Die Gartenlaube (1890)/Heft 24

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1890
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[741]

Halbheft 24.   1890.
      Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahrgang 1890. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.



Sonnenwende.
Roman von Marie Bernhard.

(5. Fortsetzung.)


Jetzt brauste es auf unter den Händen Delmonts, machtvoll, gewaltig, dieselbe herrliche Bachsche Fuge, die Conventius’ Antrittspredigt in der Kirche zu St. Lukas eingeleitet hatte. Und Conventius erinnerte sich dessen – alle drei erinnerten sich. Majestätisch rollte sich das großartige Tongemälde vor ihnen auf, und wieder sah sich Annie Gerold halb hinter dem riesigen Pfeiler verborgen an Delmonts Seite und ließ diese wunderbaren Harmonien die Begleitung zu den auf- und abwogenden Stimmen

Der letzte Berliner Pfahlbau.
Zeichnung von Arthur Jensen.

[742] in ihrer aufgeregten Seele werden. Conventius betrachtete sie halb angstvoll, halb bewundernd. Was war es nur, das ihm so ahnungsvoll das Herz bewegte? War’s nur die Furcht, dies liebreizende Geschöpf, dessen Zauber ihn beim ersten Sehen schon umstrickt gehalten hatte, könnte sich nicht ihm, sondern dem Mann mit dem dunkeln, fesselnden, ausdrucksvollen Gesicht, der dort am Klavier saß, zuwenden, oder konnte es eine andere unerklärliche Bangigkeit sein, die ihn faßte?

Die Fuge war zu Ende, und der Spieler stand auf – mit ihm zugleich die beiden anderen Herren – wenn man denn ging, mußte es zusammen sein.

Thekla erwiderte die Abschiedsworte und Verbeugungen der Besucher mit einem kaum hörbaren Geflüster, ihre Kraft war erschöpft. Annies reizende Hand wurde zweimal sehr ausdrucksvoll geküßt, er, der sie am meisten bewunderte, am heißesten erstrebte, rührte sie nicht an … mit einer tiefen Verneigung trat er zurück.

Als die beiden Schwestern allein waren, drückte Annie nur zweimal auf den elekrischen Klingelzug, um Agathe herbeizurufen, damit sie Thekla beistände. Sie selbst war unfähig, nur eine Silbe zu sprechen, die Thränen benahmen ihr den Athem. In ihrem reizenden Mädchenstübchen mit den hellen Möbeln, den luftigen, blumendurchwirkten Vorhängen und Teppichen brannte bereits eine Lampe. deren Licht durch einen rothen Schleier hindurch einen sanften rosenfarbenen Schein verbreitete. Der kleine Kanarienvogel schlief schon, sein Köpfchen unter den Flügeln geborgen, er saß wie eine Federkugel auf seinem Stäbchen; vom Fenster her wehte fast betäubend der Duft der zahlreichen Frühlingsblumen, von einer zur Seite gerückten Staffelei sahen Richard Gerolds kluge, ernste Augen der Tochter entgegen.

Sie hielt sich an der Platte eines kleinen Marmortischchens fest, abgewandt vom Lampenlicht, als thäte selbst die zarte Rosenfarbe ihrem Blick weh, – das Köpfchen war tief herabgesunken, und rasch und dicht fielen nun die so lange zurückgedrängten Thränen nieder. Sie hatte sich so redlich „ihren Tag verdient“, sie war ganz erwartungsvolles Glück gewesen – vorüber! Zwei Zeilen eines Gedichtes von Chamisso wollten ihr nicht aus dem Sinn, die sagte ihr trauriges, enttäuschtes Herz ihr unaufhörlich vor:

„Nun ist der Tag verloren,
Auf den ich mich gefreut!“




9.

Keinen freundlicheren, willfährigeren Gesellen giebt’s oft auf der weiten Welt als den Zufall. Er führt Leute zusammen, die, sonst durch Tausende von Meilen voneinander getrennt, heute, gerade heute in dieser Stadt, an diesem Ort weilen und sonst vergeblich alles aufgeboten hätten, um einander zu sprechen; er verhindert Böses und bringt Verbrechen ans Tageslicht, deren Enthüllung scharfsinnige Juristen schon aufgegeben hatten, er führt liebende Herzen zusammen, entfernt unwillkommene Zeugen, räumt mit leichter, kluger Hand Hindernisse hinweg, schlägt aller Berechnung ein Schnippchen und führt seine Lieblinge leicht und glatt dem ersehnten Ziel entgegen. Es giebt Leute, denen er sich jederzeit dienstbar macht, die auf ihn bauen wie auf den zuverlässigsten Freund. „Es wird schon irgendwie gut werden, irgend etwas wird uns schon helfen!“ – und siehe da! der brave Helfer ließ sie auch wirklich nie im Stich.

Aber der Zufall hat einen Zwillingsbruder, der ihm ähnlich sieht und doch zugleich so verschieden von ihm ist wie nur möglich. Ein schadenfroher, heimtückischer Gesell ist’s, der seine Freude daran hat, die Menschen ganz dicht bis an das heiß ersehnte Ziel zu locken, um ihnen dann mit höhnischem Lachen den Rücken zu drehen. Gleich seinem Bruder wirthschaftet auch er nur mit ganz kleinen Mitteln: ein Zuspätkommen – ein Blick durch eine Glasthür – ein rasch aufgefangenes Wort – eine kaum nennenswerthe Verzögerung – ein vergessenes Taschentuch – ein Ring – ein verlorenes Armband – eine Blume … aber solch winzige, unscheinbare Sächelchen haben schon Ehen gelöst und Hofintriguen herbeigeführt, Zeitungskriege entfesselt und Skandalprozesse heraufbeschworen, und hinter all’ dem angerichteten Unheil steht mit bösem, spöttischem Gekicher der schlimme Zufall und triumphiert. Er trennt liebende Herzen und richtet es so ein, daß sie sich nie mehr wiederfinden oder doch nur dann, wenn sich ihnen ums Leben keine Gelegenheit zur Annäherung bietet – er kreuzt die Gedanken der Menschen und veranlaßt es, daß der Herr des Hauses beim Mahle eine Dame durch die ganze Breite des Tisches von einem Herrn trennt, dem diese gute Gelegenheit höchst wahrscheinlich die Zunge gelöst hätte, er richtet Verwirrung im Gehirn des Bedienten an und läßt ihn eine Einladung, von der vielleicht das Glück einiger Menschen abhing, um einen Tag zu spät anbringen, er macht, daß Leute, die einander wichtige Dinge in unaufschiebbarer Eile zu sagen haben, sich gegenseitig nie zu Hause finden, und führt ihnen unliebsame Persönlichkeiten gerade da zu, wo sie dieselben am wenigsten brauchen können. Und wenn dann die Menschen weinen und fluchen und toben oder seufzen und traurig sind, dann hat der Bösewicht recht sein Fest an ihrem Kummer!

Solch einem bösen Zufall glaubte sich Annie Gerold, bisher ein Schoßkind des Glückes und von dem guten Zwillingsbruder gehörig verzogen, nun rettungslos verfallen! Wenn sie sich auch sagte, Delmonts Neigung zu ihr – sie wagte kaum mehr, das Wort „Liebe“ zu denken! – werde durch ein ärgerliches Zusammentreffen nicht augenblicklich den Todesstoß erhalten … wer weiß, was ihm angesichts Reginalds von Conventius für Gedanken, für neue Gesichtspunkte gekommen waren! Der Rittmeister zählte für Annie nicht mit, er wäre sehr empört gewesen, wenn er dies gewußt hätte, aber die Thatsache war da. Das junge Mädchen sah ihn nur als einen unbequemen Störenfried an, der eine an sich schon unbehagliche Lage noch unbehaglicher gemacht hatte. Aber Reginald! Er, so schön, so begabt, so gut gestellt! Und über seine Absichten konnte man kaum in Zweifel sein, Annie war es keinen Augenblick seit seinem letzten Besuch gewesen, und Delmont mußte es ebenso ergehen. Delmont hatte noch kein bindendes Wort zu ihr gesprochen, nur seine Augen hatten eine deutliche Sprache geführt – nun, das bewies noch nichts, das legte nicht die leiseste Verpflichtung auf! Er konnte denken, Reginald sei der bevorzugte Bewerber; leicht empfindlich, reizbar, mißtrauisch wie er war, konnte er stillschweigend zurücktreten und jenem das Feld räumen, ohne nur noch einen Versuch zu seinen eigenen Gunsten zu machen. Seinem leidenschaftlichen, stolzen Wesen hätte das ganz ähnlich gesehen.

Eben weil Annie Gerold ein Glückskind war, traf sie diese Enttäuschung besonders hart. Es handelte sich um ihr Lebensglück, und dies schien ihr jetzt vernichtet. Mit aller Leidenschaft ihrer jungen, reichen Seele hatte sie diesen Mann geliebt, ihn für sich ersehnt, mit derselben Leidenschaftlichkeit hielt sie ihn jetzt für sich verloren. Sie hatte in der Nacht schlecht geschlafen und viel geweint, und sie fühlte sich wenig entlastet von ihrem Kummer. Die köstliche Frühlingssonne, die in ihr Zimmer hereinleuchtete, erschien ihr wie ein Hohn, das geschäftige Treiben auf den Straßen kam ihr unerquicklich und zwecklos vor. Ganz in aller Frühe schon schickte Frau Hedwig Weyland zu ihr: es sei ein so wundervoller Frühlingstag, ob sie nicht um halb zwölf Uhr in Heinrichslust mit einander zusammentreffen und dort ein paar Stunden verbleiben wollten; der Park sei um diese Jahreszeit zauberhaft.

Meinetwegen! Annie war es ganz gleichgültig, wo sie sich befand und was sie trieb! Ihren Gedanken konnte sie doch nicht ungestört nachhängen, sicher würde Besuch kommen oder sie sollte Thekla vorlesen … da war es am Ende noch besser, mit der stets liebenswürdigen, feinfühlenden Hedwig zusammen zu sein und sie zum lebhaften Geplauder zu veranlassen. Man sagte dann ab und zu „ja – nein – nicht möglich – gewiß –“ und damit war es abgethan. In ihrem ungestümen Herzenskummer machte sich’s Annie nicht klar, daß solche Antworten bei ihr bisher zu den Unmöglichkeiten gehört hatten und deshalb einer klugen Frau viel zu denken geben würden.

Agathe kam diensteifrig herein. „Was wünscht mein Vögelchen anzuziehen? Hier – nicht wahr – das lichtblaue Kleid und den großen gleichfarbigen Hut mit der langen, weißen Straußenfeder? Heut ist ja der erste Mai und ein Wetter wie mitten im Juni, fünfzehn Grad schon jetzt, wie wird das erst gegen Mittag werden? Schade, daß in Heinrichslust vormittags nicht so viele Menschen sind, die Hauptmasse kommt da erst nachmittags heraus, ebenso die schönen Wagen. Jetzt noch den weißseidenen Shawl über den Arm! Alles weiß und blau – es muß doch schön stimmen, nicht wahr, mein Töchterchen?“

[743] Meinetwegen – alles weiß und blau! Es war Annie alles einerlei; was fragte sie danach!

„Hör’ einmal, Herzenskind, der Lamprecht murmelte da so etwas davon, Du wolltest Deine Blumen wegschicken. Ich habe wohl nicht recht verstanden!“

„Doch! Er soll sie alle im Lauf des Vormittags zu Herrn Pfarrer von Conventius hinschaffen lassen, hier ist die Adresse.“

„Alle Deine Blumen?“

„Alle meine Blumen, ja!“

„Zu dem schönen Blonden, der gestern hier war? Schickt sich denn das auch, Vögelchen? Die Herren haben doch sonst Dir Blumen geschenkt!“

„Du kannst beruhigt sein. Die Blumen sind nicht für ihn, sondern für einen Gefangenen, der zum Tode verurtheilt ist!“

„Zum Tode! Ach Du mein Gott!“ Agathen war der Schreck in die Glieder gefahren, sie mußte sich setzen. „Was Du aber auch für ein Herz hast! Wie von lauterem Gold, sogar Mörder und Räuber mußt Du noch erfreuen! Ja, ja, der Mann, der mein Vögelchen ’mal bekommt, der kann lachen! Und es sieht in dem Kleid und dem Hut zum Verlieben schön aus!“

Es war richtig, Agathe hatte nicht übertrieben, Annies Spiegel sagte dasselbe. Sie hatte sich sonst ehrlich und unbefangen dessen gefreut, heute ließ es sie kalt – für wen sollte sie schön sein?

Aber der freundliche, lustige Zufall, der, welcher es gut mit den Menschen meint, nahm sich Annie Gerolds an und wollte seinem Liebling das vergüten, was der schlimme andere Bruder gestern an ihm gesündigt hatte. Er gab Annie den Gedanken ein, sie müsse Lamprecht doch noch selbst Bescheid wegen der Blumen sagen, da Agathe zuweilen etwas vergeßlich war; und so kam es, daß sie, um zum Treibhaus zu gelangen, in welchem der Alte jetzt herumhantierte, ihren Weg durch den Garten nahm und, nachdem sie ihren Auftrag ertheilt hatte, durch eine Hinterpforte eben dieses Gartens eine kleine, stille Seitenstraße gewann, auf welche besagtes Pförtchen mündete. Sie kam hier, wenn auch auf einem ganz anderen Wege, ebensogut zur Pferdebahn, die sie nach Heinrichslust bringen sollte; sie konnte aber nicht wissen, daß unterdessen ein Bote von Frau Hedwig Weyland durch die Hauptstraße auf ihr Haus zueilte, um ihr zu sagen, das Zusammentreffen sei leider im letzten Augenblick vereitelt worden, da Frau Weyland unerwartet auswärtigen Besuch bekommen habe. Der Bote erfuhr, das Fräulein sei schon fort, Annie aber setzte sich ahnungslos in die Pferdebahn und fuhr ihrem Schicksal entgegen.

Heinrichslust war ein reizendes Rokokoschlößchen, von einem großen Park umgeben, ehemaliger Besitz eines Prinzen, dessen Namen es trug und der viel zur Ausschmückung des Schlosses und Erweiterung wie Verschönerung des Parks gethan hatte. Seine Nachkommen hatten aus Mangel an Geld Schloß und Park an die Väter der Stadt abgetreten, die dafür einen hübschen Kaufschilling hergaben, weil es der stark bevölkerten Stadt lange schon an einem geräumigen Platz für ihre Spaziergänge und Vergnügungspartien gemangelt hatte. Seit vielen Jahren bildete nun Heinrichslust das beliebteste Ziel der Bewohner von F. Eifrige Fußgänger wanderten dorthin, schöne Equipagen brachten die wohlhabende Bevölkerung heraus, die Pferdebahn that das übrige; man fuhr vom Wasserthor eine knappe halbe Stunde, dann erblickte man die an einen mäßigen Hügel gelehnten schönen Parkanlagen, den Fluß, der sich in allerlei anmuthigen Windungen unter Brücken von Balkenwerk, Stein oder ungeschälten Birkenästen hervorschlängelte, einmal sich sogar dazu verstand, einen Wasserfall in einer Felsgrotte darzustellen, was sich abends bei bengalischem Feuer sehr malerisch ausnahm – und endlich auch das Rokoko-Schloß. Ein strebsamer Restaurateur hatte darin eine altdeutsche Wirthschaft eingerichtet, um welche herum er eine Menge von gußeisernen Gartenmöbeln gruppiert hatte.

Die Pferdebahn war dicht besetzt, aber bei Annies Erscheinen sprangen ein paar höfliche Herren auf, um ihren Platz anzubieten, für welche Liebenswürdigkeit sie sich durch unausgesetztes neugieriges Anstarren der schönen jungen Dame zu entschädigen suchten. Sonst wäre dies Annie lästig gefallen – heute achtete sie nicht darauf. Nur als eine Thurmuhr in der Nähe einer Haltestelle elf Uhr schlug, zog sie ihr Taschenührchen und überzeugte sich, daß sie zu ihrem Stelldichein entschieden zu früh kommen würde. Nun gut, dann suchte sie ihre Lieblingsplätze auf und ging erst um halb zwölf Uhr an die ihr von Hedwig bezeichnete Stelle. In ihrer Ungeduld, von Hause fortzukommen, Theklas fragenden Augen aus dem Wege zu gehen, hatte sie sich zu zeitig aufgemacht.

Wie die Pferdebahn jetzt Halt machte, sprang Annie eilfertig hinaus und bog von dem übrigen Schwarm ab, der unverweilt den breiten, sanft aufsteigenden Pfad zum Schlößchen und zum Restaurationsgarten verfolgte. Das junge Mädchen kannte jeden Schleichweg, jedes Eckchen des weitläufigen Parks; ihr Vater hatte ihn sehr geliebt und war oft mit ihr herausgefahren, um Arm in Arm mit dem Liebling, abseits von den beliebten Wegen, die grüne Wildniß mit ihm zu durchstreifen. Was war da alles zur Sprache gekommen! Für alles hatte der Vater Interesse gehabt, sein Vögelchen konnte ihm vorzwitschern, was es nur wollte: von seinen neuen, hübschen Kleidern, den Aufgaben zu den Stunden, den Freundinnen, den Büchern – kraus durcheinander sprudelte es von den jungen Lippen, und nie gab es ein Zweifeln, ein Stocken … es war ja so einfach! Der Vater war ihr liebster, bester Freund, er liebte sie mehr als alles auf der Welt, wie hatte ihr Kinderherz nicht vor ihm liegen sollen wie ein offenes Buch?

Würde es auch heute so vor ihm liegen, wenn er neben ihr wäre? Ach, es war eben kein Kinderherz mehr! Nie gekannte Schauer, ahnungsvolle Träume durchbebten es, und es sehnte sich, sehnte sich grenzenlos nach dem Einen, der verstanden hatte, es zu wecken, der aus dem harmlosen Mädchen ein liebendes Weib gemacht hatte!

Am Saume des äußeren Parks entlang führte ein schmaler, fester Weg; den ging Annie, bis sie an einen Graben kam, der halb mit vorjährigem Laub angefüllt war. Eine kleine, etwas baufällige Brücke führte hinüber und geradeswegs auf eine verquollene Lattenthür zu, die Annies Hände mit einiger Mühe öffneten. Dafür war sie jetzt auch allein, ganz allein in einem der abgelegensten, unbekanntesten Theile des Parkes. Hier gab es keine Aussichtspunkte, keine Tempel und Borkenhäuschen, aber darum war es der einsam Wandelnden auch wahrlich nicht zu thun. Junge Birken standen am Wegrande und schwenkten, von der linden Mailuft bewegt, sacht ihr lustiges, grünes Fähnlein, weiter hinein standen ernste Gruppen kräftiger Buchen und Ulmen beisammen, und zu ihren Füßen breitete sich’s blüthenweiß aus, die Windröschen waren es, die lieblichen Anemonen, zu hundert und aberhunderten wachgeküßt vom Maisonnenstrahl; ganz strahlend frisch und fleckenlos lächelten sie zum blauen Himmel empor, manche noch halb zusammengerollt, langsam ein Blättchen nach dem andern aus der Knospenhülle lösend! Weiter blühte hier noch nichts, im tiefsten Schatten standen die grünen Blatthülsen der Maiglöckchen, aber ihre Blüthen waren noch winzig klein und hellgrün, die hatten ihre spröden Aeuglein noch nicht aufgeschlagen. Die Luft jedoch war von einem würzigen Hauch durchzogen, von dem frischen, herben Duft, wie das junge Laub ihn spendet, das, vom Nachtthau gekühlt, von der Sonne durchwärmt, dem Menschen die alte, ewig neue Kunde vom Frühling ins Herz hineinschmeichelt, der alle Wunden zu heilen, alle Schmerzen zu lindern verspricht.

Annie bückt sich, pflückt eine Handvoll Anemonen und steckt sie sich an die Brust. Ach, wie wohl ihr die Einsamkeit that inmitten der aufsprossenden Natur! Wenn doch Hedwig, die gute, prächtige Hedwig, heute lieber nicht käme, wenn sie doch allein bleiben könnte!

Aber nein, das kann sie nicht! In die sie umgebende tiefe Stille fällt ein Geräusch, wie wenn etwas in leichtem Trab auf der weichen Erde näherkommt – ein kurzes Schnaufen, da biegt er um die nächste Baumgruppe, der kluge, schöne Neufundländer; er bleibt stehen, legt den Kopf ein wenig zur Seite und wedelt mit dem buschigen Schweif, als wollte er sagen: ich weiß, wer Du bist – aber warten wir lieber doch ab!

„Ego!“ Mit versagenden Knieen, mit stockendem Herzschlag stößt Annie das Wort heraus. Es ist doch nicht möglich, gerade heute, gerade hier! Haben ihre unablässigen Gedanken, hat ihr sehnsuchtgequältes Herz ihn, der jetzt langsam auf sie zuschreitet, ihr entgegengeführt?

Noch sieht er sie nicht; seinen breitrandigen Hut in die Stirn gerückt, kommt er tief in Gedanken daher und stutzt erst, als er den Hund mitten im Wege stehen findet.

Dann aber …

Er vergißt es, als höflicher Mann seinen Hut vor der Dame zu ziehen. Ungestüm eilt er auf sie zu, faßt ihre Hände beide, sieht ihr prüfend in die Augen und nennt leise ihren Namen: „Annie!“

[744] In ihr ist nichts mehr von Schreck und von Aufregung.

Er ist bei ihr, er hält ihre Hände fest in den seinen, er sieht sie unverwandt an, sie sind beide allein in der schönen, wonnigen Maienwelt … es sollte so sein!

Jetzt besinnt sich Delmont, läßt ihre Hände sinken, zieht den Hut. „Sie müssen mir verzeihen, ich bin zu glücklich, Sie zu sehen, wie ein holdes Wunder hier erscheinen zu sehen! Ich habe eine böse Nacht gehabt!“

„Ich auch!“ fällt sie ein, als spräche sie etwas Selbstverständliches. Seine Augen leuchten auf.

„Sie auch? Sehen Sie, Annie, ich hatte Angst, ich wußte es ja, konnte es denken, daß Sie zahlreiche Bewerber finden würden, aber ein so seltener Mann wie Conventius –“

„Ja, er ist ein seltener Mann!“ Sie giebt das zu mit strahlendem Blick und steht hoch aufgerichtet da unb sieht ihm in die Augen, ohne mit den Wimpern zu zucken.

„Ich hatte mir eingebildet, damals schon in der Kirche, als wir zwei allein waren unter den vielen, hätten Sie mich verstanden, und neulich in der Gemäldeausstellung gleichfalls, obgleich ich dort nicht sprach, nicht sprechen konnte! Ich hatte gehofft, Sie verstünden mich ohne weitere Worte, als ich Ihnen zuletzt sagte, ich würde kommen.“

„Sie hatten ein Recht, das zu denken!“

„Aber als ich nun kam und Sie nicht allein fand, da kam der Zweifel, die Angst, das Mißtrauen. Ich mag nichts beschönigen, nichts verbergen, Sie sollen mich sehen, wie ich bin! Keine weiche, liebenswürdige Natur, nein! Voll Selbstbewußtsein und Trotz und nagender Eifersucht! Ich habe meine Hand nicht ausstrecken wollen nach Ihnen, habe mir versagt, wonach meine Seele hungerte, denn ich hatte einen ernsten schwerwiegenden Grund dafür! Es half mir nichts! Alles, was ich in meinem düsteren Leben entbehrt habe an Jugend, an Glück, an Sonnenschein, das steht verlockend vor mir und zieht mich hinüber – Annie – mein Herz, mein Entzücken!“

Er hatte mit bebenden, verlangenden Händen sein Glück an sich gerissen und hielt es nun fest an seinem wildhämmernden Herzen. Mit demselben strahlenden, zuversichtlichen Blick sah Annie auch jetzt noch zu ihm empor, bis er sich neigte und die wunderschönen Augen küßte, damit sie es nicht sehen sollten, wie er mit den Thränen kämpfte.

Es blieb lange still. Wankende Goldlichter irrten über die beiden hin durch die kleinen grünen Blätter, über welche der Wind hinstrich. Noch erzeugte er nicht das majestätische Brausen, das wie Meeresbranden in den voll belaubten Wipfeln klingt. Ein heimlicher Flüsterton war’s nur, wie wenn die Natur es noch nicht wagt, laut zu reden, gleich den beiden Herzen, die auch noch kein Wort fanden für ihr großes Glück.

Unter ein paar knorrigen, noch spärlich belaubten Eichen stand eine niedrige Steinbank. Zu der führte Delmont seine junge Braut, aber er nahm nicht Platz an ihrer Seite. Ihr zu Füßen kniete er nieder ins weiche Moos und legte ihre weiche Hand auf seine Stirn, über seine Augen, preßte sie an seine heißen Lippen. Eine seltsame Demuth war über den stolzen, eigenwilligen Mann gekommen, es war, als überwältigte ihn sein Glück, und als Annie schüchtern zu reden begann, hörte er ihr stumm zu, und endlich sagte er mit einer von innerer Bewegung gänzlich umflorten Stimme:

„Du mußt verzeihen, ich kann noch nichts ordnen, nichts denken. Ich – und Glück! Ich hab’ mir’s versagen wollen, versagen müssen – nun hab’ ich mir selbst mein Wort gebrochen, bin treulos geworden gegen mein eigenes Ich! Es ist alles in mir aus den Fugen – wer immer im Dunkeln war … wie soll den die Sonne nicht blenden? Laß mich hier still so liegen; wie soll ich Dir sagen, wie es mir ums Herz ist? Ein anderer soll für mich sprechen, ein Dichter! Vielleicht kennst Du es, was Rückert zum Schluß seines ‚Liebesfrühlings‘ sagt!“

Er legte sein Haupt auf ihre Kniee und schloß die Augen, während er sprach:

„Mir ist, nun ich dich habe,
     Als müßt’ ich sterben.
Was könnt’ ich, das mich labe,
     Noch sonst erwerben?
Mir ist, nun ich dich habe,
     Ich sei gestorben.
Mir ist zum stillen Grabe
     Dein Herz erworben.“

Seine Stimme war tonlos geworden bei den letzten Worten – nun schwiegen sie beide, und um sie her war geheimnißvolles Frühlingsweben!




10.

„Wilhelm, was wollte der Herr Direktor von Dir? Doch nichts Unangenehmes vorgefallen?“

Frau Christine Remmler, eine zarte Gestalt im Anfang der vierziger Jahre, mit einem farblosen, gutmüthigen Gesicht, trug ihrem Mann eine kurze gestopfte Pfeife und einen Topf mit Kaffee an den Tisch; dazu sah sie ihm besorgt nach den Augen.

„Nein, nein, Tinchen! Kannst ruhig sein! Ich thu’ meine Pflicht, das wissen der Herr Direktor, daher kommen wir zwei auch nicht aneinander. Er hat mir bloß zu wissen gethan, daß heut für Nummer achtundfünfzig Blumen ankommen sollen.“

„Nummer achtundfünfzig? Das ist ja doch der Schönfeld?“

„Ja, der Schönfeld!“

„Und dem wollen sie Blumen aufs Zimmer stellen?“

„Ja, – Blumen!“

Die Frau schlug die Hände zusammen.

„Mann, ich bitt’ Dich. sitz’ nicht so da wie ein Oelgötz’ und laß’ Dir die Worte buchstabenweis’ aus dem Munde ziehen! Sag’ mir, was Du weißt! Hat er irgendwo eine Liebste?“

Remmler nahm einen Schluck Kaffee zu sich und that ein paar heftige Züge aus seinem Pfeifchen.

„Ihr Weiber, Ihr! Immer gleich Liebschaften! Nein, da kennst Du den Direktor schlecht, zu so was giebt der sich nicht her, wär’ auch gegen jedes Reglement! Die Liebste, die auf Nummer achtundfünfzig die Blumen schickt, das ist unser neuer Prediger, und aus guter Meinung thut er das! Er will nicht haben, daß die arme, verlorene Sünderseele so mir nichts dir nichts in die Hölle fährt, und darum wirbt er um sie, als wär’s wirklich seine Liebste. Ich hab’ ja auch schon Bücher von ihm hintragen müssen!“

„So? Davon hast Du mir aber nichts gesagt, Wilhelm!“

„Zu was soll ich Dir alles erzählen? Damit es die Webern und die Bartschin und die Winzern nach zehn Minuten erfahren?“

„Warum nicht gar die Bartschin! Nein, die Bartschin schon gar nicht, mit der hab’ ich mich Mittwoch erzürnt, und die Winzern ist ein Plappermaul!“

„Hm!“

„Was hat denn der Schönfeld gesagt, wie Du ihm die Bücher brachtest?“

„Der – und sagen! Und zu mir noch! An mich wendet der nicht viel, der hat’s mit der höheren Bildung, in dessen Augen bin ich doch bloß eine ganz ordinäre Kreatur. Ein Schließer beim Gefängniß und ein – wie sagen sie doch gleich? – ein Parteiführer! Ja, aber diesmal hat er doch was verlauten lassen, gefragt hat er, ob der Herr Prediger denn nicht wiederkäme!“

„Ach du liebe Zeit! Dann will er sich gewiß von seinen Sünden bekehren lassen!“

„Na, danach hat er mir gar nicht ausgesehen; ich will Dir’s sagen, was es bei ihm war: neugierig ist er! Wie ich neulich die Gefangenen im Hof ihren gewöhnlichen Gang machen ließ, – natürlich Nummer achtundfünfzig abgesondert von den anderen, als schwerer Raubmörder, – da hat er zufällig gehört, wie zwei zusammen über unseren neuen Herrn Pfarrer sprachen, daß er ein Adliger und mit seinem Vater und der ganzen vornehmen Verwandtschaft entzweit wär’, weil er hat geistlich werden wollen und nicht Offizier, bloß um deswillen, weil er den lieben Gott über alles setzt und ihm allein dienen will, und wie er so schön ist und gut und jedem Armen überreichlich giebt, und wie er mit seiner Rede den Leuten kann das Herz herumdrehen – und so allerhand noch von ihm – da hat Nummer achtundfünfzig den Kopf hingedreht und zugehorcht, das sah ich wohl, und nun möcht’ er gern den geistlichen Herrn wiedersehen – siehst Du wohl!“ –

Ein scharfer Glockenzug setzte Remmlers Rede ein Ziel; Frau Christine ging durch das große, saubere, zweifenstrige Zimmer in ihre kleine Küche und schloß die Thür auf.

Ein Dienstmann mit einem großen Tragkorbe trat ein und begann unverweilt auszupacken – Blumen, nichts als Blumen, eine ganze Flora, ein Stock immer schöner als der andere.

Frau Remmler schlug wieder die Hände zusammen.

„Nein, aber die Pracht! Mann, so komm’ doch und sieh!

[745]

Auf der Studienreise.
Nach einem Gemälde von Mathias Schmid.

[746] Wahrhaftig – Flieder – und Veilchen – und Maiblumen – und sonst noch allerlei!“

„Ja, ja,“ sagte der Dienstmann, „solch ’ne Bescherung habt Ihr wohl noch nie hier im Gefängniß gehabt! Da muß einer lieb’ Kind bei den hohen Herren sein, oder aber, sie machen ihn bald ’nen Kopf kürzer und thun ihm zuguterletzt noch dies und das an. So soll’s ja immer sein, wenn einer zum Tod verurtheilt wird. Aber Blumen für so ’ne Kanaille, na, das müßt’ mich trösten! Guten Tag auch!“

Damit schob er sich zur Thür hinaus.

Remmler setzte mit einem Seufzer sein Pfeifchen weg.

„So, Mutter, ich muß das gleich ’rüber besorgen! Gieb mir das Gretchen mit.“

„Das Gretchen? Zu einem Mörder?“

„Das Gretchen zum Tragen von den Blumen! Laß’ doch den armen Sünder ihr liebes, unschuldiges Gesichtchen sehen!“ Er öffnete das Fenster, das auf ein kleines, sorgfältig bestelltes Gärtchen sah.

„Gretchen!“

„Ja, Vaterchen!“ gab eine Kinderstimme zurück.

„Komm’ einmal herein! Ich hab’ was für Dich zu thun!“

Ein blondes Kind von zwölf Jahren, dem der dicke Zopf über den Rücken hing, kam in die Küche gesprungen und blieb wie versteinert an der Schwelle stehen.

„Ach, die Blumen!“ sagte es endlich ganz gepreßt. „Die himmlischen Blumen! Vaterchen, wer soll die denn haben?“

„Einer von den armen Gefangenen, Grete! Unser Herr Pfarrer, schickt sie ihm!“

„Der Herr Pfarrer! Vaterchen, er hat neulich mit mir gesprochen, ganz lange, kann ich Dir sagen. ‚Bist Du Gretchen Remmler?‘ fragte er zuerst und wie alt ich bin – wo ich zur Schule geh’ – ob ich schon der Mutter helfe – und über meinen Zopf hat er sich so gefreut! So schön und so gut, wie der aber auch ist, ist kein anderer Prediger! Und nun sollen wir zusammen die Blumen hintragen, ja?“

„Jawohl, Grete! Hier, such’ aus, was Du am leichtesten tragen kannst, die schweren nehme ich!“

Vater und Tochter hatten einen ziemlich weiten Weg von der Schließerwohnung bis zu der Abtheilung für die „schweren Gefangenen“. Treppauf und -ab ging’s, über lange, halbdunkle Gänge und wunderliche Winkel – das Gefängniß war ein altes, weitläufig gebautes, wetterfestes Haus – oft mußte Gretchen ihre blühende Last absetzen, um ein wenig Athem zu schöpfen. Endlich war man an Ort und Stelle. Remmler setzte alle Töpfe zur Erde, hieß sein Töchterchen dasselbe thun und öffnete die Zellenthür mit einem Schlüssel des umfangreichen Bundes, den er am Gürtel trug.

Schönfeld saß, mit beiden Ellbogen aufgestützt, an seinem Tisch und las. Er war so vertieft, daß er seine Augen erst von dem Buch erhob, als Remmler dicht vor ihm stand.

Er empfand eine gewisse Vorliebe für den Schließer, der seine Gefangenen nie, um sich ein Ansehen zu geben, barsch anließ, auch nie mit seiner Stellung Mißbrauch trieb, sondern die Leute alle ohne Ausnahme mit immer gleicher, etwas wortkarger, aber nicht unfreundlicher Art behandelte.

„Zu solch’ ungewöhnlicher Stunde, Herr Remmler?“ fragte der Gefangene erstaunt.

„Sehen Sie nur, was ich Ihnen bringe!“ sagte der Schließer lächelnd. „Komm’ herein, Grete!“

Und sie kam und schleppte mit freudestrahlendem Gesicht eins nach dem andern herein: Veilchen und Maiblumen, Tazetten, Hyazinthen und das Fliederbäumchen; nacheinander stellte sie alles auf dem großen schlichten Holztisch auf, und dann trat sie zurück und sah dem Gefangenen nach den Augen.

Die leuchteten ganz seltsam, wie sie nach den Blumen schauten, – sie hatten wohl lange keine mehr erblickt. Scheu stand der Mann, der nicht gezögert hatte, ein Menschenleben zu vernichten und seine Hände nach fremdem Eigenthum auszustrecken, gleichviel, zu welchem Zweck – scheu stand er von fern und sah zu den Blumen hinüber, die ihren lieblichen Duft ebenso verschwenderisch in der Zelle des Verbrechers ausströmten wie vor wenigen Stunden in dem reizenden Boudoir der schönen Annie Gerold.

„Unser Herr Prediger schickt sie!“ unterbrach endlich Remmler die tiefe Stille.

Der Gefangene neigte ein wenig sein Haupt zum Zeichen, daß er verstanden habe, und sagte nach einer kleinen Weile, wie zu sich selber redend:

„Hab’ ich doch den Anblick noch vor meinem Tode!“

Remmler winkte ihm mit den Augen nach Gretchen hin, er möge nicht weiterreden, zugleich vernahm man aus der gegenüberliegenden Zelle ein anhaltendes starkes Klopfen gegen die Thür und eine dumpfe Stimme, die unverständliche Worte rief.

Der Schließer öffnete die Thür zum Flur und horchte hinaus.

„Herr Remmler!“ klang es jetzt vernehmbar herüber. „Sind Sie nicht hier? Ich habe doch deutlich Schritte gehört, und Ihren Tritt kenne ich ja!“

„Ich bin hier!“ rief Remmler zurück. „Was wollen Sie von mir?“

„Bitte, kommen Sie auf ein paar Minuten zu mir, ich habe Ihnen etwas zu sagen!“

Der Schließer blickte unschlüssig von Schönfeld auf Gretchen.

„Wo soll ich Dich solange lassen, Kind?“

„Mich?“ fragte die Kleine verwundert. „Ich bleibe hier, Vaterchen, und helfe, die Blumen ordentlich aufstellen!“

„Nun gut! Ich werde mich beeilen, bald wiederzukommen!“ Damit ging er, die Thür hinter sich verschließend.

Gretchen Remmler war klein für ihre zwölf Jahre, ein zierliches, zartes Kind. Das schönste an ihr waren die großen blauen Kinderaugen, in denen ein ganzer Himmel von Unschuld und Güte lag. Eltern, Lehrer, Mitschülerinnen, Gespielen – keines von ihnen konnte dem Blick dieses Kindes auf die Dauer widerstehen, es war, als sähe man durch einen krystallklaren Spiegel geradeswegs in das kleine Herz hinein, wie es nur Wohlwollen, Vertrauen und Liebe in sich barg.

Mit diesen Augen blickte das Kind jetzt an dem vor ihm stehenden Mann in die Höhe, und diesem wurde seltsam zu Muthe dabei. Immer, von Jugend auf schon, hatte er Kinder lieb gehabt und sich gern mit ihnen abgegeben. Kinder und Blumen! Eine merkwürdige Liebhaberei eines zum Tode verurtheilten Einbrechers und Mörders!

Plötzlich kam ein banger, ängstlicher Ausdruck in Gretchens Gesicht, sie erinnerte sich der halb geflüsterten Worte des Mannes, der da vor ihr stand, als er die Blumen gesehen hatte, und wie der Vater ihm ein Zeichen gemacht hatte, er solle schweigen … das hatte sie recht gut bemerkt!

Sie setzte ein paar Mal an, um zu sprechen, und ihre kleine Brust hob und senkte sich rasch unter ihrem beschleunigten Athem. Endlich fragte sie stockend und so leise, daß Schönfeld sich tief zu ihr niederbeugen mußte, um sie zu verstehen:

„Ist das wahr, was Du eben gesagt hast, daß Du sterben mußt?“

Es that dem Mann leid, daß die Kleine seine Worte verstanden hatte, aber nun war es zu spät! Sie würde andere fragen und dennoch die Wahrheit erfahren, selbst wenn er sie ihr jetzt verschwieg. Und so nickte er und sagte: „Ja!“

Das Kind sah ihn scheu von der Seite an, und es war, als wenn es von ihm zurücktreten wollte, aber dann bezwang es sich und fagte sehr ernst:

„Betest Du denn auch viel zum lieben Gott, daß er Dich in seinen Himmel hineinnimmt?“

Ein bitteres Lächeln verzog die Züge des Gefangenen.

„Von so bösen Sündern, wie ich einer bin, will Dein lieber Gott gar nichts wissen, mein kleines Mädchen.“

Furchtlos, mit leuchtendem Blick, sah ihm das Kind von neuem ins Gesicht.

„Dann weißt Du nichts von ihm und kennst ihn gar nicht, wenn Du das sagen kannst! Liest Du denn nie in der Bibel? Da steht von so vielen Bösen, die alle schwere Sünden gethan haben, und der liebe Gott hat ihnen doch verziehen und sie alle, alle in den Himmel genommen. Und wenn unser Herr Prediger Dir verziehen hat – verziehen muß er Dir haben, hätte er Dir sonst all’ die Blumen geschenkt? – wie soll Dir unser Gott nicht verzeihen, der tausendmal besser und schöner ist als alle Menschen auf der Welt zusammen? Siehst Du wohl, jetzt thut es Dir leid!“

Gretchen war allmählich in Eifer gerathen, und tausendmal beredter als ihre Worte sprachen ihre Augen, aus denen die heiligste, unerschütterlichste Ueberzeugung redete, die nur aus einem gläubigen Kinderherzen kommen kann. Und als sie nun [747] sah, wie der Mann vor ihr fahl im Gesicht wurde und sein Mund zu zucken begann, da hatte sie triumphirend geschlossen: „Siehst Du wohl, jetzt thut es Dir leid!“

Ja, es that ihm leid! Das blonde Kind vor ihm, das mit seinem klaren Stimmchen aus seinem kleinen, einfältigen Herzen heraus so eindringlich zu ihm sprach, und der Blumenduft, der ihn sanft umschmeichelte, der Sonnenstrahl, der warm und golden durch das Fenster sah, rüttelten an seiner Seele. Oeffneten sich nicht dort die Blumenkelche, und stiegen aus ihnen nicht Traumgestalten auf, die er lange, lange für immer begraben wähnte? Fromme Wünsche und gute Vorsätze aus Kindertagen, ach, und fernes, fernes Kirchenglockengeläut’ und liebe, halbvergeßene Gesichter, und endlich die Gestalt, die Stimme, die er nicht hatte von sich bannen können, ob er’s auch noch so ernstlich gewollt, die Gestalt und Stimme des Mannes, den er mit Spott und Hohn von sich gewiesen und der kein hartes Wort für ihn zur Erwiderung gefunden, der ihm Bücher geschickt und Blumen und ihn voll tiefen Erbarmens angesehen hatte aus seinen schönen, mitleidigen Augen! Es konnte diesem Prediger doch gleichgültig sein, was am Ende mit der sündigen Seele eines Verworfenen geschah, aber es war ihm nicht gleichgültig. Der Verbrecher hatte es gefühlt, nein, gewußt, vom ersten Augenblick an: aus diesem Manne sprach nicht der berufsmäßige Eifer des Priesters, der seinem Namen mit der Bekehrung eines Sünders Ehre machen will … der Geist der Liebe sprach aus ihm, der alle kennt und alle umfaßt, ob sie sich ihm noch so störrisch entziehen, das feste, unerschütterliche Gottvertrauen, das da spricht: „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!“

Als der Schließer Remmler sich von dem andern Gefangenen, der über Fieber und Lungenstiche geklagt und den Gefängnißarzt verlangt hatte, endlich frei machen konnte und die Zelle Schönfelds wieder betrat, bot sich ihm ein überraschender Anblick. Der zum Tode verurtheilte Verbrecher hielt Gretchen im Arm, und das Kind schmiegte seinen blonden Kopf so zutraulich an ihn, als läge es an seiner Mutter Brust. Als der Vater hereintrat, hob sie ihr Gesichtchen zu ihm empor und sagte ruhig und freundlich:

„Vaterchen, dieser hier will so gern unsern Herrn Prediger haben! Darf ich hingehen und ihn holen?“




11.

Frau Agathe Lamprecht trat, etwa zwei Stunden nachdem Annie ihren Ausflug nach Heinrichslust unternommen hatte, in Theklas Zimmer, in welchem die Besitzerin dieses Zimmers saß und so vertieft in Lessings „Erziehung des Menschengeschlechtes“ war, daß sie gar nicht auf die Eintretende acht gab.

Agathe war nicht gewillt, wie sonst manchmal, wenn das gelehrte Fräulein in seine Studien vertieft war, geräuschlos und rücksichtsvoll davonzuschleichen. Die Dame sollte durchaus sehen, was sie – Agathe Lamprecht – in der Hand trug, und mit ihr Meinungen austauschen, von wem es kommen und was es wohl bedeuten könnte: der alten Getreuen war das Herz übervoll, das „Vögelchen“ war ausgeflogen, ihr „Alter“ hatte so wenig Verständniß für zarte Angelegenheiten, … Thekla mußte herhalten, das stand fest, ganz fest!

Der gute Hausgeist räusperte sich bescheiden, – es half nichts! Die „Erziehung des Menschengeschlechtes“ hatte die aufmerksame Leserin in ihre Fesseln geschlagen und ließ sie nicht los. Ein zweites Hüsteln, weit bedeutsamer und nachdrücklicher, wurde laut. Thekla blickte mit zusammengezogenen Brauen empor, aber ihre Miene erweiterte sich, als sie das lebende Bild gewahrte, welches sich ihr bot: die alte Agathe, die in der rechten Hand, weit von sich gestreckt, als wenn sie sich damit zu verletzen fürchtete, einen großen, herrlichen runden Blumenstrauß hielt, von einer kostbaren gestickten Spitze umgeben und unten von einer sehr breiten Moiréschärpe von zartestem Rosa zusammengehalten. In der andern Hand hielt sie einen Brief mit vorsichtig gespitzten Fingern, als wäre er ein feuergefährlicher Gegenstand.

„Wie sehen Sie denn aus?“ lächelte Thekla und legte den Lessing fort. „Wie ein verblüffter Hochzeitsbitter weiblichen Geschlechts. Was soll denn das?“

„Ein Lohndiener hat’s gebracht, ein fremder. Für unser Anniechen!“ – Agathe vermochte in ihrer Erregung nur in abgebrochenen Sätzen zu sprechen und flüsterte so gepreßt, als wenn sie das größte Staatsgeheimniß verriethe. „Was soll ich nun bloß thun, Fräulein Thekla –?“

„Thun? Dem Menschen ein Trinkgeld geben.“

„Das hab’ ich ja schon gethan –“

„Dann den Strauß in eine Vase setzen – nicht so nahe – dort aufs Fenster – und ruhig abwarten.“

Diese kaltblütige Auffassung war keineswegs nach Agathens Sinn.

„Aber nun der Brief?“

„Den legen Sie säuberlich daneben – so!“

„Ach Gott, Fräulein Thekla, von wem kann er sein? Passen Sie auf, jetzt nehmen sie uns bald unser Vögelchen weg!“

„Kann schon sein!“ Thekla unterdrückte einen Seufzer. „Das ist ja aber nicht das erste Mal, daß wir so etwas“ – sie winkte mit den Augen nach dem Fenster hin – „ins Haus bekommen!“

„Das nicht, – aber – ich weiß auch nicht, – mir kommt es so vor, als wenn das Vögelchen selber Lust hätte, auszufliegen. Wär’s denn auch ein Wunder? Ihre Mutter, die war noch kaum so alt, da wußte sie schon, wen sie haben wollte, – und wenn ich mir die drei Herren von gestern bedenke, … Fräulein Thekla, auf welchen von den dreien haben Sie Verdacht?“

Die Gefragte mußte wieder lächeln.

„Seien Sie doch kein solch’ altes Fragezeichen, Agathe! Können Sie es denn nicht ruhig abwarten?“

„Nein, das kann ich nicht! Wie soll es mir einerlei sein, wen mein Anniechen zum Mann nimmt! Gott, Gott, mir drückt es das Herz ab! Wollen Sie sich nicht den Brief noch einmal ansehen, Fräulein, ob Sie vielleicht die Handschrift kennen? Soll ich ihn reichen?“

„Nein, das lassen Sie bleiben! Man erfährt das alles zeitig genug!“

„Wenn ich nicht wüßte, Fräulein Thekla hätten ebensogut ein Herz wie jeder andere gewöhnliche Mensch, dann müßt’ ich jetzt daran zweifeln! Wer weiß nun, wo das Kiud herumtrödelt in Heinrichslust und ihre Frau Weyland sucht und nicht findet und sich Gedanken macht, und ahnt gar nicht, was hier auf dem Fensterbrett für sie parat steht! Wenn es doch nicht der große, ernste Herr wäre, der gestern bei uns Klavier gespielt hat! Ich hab’ ihn oft auf der Straße getroffen, immer so finstere Augen macht er und ist immer in Gedanken und sieht keinen Menschen recht an; das ist kein Mann für unser Kind! Musik machen, ja, das kann er, und Maler soll er sein; ob er aber eine Frau ernähren könnte?“

„Zehn Frauen, Alte, nicht bloß eine!“

„Na, Gottlob, in der abscheulichen Türkei leben wir hier nicht! Also er könnte es? Wenn auch! Mir gefällt der andere besser, der Schöne, Blonde, so mild und gut sieht der aus, und künftigen Sonntag geh’ ich in seine Predigt. Da läutet es wieder – das Vögelchen ist das nicht, bei der klingt es anders!“

Es dauerte eine Weile, ehe Agathe wieder hereinkam, aber Thekla nahm dennoch ihr Buch nicht wieder auf. Sie war nachdenklich geworden, sie beschäftigte sich innerlich mit Annies Schicksal, und sinnend ruhte ihr Blick auf den halberschlossenen blassen Rosen des schönen Straußes, die einen schwachen, süßen Duft bis zu ihr sendeten.

Die Thür that sich auf und Agathe erschien von neuem.

Bis auf wenige Züge war es dasselbe Bild: wieder hielt sich die Getreue in der weit fortgestreckten Rechten ein Bouquet vom Leibe, wieder hatten ihre Fingerspitzen einen Brief gefaßt, wieder malte sich namenlose Wißbegierde auf ihrem Antlitz, nur war dieser Ausdruck jetzt mit einem gewissen rathlosen Entsetzen gepaart, und das Bouquet wies nicht wie das erste einen Reichthum wundervollster Rosen und eine feine Zusammenstellung zarter Farben auf, sondern es war ein radgroßes Ungethüm, aus den seltensten fremdartigen Blumen gebildet, offenbar sehr kostspielig, aber ohne besondere Wahl geordnet.

Thekla legte sich in ihren Sessel zurück und lachte herzlich.

„Nun. Agathe, ich bitte Sie, versuchen Sie’s, ein etwas geistreicheres Gesicht zu machen, mir zuliebe, ja? Auf dem Fensterbrett ist ja noch mehr Raum, da stellen Sie getrost das Scheusal hin!“

„Scheusal?“

„Ich finde, es ist eines! Alle Farben des Regenbogens sind darin und noch ein paar mehr! Und diese ungeheuerliche [748] blauweiße Schleife! Durch das Auge versteht sich dieser Freier nicht einzuschmeicheln, das ist sicher!“

„Fräulein Thekla können immer noch scherzen, und unter mir brechen die Kniee!“ rief Agathe kläglich. „Zwei Freier für mein Prinzeßchen, für mein Goldkind, zwei Freier an einem Tage!“ –

„Und den dritten wird sie nehmen!“ vollendete Thekla in Gedanken. „Das heißt, wer weiß, von wem der Rosenstrauß gekommen ist!“

Die alte Haushälterin sah sich vergebens im Zimmer nach einem Gefäß um, das handfest genug gewesen wäre, eine Bürde wie dies riesengroße, schwere Bouquet zu tragen; sie mußte ins Speisezimmer gehen, einen der mächtigen Metallkrüge, die dort auf dem Kredenztisch standen, herbeizuschleppen, und Thekla mußte solange die Blumen halten. Mit komischer Verzweiflung blickte sie auf das bunte Ungethüm in ihrem Schoß nieder, und die blau-weiße Schärpe wallte zu ihren Füßen in geschmacklosem Pomp.

Da kam von links her ein leichter beflügelter Schritt – wie wohlbekannt! – ein jauchzendes Stimmchen: „Thea, bist Du hier?“ und die Thür flog auf, und Annie stürmte herein, schleuderte Schirm und Shawl von sich und fiel vor Thekla auf die Kniee, schob die ganze Blumenlast, ohne nur hinzusehen, ohne zu fragen, wie einen lästigen Ballast beiseite und fing an, Theklas Hände zu liebkosen, mit Küssen und mit Thränen, warmen, glückseligen Thränen, die von den langen Wimpern niederfielen, während die Lippen lachten … ein wunderlieblicher Anblick: wie wenn eine Blume im ersten Morgensonnenschein die Thautropfen aus ihrem Kelch schüttelt.

„Thea, ach ich bin so gelaufen, ich konnte die Zeit nicht erwarten, bis Du es wußtest, – Du weißt schon, nicht wahr? In Heinrichslust … er … und ich … ein Zufall, nein, nein, das nicht, es giebt keinen, eine Fügung Gottes ist’s gewesen – ich weiß nicht mehr, aber ich werde mich besinnen – Thea, Thea, wenn Du es ahntest, wie glücklich ich bin!“

Wie sollte sie es nicht ahnen, da sie es doch vor sich sah, das verkörperte Glück! Sie hielt die junge Schwester fest an sich gedrückt und fühlte das stürmische Schlagen des jungen, überströmenden Herzens, und die Augen wurden ihr feucht.

Ein Poltern und Rasseln, wie wenn eine schwere Last von Metall zu Boden fällt, ließ die Schwestern erschreckt auffahren. Es war aber auch zuviel für Agathens heute schon so vielgeprüfte Nerven. Da lag das kostbare Riesenbouquet, für welches sie eben ihre alten Glieder mit dem schweren Krug abquälte, zerdrückt und mißachtet am Boden, die gleißende Atlashülle verbogen, die blauweiße Schärpe um den Tischfuß geschlängelt, und vor Fräulein Thekla kniete das Vögelchen, das leibhaftige Vögelchen, von dem kein Mensch wußte, wann und wie es überhaupt ins Haus gekommen war, und lachte und weinte in einem Athem und sprach von „Glück“ – hatte es denn schon einen von den beiden Briefen gelesen? Nein, sie lagen alle zwei friedlich nebeneinander auf dem Fensterbrett, und um den Rosenstrauß hatte sich ersichtlich auch niemand gekümmert … war es ein Wunder, daß Agathens Händen der riesige Krug mit dröhnendem Klang entfiel, da sie doch diese ihre Hände brauchte, um sich an den Kopf zu fassen: ist dies alles Traum oder Wirklichkeit?

In der nächsten Minute flog ihr das Vögelchen um den Hals und beschwor seine liebe Alte, es immer, immer lieb zu behalten, – als ob es anders möglich wäre! – und ihm sein großes, schönes Glück zu gönnen, – als wenn sich ein anderer annähernd so darüber freuen könnte! – und Gott zu danken dafür, daß er das Vögelchen mit „ihm“ zusammengeführt. Agathe erfuhr nun auch durch Thekla, wer „er“ sei, und konnte gar nicht recht aus Herzensgrund mitjubeln, nur immer weinen und weinen und Versuche machen, ihr Herzenskind zu segnen … aber es verlangte auch niemand mehr von ihr! Endlich legten sich die hohen Wogen ein wenig, und die Alte gedachte des Mittagsmahles, das in der Küche ohne ihre Aufsicht sicher alle Zustände des Verbratens und Ueberkochens durchmachte – sie hob den Metallkrug von der Erde auf, stutzte, mit vorwurfsvollem Kopfschütteln, das beschädigte Bouquet zurecht und stellte es hinein, holte dann den Rosenstrauß und die beiden Briefe herbei, alles ganz stumm, setzte ihrem sehr erstaunt dreinschauenden Liebling das alles so zu sagen vor die Nase und ging, sich die Augen trocknend, zur Thür hinaus.

„Thea!“ sagte Annie nach einer längeren Pause und wies mit dem Finger auf Agathens festliche Veranstaltungen. „Thea, was bedeutet alles dies?“

„In den Briefen wird es wohl stehen!“ entgegnete Thekla trocken. „Vermuthlich sind’s zwei Heirathsanträge für Dich!“

„Ach!“ machte Annie erschrocken und sah ihre Schwester so rathlos an, als sei diese verantwortlich dafür. „Thea, sag’ mir das eine: hab’ ich die durch mein Benehmen hervorgerufen?“

„Weißt Du denn schon, von wem sie kommen?“

„Ich glaub’ es zu wissen, ich ahne es! Das da,“ mit einer Kopfbewegung nach dem Metallkrug mit seinem Schmuck, „das verführerisch schöne Mühlrad kommt natürlich von dem Rittmeister und macht mir weiter keine Schmerzen. Meine kluge Thea schreibt ihm ein höfliches bedauerndes Briefchen und giebt ihm in meinem Namen für seine wundervollen Blumen einen Korb – und fertig! Aber – aber der andere – das Rosenbouquet, Thea, wenn es von Conventius wäre!“

„Das wird es wohl sein, Kleine!“

„Siehst Du, wär’ ich nicht so über die Maßen glücklich … dies könnt’ mich recht unglücklich machen! Ich hab’ ihn lieb, wirklich von Herzen lieb; wie es so rasch gekommen ist, weiß ich selbst nicht zu sagen, aber ich könnte meine Hand vertrauend in die seine legen, wenn er sagen würde: komm’ mit! und, ohne zu fragen, mit ihm gehen bis ans Ende der Welt! Hätte ich Karl nicht kennengelernt, – Karl heißt er, Thea, weißt Du das eigentlich schon? – kein anderer als Conventius wäre mein Mann geworden, so sehr gut bin ich ihm! Aber nun! Wie der stille, friedvolle, schöne Mond kommt er mir vor, und Karl, ach, das ist das Licht, der Glanz, die Sonne!“

Wieder kamen ihr die Thränen in die Augen, als sie Thekla von neuem heftig umarmte.

„Und Du bist überzeugt, Vögelchen, er, Dein Karl, meine ich, wird es verstehen, Dich recht glücklich zu machen?“

„Er mich? Darüber hab’ ich noch gar nicht nachgedacht! Die Hauptsache ist: ich will ihn glücklich machen, mein ganzes Leben will ich dransetzen, und ich kann es auch, das darfst Du mir glauben! Er hat es mir selbst gesagt, und ich hab’ es auch recht gut gemerkt: in mir, in meiner Persönlichkeit, meinem ganzen Wesen liegt die Macht, ihn jung und froh und heiter zu stimmen, alles Trübe und Schmerzliche von ihm abzustreifen und seinem Herzen wohlzuthun, wenn ich nur eben da bin, wenn ich nur rede und lache oder auch schweige, mich ganz so gebe, wie mir zu Muth ist! Und wenn ich das vermag, einen großen, edlen, guten Menschen durch mein bloßes Dasein glücklich zu machen, Thea, ist denn das nicht für mich Glück genug?“

Thekla strich mit der Hand leicht über die wunderschönen Augen, die im reinsten Licht selbstloser Freude leuchteten, dann, nach einer Pause, fragte sie:

„Du weißt es nicht, was ihn oft so trüb’ und schmerzlich empfinden läßt?“

„Bis jetzt hat er mir’s noch nicht gesagt, und wer weiß, ob er es jemals thut. Mag er das halten wie er will, ich werde ihn nie danach fragen!“

„Ich fürchte nur, Liebling, Du wirst ihn arg verwöhnen! Unbedingte Fügsamkeit vertragen die Männer nicht!“

„Ach, aber Thea! Ich will doch kein Studium aus ihm machen, mir dies und das mit dem Verstand zurechtklügeln und für diesen und jenen Fall allerlei Vorsätze fassen! Wie kann man denn das, wenn man mit dem Herzen liebt?“

„Nun, in Gottes Namen denn! Was weiß auch schließlich eine alte, vertrocknete Jungfernseele wie die meine, die nur einmal im Leben ein einseitiges Gefühl genährt hat, von Leidenschaft und glücklicher Liebe? Aber, Vögelchen, es hilft uns alles nichts, wir müssen jetzt wirklich diese Briefe lesen, denn wenn ich sie doch als Dein Geheimsekretär in Korbangelegenheiten beantworten soll …“

„Ach Gott, Thea, mir thut es so furchtbar leid um Conventius! Nicht, daß ich von mir eine so überschwenglich hohe Meinung hätte, aber wenn er mich lieb hat, wird er auch sehr unglücklich sein!“

„Er wird es hoffentlich überleben, Kleine! Aber recht hast Du doch: es wird ihm nahe gehen!“

(Fortsetzung folgt.)




[749]
Unschuldig verurteilt!
Beiträge zur Geschichte des menschlichen Irrthums.
I.
Die Passionsgeschichte der Menschheit. – Ludwig von der Pfalz und Maria von Brabant. – Der Rabe von Merseburg. – Die Hexenprozesse. – Das erpreßte Geständniß. – Die verrätherische Uhr. – Das vergiftete Brot. – Bruder und Schwesterchen. – Geständniß aus Edelmuth. – Opfer des Zufalls. – Eugenie von Tourville.

Nichts vermag mehr die Theilnahme des menschlichen Herzens zu erregen als unverschuldetes Unglück und Leid. Dem Träger eines solchen wird sich immer das allgemeine Mitleid zuwenden. Die christliche Passionsgeschichte hat dem Christenthume die Welt erobert. In der Leidensgeschichte der Menschheit spielt insbesondere das unverschuldete Verbüßen von Strafen eine Hauptrolle. Wenn man dabei von Opfern der Justiz zu sprechen pflegt, ist es doch nicht die Justiz, welche die alleinige Verantwortung für das angethane Unrecht trägt. Ihre Verantwortung ist dabei vielfach nur eine formelle. Zu ihren Mitschuldigen gehören auch die anderen Wissenschaften, welche in ihrem Dienste stehen, denn der Irrthum durchdringt alle Gebiete des Wissens. Zu ihren Mitschuldigen gehört der Zufall, die unberechenbare Verkettung der Umstände. Zu ihren Mitschuldigen gehört endlich der Trug der Sinne und die menschliche Bosheit sammt dem Gefolge blinder Leidenschaften.

Wenn wir in Aussicht nehmen, eine Anzahl von Beispielen aus der Geschichte dieser Irrthümer der Justiz unseren Lesern vorzuführen, so geschieht dies theilweise im Anschluß an einige frühere Artikel in den Jahrgängen 1884 und 1887 der „Gartenlaube“ („Die irrende Justiz und ihre Sühne“), welche zunächst bestimmt waren, für die Entschädigung unschuldig Bestrafter einzutreten, eine Angelegenheit, die nicht zum geringsten infolge der lebhaften Agitation der Presse jetzt auf dem Wege zu einer gesetzlichen Regelung zu sein scheint. Wir wollen aber auch zeigen, wie wenig der menschliche Unfehlbarkeitsglaube vor der Macht der Thatsachen Stich hält und der Mensch trotz aller eingebildeten Ueberlegenheit doch vielfach nur der Sklave der Verhältnisse ist.

Schon die Chroniken des Mittelalters überliefern uns eine erschütternde Tragödie des menschlichen Irrthums. Maria von Brabant war in glücklicher Ehe vermählt mit dem Pfalzgrafen Ludwig, Herzog von Bayern, dessen Schwester Elisabeth die Gemahlin des Kaisers Konrad IV. gewesen war. Als deren Sohn Konradin, dem Rufe der Hohenstaufen folgend, im Jahre 1267 nach Italien zog, begleitete ihn sein Oheim Ludwig auf dem verhängnißvollen Zuge. Maria sah den Gemahl nur mit heißem Bangen von sich ziehen. Es war, als ob sie eine Ahnung von dem unglücklichen Ausgang des Unternehmens gehabt hätte. Da ihre Bitten des Pfalzgrafen Entschluß nicht zu beirren vermochten, wandte sie sich an einen treuen Vasallen aus dessen Gefolge, den Ritter Ruso von Ottlingen, und nahm ihm das Versprechen ab, daß er alles aufbieten wolle, seinen Herrn zur Heimkehr zu bewegen. Sie stellte ihm dabei eine Gunst in Aussicht, die sie denen zu gewähren pflegte, welche mit besonderem Pflichteifer ihrem Dienste nachkamen, die Gunst, daß sie die Herrin mit einem traulichen Du anreden durften. Alles strebte nach dieser Auszeichnung der wohlwollenden, allseits geliebten Frau. Da ihre Sehnsucht nach dem fernen Gatten täglich zunahm, ohne daß seine Rückkehr erfolgte, schrieb sie an Rufo einen Brief, in welchem sie ihn an sein Versprechen erinnerte und ihm dafür die „erbetene Gunst“ zusicherte; zugleich mit diesem übergab sie dem Boten auch einen Brief an Ludwig selbst. Nun wollte es der Zufall, daß der Bote die Briefe verwechselte und der für den Ritter bestimmte in die Hände des Herrn gelangte. Als dieser nun las, wie seine Frau dem Ritter eine „erbetene Gunst“ zusicherte, nahm der Zorn wilder Eifersucht in seiner Seele Platz; er verließ auf der Stelle das Lager zu Verona, wo er weilte, und jagte auf schnellem Rosse nach Marias Residenz Donaueschingen. Schon beim Eintritt ins Schloß stieß er den ungetreuen Burgvogt nieder und trat der in heller Freude über seine Rückkehr ihm entgegeneilenden Gattin mit der Erwiderung entgegen, sie möge sich zum Tode vorbereiten. Vergebens war die Betheuerung ihrer Unschuld, vergebens das eindringliche Flehen seiner Schwester, der Königin Elisabeth – der Beweis der Schuld wurde ja durch die Worte des Briefes unumstößlich geführt. Noch in derselben Nacht wurde das Urtheil über die arme Herzogin gesprochen und sie noch vorm Morgengrauen durch den Henker enthauptet.

Das unselige Mißverständniß klärte sich nur zu bald auf, als der Pfalzgraf den für ihn bestimmten Brief in die Hände bekam, der ein rührendes Zeugniß treuer Gattenliebe enthielt, und er Kunde empfing von der unschuldigen Gewohnheit Marias. So fürchterlich die That, so fürchterlich war Ludwigs Reue. Die Qual des Schmerzes bleichte ihm in einer Nacht das Haar. Er baute zur Sühne, das Kloster Fürstenfeld und kasteite sich in strengster Buße.

In einer weitern mittelalterlichen Ueberlieferung kommt die Unschuld in wunderbarer Weise zu Tage. Thilo von Trotha, Bischof zu Merseburg, hatte im Jähzorn einen Jäger getödtet, weil er auf der Jagd eigenmächtig einen Hirsch geschossen hatte. Sein Freund, der Bischof Gerhard von Mainz, setzte ihn ob dieser That zur Rede und sandte ihm einen Ring, der ihn immer daran


Das Behaim-Denkmal in Nürnberg, entworfen von Hans Rößner.
Nach einer Photographie von Ferdinand Schmidt in Nürnberg, Burgberg 24.

[750] mahnen sollte, daß er die Leidenschaft nicht über sich Herr werden lasse. Darauf wird Thilo dieser Ring und fast zugleich mit ihm ein werthvoller Krystallspiegel entwendet. Außer sich über den Verlust dieser Kleinode hält er über seine Dienerschaft öffentlich Gericht und fordert den Schuldigen auf, sich zu nennen. Da ertönt mitten in die Versammlung hinein der Ausruf: „Hans! Dieb!“ Erschreckt blickt alles umher, woher die Stimme komme, und man entdeckt, daß sie dem Schnabel eines zum Sprechen abgerichteten Raben, Markus, entschlüpft war. Der Bischof hält das für eine Stimme von oben und beschuldigt seinen alten Kammerdiener Johannes der Verübung des Diebstahls. Da dieser leugnet, wird der alte Mann, der bisher seinem Herrn in unentwegter Treue gedient hat, auf die Folter gespannt. Ihre Qualen entlocken ihm ein Geständniß. Freilich kann er nicht sagen, wo die Kleinodien sich befinden. Das erbittert den Bischof noch mehr; der mahnende Ring des Freundes ist ja nicht mehr an seiner Hand. Der treue Diener wird hingerichtet, obgleich er in der Todesstunde sein Geständniß widerruft.

Jahre ziehen über das Grab des Gerichteten hin. Da geschah’s, daß, als der Bischof zur Kirmeßfeier mit seinen Gästen beim fröhlichen Mahle saß, ein wildes Unwetter heraufzog, welches das Dach des alten Schloßthurms abdeckte. Auf diesem Dache hatte der Rabe Markus sein Nest. Als die Trümmer desselben mit dem Dache zur Erde fielen, da fand man in dem Neste die so lang vermißten Kleinode. Zu spät erhob der Ring wieder seine mahnende Stimme. Der Bischof verlor für immer den Frieden seiner Seele. Er nahm ein neues Wappen an, einen Raben mit einem Ring im Schnabel und quer darüber zwei den Himmel anstehende ineinander verschlungene Arme. Den Raben hatte ein tückischer Diener zu dem Ausrufe abgerichtet, damit er in die Stelle des alten Johannes einrücken könnte.

Die in das Gerichtsverfahren des Mittelalters eingeführte Folter, welche dem einer That verdächtigen Angeschuldigten ein Geständniß abpressen sollte, legte den Grund zu einer großen Menge falscher richterlicher Urtheile. Sie war es namentlich, die zur Zeit der Hexenprozesse Tausende von Unschuldigen – Frauen wie Männer – auf den Scheiterhaufen brachte. Die geistige Urheberin jener grauenhaften Justizmorde, und sie waren wirklich solche, war die Geistlichkeit, die katholische so gut wie die protestantische, der Richterstand war dabei nur der Vollstrecker ihrer wahnwitzigen Thesen. Die Rechtswissenschaft war damals so verknöchert wie alle andern Wissenschaften, und der rechtsgelehrte Richter richtete nicht nach dem Geiste, sondern nach dem Buchstaben des Gesetzes, ob dabei auch die Vernunft, um mit Mephisto zu sprechen, „zum Unsinn wurde“, danach hatte er ja nicht zu fragen. Die Kirche hatte den Hexenglauben und das Bündniß mit dem Teufel als eine Wahrheit hingestellt und die Gerichtsordnungen schrieben dem Richter die Regeln des dabei einzuhaltenden peinlichen Verfahrens vor. Sein Gewissen war sonach gedeckt. Die Sache hatte auch für ihn ihre gefährliche Seite. Legte er den Maßstab der Kritik an den bestehenden Wahnglauben, so kam er leicht in den Verdacht, daß er selbst dem höllischen Bündnisse zugeschworen habe. Es geschah in der That öfters, daß aus dem Richter hinterher ein Angeklagter wurde. Nur die berufsmäßigen Vertheidiger der armen Opfer hatten hier und da den Muth, die Trugschlüsse der Richter oft sogar mit den Waffen der Ironie aufzudecken und zu bekämpfen – freilich ohne Erfolg.

Wie kam es aber, daß viele jener unschuldig Verklagten sogar Geständnisse ihrer Schuld ablegten und bis ins einzelne den ihnen schuldgegebenen Verkehr mit dem Satan als wahr bestätigten? Es erklärt sich wohl nur daraus, daß Kerkerhaft und Folter das Nervensystem der Angeschuldigten, namentlich der Frauen, so überreizt und zerrüttet hatten, daß es der Nährboden für allerhand Wahnvorstellungen wurde. Auch war bei dem Mangel einer Schulbildung im Volke die Pflege des Verstandes eine zu geringe, um dem freien Schalten der Phantasie genügenden Einhalt zu thun. So kam es, daß man schließlich an sein eigenes Hexenthum glaubte.

Da über Hexenprozesse bereits auch in diesem Blatte viel geschrieben wurde, unterlassen wir es, besondere Beispiele aus diesen trübsten Zeiten der Rechtsgeschichte zu erwähnen.

Mit der Abschaffung der körperlichen Folter war indeß der Irrthum der Rechtsprechung noch nicht beseitigt. An ihre Stelle trat als die Frucht des geheimen Untersuchungsverfahrens die geistige Folter, welche die Richter anwandten, um ein Geständniß zu erzielen. Es wurde für den untersuchenden Richter oft eine Sache des Ehrgeizes, ein Geständniß von dem „Inculpaten“ herbeizuführen, und da das ganze Verfahren hinter geschlossenen Thüren vor sich ging, entzogen sich die hierzu angewandten Mittel der Kontrolle. Der Pflichteifer wurde dabei oft zu einem Uebereifer.

Dafür diene nachstehendes Beispiel:

Am 2. Mai 1815 kehrte in den Heerwagenschen Gasthof in Kassel ein junger Kaufmann namens Hau ein. Die Tochter des Wirths, welcher der Fremde durch sein munteres zutrauliches Wesen sich bemerklich machte, fand ihn unter anderm im Besitze einer Damenuhr, die ihr durch ihre Feinheit besonders auffiel. Der Fremde bezeichnete sie als ein Reisegeschenk für seine Frau. Da er abends noch zu Fuß nach Haina weiter reisen wollte, bat er, ihm zur Tragung seines Ränzchens einen Boten zu besorgen. Als dies zwei im Gasthof eingekehrte und in der Wirthsstube anwesende Reisende hörten, erklärten sie, daß sie ebenfalls nach Haina gehen wollten, er brauche keinen Boten, sie wollten abwechselnd sein Ränzchen tragen. Hau ging auf den Vorschlag der beiden noch jungen Burschen ein, und alle drei machten sich des Abends auf den Weg. Derselbe führte theilweise durch einen Wald. Am andern Morgen fanden Geflügelhändler, welche nach Kassel zu Markte fuhren, in diesem Walde die Leiche eines Gemordeten, und es wurde in demselben bald der Kaufmann erkannt, der tags zuvor in dem Heerwagenschen Gasthofe gewesen war. Der Ranzen sammt Inhalt war verschwunden.

Drei Tage nach dem Vorfalle kam ein Einwohner namens Gräbe aus Haina zu einem Hutmacher nach Melsungen und wollte einen Hut auffärben lassen, von dem er behauptete, er habe ihn im Hainaer Walde gefunden. Der Hutmacher, dem schon die in der Gegend nicht gebräuchliche Hutform ausgefallen war, bemerkte, daß in dem Hutfutter sich Blutspuren befanden. Er hatte bereits von dem Raubmorde im Hainaer Walde gehört und lieferte den Hut beim Gerichte ab.

Für den die Untersuchung führenden Richter stand es nun fest, daß kein anderer als Gräbe, der ohnedies nicht gut beleumdet war, den Mord begangen hatte. Er setzte daher alles dran, ihn zum Geständniß zu bringen, und seine Bemühungen waren auch von Erfolg gekrönt. Da aber Gräbe den noch jungen kräftigen Hau füglich nicht allein gemordet haben konnte, so drang der Richter in ihn, seine Mordgenossen zu nennen. Gräbe benannte hierauf als solche drei Melsunger Einwohner, darunter auch einen gewissen Kothe, einen wohlhabenden und angesehenen Dielenhändler. Alle drei wurden eingezogen. Die Familie des letzteren bot aber alles auf, ihn zu retten. Ihren Bemühungen gelang es zunächst, die beiden Burschen festzustellen, welche den Gemordeten nach Haina begleitet hatten. Da kam ihnen der Zufall zu Hilfe. Eines Tages sprach im Heerwagenschen Gasthofe ein Fremder ein, welcher dem Fräulein Heerwagen bekannt vorkam. Als sie nach dem Essen dessen Zimmer betrat, fand sie auf dem Tische eine feine Uhr liegen, welche sie sofort als diejenige erkannte, welche der Kaufmann Hau bei sich geführt und die ihr besonderes Interesse geweckt hatte. Es gelang ihr auch, aus dem Fremdenbuche festzustellen, daß der Fremde, Jacob Roßbach aus Sterbfritz, an jenem verhängnißvollen Tage im Gasthofe gewohnt hatte. Kein Zweifel, er war der richtige Mörder. Er legte Angesichts des vernichtenden Beweisstücks der Uhr bald ein offenes Geständniß ab. Sein Genosse war ein gewisser Georg Müller. Sie waren die Begleiter des Gemordeten auf dem Wege nach Haina. Müller gelang es, zu entkommen, Roßbach wurde hingerichtet. Die falschen Mitschuldigen hatten fast ein Jahr lang im Gefängniß gesessen. Ohne das Dazwischenkommen der verrätherischen Uhr hätten sie vielleicht dasselbe Schicksal gehabt wie jetzt der richtige Mörder.

Trauriger lief ein ähnlicher Fall aus, der noch vor jener Zeit an sächsischen Gerichtshöfen sich abspielte. Hier kam die rettende Aufklärung zu spät.

Der Gutsfröner Paul Rothe in Pockau lebte mit seiner Ehefrau, welche ebenfalls auf dem Gute Handarbeitsdienste verrichtete, in nicht gerade glücklicher, aber doch nicht unfriedlicher Ehe. An einem Vormittag bringt die letztere zum Frühstück Buttermilch noch Hause und verzehrt sie mit der im Hause wohnenden Tagelöhnerin Frau Werner. Einen verbliebenen Rest stellt sie in den Schrank, um ihn zum Mittag zu essen. Dies geschieht. [751] Diesmal ißt auch der Mann mit, aber da es ihm nicht schmeckt, nur ein paar Löffel. Die Frau verzehrt den ganzen Rest. Der Mann hatte in die Milch Brot eingeschnitten, das er dem Schranke entnahm. Darauf wird beiden übel, der Mann erholt sich zwar bald wieder, die Frau dagegen bekommt heftige Leibschmerzen und ist nach zwölf Stunden todt. Beide haben vorher entdeckt, daß auf dem Boden der Schüssel ein weißes Pulver zurückgeblieben ist. Woher das kommt, ist ihnen nicht erklärlich. Sofort fällt der Verdacht auf den Mann. Die Beweisgründe sind aber doch nicht so stark, daß man ihn ohne sein Geständniß verurtheilen kann. Der Mann leidet an Epilepsie; nach einem solchen Anfalle räumt er das Verbrechen dem auf ihn eindringenden Richter ein. Dies genügt, nunmehr seine Verurtheilung, und zwar zum Tode, herbeizuführen, die Strafe wird durch Enthauptung vollzogen. Nachdem dies geschehen ist, kehrt eine Ortsnachbarin, die Witwe Schauer, von einem siebenmonatigen Aufenthalt bei ihrer auswärts wohnenden Schwester wieder heim. Als sie die Hinrichtung Rothes erfährt, ruft sie aufs tiefste erschrocken aus: „O das Unglück! Wenn ich das hätte denken sollen, hätt’ ich’s nicht gethan. Das ist mein Tod.“ Darauf machte sie folgende Angaben: Sie hatte sich in Gemeinschaft mit der Frau Rothe Rattengift verschafft zur Vertilgung der vielen Mäuse in ihren Wohnungen. Die Rothe hatte ihrem Manne nichts davon gesagt, weil derselbe ihr verboten hatte, Gift zu legen, und sie hatte deshalb das Gift in ein Brot gebacken, damit er’s nicht merke. Das Brot war bereits aufgezehrt und hatte seinen Zweck an den Mäusen erfüllt. Da kam die Frau Schauer auf den Gedanken, das Arsenik auch ihrerseits in Brot zu verbacken. Als sie nun zu ihrer kranken Schwester gerufen wurde, mochte sie das erst halb verbrauchte Giftbrot nicht zu Hause lassen, damit es keinen Schaden anrichte. Sie trug es deshalb zur Rothe, um es ihr zur Aufbewahrung zu übergeben. Sie trifft dieselbe nicht zu Hause und legt das Brot, da ihre Abreise eilt, in den Rotheschen Schrank, indem sie der anwesenden halberwachsenen Wernerschen Tochter aufträgt, der Frau Rothe zu sagen, daß das Brot nach ihrer Vorschrift gebackenes „Mäusebrot“ sei, und verbietet zugleich der Kleinen, davon zu essen. Diese unterläßt es jedoch, den Auftrag auszurichten, weil sie in ihrer kindlichen Klugheit glaubt, die Frau sage das bloß, um sie vom Naschen abzuhalten. Zu ihrem Glücke unterläßt sie es jedoch, von dem Brote zu essen, da sie noch anderes im Schranke findet. Dieses Schauersche gifthaltige Brot war es also, das der unglückliche Rothe in die Milch geschnitten hatte, und diese arglose Verwechslung wurde sein Verhängniß.

Auf eine moderne Anwendung der Folter zum Erpressen eines Geständnisses läuft ein Fall aus neuester Zeit hinaus. Als der dreizehnjährige Sohn der Witwe Nordheim in Mehlis, einem Orte im Thüringerwalde, von der Schule nach Hause kam – es war am 13. November 1879 – bemerkte er, daß sein kleines kaum drei Monate altes Schwesterchen, das allein in der Wiege lag, indeß die Mutter auswärts auf Arbeit war, am Munde roth gefärbt war. Er wischte ihm den Mund ab und gab ihm einen frischen „Nuckel“, wobei ihm auffiel, daß der alte Nuckel schwarze Flecken hatte und wie nach Schwefel roch. Auch nahm die heimkehrende Mutter wahr, daß die Exkremente des Kindes hell leuchteten, und es war, als wenn kleine Flämmchen daraus hervorbrächen. Es war also jedenfalls darauf abgesehen gewesen, das Kind zu vergiften. Die Nachbarschaft lenkte den Verdacht der Thäterschaft sofort auf den dreizehnjährigen Albert. Der Hauswirth, Fabrikbesitzer B., nahm den Jungen ins Gebet, und da er leugnete, ließ er ihn durch Arbeiter mit einem Haselstock unbarmherzig ausprügeln. Die grausame Mißhandlung preßte dem Jungen auch wirklich ein Geständniß ab. Er hatte danach seine Schwester mit Schwefelhölzern vergiften wollen, um ihrer Pflege enthoben zu sein. Aus Furcht vor weiteren Mißhandlungen blieb er auch bei diesem Geständniß vor Gericht, und so wurde er wegen Mordversuchs zu sechs Monaten Gefängniß verurtheilt. In der Gefängnißanstalt zu J. aber benahm sich der geistig geweckte Knabe so brav, daß er die Aufmerksamkeit des Anstaltslehrers und zugleich Zweifel an seiner Schuld erweckte. Dieser Zweifel wurde verstärkt, als der Junge einen Brief an seine Eltern schrieb, in dem er sich auf die liebevollste Weise nach dem Befinden seines Schwesterchens erkundigte, ein Brief, der vorschriftmäßig erst in die Hände des Anstaltsdirektors kam. Dieser veranlaßte die Wiederausnahme der Untersuchung, und es ergab sich nun, daß, wie bereits die Mutter vermuthet hatte, der außereheliche Vater des Kindes, der Fabrikarbeiter A., der Thäter war. Während die Mutter bei der Arbeit und der Sohn Albert in der Schule war, hatte jener sich nach seinem später abgelegten Geständnisse durch die offenstehende Thür in die Stube geschlichen, von dort liegenden Schwefelhölzern den Phosphor abgeschabt und auf den Nuckel gestrichen, den er dem Kinde dann wieder in den Mund schob. Er hatte an dem Ableben des Kindes ein wesentliches Interesse, da er Unterhaltsgelder für dasselbe zahlen mußte, was ihm, dem verheiratheten, mit Kindern schon gesegneten Familienvater, sehr schwer fiel. Er wurde zu drei Jahren Zuchthaus verurtheilt und der arme Junge, dem die Rettung des Schwesterchens so schweres Leid gebracht hatte, der Haft entlassen.

Daß aber selbst ein ganz unbeeinflußtes und daher scheinbar freiwilliges Geständniß noch keine Gewähr bietet für die wirkliche Schuld des angeblichen Thäters, dafür liefert die Kriminalgeschichte mannigfach Beispiele. So ist schon der Fall vorgekommen, daß der jüngere Bruder das Vergehen seines älteren Bruders auf sich nahm, um diesen der Familie zu retten, welche sein Leben und seine Freiheit zu ihrer Erhaltung bedurfte. Es kann aber auch Vorkommen, daß jemand aus krankhaftem Wahn sich für einen Verbrecher hält. Es geschieht das bei Leuten, – sagte ein ärztlicher Sachverständiger in einem Falle, wo eine Frau vierundzwanzig Jahre nach dem Tode ihres Mannes vor Gericht anzeigte, sie habe ihn vergiftet, – die seit Jahren am Herzen und an Angstgefühlen leiden; die letzteren steigern sich bis zum Trübsinn, und in einem solchen Zustande vergrößern die Leidenden früher begangene Fehler und Sünden oder bilden sich die ungeheuerlichsten Verbrechen ein. Der gewissenhafte Richter wird deshalb auch ein scheinbar offenherziges Geständniß einer strengen Prüfung, namentlich auch aus die Uebereinstimmung mit dem äußeren Thatbestande, unterziehen.

Gar manche aber führt nicht der Mangel menschlicher Einrichtungen, sondern die räthselhafte Verkettung verschiedener Umstände zur Haft und auf die Anklagebank, und sie haben es dabei oft wieder nur dem Zufalle zu danken, wenn die rettende Aufklärung nicht zu spät kommt. Das sind die bedauerlichsten Opfer fehlerhafter Rechtsprechung. Und dabei ist fast niemand sicher, nicht selber ein solches Opfer der Verhältnisse zu werden.

Mistreß Rushton, eine reiche Londoner Kaufmannswitwe, hatte Fräulein Eugenie von Tourville als Gesellschafterin angenommen. Sie entdeckte bald, daß ihr Sohn Arthur sich leidenschaftlich in das reizende Mädchen verliebt hatte. Sie setzt dieses darüber hart zur Rede und Eugenie verläßt, um sich den Vorwürfen zu entziehen, das Haus. In der Eile des Einpackens ihrer Habseligkeiten nimmt sie einen Schmuck mit, der nicht ihr, sondern ihrer seitherigen Gebieterin gehört. Mistreß Rushton eilt der Abgezogenen nach, um sie zur Rede zu setzen, und beschuldigt sie in Gegenwart ihres kranken Vaters, zu welchem sie ihre Zuflucht genommen hat, des Diebstahls. Zur Stillung ihrer Aufregung bittet sie um eine Erfrischung. Eugenie holt aus dem Nebenzimmer ein Glas mit Kirschwasser, wie es ihr Vater zu trinken pflegt. Als Frau Rushton nach Hause kommt, befällt sie ein plötzliches Unwohlsein. Sie stirbt. In derselben Nacht stirbt aber auch Eugeniens Vater. Hat diesen auch nur die Aufregung getödtet, so war es keine Frage, daß Eugenie ihre frühere Dienstherrn vergiftet hatte. Der Beweggrund: die Beseitigung einer verhaßten Anklägerin und der Gegnerin ihres Verhältnisses zu dem Sohne, lag nur zu nahe. Ihre Verurtheilung schien unvermeidlich und schon gab ihr Vertheidiger alle Hoffnung auf, sie zu retten. Da tritt plötzlich im Orte das Gerücht auf, daß ein Herr Charles Bernhard de Houffaye sich selbst entleibt habe und daß unter seinen Papieren sich die Niederschrift eines eigenthümlichen Selbstbekenntnisses befinde. Danach hatte er sich in Eugenie verliebt und strebte nach ihrer Gunst. Um diese zu gewinnen, durfte das Mädchen nicht erfahren, daß er bereits verheirathet war. Dieser Umstand war nicht ihr, wohl aber ihrem Vater bekannt, und Eugenie würde es von demselben nur zu bald erfahren haben – sein Mund mußte stumm gemacht werden. Er besuchte den Alten und mischte Gift in das gewöhnliche Getränk des Kranken. Der Zufall aber suchte sich ein anderes Opfer, ein Opfer, das auch selbst nicht ohne Schuld war. Ohne dieses Bekenntniß des Selbstmörders wäre Eugenie von Tourville, hier die Schuldloseste von allen, der Verurtheilung kaum entgangen. Sie heirathete nach Anerkennung ihrer Unschuld Arthur Rushton, lebte mit ihm in glücklicher Ehe und starb erst 1850 in Irland.

Fr. Helbig.
[752]

Der Pfeifertag von Rappoltsweiler.


– „Die alte graue Pfeiferstadt
Am Schluchtrand der Vogesen,
Von der auf manchem Chronikblatt
Verschollener Zeit zu lesen.
Wie oft stand rückgewendet ich
Dort, wo zum Giersberg steiler
Der Felsweg steigt, und sah auf dich
Zu Thal, o Rappoltsweiler!“

So grüßt Wilhelm Jensen das trutzige Städtchen im Oberelsaß, das, am Ausgange des malerischen Strengbachthales gelegen, mit seinen Resten von Stadtmauern, seinen alterthümlichen Thürmen, Häusern, Erkern, Giebeln und Brunnen genugsam Zeugniß für eine rühmliche Vergangenheit ablegt. Und auch heute noch erfreut sich Rappoltsweiler eines nicht zu verachtenden Wohlstandes; denn alljährlich zieht die Heilquelle des nahen „Carolabades“ eine stattliche Anzahl Genesung Suchender herbei, mancherlei industrielle Unternehmungen gedeihen in dem betriebsamen Städtchen, insbesondere aber ist es der Weinbau, der die Bevölkerung von Rappoltsweiler ernährt; es giebt kaum ein Haus dort, zu dem nicht ein ordentliches Stück Rebland gehörte, und welchen Ruf das erzeugte Gewächs im Lande genießt, das sagt uns der Merkspruch:

„Zu Thann im Rangen,
Zu Gebweiler in der Wannen,
Zu Türkheim im Brand
Wächst der beste Wein im Land.
Man sagt, gegen den Reichenweierer Sporen
Hätten sie all’ das Spiel verloren;
Doch als die Perle der Weine gilt allgemein
Der ‚Zahnacker‘ unter dem Hoh-Rappoltstein.“


Der Graf von Urslingen erkennt seinen Bruder.
Zeichnung von Felix Schmidt.

Ist es ein Wunder, daß wir auf solchem weinfrohen Boden eine Bruderschaft zu Hause finden, welche der durch vielfache Erfahrung belehrte Volksmund seit alten Zeiten mit der Lust an einem guten Trunke in die engste Verbindung brachte, daß hier die „Pfeifer“, die Musikanten und Spielleute aller Art aus dem Wasgau sich wohl fühlten und gerne ihre Feste feierten, daß Rappoltsweiler der Schauplatz des „Pfeifertags“ wurde?

[753] Nein, es ist kein Wunder, aber zur Steuer der Wahrheit muß es gesagt werden, der "Zahnacker" ist auch nicht allein schuld daran. Es ging nämlich so zu:


Der Umzug des Pfeiferkönigs in Rappoltsweiler.
Zeichnung von Felix Schmidt.


Als die Kreuzzüge zu Ende waren und die Ueberlebenden allmählich an ihre heimischen Sitze zurückkehrten, da blieb aus der Masse der Kreuzfahrer schließlich eine Schar unruhiger Gesellen übrig, die nach den wildbewegten Kriegsfahrten den Uebergang zu einer friedlichen, seßhaften Lebensweise nicht mehr fanden oder finden wollten. Sie vermehrten unverhältnißmäßig die Masse der „fahrenden Leute“, und ihr Treiben artete bald so sehr aus, daß sie eine förmliche Landplage bildeten und schließlich von der Kirche in den Bann gethan wurden – bei den Anschauungen des Mittelalters die äußerste Strafe, die einen Bösewicht treffen konnte. Rechtlos waren sie schon an sich nach dem Schwaben- und dem Sachsenspiegel; wurden sie von jemand beleidigt und gab der Richter ihnen recht, so durften sie doch nur den Schatten, welchen der Körper ihres Widersachers an die Wand warf, nicht diesen selbst schlagen. Der Bann der Kirche aber schloß sie vollends aus jeder menschlichen Gemeinschaft aus und bedrohte ihre Seele noch nach dem Tode mit den fürchterlichsten Höllenqualen.

Indessen fehlte es doch auch unter dieser gesetzlosen Bande nicht an besseren Elementen, die den Sinn für das Schöne und Gute nicht verloren hatten und die noch einen Schimmer von den Ueberlieferungen aus alter Zeit festhielten, da die fahrenden Sänger unter die besten Träger der edlen Minnepoesie gezählt hatten. Solche ehrenwerthe Vertreter des Standes litten natürlich schwer unter der allgemeinen Verachtung und sie suchten Abhilfe zu schaffen. Das gelang ihnen, als sie sich, einem Zuge ihrer Zeit folgend und unterstützt von dem musikliebenden Kaiser Karl IV., zu einer Bruderschaft, einer Art Zunft zusammenschlossen. Solche Bruderschaften, wie sie z. B. auch die Schäfer, die Ziegelschläger, die Kesselschmiede bildeten, erhielten dann Königsschutz und eigene Gerichtsbarkeit, indem sie irgend einem Großen des Reichs zu Lehen gegeben wurden, der ihr oberster Schutz- und Gerichtsherr wurde. Auch die fahrenden Musiker des Elsasses schlossen einen Bund dieser Art und stellten sich unter die Hut eines reichen und kunstsinnigen Herrn aus ihrem Gau; so erhielten etwa um das Jahr 1390 die Rappoltsteiner das „Königreich der Spielleute“, das ihnen vom Reichsoberhaupte bestätigt und verbrieft wurde, und Rappoltsweiler, die Stadt der Rappoltsteiner, wurde der Sitz des Pfeifertages.

Die Hauptaufgabe der Pfeiferbruderschaft war nach dem Gesagten die, das tief gesunkene Ansehen der fahrenden Spielleute wieder zu heben; die Herren von Rappoltstein sorgten auch redlich dafür, indem sie durch strenge Satzungen und strenges Gericht Unwürdige zu verdrängen oder fernzuhalten sich angelegen sein ließen – was dann seinerseits wieder die Folge hatte, daß die Kirche ihren Bann aufhob: die Pfeifer wurden an Ostern zum Abendmahl zugelassen, nur sollten sie sich vierzehn Tage vor und vierzehn Tage nach dem Genuß des Sakraments ihres „possenhaften Thuns“ enthalten. Es war der Dank der Bruderschaft, daß sie die heilige „Madonna von Dusenbach“ zu ihrer Schutzpatronin erkor, eine Huldigung, die zugleich der Kirche und den weltlichen Schirmherren galt, denn die nur eine kleine Wegstrecke von Rappoltsweiler entfernte Kapelle mit dem wunderthätigen Marienbilde im Dusenbachthale war eine Stiftung der Rappoltsteiner.

Die Rolle des Gerichtsherrn über die Pfeifer übten die Rappoltsteiner natürlich nicht in Person aus; sie übertrugen dieselbe an einem „Pfeiferkönig“, zumeist einen ihrer Hoftrompeter, der nun alljährlich am Feiertag Mariä Geburt zu Rappoltsweiler seinen Pfeifertag abhielt. Das war der Gerichts- und Festtag der „varenden Lüt“. Alle mußten sie kommen, die zur Bruderschaft gehören wollten. Wer „durch Leibs oder Herren Noth"“ verhindert war, der war gleichwohl gehalten , die „irten“ (Zehrung) zu bezahlen, „als wann er mit esse“. Und so kamen sie denn in hellen Haufen heran in den Tagen vor dem 8. September; an diesem selbst aber versammelten sich die Brüder, festlich geschmückt, vor der Pfeiferherberge, dem Gasthofe zur „Sonne“, einem Hause, das noch heute besteht und durch seinen schönen Erker die Aufmerksamkeit des Beschauers wachruft. Auf der Brust trugen sie das silberne „Vereinszeichen“" mit dem Bildniß der Madonna von Dusenbach, unter dem Arm ihr bestes „Spiel“ (Instrument). Dann ordnet sich der Zug: voran die Stadttrommelschläger, dann der „König“ mit dem Pfeifergerichte, aus Schultheis vier Meistern, dem Fähnrich, den Zwölfern und dem Weibel bestehend, endlich das übrige Volk. So geht's hinaus unter lieblichem Lärm – jeder Spielmann spielt irgend eines seiner Lieblingstücke – nach der Kapelle der Schutzpatronin, dann nach dem Schlosse des weltlichen Schirmherrn und zurück nach der Herberge in der Stadt, wo der „Zahnacker“ aus dem herrschaftlichen Keller in Strömen gespendet fließt – aber die Brüder müssen fest auf den Beinen und im Kopfe bleiben, denn nunmehr naht es, das Gericht, das schwere Strafen, oft bis zu hundert Gulden an Werth, verhängen kann und auf dem kein Frevel gegen die erlassene Ordnung, noch gegen die Ehre der Bruderschaft ungeahndet bleibt. Endlich aber löst sich der Ernst, und in dem „Herrengarten“ ergeht sich das lustige Volk bis in die frühen Morgenstunden bei Wettgesang, Tanz und allerlei toller Kurzweil.

Das war der Pfeifertag von ehedem. Er wurde gefeiert, auch als im 17. Jahrhundert die Grafschaft Rappoltsweiler die französische Oberherrlichkeit hatte anerkennen müssen und der stolze Name eines „roi des violons“, eines „Königs der Spielleute“, unter die Titel des Königs von Frankreich aufgenommen worden war. Er wurde auch noch gefeiert, als die große Revolution am Ende des vorigen Jahrhunderts mit den Zünften und manchem anderen Stuck Mittelalter auch die Pfeiferbruderschaft verschlungen hatte – jetzt freilich ohne feierlichem Gericht, nur noch als ein liebgewordenes Volksfest, als lustige „Kilbe“, zu der vergnügungssüchtiges Volk von weither herbeiströmte, ohne sich der geschichtlichen Bedeutung des Tages irgend bewußt zu sein. Der „Pfifferdaa“ ist heute noch eine volksthümliche Zeitbestimmung : „’s isch licht sachs Wucha zitter’m (seit dem) Pfifferdaa gsy“ kann man den Rappoltsweiler erzählen hören, und auf dem Rathhause des ehrsamen Städtchens gilt der Brauch, daß nach dem „Pfifferdaa“ abends Licht gemacht wird.

Schon in den vierziger Jahren wurde einmal der Versuch gemacht, den Pfeifertag durch Anregung geschichtlicher Erinnerung etwas in die Höhe zu bringen, ihn gleichsam zu veredeln; aber das Unternehmen mißfiel auf der Präfektur zu Kolmar, und so unterblieb die Sache. Erst im deutschen Elsaß sollte die Wiederbelebung der alten Sitte gelingen, dank der regen Thätigkeit der Rappoltsweiler Musikvereine und der Feuerwehr und dank der dramatischen Begabung des Rappoltsweiler Bürgers Dr. Ernst Jahn, der es verstand, ein Stück aus der Geschichte dieses Pfeifertages in die Form eines volksthümlichen Bühnenstücks zu kleiden und auf diese Weise, unterstützt von dem glücklichen musikalischen Talent eines anderen Landsmannes, H. M. Bloch, und von dem Kunstmaler Bosch aus Düsseldorf allem Volke von Stadt und Land eindringlich vor Augen zu führen, wie es vor Zeiten gewesen. So feierte man in den [754] Septembertagen dieses Jahres die fünfhundertjährige Jubelfeier des Pfeifertages mit ganz besonderem Glanze, nicht bloß mit den üblichen Volksbelustigungen, mit feierlichem Umzug durch die Straßen, Musik, Tanz, Spiel und Feuerwerk, sondern auch mit wiederholten Aufführungen des historischen Festspiels „Die Pfeiferbrüder“.

Der Herrengarten, welcher inzwischen Eigenthum der Stadt geworden ist, bildete wie ehemals den Schauplatz für den Hauptakt der Festlichkeiten. Dort befand sich die kunstlose Bühne, ein einfaches Zelttuch umspannte den Zuschauerraum. Das Stück selbst, dessen Rollen durchweg von Rappoltsweiler Bürgern übernommen waren, spielt in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Wilhelm von Rappoltstein wohnt dem Pfeifergerichte bei, das sein Pfeiferkönig Loder abhält. Bewerber um die Aufnahme in die Bruderschaft treten auf und legen in munteren Liedern Proben ihrer Kunst ab. Unter den Sängern befindet sich aber auch ein verkappter Graf von Urslingen, ein Verwandter der Rappoltsteiner, der als Lautenschläger verkleidet das Land durchzieht, um nach einem vor Jahren von Zigeunern geraubten Bruder zu forschen. Nun hat auf dem Festplatze ein Wunderdoktor, Manubrius, sein Zelt ausgeschlagen; Elias, sein Pflegesohn und Gehilfe, weigert sich, länger als Lockvogel für die zu prellenden Bauern sich brauchen zu lassen, und als Mitglied der Pfeiferbruderschaft klagt er vor dem Pfeifergerichte wider seinen Pflegevater. Zur Rache beschuldigt ihn dieser der unehelichen Geburt – was ihn aus der Bruderschaft ausgeschlossen hätte – und des Diebstahls einer goldenen Denkmünze, die Elias am Halse trug. Aber eben diese Denkmünze, verbunden mit den Angaben eines beim Hühnerdiebstahl aufgegriffenen Zigeuners, bringt die Wahrheit an den Tag. Der Urslinger erkennt – es ist das die Scene, welche unser Bild Seite 752 darstellt – in der Münze ein Geschenk seiner Mutter, und der Zigeuner bestätigt, daß er vor fünfzehn Jahren dem Manubrius ein gestohlen Kind verkauft habe,



welches Elias glich. So findet der Bruder den Bruder wieder, den Bösewicht Manubrius ereilt seine Strafe und alles endigt in Friede und Freude. –

Ehe wir aber den Pfeifertag verlassen, müssen wir noch einmal zu den Schicksalen der Rappoltsteiner Herrschaft zurückkehren. Der letzte Sproß des mächtigen Geschlechtes war Johann Jakob von Rappoltstein, der im Jahre 1673 ohne männliche Nachkommen starb. Um sein Erbe erhub sich ein heißer Streit, aus dem durch Entscheid des französischen Ludwig XIV. schließlich Pfalzgraf Christian II. von Birkenfeld-Zweibrücken, der Gemahl einer Tochter von Johann Jakob, als Sieger hervorging. Abwechselnd residirten nun die Pfalzgrafen in Birkenfeld, Bischweiler und im Stadtschlosse der Rappoltsteiner. Dort wurde 1756 auch der berühmteste unter den Nachfolgern Christians geboren, der „Prinz Max“, der als Herr von Rappoltstein und Oberst eines französischen Regiments in Straßburg lebte. Da kam die Revolution und fegte auch den letzten Rest von Selbständigkeit der Herrschaft Rappoltstein hinweg. Prinz Max floh über den Rhein, und seine Besitzungen wurden als Nationalgut verkauft. Aber der Prinz war zu höherem vorbehalten.

Im Jahre 1798 starb der Kurfürst Karl Theodor von Bayern, und der Erbe seiner sämmtlichen pfalzbayerischen Länder wurde Max, derselbe, den Napoleon I. im Jahre 1806 zum König von Bayern erhob. Und es ist, als ob die kunstsinnige Ader der alten Rappoltsteiner fortgelebt hätte in dem Geschlecht; Ludwig I. wurde der Gründer der Kunststadt München, Ludwig II. der eifrige Gönner und Förderer des Theaters und der Musik. Wer weiß nicht, wie nahe Richard Wagner diesem Fürsten stand! Wäre der große Meister und Schöpfer des „Parsifal“ und des „Rings des Nibelungen“ vierhundert Jahre früher zur Welt gekommen, man hätte ihn am Ende als ernannten Pfeiferkönig sitzen sehen können und inmitten seiner Getreuen Gericht halten am Pfeifertag.




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Die Ostjaken.

Von Alfred Edmund Brehm.

      (Schluß.)

Die Sonne neigt sich; mit neuem reichen Segen kommen die Männer, Jünglinge und Knaben angefahren. Rohe Fische haben sie gegessen nach Bedarf; jetzt verlangt sie’s nach warmen Speisen. Ein großer dampfender Kessel mit gekochten Fischen, köstlichen Renken, der Lachse nächsten Verwandten, wird ihnen vorgesetzt; mit Fischfett getränktes Brot bildet die Zukost, mit dem kalten Wasser auf das Feuer gesetzter, längere Zeit gekochter Ziegelthee (in Form von Ziegeln zusammengepreßte Theeblätter) beschließt das Mahl. Wenn aber „die Begier nach Speise und Trank gestillt ist,“ verlangt auch der Geist seine Nahrung, und deshalb ist der Künstler willkommen, welcher jetzt, die von ihm selbst gearbeitete Harfe oder Zither herbeibringt, sei es, um eines der ureigenthümlichen, unbeschreiblichen Lieder zu spielen, sei es, um die Bewegungen der in absonderlichem Tanze sich hebenden und senkenden, einen Arm um den andern werfenden, streckenden und wieder an den Leib ziehenden Frauen zu begleiten. Bis das Mückenzelt bereitet worden ist, währt solche Fröhlichkeit; dann verschwindet auch hier jung und alt unter dessen Falten.

Der Sommer ist vorüber, auf den kurzen Herbst folgt der Winter. Mit dem Zuge der Vögel beginnt neue Thätigkeit, mit dem Winter neues, nein, das volle wahre Leben der Ostjaken. Den abziehenden gefiederten Sommergästen stellt man das verrätherische Netz; in künstlich hergestellten Lichtungen des dichten Weidenwaldes der Ufer wird es auf den erkundeten Flugstraßen zwischen zwei größeren Wasserflächen ausgespannt, ein großes, leichtbewegliches Fangnetz, in welches nicht allein Enten, sondern auch Gänse, Schwäne, Kraniche fliegen, willkommene Beute ihres Fleisches und ihrer Federn halber. Gleichzeitig mit dem Vogelsteller zieht auch der Wanderhirt aus zur Jagd und stellt in der Tundra seine Fallen auf Roth- und Eisfuchs, auf Wölfe und Füchse, Zobel und Hermeline, Vielfraße und Eichhörnchen. Ist Schnee gefallen, so schnallt sich der geübtere Jäger die Schneeschuhe an die Füße, die Schneebrille vor die Augen und begiebt sich mit den flinken Hunden in den Wald, in die Tundra, um den Bären im Lager aufzusuchen, der Fährte des Luchses zu folgen, dem jetzt behinderten Elch und wilden Renthiere auf der wohl ihn, nicht aber jene tragenden Schneedecke nachzujagen. Hat er einen Bären erlegt, so zieht er frohlockend ein in das Dorf, in den Tschum, Nachbarn und Freunde umstehen ihn jubelnd, bis auch ihn die allgemeine Freude ansteckt, er sich still davon schleicht, vermummt und verlarvt zurückkehrt und sodann den Bärentanz beginnt – wundersame Bewegungen, welche die des Bären in allen Lagen seines Lebens wiedergeben und versinnlichen sollen.

Reiche Beute an Fellen birgt bald die Hütte des Fischers, noch reichere der Tschum des Hirten, da dieser auch viele Decken der im Laufe des Jahres von ihm geschlachteten Renthiere aufgespeichert hat. Jetzt gilt es, sie loszuschlagen. Ueberall rüstet man sich, auf den Jahrmarkt zu ziehen, welcher alljährlich in der zweiten Hälfte des Januars in Obdorsk, dem letzten russischen Dorfe und wichtigsten Handelsplatze am unteren Ob, abgehalten und von Einheimischen und Fremden besucht wird, während dessen der russische Regierungsbeamte die Steuern erhebt von Ostjaken und Samojeden, Streitigkeiten schlichtet und Gericht hält. In langen Reihen erscheinen, von allen Seiten herbeikommend, die renthierbespannten [755] Schlitten, und rings um den Marktflecken erwächst ein Tschum nach dem anderen, jeder einzelne umgeben von Schlitten, die mit dem veräußerlichen Erwerbe des Jahres schwer bepackt sind. Allmorgendlich zieht der Tschumbesitzer mit seiner Lieblingsfrau im vollsten Putze den Marktbuden zu, um Felle zu verkaufen, Waren zu erwerben. Man handelt, man feilscht, man versucht zu betrügen. Branntwein, dessen Ausschank und Verkauf zwar von Regierungs wegen streng verboten, der aber nichtsdestoweniger bei jedem Kaufmann, fast in jedem Hause von Obdorsk zu haben ist, umnebelt die Sinne, raubt den Verstand des Ostjaken wie des Samojeden und macht beide ärmer noch als die entsetzliche Renthierseuche. Branntwein weckt alle Leidenschaften des sonst leidenschaftslosen, gutmüthigen und harmlosen Ostjaken und wandelt den friedfertigen, freundlichen Gesellen zu einem wüthenden, sinnlosen Thiere um. Nach Branntwein lechzt der Mann, nach Branntwein die Frau; Branntwein gießt der Vater dem lüsternen Knaben, die Mutter der verlangenden Tochter in den Schlund; um Branntwein verschleudert der Ostjake seine mühselig erworbenen Schätze, seine ganze Habe, um Branntwein verdingt er sich als Sklave, um Branntwein verkauft er seine Seele, verleugnet er den Glauben seiner Väter. Mit Hilfe des Branntweines erlangt der unredliche Käufer zuletzt alle Felle des Ostjaken, und ledig derselben, mit leerem Beutel und wüstem Haupte kehrt der mit stolzen Hoffnungen nach Obdorsk gezogene, betrogene, um nicht zu sagen ausgeplünderte Mann heim in seinen Tschum. Er bereut seine Thorheit, seine Schwäche, faßt die besten Vorsätze, beruhigt sich dabei und denkt bald nur noch daran, wie vortrefflich er sich mit seinen Stammesgenossen unterhalten hat.

Wie für andere Geschäfte, so ist dieser Jahrmarkt auch oft die Stätte, wo die Heirathsverabredungen getroffen werden. Die Bestimmung der Eltern, nicht aber der Wille der Brautleute, schließt eine ostjakische Ehe. Auf Wunsch und Wollen des Bräutigams nimmt man vielleicht Rücksicht, gestattet einem Knaben wohl auch, seine Augen auf eine der Töchter seines Volkes zu werfen, sendet den Freiwerber aber nur in dem Falle zum Vater des Mädchens, wenn die eigenen Verhältnisse mit denen des künftigen Schwähers übereinstimmen. Die Jungfrau wird nicht befragt, schon aus dem Grunde nicht, weil sie, wenn man sie verlobt, noch viel zu jung ist, als daß sie mit Verständniß über ihre Zukunft entscheiden könnte. Hat doch auch ihr zukünftiger Gatte sein fünfzehntes Jahr noch nicht erreicht, wenn der Freiwerber um sie, die Zwölfjährige, anhält. Ist das Brautgeld, über dessen Höhe man sich oft erst nach langwierigen Verhandlungen einigt, bezahlt, so findet die Vermählung der jungen Leute statt. Im Tschum des Brautvaters stellen die Verwandten der Familie sich ein, um der Braut Geschenke zu bringen und aus der für jedermann zur Schau gestellten Morgengabe des Bräutigames solche entgegenzunehmen. Man kleidet die Braut in Festgewänder und rüstet sie und sich zur Fahrt nach dem Tschum des Bräutigams. Vorher hat man tapfer geschmaust von dem Fleische der frisch geschlachteten Renthiere nach üblicher Weise. Gekocht wurden heute nur einige unter dem Eise gefangene Fische; das Fleisch der getödteten Renthiere aß man roh, und wenn eines zu erkalten begann, empfing ein zweites den Todesstoß. Die Braut weint, wie es scheidenden Bräuten zukommt, will den Tschum, in welchem sie aufgewachsen ist, nicht verlassen und läßt sich erst noch tröstender Zusprache Aller hierzu bereit finden. Ein Gebet vor dem Hausgötzen ersteht den Segen Ohrts, des Himmlischen, dessen Zeichen Sornidud, das Gottesfeuer, in unseren Augen nur das knisternde Nordlicht, in vergangener Nacht blutroth am Himmel stand. Die scheidende Tochter wird begleitet von der Mutter, die ihr helfend zur Seite steht; mit der Tochter besteigt sie den Schlitten, die gestimmte zur Hochzeit eingeladene Sippe die ihrigen, und dahin in festlichem Gepränge, unter dem Geläut der Glöckchen, welche heute alle Renthiere an ihren reichsten Geschirren tragen, geht die hochzeitliche Fahrt.

Im Tschum des Vaters erwartet der Bräutigam die vor dem Vater und den Brüdern ihres zukünftigen Gatten heute wie immer das Gesicht züchtig mit dem Kopftuche verhüllende Braut. Ein neues Fest nimmt seinen Anfang, und erst spät in der Nacht trennen sich die Gäste, denen sich auch die Verwandten des Bräutigams zugesellt hatten. Am nächsten Tage aber bringt die Mutter die junge Frau in den Tschum des Brautvaters zurück. Doch schon einen Tag später erscheinen hier alle Sippen des Bräutigams, um sie wiederum für diesen zurückzufordern. Nochmals erfüllt Festjubel die rindenen Wände der Hütte; dann scheidet die Braut für immer aus dieser und theilt fortan mit ihrem Gatten allein oder mit diesem und seinen Eltern und Geschwistern, oder später mit einer zweiten Frau ihres Mannes den Tschum.

Hundertundfünfzig Renthiere, sechzig Felle vom Eis-, zwanzig vom Rothfuchs, ein großes Stück Kleidertuch, mehrere Kopftücher nebst allerhand Kleinigkeiten hatte einst der Gemeindevorsteher Mamru für seine Gattin gezahlt. Damals freilich waren noch bessere Zeiten gewesen und Mamru hatte ein Brautgeld im Werthe von mehr als tausend Silberrubeln wohl aufwenden können für eine ebenso stattliche als reiche Frau aus vornehmer Familie. Jetzt ist der Maßstab ein bescheidenerer geworden. Armer Leute Söhne zahlen als Brautgeld höchstens zehn Renthiere, Fischersöhne nicht einmal diese, sondern nur die nöthigsten Einrichtungsgegenstände des Tschums und theilen diesen oft mit mehreren Familien; zu einem Fest- und Freudentage wird aber auch ihre Hochzeit und dabei gegessen und geschmaust, soviel das geringe Vermögen zuläßt.

Arme Ostjaken nehmen nur eine Frau, reiche aber betrachten es als ein Recht des Wohlstandes, zwei oder mehr zu ehelichen. Doch wahrt sich auch dann noch die Erstgeworbene gewisse Vorrechte den anderen gegenüber, und die letzteren erscheinen mehr als ihre Dienerinnen, denn als gleichberechtigt mit ihr. Nur wenn ihr Kinder versagt sein sollten, mag es anders sein, denn Kinderlosigkeit gilt als eine Schmach für den Mann, und eine kinderlose Frau ist im Tschum eine beklagenswerthe Unglückliche.

Die Eltern sind stolz auf ihre Kinder und behandeln sie mit warmer Zärtlichkeit. Mit unverkennbarem Glück in Blick und Gebärde legt die junge Mutter ihr Erstgeborenes auf das weiche Wassermoos in der niedlichen Wiege aus Birkenrinde; sorglich schnürt sie die Decken zu beiden Seiten zusammen und bedachtsam umhüllt sie das Kopfende des kleinen Bettleins mit dem Mückenvorhange; aber ihre Reinlichkeitsliebe läßt viel zu wünschen übrig. So lange das Kindlein noch klein und unbehilflich ist, wäscht und reinigt sie es allerdings, wenn sie glaubt, daß beides unerläßlich sei; wenn es größer geworden ist, wäscht sie nur einmal täglich Gesicht und Hände, eine Hand voll geschabter Fasern aus dem Holze der Weide als Schwamm, eine andere, trockene als Handtuch verwendend, sieht dann aber ohne jegliche Erregung zu, wenn das kleine Wesen, welches jederzeit Gelegenheit findet, sich zu beschmutzen, in einer uns fast undenkbaren Unsauberkeit einhergeht. Erst wenn der junge Ostjake sich selbst zu helfen vermag, endet allmählich solcher Mißstand; kaum einer aber hält es auch dann für nöthig, nach jeder Mahlzeit sich zu waschen, und mag dieselbe auch noch so blutig gewesen sein.

Die Kinder ihrerseits hängen ebenso zärtlich und treu an ihren Eltern wie diese an ihnen, sind auch in anerkennenswerther Weise folgsam und dem Willen ihrer Erzeuger unterthan. Ehrfurcht gegen die Eltern ist das erste und vornehmste Gebot der Ostjaken, Ehrfurcht gegen die Gottheit wohl erst das zweite. Als wir Mamru, dem erwähnten Gemeindevorsteher, den Rath ertheilten, seine Kinder in der russischen Sprache und Schrift unterrichten zu lassen, erwiderte er uns, daß er den Nutzen solcher Kenntnisse wohl einsehe, jedoch fürchten müsse, daß seine Kinder dann vergessen könnten, Vater und Mutter zu ehren, und damit das wichtigste Gebot des Glaubens verletzen möchten. Dies mag der Grund sein, weshalb kein einziger Ostjake, welcher noch dem Glauben seiner Väter anhängt, mehr erlernt, als sein Zeichen, einen Krikelkrakel, auf Papier zu malen, in Holz oder in das Fell der Renthiere einzuschneiden. Und doch lernt er, als höchst anstelliger und geschickter Mensch, so rasch und leicht, was ihn gelehrt wird, daß er in dem frühreifen Alter, in welchem er verheirathet wird, alles versteht, was zur Begründung und Erhaltung eines Haushaltes erforderlich ist.

Der Glaube des Volkes ist einfach und kindlich. In den Himmeln thront Ohrt, dessen Name so viel wie „Ende der Welt“ bedeutet. Er ist ein allmächtiger Geist, welcher nur dem Tode gegenüber keine Macht hat, den Menschen wohlwollend zugeneigt, Geber des Guten, Spender der Renthiere und Fische und Pelzthiere, Feind des Bösen und Rächer der Lüge, streng nur dann, wenn ihm Versprochenes nicht gehalten wird. Ihm feiert man Feste, ihm opfert und zu ihm betet man; seiner gedenkt der Flehende, welcher sich vor ein heiliges Bild stellt. Böse Geister wohnen im Himmel wie auf Erden, aber Ohrt ist mächtiger als sie alle; nur der Tod ist mächtiger als er. Ein ewiges Leben nach dem Tode giebt es nicht, eine Auferstehung ebenso wenig; [756] aber der Todte wandelt noch ferner als Schatten auf Erden umher und hat noch immer Macht, Gutes und Böses zu thun.

Stirbt ein Ostjake, so beginnt unmittelbar nach seinem Tode das Schattenleben des Gewesenen; daher schreitet man unverzüglich zu seiner Beerdigung. Schon vor seinem Tode hatten sich alle Freunde des Scheidenden versammelt; sofort nach dem Ableben zündet man im Tschum, in welchem die Leiche liegt, ein Feuer an und unterhält es, bis man zur Grabstätte aufbricht. Diese liegt stets in der Tundra, auf erhabener Stelle, gewöhnlich auf dem Rücken eines langgestreckten Hügels; die Gräber sind mehr oder minder kunstvoll zusammengefügte Truhen, welche über dem Boden aufgestellt werden. In Ermangelung fester Bohlen zu ihrer Herstellung zerschneidet man ein Boot und bettet in dieses den Leichnam; nur sehr arme Leute tiefen eine seichte Grube im Boden aus und begraben in ihr den Todten.

Der Leichnam wird nicht gewaschen, aber mit Feierkleidern angethan und sein Haar gestrählt, sein Gesicht sodann mit einem Tuche verdeckt. Alle übrig bleibenden Kleider fallen den Armen zu. Einen fremden Todten berührt man nicht mit den Händen, einen geliebten Verwandten aber wohl, küßt ihm selbst mit Thränen im Auge das erstarrte Antlitz.

Auf einem Schlitten, unter Geleit aller versammelten Verwandten und Freunde, bringt man den Leichnam zum Bestattungsorte. In die Truhe oder in das Grab legt man ein Renthierfell, auf welchem der Todte ruhen soll, ihm zu Häupten und zu beiden Seiten Tabak, Pfeife und allerlei Geräth, welches er im Leben gebrauchte; um und unter die Truhe kommen alle diejenigen Stücke zu liegen, welche in ihr selbst nicht Platz finden, nachdem man die Geräthschaften vorher zerschlagen oder irgendwie für Lebende unbrauchbar gemacht hat, nach ostjakischer Ansicht zu Schatten von dem, was sie waren.

Währenddem hat man in der Nähe des Grabes auch ein Feuer angezündet und eins oder mehrere Renthiere geschlachtet, deren Fleisch jetzt von den Leidtragenden theils roh, theils gekocht genossen wird. Nach dem Leichenmahle spießt man die Schädel der geschlachteten Renthiere auf Pfähle, umwickelt sie oder nahestehende Bäume auch mit deren Geschirr, hängt die Glöcklein, welche sie bei festlichen Gelegenheiten und so auch heute trugen, an den oberen Jochen der Grabtruhe selbst auf, zerschlägt endlich den Schlitten, stürzt ihn über dem Grabe um und giebt diesem damit seinen letzten Schmuck. Dann zieht man heimwärts. Die Klage verstummt, und das Leben fordert wiederum seine Rechte.

Im Dunkel der Nacht aber beginnt der Schatten des Todten, ausgerüstet mit den zu Schatten gewandelten Werkzeugen, sein geheimnißvolles Wesen. Was er gethan, als er noch unter den Lebenden wandelte, thut er auch ferner. Unsichtbar für alle weidet er seine Renthiere, treibt er sein Boot durch die Wellen, schnallt er sich die Schneeschuhe an die Füße, spannt er den Bogen, stellt er das Netz, erlegt er die Schatten gewesenen Wildes, fängt er die Schatten gewesener Fische. Im Dunkel der Nacht tritt er in den Tschum seiner Familie, fügt er seinen Nachgelassenen Gutes und Böses zu. Sein Lohn ist, seinem eigenen Fleisch und Blut Wohlthaten zu erzeigen; seine Strafe besteht darin, seinen Angehörigen fortdauernd Böses zufügen zu müssen.




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Allerseelen.

(Zu dem nebenstehendem Bilde.)

Willst du der Erde tiefstes Leid
Hin zu den stillen Gräbern tragen,
O, gehe nicht zur Frühlingszeit,
Geh in des Herbstes späten Tagen.

5
Geh, wenn die letzte Blume stirbt

Am Todeshauch der rauhen Lüfte,
Geh, wenn das letzte Blatt verdirbt,
Das kosend noch umschlang die Grüfte!

Geh, wenn die Trauerweiden kahl

10
Die letzten frost’gen Thränen weinen

Und ihre Blätter silberfahl
Sich kräuseln auf den Leichensteinen!

So steht der Mensch, an Hoffnung leer
Wie sie, gebeugt, den Blick nach unten,

15
Das Aug’ hat keine Thräne mehr,

Das Herz hat keinen Trost gefunden.

Aus ist das Spiel, kein Mißton dringt
Hinab bis zu des Müden Stätte,
Der letzte Erdenlaut verklingt –

20
Ja, wer’s schon überstanden hätte!
Dr. K. Ebersberger.




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Der Sprung im Glase.

Erzählung von Anton Freiherr v. Perfall.


1.

Die „Laura“ lag auf der Werft. Sie war schlimm dran, ein Engländer hatte sich im Kanal sehr ungalant gegen sie bewiesen. Man zweifelte lange Zeit, ob man überhaupt noch imstande sein werde, ihre alten, zerbrochenen Rippen wieder einzurichten. Aber der Reeder, der alte Christen Rungholt, gab nicht nach, er blieb dabei, die „Laura“ könne auch das Flicken vertragen. Sie war eine alte Liebe von ihm und an einem wichtigen Tage hatte sie einst ihren Namen erhalten, der ihm ein Stück von seinem Leben bedeutete. –

Christen Rungholt war schon nicht mehr jung gewesen, als er vor zwanzig Jahren Holde Buiksloot von den, „Halligen“ geehlicht hatte und mit ihrem Gelde – der alte Buiksloot war Besitzer von halb Oland, der fruchtbarsten der Inseln, und früher Vorsitzender des Seegerichtes für die „Halligen“, das hier seit alter Zeit seinen Sitz hatte – selbständiger Reeder geworden war. Um so größer war die Freude, als ihm Holde eines Tages ein echtes Nordseekind brachte, mit großen, feuchten Blauaugen, die leuchteten wie ein sonniger, freudiger Meertag. Er drückte es an seinen stachligen Seemannsbart, schob das Primchen bei Seite und gab ihm einen saftigen Kuß, darob das kleine Korallenmündchen sich gar bitter verzog. Plötzlich fuhr er zusammen, daß Holde ängstlich nach dem Kinde griff.

„Wie soll’s heißen, Holde?“ fragte er in einem jähen Tone, „rasch – rasch!“

Er sah sichtlich beängstigt auf die Uhr.

Holde erschrak. „Aber lieber Mann, es hat ja noch Zeit bis zur Taufe!“

„Es hat keine Zeit! Den Namen! Den Namen!“

Er hatte die Thürklinke schon in der Hand.

„Ich dachte – aber wie gesagt – ,Laura’ dachte ich –“

Schon war Christen Rungholt verschwunden, er lief, was er konnte, mit seinen schiefen kurzen Beinen der Werft zu. Ein mächtiges Schiff, von Gerüsten umgeben, leuchtete von weitem in frischen, noch feuchten Farben, der taktmäßige Schlag der Hämmer zitterte melodisch klingend durch die Luft.

Christen war außer Athem. „Halt! Halt! Nicht ,Oland’ – ,Laura’,“ schrie er von weitem.

Niemand schien ihn zu hören bei denn Getöse der Arbeit. Endlich stand er vor dem Schiffe; vorn am Bug arbeiteten zwei Männer auf einem hängenden Gerüste, unter dem Vordersteven leuchtete in Messing ein mächtiges „O“ in erhabener Arbeit.

„Halt, sage ich!“ schrie er keuchend hinauf. „‚Laura‘ soll es ja heißen! Donner und Wolken, ich kann doch mein Schiff nennen, wie ich will! Runter mit dem O, sage ich –,Laura’! Hört Ihr nicht?“

Kopfschüttelnd machten sich die Arbeiter daran, das O wieder abzustemmen.

„Mit den verdammten Frauenzimmern!“ brummte der eine von ihnen. „So ein stattliches Vollschiff – ,Laura’!“ Der Matrose oben am Bugspriet spuckte verächtlich einen braunen Saft über Bord.

[757]

Allerseelen.
Zeichnung von M. Ebersberger.

[758] Einige Wochen später dampfte die „Laura“ zum Hafen hinaus, vollgepfropft mit kostbarer Ladung nach Indien. Und das „verdammte Frauenzimmer“ hatte Glück, zwanzig Jahre hindurch kreuzte sie zu Christen Rungholts Ehr’ und Nutz den Ozean, bis ihr vor einigen Wochen der saubere Engländer bei Nacht und Nebel in die Rippen rannte, als sie nach einer halbjährigen Abwesenheit keine fünfzig Seemeilen mehr von der Heimath entfernt war; und auch dabei hatte sie noch Glück gehabt, sonst läge sie wohl mit Mann und Maus auf dem Nordseegrund.

Jetzt wimmelte es um ihre breite klaffende Wunde wie von Sommerfliegen und da und dort blitzte schon eine neue Rippe aus dem dunklen Rumpfe. Die Mannschaft der „Laura“ war durchaus nicht ungehalten über diesen unverhofft langen Aufenthalt am Lande, sondern nützte im Gegentheil, jeder auf seine Weise, diesen seltenen Umstand. Da wurden alte Freunde aufgesucht; die wohligen, längst entbehrten Freuden der Familie, des festen sicheren Hauses, des ungestörten Schlafes genossen. Da wurde Umschau gehalten in den Strandhäusern und Fischerhütten weit und breit und manch goldenes Luftschloß gezimmert. Die Zeit der Wahl ist kurz für den Seemann. Neue Schwüre wurden geschworen, alte, schon fast erstorbene Hoffnungen wieder neu belebt.

Am besten von allen, darüber galt kein Zweifel, nützte die Zeit Bill Lührsen, der zweite Steuermann, indem er Hochzeit hielt mit eben derselben Laura, um derentwillen vor zwanzig Jahren das blitzende O herab mußte vom Schiffsbug, mit Christen Rungholts, seines eigenen Patrones, schöner blauäugiger Tochter.

Er war schon seit zwei Jahren mit ihr verlobt, und jetzt nach seiner Rückkehr von dieser westindischen Fahrt sollte die Hochzeit sein; so war es ausgemacht, und da es Christen Rungholt einmal destimmt hatte, so blieb das fest wie der Leuchtturm von Dungeneß, obwohl der Alte ein böses Gesicht machte, als er die arme „Laura“ in den Hafen bugsieren sah. Was konnte am Ende der zweite Steuermaun dafür, der Kapitän war verantwortlich, und er, Christen Rungholt, kannte ja diese verfluchten Engländer aus eigener Erfahrung!

In dem schmucken, durch seine Bauart und seine Reinlichkeit an Holland erinnernden Hause am Hafen von H. ging es hoch her. Christen und Holde übertrieben die Sache sogar ein bißchen, die Leute sollten nicht glauben, das Mißgeschick mit der „Laura“ habe ihnen die Laune verdorben, oder gar, sie gäben Bill Lührsen Schuld daran.

Von den „Halligen“ kamen die Vettern und Basen, wettergebräunte, flachshaarige Männer und Frauen in kleidsamer Tracht, unter Führung von Claus Buiksloot, dem jetzigen Seerichter auf Oland, Holdes bejahrtem Bruder, alle Rungholts von H., einige Kameraden Bills von der „Laura“, Lars Tönningen, der Kapitän selbst, ein wackerer altbewährter Seemann, dem der brave Christen vor allen Leuten zeigen wollte, daß er Nebel und gewissenlose Engländer von Fahrlässigkeit wohl zu unterscheiden wisse.

Das waren die eigentlichen Hochzeitsgäste. Abends jedoch, als Feierabend draußen im Hafen war und aus den Fenstern der großen Wohnstube unten fröhliche Tanzmusik erscholl, da pochte gar manche in der Eile etwas zurechtgestutzte, wenn auch nicht gerade festlich gekleidete Theerjacke an die Thür, um ihren Glückwunsch mit einem so vielsagenden Blick auf das stattliche Fäßchen Flensburger Bier, das in der Ecke stand, anzubringen, daß die Einladung, etwas zu verweilen und eines mitzutrinken, nie ausblieb. Mit der Form nahm es Christen Rungholt nicht so genau, wenn er auch gar stolz auf sein Haus und seinen Wohlstand war.

In dem lauschigen, epheuumrankten Erker, von dessen dunkler Holzdecke das Modell eines stattlichen Dreimasters herabhing, saßen Christen Rungholt und sein Weib, das junge Paar, der Kapitän und der Seerichter beim Hochzeitswein. Lars Tönningen erzählte bereits zum dritten Male das Unglück mit der „Laura“ und wies mit dröhnender Stimme, auf die Bank steigend, an dem Schiffsmodell seine völlige Unschuld nach. Christen gab dann die Geschichte von einem anderen rücksichtslosen Engländer zum besten, selbst Claus, der Seerichter, ein ernster stiller Mann, ward lebendig, er erzählte von dem endlosen Kampfe seines kleinen Heimathlandes mit der gierigen See, in dem er ergraut war; – da heulte der Sturm im Takelwerk, wälzten sich die weißköpflgen Wogen durch die Sturmnacht, ächzte, stöhnte das rollende Schiff, brüllte die Brandung – das hörte sich so wohlig an in dem heimlichen Erker, unter den Klängen der Tanzmusik, beim Rheinwein, der die rauhen Männer so weich machte, daß ihre Augen sich feuchteten bei Erzählung kühner Seemannsthat, heldenhaften Rettungswerkes.

Bill und sein junges Weib bildeten einen scharfen Gegensatz inmitten dieser ernsten, wetterharten Gesichter mit dem männlichen Trotz in den Zügen; für sie rollten keine Wogen, ballten sich keine drohenden Wolken, im Sonnenglanz junger Liebe dehnte sich das sanft gekräuselte Meer und blühende Küsten lachten ihnen entgegen. Bill spielte mit den schweren blonden Zöpfen seiner jungen Frau und sprach im Flüstertone, nicht von kühnen Abenteuern, sondern von ganz kleinen nichtigen, kindischen Dingen, von einem Gärtchen, welches Gemüse sie bauen wollten, von Schürzen und Bändern, von seinem Lieblingsgericht, von der neuen Hauseinrichtung.

Laura hörte andachtig zu, von seinem Arm umschlungen, und die kleinen nichtigen Dinge färbten ihre Wangen dunkelroth und feuchteten ihr blaues Meerauge wie die Erzählungen kühner Seemannsthaten und der Rheinwein die der Männer.

„Und es ist doch so, ich lasse mir’s nicht nehmen, es giebt Vorbedeutungen, man muß nur darauf horchen, und niemand hat mehr Gelegenheit dazu als unsereins,“ sagte erregt im Laufe des Gespräches Kapitän Lars Tönningen. „Sie sollen nur einmal ein paar Jahre herumkreuzen mit unsereinem, die gelehrten Herren, die alles wissen; da sieht und hört man allerhand zwischen Fockmast und Bramsegel, was über den Verstand geht! Manchen verstockten Kerl habe ich auf die Kniee fallen sehen zum Gebet in der Sturmnacht, oder angstvoll in die Segel gucken in der Dämmerung, wenn vom Klabautermann erzählt wurde. Sieht sich alles anders an da draußen als unterm festen Dache – lachen Sie nicht so ungläubig, Frau Holde – es ist doch so! Ich wußte es, daß der ‚Laura‘ ein Unglück zustoßen werde, drei Tage zuvor wußte ich es und lauerte auf jede Gefahr wie eine Möve auf den Abfall – und doch geschah’s – doch!“

Er stürzte den ganzen Inhalt des Römers hinunter.

„Doch!“ wiederholte er und seine Faust schlug dröhnend auf den Tisch.

Claus, der Richter, nickte ernst. Frau Holde aber schüttelte ungläubig den Kopf. Das junge Paar wurde aufmerksam.

„Und woher wußten Sie es denn?“ fragte lächelnd Laura. Gewiß eine recht gruselige Geschichte von einem grauen Männchen auf dem Maste, einem räthselhaften Schiffe, das vorbeifuhr, einem bleichen Meerweibe …

Lars sah sehr ernsthaft drein.

„In Ihrem Alter lachte ich auch über solche Geschichten, Frau Lührsen. Wie werden Sie erst lachen, wenn ich Ihnen sage, daß es von all dem nichts war! Eine einfache armselige Katze war’s, mein guter alter Rolf – Sie haben ihn ja gut gekannt, Herr Rungholt, ich nahm ihn einst auf der Südsee von einem verlassenen Wrack, das halbverhungerte Thier, ich war damals einfacher Matrose – wollten ihn sitzen lassen, die andern, ärgerlich, nichts Besseres gefunden zu haben, da nahm ich ihn zu mir. Und von dem Tage an wich Rolf nicht mehr von mir und mit ihm nicht das Glück. Das ging nur so im Sturmlauf: Bootsmann, zweiter, erster Steuermann, bis ich zu Euch kam als Kapitän. Mein guter Rolf immer dabei, auf der Brücke, am Steuer, hoch oben in den Rahen, auf dem Lugaus, bei Sturm und Wetter, nacht und tag. Wollt’ ich verschlafen, rieb er mich wach; er kannte meine Feinde; wenn er die Haare sträubte vor einem Manne, nahm ich mich in acht vor diesem. Das Wetter verstand er wie unsereins, sein Schauen war Sprechen, das nur ich verstand, aus seinen feurigen Augen leuchtete mir das Glück. Ich war immer ein bißchen abergläubisch – ganz richtig – ich hielt ihn für meinen guten Geist; ich wußte, mit meinem Rolf konnte mir nichts zustoßen. – Sicherheit, Selbstvertrauen ist alles beim Seemann – in der schwierigsten Lage festigten mich die ruhigen, stetig auf mich gerichteten zwei glänzenden Augen – ich ward gesucht von den Schiffsherren, ‚der Mann hat Glück und kann was,‘ hieß es. Auch auf der ‚Laura‘ begleitete mich Rolf, zehn Jahre saß er neben mir auf der Brücke, schnurrte mit dem Tosen der Wogen um die Wette und blinzelte über das Meer. Stieg ein Schiff herauf am Horizont, so erblickte er es zuerst, der Augenstern drehte sich, bewegte sich nicht mehr, den Rücken krümmte er wie vor einem Feinde. Des Nachts leuchteten seine Augen wie Phosphor, ich glaube, ihr Licht drang durch Nebel und Wetter als Warnungszeichen.

[759] Da kam der Morgen, wo Rolf nicht mehr um meine Füße geschlichen kam auf der Brücke. Mir wurde angst und weh – ich ließ das ganze Schiff untersuchen, ich tobte und drohte. Ein Schurke hatte ihn wohl getödtet, in das Meer geworfen – ja ich ahnte, wer es war. Ich hatte einen neuen Steward aufgenommen im letzten Hafen; Rolf haßte den Menschen vom ersten Tage an, und er täuschte sich nicht, ich ertappte den Mann bald auf verschiedenen Unehrlichkeiten – der war’s! Ich setzte eine Belohnung aus für den, der den Thäter ausfindig machen würde, ein Schiffsjunge verrieth ihn mir – ich war nahe dran, den Kerl meinem armen Rolf als Todtenopfer nachzusenden, auf die Bitte meiner Leute sperrte ich ihn nur in die Segelkammer. In der Nacht darauf rannte uns der Engländer in die Seite – wie ein Gespenst tauchte er plötzlich auf aus dem Dunkel – mir erstarrte das Blut – meine Hand, die das Steuer herumriß, war lahm, kraftlos – Rolf saß auf einer Speiche, zwei glühende Punkte waren auf mich gerichtet, centnerschwer schien das Rad und stemmte sich gegen meine Hand – ein furchtbares Krachen und Splittern, Sausen, Gurgeln! – Als ich mich vom Fall erhob, war das fremde Schiff verschwunden, die ‚Laura‘ aber neigte sich, ich hörte sie Wasser saugen. Ich sah zitternd nach dem Rade, Rolf war fort, ich drehte es bei, es lief leicht ohne Widerstand – Rolf hat es gehalten, er hatte Sehnsucht nach seinem Herrn!“

„Oder Ihr habt mit Eurem Rolf Euere Entschlossenheit, Eure Sicherheit verloren, Kapitän,“ meinte Frau Holde scharf.

„Und die Angst saß am Ende auf der Speiche, glotzte mich an und machte meine Hände schwach, meinen Sie, Frau Holde! Es ist wahr, man soll dem Zeug nicht nachhängen, es macht den bravsten Mann verwirrt – aber das sind Anlagen, über die man nicht hinauskann, und am Ende – was sagen Sie denn dazu, Herr Buiksloot,“ wandte er sich an den alten Richter, der immerfort mit dem Kopfe nickte; die kleine Thonpfeife lag erkaltet neben ihm, so eifrig hörte er zu.

„Als die große Springfluth war, die halb Oland fraß,“ begann er mit unsicherer Stimme, „da sah man die Nacht zuvor – die Fischer beschworen es aufs Sakrament, mein Schwager selbst war dabei – einen Reiter über die Dünen jagen von Langeneß her, als ob er übers Wasser käme; er ritt um die Kirche und hielt an vielen Häusern; es waren unerschrockene Männer, die Fischer, sie kamen vom Abendfang, sie folgten dem Reiter, obwohl sie wußten, daß es nicht mit rechten Dingen zuging – es gab kein Pferd auf Oland damals – doch sie konnten ihn nicht erreichen; nur wo er still gestanden hatte, war ein kleiner Wassertümpel; auch vor meinem Haus. Holgr, der Schwager, erzählte mir alles und drückte schwere Besorgniß aus; ich war damals jung und hatte ein junges, schönes Weib, ich lachte ihn aus und die andern, die Nacht war kalt, und da trinkt man gern eins mehr als nöthig – die nächste Nacht kam die Fluth, mein Haus fraß sie zuerst sammt meinem jungen Weib und meinem Kinde in der Wiege – seit der Zeit lache ich nicht mehr, auch über Lars Tönningens Rolf nicht!“

Die Musik schwieg, das junge Volk drängte sich um den Erzähler – da gab es was zu hören von diesen zwei alten Seewölfen. Die Mädchen schmiegten sich inniger an die Bursche, die das Gruseln schmunzelnd sich zu nutze machten und in losen Scherzen es zu vermehren suchten. Bald zuckte einer zusammen und starrte regungslos zum Fenster hinaus, als habe er auch einen Reiter oder etwas ähnliches Gespenstiges erblickt; bald deutete einer in irgend einen dunklen Winkel mit ängstlicher Gebärde, und als plötzlich die Thür aufging und ein neues Faß Flensburger hereingerollt wurde, schrie alles jäh auf, als ob Rolf, der Kater, sich hereinwälzte.

Am Erkertisch herrschte eine gedrückte Stimmung, die paßte dem alte Rungholt heute nicht.

„Mit Euern Gruselgeschichten an solchem Abend!“ brach er polternd los – „Holde, hol’ mal den vom Vetter am Rhein, der vertreibt alle bösen Geister!“

„Und verschaft Tönningen vielleicht einen neuen Kater!“ spottete Holde.

Der ‚vom Vetter am Rhein‘ kam; in den grünen Römern duftete und glänzte es.

Der alte Rungholt erhob sich. Ihm zu Häupten schwankte der Segler noch vom Tanze. Mit seiner mächtigen Stimme gebot er Ruhe und sprach dann:

„Freunde! Hausgenossen! Man heirathet nicht alle Tage! Es ist ein Doppelfest, das wir heute feiern, ein großer, schwerer Tag für Christen Rungholt. Gott gebe seinen Segen! Dem Mann dort, Bill Lührsen aus Bremerhaven, meinem braven Steuermann, übergebe ich heute das Beste, was ich habe – meine beiden Lauren! Die blonde, lustig aufgetakelte hier, mein Herzenskind, und die alte, wieder glücklich geheilte, draußen im Hafen.“

„Grobian!“ murmelte Frau Holde.

„Du verstehst mich schon,“ unterbrach sie der Alte. „Bill Lührsen, nochmals, es ist mein Bestes, was ich Dir gebe. Halte es wohl in Ehren, steuere beide mit fester, liebender Hand, schenke der einen Dein ganzes Herz, der andern Deinen ganzen Verstand, halte beiden Mannestreue, sie verdienen es beide. Verlasse Dich auf keinen Rolf, auf kein graues Männchen – Lars, ich mein’s nicht übel – sondern nur auf Gott und Deine gesunden Sinne! Gute Fahrt mit beiden allewege, Hurrah!“

„Hurrah!“ dröhnte es im Chor gegen die Fenster. „Hurrah! Hurrah!“

Laura weinte rückhaltlos, Bill kämpfte mit der aufsteigenden Rührung, alles drängte sich herbei, die Gläser stießen zusammen, es war ein lustiges, harmonisches Klingen, und ein freudiger Duft stieg auf, vom Hafen herein tönten in schrillem Accord die Schiffssignale – da plötzlich – ein klangloser, gequetschter, häßlicher Ton wie ein kurzes Auflachen –

Jedermann hörte ihn, alles sah sich fragend an. Eigenthümlich, das fröhliche Gläsersingen war verklungen, nur der eine häßliche Ton saß jedermann im Ohre. Lars Tönningen hob sein Glas gegen das Licht und betrachtete es genau – jedermann that unwillkürlich das Gleiche – dann blickte er mit seinen scharfen, kleinen Mövenaugen auf das in Lauras Händen.

„Ein Sprung im Glase!“ sagte er, mit seinen Fingern es berührend, und sein Antlitz nahm denselben Ausdruck an wie vorhin, als er den Tod seines Rolfs erzählte.

Laura wechselte die Farbe, ihr rosiger Finger folgte dem Sprung, der durch den hellgrünen Römer sich zog.

„Ein böses Zeichen, heißt es, nicht wahr, Lars Tönningen?“

Dieser zog die dichten Augenbrauen bis unter das buschige Haar hinauf.

„Heißen thut es so; da erinnere ich mich –“

„Unsinn!“ fuhr der alte Rungholt dazwischen, „laß Deine Erinnerungen! Hast ein vortrefliches Schiff mit eisenfesten Rippen unter Deinen Füßen fast zerschellen sehen und wunderst Dich über einen Sprung im Glase – ja so, dort war ja der alte ersoffene Kater schuld und jetzt irgend ein anderer böser Geist, der nichts Besseres zu thun hat, als nagelneue Weingläser zu zerbrechen! Noch einmal, Kinder, Gott mit Euch – das vertragen sie nicht, die Lügengeister!“

Wieder klangen die Gläser und wieder der häßliche Ton.

Rungholt griff wüthend nach dem Glase Lauras, es in die Ecke zu schleudern; Bill fiel ihm in den Arm und nahm es zu sich.

Man machte sich lustig darüber, man machte den Vorschlag, alle Gläser zu zertrümmern, um den bösen Geist zu verwirren, doch die Stimmung war verdorben. Lars Tönningens Augenbrauen blieben dicht unter den Haaren stehen, er sprach kein Wort mehr. Claus, der Richter, warf auf Laura verstohlene Blicke, in denen es wie Mitleid aufleuchtete. Bill war ärgerlich erregt, er machte Laura leise Vorwürfe, daß sie nicht besser aufgepaßt habe.

Die Gläser waren das Hochzeitsgeschenk Claus’, des Richters; Bill hatte sie selbst ausgepackt und kein Fehl war daran gewesen. Laura meinte, sie habe ja kaum angetippt an die andern Gläser. Um Lars’ Mund zog sich herbes Lächeln bei dieser Aeußerung, er strich sich den grauen struppigen Bart und athmete tief auf.

Das Fest endete rascher, als man gedacht hatte, die Segenswünsche beim Abschied klangen alle so weinerlich, so furchtsam und wurden mit Leichenbittermienen gegeben.

Frau Holde endließ den Kapitän sehr ungnädig, ja, sie machte eine Bemerkung über verderblichen Aberglauben, der wohl schon manches Schiff und manchen Menschen habe untergehen lassen; dann setzte sie der Laura den Kopf zurecht, bei Bill, einem jungen Manne, hielt sie es wohl nicht für nöthig.

Allein oben in der blumengeschmückten Kammer sank Laura schluchzend an ihres Mannes Brust.

[760]

Der Apfel des Paris.
Nach einem Gemälde von C. Detti.

[761] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [762] „Bill, glaubst Du daran?“

„Närrchen, der Lars ist an allem schuld mit seinem dummen Geschwätz! Recht lieb haben, treu aushalten zusammen, was da kommen mag, dann kann nichts springen bei uns.“

Seine Worte klangen nicht aus voller Brust. Er nahm das Glas aus der Rocktasche und fühlte daran herum.

„Wenn ich sie nicht selbst alle ausgepackt hätte, würde ich sagen, der Sprung liege im Glase, das kommt ja vor und damit wäre die dumme Geschichte zu Ende!“

„Und der häßliche Ton, ich höre ihn noch!“ meinte Laura.

„Einbildung wie der verfluchte Kater des Kapitäns auf dem Steuerrad!“

Er stellte das Glas auf den Schrank und ging unruhig in der Stube hin und her.

„Laura, ich gehe in See in vierzehn Tagen; mach’s uns nicht schwerer mit solchen Gedanken.“

„Bill, ich laß Dich nicht!“

Sie klammerte sich fest an den jungen Mann. Draußen brüllte die Brandung, ein steifer West hatte sich erhoben, feiner Wasserstaub drang durch das offene Fenster, die Lichter der vor Anker liegenden Schiffe tanzten in der Finsterniß, von der See her dröhnte drohend ein Nebelhorn.

Bill schloß das Fenster, das Licht erlosch. – Von dem Schrank herunter leuchtete es grünlich wie das Auge Rolfs, des Katers.

(Fortsetzung folgt.)

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Der Kiefernprozessionsspinner.

Von Dr. G. Zickerow.

Wie den großen Thieren manch wuchtige Waffe zum Schutze gegen ihre Feinde verliehen ist, so führen auch die kleinen, kaum bemerkbaren Geschöpfe Vertheidigungsmittel, deren Wirkungsweise dem Menschen nur zu oft seine Ohnmacht aufs deutlichste vor Augen führt. Wer kennt sie nicht, die zahllosen Quälgeister der Sommerszeit, die Mücken, Schnaken, Bremsen etc., die uns so oft mit ihrem peinigenden Stachel den Genuß des Tages und die Erholung der Nacht verkümmern. Oder erregt uns nicht z. B. bei dem Genusse frischen Quellwassers die ganze Schar der kleinen und kleinsten Lebewesen in demselben eine geheime Besorgniß? So haben auch schon seit vielen Jahren die Brennhaare des Eichenprozessionsspinners den Aufenthalt in Deutschlands Wäldern den Besuchern derselben verleidet, und neuerdings ist ein verwandter Plagegeist auch auf den Nadelbäumen wiederholt beobachtet worden.

a. Die Raupe (nat. Größe).

c. Theil eines Haares (80fach vergrößert).

In dem ganzen nordöstlichen Theile des Deutschen Reiches, von der Elbe bis zur Memel, treibt, wenn auch meist vereinzelt und auf kleine Kreise beschränkt, der Kiefernprozessionsspinner sein unheimliches Wesen und verjagt nicht nur Menschen, sondern auch Thiere aus dem von ihm besetzten Gebiete, indem alles, was in seine Nähe kommt, von einem peinlichen Jucken der Haut befallen wird. Die Aufmerksamkeit der Forstbeamten wurde bisher von diesem Spinner durch das gleichzeitige, viel zahlreichere Vorkommen eines den Kiefernwäldern bedeutend schädlicheren Insekts, nämlich der Nonne, über deren Verheerungen wir jüngst des weiteren berichtet haben, abgelenkt. Da aber die Raupen des Kiefernprozessionsspinners die zweijährigen Triebe der Kiefern bis auf die Nadelscheiden abfressen und jede andere Nahrung verschmähen, so dürfte auch ihr forstlicher Schaden nicht unbedeutend genannt werden. Besonders lästig wird das Auftreten dieses Insekts an der Ostseeküste, welche gerade während der Wanderzeit der Raupen von vielen erholungsuchenden Badegästen als Reiseziel ausgewählt wird.

Wie ihre Verwandten in den Eichenwäldern ziehen die dichtbehaarten Raupen des Kiefernprozessionsspinners in langsamem Gänsemarsch, 60 bis 100 Stück in einem Faden, selten und dann erst von der Mitte der ganzen Prozession an in doppelten und dreifachen Reihen, auf dem Erdboden dahin. Dabei strecken sie bald rechts, bald links hinter dem Vordermann den schwarzen, kurz und wenig behaarten Kopf hervor, als wenn sie ausschauen wollten, ob denn die vordersten noch nicht am Ziele wären. Hebt man behufs näherer Betrachtung eine Raupe mittels eines Stöckchens vorsichtig aus dem Zuge heraus, so schließt sich derselbe in kürzester Zeit und setzt seine Wanderung unbekümmert um die Störung fort.

Die aufgenommene Raupe (a) hat, bevor sie ihre Vollwüchsigkeit erreichte, mehrere Häutungen durchgemacht, aber trotzdem, abgesehen von der ersten derselben, ihr Kleid sehr wenig verändert. Früher, als kleines, dem Ei eben entschlüpftes Räupchen von 3 mm Länge, trug sie ein hellmaigrünes, mit regelmäßigen schwarzen Flecken geziertes Kleid während sie sich jetzt in einem schwarzen Gewande zeigt, das mit mattmoosgrünen Punkten dicht besät ist. Diese lassen für das Hervortreten der Grundfarbe nur einen mittleren Längsstreifen auf dem Rücken frei, welcher wieder mit größeren und kleineren rothen Warzen in der Weise zum Theil bedeckt ist, daß roth umränderte, schwarze Kreisflecke die Längslinie kennzeichnen. Diese schwarzen, sogenannten „Spiegelflecke“ sind mit unendlich vielen, äußerst kleinen Härchen sammetartig bewachsen. Aus den rothen Warzen entspringen nach vorn und nach hinten gerichtete rothe Haare; die Seiten des Körpers schützen lange, weiße Haare, welche den Querdurchmesser der Raupe um das Doppelte übertreffen (b). Alle diese Haare (c) besitzen zahllose, nach der Spitze gerichtete Widerhäkchen, welche an Gestalt den Dornen der Rose sehr ähnlich sind.

b. Ein Glied der Raupe (3fach vergrößert).

d. Cocons mit und ohne Sandkörnchen (nat. Größe)

Gemeinschaftlich ist ihnen ferner ein feiner, hohler Kanal, der sie von der Spitze bis zur Anheftungsstelle durchzieht. Die rothen und die weißen Haare, nicht die Spiegelhaare, stecken, wie Keller gezeigt hat.*[1] in der Haut mittels einer dicken, braunen Hülse, an deren unterem Rande sie befestigt sind. Unter der Oeffnung des Haares liegt eine birnförmige Drüse, welche eine stark ätzende Flüssigkeit, Ameisensäure, aussondert, um das hohle Haar damit zu füllen. Die ausgewachsene Raupe, welche 5 cm lang wird, besitzt mehr als 5000 solcher „Giftdrüsen“. Da die feinen Härchen wie gesagt nach oben gerichtete Häkchen tragen, so werden sie bei jeder Berührung mit anderen Gegenständen sogleich in die Drüse hineingestoßen und mit Gift gefüllt. Verliert nun die Raupe einzelne Haare – und diese brechen sehr leicht an ihrem Grunde ab – so bleibt das Gift in denselben, weil es durch den Luftdruck am Ausfließen aus dem engen Kanal verhindert wird. Hat später ein solches Härchen Gelegenheit, mit dem Schweiße einer menschlichen oder thierischen Hautpore in Berührung zu kommen, so löst derselbe das an der Oeffnung des Härchens inzwischen eingetrocknete Gift auf, und dieses bewirkt nachströmend die Entzündung.

Daß diese Haare so unendlich zahlreich umherfliegen können, hat mehrfache Gründe. Zunächst beliebt es der Raupe keineswegs wie den meisten andern, nach vollbrachter Häutung den abgeworfenen Balg zu verzehren, sondern alle Raupen eines Zuges lassen ihre abgestreiften Häute, mit wenigen einzelnen Gespinstfäden verbunden, [763] in den Astachseln, wo die Häutung gewöhnlich vollzogen wird, hängen und übergeben sie Wind und Wetter als Spielball. Bisweilen versammeln sich auch die Raupen behufs der Häutung am Stamme der Kiefern, sowohl in Mannshöhe, als auch am Grunde desselben. Sie überspinnen dann ihr Lager mit einem etwa 50 cm im Geviert fassenden, weißen und undurchsichtigen Schleier, der an Glanz und Zähigkeit gutem Seidenpapier gleichkommt. Ist die Häutung beendet, so fressen sich die Raupen erbsengroße Löcher durch den Schleier und suchen unter Zurücklassung der alten Häute neue Nahrung. Da die Haare wie hervorgehoben leicht abbrechen, gehen sie dem Thiere bei dem Umherkriechen in großer Zahl verloren und haften vermöge ihrer Widerhäkchen an jedem Gegenstande fest, auf welchen sie auftreffen. Endlich werden vor der Verpuppung die Haare theilweise zur Bildung des äußeren Cocons (d) benutzt.

e. Puppe (doppelte Größe).

i. Vorder- und Seitenansicht des Kopffortsatzes (12fach vergrößert).

Da dieser außerdem nur aus lose aneinandergefügten Sandkörnchen besteht, die Puppen aber sehr dicht unter der Erdoberfläche gelagert sind, so kann es nicht verwundern, daß durch Aufwühlen des Sandes die Härchen der Luft ausgesetzt und von ihr weitergetragen werden.

Daß nicht nur Menschen, sondern auch Thiere von dem Gifte dieser Haare entsetzlich zu leiden haben, ist wiederholt festgestellt worden. Hunde, welche sich im Walde voll innigen Behagens auf dem Rücken herumgewälzt hatten, geriethen fast in Tollwuth. Wagenpferde, die vor Ungeduld mit dem Vorderfuße gescharrt hatten, wurden durch das Brennen der angeflogenen Haare so wild, daß sie dem Durchgehen nahe waren. Es ist ebenso Thatsache, daß die Raupen nicht nur das Wild, sondern auch die Singvögel aus dem von ihnen besetzten Walde verjagen. Bisher konnten nur der Kuckuck und ein Laufkäfer, der Puppenräuber, als siegreiche Gegner unserer Raupen anerkannt werden.

k. Der weibliche Fühler (4- bezhw. 110fach vergrößert).

f. Der männliche Schmetterling (nat. Größe).

Um sich vor den gefürchteten Raupenhaaren zu schützen, werden in der Angst Vorsichtsmaßregeln ergriffen, die fast lächerlich erscheinen. Handschuhe, Kopftücher, Schleier u. dergl. nützen sehr wenig. Durchaus empfehlenswerth dagegen ist das Einreiben der Haut mit Oel (Mandelöl), bevor man den Wald betritt. Das Oel hebt die Wirkung des ätzenden Giftes auf, indem es ihm den Eintritt in die Poren der Haut verwehrt und so die schmerzhafte Entzündung verhindert. Auch wiederholte Waschungen mit in Alkohol oder Wasser aufgelöster Pottasche oder Bestreichen mit angefeuchteter Soda mildern das Jucken der Haut.

Das durchgreifendste Mittel ist natürlich die Vernichtung des Insekts in jeder Gestalt. Aber das ist leichter gesagt als gethan. Das Tödten der Raupenzüge während der Wanderung durch Zertreten ist jedenfalls ganz zweckwidrig und geradezu strafwürdig, da unendlich viele Härchen auf diese Weise dem Staube beigemischt werden. Die Züge müssen vorsichtig zusammengekehrt und in größeren Kisten mit einschiebbarem Deckel, nicht in offenen Körben, gesammelt werden. Ebenso sind die Raupennester aufzunehmen, welche, in Astachseln sitzend, mit der Baumschere abgeschnitten werden. Das Theeren der Bäume ist nur von Nutzen für das Einsammeln der Raupen, da es leichter und gefahrloser ist, die an einem unteren Theile des Stammes angesammelten Raupen abzulesen, als dieselben nesterweise mit der Schere aus weiter Höhe herabzuholen. Das Zerstampfen der eingesammelten Raupen kann, auch wenn das Vergraben der Thierreste noch so bald erfolgt, nicht angerathen werden, weil dadurch die Zahl der umherfliegenden Härchen endlos vermehrt wird. Als einzig richtige Art der Vernichtung empfiehlt sich das Verbrennen, denn dadurch werden nicht nur die Thiere, sondern auch die Haare und das Gift in ihnen endgültig unschädlich gemacht.

g. Der weibliche Schmetterling (nat. Größe).

l. Der männliche Fühler (4- bezhw. 80fach vergrößert).

Wird mit genügendem Eifer den Raupenzügen nachgestellt, so dürfte wohl kaum einer derselben sein ersehntes Ziel, eine der Sonne möglichst ausgesetzte, kühle, sandige Stelle, erreichen. Gelingt es aber einer Raupenfamilie, einen derartigen Platz ausfindig zu machen, so wühlen alle Mitglieder derselben dicht nebeneinander den Sand auf und verkriechen sich 10 bis 15 cm tief in demselben. Hier bildet jedes für sich einen trockenhäutigen, eiförmigen Cocon (d), dessen Außenseite, wie schon gesagt, mit Sandkörnchen und einzelnen Haaren bedeckt ist. Diese Cocons haben eine Länge von 22 bis 26 mm und eine Dicke von 6 bis 10 mm. Sie sind leicht an den bezeichneten Stellen zu finden, wo sie senkrecht nebeneinander aufgestellt sind. Jeder Cocon enthält außer der Puppe (e) den Rest des letzten Raupenkleides, der mit zahlreichen Haaren zu einem dichten Filz zusammengepreßt ist. Das Einsammeln der Puppen ist jedenfalls das gefährlichste Unternehmen, welches behufs Vertilgung des Kiefernprozessionspinners ausgeführt werden kann. Durch das Ausscharren der Puppen wird eine unbeschreibliche Anzahl von Gifthaaren aufgewirbelt, welche dem in hockender oder gebückter Stellung Arbeitenden bald das ganze Gesicht entzünden. Andererseits ist diese Arbeit wieder sehr gewinnbringend, da dort, wo eine Puppe gefunden worden ist, sicher deren 60 bis 100 beisammen stecken.

m. Die Haftborste (5- bezhw. 55fach vergrößert).

h. Der Kopf (3fach vergrößert).

Diejenige Puppe, welche nicht gestört wird, ruht bis zum nächsten Sommer. Dann giebt sie einem Schmetterlinge das Leben, welcher dem Eichen- und auch dem Pinienprozessionsspinner sehr ähnlich sieht. Das Männchen (f), welches etwas kleiner als das Weibchen (g) ist, hat eine Flügelspannung von 36 mm, letzteres dagegen von 44 mm; der Leib ist 15, bezw. 18 mm lang. Die Vorderflügel des Männchens tragen auf grauem Grunde je zwei Paar unregelmäßige, dunkle Querbinden, welche mit gelblichen Rändern eingefaßt sind. Die Hinterflügel sind weißlich und haben einen gefleckten und gefransten Rand. Die Unterseite der Flügel ist heller als die Oberseite. Der Kopf (h) ist mit Büscheln langer, grauer Haare dicht besetzt. Zwischen den Augen und oberhalb derselben trägt der Kopf einen mit drei dicht aneinander gereihten Vertiefungen versehenen harten Fortsatz (i), dessen glänzende, tiefschwarze Färbung um so mehr auffällt, als unter einem Kranze kurzer Härchen nach rechts und links je ein Büschel schneeweißer Haare hervortritt. Die Fühler sind doppeltgekämmt, aber nach den Geschlechtern sehr verschieden an Größe und Behaarung. Die Kammzähne beider sind keulenförmig, am Rande behaart und an der Spitze mit je zwei kleinen Borsten versehen. Der weibliche Fühler (k) hat viel kürzere Zähne und feinere Behaarung als der männliche (l).

Unterhalb der Flügel ist zu ihrer Stütze eine sog. Haftborste (m) eingefügt, deren Gestalt große Aehnlichkeit mit der Feder eines Vogels hat. Im wesentlichen besteht diese Borste aus einem 5 mm langen, schaftartigen Gebilde, von dem nach der einen Seite eine schmale, nach der andern eine viel breitere Haut ausgeht. Der Saum der letzteren trägt an der unteren Hälfte einen kräftiger gebauten Rand als [764] an der oberen. Die Haut zeigt in großer Zahl punktförmige Vertiefungen, aus deren Grunde sehr feine Härchen entspringen. An der Anheftungsstelle ist diese Stützfeder mit vielen einzelnen Borsten umgeben, welche 2 bis 3 mm lang sind.

n. Hinterleibsschuppe des Weibchens (35fach vergrößert).

o. Flügelschuppe (35fach vergrößert).

p. Eiernester (nat. Größe).

Der Leib beider Schmetterlinge ist rostbraun. Das Männchen trägt am spitzen Hinterleibsende ein Büschel einfacher Haare. Das Endglied des weiblichen Hinterleibes erscheint breit und kohlschwarz, mit ganz feinen und kurzen Querstrichen durchzogen. Bei näherer Untersuchung findet man, daß dasselbe aus mehreren Tausend dicht aneinander gepreßter Schuppen (n) besteht, deren allgemeine Gestalt derjenigen, der Flügelschuppen (o) vollkommen gleicht, diese aber an Größe ganz bedeutend übertrifft. Die eirunden Hinterleibsschuppen haben einen tiefschwarzen, schmalen und fein gezähnelten Rand, welchem sich ein breiter, ganz weißer Streifen anschließt. Der mittlere Theil der Schuppen ist nahe an diesem Streifen schwarzbraun und wird nach der Mitte hellbraun, nach den Seiten sogar wasserhell. Am hellbraunen Grunde sitzt ein ebenso gefärbter Nagel. Diese Schuppen haben eine höchst eigenthümliche Verwendung. Wenn das Weibchen die Puppe verläßt, bringt es schon die reifen Eier mit zur Welt und macht sich, sobald es den Gebrauch der Flügel erlernt hat, an die Erfüllung seiner Lebensaufgabe, an das Eierlegen. Da sein Flug schwerfällig ist, können wir es leicht beobachten, und so bemerken wir, daß es an niedrigen Baumzweigen oder an alleinstehenden sog. „Kusseln“ in Mannshöhe die Eier an ein Nadelpaar eines frischen Triebes ablegt (p). Dabei fängt es an dem unteren Theil der Nadeln an und erklimmt, indem es in dicht gedrängten Windungen dieselben umklettert, allmählich deren Spitze. Die mohnsamengroßen, kugelrunden und weißen Eier werden dabei sogleich verdeckt, und zwar mit einem schuppigen, hellbronzefarbenen Ueberzuge, der aus jenen oben beschriebenen Hinterleibsschuppen kunstvoll gebildet wird. Da aus zahlreichen Beobachtungen hervorgeht, daß der Falter am Grunde der Nadeln, oberhalb der häutigen Scheide derselben, mit dem Eierlegen beginnt und oft schon vorher einige Schuppen ablegt, diese aber am Hinterleibe mit dem Nagel anhaften und mit dem schwarzen Rande nach hinten gerichtet sind, so werden sie in derselben Lage beim Nestbau verwendet, ohne umgedreht zu werden. Nun sind an dem fertigen Nest die braunen Spitzen nach oben gerichtet, während die schwarzen Ränder nach innen liegen und verdeckt sind. Es werden also die Schuppen dachziegelförmig nicht übereinander gelegt, sondern untereinander geschoben! Oft reicht der Vorrath an Schuppen nicht aus, alle Eier zu bedecken, dann sind die letzten, nach den Nadelspitzen hin, unbedeckt. Die andern Eier aber überwintern unter ihrer Schutzdecke bis zum nächsten Frühjahr, wo des Lenzes Sonne sie zu neuem Leben erweckt.


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Auf schwankem Boden.

Von W. Heimburg.
 (Schluß.)

Noch lange wandere ich im Zimmer umher und sage mir immer nur das eine: Martha ist verloren! Ich male mir aus, wie sie den Geliebten heirathen wird, wie sie von einem Ort zum andern mit ihm zieht in Hunger und Elend, wie die Leidenschaft für die Kunst mit Eintritt der Noth und Sorge entflieht und ihre künstlich aufgestachelte Begeisterung so bald, ach so bald, in Asche sinkt; wie sie vor Sehnsucht nach dem friedvollen Leben ihrer Kindheit krankt an Leib und Seele. Ganz furchtbare Bilder sind’s, die mich verfolgen. – Und dann sehe ich sie wiederum, wie sie lacht trotz der Traurigkeit dieses Lebens; sie hat abgestreift, was Gutes und Reines an ihr war, sie nimmt das Leben, wie’s nun einmal ist, mit allem Schmutz und aller Verkommenheit, sie ist geworden wie ihre Mutter. – Unerträglicher Gedanke!

Giebt es denn keinen Ausweg? Könnte sie nicht wirklich eine Künstlerin werden, eine große, gottbegnadete? Sind nicht einige unserer ersten Künstler aus der Unscheinbarkeit, aus der Schule der Wandertruppe hervorgegangen?

Ich nehme mir vor, sie morgen spielen zu sehen; ich will ihr, wenn sie auch nur einen Funken von Talent hat, den Weg ebnen helfen. Ich erinnere mich plötzlich mit großer Freude der Bekanntschaft des ersten Intendanten am Königlichen Theater zu D. und beschließe, ihm die Kleine vorzustellen; ich will alles für sie thun, will freundlich zu ihr sein. Habe ich denn ein Recht, ihr süßestes Geheimniß kennen zu wollen? Ist es etwas Unerhörtes, daß solch ein schönes feuriges Mädchen liebt? Darf ich diesem armen Kinde einen Weg erschweren, der ohnehin wahrlich voll Nesseln und Dornen liegt?

Ich schelte mich tüchtig aus und frage mich: „Anna, war das vorhin Deine von Dir so sehr betonte Duldsamkeit, als Du das arme Ding im Zorn verlassen hast?“ Und das Bild tritt so deutlich jetzt vor meine Augen – das kleine Dachstübchen, das schöne Geschöpf, von dem mächtigen Goldhaar umfluthet, auf dem Rande des schmalen Bettes; ich sehe die irren angstvollen Blicke, die Thränen auf den erglühten Wangen; ich sehe den verwelkten Lorbeerkranz an der getünchten Wand der Mansarde und die breite rothe Schleife darunter. Wie ein Kapitel aus einem Roman ist dieses Bild. Und schon halb im Schlummer flüstere ich Worte wie: „Du armes Kind, warte nur, ich helfe Dir; ich spreche auch beim Oberpfarrer für Dich, er soll Dir vergeben in seinem Herzen; des Vaters Segen baut auch Dir vielleicht ein Glück.“

Dann werde ich wach. Des Direktors Worte klingen mir in die Ohren: „Keinen Funken von Talent hat sie!“ – Bah! Dieser Ehrenmann spricht ihr das Talent nur ab, weil sie von seiner Truppe scheiden will. – Ach Himmel! Das unglückliche Engagement am fürstlichen Hoftheater!

Jetzt bin ich ganz wach. Ich werde mit dem Bräutigam sprechen. „Dahin darf sie nicht!“ sage ich halblaut und bestimmt, und dann verliere ich mich wieder in Zukunftsplänen für das Kind und endlich schlafe ich ein.

Am andern Morgen, ziemlich spät, erwache ich. Neben meinem Bette auf dem Tische duftet ein thaufrischer Maiblumenstrauß – sicher war Martha im Zimmer.

Als ich die Vorhänge aufziehe, sehe ich trüben, regnerischen Himmel, die Berge jenseits in Nebel gehüllt. Ich schreibe, noch bevor ich mich fertig ankleide, einen Brief an den Oberpfarrer, schicke ihn eilig fort, und wie ich zum Kirchgang gerüstet bin, kommt die Antwort, nachmittags wolle er mich aufsuchen; Elisabeth habe heute einen ihrer ungünstigsten Tage und möchte über mein Erscheinen erschrecken.

Ich gehe mit Regenschirm und Regenmantel zur Kirche, und als der Oberpfarrer die Kanzel betritt, habe ich Mühe, in diesen vergrämten Zügen das alte Antlitz wiederzufinden; auch die Stimme klingt anders. Es ist keine echte Pfingstpredigt, die der Gemeinde dargebracht wird. Die Textesworte sind: „Ich will den Vater bitten, er soll euch einen Tröster geben, der bei euch bleibe ewiglich.“ – Er schildert, wie finster und trübe es auf Erden aussieht, schildert die Zustände der Völker, die Verhältnisse der Menschen; ein trostloses Bild rollt sich auf, ein Versunkensein in Elend und Schmutz, mit packenden Farben ausgemalt. Die Treulosigkeit, die Lieblosigkeit, die Undankbarkeit der Menschheit betont er. In dem überfüllten Gotteshause regt sich kaum ein Athem.

„Der heilige Geist aber, der Tröster unserer Zeit,“ heißt es weiter, „müsse, bevor er trösten könne, strafen die Welt um ihre Sünden, ihr die Wahrheit sagen. Aber Wahrheit höre sie nicht gern, sie lasse sich belügen, sie trinke sich toll am Taumelbecher der Verführung.“

[765]

Arabischer Märchenerzähler.
Nach einem Gemälde von F. Perlberg.

[766] Die Leute sind gar nicht gewohnt, den sonst so milden Prediger von Strafen reden zu hören; man sieht es ihren Gesichtern an. Als er nun im zweiten Theil der Rede von dem Frieden spricht, der heute ausgegossen werde über alles Volk, da redet er matt; es ist, als ob ihm die Kräfte erlahmt wären.

Ich gehe traurig zurück nach meinem Gasthofe. Es regnet noch; ich kann mich kaum durch all die Wagen durchwinden, die auf dem Platze vor dem Hause stehen. Die Gaststube ist vollgepfropft von Leuten, mein Zimmer oben noch nicht aufgeräumt; das Stubenmädchen entschuldigt sich mit den vielen Gästen, die alle des Theaters wegen gekommen sind.

„Das macht das schlechte Wetter, Madame, und dann, weil das Fräulein spielt!“

„Schicken Sie mir Fräulein von Korinska.“

„Die ist in der Probe; sobald sie kommt, will ich’s bestellen.“

Kurz vor zwölf Uhr tritt Martha bei mir ein; ich kenne sie kaum wieder. In der hellen Morgenbeleuchtung sieht sie förmlich alt aus, die Augen sind matt, von dunklen Ringen umgeben.

Ich frage sie gütig, ob sie mit mir essen will, denn sie dauert mich. Sie setzt sich zu mir, ißt aber nicht und trink nur zwei Gläser Wein, worauf ein dunkles Roth ihre Wangen färbt. Ihre Toilette ist wie gestern unordentlich; ich habe aber heute nicht das Herz, sie zu tadeln.

Der Direktor hat mir auf mein Verlangen die kleine Prosceniumsloge vorbehalten. Ich sage es Martha; sie wechselt die Farbe. „Ich glaube, ich kann heute nicht spielen wie sonst,“ ist ihre Antwort. – Ich spreche von meinem Plan, daß ich sie ausbilden lassen will; sie sieht mich dankbar an, erwidert aber nichts.

Vor den Fenstern erhebt sich jetzt ein riesiges Halloh! Ein Leiterwagen voll Studenten ist vorgefahren, sie scheinen bereits ein wenig angetrunken und verlangen einen „Saal“ für sich zum Essen. Wirth und Kellner stehen mitten zwischen den verregneten Burschen. Unter Lachen und Lärmen geht die Gesellschaft endlich ins Haus.

Der Kellner erscheint bald darauf, bittet mich um Entschuldigung und wendet sich dann lächelnd zu Martha: „Die Herren Studenten haben sich erlaubt, die sämmtlichen Mitglieder der Theatertruppe zum Essen zu laden, Fräulein.“

Sie wird ganz blaß. „Ich danke, ich habe bereits gespeist,“ antwortet sie, und ihre Augen funkeln schier verächtlich.

„Aber sie haben mir gedroht, sie wollten mich aufhängen, wenn ich das Fräulein nicht zur Stelle brächte,“ sagt er, und vertraulich lächelnd fügt er hinzu: „Auch Herr Raimund läßt sagen, er hoffe, das Fräulein werde theilnehmen.“

Sie sieht ihn zornig an und zeigt nach der Thür. Als er hinaus ist, wendet sie sich von mir und geht zum Fenster.

„Wer ist Herr Raimund?“ frage ich.

„Der ‚Liebhaber‘ unserer Truppe,“ klingt es gedämpft.

„Hat er ein Recht, Dir dergleichen sagen zu lassen?“ forsche ich unbarmherzig.

„Nein!“ sagt sie kurz, und dabei hält sie ihre Stirne gegen die feuchtkalte Scheibe gepreßt.

Wie sie sich endlich umwendet, klagt sie über Schwäche, sie wolle sich noch ein wenig ausruhen, habe auch an dem Kostüm noch etwas zu nähen; die alte Fuchs verstehe das nicht und sei auch schwerlich nach dem Essen noch imstande dazu. Sie geht, indem sie mir die Hand küßt, und ich sage:

„Kind, habe Muth!“

In demselben Augenblick, als sie auf den Flur tritt, schrillt eine Frauenstimme: „’s ist wohl unheilig, zu Pfingsten fidel zu sein? Immer apart, immer prüde, wirst ja sehen, was dabei herauskommt! Raimund ist nicht schlecht ärgerlich auf Dich. Spanne die Saiten nicht zu straff bei dem – sie könnten reißen! Du bist nichts anderes als wir alle!“

„Oll Kathrin,“ denke ich, „diesmal stimmt Deine Philosophie nicht; hier reißen sich Engel und Dämonen um ein armes Menschenherz.“

Nachmittags schreibt mir der Oberpfarrer ab; es sei der Diakonus plötzlich erkrankt und folglich er so mit Dienstgeschäften überbürdet, daß er sein Versprechen nicht halten könne. Ob es mir abends passe?

Ich antworte „Nein, aber morgen zu jeder Stunde.“

Der Abend kommt endlich heran. Ich gehe, da der Weg weit ist, schon um dreiviertel auf sechs Uhr fort. In dem Park, unter den tröpfelnden Bäumen – der Regen hat aufgehört – ist es ungemein belebt, alles strebt dem Theaterchen zu. Neben mir rauscht der kleine Fluß; er hat heute lehmfarbenes Wasser und ist bis zum Uferrand gestiegen; unheimlich rasch schießen die straffen Wellen dahin, man kann ordentlich schwindlig werden, wenn man hineinsieht. Ein paar Studenten mit weinseligen Gesichtern stürmen an mir vorüber; ich höre, wie der eine sagt: „Donnerwetter, sieh die Menschheit! Der Musentempel ist für heute entschieden zu klein – es giebt einen Höllenradau!“

Von meiner Loge aus, die ich hinter mir abschließe – ich habe das Recht dazu für eine ganz nette Summe vom Direktor erkauft – sehe ich, daß allerdings das Haus bereits gefüllt ist bis auf das letzte Plätzchen, und der Gedanke befällt mich, ob der Rang – es giebt nur einen – und die Galerie nicht zusammenbrechen und den Unglücklichen im Parterre die Köpfe zerschmettern werden. Es ist ja so baufällig, das kleine Theater, vor Jahren schon sollte es abgerissen werden. Ueberall lachende Gesichter, neugierige Mienen, nur in der Mitte des Ranges gähnt die Leere der sogenannten herrschaftlichen Loge, deren Vorhänge von gänzlich verblichenem rothen Sammet durch die Fürstenkrone zusammengehalten werden. Sonst alles voll, und immer mehr Leute wollen herein; man hört scheltende Stimmen. Im Orchester, mitten zwischen den Musikanten, die sich kaum zu rühren vermögen, sitzen die angeheiterten Studenten. Die meisten Blicke sind nach oben gewandt, wo die Honoratioren von Borndorf Platz gefunden haben; stattliche wohlbeleibte Frauen, deren Mienen schon jetzt Geringschätzung und Empörung bedeuten; junge hübsche Mädchen mit ängstlich neugierigem oder vergnügtem Ausdruck und im Hintergrunde die Herren, bewaffnet mit Operngläsern.

Endlich schlägt eine Glocke an, die Musikanten spielen auf Blasinstrumenten als Ouverture ein Motiv aus dem „Fliegenden Holländer“, daß man meint, die Ohren müßten zerspringen, dann steigt der Vorhang empor und Fausts Studierzimmer zeigt sich dem Blick. Ob Faust – ich erkenne den jungen Schauspieler, der mir gestern auf der Treppe begegnet ist und der auf dem Zettel als Herr Raimund steht – seine Sache gut macht, kann ich nicht sagen, ich habe nur einen Gedanken: Martha. Der Herr Direktor ist ein Mephisto, wie man ihn sich nicht besser denken kann. Die Worte rauschen an meinem Ohr vorüber wie der Fluß da draußen. Einmal während einer Pause meine ich sogar dieses Rauschen wirklich zu hören, und es ist auch so, ich besinne mich, daß sich gar nicht weit von hier die Wellen über ein Wehr stürzen.

Es ist allmählich drückend heiß hier innen geworden; ein paar Petroleumlampen am Kronleuchter sind zu hoch geschraubt, der Qualm benimmt fast den Athem.

Endlich eine Pause – oder schon die zweite? Die Kapelle spielt den Faustwalzer als Einleitung. Mir ist plötzlich, als packte mich etwas an der Kehle; ich vermag nicht hinzusehen auf die Bühne. Dann klingen wohlbekannte Worte an mein Ohr:

„Mein schönes Fräulein, darf ich’s wagen –“

Ich sehe nun doch hin; da steht sie und schaut mit seitwärts gebogenem Köpfchen Faust an. Nie in meinem Leben habe ich ein holdseligeres Gretchen gesehen; so ist selten der Charakter der Unschuld in Haltung und Aussehen verkörpert worden. Aber ihre Antwort klingt nicht schnippisch und abweisend, sie spricht die Worte völlig klanglos, sie geht auch nicht mit raschen elastischen Schritten, wie das beleidigte Mädchen geht. Langsam, als könne sie den Fuß nicht heben, schwankt sie über die Bühne, die Schleppe ihres himmelblauen Kleides mit den rothbraunen Sammetstreifen am Rande schleift langsam hinterdrein. Ich sehe die schlanke Gestalt mit den köstlichen blonden Flechten wie im Traum, es dünkt mich eine Ewigkeit, bis sie verschwunden ist. Ueberall flüstert’s und aus dem Kreise der Studenten wird sogar ein vereinzeltes „Ausgezeichnet!“ laut.

Ich kann kaum noch athmen. Um Gotteswillen, was soll das werden! Ist es die Scham, die sie so lähmt, ist sie krank? – Es kommt die Scene, wie sie vor dem Spiegelein stehend ihre Zöpfe flicht; wieder klingt es wie von einer sprechenden Puppe, wieder diese automatenhafte Bewegung. Jetzt aber scheint sie überwunden zu haben; geradezu bezaubernd ist sie, als sie den Schmuck findet und sich vor dem Spiegel putzt. Auf einmal fliegt ein Blick in meine Loge – mitten im Satz bricht sie ab – es ist, als wollte sie sich festhalten, so greifen ihre Hände zurück.

„Das ist wohl alles …“ wiederholt sie.

„Schön und gut!“ schreit der Souffleur, daß es das ganze Theater hört, und sie spricht weiter.

[767] Ich habe ihr zugelächelt.

„Bravo!“ schreit ein naseweiser Student; die andern beginnen zu klatschen, auf der Galerie lacht laut eine gewöhnliche grobe Stimme.

„Ruhe!“ schallt es aus dem Parkett zurück.

Die Scene mit Mephisto, Martha und Gretchen schleppt sich vorüber. Nur einmal lösen sich die Mienen der letzteren und in packender Wahrheit ringt es sich von ihren Lippen:

„Ach, daß die Menschen so unglücklich sind!“

Dann kommt sie an Faustens Arm. Sie ist in ihrer Persönlichkeit ganz das zagende Kind, das zum ersten Male liebt, aber ihr Spiel ist halbscheu, leblos. Mir scheint jetzt, daß Faust unzufrieden mit seiner Partnerin ist; ein paar Mal flüstert er ihr rasch etwas zu, und ein finsterer Zug verdrängt für einen Augenblick den vorgeschriebenen Ausdruck des Entzückens auf seinem Gesicht. Vergebens, sie spricht weiter mit matter Stimme:

„Ich fühl’ es wohl, daß mich der Herr nur schont.“

Kaum die Fingerspitzen liegen auf dem Arm des Mannes. – Das Wechselspiel der beiden Paare zieht vorüber, Gretchen steht wieder im Vordergrund. Faust sagt:

„Und Du verzeihst die Freiheit, die ich nahm?
Was sich die Frechheit unterfangen,
Als Du jüngst aus dem Dom gegangen?“

Und sie antwortet:

„Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn!
Es konnte niemand von mir Uebles sagen.“

„Weiter nichts, als daß sie ’mal ein bißchen mit einem Schauspieler durchgebrannt ist!“ brüllt die grobe Stimme von der Galerie, und im selbigen Augenblick ist es, als sei der Teufel los. Ein wahnsinniges Zischen und Gejohle, ein Getrampel von Hunderten von Menschenfüßen. – Die Polizei stürzt herein und gebietet umsonst Ruhe. Es ist eine unbeschreibliche Verwirrung, die Borndorfer rächen ihren Pfarrer, die Studenten den Korb, den sie erhalten haben.

Von der Bühne ist Gretchen verschwunden, ich habe nicht gesehen, wie? Nur Mephisto steht da und bemüht sich umsonst, zu sprechen; als das nicht gelingt, fällt der Vorhang. Der Rang hat sich geleert, das anständige Publikum verläßt das Parkett. Nur ich vermag mich nicht zu rühren; wie festgebannt sitze ich auf meinem Stuhl und höre den tobenden Lärm.

„Weiterspielen! Bravo! Da Capo!“ Zischen und Rufen.

Endlich ermanne ich mich und trete auf den Gang hinaus. Die Thür nach dem Bühnenraum ist offen; ich gehe die kleine Treppe hinab und stehe hinter den Coulissen. Mephisto rast förmlich; das Mädchen liegt schweratmend in den Armen einer alten Choristin, die hellen Schweißperlen auf der Stirn. Sie sieht an mir vorüber, sie ist taub für die Beleidigungen des Direktors, sie starrt nur immer Faust an, der vor ihr steht in dem abgeschabten lila Sammetanzug, unter der Schminke erblaßt, bebend vor Zorn und Leidenschaft.

„Sie spielen weiter, auf der Stelle spielen Sie weiter!“ schrillt die Stimme des Direktors dazwischen.

Sie streckt die Hände aus nach dem Manne, der sie noch gestern geherzt und geküßt. Da fliegt etwas Blitzendes in ihren Schoß und Faust hat sich gewandt; der kleine funkelnde Gegenstand rollt aus den Falten ihres Kleides zur Erde und weiter ein Stück über die Bühne, dort am Souffleurkasten bleibt er liegen; ein schlichter goldener Ring ist es. Kaum eine Sekunde hat es gewährt, kaum jemand es gesehen, nur die immer starrer werdenden Augen des Mädchens sind ihm gefolgt.

Der Direktor, der wohl einsehen mag, daß sie unfähig ist zum Spiel, glaubt den geeigneten Zeitpunkt gefunden zu haben, ihr unverhohlen seine Verachtung ins Gesicht zu schleudern.

„Sie thun gut, mein Fräulein, die Bühne zu verlassen – für immer, meine ich; Sie haben ohnehin kaum die Aussicht, bis zur Mittelmäßigkeit zu steigen. Sie können gehen, heute noch, wenn’s beliebt, die rückständige Gage –“

„Herr Direktor, bitte,“ unterbreche ich ihn empört, „sehen Sie nicht, daß sie krank ist?“

„Madame,“ schnaubt er mich an. „Sie haben hier nichts zu suchen!“

Ein Polizeidiener bedeutet mich, ich müsse mich entfernen, es sei Unbefugten nicht gestattet, die Bühne zu betreten. Ich befinde mich im Umsehen wieder im Gange des Theaters.

Die Menge da drinnen tobt noch immer. Ich kann nichts weiter thun, als meinen Mantel aus der Loge nehmen und fortgehen. Als ich in die Nacht hinaustrete, ist es zunächst unmöglich, etwas zu sehen, dann finde ich endlich den Weg. Auf dieser Seite des Gebäudes ist es völlig einsam, ich habe nicht den Ausgang nach der Front gewählt. Der Fluß rauscht an dem Wehr, ich wende mich also nach rechts, das Gebäude zu umgehen; die kleine Luke des Bühnenraumes leuchtet in die Nacht hinaus.

Dann dünkt es mich, als ob hinter mir eine Thür klinke, und ich drehe mich um. Verschwindet da nicht eben etwas Lichtes in der Dunkelheit? Ich bleibe stehen, aber meine Augen können die Finsterniß nicht durchdringen; mir ist’s nur einen Augenblick, als ob durch das Rauschen des Wassers der Schrei einer Menschenstimme gezittert hätte.

„Unsinn!“ sage ich, „du bist erregt.“ Gewaltsam zwinge ich mich zur Ruhe, zum Weitergehen. In den hohen Bäumen über mir rauscht der Nachtwind, das Wasser zur Seite gluckst und kollert so unheimlich – bin ich auf einen falschen Weg gerathen? Es ist ganz einsam hier, und mich packt ein Grauen und eine Ahnung, eine schreckliche Ahnung.

Hinter mir vernehme ich jetzt große rasche Schritte; ein Mensch mit einer Laterne kommt daher gerannt, seinen keuchenden Athem höre ich trotz Wind und Wasser.

„Was ist geschehen?“ schreie ich mit Aufbietung aller Kräfte.

Er ruft mir etwas zu; ich verstehe kein Wort.

Zitternd vor Aufregung komme ich im Gasthof an, ich habe wer weiß wie lange zu dem Wege gebraucht. Der Wirth steht inmitten einer Menge Menschen auf der Hausdiele; als er mich erblickt, kommt er auf mich zu.

„Gnädige Frau brauchen sich nicht zu beunruhigen,“ spricht er, „sie kommt gleich auf den Friedhof in das Leichenhaus.“

Ich gehe weiter – zu fragen brauche ich ja nicht, wer sie ist, die da auf den Friedhof kommt. – – – – – – –

Oll Kathrin hat vor meiner Stubenthür auf mich gewartet; sie schluchzt jammervoll, die Alte. „Madame,“ weint sie, „vergeben Sie ihr doch, sie hat’s so gemußt!“

„Ach, Kathrin,“ sage ich, „hier hat ein anderer zu richten.“

Sie sieht mir in das thränenlose Gesicht und geht schluchzend wieder; sie mag mir wohl anmerken, daß ich nicht sprechen kann. In meinem Zimmer aber sehe ich den Oberpfarrer stehen. Wir drücken uns stumm die Hand, und er kann weinen.

„Ich habe sie sehr lieb gehabt,“ sagt er. „Wäre sie doch zu mir gekommen, hätte sie sich in Elisabeths Arme geworfen – anstatt in den Tod! Wir hätten ihr tausendmal vergeben.“

„Und Elisabeth?“ frage ich.

„Sie ahnt nichts, sie spricht nie von ihr; aber sie hat oft den Wunsch geäußert, Sie wiederzusehen, Frau Anna. Kommen Sie doch morgen früh, Sie finden eine stille freundliche Dulderin, die nichts mehr wünscht auf Erden.“

*  *  *

Die alte Schelle der Pfarrhausthür rasselt wie sonst; ein ältliches Dienstmädchen führt mich in die Stube der Frau Pfarrerin, und von ihrem Fensterplatz erhebt sich eine zierliche kleine Gestalt, und unter schneeweißem Haar leuchten die treuen blauen Augen meiner Elisabeth.

„Das ist lieb von Dir, Anna,“ sagt sie ganz ruhig, „lieb, daß Du kommst. Du bleibst doch ein Weilchen bei mir?“ Sie nimmt mir Hut und Mantel ab und bestellt eine Erfrischung. Wie einst sitze ich ihr auf der Estrade gegenüber und sehe auf die Straße und die alte Kirche. Wir sprechen von unserer Jugend, wir sprechen von ihren drei Lieblingen auf dem Kirchhofe; sie sagt, sie freue sich so darauf, zu sterben, Ruhe und Frieden zu finden, aber von Martha kein Wort! Auch nirgends ein Bild von ihr, kein Andenken!

Wir gehen in den Garten und wandern ein Weilchen stumm im Lindengang auf und ab. Ich meine immer, ich muß hinter den Büschen ein lichtes Kleid, blonde Haare schimmern sehen, oder ein Lachen aus Mädchenmund müsse in die träumerische Stille dieses alten Gartens klingen. – Nichts dergleichen! Fast spukhaft einsam liegt der Garten, nur das Summen unzähliger Bienen hören wir über uns in den blühenden Linden.

Dann fragt mich Elisabeth, ob ich ihr helfen wolle, einen Kranz zu winden. Und sie pflückt an der alten Mauer Epheublätter [768] und von einem Rosenstrauch, der über und über mit Blüthen bedeckt ist, weiße Rosen, die einen röthlichen Anhauch haben, so zart wie ein junges Mädchengesicht. Und als wir im Garten sitzen und ich ihr die Blätter zureiche, sagt sie plötzlich: „Anna, Du mußt nicht denken, daß ich nichts weiß. – Ich weiß alles, nur will ich nicht mit meinem Mann davon sprechen. Er hat das Kind so lieb gehabt, und darum darf ich auch nicht weinen. Er überwindet’s leichter so.“ Und sie nickt mir freundlich zu, obgleich es um ihre Mundwinkel zuckt. „Willst Du ihr das bringen von mir?“ fragt sie, mir das fertige Gewinde hinhaltend, „es ist ein Gruß aus dem Garten ihrer Jugendzeit.“

Ich will sprechen, aber sie leidet es nicht.

„Laß, Anna; sie ist dem wilden Leben entrückt; es wird ihr vergeben werden, daß sie den Heimweg suchte, ehe es ihr geboten ward. Ich habe ihr alles verziehen.“ Und mit einem Aufathmen setzt sie hinzu: „Es ist wie Ruhe über mich gekommen, seitdem ich weiß, sie schläft.“ Sie legt den Kranz auf den Rasen. „Er soll sich frisch halten, bis Du gehst, Anna.“

„Sie ist auch nicht ohne Abschied gegangen, Anna,“ beginnt Elisabeth wieder. „Vorgestern nacht, als ich vor Herzweh und Angst nicht schlafen konnte, weil ich an dem Tage erfahren hatte, daß sie mit der Truppe hier angekommen ist und hier spielen will, stand ich auf und trat ans Fenster der Schlafstube. Es war ungefähr um Mitternacht und der Mond schien hell durch die Wolken. Zuerst sah ich wie immer nur den alten Birnbaum auf dem Rasenplatz. Es war drückend warm in der Stube und ich öffnete das Fenster. Es war eine Nacht wie ein Traum so schön, aber schwül wie vor Gewitter und Regen, und überall schlugen die Nachtigallen. – Plötzlich erblickte ich am Stamm des Baumes eine Gestalt und allmählich unterschied ich den weißen Arm, der sich um den Baum geschlungen hatte, und das weiße Gesichtchen und die glänzenden Haare darüber. Und ich sah, wie die Augen unverwandt zu mir herüber schauten. Bewegungslos, wie aus Marmor gemeißelt, verharrte sie, und ebenso wie gebannt stand ich an meinem Fenster, und so sahen wir uns an – wie lange, weiß ich nicht. – –

Was ich alles gedacht habe in diesen Minuten, Anna! – Es war mir so wunderbar, als wäre das nicht mehr unser alter Garten, als hätte sich ein Abgrund aufgethan zwischen dem Hause und dem Baum. Ich wollte den Arm heben und konnte es nicht, wollte rufen: ,Komm wieder! komm wieder!‘ aber es schien mir unmöglich, wie hätte sie den Abgrund überwinden sollen? Und als ich so dastand und die Schweißtropfen fühlte, die mir auf der Stirn perlten, und doch nicht fähig war, mich zu rühren, und immer nur die stummen heißen Blicke sah, da löste sich die Gestalt von dem Baum und ging, noch immer den Kopf nach mir gewendet, mitten über den mondbeschienenen Rasen. Ich konnte sie jetzt so deutlich erkennen, wie sie mich erkannt haben mußte, Zug für Zug; und dann verschwand sie in der Richtung nach der Gartenmauer hinter dem Gesträuch. Ich hörte, wie sie – sie hat es als Kind so oft gethan – sich über die niedrige Mauer gleiten ließ, hörte das Rollen kleiner Steinchen und leichte Tritte, die sich entfernten, und jetzt vermochte ich zu rufen: ‚Martha! Martha!‘

Aber es kam keine Antwort! Nur mein Mann wachte erschreckt auf und suchte mich zu beruhigen und wollte mir nicht glauben. Er sagt, es sei eine Sinnestäuschung gewesen; sie meinen ja alle, ich sei krank, aber –“

Sie bricht ab, denn der Oberpfarrer kommt, und wir reden alle drei von dem und jenem, und unsere Herzen sind doch nicht dabei.

Spät abends trage ich den Kranz noch hinaus, aber der Todtengräber läßt mich nicht zu der Entschlafenen. „Ich werd’s besorgen,“ sagt er freundlich, „sehen Sie sie nicht an, Madame, behalten Sie ihr Bild im Gedächtniß, wie es gestern war, – sie sah so lieb aus in dem blauen Kleidchen!“

Indem ich da noch stehe, kommt ein Herr daher – kaum erkenne ich in ihm den Faust von gestern abend. Er sieht so vergrämt aus, so, als ob er über Nacht zwanzig Jahre älter geworden wäre. Ich will mich zum Gehen wenden, da klingt seine Stimme in mein Ohr: „Ach, gnädige Frau, auf ein Wort!“

Natürlich folge ich ihm in die Allee, die den Friedhof ziert; es ist hier tief dämmerig, aber ich kann doch noch das schöne Profil des Mannes erkennen. Er hat den Hut abgenommen und sich das Haar aus der Stirn gestrichen. Offenbar sucht er nach einem passenden Einleitungswort.

„Madame,“ beginnt er endlich heiser, „Sie haben sie ja näher gekannt, und Ihnen darf ich wohl auch sagen, daß ich –“ hier stockt er – „daß ich schuld bin an dem verzweifelten Entschluß. Aber,“ unterbricht er sich, „Sie wissen wohl gar nicht, daß Tosca meine Braut war? Natürlich nicht,“ beantwortet er hastig selbst die Frage. „Sie wollte es Ihnen ja nicht sagen, obgleich ich sie täglich darum bat. Sie liebte mich und schämte sich doch meiner Ihnen gegenüber. Und an diesem unseligen Ort habe ich sie gezwungen, zu spielen, aus Eitelkeit, aus Angst, sie zu verlieren. Ich dachte, sie könnte vielleicht noch im letzten Augenblick wieder in das Pfarrhaus flüchten – dann wäre sie verloren gewesen für mich; anders, wenn sie hier auf den Brettern gestanden hatte! Ich habe sie wählen heißen zwischen mir und dem Fernbleiben von der Bühne gestern abend, ich – ich habe, als ihre Kräfte sie verließen, die halb Ohnmächtige wieder auf die Scene geschleppt, und als sie dort unter der Rohheit des Publikums zusammenbrach – da warf ich ihr, meiner nicht mehr mächtig, den Ring, den sie mir geschenkt hatte, vor die Füße. – Ich weiß nicht, wie das alles kam, vielleicht dachte ich, es würde mein Zorn ihren Stolz wecken oder sie zum Spiel bewegen – ich kann nicht Rechenschaft geben davon, weshalb ich es that. Ich hätte ja längst wissen müssen, daß ihre Füße nicht stehen konnten auf so schwankem Boden; sie paßte nicht zu uns, nicht zu mir. Aber ich wollt’s nicht glauben, ich hatte sie wahnsinnig lieb.“

Ich kann nichts erwidern darauf und gehe still weiter neben ihm. Er bleibt auf einmal stehen. „Und was ist da noch weiter zu sagen,“ klingt es rauh, „sie ist todt – ich kann sie nicht wieder lebendig machen und wenn ich mein eigenes Leben opfern wollte – ich habe sie aus dem Vaterhaus geführt, ich habe sie in den Tod getrieben – ich –“

Sein sonst so schwermüthiges blasses Gesicht hat einen Ausdruck leidenschaftlichen Schmerzes in diesem Augenblick, so daß ich erschrecke. Ich will ein paar Worte des Trostes sprechen und fasse nach seiner Hand, aber er schüttelt die meine ab und mit großen raschen Schritten geht er dem Ausgange des Kirchhofes zu, und ich sehe ihn hinter dem eisernen Gitterthor verschwinden.

Die Todtenfrau kommt mir langsam entgegen und nimmt mir den Kranz ab.

„Er muß wohl ihr Liebster gewesen sein,“ sagt sie, „denn bis jetzt ist er noch nicht viel von ihr gegangen, seitdem sie da liegt. ’S ist ordentlich schauerlich, wie er mit ihr spricht und sie immer wieder um Vergebung bittet, als wäre er schuld an ihrem Tode. Man sieht ja so manches Elend, Madame, aber so hat’s mich noch nicht gepackt!“

Am andern Morgen ganz früh hat man sie zur Ruhe gebettet. Als ich eine Stunde später am Kirchhof meine Extrapost halten lasse, hat die Frühlingssonne die Kränze auf ihrem Grab schon welken gemacht. Ich stehe ein Weilchen vor dem Hügel und gehe dann über den grünen stillen Friedhof meinem Wagen zu; der Postillon knallt mit der Peitsche, die Pferde ziehen an, und als wir an der Friedhofsmauer vorüber sind, bläst er ein Lied, ein lustiges Lied.

Wie das paßt für den thaufunkelnden, sonnendurchleuchteten Frühlingsmorgen!

Im Walde schimmern die grünen Tannenspitzchen wie Smaragd, und die jungen Buchenblätter sind förmlich durchsichtig unter den goldenen Strahlen. Langsam fährt der Wagen bergan. Noch einmal wende ich mich um und sehe das Städtchen drunten, die beiden schlanken Kirchthürme und die dunklen Giebel des Pfarrhauses. Ich weiß, jetzt sitzt am Fenster eine stille Frau, der aller Sonnenglanz genommen ward, und ich meine ihre Worte zu hören, die sie gestern gesprochen: „Es ist wie Ruhe über mich gekommen, seitdem ich weiß, sie schläft.“

Am Wegesrand vor mir sitzt unter einer noch fast kahlen Eiche ein Wanderer; er blickt unverwandt hinab zur Stadt. Ich mache unwillkürlich eine grüßende Bewegung, denn ich habe Marthas Bräutigam erkannt. Aber er wendet den Kopf, er will mich nicht sehen; um seinen Mund zuckt es wieder, und die Hände, die sich jetzt mit dem Reisetäschchen zu schaffen machen, zittern.

Langsam fahre ich vorüber.

Immer mehr versinkt hinter mir die kleine Stadt, und die weite Welt thut sich auf vor meinen Augen. Der Morgenwind zieht mir entgegen auf der Höhe und trocknet die letzten Thränen, als wollte er mich trösten: „Weine nicht, denn sie ist geborgen, sie wandert nicht mehr auf schwankem Boden – sie schläft!“

[769]

Künstler und Landwirth.

Ein Erinnerungsblatt zum fünfundzwanzigjährigen Sängerjubiläum Heinrich Vogls.

An einem Augusttage des Jahres 1865 war eine kleine musikalische Gesellschaft im schmucklosen Probezimmer des kgl. Hoftheaters in München zusammen: der Intendanzrath Schmitt, die Kapellmeister Franz Lachner, Rheinberger und Meier, der Regisseur Sigl und der Hofopernsänger August Kindermann. Vor diesem gestrengen Kollegium stand ein junger Mann, der gewiß klopfenden Herzens die ganze Wichtigkeit jener Stunde für sein künftiges Leben empfunden hat – der 20jährige Schullehrergehilfe Heinrich Vogl. Er, der heute in der musikalischen Welt der große Wagner-Sänger genannt wird, sollte damals Probe singen.

In der Vorstadt Au geboren, ein richtiges „Münchener Kindl“, hatte es der junge Vogl drei Jahre vorher mit mehr Fleiß als Behagen zum Schullehrergehilfen in Ebersberg gebracht. Die schöne kräftige Tenorstimme, die in ihm nach Bethätigung rang, ließ jedoch keine rechte Befriedigung in ihm aufkommen. Er faßte sich ein Herz und bat seinen Kreisschulrath um Versetzung von der einsamen Filialschule nach einer größeren Stadt. Der Kreisschulrath aber – es thut nichts, wenn der Name des gestrengen Herrn nicht auf die Nachwelt kommt – wies dem jungen Lehrer in der schroffsten Weise die Thür. Da raffte sich Vogl zu einem heldenhaften Entschluß auf: er brach alle Brücken hinter sich ab und meldete sich zum Theater – als Chorist. Und nun sang er Probe. Nachdem er die A-Dur-Arie aus Méhuls „Joseph“ und die in Es-Dur des Tamino aus der „Zauberflöte“ von Mozart vorgetragen hatte, trat der alte Lachner, der schon früher erfreut geäußert hatte: „Nun, Stimm’ wär’ ja da!“ auf Vogl zu und sprach zu dem erwartungsvoll dastehenden: „Als Choristen können wir Sie nicht brauchen, aber“ – schmerzliche Pause – „als – Solisten“, und er bot dem glücklichen Schullehrer einen fünfjährigen Vertrag.

Heinrich Vogl als Lohengrin.
Nach einer Photographie von Jos. Albert in München.

Nun ging es ans Studieren. Lachner übernahm die gesangliche, Schauspielregisseur Jenke die darstellerische Ausbildung des hoffnungsvollen Tenoristen. Aber nicht nur Stimme, das kostbare und nie hoch genug anzuschlagende Material, war in reichem Maße da, auch Talent, schnelle Auffassung und jene außerordentliche Sicherheit im Treffen, jener durch und durch musikalische Sinn, der damals wie heute Heinrich Vogl vor so vielen seiner berühmtesten Fachgenossen auszeichnete. – Am 5. November 1865 betrat Heinrich Vogl zum ersten Male jene Bretter, die ihm zur Heimath werden sollten, als Max in Webers unsterblichem „Freischütz“. Sophie Stehle, damals ein Liebling des Münchener Publikums, sang die Agathe, Frl. Deinet (spätere Frau Possart) das Aennchen, der berühmte Bariton Kindermann den Caspar. Ein übervolles Haus erwartete mit Spannung den Neuling, den viele als liebenswürdigen Menschen, wenige als Schullehrer, der seinen Beruf verfehlt hatte, kannten. Als Vogl die erste Phrase „O diese Sonne!“ – mit seiner jugendfrischen prächtigen Stimme gesungen hatte, ging schon eine starke Bewegung durch das Haus; der Debutant hatte gewonnenes Spiel, das Publikum fühlte, daß es einen werdenden Künstler vor sich hatte, und Vogl trug an diesem Erstlingsabend vor nunmehr 25 Jahren einen so glänzenden Erfolg davon, wie er wohl nur selten einem Anfänger vergönnt gewesen sein mag.

Damals konnte man freilich den Werth und die Bedeutung seines Engagements noch nicht in ihrer ganzen Tragweite ahnen. Als Schüler Lachners stand Vogl zunächst noch auf streng klassischem Boden und hatte zu der „Wagnerfrage“, die ja gerade damals, nach der Berufung Wagners und Bülows durch den jungen König Ludwig II., hell aufgelodert war, so gut wie keine Stellung genommen. Später sollte sich dies ändern, ja gerade in das Gegentheil verkehren. Vogl hatte Wagner aus „Tristan“ vorgesungen, und „der Meister“ bestand darauf, daß der junge Sänger bei einem bestimmten Lehrer Gesangsunterricht nähme. Vogl nahm auch ein paar Stunden, ward aber nicht befriedigt und blieb aus. Wagner hat ihm dies sehr übelgenommen, bis auch er erkennen musste, daß er an dem jungen unscheinbaren Mann einen Interpreten seiner größten Bühnengestalten gefunden habe, wie ihm dazumal kein zweiter zu Gebote stand. Von dieser Zeit an verlor Vogl in den Augen Lachners und der Nachklassiker; erst später sollten diese mit Freude erleben, daß eine merkwürdige Vielseitigkeit und Stilgewandtheit den Künstler befähige, von der unendlichen Melodie unmittelbar in die strengen Formen der klassischen Musik überzugehen.

Die Wagnerianer nahmen Vogl als den Ihrigen in Anspruch vom „Tristan“ an, diesem „wagnerischsten“ der Werke Wagners, das an seinen Darsteller so fabelhafte Anforderungen stellt, daß diese Athletenleistung Vogls damals und noch lange als einzig und unerreichbar dastand. Das Werk selbst war am 10. Juni 1865, also vor dem Eintritt Vogls, zum ersten Male in Scene gegangen und dann dreimal wiederholt worden. Inzwischen hatte Vogl im Oktober 1867 die Tutzinger Schullehrerstochter Therese Thoma, die seit April desselben Jahres ebenfalls der Hofbühne als Sängerin angehörte, geheirathet. Die beiden kunstbegeisterten Leutchen hatten ganz für sich „Tristan und Isolde“ einstudiert, ohne vorläufig an eine öffentliche Verwendung zu denken. Da wünschte König Ludwig wieder einmal das Riesenwerk zu hören. Bachmann, welcher zum Tristan, und Frl. Seehofer, die als Isolde berufen war, erklärten, die Partien beim besten Willen nicht bewältigen zu können, und so frug man bei Vogls an, die auch bereit waren. Nach weiteren Vorbereitungen unter Bülow ging „Tristan und Isolde“ dank der wunderbaren Verkörperung der beiden Gestalten durch Vogl und seine ebenbürtige, ihn als Darstellerin sogar noch übertreffende Gattin am 20. Juni 1869 mit großem Erfolg über die Bretter. Der Ruhm Vogls und seiner Frau als „Wagnersänger“ verbreitete sich dann im Laufe der Jahre immer mehr, und wenn sich auch beide in zahllosen anderen Rollen nicht minder auszeichneten, so war es doch jene blendendere Eigenschaft, welche ihren Ruf begründete. Zahllose Gastspiele und – Bayreuth waren die Folge.

Vom Jahre 1875 bis in die jüngste Zeit haben Gastspielreisen den Künstler und seine Gattin fast in alle bedeutenderen Städte Deutschlands, ferner nach Wien, in die Schweiz, nach Riga und Petersburg, nach London etc. geführt und im vorigen Jahre zahlte Vogl auch dem Zug nach dem Dollar seinen Zoll und ging – nach Amerika. Es wäre ihm aber beinahe schlecht bekommen. An einem, wie sich erst später herausstellte, lebensgefährlichen Karbunkel leidend, betrat er das Schiff, das ihn übers große Wasser bringen sollte, und vom Schiff weg ging’s nicht ins stolze Metropolitan Operahouse, sondern ins deutsche Hospital, wo er dem Tode nahe ins Auge schaute, bevor er die großen Wagnerrollen singen konnte, welche ihm erst später die gewohnten Erfolge einbrachten.

Die gewohnten Erfolge! – Wenn Heinrich Vogl heute auf seine 25jährige Thätigkeit als Sänger und Darsteller zurückblickt, darf er sich ehrlich gestehen, daß er diese Erfolge stets nur der Anwendung rein künstlerischer Mittel verdankte. Von gewöhnlicher Mittelgröße und eher von untersetzter Gestalt, hat Vogl nichts von dem herkömmlichen blendenden Aeußeren, das sich bei so manchen Tenorgrößen mit einem beinahe sprichwörtlich gewordenen Mangel an höherer Intelligenz verbindet. Die Wirkung der Voglschen Rollen ist ausschließlich der edlen Stimme und dem künstlerischen Gebrauch derselben zuzuschreiben. Was immer wieder und auch jetzt noch, wo die Jahre immerhin einigen Zoll gefordert haben, an seinen Leistungen entzückt, ist die wunderbar innige Verbindung, die Ton und [770] Wort bei ihm miteinander eingehen. So voll und edel der Ton ist, so deutlich und durchdacht ist der Vortrag des Wortes.

Rechnet man hiezu noch die gediegene allgemeine musikalische Bildung, die Vogl besitzt, so überrascht es nicht mehr, daß derselbe als Konzertsänger nicht minder geschätzt ist wie auf der Bühne. Man weiß, daß der Konzertsaal für das Können jedes Sängers eine wahre Feuerprobe bedeutet; Vogl hat dieselbe nicht nur stets bestanden, sondern viele schätzen ihn sogar als Lieder- und Oratoriensänger noch höher wie als Opernsänger.

Neugierig, welche Rolle bei einem solchen Umfang künstlerischen Schaffens dem Sänger mit der Zeit wohl am liebsten geworden wäre, hat der Schreiber dieser Zeilen einmal danach gefragt. „Herrgott, das ist schwer zu sagen!“ antwortete Vogl, „ich singe gerne den Tamino, Adolar, Pylades, Achilles, den Evangelisten in der ‚Schöpfung‘, den Judas Maccabäus; ich singe leidenschaftlich gern schöne Lieder und den ganzen Wagner und hasse den Ritter Hugo in ‚Undine‘ und dergleichen Zeug. Was ich am liebsten singe? Ich weiß es nicht; alles, was ich kann.“

Und doch giebt es etwas, was der berühmte „Wagnersänger“ mindestens ebenso hoch stellt wie seine Bühnenerfolge – seine Oekonomie. Opernsänger und Oekonomie sind sonst Begriffe, die sich selten zusammenfinden, ja wohl meist gegenseitig ausschließen. Der kgl. Kammer- und Hofopernsänger Heinrich Vogl ist, fast möchte ich sagen, vor allem Landwirth. Im Jahre 1878 erwarb er das etwa eine Stunde oberhalb Tutzing am Starnberger See, der Heimath seiner Gattin, gelegene Landgut Deixlfurt mit 176 Tagwerk (etwa 60 ha) und 8 Stück Vieh. Heute ist das Gut auf etwa 1000 bayerische Tagwerk (340 ha) abgerundet und beherbergt 110 Stück Hornvieh, 12 Pferde etc. 500 Tagwerk sind 5 Fuß tief drainirt, eine Spiritusbrennerei von 1450 Hektolitern Kontingent ist eingerichtet, 350 Tagwerk umfaßt das Ackerland, eine rationelle Milchwirthschaft und gute Fischzucht hat er eingeführt; Jagd, Wiesen und Wald, alles findet bei dem bayerischen Opernsänger die liebevollste Pflege; denn Vogl läßt dies alles nicht etwa durch andere bewirthschaften, sondern lebt fast das ganze Jahr hier auf seinem selbstgeschaffenen Besitzthum, und fährt nur zu den Proben und den Aufführungen nach der Stadt in sein Absteigequartier in der Maximilianstraße. Er leitet alles selbst, fährt selbst auf die Viehmärkte, bewirbt sich um Preise auf landwirthschaftlichen Ausstellungen etc. Wenn man ihn an der Seite seiner Gattin und der blühenden Kinder durch sein ausgedehntes Besitzthum schreiten sieht, lernt man es fast verstehen, daß er auf diese bleibenden Spuren einer langjährigen gesegneten landwirthschaftlichen Thätigkeit noch stolzer ist als auf den schnell verwelkenden Lorbeer eines gottbegnadeten Künstlerthums, und man glaubt an das köstliche Wort, das er nach Vollendung einer „wagnerischen“ Gastrolle gesagt haben soll: „Heut’ hab’ ich mir einen Ochsen ersungen!“ –

Heinrich Vogl steht heute noch ungebrochen in der Vollkraft seiner Jahre und seiner Stimme, deren Metall und Ausbildung ihm noch Bürgschaft für eine Dauer von vielen Jahren geben. Er wird seiner Heimathbühne als Tenor das sein, was der Zeuge seines Probesingens, August Kindermann, als Bariton gewesen ist, bis ins hohe Alter – ein unvergänglicher Sänger! Alfred v. Mensi.     


Blätter und Blüthen.

Adolf Diesterweg. (Mit Bildniß.) Wir sehen ihn vor uns, den Mann mit dem scharf geschnittenen Gesicht; gewaltige Brauen beschatten die Augen, aus denen noch bis ins Greisenalter hinein das Feuer der Jugend leuchtete. Bis in die letzten Tage seines Lebens – er wurde am 7. Juli 1866 zu Berlin ein Opfer der Cholera – trat er mit jugendlicher Begeisterung für die Ideen ein, deren Verwirklichung er sich zum Ziel gesetzt und für die er auch gelitten hatte. Ja, gelitten! Der herbe Zug um seinen Mund läßt die Bitternisse ahnen, die ihm auf seinem Lebenswege beschieden waren, aber widrige Winde konnten ihn nicht von seinem Wege abbringen. Kühnen Wagemuth spiegelt sein Antlitz wieder, und es ist, als ob der fest geschlossene Mund sich zu dem von seinen Lippen so oft vernommenen Zuruf öffnen wollte: „Durch!“ Freilich hat er sich einen großen Theil der Gegner durch die herbe Art seines Auftretens selbst geschaffen. Wo er im Volks-, insbesondere im Schulleben Mißstände entdeckte, deren Beseitigung ihm dringend zu sein däuchte, da kannte er keine Rücksichten. Von den Sachen glitt er leicht auf die Personen hinüber, und mit diesen verfuhr er nicht sehr glimpflich.

Das Leben Diesterwegs, der am 29. Oktober 1790, also vor nunmehr hundert Jahren, geboren wurde, ist in der „Gartenlaube“ wiederholt geschildert worden. Es führte ihn durch verschiedene Lehrerstellungen in Mannheim, Worms, Frankfurt a. M, Elberfeld und Mörs 1832 an die Spitze des Berliner Lehrerseminars für Stadtschulen, wo seinem Eifer, für eine Verbesserung und Veredlung des Volksunterrichts zu wirken, das weiteste Feld erwuchs. Mit hoher Begeisterung für den Erzieherberuf erfüllt, wußte er seine Zöglinge zu idealer Auffassung ihres künftigen Lebensberufs zu führen und sie mit der Kunst, geistweckend zu unterrichten, vertraut zu machen. Auch auf die bereits im Amte stehenden Lehrer wirkte er in gleichem Sinne ein. Ihren Blick lenkte er nicht bloß auf die Vorgänge in der Schulstube; er schärfte ihn auch für die Vorkommnisse draußen im Volksleben; er wußte sie zu Volkspädagogen zu erheben. Für einen Lehrerstand mit zeitgemäßer wissenschaftlicher und beruflicher Bildung beanspruchte er aber auch eine bessere amtliche und gesellschaftliche Stellung. Die Schule wollte er neben, nicht unter die Kirche, die Lehrer nicht unter, sondern neben den Geistlichen gestellt sehen. Seine Forderung, Schule und Lehrer müßten durch Fachmänner beaufsichtigt werden, harrt in Deutschland heute noch fast überall der Erfüllung. Sie war es, die neben seinem leidenschaftlichen Eintreten gegen den dogmatischen Religionsunterricht in den Volksschulen das Mißtrauen einzelner Kreise gegen ihn wachrief.

Adolf Diesterweg.

Als in den vierziger Jahren aus den höheren Regionen herab andere Winde als unter dem verstorbenen Könige Friedrich Wilhelm III. wehten, Diesterweg aber seinen Mantel nach diesem Winde zu drehen nicht gewillt war – persönliche Gegensätze zu seinem nächsten Vorgesetzten, dem Schulrath O. Schulz, kamen hinzu – da war er (1847) genöthigt, einen „längeren Urlaub“ zu nehmen, dem 1850 seine Pensionirung folgte. Aber er gab es nicht auf, für seine Ideen weiter zu wirken. Die berüchtigten preußischen Schulregulative vom Jahre 1854, welche die Bildung der Lehrer ganz gewaltig herabdrückten und durch Ueberbürdnng der Volksschule mit Gedächtnißstoff einen bildenden Unterricht zur Unmöglichkeit machten, fanden in ihm ihren erbittertsten Gegner. Ihre Beseitigung, die er bereits am Anfange der sechziger Jahre nahe wähnte, sollte er nicht mehr erleben. Aber durch sein Wort, welches seit 1858 von der Tribüne des preußischen Abgeordnetenhauses herab erscholl, desgleichen durch seine Schriften hat er viel dazu beigetragen, daß die Regulative mehrfach geändert oder wenigstens in zeitgemäßer Weise ausgelegt wurden.

Wie hoch nun auch Diesterweg die durch die Volksschule zu vermittelnde Bildung anschlug, so war er doch weit entfernt von dem Glauben, daß durch die Schule allein die Welt verbessert werden könnte. Stets betonte er, daß zur Hebung der sozialen Schäden noch manch anderes Mittel versucht werden müsse. Er stand schon dem Gedanken nahe, dem später Schulze-Delitzsch durch Einrichtung des Genossenschaftswesens Leben und Gestalt verlieh. Alle freiwilligen Bemühungen der Begüterten, das Los der Armen erträglicher zu gestalten, konnten seiner Unterstützung sicher sein. Auch hier zeigte er sich als echter Pestalozzianer, „Humanität“ hatte er auf seine Fahne geschrieben.

Allerwärts hat sich die deutsche Lehrerschaft gerüstet, den hundertsten Geburtstag Ad. Diesterwegs festlich zu begehen. Sie feiert in ihm nicht einen Mann, der tiefsinnige pädagogische Systeme erfunden hat, sondern einen gottbegnadeten Erzieher, der für die geistigen und leiblichen Bedürfnisse des Volkes ein warmes Herz gehabt, seine eigene ideale Begeisterung für seinen Beruf in die Kreise der Lehrer getragen hat und in Charakterfestigkeit, Berufstreue und praktischem Geschick ein Vorbild für alle Volksbildner gewesen ist.

Auf der Studienreise. (Mit Abbildung S. 745.) Wenn doch die Häuser keine Fenster hätten! Oder wenigstens keine rückwärtigen, zu denen die Mutter aber auch grad’ in dem Augenblick ’reinschauen muß, wo der Herr Maler, der bildsaubere nette Mensch, eine Pause im eifrigen Studium macht und dem blonden Resei ein ganz unschuldiges kleines Busserl auf seine frischen rothen Backen drückt, weil es gar so schön still gesessen ist beim Abzeichnen. Und jetzt deswegen einen solchen Mordsspektakel! Die alte Huberin kennt sich nicht vor Zorn, ein „grantiges Leut“ ist sie schon ohnedem immer, aber jetzt schimpft sie das arme Resei ganz ausbündig herunter, und das um so ärger, weil sie, die Huberin, über sich selbst auch einen Zorn hat. Nämlich, daß sie sich so hat einthun lassen von dem Schmierlappen, dem hinterhältigen, der ihr mit lauter Heiligenbildern daher gekommen ist und sich so recht brav und gottesfürchtig angestellt hat. Und grad’ dem hat sie trauen müssen, wo sie doch sonst keinem Menschen traut – springgiftig möcht’ sie werden vor Zorn darüber!

„Han, Resel,“ keift ihr scharfer Diskant, „daß di gar net schamst, und di abbusseln laßt von an solchen herg’laafenen Spitzbuben, von so an – “ er kann die folgende Steigerung seiner Ehrentitel mit eigenen Ohren anhören in der schützenden Truhe, die als einzige Zufluchtsstätte sich seinen Augen darbot, als draußen die knöchernen Finger der Huberin an die Scheiben pochten und ihr schneller Lauf nach der Thür ein Entrinnen durch dieselbe unmöglich machte. Aber es ist ein verdammt unbequemer [771] bequemer Aufenthalt in dem Holzkasten, ganz abgesehen von der wenig glänzenden Lage für das hervorragende Mitglied der Münchener Schule. Niemals ist das berühmte Wort „Aussi möcht’ i!“ aus so gepreßtem Herzen aufgestiegen, als in diesem Augenblick. –

Das Resei, noch Neuling in solchen Scenen, steht da, die hübschen braunen Augen seitwärts gewandt, den Finger an die Lippen gedrückt, in rathloser Verlegenheit und Angst. Scheinbar demüthig dem strafenden Gepolter lauschend, hat sie doch keinen andern Gedanken als die Rettung des Jünglings in der Truhe. Leicht setzt sich die Mutter am Ende noch drauf, wenn sie verschnaufen muß, und druckt ihm eine Hand ab oder gar das Genick! … „O heilige Katharina,“ betet Resei in Gedanken zu dem hinter ihr hängenden, so schön gemalten Bild, „heilige Katharina, thu’ ein Wunder und hilf uns aus dieser Noth!“

Und siehe, die Heilige erbarmt sich und thut ein Zeichen. Im nächsten Augenblick knarrt der leise gehobene Truhendeckel ganz vernehmlich, die Huberin fährt herum – und Reseis Bitte ist erfüllt: der Maler feiert seine Auferstehung bei lebendigem Leibe. Wie freilich, davon schweigt er, heimgekehrt, den Kameraden gegenüber hartnäckig, so viel Rühmens er auch außerdem von dem blonden Resei macht.

Woher ich nun das alles weiß? … Ja, es giebt eben Bilder, die zu leben anfangen, wenn man sie betrachtet, weil der Künstler sie aus dem vollen Leben heraus gemalt hat. Das ist die Art des Meisters Mathias Schmid, der die Wahrheit sieht, ohne die Schönheit zu verachten, und deshalb uns so viel herzerfreuende Bilder geschenkt hat. Eins der anziehendsten darunter ist sicher das, welches wir heute unsern Lesern vorlegen.

Der letzte Berliner Pfahlbau. (Mit Abbildung S. 741.) Alte Gebäude umweht oft ein eigener Zauber, und nur ungern trennt man sich heute von Erinnerungen aus früheren Jahrhunderten; man sucht im Gegentheil alten Häusern aufzuhelfen und sie als Denkmäler einer vergangenen Zeit zu erhalten, sofern nicht aus zwingenden Gründen ihre Abtragung erforderlich ist.

Auf den ersten Anblick glaubt man wohl in dem „letzten Berliner Pfahlbau“, den unser Zeichner hier anschaulich wiedergiebt, ein Hamburger Bild vor sich zu sehen. Hamburg war einst gerade an Gebäuden solchen Stils reich, und es schien oft unbegreiflich, daß nicht der Sturm über Nacht einmal einem derartigen Jahrhunderte alten Mauerwerk den Todesstoß versetzte. Aber die Architekten jener Epochen bauten fest und kernig, und so hat auch bisher der „letzte Berliner Pfahlbau“ die Zeiten überstanden, bis nun – das Haus liegt an der Fischerbrücke und trägt die Nummer 28 – auch sein Ende durch Abbruch herangekommen ist.

Das mehrstöckige Gebäude den „letzten Pfahlbau“ zu nennen, ist man berechtigt, da es auf Pfählen steht, welche in das Wasser eingestampft sind. Eigentlich hat nur die Hinterfront etwas Anmuthiges, das Auge Fesselndes; Veranden ziehen sich die ganze Breitseite der Stockwerke entlang. Die Säulengeländer sind von Holz, und wilder Wein schlingt im Sommer seine grünen Arme um die Brüstungen. Aber auch allerlei Gethier hatte sich eingenistet, Tauben und Krähen ließen sich darauf nieder und in dunkler Nacht huschte auch mal ein Kätzlein mit behende gesetzten Pfoten hier und dort hin, aber nicht in mörderischer Absicht, sondern als Kamerad der Vögel und Hunde, welche die Veranden bevölkerten. –

Eine Fahne, welche die Aufschrift trägt: „Es lebe die Schiffahrt“, deutet auf den Wasserverkehr hin, und ebenso verleiht ein Laden mit dem Wappen der Elbstadt Hamburg dem Hause das Gepräge eines Fischerhauses. Wenn unseren Leser diese Zeilen vor Augen kommen, ist der alte Bau schon weggeräumt, aber er hat doch für die Erinnerung hier bildlich ein Unterkommen gefunden. – h –     

Martin Behaims Denkmal in Nürnberg, (Mit Abbildung S. 749.) Der Geograph Martin Behaim, der Verfertiger des ersten Globus, wird stets mit Ehren genannt, wenn die bedeutenden Männer aus der ehemals Freien Reichsstadt Nürnberg aufgezählt werden. Zwar hat das Alterthum bereits Darstellungen der Erde in Kugelgestalt gekannt; aber Martin Behaim hat diese verlorene Kunst aufs neue gefunden und damit die geographische Wissenschaft seiner Zeit bedeutend gefördert. Dies ist jedoch nicht sein einziges Verdienst, ja nicht einmal sein größtes. Er war es, der durch Verbesserung der Steuermannskunde den Seeleuten es möglich machte, sich von der Küste weg auf die hohe See hinaus zu wagen; er durchschnitt selbst auf schwankem Schiff den Ocean und betrat als Erforscher Afrikas Gegenden, die vor ihm nie eines Europäers Auge geschaut hatte; Martin Behaim ist mit der Entdecker des heutzutage so bedeutsam gewordenen Kongostroms. Damit hat er sich für alle Zeiten unvergänglichen Ruhm erworben.

Martin Behaim, 1459 in Nürnberg geboren, erhielt in seiner Jugend, obwohl zum Kaufherrn bestimmt, von dem berühmten Astronomen Regiomontanus Unterricht in der Himmelskunde. Gar bald mußte er in die weite Welt hinaus, 1479 sehen wir ihn bereits in Antwerpen Handel treiben. Kaufmännische Reisen führten ihn nach Lissabon, und hier wurde er veranlaßt, seine astronomischen Kenntnisse für den portugiesischen Seedienst zu verwerthen. Er wurde Mitglied einer wissenschaftlichen Kommission zur Verbesserung der Steuermannskunde, und bald darauf machte er als fachmännischer Begleiter des Admirals Diogo Cão im Auftrage des Königs von Portugal eine Entdeckungsfahrt entlang der Westküste von Afrika mit, deren Haupterfolg, die Entdeckung des Kongo, wir bereits erwähnt haben.

Reiche Ehren wurden dem Heimgekehrten in Lissabon zu Theil; König Johann II. schlug ihn eigenhändig zum Ritter des Christusordens, und noch in demselben Jahre 1486, verheirathete er sich mit der Tochter des flandrischen Edelmanns Jobst von Hurter, der als portugiesischer Statthalter an der Spitze einer vlämischen Kolonie auf der Azoreninsel Fayal stand. Martin Behaim lebte von jetzt an theils auf Fayal, theils in Lissabon; nur einmal rief ihn die Ordnung von Erbschaftsangelegenheiten auf ein paar Jahre, 1491 bis 1493, nach Nürnberg zurück, wo er seinen berühmten „Erdapfel“ auf Anregung und Kosten des Rathes herstellte und der Stadt als Andenken hinterließ. Dieser Globus ist noch vorhanden und im Besitz der v. Behaimischen Familie. Martin Behaims Tod fällt höchst wahrscheinlich in das Jahr 1506 (der von seinem Sohn gestiftete Todtenschild giebt, wohl irrthümlich, 1507 an); die Kirche der Dominikaner in Lissabon nahm die irdischen Ueberreste des im deutschen Hospital Gestorbenen auf.

Der Gedanke, Martin Behaim ein Denkmal zu errichten, stammt von dem ersten Bürgermeister der Stadt Nürnberg, dem Freiherrn O. von Stromer; die Durchführung des Gedankens nahmen die städtischen Behörden in die Hand. Der Schöpfer des vorzüglich gelungenen Standbildes ist Professor Hans Rößner in Nürnberg, der Erzguß wurde ebenfalls einem Landsmanne, dem Erzgießereibesitzer Professor Lenz, übertragen. Martin Behaim ist als Ritter des Christusordens dargestellt, an seiner Seite den wohlbekannten „Erdapfel“. Zwei allegorische Figuren, Sinnbilder des Handels und der exakten Wissenschaften, schmücken den Sockel, welch letzterer nebst Piedestal nach dem Modell von Rößner von Bildhauer Joh. Suter zur Ausführung gebracht wurde. Am 17. September, einem prächtigen Herbsttage, wurde das Denkmal in feierlicher Weise enthüllt. Die weihevolle Festrede hielt Professor Günther aus München, dem wir auch ein vortreffliches Werk über Martin Behaim (Buchnersche Verlagsbuchhandlung, Bamberg) verdanken. Franz Dittmar.     

Der Apfel des Paris. (Zu dem Bilde 760 und 761.) Schönheitsrichter sein ist ein schwieriges Amt, das hat schon der alte Paris erfahren. Deshalb sitzt auch sein geistlicher Nachfolger in schwerem Bedenken und schaut starr hinüber nach den drei Grazien am Brunnen. Sie geben sich den Anschein, nicht auf die päpstliche Soldateska zu achten, die hier im Hof der Osteria ein geräuschvolles Mahl abgehalten hat, aber sie haben doch eine hübsche Zeit gebraucht, um ihre Krüge zu füllen und scheinbar unbefangen plaudernd sich in graziösen Stellungen den Herren Offizieren zu zeigen. Und diese sind so gespannt auf den köstlichen Spaß, wie sich das Pfäfflein schließlich aus der Klemme ziehen wird, daß sie, sehr gegen ihre Gewohnheit, ohne Wort und Wink den Schönen gegenüber verharren. Wer wird den Apfel erhalten? Die braune Juno mit dem stolz erhobenen Haupt, die kühl blickende Pallas zu ihrer Rechten, oder die sanftgerundete Dorfaphrodite, welche, um den Sieg zu beschleunigen, sich scheinbar zum Gehen wendet? Sie selber sind in nicht minderer Spannung als die männlichen Theilnehmer der Scene, die mit verschiedenen Graden des Interesses und Wohlgefallens herüberlugen. Ganz gleichgültig verhalten sich nur die ruhig fressenden Pferde im Hintergrunde sowie das fromme Eselein und – die alte Wirthin, welche in den unruhigen Kriegsläuften schon allzuviel derartige Kurzweil gesehen hat, um sich besonders dabei aufzuhalten. Sie ahnt nicht einmal, wie malerisch ihre alte Locanda ist, und wie reizvoll sich das ansteigende Bergnest über ihrem verwilderten Garten in den Himmel hebt. B.     

Schnellzugsgeschwindigkeit. Ein im letzten Jahre in England erschienenes Werk über englische und ausländische Schnellzüge enthält u. a. eine Vergleichung der Schnellzugsgeschwindigkeit in den verschiedenen Ländern. Hiernach würde Norddeutschland unter den europäischen Staaten den vierten Rang einnehmen, indem Großbritannien, Frankreich und Holland vorangehen, Belgien auf gleicher Höhe steht und Süddeutschland, Oesterreich-Ungarn, Dänemark, Italien, Rumänien, Schweden, Rußland und die Schweiz folgen. Mit deutscher Gründlichkeit ist nun aber unter genauer Aufführung aller Schnellzüge diese Berechnung umgestoßen und nachgewiesen worden, daß auf dem europäischen Festlande die norddeutschen Bahnen und darunter wieder die preußischen Staatsbahnen den ersten Rang einnehmen.

Diese auf Grund der Fahrpläne aufgestellte Berechnung ergiebt, daß einschließlich aller Aufenthalte in dem zum Vergleich herangezogenen Jahre 1888 auf den

preuß. Staatsbahnen 44 397,9 Schnellzugs-km in 053 453 Minuten
in Norddeutschland 46 193,5 " " " 055 867 "
"0 Holland 14 657,3 " " " 017 767 "
"0 Frankreich 84 945,0 " " " 105 495 "
"0 Belgien 10 913,2 " " " 013 705 "

täglich zurückgelegt wurden.

Dies entspricht einer stündlichen Durchschnittsgeschwindigkeit
von 49,8 km0 in Preußen,
" 49,6 " " Norddeutschland,
" 49,5 " " Holland,
" 48,3 " " Frankreich,
" 47,8 " " Belgien.

Wahrscheinlich sind auch Süddeutschland und Oesterreich-Ungarn in der englischen Berechnung zu kurz gekommen.

Arabischer Märchenerzähler. (Zu dem Bilde S. 765.) Zwei kleine Tagereisen unterhalb der weltberühmten Nilinsel Philä liegt auf hohem Ostufer des Heiligen Stromes eine einsame Tempelruine von machtvoll breiten Formen, der letzte Ueberrest einer altägyptischen Stadt, dem Reisenden bekannt als der Tempel von Kom Ombo. Der unablässig an den Uferbergen nagende Nil hat die vorgelagerten Thorbauten des Tempels längst zu sich herabgezogen, von rückwärts drängt unaufhaltsam der Wüstensand nach und schichtet sich höher und höher. Nur ein Saal mit fünfzehn gewaltigen reichverzierten Säulen ragt noch empor, Zeugniß ablegend von der Macht und dem Kunstsinn der Ptolemäerfürsten, seiner Erbauer.

Am Fuße dieser tausend Jahre alten Ruine hat sich eine malerische Gruppe gelagert. Eine Karawane ist’s, die von Assuan gen Norden zieht; sie hat in ihrer Mitte einen jener sagenkundigen Männer, denen der Orientale so gerne lauscht, wenn sie in blumenreicher Sprache und mit den lebhaftesten Gebärden ihre wundersamen Märchen erzählen, in denen der ganze phantastische Reiz des Morgenlandes mit seiner Gluth der Farben und [772] der Sinne sich spiegelt. Etwas abseits drüben liegen die Zelte der Reisenden; aber sie selbst haben sich herüber gemacht nach dem alten Tempelbau, die braunen, ernsten Männer, als sagte ihnen eine innere Stimme, daß hier der richtige Platz sei, sich in die Welt der Sage zu versenken.

Der Lette-Verein in Berlin. Es ist eine gewaltige Summe von unverdrossener, zielbewußter Arbeit und stetig wachsenden Erfolgen, die von dem obenstehenden einfachen Namen gedeckt wird. Aus kleinen Anfängen heraus hat sich der Verein zu einem Förderungsmittel ersten Ranges für weibliche Berufsthätigkeit zu entwickeln gewußt, und er kann heute, angesichts seiner zahlreichen Schulen und Anstalten, mit berechtigter Genugthuung auf sein 17jähriges – oder eigentlich 25jähriges – Wirken zurücksehen. Die allgemeine Theilnahme der gebildeten und besitzenden Kreise hat ihn getragen, zahlreiche Vermächtnisse sind ihm zugeflossen, die Kaiserin Friedrich war und ist unermüdlich für ihn thätig, aber entscheidender als dies alles ist für sein Bestehen und Gedeihen die ausgezeichnet praktische, umsichtige Anlage, die, nach dem wachsenden Bedürfniß, ein Fach ums andere ins Auge faßte und die Lehrkurse dafür einrichtete.

Der in diesem Jahr ausgegebene Rechenschaftsbericht zählt außer der Handels-, Zeichen- und Gewerbeschule besondere Kurse auf für Schneidern, Putz- und Handarbeit, Schriftsetzen, Frisiren, Kunsthandarbeit, Blumenfabrikation, Feinwaschen und Bügeln, alle mit zahlreicher Betheiligung und späterem Eintritt in die praktische Thätigkeit. Eine stark besuchte Koch- und Haushaltsschule liefert das Material für ein Restaurant mit großem Betrieb, ein Stellenvermittelungsbureau sorgt für Lehrerinnen, Verkäuferinnen, Krankenpflegerinnen und Dienstmädchen. Kurz, es ist ein großes Gemeinwesen der segensreichsten Art, das uns aus diesen Blättern entgegensieht, erfreulich für jeden, der neben dem Wunsch größerer Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechtes zugleich die Ueberzeugung hegt, daß diese sich am festesten und sichersten doch auf den eigentlich weiblichen Künsten und Fertigkeiten aufbaut. Br.     

„Liebesgruß“.
Nach einem Gemälde von A. Toulemouche.

Heizbare Güterwagen. Amerika mit seinen langgestreckten Bahnen und seiner wechselnden Temperatur war das Land, das uns zuerst geheizte Güterwagen vorgeführt hat. Eine als Wärmequelle dienende Oellampe erhielt dort je nach der Außentemperatur einen größeren oder geringeren Oelzufluß, wodurch sie bei sinkender Außentemperatur zu einer um so größeren Wärmentwickelung befähigt wurde, während eine am Wagen angebrachte Lüftungsvorrichtung dafür sorgte, daß die Innenwärme nicht über + 2° zu steigen vermochte. So konnte und kann man dort ohne Rücksicht auf die Jahreszeit Südfrüchte, Obst, Kartoffeln, Wein, Bier, Mineralwasser, lebende Pflanzen, Blumen etc. bequem verfrachten. Die fortschreitende Technik hat solche Vorrichtungen mehr und mehr ausgebildet.

In Deutschland bedienten sich die Brauereien in Gohlis bereits Ende der siebziger Jahre heizbarer Güterwagen, die nach Art der Personenwagen für Preßkohlenheizung eingerichtet waren. Solche Wagen bedürfen aber steter Wartung und Aufsicht und bringen deshalb eine Vertheuerung mit sich.

Ob es gelingt, auch die Güterwagen mit Wasserdampf von der Lokomotive aus zu erwärmen – das ist noch eine Frage der Zeit. Man wird dann frische Gemüse von Neapel nach Petersburg versenden können mitten in der grimmigsten Winterkälte.

Das Kleinerwerden im Alter. Das „infame Altwerden,“ wie es der Naturforscher Moritz Wagner in München nannte, der es noch außerdem mit einem Kraftausdruck als „einen schändlichen Spitzbubenstreich der Natur“ bezeichnete, bringt noch etwas mit sich, was in der Regel nicht beachtet wird, eine Abnahme der Körpergröße. Nach den Untersuchungen des Belgiers Quételet bleibt die Körperlänge vom 30. bis zum 40. Lebensjahre unverändert; sie vermindert sich dann vom 40. bis 50. Jahre um 10 Millimeter, vom 50. bis 60. Jahre um 35, vom 60. bis 70. Jahre um 16, vom 70. bis 80. um 10 Millimeter, sehr wenig vom 80. bis 90. Jahre. Der Mensch nimmt also im Durchschnitt in der Zeit des Alters um 71 Millimeter ab. Es ist dies an und für sich ja nicht weiter beachtenswerth; es bestätigt nur die betrübende Thatsache, daß alles im Alter zurückgeht. †     


Kleiner Briefkasten.

A. W. und R. S. in St-ville, Ohio. Die Dienstzeit eines solchen freiwillig eintretenden Wehrmanns beträgt drei Jahre.

Ligetta in K. und Julius F. in Wien. Wir bitten Sie um Angabe Ihrer näheren Adresse, damit wir Ihnen direkt antworten können.




Auflösung des magischen Dreiecks auf S. 740:

Auflösung des Bilderräthsels auf S. 740:
Zwei harte Steine mahlen niemals gut.
Auflösung der Charade auf S. 740:
Drossel – Bart, Drosselbart.





 Soeben ist erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:


Gartenlaube-Kalender für das Jahr 1891.


Sechster Jahrgang.0 15 Bogen 8°.0 Mit zahlreichen Illustrationen.
Preis in elegantem Ganzleinenband 1 Mark.

 Der Gartenlaube-Kalender 1891 enthält Novellen und Erzählungen von W. Heimburg, Hans Arnold u. A.,
belehrende und unterhaltende Beiträge beliebter Autoren, Illustrationen von bedeutenden Künstlern.

 Die früher erschienenen Jahrgänge 1886–1890 des Gartenlaube-Kalenders sind zum Preise von je 1 Mark ebenfalls noch zu haben.
 Bestellungen auf den „Gartenlaube-Kalender“ wolle man der Buchhandlung übergeben, welche die „Gartenlaube“ liefert.

Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

  1. * Kosmos XIII.