch wie ich könnte nur einen einzigen Wunsch haben!“

„Ich habe mir noch gar keine Meinung über Sie gebildet!“

„Das wird nicht mehr lange auf sich warten lassen; es wäre ja auch nicht groß zu verwundern, wenn Sie sich einbildeten, Herr Pfarrer, ein Mensch, dessen Leben verwirkt ist, wünsche vor allen Dingen seine Begnadigung! Ich aber sage: um keinen Preis! Hören Sie wohl? Um keinen!! Ich werde froh sein, wenn die ekle und schale Tragikomödie, die man Leben nennt, einmal zu Ende geht, so oder so – ich würde keinen Finger rühren, mein Dasein zu verlängern; ich habe dies auch den Richtern, dem Präsidenten, dem Staatsanwalt und meinem Vertheidiger gesagt. Ich bin in allen Punkten geständig und verschmähe es durchaus, den Weg, der zur Gnade führen könnte, zu beschreiten. Die Herren haben mir erwidert, daß dies den Stand der Dinge wesentlich verschlimmere … das ist mir gerade recht, ich will es nicht anders haben. Sollten Sie irgend welchen Einfluß, hohe Verbindungen oder dergleichen besitzen, – machen Sie nichts von alledem zu meinen Gunsten geltend: ich will sterben!“

Der schlanke, feingebaute Mann schien die verkörperte Willenskraft, während er sprach, – er war sehr blaß geworden, seine Nasenflügel bebten, aus den tiefliegenden Augen sprühte es.

Reginald war ergriffen. „Welch’ ein Leben muß das gewesen sein!“ sagte er leise, mehr zu sich selbst sprechend.


Die Karlsbrücke in Prag nach dem Einsturz am 4. September 1890.
Nach einer Momentaufnahme.


„Es wäre Ihnen wohl als Psychologe interessant, Bekenntnisse eines Raubmörders, der nur zehn Schritt von der sogenannten Ewigkeit entfernt ist, zu sammeln? O ja, meine Lebensgeschichte würde einem geschickten Schriftsteller ganz schätzbares Material liefern. Auch wäre ich noch eher bereit, jemand meine Schicksale zu erzählen, als ihm die Sorge für meine Seele in die Hände zu legen, Seelsorger! Was für ein unsinniges Wort! Wie kann denn ein anderer Mensch für meine Seele sorgen, wenn ich selbst das Kunststück nicht einmal zustande gebracht habe?“

„Aus eigener Kraft wird er das auch niemals können.“

„Die göttliche Gnade muß in ihm wirksam sein – so meinen Sie doch, nicht wahr? Es ist doch schade, daß unsereins niemals etwas davon zu spüren bekommt; sie ist wohl nur für die auserwählten Werkzeuge Gottes vorhanden, nicht wahr?“

Reginald warf den Kopf zurück.

„Es ist offenbar Ihre Absicht, mich von hier zu vertreiben, denn Sie müssen sich sagen, daß der Ton, in dem Sie von meinem Beruf zu mir sprechen, auf mich ungefähr ebenso wirken muß, als wenn Sie meiner Mutter ins Gesicht schlügen. Der großen und ernsten Sache, um die es sich handelt, geschieht kein Schade damit – die hat wahrlich schon mehr erduldet und steht höher, als daß solche Pfeile einer verbitterten Seele sie erreichen könnten! Sie können also nur mich persönlich beleidigen wollen, und ich habe Ihnen nichts zu leide gethan!“

„Nicht Sie persönlich will ich beleidigen und an der Wiederkehr hindern, sondern den Geistlichen – mit einem solchen mag ich nichts zu schaffen haben!“

„Wohl aber er mit Ihnen! Und so werden Sie auch meine Wiederkehr nicht hindern können; für heute ist es genug. Und Ihr Wunsch?“

Es malte sich etwas wie Ueberraschung und Verlegenheit in [654] Schönfelds Zügen, als der Geistliche auf den Wunsch zurückkam; er that, als wäre ihm die Angelegenheit schon gleichgültig geworden.

„O – es ist – Sie werden sich unendlich verwundern, daß ich gerade einen solchen Wunsch hege – auch fragt es sich sehr, ob Sie, Herr Pfarrer oder der Direktor ihn mir erfüllen wollen. Ich habe nämlich … ich war nämlich … schon als Kind war ich ein leidenschaftlicher Blumenfreund, und in allen Lebenslagen habe ich daran festgehalten; es ist zum Erstaunen, nicht wahr? Wie gut Sie Ihre Gesichtszüge in der Gewalt haben – Sie lachen nicht einmal und sehen auch nicht erzürnt aus. Und es ist doch das Widersinnigste, was man sich denken kann; ein Dieb und Todtschläger, ein Verbreiter gefährlicher Ansichten, ein Verbrecher, dessen sich die civilisirte menschliche Gesellschaft auf gewaltsame Weise entledigen will … und das zarteste, Lieblichste, Unschuldsvollste, was die Natur hervorzubringen imstande ist: die Blume. – Aber ich war ja nicht immer ein Raubmörder; es gab Zeiten in meinem Leben, wo ich geachtet und geehrt dastand und kein Mensch mir meine Blumenliebhaberei beanstandete; wie soll sie nun durch meinen weitern Lebensgang in mir ausgelöscht sein? – Man findet solche wunderliche Neigungen übrigens des öftern: rohe Kriegsmenschen lieben häufig kleine Kinder, schwere Verbrecher schwärmen für Musik – ich bilde keine Ausnahme!“

„Ihr Wunsch soll erfüllt werden!“ sagte Reginald ruhig. „Es fragt sich nur, ob hier“ – er warf einen Blick auf das Zimmer – „Blumen überhaupt gedeihen können!“

„Mein Fenster hat ziemlich lange Morgensonne, und wenn ich einen Stuhl heranschiebe, reiche ich gerade mit ausgestreckter Hand hinauf!“ Schönfeld sagte es eifrig, mit einem überredenden Blick.

„Gut also! Wünschten Sie sonst noch etwas? Vielleicht Bücher?“

Das schneidend sarkastische Lächeln erschien wieder auf dem Gesicht des Gefangenen.

„Sehr verbunden. Die Lektüre, die mich ausschließlich während der letzten Jahre beschäftigt hat, dürften Sie mir schwerlich verschaffen können und wollen: revolutionäre Schriften, lauter Umsturzideen und gefährliche Neuerungen enthaltend, – helles Jakobinerthum! Solche geistige Nahrung kann ich hier nicht gut verlangen, – und den Walter Scott, den ich als junger Mensch sehr liebte, hat der Direktor nicht!“

„Ich besitze ihn und werde Ihnen zunächst ein paar Bände zuschicken. Adieu für heute!“

Reginald machte eine verabschiedende Bewegung und wandte sich zum Gehen. Der Gefangene verneigte sich stumm und gab ihm bis zur Thür das Geleit; während der paar Schritte war es, als ob er noch etwas sagen wollte – ein Entschluß schien in ihm aufzusteigen, aber auch wieder zu erlöschen; er preßte die Lippen übereinander und blieb still. –

Draußen im Flur nahm Remmler den Geistlichen in Empfang und führte ihn über den Hof; der Direktor ließ sich nicht blicken, und Reginald wußte ihm in seiner Seele Dank dafür, daß er sich nicht sofort ausführlich bei ihm erkundigte, wie die Unterredung im Gefängniß verlaufen sei.

(Fortsetzung folgt.)




Die Frauen und der ärztliche Beruf.
Von Professor Dr. Hermann v. Meyer.

Soll man die Frauen zum Studium der gelehrten Berufsarten zulassen und ihnen die Berechtigung zur Ausübung derselben ertheilen?

Trotzdem diese Frage in manchen Staaten thatsächlich schon gelöst ist, wird doch noch in den verschiedensten Kreisen darüber hin und her gestritten, wobei neben ruhigen Ueberlegungsgründen eine Fülle von unklaren Vorstellungen, vorgefaßten Meinungen und Gefühlsauffassungen sich, verwirrt und verwirrend, durcheinander drängt, sodaß es demjenigen, welcher nicht zunächst bei der Frage betheiligt ist und doch über dieselbe unterrichtet zu sein wünscht, fast unmöglich gemacht ist, eine klare Einsicht in das zu gewinnen, um was es sich dabei eigentlich handelt.

Namentlich ist es das ärztliche Fach, welches in diesem Streite der Geister vor allen andern in den Vordergrund tritt, weil diesem studierende Frauen sich am meisten zuwenden, und weil gerade bei diesem Fache viele Gründe für und gegen seine Wahl durch Frauen geltend gemacht werden können. Man findet das Studium und die Ausübung der Medizin durch Frauen vorzugsweise besprochen und dabei von manchen Seiten begeistert befürwortet, von anderen Seiten aber aufs schroffste angefeindet, daneben wohl auch mit mehr oder minder guten Witzen lächerlich gemacht. Die ganze Angelegenheit ist aber eine zu ernste und wichtige, als daß sie durch Schwärmerei, Schroffheit oder Hohn könnte entschieden werden; sie verlangt eine ruhige Würdigung unter gebührender Berücksichtigung der verschiedenen Unterfragen, welche in ihr enthalten sind.

Der deutsche Reichstag wird in seiner nächsten Sitzungszeit Gelegenheit haben, sich ebenfalls mit der Erwägung dieser Frage zu beschäftigen, denn der „Deutsche Frauenverein Reform“, dessen Sitz in Weimar ist, hat an denselben eine Petition gerichtet, worin die „Zulassung des weiblichen Geschlechtes zur Ausübung des ärztlichen Berufes, wie solche heute in den meisten Kulturstaaten bereits Thatsache geworden“, verlangt und im Anschlusse daran die Forderung gestellt wird, „das medizinische Studium auf deutschen Universitäten dem weiblichen Geschlechte zugänglich zu machen.“

Auch der Vorstand des „Allgemeinen deutschen Frauenverbandes“ in Leipzig hat an die Landtage aller deutschen Staaten ein ähnliches Gesuch gerichtet.

Wenn ich es nun unternehme, in diesen Zeilen mich über diese Frage zu äußern, so kann ich für meine Befugniß hiezu den Umstand geltend machen, daß meine langjährige Thätigkeit als Professor der Anatomie an der Universität Zürich, an welcher bekanntlich Frauen zum Studium zugelassen sind und zahlreich von dieser Vergünstigung Gebrauch machen, mir reichliche Gelegenheit geboten hat, Beobachtungen und Erfahrungen zu sammeln.

Ehe auf einzelnes eingegangen werden kann, wird es indessen nöthig sein, zu untersuchen, ob denn der Wunsch und das Bestreben der Frauen, die gelehrten Berufsarten und insbesondere die ärztliche Praxis in ihren Thätigkeitskreis hereinzuziehen, eine Berechtigung besitzt.

Die Antwort lautet: Ja! Es muß wohl kaum daran erinnert werden, in welch unglücklicher Lage sich alleinstehende Töchter befinden, welche darauf angewiesen sind, sich durch eigene Thätigkeit ihren Unterhalt zu erwerben. Das ihnen zunächstliegende Auskunftsmittel einer Stellung als Haushälterin, Gesellschafterin oder Erzieherin ist sehr schwierig zu erlangen, weil der Andrang zu solchen Stellungen ein außerordentlich großer ist. Ebenso bietet sich solchen, welche sich in Seminarien ausbilden und dem Lehrfache zuwenden, im ganzen nur wenig Aussicht darauf, eine gesicherte Zukunft zu gewinnen; denn auch auf diesem Felde ist der Wettbewerb bereits ein sehr scharfer. Selbständigen und lohnenden Wirkungskreis im Gebiete der Musik, der Malerei oder anderer Künste zu finden, ist aber nur ganz wenigen vergönnt, welche besondere Veranlagung in einer dieser Richtungen zeigen.

Unter diesen Verhältnissen kann es gewiß nicht Wunder nehmen, wenn solche, die in sich die nöthigen geistigen Kräfte fühlen, daran denken, eine Laufbahn in einem der höheren Gelehrtenberufe zu suchen. Daß hierbei vorzugsweise und fast ausschließlich der ärztliche Beruf ins Auge gefaßt werden muß, ist selbstverständlich, weil einerseits die theologische und die juristische Laufbahn für Frauen sogut wie gar keine Aussicht bieten, und weil andererseits schon viele Frauen in den allerdings bescheidenen ärztlichen Thätigkeiten von Pflegeschwestern, Zahnärzten oder Hebammen sich mit Erfolg bewegen. Ja, wenn man nur einen Blick auf die ungeheuer schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe der Krankenpflege im Kriege wirft, so wird man der deutschen Frau das Zeugniß nicht versagen können, daß sie wenigstens in dieser Rolle als ärztliche Hilfskraft sich geradezu mit Ruhm bedeckt hat.

Wenn demnach das Geschlecht der Frauen nach einem vollberechtigten Eintritt in den Berufskreis der Aerzte Verlangen trägt, so ist dieses Verlangen nicht nur durch den Wunsch nach einer auf eigenen Kräften beruhenden Lebensstellung hinlänglich begründet, es ist auch in Wirklichkeit nur eine leicht verständliche Folgerung aus der bereits bestehenden Thätigkeit von Frauen innerhalb des Gebietes des ärztlichen Wirkens.

[655] Nun drängt sich aber doch die Frage auf und sie ist auch schon vielfach gestellt worden, ob die Durchführung dieser Bestrebungen sich mit der staatlichen Ordnung vertragen könne. Bekanntlich haben bisher wenigstens die deutschen Staatsbehörden sich nur ablehnend verhalten, indem theils die Universitäten den Frauen den Zutritt zum Studium verweigerten, theils die Prüfungsbehörden angewiesen waren, Frauen, auch wenn sie ein regelrechtes Studium durchgemacht und das Doktorexamen bestanden hatten, die für die Aufnahme in den ärztlichen Stand nothwendigen Prüfungen nicht abzunehmen. Letzteres hatte zur Folge, daß diesen Frauen die ärztliche Praxis nur unter dem Schutze der „Gewerbefreiheit“ mit nicht unbedeutenden Einschränkungen und Hemmungen gestattet war.

Den Staat als solchen geht eigentlich nur die zweite dieser Maßregeln an, und um sie beurtheilen zu können, muß man sich zuerst darüber klar werden, welchen Zweck und welche Bedeutung die ärztlichen Prüfungen eigentlich haben. Die Staatsverwaltung kommt mit ihnen einer Verpflichtung gegen das Publikum nach, indem sie nur solchen, welche entsprechende Kenntnisse aufweisen können, die Ausübung eines so verantwortungsreichen Berufes, wie der des Arztes es ist, gestattet. Würde aber die Verantwortlichkeit der Staatsverwaltung dem Publikum gegenüber eine größere sein, wenn sie einer Frau, die in der Prüfung sich über die nöthige wissenschaftliche Ausbildung ausweisen kann, diese Befugniß ebenfalls gewähren würde – namentlich wenn sie eine, wenn auch gehemmte Praxis bei bestehender „Gewerbefreiheit“ doch nicht hindern kann? Sicher nicht!

Freilich ist aber die Zulassung zur ärztlichen Praxis in Deutschland aus verschiedenen Gründen auch noch von anderen Bedingungen als dem abgeschlossenen Studium abhängig, insbesondere von dem Besitze eines deutschen Reifezeugnisses und von dem Besuche einer deutschen Universität für den größten Theil der Studienzeit. Da nun aber der Nachweis für beides den für eine ärztliche Prüfung sich meldenden Frauen unter den jetzigen Verhältnissen unmöglich ist, so wird ihnen schon darum der Zutritt zur Prüfung zu verweigern sein, ohne daß diese Zurückweisung gegen sie in ihrer Eigenschaft als Frauen gerichtet ist. Hier sind also allerdings noch manche Abklärungen nothwendig, ehe der Eintritt von Frauen in den ärztlichen Stand mit der staatlichen Ordnung, wie sie zur Zeit in Deutschland besteht, verträglich sein wird.

Allein diese Frage, ob und auf welche Weise sich die Berechtigung der Frau zum ärztlichen Beruf in die augenblicklich gültige Staatsordnung einfügen lasse, ist, obwohl nicht unwichtig, doch meist als nebensächlich behandelt worden. Viel eindringlicher hat man darüber verhandelt, ob die Zulassung der Frau zum medizinischen Studium nicht aus Gründen des Anstands und der Sittlichkeit zu verurtheilen sei. Gewichtige Stimmen, insbesondere auch aus akademischen Kreisen, haben die Befürchtung geäußert, daß die beständige gleichzeitige Betheiligung junger Männer und jugendlicher weiblicher Wesen an dem akademischen Unterricht, deren enges Zusammensein in den Hörsälen, bei den praktischen Uebungen und den botanischen Ausflügen der guten Zucht schädlich sein könnten und namentlich die nöthige Aufmerksamkeit auf den Gegenstand des Studiums stören müßten. Es wird ferner die Ansicht ausgesprochen, daß Frauen nicht die erforderlichen geistigen Anlagen für ein ernstes Studium hätten und im besten Falle nur sehr mittelmäßige Aerzte werden könnten. Es wird geltend gemacht, daß die ganze körperliche Organisation der Frauen ihnen das Ertragen der mit der ärztlichen Praxis verbundenen Anstrengungen nicht gestatte. Und endlich wird in Uebereinstimmung mit gewissen Stimmen aus dem Publikum versichert, daß die andauernde Beschäftigung mit der Anatomie, dem Operationswesen und der Krankheitslehre ganz unweiblich sei und nothwendig zur Verrohung führen müsse.

Es ist beachtenswerth, daß solche Auseinandersetzungen nur von Universitäten kommen, an welchen sich keine weiblichen Studierenden befinden und welche sich überhaupt ablehnend gegen die Aufnahme von solchen verhalten. Die Erfahrungen an Hochschulen, welche weiblichen Studierenden Zutritt gewähren, haben aber alle diese Befürchtungen und die darauf sich stützenden Einwände gegen das Frauenstudium als unhaltbar erkennen lassen; Lehrer sowohl als Studenten dieser Universitäten konnten, auch wenn sie an und für sich keine große Vorliebe für weibliche Studierende hatten, doch keine Nachtheile oder Uebelstände finden. Meine eigenen langjährigen Erfahrungen sowie diejenigen meiner Fachgenossen haben von der gefürchteten Störung der Ordnung und des Ernstes im Studium niemals etwas bemerken können; im Hörsaal und in den praktischen Kursen herrschte stets ruhiger Anstand, und die Studenten verkehrten mit ihren Kolleginnen stets taktvoll. Die Studentinnen wahrten in ihrer ganzen Erscheinung und in ihrem Benehmen eine durchaus gebildete Haltung und zeigten weder emanzipirtes noch blaustrumpfiges Wesen; in Bezug auf Ernst und Erfolg im Studium aber waren die meisten als mustergültig zu bezeichnen, und namentlich zeichneten sich viele derselben in den praktisch-anatomischen Aufgaben durch feine und säuberliche Arbeit sehr vorteilhaft aus. Von verschiedenen unserer Schülerinnen haben wir auch später erfahren, daß sie sich mit großem Erfolge in der Praxis bewegen, also doch wohl den damit verbundenen Anstrengungen gewachsen sind.

Mehrfach ist die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht vielleicht, da denn doch einmal weibliche Wesen sich dem Studium zuwenden, angemessen sein dürfte, für sie besondere Vorlesungen halten zu lassen oder besondere Hochschulen zu errichten. Damit wäre aber mittelbar eine Aufmunterung zum Studium gegeben, welche gewiß kein Wohlmeinender bei den dermalen noch sehr unbestimmten Aussichten auf eine befriedigende Laufbahn auf sein Gewissen nehmen möchte. Außerdem sträuben sich die studierenden Frauen selbst dagegen, wie die von einer derselben gegen mich gethane Aeußerung beweist: „Man soll sehen, daß wir ein regelrechtes Studium durchmachen wie alle Aerzte, und wir dürfen uns nicht nachsagen lassen, daß wir uns in einem Hinterstübchen die Sache haben populär zurechtschneiden lassen.“

Wie gezeigt, lassen sich also die gegen eine Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium ins Feld geführten Einwände nicht aufrecht erhalten. Die Erfahrung hat andererseits gelehrt, daß weibliche Aerzte in der That eine erfolgreiche Thätigkeit zu entfalten vermögen, wie sich dies insbesondere in England und Nordamerika beobachten läßt. Die Folgerung erhellt schon hieraus von selbst. Nicht nur gebührt den Frauen das Recht, sich in staatlich anerkannter Form dem ärztlichen Berufe widmen zu dürfen, sondern sie werden auch, wenn sie, wie sich von selbst ergeben wird, vorzugsweise den Frauen- und Kinderkrankheiten ihre Aufmerksamkeit zuwenden, sogar eine sehr willkommene Ergänzung des ärztlichen Personals bilden. Mit allem Ernst müssen hier insbesondere die Frauenkrankheiten betont werden. Es ist eine schmerzliche, aber unwiderlegliche Thatsache, daß eine unverhältnißmäßig große Zahl von Frauen einem dauernden Siechthum verfällt, weil natürliche weibliche Scheu sie davon abhielt, sich bei Zeiten an einen männlichen Arzt zu wenden. Die Frau als Arzt der Frau – sie könnte hier unberechenbaren Segen stiften!

Aus der Welt schaffen läßt sich die Bewegung nicht mehr; sie ist eine in der Entwickelung der bürgerlichen Stellung der Frauen begründete und von diesen selbst angeregte. Jedes unmittelbare Eingreifen würde den natürlichen Entwickelungsgang nur stören, und eine Aufmunterung wäre daher ebenso wenig am Platze, wie auch eine Bekämpfung erfolglos bleiben wird.

Als das richtigste Verfahren erscheint demnach sicher das, daß man in voller Anerkennung ihrer Berechtigung den Frauen, welche die Frage selbst angeregt haben, es überläßt, auch die Lösung selbst zu finden, und daß man ihnen dafür alle Hilfsmittel, welche zu einer günstigen Lösung führen können, rückhaltlos zur Verfügung stellt. Ist etwas Gesundes an der Sache, so ist diesem damit alle Gelegenheit gegeben, sich naturgemäß zu entwickeln. Sind dann unverkennbare Erfolge erreicht und erweisen sich diese nützlich für die bürgerliche Gesellschaft, dann wird man auch auf anderer Seite genöthigt sein, mit denselben zu rechnen. Ist dagegen die Frage in ihrer jetzigen allgemeinen Fassung verfehlt, so wird sie in sich zerfallen, ohne daß behauptet werden darf, daß sie gewaltsam unterdrückt worden sei. Berufeneren Persönlichkeiten wird es aber darum auch künftig nicht benommen sein, ihrem Drange nach Wissen und Wirken nachzuleben.

Wenn in dem obigen die Ansicht aufgestellt wurde, daß den dem Studium sich zuwendenden Frauen die Hilfsmittel zur Durchführung ihres Versuches nicht zu verschließen seien, so ist damit ausgesprochen, daß es zweckmäßig sei, ihnen auch den Zutritt zu den Universitäten nicht zu verwehren. Wenn man ihnen jedoch diesen gestattet, so ist es dringend zu empfehlen, die Aufnahmebedingungen [656] nicht zu niedrig zu stellen, so daß nur solche, welchen es wirklich Ernst mit dem Studium ist, denselben zu entsprechen vermögen. Wird die Aufnahme gar zu leicht gemacht, so ist damit die Gefahr der Eindrängung unpassender Elemente gegeben, welche nur imstande sind, die Sache in Verruf zu bringen. Die schweizer Universitäten haben in dieser Beziehung sehr unangenehme Erfahrungen machen müssen, indem die gar zu leicht gewährte Immatrikulation von den weiblichen Mitgliedern eines fremdländischen politischen Auswandererthums, welche weder Befähigung noch Neigung für das Studium hatten, zur Erwerbung der Aufenthaltsbewilligung mißbraucht wurde. Die Ueberfluthung mit derartigen unpassenden Elementen brachte zwar keine unmittelbaren Nachtheile durch Störung der guten Zucht in den Unterrichtsstunden, aber sie wurde doch als eine dem akademischen Körper anhängende fremdartige Masse hemmend und lästig und brachte die wirklich studierenden Frauen in eine falsche Stellung. Namentlich hatte auch Zürich sehr unter diesen Verhältnissen zu leiden, so daß man es als Wohlthat empfand, als eine aus dem Heimathlande jener Auswanderer kommende Verfügung die schlimmen Elemente entfernte. Durch diese Erfahrung belehrt, hat man denn auch in Zürich die Aufnahmebedingungen verschärft, allerdings immer noch nicht in dem Grade, wie es in allseitigem Interesse zu wünschen wäre.




Norwegische Jagdskizze.
Von Eugen Friese. Mit Abbildungen von Gustav Wendling.


Der Renthierjäger Bjarne.

Ich besaß einen lieben Freund, einen ausgezeichneten Jäger, der mir oft von einer Jagd auf Renthiere sprach, die er dereinst auf einer Reise in Norwegen mitgemacht habe.

Von den Todten soll man nur Gutes reden! Aber – der Himmel verzeihe mir die Sünde! – der gute Alte hat mich furchtbar belogen. Er erzählte, wie er im Boote mit den norwegischen Jägern über den Fjord gefahren, wie sie am andern Ufer von den Genossen erwartet und mit fröhlichem Jagdrufe empfangen worden seien. Dann sei man nach kräftigem Imbiß und Trunk hinausgezogen zum fröhlichen Jagen, ganz wie bei uns. Nach kurzer Wanderung habe man das Jagdgebiet erreicht gehabt, die Schützen seien angestellt worden, und „das Treiben auf Renthiere“ habe begonnen. Wie das Auge des alten Freundes in jugendlichem Feuer leuchtete, – wie er die beiden Hände vor Eifer emporstreckte, so lang die Arme reichten, um sie, zu Fäusten geballt, donnernd auf die Tischplatte fallen zu lassen, die sich unter der Wucht derselben (oder unter der Wucht der Lüge?) zu biegen schien. Der Leser erlaube mir, ihn selbst sprechen zu lassen:

„Da stand ich nun in einer Einöde, gegen die unsere Tucheler Heide ein Wiener Café genannt werden kann. Kahle Granitwände rechts und links, und ich mitten drinnen wie in einer Schüssel, die nach den anderen Seiten, nach vor- und nach rückwärts, sanft ausläuft. Es war ein Engpaß, in den sie mich postirt hatten, ein gezwungener Wechsel von dem Hochfjeld nach den niedriger gelegenen Trakten; – durch diese hohle Gasse mußten sie kommen! Und sie kamen! – prasselnd, donnernd, ein Wald von unförmlichen Schaufelgeweihen. Der Granit schien unter ihren Hufen zu wanken, polternd stürzte Steingeröll von der Höhe mir entgegen, und dahinter gleich einer Eskadron, die zum Angriff vorgeht, die zottigen Hälse der Renthierheerde.

Ich hatte nur Zeit, mich an die Granitwand des Engpasses zu drücken, dann waren sie heran, nein, vorüber! – und ich hatte gefeuert – zweimal gefeuert, und zwar auf den stärksten Bock, den ich mir unter allen ausgewählt hatte. Vor Scham hätte ich in die Erde sinken mögen, er stürzte nicht unter dem Feuer. Was würden die Norweger zu dem ‚Tysker‘ sagen, der in seiner Heimath ein berühmter Jäger sein sollte?

Aber hier lagen Schnitthaare, dort Schweiß zu beiden Seiten der Flucht, und dann – Hauptmann, ich vergesse es im Leben nicht! – war der Bock keine fünfzig Schritte vom Anschuß zusammengebrochen!“ –

Das war der Augenblick, wo die wuchtigen Fäuste des alten Freundes zur Tischplatte niedersanken und ich in meinem Innern einen Schwur that, dereinst wie er einen Renthierbock zu strecken. Dann wurde zum Schluß als Bekräftigung des Ganzen, gewissermaßen als Beweismittel für die Wahrheit der Jagdgeschichte, das mächtige, noch nicht abgefegte Geweih gezeigt, und die verehrte Gattin meines Freundes knüpfte daran an, welche entsetzliche Mühe es gekostet habe, dasselbe unversehrt in die Heimath zu befördern. Da man es nämlich noch weich mitgenommen habe, so sei es für sämmtliche Mitreisende eine Qual gewesen, in seiner Nähe zu weilen, – es habe gar abscheulich gerochen. – –

Nun war ich selbst auf einer Reise in Norwegen, und ich konnte mich nicht mehr enthalten, meinem werthen Gastfreunde B., der mich so liebenswürdig aufgenommen hatte, die Geschichte des landsmännischen Nimrods zu erzählen. Freund B. lächelte etwas spöttisch, was sonst nicht seine Art war, sagte aber nichts, sondern meinte nur, ich würde das Vergnügen ja vielleicht noch aus eigener Anschauung kennenlernen.

Und so kam es auch. Eines Tages klopften wir an die Thüre der Behausung eines Renthierjägers, der uns als guter Führer auf einer Hochfjeldspürsche empfohlen war. Die Hütte lag in einer zerklüfteten Gebirgsschlucht, durch die der Gletscherbach tosend seine Wasser zu Thal schickte, in trauriger, vegetationsloser Umgebung – aus roh über einander geschichteten Baumstämmen gezimmert. An langen Bindfäden, die an den in die Holzwände getriebenen Pflöcken befestigt waren, hingen farblose, dünne Streifen Renthierfleisch und Fische, der Wintervorrat des Jägers, der ihm von der Sonne und der Luft gedörrt wurde. Ich dachte mit Genugtuung an unsere mitgenommenen Vorräthe, die uns instand setzten, diese schrecklichen, nordischen Genüsse entbehren zu können.

Längere Zeit schon hatten wir unsere Anwesenheit in oben erwähnter Weise kundgetan. ohne damit irgend ein Lebenszeichen im Hause wachzurufen, bis uns endlich ein schlürfender Schritt von dem windschiefen Stallgebäude her zum Umsehen veranlaßte. Es war eine überaus traurige Figur, die sich uns nahte: die eine [657] Schulter tiefer als die andere, der Oberkörper vornüber gebeugt; dazu hinkte die Gestalt, indem sie den einen Fuß wie erlahmt nachschleppte; das war unser neuer Wirth, der berühmte Renthierjäger. Das einzige. was mir an dem verkrüppelten Menschen Interesse einflößte, war das stahlhelle Auge in dem runzligen, abschreckenden Gesicht; in ihm bekundete sich Energie und Spannkraft in merkwürdigem Gegensatz zu der verwitterten äußeren Hülle.

Nachdem uns Bjarne – so hieß der Mann – seinen Willkomm geboten hatte, folgten wir ihm in das räucherige, sonst aber reinliche Innere der Hütte. Während wir dem Führer unser Gepäck abnahmen und aus demselben die zu unserer Verpflegung nöthigen Lebensmittel herauskramten, konnte ich nicht umhin, meine Bedenken hinsichtlich der Leistungsfähigkeit unseres Wirths auf der Jagd auszusprechen; ich war der Ansicht, der Mann sei doch zu allem, nur nicht zum Ertragen von Jagdstrapazen geschaffen.

Die Hütte Bjarnes.

Bald wurde mir die erste Belehrung über Renthierjagd und Renthierjäger zu Theil. Ich erfuhr, daß gedachter Sport zum Anstrengendsten und Aufreibendsten auf diesem Gebiete gehöre. Beweis dafür sei unser Wirth selbst. Das Nächtigen unter freiem Himmel, im besten Falle in den einsamen Steinhütten auf dem Hochfjeld, dann die Jagd selbst, das lange Kriechen über Schneefelder und Hochmoore, um an das scheue Wild heranzukommen, das alles seien Dinge, die man ungestraft selbst dem festesten Körper nicht zumuthen dürfe.

Und unser Wirth gab uns danach, als wir bei einem Glase Toddy, einer Art Grog aus Branntwein, Wasser und Zucker, saßen, die Bestätigung der Worte meines Freundes. Er erzählte, wie er früher ein gerader, straffer Bursch gewesen sei, stark wie ein Bär und ausdauernd wie kein anderer weit und breit. Erst habe er die Jagd zum Vergnügen betrieben; dann aber sei sie sein Gewerbe geworden, und damit hätte ihn der Rheumatismus überfallen und den einst so geraden Körper krummgezogen wie eine Latsche auf dem Hochgebirge. Wenn er nun auch oftmals keine Lust mehr verspüre zur Jagd, er müsse hinaus trotz seines Reißens, um nicht zu verhungern.

Meine ideale Anschauung von der Renthierjagd, genährt durch die Erzählung des verstorbenen Freundes, schrumpfte mehr und mehr zusammen. Das traurige Aeußere unseres Wirths war nur zu sehr geeignet, meine Jagdleidenschaft zu dämpfen. Erst als er von seinen überraschenden Erfolgen erzählte, erwachte dieselbe wieder von neuem; er hoffe, noch in diesem Jahre das neunte Hundert Renthiere voll zu machen. Ich stellte danach eine nach dem Eingangs Erzählten wohl begreifliche Frage, wieviel der Thiere er wohl auf Treibjagden geschossen habe.

Freund B. lachte laut heraus. Er verdolmetschte Bjarne meine Worte, und nun nahm auch dieser an der Heiterkeit theil.

„Renthiere treiben?“ sagte er. Ebenso gut kannst Du auch Adler treiben. Das Hochfjeld, auf dem das Renthier seinen Stand hält, gleicht der unendlichen Luft. Da ist’s nicht möglich, es einzukreisen, man müßte denn Hunderttausende von Treibern und Schützen aufbieten. Und selbst dann würde es nicht gehen, weil das Renthier, wie die Gemse, noch sicher über Schneehalden und Hochmoore wandert, wo kein Mensch mehr fußen kann; die Pürsche, das Anschleichen ist die einzig mögliche Jagdart.“

Jetzt wurde es mir klar: an den seligen Freund war der Versucher in Gestalt seines unvergleichlichen Erzählertalents herangetreten. Ich legte den Genuß, den er mir mit seiner Renthierjagdbeschreibung bereitet hatte, gegen meinen Zorn über die Täuschung in die Wage und verzieh ihm aufrichtig.

Nachdem ich so meine gänzliche Unbekanntschaft mit den Lebensgewohnheiten und der Jagdart des Renthieres eingesehen hatte, ließ ich mich gern von meinen Gefährten über die einschlägigen Dinge belehren.

Die Jagd auf Renthiere ist wohl, was Anstrengung und Entbehrungen betrifft, weit über die Gemsjagd zu stellen. Wenn auch das Steigen in den Alpen und der hohen Tatra ermüdend genug ist, so findet man zur Nachtzeit meistens ein Unterkommen in einer Sennhütte; jene Gebirge sind eben bereits kultivierter. Auf den skandinavischen Hochfjelds heißt es, die Nahrung mit [658] sich tragen und die Nächte an der Grenze der Schneeregion unter freiem Himmel und bestenfalls in einer jener Steinhütten verbringen, die vom skandinavischen Alpenklub in anerkennenswerther Weise vereinzelt hergerichtet worden sind, deren Baumaterial roh aufeinander geschichtete Granitblöcke bilden, und durch deren handbreite Fugen der Wind wie aus einem Blasbalge bläst. –

Am Nachmittage des Tages unserer Ankunft bei Bjarne waren wir durch die enge Felsschlucht und endlich auf Ziegenpfaden nach dem Fjeld aufgestiegen. Gegen Abend, als über den Thälern bereits dunkle Schatten lagen, erreichten wir den Kamm der Hochebene, die noch vom Licht der niedergehenden Sonne beschienen wurde. Ein Alpenglühen habe ich in den skandinavischen Alpen nie beobachten können, dafür bin ich oft entzückt gewesen über die wunderbare Pracht der Farben, welche über den Fjord- und Gebirgslandschaften liegen. Sind sie doch zu Zeiten satter, wechselvoller, als der Süden sie uns zeigt. Es wirkt hier auf Schritt und Tritt der Gegensatz von Fels und Meer, zwischen der üppigen Vegetation der Fjords und den darüber liegenden ungeheuren Gletscherfeldern.

Vor dem Schuß.

Als wir die einsame Steinhütte an dem Rande des unübersehbaren Hochmoors erreicht hatten, blieb ich noch lange draußen stehen und gab mich ganz dem Zauber des eigenartigen Landschaftsbildes hin: eine einzige, von braunem Heidekraut übersponnene Fläche, aus der kahle Felsblöcke hervorragten, dazwischen aber grüne, saftige Flecken von einer Lebhaftigkeit der Farbe, wie wir sie an der Patina auf kupfernen Bedachungen bewundern; endlich im Hintergrunde weiße Streifen in den Rinnen einer allmählich ansteigenden Felsmauer, deren Kamm ein einziges, großes Schneefeld bildet, darüber das rosige Licht des niedergehenden Tagesgestirns und eine Ruhe, eine heilige Stille, wie sie vielleicht nur noch die Wüste kennt.

B. rief mich herein.

Bjarne hatte in einer Ecke der Hütte ein Feuer aus Reisig angezündet und bereitete in einem kleinen Blechkessel heißes Wasser, um den unvermeidlichen Toddy herzustellen. Ich sah mich nach unserem Nachtlager um. Unweit der Thür lag ein Haufen halbvermoderten Strohs, das war alles; von irgend einem Stück Möbel keine Spur! Der innere Raum der Hütte war ein Ganzes. Die rohen Steinwände, deren Fugen mit Moos verstopft waren, zeigten kein Fenster, das Licht fiel durch die Thür herein. Kein Herd, kein Rauchfang! Der ätzende Dampf des feuchten Reisigs belästigte Augen und Lungen, sodaß wir herzlich froh waren, als Bjarne endlich den Kessel abhob und Torferde über die glimmenden Scheite warf, um die Gluth zu ersticken.

Unser Abendbrot bestand aus Toddy, steinhartem Roggenzwieback und einem Stück Wurst. Wir mußten sparsam mit unseren Vorräthen umgehen, weil wir nicht wußten, wie lange unsers Bleibens auf dem Hochfjeld sein würde. Frühzeitig streckten wir die müden Glieder auf dem Stroh aus, bedeckten uns mit unseren Mänteln und schliefen bald ein; das heißt, wenn man einem Zustand den Namen „Schlaf“ beilegen darf, in welchem man so ziemlich alles sieht und hört, was um einen her vorgeht. Mir entging kein Schnarchlaut des Alten, keiner der unterdrückten Flüche meines Gefährten, die der unliebsamen Schar von Blutsaugern galten, welche in dem Stroh lange genug gehungert haben mochten und jetzt über uns herfielen, als wollten sie sich auf vierzehn Tage sättigen.

Ich stand endlich leise auf und ging hinaus, wo ich mich neben [659] der Thür auf einen Stein setzte und in die Nacht lauschte. Wohl eine Stunde mochte ich so zugebracht haben, ein leises Frösteln zog durch meinen Körner, als ich plötzlich einen langen, klagenden Pfiff hoch über mir vernahm. Der Laut wiederholte sich; ich errieth den Urheber, es war ein Regenpfeifer, der seine luftige Morgenpromenade machte. Gleichzeitig fühlte ich meine Schulter berührt. Bjarne stand neben mir und hielt mir einen Becher Toddy entgegen. Wieder der unvermeidliche Toddy! – aber ich nahm und trank ihn; denn es war ja das einzige Warme, was ich heute zu erwarten hatte.

Eine halbe Stunde darauf befanden wir uns auf der Wanderung über das Hochfjeld, ohne Weg und Steg in der Richtung, wo ich bei Tage die schneegekrönten Bergriesen gesehen hatte. Ueber Steingeröll, durch Moräste, Sümpfe und hohes, verfilztes Heidekraut führte uns Bjarne. Es war zum Erstaunen, wie der lahme, schier verkrüppelte Mensch noch ausschreiten konnte, sodaß wir Mühe hatten, ihm auf dem überaus mühseligen Marsch zu folgen. Endlich, – im Osten hellte sich’s bereits mehr und mehr auf – machten wir in einer Bodenvertiefung Rast. Zuerst wurde der phosphoresrirende Schein der Gletscherfelder deutlicher sichtbar, dann traten die Bergkuppen erkennbar hervor, und endlich floß eilt bleifarbenes Licht über die Landschaft, die sich in ihrer schaurigen Oede in unabsehbare Fernen hinstreckte.

Bjarne wandte sich an meinen Gefährten.

„Schlecht Wetter giebt’s!“ sagte er, „Regen oder Schnee, je nachdem der Wind sich dreht. Kommt das erste, dann ist’s mit unserer Jagd am Ende!“ – Damit stand er auf und winke uns, ihm zu folgen.

Vorsichtig, in halbgebückter Haltung ging es weiter. Wir ließen jetzt die Schneefelder links und wandten uns etwa parallel mit denselben nach einem großen Bruch, dessen grüne Farbe bereits deutlich gegen das braune Heidekraut abstach. Wir mochten uns demselben bis auf etwa zweitausend Schritte genähert haben, als Bjarne plötzlich stehen blieb und die Rechte uns Halt gebietend zurückstreckte. Dabei wurde seine Gestalt zusehends kleiner, er sank allmählich in sich zusammen, was wir richtig dahin deuteten, er sehe Wild vor sich; – wie er, so thaten auch wir.

Endlich lagen wir alle drei lang am Boden.

„Renthiere vor uns! – sechs an der Zahl,“ flüsterte der Normann. „Im Moor lagern sie, das Leitthier steht oben am Rande.“

Ich fragte B., was Bjarne gesagt habe. Er übersetzte mir die Worte, wurde aber sofort von jenem unterbrochen.

„Pst! – sprecht nicht, sondern folgt mir jetzt!“

Unser Führer wollte fort, aber mein Reisegefährte bedeutete ihn, noch einen Augenblick zu verweilen. Er holte seinen vortrefflichen Feldstecher aus dem Etui, hob sich auf den Knieen und blickte durch das Glas, woraus er es kopfnickend mir gab. Ich folgte seinem Beispiel und konnte gleich danach einen Ausruf der Bewunderung nicht unterdrücken, der dem scharten Auge des Norwegers galt. Ich hatte mir daheim auf die Schärfe des meinen etwas eingebildet, hier hatte mich dasselbe jedoch gänzlich im Stiche gelassen.

Das Renthier ändert die Farbe der Decke nach der Jahreszeit. Während dieselbe zur Frühlingszeit fahlgrau erscheint und von dem schmutzigen, schmelzenden Schnee kaum unterschieden werden kann, wachsen im Winter viele weiße Haare dazwischen. Jene fahle, graue, ins Bräunliche gehende Färbung macht es dem Thiere leicht, sich in dem braunen Heidekraut, in den Morästen und auf dem dunklen Gestein zu verbergen. Anfänglich sah ich selbst durch das Glas nur das Leittier mit seinem mächtigen zackigen Geweih. Dasselbe stand gleich einem einsamen Posten auf einem weit überragenden Punkt unbeweglich da. Erst nach längerem Suchen gelang es mir, das Rudel zu finden, welches, aus fünf Stücken bestehend, mitten im Moor ruhte und sich jedenfalls der angenehmen Beschäftigung des Wiederkäuens hingab.

Bjarne hatte mit einem Blick die Sachlage erkannt und danach seinen Plan eingerichtet. Auf allen Vieren, die Büchsen vorsichtig neben uns herschiebend, wandten wir uns nach rechts. Mehrere hundert Schritt mochten wir so vorwärts gekommen sein, als der Normann geradeswegs auf das Wild zubog; wir folgten seinem Beispiel. Indem ich ein wenig meinen Kopf hob, sah ich in gerader Richtung vor uns mehrere große Felsblöcke über dem Heidekraut. Gelang es uns, diese, unbemerkt von dem Leittier, zu erreichen, so waren wir in guter Büchsenschußweite von dem ganzen Rudel.

An den Boden gepreßt gleich dem Indianer, der den Feind in der Prairie beschleicht, krochen wir weiter, jetzt einer hinter dem andern in einer Linie – Bjarne voran. So gelangten wir glücklich hinter jene Deckungsmittel und machten nun auf einen Wink unseres Führers die Büchsen schußfertig. Letzterer zog mich nach rechts, während er B., von dem er wußte, daß er bereits wiederholt Renthierjagden mitgemacht hatte, bedeutete, um die linke Ecke der Felsen seinen Schuß abzugeben.

Es war verabredet, daß ich zuerst feuern sollte, und zwar auf das Leitthier. In der Gewohnheit der Rentiere liegt es, nach dem ersten Schuß, ehe sie sich der Gefahr ganz klar werden und fliehen, erschreckt auf derselben Stelle, auf der sie gelegen haben, aufzuspringen und stehen zu bleiben, sodaß die andern Jäger gut Zeit haben, ihrerseits eine Kugel anzubringen, was bei dem lagernden Wild infolge der gleichmäßigen Farbe ihrer Decke und der Umgebung äußerst schwierig ist. Um ganz sicher zu gehen, hielt Bjarne mich anfänglich zurück, damit er zuvor selbst noch Auslug halte. Zoll um Zoll schob er sein verwettertes Gesicht hinter dem Stein vor, plötzlich aber schnellte er wie eine Feder empor, riß die Büchse an die Backe, und im nächsten Augenblick knallte sein Schuß über die einsame Heide.

„Jerf!“ Das war das einzige Wort, womit Bjarne uns sein Thun erklären wollte; dann rannte er spornstreichs nach dem Moor hinunter, sodaß wir Mühe hatten, ihm zu folgen.

Die Renthiere waren verschwunden wie von der Erde verschlungen. Während wir uns an sie heranpürschten, waren sie, unbemerkt von uns, flüchtig geworden, und die Ursache, die unsere Jagd mißglücken gemacht hatte, hob eben der Normann in Gestalt eines schwarzen Thieres aus einem Gewirr von kaum fußhohen Zwergbirken empor. Es war ein Vielfraß, den seine Kugel niedergestreckt hatte, ein stattlicher Bursche von wohl drei Fuß Länge – das von den norwegischen Jägern bestgehaßte Raubtier. Vor ihm hatten die Rentiere die Flucht ergriffen.

Der Vergnügteste von uns war Bjarne; bekam er doch neben dem Preis für das schöne Pelzwerk noch die Staatsprämie, die auf den Kopf des Jerfs gesetzt ist. Als ich das verhältnißmäßig keine Thier betrachtete, wollte es mir nicht recht in den Sinn, daß dasselbe imstande sein sollte, ein Renthier zu schlagen; allein ich wurde von meinen Gefährten eines andern belehrt.

Neben kleinerem Wild, als Schneehühnern und Alpenhasen, fällt der Vielfraß selbst Elenthiere und auf den Säters weidendes Vieh an, indem er seinen Opfern an den Hals springt und ihnen die Gurgel zerreißt. Bei der Unwirthlichkeit der Gegenden, in denen er sich aufhält, bei seinen scharfen Sinnen ist es selbst den geübtesten Jägern sehr schwer, seiner habhaft zu werden. Man fängt ihn in starken Drahtschlingen oder in verschiedenen Arten von Holzfallen, in die man ein Aas als Köder legt. Bjarne zeigte uns später in seiner Behausung mehrere solcher Fallen, die zum Theil Aehnlichkeit mit unsern Klappfallen zum Marderfang hatten, nur daß sie, der Körpergröße des zu fangenden Thieres entsprechend, auch größer waren.

Ich sollte keine Renthiere mehr zu Gesicht bekommen! Für heute hatte die Jagd selbstredend ein Ende, weil keine Aussicht vorhanden war, das einmal flüchtig gewordene Rudel von neuem anzupürschen. Außerdem bestätigte sich Bjarnes Ansicht über das Wetter. Dichte Nebelmassen thürmten sich über dem Hochfjeld, sie verwandelten sich in Regen, und wir mußten froh sein, nach einer überaus beschwerlichen Wanderung über das schlüpfrige Gestein, bis auf die Haut durchnäßt, die Hütte unseres Führers noch vor Abend zu erreichen.

Da das schlechte Wetter anhielt, stiegen wir zum Fjord hinab und dampften schon am nächsten Tage weiter. Wir hofften, später von Christiania aus Gelegenheit zur Renthierjagd zu haben, es wurde uns dieselbe auch von seiten der liebenswürdigen Bekannten meines Freundes B. geboten, allein wieder machte uns der Regen einen Strich durch die Rechnung. Es war mir nicht beschieden, ein stolzes Schaufelgeweih als Jagdbeute mit in die Heimath zu bringen, Nun, dafür hatte ich doch die Genugtuung, daß über mein Reisegepäck kein Mitreisender die Nase rümpfte!



[660]
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Die Hochzeit von Sanct Wolfgang.

Ballade von Heinrich Vierordt.0 Mit Abbildung von Hugo Engl.

Im Froste starrt die Winterszeit,
Dreikönigstag ist nicht mehr weit.

Rings gleißt der Alpen steiler Wall
Als wie ein Harnisch von Krystall.

5
Im Dorf Sanct Wolfgang, dicht am See,

Schallt aus dem Wirthshaus froh Juchhe.

Der See liegt, hart gefroren zu,
In träger trüber Todtenruh.

Im Freien draus friert’s Stein und Bein,

10
Im Tanzsaal schwebt der Hochzeitsreihn.


In Myrthen strahlt das Hochzeitspaar;
Frohlockend ruft der Gäste Schar:

„Die Nacht ist klar, manch Sternlein brennt,
Wir bringen euch noch heim nach Gschwend.

15
Der See ist zu, drum sei heut Nacht

Auf ihm der Brautlauf frisch vollbracht.“

Baßgeig’ und Fiedel sind verstummt,
In Pelzwerk sich die Schar vermummt.

Sie zünden helle Fackeln an,

20
Im Schleier hüpft die Braut voran.


Kein Tropfen Wein mehr blinkt im Krug,
Von dannen sträubt und schwirrt der Zug.

Wo sonst die Fluth spült um den Kahn,
Glänzt weithin die krystallne Bahn.

25
Auf die verschneite Fläche wagt

Die Schar sich lachend, unverzagt.

Nach Brautlaufart, zu Zwein und Zwein,
Geht’s wirbelnd auf den See hinein:

Wie glänzen die Gesichter hell

30
Im Strahl der Lichter roth und grell!


Auf der bereiften Ebne Grund
Der Schein sich bricht und spiegelt bunt.

Heiß auf den Schnee, der hoch sich häuft,
Das Pech der Fackeln schmelzend träuft.

35
Der Mond im gelben Nebelflor

Klimmt traurig hinterm Berg hervor.

Im Uebermuth sie tanzen nun
Mit schwerbeschlagnen Nagelschuhn.

Von unten, Gott, welch schriller Klang!

40
Im Eise quillt der Wasser Drang.


Es knistert, gurgelt, surrt und klingt,
Die weite Spalte klafft und springt.

Die Scholle klirrt, die Kruste bricht,
Im Gischt verzischt der Fackeln Licht.

45
Weh, wie viel ros’ge Lebensgluth

Verlischt in eisig nächtger Fluth!

Trübselig spinnt der Nebelduft
Um grauer Blöcke kalte Gruft.

50
Im Mondlicht glitzern Eis und Schnee –

Ein Glöcklein läutet überm See.




Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Ein Mann.

Roman von Hermann Heiberg.

(Schluß.)

Als Snarre am Abend dieses Tages in seinen Gasthof zurückkehrte, fand er ein Schreiben von Alten vor. Darin bat dieser dringend, ihm doch auf seine verschiedenen Briefe endlich eine Antwort zu ertheilen, er könne ohne nähere Anweisung nicht vorwärts kommen, die Hände seien ihm durch des Grafen Schweigen gebunden. Durch diesen Brief ward Snarre in den höchsten Unmuth versetzt, seine gereizte Stimmung richtete sich aber diesmal weniger gegen Alten, als gegen die „ganze Limforder Affaire“, wie er sich auszudrücken pflegte. Diese ewige Belästigung reizte ihn; keine Woche verging ohne eine Anzahl Zuschriften, und wenn er sie, wie das häufig genug geschah, nach flüchtiger Durchsicht zerstreut bei Seite legte, so folgte gleich eine Mahnung oder die Meldung, aus dem vorgeschlagenen Geschäft sei nichts geworden, weil die Weisungen des Herrn Grafen nicht rechtzeitig eingetroffen seien.

Auf Altens wiederholte, gutgemeinte Bitte, ihm die Entscheidung und auch die Verantwortung zu überlassen, war er trotzdem nicht eingegangen – das ließ sein herrschsüchtiger Sinn nicht zu.

Nach der Durchlesung des ersten Briefes, der seine Gedanken wieder auf Tromholt gelenkt hatte, entfaltete Snarre ein anderes schwarzumrändertes Schreiben. Es war die Anzeige von Ingeborg Elbes Tod. Ein neuer Verdruß! Snarre wußte, wie Dina mit der Verstorbenen gestanden hatte, wie nah ihr der Verlust ging. Der Zeitpunkt, ihr von Liebe zu sprechen, war also jetzt der denkbar ungeeignetste. Und doch mußte die Sache zu einem Ende kommen! Er fühlte selbst, daß er nicht länger in Kiel bleiben könne, ohne Dina in schlimmes Gerede zu bringen, er wußte, daß die Menschen schon jetzt über die lange Ausdehnung seines Besuchs sprachen, Dinas Worte auf dem Ball beim Oberpräsidenten kamen ihm wieder in den Sinn. Zudem war seine baldige Abreise auch der Geschäfte wegen nöthig. Brieflich waren die Dinge nicht zu erledigen. Durch dieses viele Für und Gegen und Hin und Her gerieth Snarre in eine so unbehagliche Stimmung, daß er zuletzt beschloß, gleich am nächsten Morgen in aller Frühe zu reisen, und zwar nicht nach Limforden, sondern geradeswegs nach Kopenhagen zu Tromholt. Der allein konnte ihm die lästige Sache vom Hals schaffen; bei der Familie Ericius wollte er sich brieflich entschuldigen. Wie peinlich dieser Schritt nach den Erklärungen, die er Susannen gegeben hatte, dort wirken müsse, daran dachte er zunächst nicht. Allen Unbequemlichkeiten thunlichst aus dem Wege zu gehen, war nun einmal ein ausgeprägter Zug in seinem Charakter. –

Als Frau Ericius am folgenden Morgen beim ersten Frühstück Snarres Schreiben eingehändigt wurde, vermuthete sie eine Einladung oder irgend eine kleine Ueberraschung. „Lies, liebes Kind, ich habe meine Brille nicht zur Hand!“ Hub sie gutgelaunt an, und Dina ergriff freudig das ihr dargereichte Blatt, dessen Schrift sie über den Tisch hinüber erkannt hatte, und begann, die mit der gewohnten Förmlichkeit verfaßte Einleitung laut vorzulesen, während ihre lustigen Augen bereits weiter über den Inhalt hinschweiften. Plötzlich aber ließ sie das Blatt in den Schoß sinken, stieß einen leisen Schrei aus, und schwere Thränen rollten ihr über das eben noch so übermüthig lustige Gesicht.

„Was ist geschehen?“ riefen Frau Ericius und Susanne zugleich, indem sie auf Dina zueilten und den Brief, der diese unerwartete Veränderung hervorgebracht hatte, aufhoben. Auch Susannens Züge nahmen einen ernsten, schmerzlich überraschten Ausdruck an, als sie das Schreiben durchflog. Die plötzliche Abreise Snarres, die gewundenen Erklärungen, mit denen er ihre Nothwendigkeit darzuthun, sich gewissermaßen zu entschuldigen suchte, machten auf Mutter und Tochter einen gleich peinlichen Eindruck, ja, die letztere konnte nach ihrem vertraulichen Gespräch von gestern in diesem Schritt nur einen Vorwand zum endgültigen Rückzug erblicken. Ernste Zweifel an der Ehrenhaftigkeit und Zuverlässigkeit von Snarres Charakter stiegen nun plötzlich in ihr auf, und sie war, bei allem Mitleid mit Dina, innerlich froh, daß sie von der Aufgabe, mit welcher der Graf sie betraut hatte, jener gegenüber noch nichts hatte verlauten lassen. Es hätte dies den Schmerz und die Enttäuschung des armen Kindes in diesem Augenblick nur noch vermehrt, und Susanne beschloß, auch in Zukunft das Geheimniß für sich zu behalten. Doch bald sollten sie und die Mutter sich überzeugen, daß nicht das mindestens sonderbare Betragen Snarres allein Dinas Thränen verschuldet hatte.

Es war der Tod Ingeborgs, dessen Snarre in seinem Brief nur beiläufig als eines der Familie wohl schon bekannten Ereignisses unter Bezeigungen seiner Theilnahme Erwähnung that. Er ergriff Dinas Herz so mächtig, daß sie das andere Leid, das ihr der Graf anthat, darüber fast vergaß oder doch nicht in seiner ganzen Bitterkeit empfand. Auch Frau Ericius und namentlich Susanne erfüllte diese Nachricht mit tiefer Trauer.

[661]

Die Hochzeit von Sanct Wolfgang.
Zeichnung von Hugo Engl.

[662] Geradezu außer sich über den Verlust der treuesten Freundin aber blieb Dina. Kein noch so sanfter Zuspruch der Ihrigen vermochte sie zu trösten, und als wenige Stunden später die offizielle Trauerbotschaft mit näherer Angabe von Zeit und Ort der Beerdigung auch im Ericiusschen Hause eintraf, da war das erste, was über Dinas Lippen kam, der noch von Schluchzen unterbrochene Ausruf:

„Ich reise nach Kopenhagen, ich muß Ingeborg die letzte Ehre geben!“

Keine Gegenvorstellung vermochte sie von diesem Entschluß abzubringen, und schließlich hielten es Frau Ericius und Susanne für das beste und tröstlichste, Dina ihren Willen zu lassen, Tromholt sofort telegraphisch davon zu benachrichtigen, ihm die Zeit von Dinas Ankunft zu melden und ihn zu bitten, für entsprechende Unterkunft besorgt zu sein.

So reiste denn Dina am nächsten Morgen nach Kopenhagen, ohne eine Ahnung, daß der Graf gleichfalls dort sei, da dieser sein Reiseziel nicht angegeben hatte.

Sie wurde von Tromholt am Bahnhof empfangen und begrüßt.

„Haben Sie Ingeborgs Brief erhalten?“ fragte er. „Es war das letzte, was sie schrieb. Ich hatte ihn in der ersten Bestürzung übersehen, fand ihn am Tag nach ihrem Tod auf dem Schreibtisch, von ihrer schon zitternden Hand an Sie adressirt, und habe ihn sofort der Post übergeben. Es wird wohl ein Abschiedsbrief sein, Sie sehen daraus, daß Ingeborg Ihnen bis zum letzten Athemzug treue Freundschaft hielt.“

Dina hatte diesen Brief in Kiel nicht mehr erhalten, er mußte nach ihrer Abreise dort eingetroffen sein. Sie war von neuem tiefbewegt.

Nach dem ersten schmerzlichen Gedankenaustausch geleitete Tromholt Dina in die von ihm bestellten Zimmer ihres Gasthofes und bat beim Abschied um die Erlaubniß, ihr später noch einmal dort aufwarten zu dürfen Er warf dabei hin, daß er sich vor Eintreffen ihrer Depesche bereits mit dem Grafen Snarre für den Abend verabredet, diesen aber bisher nicht wiedergesehen habe, um ihm, wie es jetzt geschehen sollte, von ihrem Eintreffen Kenntniß zu geben.

„Snarre?“ rief Dina und wechselte so auffallend die Farbe, daß Tromholt darüber erschrak. „Ich denke, er ist nach seinen Gütern gereist? Seit wann ist er hier? Wie lange bleibt er, ich bitte?“

In athemloser Hast kamen diese Fragen aus Dinas Mund. Da Tromholt wußte, wie sehr sie sich für Snarre interessirt hatte, schrieb er ihre Erregung diesem Umstand zu und berichtete der Wahrheit gemäß, daß Graf Snarre am gestrigen Abend eingetroffen sei und einige Tage zu bleiben gedenke.

„Graf Snarre weiß also nichts von meinem Hiersein?“ stieß Dina mit der früheren Unruhe heraus. „Ich muß gestehen, ein Zusammentreffen mit ihm wäre mir sehr peinlich – so peinlich, daß ich am liebsten gleich wieder abreisen möchte –“

„Peinlich? – – Ah so!“ fügte Tromholt hinzu, dem bereits eine Vermuthung aufstieg, wie die Dinge lagen.

Eine Pause trat ein, Tromholt wußte nicht, wie er sich verhalten sollte, und Dina bedauerte, daß sie sich zu solchem Gefühlsausbruch vor ihm hatte hinreißen lassen. Sie gewann allmählich ihre Haltung wieder, und jetzt nur noch von dem einen Gedanken beherrscht, die wahren Gründe der plötzlichen Abreise Snarres kennenzulernen, ergänzte sie ihre Rede und sagte, indem sie Tromholt mit einem bittenden und Vertrauen einholenden Blicke anschaute:

„Wenn ich sagte, daß eine Begegnung mit dem Grafen mir peinlich wäre, Herr Tromholt, so ist dies eigentlich nicht völlig richtig. Aber, da Sie wohl erkennen, daß die Nachricht von seinem Hiersein mich sehr bewegt, so erweisen Sie mir den Freundschaftsdienst und sagen Sie mir offen und ehrlich nach Ihrer besten Ueberzeugung: ist Ihnen bekannt, ob den Grafen so wichtige Geschäfte plötzlich aus Kiel forttrieben, daß keine Möglichkeit vorlag, uns Adieu zu sagen? – Nun, lieber Herr Tromholt?“ schloß Dina, als sie sah, daß er mit der Antwort zögerte.

„Ich kann Ihnen Ihre Frage leider nicht unbedingt genau beantworten, Fräulein Dina!“ entgegnete Tromholt ernst. „Was der Graf mit mir zu verhandeln hatte, trug keinen so eiligen Charakter. Aber andere Angelegenheiten mögen vielleicht vorliegen, von denen ich nichts weiß. Erlauben Sie mir die Frage, ob Sie vermuthen, daß Graf Snarre nach einem Vorwand suchte, um sich rasch von Kiel zu entfernen?“

„Ja!“ gab Dina erröthend, aber bestimmt zurück. „Wir alle waren nicht wenig enttäuscht, daß er nach einem solchen engen, Wochen andauernden Verkehr – fast täglich war der Graf in unserer Gesellschaft, ja in unserem Haus – sich in solcher Weise verabschiedete.“

Ueber Tromholts Gesicht zog ein Zug von ehrlicher Trauer. Er erinnerte sich der Worte Altens, der ihm geschrieben hatte, Snarre werde das kleine bürgerliche Mädchen, wenn’s drauf ankomme, doch sitzen lassen! Aber obwohl ihm Dinas Worte jene Prophezeiung zu bestätigen schienen, wollte er solchen Verdacht ohne bessere Beweise doch zunächst nicht aufkommen lassen und sagte daher:

„Graf Snarre ist bisweilen etwas unberechenbar, aber mit seinem Herzen hat das nichts zu thun. Ich glaube, die Schlüsse, die Sie ziehen, Fräulein Dina, sind nicht richtig, und um darüber so bald wie möglich Klarheit zu gewinnen, wählen Sie den von der Ericiusschen Familie stets befolgten Grundsatz unumwundener Offenheit und sprechen Sie selbst mit dem Grafen!“

„O, nein, nein, Herr Tromholt. Es giebt Dinge, die so zarter Natur sind, daß Offenheit sie nur verschlimmert. Fühlt sich der Graf gedrängt, zu sprechen, gut, aber ich – ich sag’s noch einmal – möchte am liebsten sogleich wieder abreisen, so dringend es mich verlangt, Ingeborg noch den letzten Liebesdienst zu erweisen.“ Dina wollte weiter reden. Aber sie vermochte es nicht; heiße Thränen traten ihr plötzlich in die Augen.

„Und doch ist es möglich, daß Sie sich irren, Fräulein Dina!“ besänftigte Tromholt und drückte dem Mädchen voll herzlicher Theilnahme die Hand. „Nicht wahr?“ fuhr er in sanftem Ton fort, „Sie lieben den Grafen? Und wenn ich auch seine Gefühle für Sie nicht zu beurtheilen vermag, – daß der innere Kern in ihm gut ist, daß er Ihre Liebe trotz seiner etwas schwankenden Natur verdient, – dafür möchte ich meine Hand ins Feuer legen. Sie, gerade Sie, Fräulein Dina, sind die rechte Frau für ihn. Durch Sie würde er abstreifen, was Ungleiches noch an ihm hängt, Sie würden ihn zuletzt ganz vergessen machen, daß er Graf Snarre ist. Nur der im Grunde gute, brave Mensch würde zurückbleiben. Denken Sie, daß wie so manches sonst im Leben, auch ein solcher Besitz erstritten werden muß. Rechten Sie nicht mit ihm, selbst wenn er Ihnen wehgethan hat. Jedenfalls hören Sie ihn erst, ehe Sie ihn verdammen.“

„Ah, wie Sie sprechen, und wie wohl mir Ihre Worte thun, wie sie mir das fast verlorene Vertrauen zurückgeben, Sie bester, vortrefflichster Mann, der nur darauf bedacht ist, Freude und Segen um sich zu verbreiten!“ rief Dina stürmisch. „Haben Sie Dank! Und ich will Ihren Rath befolgen, ich fühle jetzt, daß es der richtige ist.“




19.

Ingeborg Elbe war in die Erde hinabgesenkt worden, und Dina Ericius und Graf Snarre saßen sich im Gasthof in der ersteren Zimmer gegenüber. Eben hatte Tromholt, ein ihn in Anspruch nehmendes Geschäft vorschützend, das Gemach verlassen und dadurch den beiden Gelegenheit gegeben, sich auszusprechen.

Am Abend vorher waren sie sich nicht begegnet, Dina hatte Tromholt vor seinem Fortgange gebeten, sie bei dem Grafen zu entschuldigen. Sie sei von den Eindrücken der Todesnachricht zu sehr ergriffen, auch von der Reise sehr abgespannt und wolle sich deshalb bald zurückziehen. Beim Begräbnis hatten sie sich nur aus der Ferne begrüßt, das Trauerbegängniß verlangte ohnehin eine ernste Zurückhaltung.

„Ich hätte wahrlich nicht gedacht, daß wir uns nach so kurzer Zeit in Kopenhagen wiedersehen würden,“ begann Snarre mit etwas künstlicher Leichtigkeit. „Jedenfalls gestatten Sie mir zunächst, Ihnen zu erklären, weshalb ich so rasch und ohne persönlichen Abschied reisen mußte.“

[663] Dina schüttele den Kopf. „Nein, Herr Graf, lassen wir lieber Vergangenes ruhen! Sie werden Ihre Gründe gehabt haben, und ich achte dieselben, trotz unserer – ich gestehe es – starken Enttäuschung.“

„Ich möchte aber, da Enttäuschung sich leicht mit Mißstimmung verbindet, Ihnen gern eine Erklärung geben, mein hochverehrtes Fräulein. Daß Sie mir zürnen, fühle ich trotz Ihrer rücksichtsvollen Worte heraus. Und nicht wahr? Wir wollen doch gute, ehrliche Freunde bleiben, Mißverständnisse sollen uns nicht trennen?“

Diesmal antwortete Dina nicht. Sie zuckte nur mit ernster Miene die Achseln.

„Sagen Sie mir, welche Gründe schoben Sie mir im Gegensatz zu den von mir schriftlich angegebenen unter, Fräulein Dina? Ich bitte Sie!“

Einen Augenblick besann sich Dina, dann erwiderte sie mit etwas größerer Zuvorkommenheit im Blick und Ton:

„Da Sie mich fragen, will ich’s nicht länger verschweigen, Herr Graf. Ich nahm an, Sie hätten einen Vorwand gebraucht, um plötzlich Ihnen lästig gewordene Beziehungen abzubrechen. Sie sind Herr Ihrer Schritte, aber ich finde, Sie hätten eine andere Form wählen können. Empfanden Sie Furcht, Unbehagen? Glaubten Sie, wir würden Sie von Ihren Entschlüssen zurückhalten?“

Durch diese Rede ward Snarre äußerst betroffen, er erkannte jetzt erst die ganze Tragweite seines Benehmens und erschrak vor den möglichen Folgen einer so tiefgehenden Kränkung, die er nicht vorhergesehen hatte. Daher klang auch ein besonders warmer, überzeugender Ton durch seine Worte, mit denen er, ohne das formell Unrichtige seines Verhaltens zu bestreiten, den in der That unverdienten Vorwurf zu entkräften suchte.

„Ich gebe Ihnen mein Wort als Edelmann, daß Sie sich täuschen, Fräulein Dina. Nur etwas Wahres liegt in Ihren Worten, daß nämlich ein gewisses Unbehagen mir den Entschluß zu der plötzlichen Reise ohne Abschied eingab. Erlauben Sie, daß ich mich, da nun einmal die Dinge gegen meinen Willen sich so gestaltet haben, offen über alles ausspreche.

Als ich an jenem Abend nach meinem letzten Besuch, da ich Sie zu sehen nicht das Glück hatte, den Gasthof betrat, fand ich dort die gewohnten ärgerlichen Briefe aus Limforden vor. Herr von Alten verlangte eine Antwort auf geschäftliche Fragen, und diese ihm zu ertheilen, war schriftlich nicht möglich. Es drängte mich infolgedessen, so bald wie irgend angängig, mit Tromholt Rücksprache zu nehmen, mit welchem ich seit längerer Zeit wegen des Verkaufs der Werke unterhandle. Eine Aussprache mit ihm mußte meinen Auseinandersetzungen mit Alten vorhergehen. Deshalb beschloß ich, zunächst nach Kopenhagen zu reisen. Nachdem ich die Limfordener Briefe gelesen, entfaltete ich die Zeilen, die Fräulein Elbes Tod meldeten, und ich begriff, daß Sie, Fräulein Dina, dadurch in eine sehr gedrückte Stimmung gerathen würden. Der natürliche Takt verbot mir unter solchen Umständen, mit Ihnen über die Dinge zu sprechen, die mir sehr am Herzen liegen. Ich aber war nicht mehr imstande, ferner so ohne Aussprache neben Ihnen herzugehen, und ich wußte, Ihre Frau Schwester, die ich ins Vertrauen gezogen hatte, würde es aus gleichen Gründen jetzt vermeiden, Ihnen von meinen Wünschen zu reden. Deshalb zog ich es vor, mich zu entfernen, und folgte dabei zugleich einer – ich gestehe es – etwas selbstsüchtigen Laune. So, nun wissen Sie alles! Wenn Sie sich, und ich habe zahlreiche Beweise dafür, wie gut Sie sich in die Stimmung anderer Menschen hineinzuversetzen vermögen, in meine Lage denken, werden Sie – ich hoffe es – nicht zu scharf mit mir ins Gericht gehen.“

Snarre brach rasch ab und beobachtete den Eindruck, den seine Worte auf Dina machen würden. Aber es war nicht der, den er erwartet hatte.

Dina war sichtbar nicht befriedigt durch seine Erklärung, sie blickte, das Haupt bewegend, ins Leere und erhöhte durch ihr Schweigen Snarres Unruhe.

„Sie schweigen! Sie glauben, daß ich Ihnen etwas verhehle, Fräulein Dina?“ begann er wieder und richtete einen bittenden, fast flehenden Blick auf das Mädchen.

„Ja, Herr Graf! Ich glaube, es war noch etwas anderes mit im Spiel, das Sie mir und vielleicht sich selbst verhehlen. Daß Sie uns nicht absichtlich kränken wollten, nehme ich als erwiesen an, aber gerade daß Sie es unbewußt thaten, daß Ihnen“ – hier stockte Dina und erröthete tief – „Ihr Herz nicht eine andere, zartere Form eingab, uns – mir Ihr Verhalten in einer jedes Mißverständniß ausschließenden Weise zu erklären, das – –“

„Das? Fräulein Dina!“ rief er drängend, da sie aufs neue stockte.

„Das beweist mir, daß eben der kühle Verstand, ja sogar die flüchtige Laune eine stärkere Sprache bei Ihnen spricht, als das Herz, und daß das letztere in allen Fällen unterliegen muß, wo die ersteren sich einmischen, und das“ – wieder unterbrach sich Dina und Thränen zitterten in ihren Augen, als sie schloß: „das – schnitt mir ins Herz, Herr Graf –“

„Dina!“ rief Snarre, indem er ihre Hände, die sie, um ihm ihre Thränen zu verbergen, vor das Gesicht geschoben, ergriff und mit Küssen bedeckte – „Dina, mein süßes, süßes Kind! Sag’, hast Du mich lieb und glaubst Du, daß es die Sprache des Herzens ist, wenn ich Dich frage: Willst Du die Meine sein, mein Weib, mein guter Kamerad fürs ganze Leben? Willst Du, Dina?“ und er sank in übermächtiger Bewegung vor ihr auf die Kniee.

„O, stehen Sie auf, ich bitte Sie, Herr Graf!“ flüsterte Dina aufs höchste verwirrt, indem sie ihm mit abgewandtem Blick ihre Hände zu entziehen suchte.

Aber er preßte sie nur um so fester an sich. „Nicht mehr Herr Graf, nenne mich nicht so, Dein bester Freund ist es, der vor Dir knieet, und von diesem Augenblick an Dein Bräutigam, wenn Du ihn erhörst. O, wende Deine Augen nicht fort, laß mich die Thränen, die meine Schuld ihnen entlockt und die mir doch ein Beweis Deiner Liebe sind, wegküssen! Dina, ich flehe Dich an, sprich, willst Du mein sein?“

Da wendete sie ihr Haupt, unter Thränen lächelnd, glückstrahlend ihm zu. „Ja, ja –“ klang es von ihren Lippen, und das Wort riß ihn vom Boden empor, selig zog er die nicht mehr Widerstrebende an seine Brust und drückte heiße Küsse auf ihre Lippen.


*               *
*


Zu Tromholt ins Comptoir trat am Vormittag des nächstfolgenden Tages Graf Snarre. In seinem Angesicht spiegelten sich die Eindrücke des Geschehenen lebhaft wieder. Fröhlich strahlende Augen verriethen, welch glückliche Empfindungen ihn beherrschten. Mit herzlicher Wärme verkündete er Tromholt seine Verlobung.

„Jawohl, Tromholt,“ sagte er, „wo zwei Menschen glücklich werden, da müssen Sie das Ihrige mit dazu beitragen. Seit gestern weiß ich, wie Sie bei meiner Braut für mich eingetreten sind; ohne Ihren freundlichen Zuspruch wäre sie gleich nach meiner Ankunft vor mir geflohen, und wenn sich die Mißverständnisse inzwischen so rasch und befriedigend geklärt haben, so danke ich das Ihnen. – Doch jetzt, mein hochverehrter Freund, zu anderen Dingen! Da ich meiner mir vorausgereisten Braut versprochen habe, baldmöglichst nach Kiel zurückzukehren – und Sie begreifen, wie sehr mich danach verlangt – was thun wir mit den Limforder Werken? Ich will sie jetzt um so eher und unter allen Umständen veräußern. Ich bitte, helfen Sie mir! Sehen Sie, ich habe einen Plan, der, wie ich glaube, uns allen dienen kann. Bilden wir eine Aktiengesellschaft! Ich will für eine Zeitdauer von fünf Jahren eine Zinsgarantie von fünf Prozent übernehmen, das macht bei einer halben Million Thaler fünfundzwanzigtausend Thaler, also während fünf Jahren hundertfünfundzwanzigtausend Thaler. Mit dieser und nöthigenfalls mit der doppelten Summe will ich mich selbst, wenn Sie sich zur Uebernahme der obersten Leitung verstehen, als Aktionär betheiligen, und mein Aktienbesitz soll, abgesehen von meiner sonstigen Haftbarkeit, als Bürgschaft dienen und bei einer Bank zu Gunsten der Aktionäre niedergelegt werden. Ich will nur nichts mehr mit der Verwaltung zu thun haben – nichts, gar nichts mehr von den Werken hören und sehen als den jährlichen Rechenschaftsbericht. Sie können dann auch Ihren Schwager, Herrn von Alten, mit dem ich, wie Sie wohl erfahren haben, inzwischen schwer auszugleichende Meinungsverschiedenheiten hatte, dort verwenden. Ich möchte ihn natürlich nicht brotlos machen und will auch gleich [664] bemerken, daß ich unter allen Umstanden mich umgesehen haben würde, ihm etwas Einträgliches zu verschaffen. Schon die Rücksicht auf Sie und Ihre von mir sehr verehrte Frau Schwester würde mich dabei geleitet haben. Nun, Tromholt, was meinen Sie?“

Tromholt, der Snarre bisher ruhig zuhörend gegenübergesessen hatte, war während der letzten Sätze aufgestanden und langsam auf- und abgegangen.

„Es ist eines,“ erwiderte er, „was mich Ihr Anerbieten in Betracht zu ziehen zögern läßt, Herr Graf. Sie legen besonderes Gewicht auf meine Person, ich aber –“ bei den folgenden Worten blieb Tromholts Miene durchaus unverändert, während Snarre erschrocken zusammenfuhr – „werde schon deshalb mich nicht betheiligen können, weil es neuerdings mit meinem Auge sehr schlecht steht und ich genöthigt bin, mich einer Operation zu unterwerfen, deren Erfolg sehr zweifelhaft, die aber nach dem Ausspruch der Aerzte das einzige Mittel ist, mich vor völliger Erblindung zu bewahren. Ja, ja, lieber Herr Graf, ich darf mich dieser Erkenntniß nicht länger verschließen, und was dann? Vielleicht, hoffentlich kann ich auch ferner noch mein hiesiges Geschäft fortsetzen, aber die Verantwortung für Limforden und Trollheide zu übernehmen, ist unmöglich, obgleich sie mir an sich nahe stehen, da ich der Schöpfer des Gedankens bin und das allerlebhafteste Interesse an dem Gedeihen habe. Sie verstehen das, nicht wahr?“

Und ehe noch Snarre seiner Bestürzung Ausdruck zu geben vermochte, fuhr er fort:

„Ich sollte aber denken, Ihr Plan ließe sich auch ohne mich ausführen, und da nun so greifbare und, wie ich gestehe, das Zustandekommen sehr erleichternde Vorschläge von Ihnen gemacht sind, denke ich, daß hiesige Kapitalisten nicht mehr zögern werden. Die Sache ist gut, der Absatz ist gesichert und in stetem Steigen begriffen, auch die Seen sind nunmehr sämmtlich trocken gelegt und für die Bepflanzung reif. Der Ertrag wird bei günstiger Ernte bereits im nächsten Jahr ein sehr erheblicher sein, also alle Aussichten liegen günstig. Warum sollten die Banken zögern? Lassen Sie es meine Aufgabe sein, das Geschäft mit ihnen zu Ende zu führen. Ich kenne ja die Dinge dort und hier sehr genau. Sie sollen von mir brieflich über den Gang der Verhandlungen auf dem laufenden erhalten werden, und wenn ich, wie es meine feste Absicht ist, demnächst noch vor der entscheidenden Operation, für die man mir den Kieler Professor Völkers empfohlen hat, nach Limforden komme, die Meinigen noch einmal, vielleicht zum letztenmal zu sehen, so hoffe ich, Ihnen den glücklichen Abschluß melden zu können.“

Snarre machte ein überaus befriedigtes Gesicht und in seine kleine, aristokratische Gestalt trat eine lebhafte Bewegung. Etwas beschäftigte ihn jedoch noch. „Und was wird aus Alten?“ wandte er zögernd ein.

„Sorgen Sie nicht für Alten,“ erwiderte Tromholt, „er soll kein Hinderniß für Ihre Entschlüsse bezüglich Limfordens sein. Ich werde meinen Schwager hier in meinem Geschäfte anstellen, ja, ich muß dies unbedingt, wenn ich mein Auge auch nicht verlieren sollte. Auch in diesem günstigsten Fall werde ich in Zukunft jede meine Sehkraft übermäßig anstrengende Thätigkeit vermeiden müssen. Aber ganz ohne Geschäft kann ich nicht leben, auch wenn mir meine materiellen Mittel dies erlaubten; stillsitzen vermag ich nicht und mein Geist muß Bewegung haben, auch wenn es für immer Nacht vor meinen Augen werden sollte. Da ist mir denn Alten ein willkommener, ja geradezu ein unentbehrlicher Führer!“

Snarre hörte staunend zu. Welch eine Kraft der Entsagung und zur Unterwerfung in das Unvermeidliche besaß dieser Mann! Er überwand das Schwerste durch seine Willensstärke.




20.

Nach Snarres Abreise war Tromholt ganz von der Beschäftigung mit Ingeborgs Nachlaß und der ihm von dem Grafen übertragenen Angelegenheit in Anspruch genommen. Rascher, als er dies selbst gehofft hatte, führte er die letztere zu einem befriedigenden Ende, dank dem großen Ansehen und Vertrauen, dessen er in der Geschäftswelt Kopenhagens sich erfreute. Utzlar schwamm nach einem ergreifenden Abschied von dem Manne, dem er das Leben gerettet hatte, um ein neues von ihm zu empfangen, mit der ihm vor der Abreise angetrauten Agnes bereits auf hoher See. So stand denn auch Tromholts Fahrt nach Limforden und Kiel kein Hinderniß mehr im Wege. Die Aerzte, welche ihm die Befragung ihres dortigen berühmten Fachgenossen empfohlen hatten, riethen dringend, nicht länger mit dem entscheidenden Schritt zu zögern, und er selbst fühlte es, daß Eile noththue.

Der starke, zielbewußte Mann befand sich in einer unbeschreiblichen Stimmung. Zum erstenmal in seinem Leben vielleicht schwankte er in seinen Entschlüssen bezüglich dessen, was für ihn in der nächsten Zukunft zu thun sei. Herz und Vernunft, Pflicht und Liebe stritten in ihm den schwersten Kampf, über dessen Ausgang er sich selbst nicht klar wurde.

Einestheils konnte er nach dem Inhalt der Schriftstücke, die Ingeborgs letztes Vermächtniß an ihn bildeten und die er immer und immer wieder in sein Gedächtniß zurückrief, kaum länger zweifeln, daß Susanne ihn liebe, sich in heimlicher Sehnsucht nach ihm verzehre und daß sie, wenn auch zu stolz, den ersten Schritt zu thun, doch einer Werbung von seiner Seite freudigen Herzens zustimmen würde. Oder war es möglich, daß Dina sich selbst und Ingeborg getäuscht hätte? – Nein, nein, ihre Briefe an die nun hingegangene Freundin trugen unverkennbar den Stempel unmittelbarster Beobachtung. Und wie hätte ihn Ingeborg in ihrer Todesstunde zum Mittwisser eines Geheimnisses machen können, von dessen Wahrheit sie nicht selbst völlig überzeugt war, sie, die ihm damit das größte Opfer darbot, das ein Weib dem Manne, den sie liebt, zu bringen vermag!

Sein eigenes Herz sagte es ihm selbst tausendmal: „Eile zu ihr, sie liebt dich! Verlängere nicht ihre Qual und die deine. Lange genug habt ihr beide in gegenseitiger Entsagung gelitten, euch ferne von einander in stummem Gram verzehrt. Nun winkt euch das Glück, das höchste, das ihr ersehnt!“

Wie gerne wäre er der Stimme des Herzens gefolgt, hätten nicht Vernunft und Pflichtgefühl ihren Einspruch dagegen erhoben! Durfte er bei dem Entsetzlichen, mit dem ihn die Zukunft vielleicht bedrohte, ihr Leben jetzt noch an das seinige, an das eines Blinden fesseln? Würde sie nicht, wenn sie jetzt auch diesen Einwand nicht gelten ließ und seine Werbung annahm, später, wenn das Gefürchtete wirklich eintrat, den Schritt doch bereuen, und würde er selbst sich nicht bittere Vorwürfe zu machen haben, wenn er ihr freiwilliges Opfer hinnahm, Vorwürfe, die ihm sein ohnehin hartes Los noch schwerer erträglich machen würden? Konnte er ihr jetzt noch das Glück an seiner Seite bieten, das sie nach seiner Ansicht verdiente?

Solche Fragen beantworteten Pflicht und Vernunft mit einem grausamen Nein! Freilich, es kam dazwischen auch noch eine andere Stimme zum Wort, die Stimme der Hoffnung. Wenn die Operation gelänge, wenn das Gefürchtete nicht einträte, dann, ja dann! Aber diese Stimme klang nur schwach und schüchtern. – – –

So trat Tromholt die Reise an. Der vorläufige Entschluß, zu dem er gekommen war, ging dahin, erst in Limforden das Geschäft zum Abschluß zu bringen, einige Tage bei den Seinigen dort zu verweilen und sich dann in Kiel, ohne Susanne vorher gesehen und gesprochen zu haben, der Operation zu unterziehen, von deren Erfolg alles Weitere abhing.

Er hatte den Grafen Snarre und Alten von seiner Ankunft telegraphisch benachrichtigt und traf daher den ersteren, hochbefriedigt über den Gang, den die Dinge genommen hatten, gleichfalls in Limforden.

Die ersten Tage seines Aufenthalts dort waren einer eingehenden Besichtigung der Werke gewidmet, die Tromholt im besten Stand fand, sowie der Inventuraufnahme, dem Verkehre mit den Kaufliebhabern, kurz allem, was auf eine rasche, alle Theile befriedigende Erledigung dieser dem Grafen wie ihm selbst gleich sehr am Herzen liegenden Angelegenheit hinzielte. Nachdem dies erledigt war, kehrte der Graf nach Schloß Snarre zurück und Tromholt blieb bei Alten in Limforden.

Das Glück, den lang entbehrten Bruder und Schwager wieder bei sich zu haben, die frohe Aussicht, bald ganz mit ihm vereinigt zu sein, versetzten Bianca und ihren Gatten in eine überaus gehobene Stimmung; der letztere vergaß darüber sogar, dem in seinem Herzen angehäuften Groll gegen Snarre in seiner

[665]

Bilder aus dem oberen Donauthal.
Zeichnung von R. Stieler.

[666] gewohnten sarkastischer Weise dem Schwager gegenüber Ausdruck zu geben. Nur die Sorge um die nächste Zukunft, die Gefahr, der Richard entgegenging, warf einen Schatten über dieses glückliche Zusammensein. Auch auf Tromholt wirkte der Aufenthalt im Altenschen Familienkreis überaus wohlthuend, der Zwist in seinem Innern beruhigte sich, und eine vertrauliche Aussprache mit Bianca, wobei er der Schwester von Ingeborgs Vermächtniß Kenntniß gab, brachte in ihm den Entschluß zur Reife, nun doch noch einmal im Ericiusschen Hause vorzusprechen, bevor er den schweren Gang antrat, der ihn vielleicht in ewige Nacht hüllte. Er wollte Susanne, zu der ihn sein Herz mit so heißer Sehnsucht hinzog, wenigstens noch einmal vor „des Lichtes ewigem Schwinden“ sehen.

Von Biancas und Altens Segenswünschen begleitet, reiste er einen Tag vor dem für die Operation festgesetzten nach Kiel ab.


*               *
*


Im Ericiusschen Hause hatte sich inzwischen etwas zugetragen, von dem Tromholt keine Ahnung haben konnte. Während Dina bei der Beerdigung Ingeborgs in Kopenhagen weilte, war jener Brief, den Ingeborg für Dina hinterlassen und Tromholt nach Kiel abgesandt hatte, dort eingetrofen. Susanne, die, wie auch ihre Mutter, in einiger Besorgniß um Dina war, da diese allein ohne jeden Schutz die Reise unternommen hatte, und die nun begierig auf eine beruhigende, ihre glückliche Ankunft dort meldende Nachricht wartete, nahm diesen Brief dem Postboten aus der Hand und, überzeugt, daß es der so sehnlich erwartete sei, vielleicht auch in der Hoffnung, er werde etwas auf Tromholt Bezügliches enthalten, öffnete sie ihn, ohne näher auf die Adresse zu sehen.

Nun hatte Susanne zwar gleich nach dem Lesen der ersten Zeilen Ingeborgs Handschrift und damit ihren Irrthum erkannt, allein sie sah auch ihren eigenen Namen in Verbindung mit dem Tromholts des öfteren wiederkehren, und so, von einer seltsamen Unruhe und der Begierde, etwas von Tromholt zu erfahren, beherrscht, vergaß sie alle Bedenken über die Berechtigung ihres Thuns und las den für ihre Schwester bestimmten Brief.

Er war mit schwacher, zitternder Hand geschrieben und lautete:

„Meine geliebte Dina!

Wenn Du diese Zeilen erhältst, wird die, welche sie geschrieben hat, zu der ersehnten Ruhe eingegangen sein, die sie in diesem Leben nicht finden konnte; denn es ist mein Wille, daß dieser Brief erst, wenn ich die Augen für immer geschlossen habe, in Deine Hände gelangt. Ich fühle, daß der Augenblick nicht mehr fern ist, ich sehe ihm ohne Furcht und Schrecken entgegen, der Tod naht sich mir als ein Erlöser von schwerer Qual. Und doch möchte ich auch mit diesem Leben versöhnt in jenes andere, bessere hinübergehen. Wenn ich daher allen, die mir hier Böses gethan haben, von ganzem Herzen verzeihe, wie viel mehr muß mir daran liegen, denen, die mir Wohlthäter und Freunde waren, ein dankbares Gedächtniß zu hinterlassen!

Was ich hier Gutes genossen, das danke ich in erster Linie Herrn Richard Tromholt, in dessen Haus ich eine schützende Zuflucht gefunden habe und ein sanftes Sterbelager zu finden hoffe, ihm, dessen Liebe ich nicht werth war, und der mir doch sein reiches, großmüthiges Herz erschloß, wie ein Bruder für mich sorgte, – und sodann Dir, deren Freundschaft mir treu blieb bis ans Ende und mir so manche Stunde des Leidens gemildert hat.

Euch beide möchte ich so gern glücklich wissen, Tromholt und Dich. Du, Dina, hast ein reines, frohes Gemüth. Möchtest Du den Mann finden, der seine Schätze zu würdigen weiß und Dich so glücklich macht, wie Du’s verdienst, wie ich es wünsche! Und Du wirst ihn finden, ich weiß es, ich ahne es, Sterbende sind fernsichtig. –

Aber Tromholt? Er ist ein Mann der strengen Pflichterfüllung, eine edle, starke Natur, die, wo sie sich verkannt glaubt, sich entsagend auf sich selbst zurückzieht, ihre Qual gewaltsam beherrscht und das Glück, wenn es sich bietet, zu haschen versäumt. Was kann ich für ihn thun, ich, das schwache Weib, für ihn, den starken, zielbewußten Mann! Manche schlaflose Nacht hab’ ich darüber nachgedacht, vergebens, und erst der nahe Tod hat mir die rechte Antwort auf meine Frage gegeben. Ja, ich kann es, und es ist meine Pflicht, es zu thun, selbst wenn ich damit das Geheimniß, das mir die Freundschaft auferlegt, breche und damit einen Treubruch begehe gegen Dich. Ja, gegen Dich, Dina! Höre meine Beichte und verzeihe mir, wenn Du kannst, verzeih’ Deiner sterbenden Freundin, die Dich so sehr geliebt hat, Dich und – –. Doch höre:

Tromholt liebt Susanne seit dem Augenblick, da er sie zuerst sah, und keine noch so bittere Erfahrung, kein noch so starkes Weh, das sie ihm angethan, hat diese Liebe je zu verwischen, je auch nur abzuschwächen vermocht. Sein Herz gehört ihr, sehnt sich nur nach ihr und wird ihr gehören, so lange es schlägt. Ein Mann wie Tromholt kann nur einmal lieben! Bleibt diese Liebe unerwidert, wie er es von der seinen glaubt – denn der Schein, Dina, täuscht auch die Stärkste – so trägt er die Wunde immer in der Brust mit sich herum, und eben weil er die Blutung nach außen durch seinen starken Willen abdämmt, so verblutet sich sein Herz langsam nach innen! O, meine geliebte Dina, weißt Du, wie weh das thut? –

Ich weiß es, ich sah, wie er um sie litt. Ob er gleich seine Qual wie ein Held verbarg, ich sah sie und ich besaß das erlösende Wort, das diese Qual beschwört hatte, besaß es in Deinen Briefen, Dina, und durfte es nicht aussprechen. Ich durfte nicht, nein, aber auch mein eigenes Herz sträubte sich dagegen, es gab Augenblicke, wo ich, von schwerer Selbstsucht befangen, seine Liebe verwünschte und die, der er sie geweiht, darum beneidete, haßte. Diese Selbsterkenntniß liegt in der Todesstunde wie eine schwere Schuld auf meinem Gewissen. Dina, ich darf, ich kann sie nicht mit hinübernehmen ins Jenseits, wenn mir der ewige Richter dort vergeben soll.

Soll Tromholt sich noch länger in stummem Schmerze verzehre, da Susanne, wie Du mir schreibst, ihn wieder liebt, und – wie könnte es auch anders sein! – mit derselben ungestillten Sehnsucht nach ihm verlangt? Sollen sie beide für alle Zukunft unglücklich sein, weil ihnen diese Liebe gegenseitig ein Geheimniß ist? Nein, Dina, das kann, das darf nicht sein, das will der Himmel nicht, Du selbst mußt es begreifen, und mir ist es in diesen Schmerzenstagen zur unumstößlichen Gewißheit geworden. Wie eine Erleuchtung von oben, vor der jede irdische Verpflichtung weichen muß, kam es über mich, ihr will ich folgen, ihr allein, und wenn der Tod seine Hand nach mir ausreckt, dann will ich Tromholt Deine Briefe, die ihm das Geheimniß von Susannens Liebe enthüllen, als mein letztes Vermächtniß in die Hand legen.

Und nun, liebe Dina, hab’ ich mein Herz vor Dir ausgeschüttet, ich weiß, Du verzeihst mir.

Meine Kräfte schwinden, der Husten kehrt wieder, meine Hand vermag die Feder nicht länger zu halten, es ist das Letzte, was sie in diesem Leben geschrieben.

Leb’ wohl, Theure, Liebe, weine nicht um mich! Mir ist wohl! Seid glücklich, alle, alle, und gedenket zuweilen in Liebe

Eurer Ingeborg.“

Susanne hatte die Schlußworte dieses Briefes nicht mehr gelesen. Bei der Stelle über Dinas Briefe an Ingeborg, die das Geheimniß ihrer Liehe enthielten, war ihre anfängliche Ergriffenheit einem jähen Ausbruch der Scham und des alten Trotzes gewichen. Sie hielt sich von Dina für verrathen, vor Ingeborg und Tromholt gedemüthigt. Was Ingeborg von Tromholts Liebe zu ihr schrieb, hielt sie für nicht mehr als einen Zoll des Mitleids, ein Almosen, das sie nicht begehrt hatte. Ein unbändiger Zorn gegen Dina, Ingeborg, Tromholt, ja gegen sich selbst erfaßte sie, alle Reue und Sehnsucht war vergessen, sie war wieder ganz die alte, stolze, trotzige Susanne von damals, welche die Perle, die sich ihr darbot, mit Füßen trat und nach dem Kiesel griff.

Mitten in diese innere Erregung hinein kam Dinas Botschaft von ihrer Verlobung mit Snarre, von einem Brief des letzteren begleitet, der die Genehmigung der Familie für sein und Dinas Vorgehen in höflichster Form nachsuchte und dabei auch auf sein früheres Gespräch mit Susanne Bezug nahm. Frau Ericius war so erfreut über dieses nach dem jüngsten Zwischenfall kaum mehr erwartete Ereigniß, daß sie darüber die Zeichen nervöser Unruhe in dem Benehmen ihrer älteren Tochter völlig übersah. Auch vermochte sich Susanne in der ersten Zeit nach Dinas Rückkehr soweit zu beherrschen, daß sie dieser mit einer flüchtigen Entschuldigung Ingeborgs Brief übergab, ohne ihre Kenntniß des [667] Inhalts zu erwähnen. Selbst Dina bemerkte in ihrem jungen Glück nicht die Wolken, die über der Stirn ihrer Schwester lagen, die Kälte ihrer Glückwünsche, die Geflissentlichkeit, mit der sie ihr und dem Grafen auswich und sich oft tagelang in ihr Zimmer einschloß.

Von Tag zu Tag erwartete Dina Tromholts Ankunft; nur die Trauer um Ingeborg konnte ihn nach ihrer Ansicht so lange zurückhalten, sie hatte gehört, daß er in Limforden sei, nun mußte er doch bald kommen! Und die kindliche, glückliche Dina träumte bereits von einer Doppelhochzeit. Es wurde ihr schwer, ihr Geheimniß für sich zu behalten, es nicht wenigstens anspielungsweise ihrem Bräutigam, namentlich aber Susanne selbst, zu verrathen, und gerade dieser gegenüber wurde es ihr schließlich, da Tromholt immer nicht kam, zu schwer. Sie konnte nicht umhin, die Möglichkeit seines Besuchs unter Hinweis auf Ingeborgs Brief mit allerlei schelmischen Bemerkungen anzudeuten.

Da erst kam Susanens lang verhaltener Unmuth zum vollen Ausbruch. Sie machte Dina die heftigsten Vorwürfe über ihre Rücksichtslosigkeit, nannte ihre Behauptungen schnöde Lügen und ging so weit, von ihr zu verlangen, daß sie sofort an Tromholt schreibe, das Mißverständniß aufkläre und ihm mittheile, sie, Dina, habe sich getäuscht, zu voreilig geurtheilt, er möge ihren brieflichen Mittheilungen an Ingeborg, soweit sie sich auf Susannens Gemüthszustand bezögen, keinen Glauben beimessen und sich von ihnen namentlich nicht zu Schritten hinreißen lassen, die ihm nur schwere Enttäuschung bereiten würden.

Das aber war auch Dina zu viel. Anfänglich eingeschüchtert durch die Maßlosigkeit von Susannens Anklagen, gerieth sie bei dieser letzteren Zumuthung selbst in leicht begreifliche Erregung. Sie hatte das Beste gewollt und sah nun sich und die verstorbene Freundin in dieser Weise verunglimpft. Das war zu viel, das ging über ihre Geduld, und in gereiztem Tone wies sie Susannens Vorwürfe zurück. Sie nahm keinen Anstand, ihr ins Gesicht zu sagen, daß sie sich nicht getäuscht habe, daß das, was sie Ingeborg geschrieben, keine Lüge, sondern Wahrheit sei, von der sie kein Wort zurücknehme, die sie auch den heftigsten Widersprüchen Susannens zum Trotz aufrecht erhalte.

Die Leidenschaftlichkeit der beiden Schwestern hatte ihren Höhepunkt erreicht, als Tromholts Besuch gemeldet wurde.

„Nein, nein,“ rief Susanne, „ich kann, ich will ihn nicht sehen! Empfange Du ihn, Du bist’s ja, die ihn gerufen hat, nicht ich! Nun sieh zu, wie Du mit ihm fertig wirst, und wenn Du nicht den Muth hast, ihm offen Deinen Irrthum zu bekennen, so mag ihn meine Abwesenheit davon überzeugen, daß es nicht wahr ist, wenn Du behauptest, ich gräme mich um ihn und er dürfe nur kommen und mir seine Liebe als ein Almosen anbieten, wie man’s aus Mitleid einer Bettlerin darreicht. Nein, nein, ich will kein Almosen von ihm!“

Und was auch Dina thun mochte, die Erregte zu beruhigen, ihren unsinnigen Verdacht zu widerlegen und sie zu beschwören, dem alten Freund des Hauses gegenüber wenigstens die äußere Form zu wahren, Susanne hörte nicht mehr auf sie und verließ eilends durch eine Seitenthür das Gemach, um sich in ihrem Zimmer einzuschließen.

Tromholt hatte im Gange noch die Stimme Susannens vernommen, ohne jedoch den Sinn der Worte, die so hastig herausgestoßen wurden, zu verstehen; um so mehr überraschte es ihn, Susanne bei seinem Eintritt in das Gemach nicht dort zu finden, auch entging ihm nicht die Spur großer Erregung in Dinas Zügen, als ihm diese mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen und thränenumflorten Augen entgegenkam und ihm herzlich die Hand drückte.

Eine dunkle Ahnung kam sogleich über ihn. „Was ist geschehen?“ fragte er. „Ist Ihre Frau Schwester krank, oder Ihre Mutter – den Grafen habe ich noch heute gesehen – oder was sonst kann Ihnen so großen Kummer bereiten?“ Und da Dina schwieg, fuhr er eindringlicher fort: „Verhehlen Sie mir nichts, Fräulein Dina! Was ist vorgefallen? Ich sehe, es wird Ihnen schwer, mir’s zu sagen. Ich hörte die Stimme Ihrer Frau Schwester, sie klang zornig und aufgeregt. Warum? – Betrifft es mich, meinen Besuch? – O bitte, sprechen Sie, sagen Sie mir die volle Wahrheit, auch wenn –“

Er vollendete den Satz nicht, aber unwillkürlich preßte er die Hand aufs Herz, immer deutlicher wurde in ihm das Vorgefühl einer schweren Enttäuschung, die ihm bevorstand, er empfand es wie einen stechenden Schmerz in der Brust.

Dina sah ihn mit mitleidsvollem Blick an. „Ja, Herr Tromholt,“ begann sie endlich, „es ist ein großes Unglück geschehen. Zwar Mama ist gesund, sie wird es bedauern, nicht hier zu sein, und mein Bräutigam desgleichen, aber Susanne – Susanne – ach, Sie haben es ja schon errathen –“

„Was ist Frau Susannen?“ fragte Tromholt hastig; noch sträubte sich sein Herz, an das Schreckliche zu glauben, daß seine Ahnung sich bestätigen sollte.

„Susanne,“ erwiderte Dina stockend – „sie ist nicht mehr hier – ist im Zorn fortgegangen, da Sie kamen. Ich muß Ihnen einen großen Schmerz anthun, Herr Tromholt, einen Schmerz, den ich mit ganzer Seele theile, um so mehr, als ich es bin, die ihn verschuldet hat. Gott weiß, daß ich nur das Beste gewollt habe! Susanne hat durch einen Zufall von Ingeborgs letztem Brief Kenntniß bekommen, sie weiß, was ich der Freundin über sie geschrieben, weiß, daß die betreffenden Briefe durch Ingeborgs Vermächtniß in Ihren Händen sind. Und darüber ist sie außer sich, sie hält sich für verrathen, betrogen, vor Ihnen gedemüthigt. Ihr gekränkter Stolz hat jedes bessere Gefühl in ihr erstickt, jedes vernünftige Urtheil getrübt. Sie glaubt nicht an Ihre Liebe, meint, Sie wollten sie ihr jetzt nur aus Mitleid wie ein Almosen darbieten. Sie verlangt, daß ich meine Mittheilungen an Ingeborg widerrufe, sie für eine Lüge erkläre. Und doch weiß ich, daß sie wahr sind, auch wenn sie selbst es nicht zugeben will. Ihr Stolz ist eben stärker als alles andere und – ich fürchte – er wird es bleiben, bis es zu spät ist, bis wie schon einmal die Reue nachkommt. O, verzeihen Sie mir das Weh, das ich Ihnen zugefügt habe, und vergeben Sie, wenn Sie können, auch meiner Schwester, die sich selbst am tiefsten unglücklich macht.“

Bei diesen Worten flossen Thränen über Dinas Gesicht Tromholt aber, so groß auch sein Schmerz war, beherrschte sich gewaltsam, um den ihrigen nicht zu verschärfen, und mit ruhiger, nur von einem leisen Hauch der Trauer durchzitterter Stimme erwiderte er: „Wie könnte ich Ihnen zürnen, Fräulein Dina, da doch die Theilnahme, die Sie an meinem Schicksal nehmen, so deutlich aus Ihren Worten, Ihren Thränen spricht! Auch gegen Ihre Frau Schwester hege ich keinen Groll, so sehr ich das Mißverständniß beklage, dessen Opfer sie ist. Denn nicht in der Absicht, die sie voraussetzt, bin ich hierher gekommen. Mag, was Sie Ingeborg Elbe geschrieben haben, auf einer Täuschung beruhen oder nicht, es war gut gemeint, ich danke Ihnen dafür und der Entschlafenen, die mir damit noch in der Todesstunde etwas Gutes thun wollte. Aber nimmermehr hätte mich das veranlaßt, heute um die Hand Ihrer Frau Schwester zu werben, geschweige denn ihr die meinige in dem Sinne anzubieten, den ihr gekränkter Stolz mir zutraut. Die Gründe, die mich davon abhielten, liegen in meiner Gesundheit. Die Besorgniß um sie hat mich nach Kiel geführt; ich habe den Professor Völkers wegen meines Augenleidens zu Rathe gezogen, und da die Kur, die er mir vorschlägt, mich voraussichtlich auf eine längere noch nicht bestimmbare Zeit von jedem Verkehr mit den Menschen ausschließen wird, so wollte ich nicht an diesem Haus vorübergehen, ohne Sie, Ihre Frau Mama und – ja ich gestehe es, vor allem auch Frau Susanne noch einmal zu sehen.“

„Um Gotteswillen, Herr Tromholt, Ihr Auge?“ rief Dina, völlig niedergeschmettert über diese Nachricht, die ihr Graf Snarre bisher schonend verschwiegen hatte.

„Beruhigen Sie sich!“ besänftigte Tromholt. „Ja, es handelt sich um mein Auge, und ich selbst bin schuld, daß sich sein Zustand durch die Anstrengung, die ich ihm zumuthete, in einer Weise verschlimmert hat, die vielleicht einen operativen Eingriff nothwendig macht. Ich sage „vielleicht“, denn alles Weitere hängt vorerst noch von dem Ermessen des Arztes ab. Und nun leben Sie wohl, empfehlen Sie mich Ihrer Frau Mama und berichten Sie ihr, wie sehr ich es bedauere, sie nicht angetroffen zu haben! Grüßen Sie auch Frau Susanne und sagen Sie ihr, daß sie sich getäuscht habe und daß sie mir nicht zürnen möge, wie auch mein Herz frei von allem Groll ist. Leben Sie wohl, Fräulein Dina!“




[668] Mit langsamen, schleppenden Schritten, das Haupt voll schwerer, trüber Gedanken, begab sich Tromholt zunächst in seinen Gasthof und von da zur bestimmten Stunde in die Klinik, wo ihm der Arzt nach eingehender Untersuchung erklärte, daß die Operation schon in den nächsten Tagen vorgenommen werden müsse, sollte sie noch irgend welche Aussicht aus Erfolg haben.

Indessen verbrachte Susanne in der selbstgewählten Einsamkeit ihres Zimmers qualvolle Stunden. Ihrem Auftritt mit Dina war eine große Abspannung gefolgt. Auf dem Sofa hingestreckt, drückte sie ihr Gesicht in das Kissen und ließ ihren Thränen freien Lauf. Und – seltsam – es war, als ob diese Thränen allen Groll in ihrer Brust lösten, langsam, ganz allmählich kehrte ihr die ruhige Besinnung und damit ein brennendes Gefühl der Scham über ihr Betragen zurück, das sich bald zu marternden Selbstvorwürfen steigerte. Solcher Wechsel war in ihrer leidenschaftlichen Natur nur zu begründet. So lange sie die Regungen des gekränkten Stolzes in ihrer Brust verschlossen hatte, schärfte sich ihr Stachel mehr und mehr, bis es schließlich zu dem erwähnten Ausbruch kam. Nun der vorüber war und sie ihrem Zorn Luft gemacht, sich gerächt hatte, nun brach auch wieder ihre bessere, edlere Natur durch, der Schleier, den die Erregung über ihr Auge geworfen hatte, sank, und mit peinlicher Deutlichkeit erkannte sie nun erst die ganze Tragweite dessen, was sie gethan.

Hatte sie ein Recht, einen Grund, Tromholt, den Mann, der sie einst geliebt hatte, dessen ganzes Leben eine Reihe von schweren Opfern im Dienst ihrer Familie gewesen war, dem sie selbst so viel verdankte, in dieser verletzenden Weise zu behandeln? – Nein, nein, sagte die wiedergekehrte bessere Einsicht. Es war ein großes, bitteres Unrecht, das sie dem Mann, dem sie so viel Vergangenes abzubitten hatte, damit anthat, und es ließ sich noch gutmachen. Er war drunten bei ihrer Schwester; wenn sie jetzt hinabeilte, jetzt gleich! – Aber wieder erhob der beleidigte Stolz sein Haupt. War er denn nicht gekommen, ihr seine Hand anzutragen aus Großmuth, weil man ihm gesagt, sie liebe ihn – sie, die ihn einst verschmäht, bettle jetzt um seine Gunst? Würde ihm ihre Flucht, ihr plötzliches Wiederkommen nicht als eine Bestätigung dieser falschen Zuflüsterungen erscheinen und ihn nur noch mehr in seinem großherzigen Entschluß bestärken? Denn die Großmuth allein, die beschämende Großmuth war es, die ihn hergeführt hatte, nicht die Liebe, die war sicher lang erloschen! Hatte er ihr nicht selbst deutlich zu verstehen gegeben, daß treue aufopfernde Freundschaft fernerhin das einzige Gefühl sei, das ihn mit ihr verbinde, damals auf Schloß Snarre, als sie in des Grafen Zimmer die erste zeugenlose Unterredung nach ihrer Trennung von Utzlar mit ihm gehabt, als sie, ihrer Empfindungen kaum mächtig, eine Bittende vor ihm stand? Ja, damals hatte er sie so schonend, als es ein Mann von seinem Charakter vermochte, aber doch mit aller Bestimmtheit zurückgewiesen. Seitdem war von seiner Seite nichts geschehen, was auf eine Sinnesänderung hindeutete. Ein Mann wie Tromholt blieb seinen Entschlüssen treu. Ohne Abschied war er von ihr gereist – und in der langen Zeit bis heute kein Wort, kein Lebenszeichen von ihm mit Ausnahme des wenigen, was sie durch Ingeborgs Briefe an Dina erfahren!

Nein, er liebte sie nicht mehr, und wenn es tausendmal wahr sein mochte, was Dina der Freundin geschrieben und er nun durch diese wiedererfahren hatte, sie wollte es leugnen vor ihm und aller Welt bis zum Tod, sie wollte ihm beweisen, daß ihre Charakterstärke der seinigen ebenbürtig sei, und wenn sie darüber zu Grunde ging.

So bekämpfte der Stolz die Rathschläge des Herzens. Und wenn es doch die Liebe war, die ihn zu ihr trieb, wenn es nur ähnliche Zweifel wie jetzt die ihrigen waren, die ihn so lange fern gehalten hatten? Was dann? War es nicht das Glück ihres Lebens, das sie mit eigener Hand für immer zerstörte? –

In solchem Zwiespalt der Gefühle verging Stunde um Stunde. Mutter und Schwester pochten zu verschiedenen Malen an die verschlossene Thür, vergebens, Susanne nahm nicht Speise noch Trank, ihr graute vor jedem tröstenden, teilnehmenden Zuspruch der Ihrigen; eine Nacht verging, ohne daß der Schlaf ihre Pein milderte, und sie wünschte den Tod herbei, daß er sie erlöse von der selbstgeschaffenen Qual dieses Zustands.

Da. am frühen Morgen, klopfe es wieder. Es war Dina. „Susanne,“ flehte sie, „komm, verzeih mir, wenn ich Dir wehgethan habe. Mama ist sehr besorgt um Dich, und ich – und da ist ein Brief für Dich von – von Herrn Tromholt, glaub’ ich. O lies ihn, er zürnt Dir nicht. Wenn Du wüßtest, was ihm bevorsteht, Susanne!"

Und jetzt sprang die verschlossene Thür auf. Was stand ihm denn bevor? – Susanne riß fast den Brief ihrer Schwester aus der Hand, sie eilte ans Fenster, lüftete die dasselbe verhüllenden Vorhänge, daß das Morgenlicht hell einströmte, und las:

„Kiel, Hotel Germania, den –
Verehrte Frau Gräfin!

Ein beklagenswerthes Mißverständniß hat mich gestern des Glücks beraubt, Sie zu sehen. Ich habe dasselbe Ihrem Fräulein Schwester schon bis zu einem gewissen Grad aufgeklärt, aber doch habe ich ihr nicht alles gesagt, und es drängt mich in diesem Augenblick, jede, auch die letzte Spur eines Zweifels zu beseitigen, der Ihr Herz noch mit unverdienter Bitterkeit gegen mich erfüllen könnte. Ja, Frau Gräfin, ich bin zu Ihnen gekommen in dem Glauben, daß Ihr Herz mir in anderem Sinn zugethan sei. Jener Glaube, den eine treue, nun heimgegangene Seele in mir erweckte, hat mich wohl berauscht und mit einem Glück erfüllt, wie ich es nie empfunden, noch je mehr zu empfinden gehofft hatte; allein er hat mein Gewissen doch nicht so betäubt, daß ich bei ernster Ueberlegung und Selbstprüfung nicht, wenn auch mit großem Schmerz, auf den wirklichen Besitz dieses Glücks verzichten müßte, selbst wenn es sich mir darböte. Ich habe Sie geliebt, Frau Gräfin, seit ich Sie zuerst gesehen habe, und niemals ist dieses Gefühl in meiner Brust erkaltet, nie, was auch geschehen möge, wird es je in mir erlöschen. Und doch hätte ich, selbst wenn Sie mich wiedergeliebt hätten, auf Ihre Hand verzichten müssen, – weil ich Ihr Leben nicht an das eines Blinden ketten durfte.

Noch bin ich das zwar nicht ganz, aber schon die nächsten Stunden werden darüber entscheiden, ob ich je wieder das Licht der Sonne erblicken werde. Ich gehe dem Augenblick mit Fassung entgegen, weil ich ihn seit lange kommen sah, und doch hat mich in der letzten Stunde mein Gefühl übermannt und der sehnliche Wunsch, Sie noch einmal zu sehen, ehe mein Auge vielleicht für immer erlischt, Ihr Bild mit hinüberzunehmen in die lange Nacht, die mir bevorsteht; der Wunsch ist es allein gewesen, der mich in Ihr Haus geführt hat.

Es sollte nicht sein, und so sage ich Ihnen auf diesem Weg ein letztes Lebewohl. Denken Sie meiner wenigstens ohne Groll, wie ich Ihrer stets nur in Liebe gedacht habe und, solange mein Herz schlägt, gedenken werde.

Richard Tromholt.“

Mit einem Aufschrei ließ Susanne das Blatt aus ihrer Hand sinken. „Blind! Blind durch meine Schuld!“ schluchzte sie. „Was hab’ ich gethan, welch edles Herz hab’ ich gekränkt!“ und verzweifelt schlug sie die Hände vor das thränenüberströmte Gesicht.

Dina, die ihre Schwester wanken sah, eilte herbei, sie zu stützen und zu beruhigen.

Allein von einem plötzlichen Entschluß beseelt, sprang Susanne jetzt empor. „Laß mich,“ rief sie. „Ich muß zu ihm, zu ihm!“ Und sich aus den Armen der Schwester gewaltsam freimachend, griff sie nach Hut und Mantel und eilte hinaus, die Treppe hinab, auf die Straße.

„Ins Hotel Germania!“ rief sie, als gerade ein leerer Wagen vorüberfuhr, dem Kutscher zu, und wenige Sekunden später war sie dahin unterwegs. Es gab auch keine Unruhe mehr in ihr. Der alte feste Wille war ausgeprägt in ihren Zügen, der Kampf war entschieden, der Stolz besiegt und statt seiner nur das eine, unwiderstehliche Verlangen in ihrer Brust zurückgeblieben, Tromholt zu sehen, ihm zu sagen, daß sie ihn liebe, ihn zu bitten, daß er ihr vergebe und sie hinnehme als sein Weib, daß sie mit ihm trage, was die Zukunft auch bringen möge.

„Herr Tromholt aus Kopenhagen?“ fragte Susanne nach der Ankunft im Gasthof.

„Ist wohl schon fortgegangen,“ lautete des Portiers Antwort, während er auf das Schlüsselbrett guckte.

Susannens Herz stockte.

„Nein, der Herr ist noch oben,“ ertönte eine andere Stimme, die eines hinzutretenden Kellners. „Nummer achtzehn, gnädige Frau, eine Treppe!“

[669] Susanne stieg empor. Oben angelangt, zauderte sie zwar noch einen Augenblick, die Hände aufs Herz pressend, als ob sie die Blutwellen, die sich dagegen drängten, zurückstauen wollte – dann aber ein festes Klopfen – von innen ein lautes „Herein!“ – und sie schritt über die Schwelle.

*               *
*

Tromholt, der bei Susannens Eintritt aufrecht im Zimmer stand und bei seiner Kurzsichtigkeit die Eintretende nicht sofort erkannte, streckte bei dem Ton der ihm bekannten Stimme unwillkürlich die Hand nach dem Tische aus. In ihren Mienen aber spiegelte sich ein Ausdruck wieder, als ob ein angstvoll Flehender vor seinem Herrn erscheine und durch stumme Blicke im voraus Nachsicht für sein Kommen erbitte. Und dennoch war sie es, die sich zuerst wieder faßte und auf seine in höchster Ueberraschung hervorgestoßene Frage: „Wie, ist’s möglich? Sie sind es, Frau Gräfin, Sie hier, bei mir?“ leise zwar, aber doch mit festem, bestimmtem Ausdruck erwiderte:

„Ja, ich bin es, Tromholt, und ich begreife, daß Sie mein Kommen überraschen muß, ja, ich dürfte mich selbst nicht wundern, wenn Sie mir darob zürnten, da ich kein anderes Recht und keinen anderen Grund dafür anzuführen weiß, als daß ich dem Drang meines Herzens gehorchte, der stärker war als alle Bedenken, die ein solcher Schritt erwecken muß.

Die Qual, die mein Inneres zermarterte, noch ehe ich Ihren Brief in Händen hielt, wäre schon genügend, diesen Schritt zu rechtfertigen. Nun ich aber den letzten, jeden Zweifel zerstörenden Beweis Ihrer Liebe erhalten habe, der mich erkennen ließ, welch ein edles großes Herz ich gekränkt, da ließ es mir keine Ruhe mehr.


Schloß Kronborg bei Helsingör.
Zeichnung von Karl Saltzmann.

Als Sie kamen, sah ich in diesem Schritt nur einen Akt der Großmuth, einer edlen Regung, deren eben nur Sie fähig sind, aber nicht einen freien Trieb des Herzens, und darum floh ich vor Ihnen. Ich wußte nichts von Ihrem Leiden, Tromholt, nichts von dem Schweren, das Ihnen bevorsteht. Nun aber, da ich es weiß und da ich auch weiß, daß es die alte Liebe, die Sie zu mir geführt, nun, Tromholt, stehe ich vor Ihnen und sage: Können Sie mir vergeben, wollen Sie mich als Ihr Weib, welches das Glück mit Ihnen theilen, die Sorge mit Ihnen tragen will? Was andern schwer, lästig erscheinen mag, wird mir ein Leichtes sein, nichts auf der Welt hat einen gleichen Anspruch auf mein Wollen und Können und, Tromholt –“ hier erstickte Susannens Stimme unter der Gewalt ihrer Erregung.

Nun aber war’s auch mit Tromholts Kraft vorbei. Wenn ihn schon die Rührung bei ihren leidenschaftlichen und doch im Ton so demüthigen Worten erfaßt hatte, nun übermannte ihn das Gefühl, daß er bebend die Worte stammelte. „O, genug, genug, Du Unvergleichliche, die Du da bittest, wo Du das höchste Glück zu gewähren kamst, wo Du das Höchste für mich gethan hast, was selbstvergessene Liebe zu thun vermag. Du fürchtest, daß ich Dir zürne für Deine große That, Du edle Seele, daß Du kamst zu dem, der so lange nicht den Muth fand, zu Dir zu eilen? Aber, glaube mir, meine theure Susanne, nicht Mangel an Liebe war’s, was mich Dir fernhielt, nein, nur ein Uebermaß desselben Gefühls, das Dich heute zu mir trieb. – Susanne! Susanne! Endlich, endlich halte ich Dich in meinen Armen und genieße den unnennbaren Zauber des Glückes, Dich zu besitzen, Dich mein eigen zu nennen. Nun ich Dich halte, kehrt neue Hoffnung, neue Zuversicht in mein verzagtes Gemüth zurück. Das ist die rechte Stimmung, die der Arzt verlangt. Komm, Geliebte, begleite mich, damit Du bald erfährst, daß alles glücklich verlaufen!“

So vereint schritten sie hinaus. Und Richard Tromholt zitterte nicht unter dem Instrumente des Arztes. Mit ruhiger Fassung hielt Susannens Hand die seine umschlossen; eine festigende Kraft strömte von ihr auf seine Nerven herüber, während das entscheidungsvolle Werk vollbracht ward. Und als alles vorüber, als Susanne nach vierzehn Tagen den Sehenden in einem Wagen aus der Klinik abholte, da sanken sie einander in dem stürmischen Ueberquellen glückstrunkener Empfindungen an die Brust, und aus dem geretteten Auge des Mannes strömten heiße Thränen der Liebe und namenloser Dankbarkeit gegen das Schicksal. –


[670]

Der „Eiserne Berg“.

Von A. v. Schweiger-Lerchenfeld. Mit Zeichnungen von L. Benesch.

Unter allen nordischen Gottheiten hat keine die Einbildungskraft nachhaltiger erregt als Thor, der „Donnerer“ in den finsteren Wolken, welche über die schwarzbraune Heide jagen. Er war der gefürchtetste unter den Asen und überragte sie alle an Stärke. Die Verkörperung dieser Stärke waren der Kraftgürtel „Megingjarder“ und der Hammer „Mjölner“ - der Zermalmer. Mit diesem Hammer hatte Thor das Geschlecht der Riesen und deren König Thurm erschlagen. Der Mjölner war das Werk der schmiedekundigen Zwerge Brok und Sindri. Ein anderes Paar kunstfertiger Zwerge waren Durin und Dvalin, welche - wie in der Herwararsaga erzählt wird - dem König Smafurlami das Schwert „Tyrfing“ geschmiedet hatten Es führte nie einen falschen Hieb; so oft es gezückt wurde, mußte ein Menschenleben zu Grunde gehen.

So besteht seit den Zeiten des Aufdämmerns menschlicher Erinnerungen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Eisen und der Stärke einerseits und zwischen dem Eisen und den Kobolden der Tiefe andererseits. Die Kunst der letzteren kam zunächst den Göttern zu gute, alsdann den Menschen; denn noch im Mittelalter glaubte das Volk, daß man für Eisenklumpen, welche man vor die Oeffnungen der Zwerglöcher legte, tags darauf herrlich geschmiedete Schwerter erhalte.

Die Ueberlieferungen von der Gewinnung der Metalle in deutschen Gauen in ältester und urältester Zeit beziehen sich in erster Linie auf die Alpen. In dem Hochzuge der Tauern, dem Grenzgebirge zwischen den Ländern Salzburg und Kärnten, und im steierischen Hochlande reicht jene Betriebsamkeit in eine Zeit zurück, welche weitab von allen geschichtlich feststehenden Kulturanfängen liegt. In den Tauern wurde Gold, im Hochlande der Steiermark Eisen gewonnen, beides bereits von den Kelten, welche eine große Vorliebe für den Bergbau hatten. Erben dieser Reichthümer wurden nachmals die Römer. Zu ihrer Zeit war neben dem steierischen „Erzberg“ noch eine zweite Oertlichkeit wegen ihrer Ausbeute an Eisen berühmt: Candalicae, das jetzige Hüttenberg in Kärnten. Zwischen diesen beiden Oertlichkeiten und der Donau einerseits, sowie zwischen ihnen und der Handelsstadt Aquileja am Nordende des Adriatischen Meeres andererseits zog die „Eisenstraße“, welche Julius Cäsar hatte anlegen lassen. Der Konsul Petronius rühmt die Messer aus norischem Eisen, und in einer der Oden des Horatius heißt es: „Quas neque Noricus deteret ensis“- „welche selbst das norische Schwert nicht schreckt“ ...

Es ist merkwürdig zu beobachten, wie der Menschen Thun an uralte Gepflogenheiten und Bezeichnungen sich festkettet. So nennt man noch immer den Weg, der von Hieflau im Thale der Enns über den Markt Eisenerz, am Erzberg vorüber, nach den frischen Thalgründen der Mur verläuft, „die Eisenstraße“. Die Bergbaulegenden, die Sagen und Märchen aber, von welchen der „Eiserne Berg“ im steierischen Hochlande umrankt ist, reichen über das Mittelalter nicht hinauf. Auch die geschichtliche Ueberlieferung, soweit sie urkundlich festgestellt ist, setzt den Betrieb der Eisenausbeute weit später an, als es den Thatsachen entspricht. Eine Inschrift einer steinernen Säule am Westhange des Erzberges verkündet: „Als man zählte Nach Christi Geburth 712, hat Man diesen Edlen Erzberg zu bauen angefangen.“

Es soll nun erzählt werden, was am steierischen Erzberg und in dessen Bereiche alles zu sehen ist. Die Schienen der „Rudolfbahn“, welche die wilde Durchklüftung des Ennsthales die man „das Gesäuse“ nennt, durchziehen, senden bei der Station Hieflau einen Flügel nach dem Hochgebirgskessel von Eisenerz. In Hieflau melden sich die ersten Anzeichen der Betriebsamkeit, welche weiter unten geschildert wird: Hochofenflammen und geschmolzenes Metall. Alsdann geht es in die Enge des Seitenthales hinein. Wo dieses zu einem Kessel sich erweitert, ist ein Wunder zu schauen. Ungeheuere Mauern von Felsmassen stehen im Umkreise, und mitten zwischen ihnen ragt, durch Seitenäste des Thales förmlich von seiner Umgebung losgelöst, ein Bergklotz auf. Er ist theils kahl, theils mit Fichten bestanden und stuft sich auf der Westseite in vielfachen künstlichen Terrassen ab. Ueber seinem Scheitel glühen die weißen Kalkgipfel in den Flammen der Sonne, in der Tiefe rauschen lebendige Wasser, das Auge erfreut sich am Farbenschmelz von allerlei Blumen, um das Ohr summen die geheimnißvollen Regungen einer unsichtbaren Thätigkeit.

Alte eisenerzenen Schmiedearbeiten im Museum zu Eisenerz.

Das ist der Erzberg. Er erhebt sich 1534 m über dem Meeresspiegel, etwa 780 m über die Thalsohle bei dem Marke Eisenerz. Der Fremde, welcher in diese Gegend ohne entsprechende Vorkenntnisse eintritt, weiß nicht, daß er es hier mit einem „eisernen Berge“ im wahren Wortsinne zu thun hat. Der Berg wird sozusagen vom Fuße bis zum Gipfel abgebaut. An der westlichen Seite und im unteren Theile des Gehänges, welches gänzlich entwaldet ist, wird auf zahlreichen übereinander sich abstufenden Terrassen das Erz wie in einem Steinbruche gewonnen. Es wird hier „Tagbau“ betrieben. Höher oben, in der Zone zwischen 1100 und 1500 m, erfolgt die Erzausbeute durch Grubenbetrieb. Die Erze sind Spatheisensteine, die fast 40 Prozent reines Metall enthalten. Von dem unerschöpflichen Reichthume an Erzen bekommt man den richtigen Begriff, wenn man erfährt, daß beispielsweise das sogenannte „Weingartnerlager“ auf der Westseite des Berges eine streichende Länge von 1000 m und eine Mächtigkeit von 150 m hat. Obwohl [671] der Erzberg in guten Jahren eine Erzausbeute von mehr als 5 Millionen Metercentnern (1 Metercentner = 100 Kilogramm) liefert, soll nach einer sorgfältigen Berechnung ein Versiegen des Bergsegens im nächsten – Jahrtausend (!) nicht zu befürchten sein.

Wenn dem so sein sollte, würde sich eine von den vielen Sagen, die auf den Erzberg sich beziehen, bewahrheiten. Ein Unhold, den einst in der Vorzeit mehrere Leute dieses Thales dingfest gemacht hatten, wurde gezwungen, seine Freilassung mit irgend einem Geschenke zu erwirken. Er bot einen goldenen Fuß, ein silbernes Herz und einen eisernen Helm und bemerkte, daß Gold nur kurze Zeit, Silber nicht lange, Eisen aber ewig dauere.

Die Oswaldikirche.                    Der Schichtthurm.
Eisenerz und der Erzberg

Die Leute wählten den Helm, worauf der Gefangene nach dem Erzberge wies: dort sei Eisen für ewige Zeiten … Eine andere Sage berichtet über einen Kampf der Riesen mit den Göttern in dieser Bergwildniß. Als jene bereits gewaltige Felsmassen aufgethürmt hatten, schleuderten die Götter einen ungeheueren Eisenklumpen auf die Erde. Er fiel dorthin, wo sich jetzt der Erzberg erhebt.

Wer im Thalkessel von Eisenerz steht, empfindet nichts von dem Zauber, der sich anderwärts in den Alpen durch allerlei Dinge romantischer Natur kundgiebt. Man wird hier nicht von dem Widerschein der weißen Eisfelder geblendet wie auf den Hohen Tauern, in deren Krystallmassen die Trugbilder des Golddurstes spuken; man steht dort nicht unter den Einwirkungen märchenhafter Geschehnisse, die vom Dufte des Südens verklärt sind wie beispielsweise die Gestalten des deutschen Heldenliedes, die in den seligen Gründen des tirolischen Etschlandes in der Erinnerung lebendig geblieben sind. Die Zwerge, die Drachentödter und minniglichen Sangesmeister, die verfallen Burgen und versteinerten Rosengärten und manches andere beschäftigen dort zwischen den Rebenranken am Etschufer nachhaltiger die Einbildungskraft als der Felsencirkus, der den norischen Eisenberg umklammert.

Wer indeß mit offenen Augen wandert, wird auch hier mancherlei Wahrnehmungen machen. Von den herkömmlichen Bergsagen abgesehen, eröffnet der Einblick in diese Betriebsamkeit weite Ausschau in die rauhe nordische Welt. Schon in uralten Zeiten standen hier zwischen mächtigen Fichten die Waldschmieden. Von ihren Essen flammte es in die menschenleere Wildniß hinaus. Spuren voll Stollen und Gußlöchern werden am Erzberge nicht vermißt. In den Forsten, zu denen jetzt der Donner auffliegender Dynamitminen heraufschallt, geht der germanische Waldgeist um. Auf der Höhe des Erzberges, wo ein Seitenweg der „Erzstraße“ vom Sattel des Prebühl gegen den Erzgraben herüberzieht, brütet die Stille des Urwaldes, unterbrochen vom Geriesel heller Quellen zwischen Moos und Farndickicht im Inneren des finsteren Gestämmes. Eine geheimnißvolle Dämmerung verhüllt die Tiefen, aus denen das Gold zu Tage gefördert wird; unter Hammergedröhn und Flammensprühen wird das Eisen geboren. Roth wie die Gluth in den Essen war der Bart Thors, und rothes Gelock flatterte um das Haupt Wielands, der bei Mimir – dem Urahn der Schmiede – das Eisen hämmern lernte …

[672]

Der Kaisertisch


Bevor man den Erzberg bestritt, ist der Spaziergang zu empfehlen, der über den malachitgrünen Erzbach auf die Höhe führt, wo der sogenannte „Schichtthurm“ steht. Die Glockenschläge seiner Uhr verkünden den Knappen Beginn und Ende der Arbeit („Schicht“). Von der mäßig hohen Aussichtsstelle überschaut man die grauen Dächer von Eisenerz, die drei Ausästungen des Thalkessels, die gewaltigen Felsmauern des Reichenstein im Süden, des Pfaffenstein und der Griesmauer im Osten und der Seemauer im Norden. An die letztere schlagen die Wellen des einsamen, für den Beschauer durch einen vorliegenden Waldrücken verdeckten Leopoldsteinersees an.

Am fesselndsten aber ist der Anblick des Erzberges, den man vom Fuße bis zum Gipfel überschaut. Auf den Abbauterrassen ist ein wimmeln wie in einem Ameisenhaufen. Zwischen „Aufbrüchen“ und „Erzknauern“ laufen die Schienen der Arbeitsbahnen, in hölzernen Rinnen kollern die Erze zu Thal. In der Luft ist ein immerwährendes Summen und Knistern, denn die Entfernung ist groß genug, um den durch die Emsigkeit der Arbeiter hervorgerufenen Lärm bis auf geringe Schallwirkungen abzudämpfen.

Dann plötzlich ändert sich das Bild. Fast fluchtartig verschwinden die Arbeiter hinter Schutzwehren und in Stollen. Der ganze Berg erscheint wie ausgestorben. Mit Verwunderung schaut der Gast auf die nun menschenleeren Abbauterrassen und kann sich die spukhafte Veränderung nicht deuten. Da mit einem Male schießen Rauchwolken aus dem Berge - zwei, drei, vier ... da und dort - es folgt Knall auf Knall und fernhin rollt der Donner, von den ehernen Mauern der Felsen zurückgeworfen. Das Niederprasseln der vom Berge abgesprengten Trümmer hört sich - aus der Entfernung unseres Aussichtsplätzchens vernommen kaum stärker als ein Knistern an. Nachdem alle Dynamitminen aufgeflogen sind, belebt sich der Abbauort wieder mit den vielen Hunderten von geschäftigen Gestalten. Ständen wir dicht neben den Arbeitern, so würden wir gewahren, wie ein Mann vorsichtig die Sprengörter untersucht. Das ist der „Paßführer“, dem die Sorge für die richtige Wirkung der Minen obliegt. Ist die Nachschau vorüber, dann beginnt das „Abrenken“, das

Herstellung des Bohrloches für die Sprengminen.

Abtragen und Zerkleinern der zersprengten Felsbrocken. So geht es fort und fort von früh bis abend. Allerdings findet der Tagbau nur in der besseren Jahreszeit statt, während der Betrieb in den Stollen das ganze Jahr hindurch nicht unterbrochen wird. Diese Stollen liegen, wie schon erwähnt, hoch oben im Erzberge.

Wir wollen sie nicht bloß aus der Entfernung ins Auge fassen, sondern ihnen näher treten. Wir steigen also von dem Platze, wo der Schichtthurm steht, wieder nach Eisenerz hinab und den jenseitigen Abhang hinan. Gleich zu Beginn halten wir an. Was uns hierzu veranlaßt, ist eine kastellartige Erhöhung über dem Markte und auch das Bauwerk, das sich hier erhebt - Die Oswaldikirche - hat mehr von einer Trutzburg als von einem Gotteshause. Es ist

Die Barbarakapelle, das Bild der „Wunderstufe“ und Knappen in der „maximilianischen“ Bergtracht.

von einem herrlichen Rostton überhaucht - der Kunstverständige nennt ihn „Patina“ - und von altehrwürdigen bröckeligen Wallmauern mit vorspringenden Rundthürmen umschirmt. Ueber die Brustwehr herauf ragen die Wipfel von Fichten, an den Wallmauern glänzen die gelblichen Blüthenteller des Holunder. Wundersame Lichter flimmern auf der sonnbeschienenen Trift, die sich weithin zu Füßen erstreckt. Wer aber auf mehr als Ruinen und [673] im warmen Hauche gaukelnde Falter achtet, im Wehen des Windes über murmelnden Wassern und beglänzten Laubdächern dem Wandel der Erscheinungen nachspürt, wird auf diesem Platze vor der Oswaldikrche seine Rechnung finden. Vielleicht stand vor Zeiten hier ein Tempel der Noriker, voll einem Fichtenhaine umgürtet, in dessen Düster die Schatten voll Wichteln und Bergmännlein spukten. Alsdann vergegenwärtige man sich, wie ein halbes Jahrtausend nach dem Wiederbeginn der Betriebsamkeit auf dem Erzberg

Einfahrt in den Förderstollen.

Deutschlands erster Kaiser aus dem Hause Habsburg von derselben Höhe in das herrliche Hochthal hinausschaut und die Erbauung eines Gotteshauses anordnet. Im Jahre der Entdeckung Amerikas war dieses Heiligthum in Flammen aufgegangen. Ein anderer großer Habsburger – Maximilian I. – verfügte den Wiederaufbau der eingeäscherten Kirche. Es ist dieselbe, welche man jetzt vor sich hat.

Die Oswaldikrche ist ohne Zweifel das kunstgeschichtlich bedeutsamste Wahrzeichen von Eisenerz. Unser Sinn aber hängt an anderen Dingen … Wir steigen im Fichtenschatten höher hinan. Die erste Etappe ist abermals ein kleines Gotteshaus – die "Barbarakapelle", wo zu Zeiten ein wunderlicher Aufzug zu sehen ist. Am Tage des Patronatsfestes versammeln sich unter den dunkeln Wipfeln, welche über das kleine Heiligthum Schatten breiten, seltsame Gestalten. Es sind Knappen in der alten historischen Bergmannstracht, welche die „maximilianische“ genannt wird, weißer Kapuzenrock, schirmlose Bergmütze, Grubenleder, grüne Strümpfe und Bergschuhe. Im Inneren der Kapelle aber wird ein Schaustück seltener Art verwahrt. Es ist das sogenannte „marianische Wunder“: eine Erzstufe, auf der durch den Uebergang von Flinz in Brauneisenstein ein täuschendes Bildniß der Gottesmutter entstanden ist, von einem Glorienscheine und einem bandartigen Streifen, besten Schattirungen Schriftzeichen gleichen, umgeben. Die Wunderstufe wurde 1669 im Dorotheastollen aufgefunden. –

Bald lichtet sich der Wald. Es geht auf guter Straße, in der Folge auf Steigen höher hinan, an Baracken und Arbeitsplätzen vorbei. Zuletzt stehen wir aus der Höhe neben dem Gewerkshause und schauen nun auf das Treiben auf und zwischen den Staffeln der Abbauterrassen hinab. Das Krumpenthal zu Füßen ist von Sonnenflitter erfüllt, über den vorliegenden dunklen Höhenrücken ragt die ungeheuere, roth angeglühte Zackenkrone des „Kaiserschilds“.

Tausend Hände durchwühlen den eisernen Berg, theils dort unten im Lichte der Sonne, theils neben uns in den dunklen Verließen der Stollen. Wer in einen der letzteren einfährt, bekommt in der trübe flackernden rothen Beleuchtung der Grubenlampen mitunter eines jener schneeweißen, flimmernden Wunderwerke der ewigen Nacht zu sehen, welches man „Eisenblüthe“ nennt: zarte Kalksteingebilde, die aus verwitterten Spatheisensteinfalten hervorwuchern.

Auf dem Gipfel des Erzberges setzt wieder Wald an, der die ganze Ostseite desselben bedeckt. Die Fahrstraße, welche dort in Windungen zur Jochhöhe des Prebühl sich emporwindet, zieht fast durchwegs im Schatten dichten Gestämmes dahin. Auf der höchsten Spitze des Berges steht, wie es sich für diesen eisernen Hochaltar der Alpen geziemt, ein ehernes Christusbild, das der Liebling dieses Bergvolkes, Erzherzog Johann, am 27. Mai

Abbauterrassen am Erzberg.

[674] 1823 hat aufrichten lassen. Es ist ein Gußstück aus dem Gußwerke Mariazell, fünfhundert Kilogramm schwer. Die Figur hat Ueberlebensgröße; das Kreuz ist von Lärchenholz. Vor diesem Kreuzbilde versammeln sich am Tage Johannis des Täufers die Vordernberger Knappen in der erwähnten maximilianische Bergtracht. Unterhalb der Kreuzhöhe, auf dem Waldhange der Ostseite des Berges, hallen die schrillen Pfiffe von Lokomotiven über das tief eingesenkte Thal hinweg. Bis in diese Höhe herauf reicht also die durch den Dampf gekennzeichnete Betriebsamkeit! Die vollgefüllten „Hunde“ der Erzförderbahn rollen auf den Schienen über die Höhe des Joches hinweg in das jenseitige Thal, wo in langer Reihe die Hochöfen von Vordernberg stehen. Es flammt und raucht, und die rothe Eisengluth quillt in die Gußbecken. So erfährt das Erz seine erste Verwandlung: das Roheisen wird ausgeschieden und nach den nahen Hüttenwerken gebracht, aus denen alsdann Fabrikate aller Art in die weite Welt wandern. Das Museum zu Eisenberg bewahrt Proben alter Eisenerzer Schmiedearbeit, deren künstlerisch zierliche Formen geradezu mustergültig genannt werden können.

Noch müssen wir einer Oertlichkeit gedenken. Hoch über den Abbauterassen erhebt sich zwischen rotbraunen Trümmerhügeln und einzelnen Fichten eine Plattform, welche „der Kaiserstich“ genannt wird. Hier pflegte Kaiser Maximilian I., wenn er in den umliegenden Hochbergen jagte, zur Rast sich einzufinden. Auf der Plattform des „Kaiserstichs“ stand bis vor kurzem die Eingangs erwähnte Säule mit der steinernen Urkunde, welche den Beginn des Bergbaues - wohl nach langer Unterbrechung während der Wirren der Völkerwanderung - im Jahre 712 vermeldet. Aus bergtechnischen Gründen musste kürzlich die Säule entfernt und an einem benachbarten Abhange untergebracht werden. Der „Kaiserstich“ erhält indeß nicht nur durch die menschliche Betriebsamkeit und die Erinnerung an einen edlen Fürsten seine Weihe; sie ist ihm auch durch die Stimme des Dichters gegeben. Denn auf der Säule, die bislang den Platz zierte, liest man die Klopstockschen Verse:

Hier steh´ ich,
Rund um mich ist alles Macht!
Und Wunder alles!
Mit tiefer Ehrfurcht schau’
Ich die Schöpfung an,
Denn du,
Namenloser, erschufest sie.




Blätter und Blüthen.

Albert Bürklin †. Am 8. Juli d. J. starb zu Karlsruhe der Oberingenieur a. D. Albert Bürklin, einer unserer bedeutendsten Volksschriftsteller; durch den weitverbreiteten „Kalender des Lahrer hinkenden Boten“ drangen seine Erzählungen und Schwänke, seine Jahresübersichten

Albert Bürklin.

der Weltbegebenheiten überallhin, wo die deutsche Zunge klingt. Von Bürklin ist ferner auch die Idee zur Gründung von sogenannten „Fechtschulen“, wie sie noch jetzt in Deutschland im Süden und im Norden bestehen, wenn auch nicht ausgegangen, so doch zuerst litterarisch vertreten worden - das Reichswaisenhaus in Lahr ist bekanntlich die erste Frucht dieser Idee und Bürklin also sein Mitbegründer. Baden, das engere Heimathland des Verstorbenen kannte ihn dann noch als vortrefflichen Eisenbahntechniker und als liberaler Abgeordneter seiner zweiten Kammer.

Bürklin, als Sohn des nachmaligen Geh. Finanzraths Christian Ludwig Bürklin am 1. April 1816 zu Offenburg in Baden geboren, begann seine litterarische Thätigkeit mit dem „Kanzleirath“, der 1856 erschien, fünf Auflagen erlebte und noch nach dreißig Jahren in einer neuen Bearbeitung Beifall fand. Der Kanzleirath ist eine dem Karlsruher Leben entnommene ständige Figur des Volksschriftstellers Bürklin geblieben: höchste bürgerliche Ehrenhaftigkeit, glühender Patriotismus, im ganzen durchaus moderne Denkungsart, dazu eine Dosis Spießbürgerlichkeit und Bedrücktheit, die sich aus der Vermögenslage des Wackeren herleitet, machen diesen Charakter zu einem außerordentlich liebenswürdigen und werden ihm für die Zukunft sogar eine Art kulturgeschichtlicher Bedeutung verleihen, denn er ist der Typus des ehrenhaften kleinen Beamtenthums.

Mit seiner im Jahre 1861 erschienenen größeren Erzählung „Toni und Madlein“ betrat dann Bürklin das Gebiet der Dorfgeschichte, auf welchem damals Berthold Auerbach und seine zahlreichen Nachahmer unumschränkt herrschten. Bürklin eiferte jedoch nicht Auerbach nach: er wollte für das Volk schreiben, nicht für die Gebildeten Stoffe aus dem Volksleben behandeln. Es sind meist die bekannten und oft benutzten Gestalten, die Bürklin seinen Lesern vorführt: das ländliche Liebespaar, er arm, sie reich, der starre Hofbauer, sein übermüthiger Sohn, der edle Schulmeister, der lügnerische Barbier, ein großmüthiger Holzhändler etc.; die Geschichte nimmt auch, von einem in Holland spielenden ziemlich eigenartigen Intermezzo abgesehen, den gewöhnlichen Verlauf; doch zeigt Bürklin eine so genaue Kenntniß der Volkseele und weiß den Volkston durchweg so gut zu treffen, daß sein Werk noch jetzt im eigentlichen Volke viel gelesen wird.

Zum wirklich bedeutenden Volksschriftsteller wuchs Bürklin erst nach und nach empor, seitdem er mit dem im Verlag von J. H. Geiger (Moritz Schauenburg) in Lahr erscheinenden altbekannten „Kalender des hinkenden Boten“ in Verbindung getreten war. Das geschah im Jahre 1858, und an zwanzig Jahre hat der nun Verstorbene die Redaktion des Kalenders in der Hauptsache selbstständig geführt, selber zahlreiche Beiträge für ihn geschrieben und denen anderer Mitarbeiter vielfach seinen oder den dem Kalender angemessenen Charakter aufgeprägt. Der Werth von Bürklins Schöpfungen beruht zum großen Theil auch drauf, daß sie aus dem modernen Leben in seiner ganzen Breite herausgegriffen sind. Man kann fast sämmtliche geistige Bewegungen der jüngsten Tage in Bürklins Erzählungen wiedergespiegelt finden. Zu erster Linie war es ihm um die Festigung des Reichsgedankens im deutschen Vaterlande zu thun, um die Ausgleichung von Nord und Süd, und da hat er vielleicht mehr geleistet als mancher, der in der Oeffentlichkeit viel darum gepriesen wurde. Niemals hörte Bürklin auf, für Aufklärung und Menschlichkeit zu wirken, das engherzige Spießbürgerthum und die Dunkelmänner zu bekämpfen, echtes Volksthum aber, wo es nur anging, zu fördern und es zeigt sich bei ihm eine Vielseitigkeit des Interesses, die wirklich zu bewundern ist. Und damit hat er sich ein Anrecht auf dauerndes Gedächtnis erworben.

Adolf Bartels.


Der Einsturz der Karlsbrücke in Prag. (Zu dem Bilde S. 653.) Namenlos ist das Unglück und furchtbar sind die Verheerungen, welche die entfesselten Wasserfluthen über einen Theil unseres Vaterlandes hinweg verbreitet haben; aus Sachsen, Schlesien, vom Rhein und von der Donau sind Unglücksposten über Unglücksposten zu verzeichnen; reiche Gefilde sind in Wasserwüsten verwandelt, kleine Bergflüsse zu vernichtenden Strömen angeschwollen, in deren Fluthen Menschen und menschliches Eigenthum begraben wurden; in der Schweiz und in Böhmen ist das Unglück nicht minder groß. Prag, die alte Königsstadt hat unter der Ueberschwemmung der Moldau entsetzlich gelitten, ganze Stadtviertel standen unter Wasser, die Bewohner hungerten, man konnte ihnen kaum die nothwendigstens Lebensmittel zuführen, und die Noth hatte ihre äußerste Grenze erreicht, als die Wasser endlich zu fallen begannen. Zu den schweren Schädigungen an Leib und Gut seiner Einwohner hat Prag aber auch den Verlust eines seiner berühmtesten Baudenkmäler zu beklagen, welches durch seine historische Vergangenheit als Wahrzeichen der welterschütternden Ereignisse, die sich in der Moldaustadt abspielten, wie durch seine Schönheit einen Weltruf besaß: die Karlsbrücke fiel am 4. September der Wuth der Elemente zum Opfer.

Drei ihrer Bogen liegen in den trüben Fluthen, und die weltbekannte Statue des Ignatius von Loyola mit den sie umgebenden Türken, Moren und Indianern ist im Bette des Stromes begraben. Das Ziel Tausender frommer Pilger, die Statue des heiligen Nepomuk steht zwar noch, aber es ist fraglich, ob dieses uralte Wahrzeichen Prags gerettet werden kann.

Seit Jahrhunderten trotzte die Karlsbrücke dem Toben der Moldau, den Eisgängen und den vielen Hochfluthen, die aus gewaltigen Quadern erbauten Bogen schienen für die Ewigkeit geschaffen. 1357 war der Grundstein gelegt, 1432, 1496 und 1784 verursachten die Wasser der Moldau, im Bunde mit riesigen Eismassen, theilweise Schädigungen der Brücke, die jedoch bald wieder beseitigt werden konnten.

Zu einer Länge von fast 500 Metern überwölbte die 10 Meter breite Brücke den Fluß und bildete die Hauptverbindung zwischen der Kleinseite, dem Haddschin und der Altstadt. An ihren beiden Enden recken massive gothische Thürme sich als Brückenköpfe trotzig empor, in deren Gemäuer die Kämpfe, welche im alten Prag Jahrhunderte hindurch ihren Schauplatz fanden, unvertilgbare Spuren eingegraben haben.

Auf den Pfeilern erhoben sich 30 Heiligenstatuen, von denen wir die des Nepomuk und des Loyola bereits erwähnen. Die erstere wurde 1683 von Rauchmüller in Regensburg nach Prokows Modell gegossen, und eine Marmorplatte in der Nähe der Statue bezeichnet die Stelle, wo man dem Wahrer des Beichtgeheimnisses am 20. März 1393 in die Moldau warf, nachdem er die grausamsten Folterqualen erduldet hatte; der [675] Mamorplatte schreibt man wunderthätige Heilung von mancherlei Gebreste zu, und Scharen frommer Wallfahrer pilgern alljährlich zu dieser Stelle.

Es ist noch zweifelhaft, wie viele Menschen durch den Einsturz am frühen Morgen des 4. September ihren Tod gefunden haben. Vorläufig weiß man von drei Todten. Der fünfte, sechste und siebente Bogen sind weggerissen, die Fundamentpfeiler aber scheinen unverletzt und ragen aus den Wellen empor.

Hoffentlich gelingt es, das zerstörte Bauwerk in alter Schöne wieder herzustellen und so der Stadt das nationale Symbol vergangener Herrschergeschlechter zu erhalten.

König Gram befreit seine Braut Signe. (Zu dem Bilde S. 648 und 649.) Baumbach, der anmuthige Sänger der Spielmannslieder, hat ein Epos gedichtet, worin er die Geschichte von der Werbung Horands um Hilde, die Tochter König Hagens, erzählt – in freier Umformung der Stoffe, die uns im Gudrunlied erhalten sind. Wie Baumbach das liebt, fügt er bei schicklichen Gelegenheiten kurze, dramatisch bewegte Lieder ein, wie sie dem Orte und der Stimmung entsprechen. Ein solches Lied hat unseren Künstler zu seinem Gemälde begeistert. Hildburg singt es dem Königskinde Hilde, in dessen jungfräulicher Seele eben die Liebe zu dem fremden Recken Horand aufzusprießen begonnen hat. Es ist ein Lied von dem König Gram, dem ein geheimnisvoller Spiegel die ferne Braut, Signe, des Finnenkönigs Tochter, im Brautgeschmeid und Brautgewand an eines Fremden Seite zeigt:

„Da sprach kein Wort der König Gram,
Das Steuer er zu Handen nahm,
Gen Mitternacht, gen Finnenland
Ward schnell das Drachenschiff gewandt;
     Hei, wie es flog im Winde!

Der Finnenkönig saß im Saal
Bei seiner Tochter Hochzeitsmahl.
Schön Signe saß so blaß und bleich
Und neben ihr im Kleide reich
     Der Fürst der wilden Sachsen.

Da trat ein alter Mann herein,
Den hüllten Grauhundfelle ein.
Er ging am Stab gebückt einher,
Als ob er siech und müde wär’,
     Und saß am Eingang nieder.

So Meth als Wein in Strömen rann,
Und wüster Lärm im Saal begann,
Manch einer vom Bewußtsein schied,
Ein finn’scher Sänger sang ein Lied,
     Das klang wie Rabenkrächzen.

Da nahm das Saitenspiel zur Hand
Der fremde Mann im Wolfsgewand
Und sang ein Lied voll Klang und Gluth,
Von Frauentreu und Mannesmuth.
     Schön Signe saß und lauschte.

Und wie vom Regen neu belebt
Die welke Blüthe sich erhebt,
So hob das schöne Haupt die Braut,
Von heißen Thränen hell bethaut,
     Und spähte nach dem Sänger.

Da warf der Fremde von sich schnell
Die Kappe sammt dem rauhen Fell.
Hei, wie den bleichen Bräutigam
Zu Boden schlug der König Gram
     Mit seinem guten Schwerte!

Schön Signe von dem Hochsitz sprang,
Der König fest die Braut umschlang,
Und aus dem Hochzeitssaal im Flug
Sein starker Arm die Taube trug
     Zum Drachenschiff am Strande.“

=


Aus dem oberen Donauthal. (Zu dem Bilde S. 665.) Dort, wo bei Fridingen die Donau in ihrem ersten Laufe die Wasser der Beera in sich aufnimmt, stellt sich dem jugendlichen Ueberschäumen des jetzt schon stattlichen Flusses ein bedeutendes Hinderniß entgegen: es ist dies der steilabfallende südöstliche Rand der Schwäbischen Alb, durch dessen hochragende Jurakalkfelsen sich die Gewässer in vielgewundenem und tiefeingeschnittenem Thal ihren weiteren Weg zu bahnen haben. Der sich hier eröffnende Theil des oberen Donauthals ist eine der reizvollsten Gegenden unseres deutschen Vaterlandes und bietet eine unvergleichliche Fülle landschaftlicher Schönheiten. Die zerklüfteten Felsen der Alb erheben sich aus dem Schmuck prachtvoller Laubholzwälder zu bedeutender Höhe und sind vielfach mit Schlössern und Ruinen gekrönt, während tief unten das Wasser der Donau in seinem engen Bette wildschäumend über mächtige, moosbewachsene Steinblöcke dahinbraust. Schon vom Eingang der Thalschlucht glänzt uns hoch oben das Enzbergische Schlößchen Bronnen entgegen, welches, auf steilem Felsenriff erbaut, nur durch eine Zugbrücke mit der nahen Höhe verbunden ist. Eine herrliche Fernsicht eröfnet sich dem trunkenen Auge aus dem kleinen, noch erhaltenen Rittersaal des Schlosses, dessen Fenster, jäh über dem gründämmernden Abgrund gelegen, einen Ausblick über die vielzerklüfteten Felsmassen der näheren Umgebung bis zu den fernen Alpen gestatten.

Die Wände treten nun immer näher zusammen, prachtvoller Buchenwald nimmt uns auf, bis sich nach etwa zweistündigem Wandern die Schlucht öffnet und aus einer Thalmulde das Kloster Beuron mit seinen stattlichen Gebäuden in weltabgeschiedener Einsamkeit uns entgegenblickt. Die schöne Stiftskirche, noch heute ein sehr beliebter Wallfahrtsort, zeigt in sehr guten Freskogemälden die Sage von der Stiftung des Klosters und die Bildnisse seiner Patrone und Wohlthäter. Die Klostergebäude sind jetzt wieder mit Mönchen (Benediktinern) besetzt.

Von Beuron zieht sich die Straße über eine gedeckte Brücke auf das linke Ufer der Donau. Bald erscheint rechts auf großartiger Felsenhöhe, von starrenden Klippen umgeben, die stattliche Bergfeste Wildenstein. Ein abgesprungenes Felsenriff trägt auf besonderen Grundmauern ein Thor, von welchem eine Zugbrücke über einen gähnenden Abgrund den Zugang zu der Burg ermöglicht, und staunend betrachten wir die riesigen Mauern und Thürme dieses Edelsitzes, welcher in allen seinen Einzelheiten ein wohlerhaltenes Bild mittelalterlicher Befestigungsbauten bietet. Ein bis zur Sohle der Donau hinabreichender Brunnen, eine Mühle und ein Zeughaus machten in Verbindung mit der natürlichen festen Lage das Schloß geradezu uneinnehmbar. Von der gothischen Burgkapelle führte ein jetzt verschütteter Gang unterirdisch zu Thal. Im Hauptgebäude, dessen Räume sammt dem Rittersaal noch erhalten sind, befanden sich die Wohngemächer des jetzt ausgestorbenen Geschlechts der Herren von Wildenstein, der Erbauer dieses durch alle Stürme des Mittelalters mannhaft behaupteten Schlosses.

Unterhalb von Wildenstein, nach einer wiederholten Krümmung des Flusses, eröffnet sich ein prachtvolles Panorama: von beiden Seiten treten senkrecht aufsteigende Felswände bis an die Thalsohle heran und eine der großartigsten der riesigen Felsmassen zur Linken des Flusses trägt das alte fürstenbergische Schloß Werwag mit seinen stattlichen Giebeln und Thürmen, welches mit seinen alterthümlichen Innenräumen und Einbauten, die ganz ursprünglich erhalten sind, mit dem dazu gehörenden Gutshof und ausgedehnten Grundbesitz einer der schönsten Edelsitze des Landes genannt werden muß. Vorbei an dem Dorfe Hausen mit der stattlichen Ruine Wagenburg und einer großen gegenüberliegenden Felsenhöhle wälzt nun die Donau ihre grünen Fluthen thalabwärts. Manche stattliche Ruinen wie Gutenstein, Falkenstein und Dietfurth liegen noch an ihrem Ufer, und ihrem Laufe folgend, gelangen wir auf schöner, dem Felsen abgerungener Kunststraße mit mehreren Tunnels über Thiergarten nach dem Orte Laiz, von wo an die Felsmassen zurücktreten und der Fluß durch flachere Gefilde der „Burg Sigmars“ zustrebt, der ebenso hübschen wie malerischen Stadt Sigmaringen. R. Stieler.

Schloß Kronborg. (Zu dem Bilde S. 669.) Bei der dänischen Stadt Helsingör, an der Stelle, wo der Sund am schmalsten ist und die Küsten von Seeland und Schweden bis auf vier Kilometer einander sich nähern, liegt das stolze Schloß, das unsere Abbildung dem Leser zeigt. Vor mehr als 300 Jahren, 1577 bis 1585, von König Friedrich II. erbaut und stark befestigt, diente es lange Zeit dazu, die Erhebung des Sundzolls mit seinen Kanonen zu unterstützen und einem etwaigen Gegner die Durchfahrt zu versperren. Heute freilich ist das Schloß als Festung ohne Bedeutung, und der Sundzoll, der in früheren Jahren für Dänemark rund 71/2 Millionen Mark abwarf, ist 1857 um das hübsche einmalige Sümmchen von annähernd 70 Millionen Mark abgelöst worden. So ist das „Schloß am Meere“ zur prosaischen Kaserne geworden und nur die geschichtliche Erinnerung und schattenhafte Sagen erhalten ihm einen Schein seiner einstigen Bedeutung. Auf der „Terrasse vor dem Schlosse bei Helsingör“ läßt Shakespeare den Geist des ermordeten Dänenkönigs vor seinem Sohne Hamlet erscheinen und tief unten in den Kasematten sitzt Holger Danske, Dänemarks Schutzgeist, von dem Andersen uns erzählt und der hervortreten wird, wenn das Vaterland in Gefahr schwebt. Dem Reisenden aber, der heute Kronborg besucht, dem zeigt der Kastellan wohl auch die Zimmer, in denen die unglückliche Königin Karoline Mathilde, Christians VI. Gemahlin, gefangen saß, weil sie des sträflichen Einverständnisses mit dem Arzte und Kabinettsminister Struensee bezichtigt ward.

Es sind keine freundlichen Bilder, welche Geschichte und Sage aus Kronborgs Mauern hervorzaubern. Wer aber von ihren Schauern sich erholen will, der steige hinauf auf das platte Dach des südwestlichen Schloßthurms: da wird ihn die prachtvolle Aussicht über den Sund und hinüber nach der schwedischen Küste, wie landeinwärts über Seeland hinweg wieder erfrischen und das bewegte Treiben auf See zurückführen in die lebenswarme und lebensfrohe Gegenwart. =

Unsere litterarischen Beziehungen zu Holland haben wir kürzlich in einem kleinen Artikel auf Seite 323 unter dem Titel „Litterarisches Freibeuterthum“ gekennzeichnet. Wir haben dort die Thatsache berühren müssen, daß von dem Romane „Flammenzeichen“ von E. Werner, lange ehe er vollendet vorlag, in Holland bereits drei unerlaubte Uebersetzungen und zwar schlechte Uebersetzungen erschienen. Es will uns scheinen, als ob den Holländern nun doch selbst das Gewissen schlüge über diese Art von „Aufnahme der deutschen Kultur“. Wenigstens können wir nur so eine Auslassung verstehen, welche sich in dem „Arnhemschen Courant“ findet. Ins Deutsche übersetzt, lautet die Auslassung des holländischen Blattes folgendermaßen:

„Schon öfters ist darüber geklagt worden, daß deutsche Verleger freiweg holländische Romane ohne Nennung des Verfassers übersetzen und dieselben für sich oder in Zeitschriften herausgeben. Daß sie dafür den niederländischen Schriftstellern kein Honorar bezahlen und auch nicht um ihre Erlaubniß fragen, ist so schlimm nicht. Das Honorar würde doch nicht viel zu bedeuten haben, und wer würde wohl die Erlaubniß verweigern, wenn es sich mit eine Auszeichnung handelt Aber der Name könnte doch wenigstens genannt werden!

„Jetzt sehen wir aber zu unserer größten Verwunderung, wie eine deutsche Schriftstellerin, die auch in unserem Lande nur lobend genannt wird, ihren eigenen Namen über einen Roman stellt welcher wörtlich in der Zeitschrift ‚Nederland‘ steht, die laut Titelblatt ‚nur Originalbeiträge von niederländischen Schriftstellern‘ enthält. In ‚Onkel Leos Verlobungsring‘ giebt Fräulein W. Heimburg Wort für Wort den Inhalt von ‚Uit de nalatenschap van oom Frederick‘ von J. Kunst wieder, welche Geschichte in ‚Nederland‘ zu lesen ist. Nur die Namen der Personen sind geändert, Leo heißt Friedrich, Helena von Roland heißt Mina Visser etc.

„Das Unerhörte bei der Sache ist aber das: während Herr J. Kunst seine Novelle in die Mailieferung 1890 von ‚Nederland‘ aufnehmen ließ, hat Fräulein Heimburg die Unverschämtheit gehabt, ihr Plagiat in den ‚Gartenlaube‘-Kalender von 1889, welcher im Spätsommer 1888 erschien, aufnehmen zu lassen.

„Man kann bald fragen, wie das möglich ist?“

Ja, das wäre allerdings unerhört, wenn Fräulein Heimburg im Spätsommer 1888 eine im Mai 1890 erschienene Geschichte des Herrn J. Kunst abgeschrieben hätte! Das wäre mehr als „vierte Dimension“!

Nach unserem Dafürhalten hat der ehrenwerthe Herr Verfasser des Artikels in dem „Arnh. Courannt“ einen guten und löblichen Witz gemacht, indem er mit feiner Ironie seinem weniger ehrenwerthen Herrn Landsmann J. Kunst zu verstehen gab, daß es doch nicht ganz passend sei, das litterarische Hab und Gut seines Nächsten so „offen fortzutragen“. Wir aber entnehmen aus der ganzen Geschichte mit Vergnügen die Thatsache, daß „Onkel Leos Verlobungsring“ dem Herrn J. Kunst recht gut gefallen hat, sonst hätte er sich wohl nicht die Mühe gegeben, die Heimburgsche Novelle in einen „Originalbeitrag eines niederländischen Schriftstellers“ zu verwandeln. =

[676]

Allerlei Kurzweil.


Schachaufgabe Nr. 5.
Von Max Feigl in Wien.
Logogriph.
Scherzbilderräthsel.


SCHWARZ

WEISS
Weiß zieht an und setzt mit dem dritten Zuge matt.

Mit I für kurzen Zeitenraum
Bin ich der Menschheit nur verliehen,
Gleich einem goldnen Frühlingstraum
Sah mancher mich vorüberziehen.

Wohl dem, der bis ans kühle Grab
Mit T mich treu im Herzen hegte,
Den ich als fester Wanderstab
Durchs Leben zu geleiten pflegte.

Mit J verleih’ ich Kraft und Glanz
Doch bin vergänglich wie die Blume;
Mit T, ein hehrer Strahlenkranz,
Erglänz’ ich zu des Eigners Ruhme.
  Oskar Leede.

Buchstabenräthsel.
Charade.

Mit k bin ich ein fein Gebäck,
Ein süßer Leckerbissen,
Mit t bin ich ein würdig Weib,
Das Jugend längst muß missen.
  Ernst Kornrumpf.

Es hat der Leserin Herz und Sinn
Die erste eingenommen,
Das Lieblingsthema zumeist ich bin,
Wenn Mädchen zusammenkommen;
Die letzten zwei sind ein blühender Ort
In Rheinlands reichen Bezirken;
Es rauchen zahllose Essen dort,
Und fleißige Hände wirken;
Das Ganze mögest du nie versagen
Dem Armen, den das Geschick geschlagen.
  Oskar Wilda.

Homonym.
Räthsel.

Schreibt sich mein Wort am Anfang klein,
Schließt es viel Elend in sich ein,
Schreibt sich’s am Anfang groß, so ist
Es nöthig dir zu jeder Frist.   Oskar Leede.

Einen Platz vor jedem Gaste
Nimmt es bei der Tafel ein;
Mehr als gut ist’s ohne Füße,
Ja, das Beste kann’s nur sein!
  Emil Noot.

Kombinationsaufgabe.
Kreisräthsel.
Durch Umstellen der Buchstaben ist aus je zwei Wörtern ein neues
Wort zu bilden. Auf diese Weise wird aus:

1. Dee[1] + Nische – eine Ordnung der Amphibien,
2. Gas + Tondern – ein Wochentag,
3. Linde + Seine – ein bekannter Ort in der Schweiz, –
4. Lunge + Raub – ein deutsches Land,
5. Sonne + Trost – ein schwedischer Feldherr,
6. Barren + Zunge – ein österreichischer Dramatiker,
7. Leiden + Denar – ein europäischer Staat,
8. Elis + Ruben – eine bekannte Legirung aus drei Metallen,
9. Ruf + Semele – eine elektrische Erscheinung.
Die Anfangsbuchstaben der neun Wörter nennen einen Waldbaum.
  A. St.



  1. Dee ist ein Fluß in Schottland.

In den sechs keilförmigen Abtheilungen
dieses Kreises sind an Stelle
der Punkte Buchstaben zu setzen, so daß
Wörter von folgender Bedeutung entstehen:
I. Abtheilung: 1. Buchstabe,
2. Himmelsgegend, 3. italienischer Dichter,
4. Planet, 5. Singvogel.
Die von innen nach außen gelesenen Mittelbuchstaben
nennen eine organische Säure.
II. Abtheilung: 1. Buchstabe,
2. Fisch, 3. Himmelskörper, 4. deutsches Fürstenthum,
5. Name mehrerer syrischer Könige.
Die Mittelbuchstaben nennen ein Negerreich am Niger.
Dominoaufgabe.

A, B, C und D nehmen je sechs Steine auf. Vier Steine mit
zusammen 6 Augen bleiben verdeckt im Talon. C hat auf seinen Steinen
8 Augen mehr als D, aber 17 Augen weniger als B.
III. Abtheilung: 1. Buchstabe, 2. europäische Residenzstadt,
3. deutscher Virtuose und Komponist, 4. Person aus Schillers „Fiesco“,
5. deutscher Bildhauer.
Die Mittelbuchstaben nennen einen englischen Dichter.
IV. Abtheilung: 1. Buchstabe, 2. Vogel, 3. Laubbaum, 4. griechische Göttin,
5. berühmter Afrikareisender.
Die Mittelbuchstaben nennen einen französischen Schriftsteller.
V. Abtheilung: 1. Buchstabe, 2. Wahrheitsversicherung, 3. Vulkan,
4. italienische Provinz, 5. Tempel im alten Athen.
Die Mittelbuchstaben nennen eine Stadt in Serbien.
VI. Abtheilung: 1. Buchstabe, 2. Stadt in der Schweiz, 3. weiblicher Vorname,
4. Gattung der Wale, 5. berühmter italienischer Maler.
Die Mittelbuchstaben nennen eine Blume.
Ist alles richtig gefunden, so bezeichnen die Buchstaben des inneren
Ringes ein deutsches Drama und die Mittelbuchstaben der Wörter des
äußern Ringes nennen dessen Verfasser. A. St.      
A hat

A setzt Doppel-Vier aus und gewinnt dadurch, daß er die Partie
bei der fünften Runde mit Blank-Vier sperrt. B, C und D müssen
bei der dritten Runde passen.C behält auf seinen Steinen 14 und D auf
den seinen 18 Augen übrig. – Die Summe der Augen auf den 14 Steinen
der Partie beträgt 96.
Welche Steine lagen im Talon? Welche Steine behielten B und C?
Wie war der Gang der Partie? A. St.      



Soeben ist erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:
Gartenlaube-Kalender für das Jahr 1891.
Sechster Jahrgang.0 15 Bogen 8°.0 Mit zahlreichen Illustrationen.
Preis in elegantem Ganzleinenband 1 Mark.

Der Gartenlaube-Kalender 1891 enthält Novellen und Erzählungen von W. Heimburg, Hans Arnold u. A.,

belehrende und unterhaltende Beiträge beliebter Autoren, Illustrationen von bedeutenden Künstlern.

Die früher erschienenen Jahrgänge 1886–1890 des Gartenlaube-Kalenders sind zum Preise von je 1 Mark ebenfalls noch zu haben.
Bestellungen auf den „Gartenlaube-Kalender“ wolle man der Buchhandlung übergeben, welche die „Gartenlaube“ liefert.
–– Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. ––

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.