Zum Inhalt springen

Die Gasselbuben

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Herman Schmid
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gasselbuben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46–52, S. 723–726, 739–742, 755–759, 771–774, 787–791, 803–806, 819–824
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[723]
Die Gasselbuben.
Geschichte aus den bairischen Vorbergen.
Von Herman Schmid.


1.0 Unter den Linden.

Wo der Ausfluß des Tegernsees, die grüne Mangfall, plötzlich mit starker Krümmung von ihrem Rinnsale zwischen den Vorbergen abweichend, sich durch das Gestein Bahn gebrochen hat, um in der lieblichen breitgedehnten Thalmulde von Aibling ihr klares Gewässer dem Innstrome entgegenzutragen, rollte vor Jahren – lange, eh’ der Dampf sich die Eisenstraße gebahnt hatte – auf dem weißen, gemächlich über die Höhen des Haunbolds absinkenden Sträßchen ein bäurisches Fuhrwerk lustig in den herrlichen Maimorgen hinein. Die zwei stattlichen, vor dasselbe gespannten Rothschimmel mit ihrem einfachen, aber zierlichen und spiegelblanken Geschirr zeigten, daß der Besitzer zu den wohlhabendsten Bewohnern der Gegend gehören mußte; noch mehr war dies der Fall bei dem fein angestrichenen und bequem gepolsterten Wägelchen, das, nach Schweizerart gebaut, ein fast städtisches Ansehn hatte.

Eben ging die Straße etwas abschüssiger zu Thal; der den Wagen führte, war daher von seinem Vordersitz abgestiegen und hatte die Sperrkette in’s Rad eingehängt; dennoch hielt er das Gespann noch eine Weile an und schaute in die morgenbeleuchtete Landschaft hinaus.

Weithin dehnte sich die Ebene, bis an die morgenduftigen Berge hin, ein weites in grünen Hügelwellen gartenartig ausgebreitetes Land, von dunklen Waldflächen schattirt und mit ragenden Kirchthürmen, blinkenden Schloßzinnen und weiß schimmernden Ortschaften wie mit Lichtpunkten bestreut; zwischen den Saatfeldern leuchteten, in vollster Blüthe befindlich, zahllose Obsthaine wie blumenüberschüttete Beete hervor und als Einfassung wanden sich in den anmuthigsten Linien Raine und Höhen mit grünen Gebüschen und reichen, markigen Eichenkronen wie lebende Kränze darein, nur stellenweise blitzte zu angenehmer Unterbrechung das blanke Kiesgeröll aus dem Rinnsal der Mangfall empor oder das kräftige Rothbraun der Haidestrecken und Dorfmoore verrieth, daß das ganze weite Land einst Seegrund gewesen, über dem die Wogen eines Urmeeres gebrandet. In duftiger Ferne streckten sich die Berge nach drei Seiten aus, wie der Gürtel um ein schön gefaltetes Gewand, oder wie Liebesarme, die sich ausbreiten, das Land schützend zu halten und an die Brust zu drücken. Während nach Osten hin sich der Höhenzug an der Glonn entlang mit den Schlössern von Maxlrain und Aibling verlor, stiegen westlich über den waldigen Vorbergen die Gebirge immer höher hinan, über die Stufen des Irschenbergs hinaus bis zum Jägerkamp und Brecherspitz, wo der Schliersee in grüner Tiefe schläft, bis zum Miesing und dunkelschattigen Breitenstein. Von drüben aber drängten der sagendämmernde Untersberg und der Staufen heran, die Götterer-Wand stürzte ab und die Kampenwand erhob das dräuende Haupt, und die Riesen schoben den gewaltigen Rücken vor, bis zu den phantastischen Zacken des Kranzhorns, gegenüber war die hohe Madron gelagert und zwischen beiden leuchtete das Thor, das sich der Inn gebrochen, und das sie gleich zwei steinernen Wächtern hüten, während darüber der Wildkaiser seine gewaltigen Felswände aufrichtet, als ob er dem Flüchtling nachblicken wolle, der, aus den Engen Tirols befreit, sich brausend hinausstürzt in die Ebene. In der Mitte des ganzen Bildes erhob der Wendelstein, zu beiden Seiten von den Berghäuptern wie ein Herrscher von den Vasallen umdrängt, die majestätische Felsenstirn, an der im Rothgold der eben aufgegangenen Sonne ein lichtes Wölkchen wie ein königliches Stirnband flatterte.

Es war wohl begreiflich, wenn der Blick des Burschen an dieser Umschau verweilend haften blieb; auch ließ sein offenes Antlitz erkennen, daß ihm weder das Auge fehlte, die Schönheit zu gewahren, noch das Herz, sie zu fühlen. Er war groß und schlank gewachsen, und in die bäuerliche Festtracht der Landleute gekleidet, wie sie in den anstoßenden Thälern jenseits der Berge noch heimisch ist, während sie im Vorlande durch den steten Verkehr mit städtischen Elementen sich längst verloren und einem Gemenge Platz gemacht hat, das nicht städtisch ist und auch jeder ländlichen Eigenart entbehrt. Auf seinem braunen Kraushaar saß der grüne Spitzhut mit goldener Troddel, Gemsbart und Hahnenfeder, wie ihn die Bursche an der Schlierach tragen, tief hinein in die Engen von Zell und heraus in die Berghalden und Obsthügel von Au. Die kurze graue Joppe mit grünem Saumvorstoß legte sich kragenlos auf das weiße vom grünen Hosenträger gekreuzte und von dem breiten Ledergürtel umfaßte Hemd; leicht hing die schwarze Hose von Gemsleder um das wettergebräunte sehnige Knie; zierlich gemusterte Wadenstrümpfe und tüchtige, fast etwas ungeschlachte Bergschuhe vollendeten den Anzug, der, allen Anforderungen für leichte Bewegung bei der Wanderung und Arbeit in den Bergen entsprechend, damit den Vorzug eines gefälligen Anblicks verband, indem er die natürlichen Körperformen in ihrer ungehemmten Entwicklung zeigte.

[724] Das Gesicht des Burschen stand mit dem guten Eindruck seiner Gestalt nicht in Widerspruch: unter der kräftig gebogenen Nase und dem nie fehlenden Schnurrbart zeigte sich ein angenehmer, nur etwas trotziger Mund, auch die etwas starken Brauen deuteten auf eine entschlossene Sinnesart, desto freundlicher aber und gewinnender blickte darunter ein Paar frischer Augen von der Farbe der reißenden Weichsel.

Dem Manne, der im Wagen sitzen geblieben war, schien der Aufenthalt etwas zu lange zu dauern, einige Augenblicke sah er dem Knechte wie beobachtend zu, um dann in grollende Vorwürfe auszubrechen. Es war ebenfalls ein großer, aber breitschultriger und etwas schwerfälliger Mann, auf dem Kopfe einen runden niedrigen Hut, wie ihn die Vorlandbauern zu tragen pflegen, neben der schwarzen Schnur und Troddel dadurch kennbar, daß die eine Hälfte glatt, die andere wie sträubend aufgebürstet ist. Die Kleidung bestand aus einem dunklen langschössigen Tuchrocke und bunter Seidenweste, beide mit einer enggeschlossenen Reihe silberner Spitzknöpfe besetzt. Das Antlitz des Mannes war nicht unschön, aber entstellt durch die gelbe krankhafte Gesichtsfarbe, so wie durch das Gepräge unwilliger Verdrossenheit und mürrischer Ungeduld, das in den Zügen wie in der ganzen hastig unruhigen Haltung sich kundgab.

„Na, wie lang soll das Gebandel noch dauern?“ rief er. „Es ist wohl das erste Mal, daß Du die Radketten einlegst? Warum schaust Du so lang und fahrst nit weiter?“

Der Bursche wandte sich leicht nach ihm um, und bei dem freundlichen Lächeln in seinen gutmüthigen Zügen trat der unwirsche Ausdruck des Andern noch stärker hervor. „Ich bin schon lang fertig,“ sagte er, „aber ich hab’ gemeint, Ihr werdet’s haben wollen, daß ich da stillhalten soll ...“

„Stillhalten? Wegen was denn?“ zankte der Alte. „Du weißt doch, daß ich’s eilig hab’ und daß ich so bald als möglich an Ort und Stell’ sein möchte, noch eh’ die Wallfahrerleut’ kommen!“

„Braucht nit zanken deßwegen, Feichtenbauer,“ erwiderte der Knecht, indem er die Pferde antrieb und dann neben dem Gespann herschritt, es vorsichtig in den steinigen Geleisen des Hohlwegs leitend. „Ihr kommt früh genug, wohin Ihr wollt,“ fuhr er dann fort und deutete mit der Peitsche in die Ebene hinunter, „dort, hinter dem Dorf, aus den großen Bäumen schauen die zwei Kirchthürme schon heraus; in einer halben Stunde sind wir dort – es ist kaum sechs Uhr und vor acht Uhr, das wißt Ihr ja besser wie ich, können die Wallfahrer gar nicht hinkommen. Der Bühel da aber ist weit und breit bekannt und berühmt wegen der schönen Aussicht, die man da hat, in die Berg’ und über das ganze Land, es kommen alle Jahr’ so und so viel Fremde, die eigens deßwegen herreisen und herabsteigen ... da hab’ ich gemeint, Ihr werdet’s auch ein bissel anschau’n wollen!“

„Was frag’ ich nach der Aussicht?“ polterte der Bauer. „Wenn andere Leut’ Narren sind, so muß ich deswegen nit auch einer werden! Ich hab’ die Berg’ schon viele hundert Mal gesehn, sie schauen einmal aus wie das andere Mal ... von der Aussicht kann ich nichts herunter beißen, die hilft mir auch nicht für meine kranken Händ’.“

Der Knecht erwiderte nichts; sein Blick hing noch immer mit Wohlgefallen auf der herrlichen Landschaft, wie dieselbe durch eine Wendung des Wegs in einem Waldausschnitt auf Augenblicke wieder sichtbar wurde, dabei ließ er aber das Fuhrwerk keine Secunde außer Acht und war sorglich bemüht, die großen Steine zu vermeiden, welche den Füßen der Pferde wie den Rädern Gefahr drohten. „Das ist ein böser Weg.“ rief er dazwischen, „ich will froh sein, wenn wir glücklich drunten sind – es wär’ doch gescheider gewesen, wir wären das andere Sträßel gefahren; es ist viel besser, das bringt den kleinen Umweg wieder herein ...“

„Warum nit gar!“ unterbrach ihn der Bauer zornig. „Ich werd’ doch nicht eine Straß’ fahren, auf der mir gleich am Anfang eine Blindschleich’ über den Weg kriecht! Da hätten wir ein schön’s Unglück haben können!“

Der Bursche schüttelte lachend den Kopf. „Ho,“ sagte er, „wenn das Unglück kommen soll, findet es uns überall – da thut die arme Blindschleich’ nichts davon und nichts dazu!“

„Wendel, Wendel,“ rief der Bauer entgegen, „red’ mir nit so daher, ich kann solches gottloses Zeug nit hören! Es ist mir schon ein paar Mal so vorgekommen, als wenn’s mit Dein’ Christenthum nicht recht sauber wär’, als wenn Du auch einer von denen Freigeistern wärst, die nichts glauben ... wenn ich Dir gut zu einem Rath bin, so nimm Dich in Acht ...“

Der Bursche fand nicht Zeit zur Erwiderung: bei den letzten Worten des Bauers ertönte ein lautes Krachen, das Wägelchen neigte sich zur Seite und wäre vielleicht umgestürzt, hätte nicht der kräftige und besonnene Bursche es gerade im rechten Augenblick mit Armen und Schultern gestützt und zugleich die an seinen Ruf gewöhnten Pferde zum Stillstande gebracht. „Was ist’s denn?“ rief der Bauer mit einem rohen Fluche. „Was ist denn geschehn? Warum gabst Du nit besser Acht? ... da siehst, was dabei heraus kommt, wenn man seine Augen alleweil wo anders hat, als wo sie hingehören!“

Wendel wurde roth, seine Augenbrauen zogen sich zusammen und eine derbe Zurückweisung des ungerechten Vorwurfs brannte ihm auf den Lippen, aber er bezwang sich und sagte, zu dem beschädigten Wagen niedergebeugt, zwar finsteren Blickes, aber in gelassenem Tone: „Das Gered’ hat keine Heimath, Feichtenbauer – auf einem solchen Weg hilft alles Achtgeben nichts ... Ihr seht, die Blindschleich’ hat doch nicht Recht gehabt, denn auf dem andern guten Weg’ wär’ die Achs’ am Wagen ganz geblieben. ... Zum Glück ist der Schaden nicht gar zu groß und bald wieder so weit zusammengeflickt, daß es den Berg hinunter und bis in’s Dorf aushält ...“

„Ueber den Berg hinunter?“ rief der Bauer ärgerlich. „Was fällt Dir ein? Kreuz-Birnbaum, warum muß ich so ein elender Mensch sein, daß ich mich nit rühren kann wie andere Leut’! Laß’ mich aussteigen und dann kehr’ den Wagen um. ... Na,“ fuhr er Wendel an, als dieser, seine Arbeit unterbrechend, verwundert und fragend zu ihm emporsah, „was gaffst mich so an? Du wirst doch nit glauben, daß ich auf dem Weg’ weiter fahr’, wo mir so ’was aufgestoßen ist? Das ist eine böse Vorbedeutung – wer weiß, was uns noch Alles passiren könnt’!“

„Das kann nit Euer Ernst sein, Feichtenbauer,“ entgegnete der Bursche kaltblütig. „Jetzt soll ich umkehren, wo wir nur noch ein paar Büchsenschuß zu fahren haben? Ich glaub’, Ihr wollt mich vexiren ... man könnt’ ja mit dem besten Willen nit umkehren, so eng ist der Weg. ... Erst unten ist Platz dazu, da müßten wir erst den Berg wieder herauf und auf dem obern Weg weiter, das wär’ hell-licht, als wenn wir von Weilheim zu Haus wären, und wir kämen ja auch viel zu spät an die Kirch’....“

Während dieser Rede war er mit dem rasch zusammengebundenen Wagen langsam vorwärts gefahren und trotz des Schreiens des Bauers unten am Abhange angekommen; jetzt schwang er sich leicht auf seinen Sitz und trieb die Pferde zum vollsten Laufe an, daß das Wägelchen auf der Ebene wie vom Winde getrieben dahin flog.

„Halt, Kerl, verfluchter!“ rief fortwährend der Bauer. „Kehr’ um! Ich will’s haben, daß Du umkehrst ...“ aber Wendel war wie mit Taubheit geschlagen und ließ die Pferde immer noch rascher ausgreifen, daß der Bauer, völlig außer sich gerathend, ihn an der Schulter faßte, als ob er gesonnen sei, ihn vom Wagen zu werfen. Der Bursche erwiderte nur dadurch, daß er sich umwandte, dem Zornigen sein völlig ruhiges Gesicht zeigte und ihn mit den dunklen Augen so fest und entschlossen ansah, daß ihm der Muth entfiel, die beabsichtigte Mißhandlung zu versuchen. Grimmig lehnte er in den Wagen zurück und schalt in sich hinein: „Kreuz-Birnbaum – es wird alleweil schöner, die Ehhalten wachsen Einem noch völlig über den Kopf! Ist der Bursch noch kein Jahr in meinem Haus und thut schon, als wenn er der Herr wär’ und ich der Knecht!“

Er hatte nicht mehr lange Zeit, seinen grollenden Gedanken nachzuhangen, denn die Rothschimmel rührten kaum den Boden mit den Hufen und rannten so flüchtig, als hätten sie keine Last hinter sich; wie weichende unklare Schattengestalten flogen Bäume und Häuser vorbei und nach wenigen Augenblicken hielten sie auf dem einsamen Felde an einer Kirche, welche ihre Thürme hoch empor trug über den stattlichen Lindenbäumen, die ihren Eingang beschatteten, ein weithin sichtbares Wahrzeichen der Gegend, welchem in gläubiger Hoffnung und frommem Vertrauen jährlich viele hundert Wallfahrer entgegen ziehen.

Noch war es völlig still an der geweihten Stätte; durch das weit geöffnete Thor drang der Blick noch ungestört in die feierlich kühle Dämmerung des leeren Gotteshauses, auch nebenan im [725] Pfarrhofe regte sich nichts; dafür waren aber die Finken und Meisen in den Wipfeln schon desto lauter, hoch darüber hinaus trillerten unsichtbare Lerchen und vom Kirchendach verkündete ein munterer Staar mit lustigem Kreischen und fröhlichem Flügelschlagen, welch’ herrlichen Platz in einem hohlen Lindenaste er für sein Nest und seine Brut aufgefunden. Allerdings war auch schon ein menschliches Wesen zugegen, aber es hielt sich tief im Grunde der Kirche verborgen: ein altes Mütterchen aus dem nahen Dorfe, das sich schon so zeitig eingefunden, weil es bei seiner hülflosen Gebrechlichkeit das Gedränge fürchtete und sich unter dem Chore den gewohnten lieben und guten Platz sichern wollte, von wo man Kanzel und Altar zugleich übersehen konnte.

„Geh’ jetzt,“ sagte der Bauer zu Wendel, „ich will in die Kirche hinein – fahr’ indessen mit den Schimmeln eine Strecke auf dem Waldweg’ hinaus, damit sie langsam verdampfen von dem schnellen Fahren ... in einer halben Stund’ kommst Du wieder, aber nicht eher – das sag’ ich Dir! Könntest auch indessen in’s Dorf hinein zum Schmied und die Achs’ aufschweißen lassen. ...“

Wendel zögerte. „Der Wagen halt’t wohl,“ sagte er, „wenn aber der Schmied darüber kommt, kann’s leicht ein paar Stunden dauern, Ihr müßtet dann warten und am Ende gar zu Fuß gehn ... es ist gescheider, Ihr laßt mich da bleiben; den Schimmeln schadet’s nicht, sie haben sich kaum warm gelaufen und ist ihnen kein Härl’ naß geworden – ich will sie derweil drüben am Zaun anbinden, dann bin ich doch in der Näh’ und könnt’ Euch helfen, wenn Ihr mich etwa braucht ...“

„Ich brauch’ Dich nicht,“ eiferte der Bauer, „Dich nicht und niemand Andern nicht! Ich wüßt’ nicht, bei was Du mir helfen solltest, und wenn’s wär’, Du, der mir Alles zuwider thut, Du wärst der Letzte, von dem ich mir helfen ließ!“

„Das ist mir leid, Feichtenbauer,“ sagte Wendel und sah ihn mit seinen dunklen Augen so recht treuherzig an, „mein Wille ist das gewiß nicht, und wenn ich nur wüßt’ wie, ich wollt’ Euch gern zeigen, daß ich nit dran denk’, Euch zuwider zu sein. ... Und was das Helfen anlangt, so bild’ ich mir halt ein, Ihr seid da hergefahren wegen Euren kranken Händen! Wenn die jetzt auch besser geworden sind, das weiß man ja doch, daß Ihr noch alleweil nit recht allein zurecht kommt, also wär’ es ja doch nit unmöglich, daß ich Euch behülflich sein könnt’! ...“

„Nichts, nichts!“ rief der Bauer abwehrend. „Ich will allein sein – mach’, daß Du weiter kommst!“

„Na – wenn Ihr’s durchaus wollt, so muß ich wohl gehn,“ entgegnete Wendel bedenklich, „aber wundern darf’s Euch nit, Feichtenbauer, wenn ich’s nit begreifen kann! Wenn Ihr Euch doch einmal verlobt habt, warum muß denn das so ein Geheimniß sein, daß Ihr da sein müßt, eh’ noch die Wallfahrer kommen, und daß kein Mensch dabei sein darf? Das sieht ja schier aus, als wenn Ihr Euch schämen thätet mit Eurer Verlobniß?“

„Mach’ daß Du mir aus den Augen kommst!“ schrie der Bauer in aufgebrachtem Tone und so laut, daß die Alte in der Kirche aufhorchte und nach der Ursache des Lärmens herauslugte. „Geh’ Deinen Weg und merk’ Dir’s, ich kann’s nicht leiden, wenn mir Eins immer darein red’t und Alles besser wissen will! Kreuz-Birnbaum – scher’ Dich einmal zum Teufel und schau mir auf die Schimmel, daß keiner verschlagt ... Du kannst mir’s doch nicht bezahlen von Deinem Liedlohn, Du Bergler-Nothnickel, Du sprecherischer!“

Wieder hatte Wendel mit seinem heiß aufsteigenden Unmuth zu kämpfen, aber es war, als ob eine unsichtbare Macht das schon auf der Lippe schwebende Wort gebannt hielt, und langsam lenkte er das Gespann in ein Feldsträßchen hinein, von den Blicken des Alten begleitet, bis ihn eine Hecke verbarg.

Der Feichtenbauer sah noch einmal nach allen Seiten um sich und schritt dann der Kirche zu.

Diese war ein sonderbares Gebäude, in jener Zeit, in welcher alles Unnatürliche und Verschnörkelte für schön galt, statt einer Capelle, die für den Zudrang der Andächtigen zu klein geworden, in der Art erbaut, daß sie diese, die unversehrt stehen geblieben, umgab und einschloß wie die Schale den Kern oder ein größeres Gehäuse das darin eingeschachtelte kleinere. In diesem innersten Heiligthum, dessen durchbrochene Kuppel Engelgestalten umschwebten, stand auf einem reich verzierten Altar, von einem Strahlenkranze umgeben, das Marienbild, von dessen Wundern sich der fromme Wahn in jeder Noth den Trost erwartete und für jedes Gebrechen die Heilung. Um die Kirche zogen sich niedrige gemauerte Gänge hin, an deren Wandflächen, von ländlichen Künstlerhänden gemalt, die Geschichten all’ der Ereignisse dargestellt waren, wo Dieser oder Jener dankbar verkündete, daß die gehoffte Hülfe ihm wirklich zu Theil geworden und die angerufene Heilige für ihn ein Wunder gewirkt habe, sei es nun, daß sie ihn aus Räubershand, oder Schlachtgefahr, oder Wassersnoth gerettet, oder seine Habe bewahrt hatte vor Feuer, Gewitter und Hagelschlag. Einer frischen Quelle, die, durch ein Göpelwerk getrieben, ihre Fluth in ein kleines Steinbecken ergoß, war zudem die Kraft zugeschrieben, ähnliche Wunder zu thun, und an den Wänden verkündeten bunt gemalte Schilder und Inschriften die Namen aller Uebel und Krankheiten, gegen welche derjenige sich auf Jahr und Tag verwahren konnte, der den an einem Kettlein hängenden eisernen Schöpflöffel füllte und austrank.

In dem einen der Gänge aber lehnte ein großes Kreuz, aus starken unbehauenen Balken zusammengefügt, der Sage nach an Gestalt und Gewicht jenem von Golgatha vollkommen gleich; und wer dies Kreuz auf die Schultern nahm und um die Kirche zog, dem war besondere Gnade verheißen und die Erfüllung seiner wichtigsten und geheimsten Anliegen.

Nach dem Orte, wo das Kreuz sich befand, richtete der Feichtenbauer seinen Schritt, in der Gluth der Schmerzen, die den Winter über ihn in den Händen gemartert, hatte er das Gelübde gemacht, wenn er davon befreit würde, das Kreuz auf die Schulter zu laden und um die Kirche zu ziehn. Das Uebel hatte sich, wenn auch nicht verloren, doch beträchtlich gemildert, so daß er Hände und Finger wieder etwas gebrauchen konnte; darum trieb ihn jetzt sein Gewissen, das Gelübde zu erfüllen. Am Dreifaltigkeits-Sonntage hatte er das Kreuz zu ziehen versprochen, weil an diesem ein Hauptfest in der Kirche gefeiert wurde; jetzt war er wirklich an diesem Tage da, aber zu so früher Stunde, daß er sicher darauf zählen durfte, keinen Zeugen seines Unternehmens zu haben. Mit den Schmerzen hatte auch sein frommer Eifer sich abgekühlt, und so hatte er bei sich ausgeklügelt, daß er sein Versprechen doch erfülle, wenn es nur an diesem Tage geschehe, denn daß er das Kreuz vor den versammelten Wallfahrern ziehen wolle, das hatte er keineswegs ausdrücklich gelobt – Wendel hatte ganz recht vermuthet, er wollte nicht verspottet sein, und dann, gewiß wußte er ja doch nicht, ob ihm das Gelübde geholfen oder die Salben des Baders und das Hanfwerg, womit er ihm die Hände umwickelt hatte. Dennoch trieb ihn die Furcht, daß in Folge seiner Untreue die erbetene Hülfe sich nachträglich in Strafe verwandeln könne, und so maß er bedenklichen Blicks das schwere Kreuz und die daran befindlichen Eindrücke und Spuren, welche zeigten, wie oft und eifrig dasselbe schon getragen worden war. Dann bückte er sich und lud es auf seine Schultern, was ihm als einem kräftigen, früher arbeitgewohnten Mann nicht besonders schwer ankam, obwohl er sich hart that, das Holz mit den immerhin noch ungelenken Armen und Händen in der rechten Lage zu erhalten. Langsam, ein halblautes Gebet murmelnd, trat er mit seiner Last in’s Freie; er war aber nicht zwanzig Schritte weit gekommen, als er an seiner nachlassenden Kraft erkannte, daß die Krankheit nicht allein in den Händen gelegen, sondern einen tieferen Sitz gehabt haben mochte; das Kreuz lastete mit einer Riesenwucht auf ihm, die mit jedem Schritt sich zu verdoppeln schien, und bald vermochte er kaum mehr sich aufrecht zu erhalten. Dennoch raffte er sich zusammen; die einbrechenden Kniee spannten sich noch einmal und er schleppte seine Bürde noch einige Schritte vorwärts. Jetzt aber kam eine neue lösende Schwäche über ihn, die Kanten der Balken schnitten ihm auf der Schulter ein wie eine glühend gewordene Schneide, der Schweiß begann ihm über die Stirn zu träufeln und vor den Augen flirrte es ihm wie durcheinanderwogende Nebel. Mit einer letzten Anstrengung brachte er das Kreuz noch um einen Ruck vorwärts, dann vermochten seine schwachen Arme und Hände nicht mehr, das Marterholz im Gleichgewicht zu halten, dröhnend fiel es zu Boden und der Träger stürzte bewußtlos unweit desselben zusammen.

Er war jedoch kaum zur Erde gekommen, als schon ein paar kräftige Arme bereit waren, ihn wieder aufzurichten; trotz des strengen Verbots hatte Wendel das Gespann in der Nähe am Zaun angebunden und war herbeigekommen, um seinem Herrn, von dessen Vorhaben er eine Ahnung haben mochte, im Falle der [726] Noth beizuspringen. Die Erschöpfung des alten Mannes war aber zu groß, um so rasch zu weichen; erst als Wendel hinwegeilte und ihm aus seinem Hute, den er an der Wunderquelle gefüllt, Gesicht und Schläfe mit frischem Wasser bespritzte, ließ die Erstarrung der Glieder nach; ein schwerer seufzender Athemzug hob die Brust und im nächsten Moment war zu erwarten, daß er die Augen öffnen werde. Wendel knieete neben dem schwach und noch halb bewußtlos sich Aufrichtenden so, daß er ihn von rückwärts unter den Armen gefaßt hielt und nicht fürchten mußte, dem ersten Blicke des Erwachenden zu begegnen.

„Hoho, was giebt’s denn da für eine Komödie?“ rief plötzlich eine grobe Stimme und ein noch roheres Gelächter folgte darauf – ein junger schmächtig gebauter Bursche mit bleichem eingefallenem Gesicht, um welches das aschblonde Haar schlaff hernieder hing, stand verwundert vor den Beiden. Eine kurze schwarze Sammetjacke hing ihm lose um den Leib und die hageren Beine steckten in eng anliegenden Hosen von Hirschleder, während hohe weiche Stiefel bis über die Kniee hinauf reichten. Die Weste unter der Jacke war offen und ließ Hemd und Kragen sehen, von welchem ein buntes Seidentuch, von einem silbernen Ringe im Knoten gehalten, breit herunter hing; Jacke und Weste waren eng mit Silbermünzen als Knöpfen besetzt und aus der Tasche baumelte eine dreifache großgegliederte Uhrkette prahlerisch hin und wider. Die Züge des Angesichts waren wohlgeformt, aber unangenehm durch ihre Magerkeit und Blässe; aus den grauen Augen blitzte freche Verwegenheit und um den schmalen gekniffenen Mund lauerte der Hohn.

„Was hat’s denn da gegeben?“ rief er wieder. „Der reiche Feichtenbauer liegt auf dem Boden ... hat er einen Rausch oder will er etwa gar ein Heiliger werden und das Kreuz ziehn?“

Er hätte wohl noch mehr gesprochen, aber Wendel rief ihm abwinkend und mit gedämpfter Stimme zu: „Still, rühre Dich nicht, Domini, komm daher und nimm den Bauern statt meiner in den Arm. … Thu, als wenn Du gerade dazu gekommen wärst und wolltest ihn aufheben …“

„Ich?“ fragte der Bursche lachend, doch etwas gemäßigten Tons entgegen. „Wie soll ich denn zu der Ehr’ kommen? Ich mein’ ich kenn’ Dich, bist Du denn nicht Knecht bei ihm, auf dem Feichtenhof?“

„Ja ja,“ erwiderte Wendel dringend, „aber ich will nit, daß er mich sieht, wenn er die Augen aufmacht … eben deswegen, weil ich sein Knecht bin …“

„So?“ rief jetzt Domini, näher tretend, indem es in seinen Augen listig aufzuckte. „Dann geh’ nur Deiner Weg’ … das kommt mir just gelegen!“ Er ließ sich nieder und hatte eben Wendel’s Stelle eingenommen, als der Bauer die Augen öffnete und mit klarer Besinnung um sich sah.

Wendel hatte sich lautlos an die Kirchwand gedrückt und war verschwunden.

„Wo bin ich denn?“ sagte der Bauer. „Was ist denn geschehen und wer ist denn bei mir? Da ist ja gar der Metzger Domini. … Wie kommt denn Ihr zu mir?“

„Freilich bin ich’s,“ erwiderte der Bursche lachend. „Ihr werdet mich doch noch kennen, haben wir doch schon manches Gläsel miteinander ausgestochen, und ist ja früher keine Woche vergangen, wo ich nicht bei Euch eingekehrt wäre. … Ich bin gerade recht gekommen, wie Ihr niedergefallen seid!“

„Niedergefallen? Ich?“ sagte der Bauer, den Verwunderten spielend, und warf einen scheuen Blick nach dem Kreuze und der Umgebung, ob sonst Niemand zugegen sei.

„Wißt Ihr nichts mehr davon? Schaut nur her. Ihr liegt ja noch halb und halb … ich bin eben den Feldweg hergekommen und wollt’ in’s Dorf hinein um nachzufragen, ob es nichts zu handeln giebt, da hab’ ich aus der Fern’ einen Mann gesehn, der sich mit dem Kreuz geschleppt hat; ich hab’ sehen wollen, wer der Lapp’ wohl sein könnt’. Das hätt’ ich mir freilich nit im Traum einfallen lassen, daß es der Feichtenbauer ist!“

„Frevelt nicht mit solchen Dingen,“ sagte der Bauer, der sich jetzt völlig aufgerichtet hatte, „man weiß doch nie gewiß, wie es damit ist. … Das Kreuz, sagt Ihr? Ja ja, jetzt fallt es mir schon ein, wie es zugegangen ist: ich bin zu früh hergekommen, da bin ich um die Kirch’ herum gegangen, hab’ mir die Bilder angeschaut – da hab’ ich auch das Kreuz stehen sehen und da ist mir eingefallen, ich wollt’ probiren, ob ich es heben und tragen könnt’ … so hab’ ich’s aufgenommen, bin aber dummer Weise gestolpert und hingestürzt, aber nicht im Ernst, das könnt Ihr Euch wohl denken … es ist nur Spaß gewesen!“

„Versteht sich! Nichts als Spaß!“ erwiderte der Viehhändler mit widerlichem Gelächter. „Es hat wohl einmal geheißen, die Finger seien Euch krumm und steif geworden von lauter Geldzählen, aber wer den Feichtenbauer kennt und wer weiß, daß er früher nirgends gefehlt hat, wo’s lustig hergegangen ist, der wird von ihm auch nit glauben, daß er ein Betbruder geworden ist und sich verlobt hat wie ein altes Weib! Das ist was für die Armen, die sich sonst nit zu helfen wissen – ein reicher Mann wie Ihr, der nimmt aus seinem Kasten einen Sack voll Kron’nthaler und fahrt ins Gastein oder nach Aibling hinüber in’s Bad, das hilft besser und gewisser …“

„Freilich, freilich,“ erwiderte der Feichtenbauer, indem er in das Lachen desto lauter einstimmte, je mehr er sich innerlich getroffen fühlte, „das will ich auch, das hab’ ich schon lang’ im Sinn, daß ich in’s Bad gehen will, ich kann’s ja zahlen; aber in’s Gastein ist es mir lieber, Aibling, das ist mir zu nah … wißt Ihr, wenn ich nach Gastein gehe, Domini, das hat gleich ein ganz anderes Gesicht! Aber Ihr müßt mir jetzt einen Gefallen thun …“

„Nur heraus damit!“ rief der Bursche. „Der Feichtenbauer kann von mir verlangen was er will!“

„Es ist nicht viel,“ fuhr der Bauer fort, „aber … Ihr wißt ja, wie die Leut’ sind! Bei Euch ist es was andres … Ihr kennt mich und so hab’ ich nichts dawider, daß Ihr just dazu gekommen seid, vorhin, wie … nun, zu dem Spaß von vorhin, mein’ ich, Ihr versteht mich wohl … es ist mir sogar recht lieb, daß gerad’ Ihr gekommen seid, und ich seh’s als eine gute Vorbedeutung an. Aber die Leut’ sind oft gar eigen, ich möcht’ drum nicht, daß etwas davon auskäm’ … Ihr müßt mir also den Gefallen thun und Niemand von dem, was Ihr gesehn habt, etwas sagen …“

„Niemand! Keiner Menschenseele!“ betheuerte Domini und seine Augen blitzten wieder listig auf wie vorher. „Auf das könnt Ihr Gift nehmen, Feichtenbauer … das bleibt unter uns Zweien und ich werd’s so wenig ausplaudern, als das Holzkreuz da, das wir aber wegen den Leuten doch wieder an seinen Platz stellen müssen. … Aber was habt Ihr nun vor?“ fuhr er fort, indem er die Last auf der Erde fortzog und dann an die Wand lehnte. „Wo wollt Ihr denn eigentlich hin, Feichtenbauer? Wollt Ihr dableiben und Euch noch einen Spaß machen?“

„Ich habe mein Fuhrwerk bei mir,“ erwiderte der Bauer, „und habe nur den Knecht damit bei Seite geschickt …“

„So?“ sagte Domini so völlig unbefangen, als habe er wirklich nicht die leiseste Ahnung von der Anwesenheit des Knechts. „Desto besser – dann fahren wir miteinander in’s Dorf hinüber, ich hab’ mit dem Bergwirth ein Geschäft abzumachen …“

„Von Herzen gern,“ sagte der Bauer etwas zögernd. „Aber es wird nur nit recht gehn wegen meiner Tochter …“

„Eure Tochter?“ rief Domini rasch und in seinen Augen funkelte es noch stärker als zuvor. „Ist die schöne Christel auch da? Wo ist sie denn – gewiß in der Kirche?“

[739] „Nein, meine Tochter ist noch nicht in der Kirche,“ erwiderte der Feichtenbauer, „sie soll erst nachkommen; sie hat sich’s nit nehmen lassen, und will durchaus mit den Wallfahrern in der Procession gehn ... Ihr wißt ja, wie die Weiberleut’ sind!“

„Ja wohl, ja wohl,“ rief Domini mit spöttischem Lachen, „denen ist nicht gut, wenn sie nicht ein paar Stunden laufen können und Amt und Predigt im Leib haben ... aber jetzt ist es kaum acht Uhr und bis die ganze Geschichte aus ist, kann’s zehn Uhr werden – so lang’ werdet Ihr doch nicht da herstehn und warten wollen? Kommt mit hinüber – der Bergwirth hat noch rothen Tyroler, das ist ein Capital-Wein, bis dahin können wir ein Paar Flaschen auspemseln (pinseln) und sind lang wieder zurück ...“

Der Bauer konnte sich nicht entschließen. „Ich weiß doch nit,“ sagte er, „die Christel wird nit wissen, wie sie dran ist – ich hab’ ihr gesagt, daß ich auf sie warten will ...“

„Was schadet das?“ lachte Domini. „Ihr seid der Herr vom Haus, Ihr habt Euch halt anders besonnen und laßt sie auf Euch warten – kommt nur mit und thut mir den Gefallen ... ich hätt’ nit geglaubt, daß Ihr Euch so lang’ besinnen thätet, mir auch etwas zu lieb zu thun!“

„O nein,“ rief der Feichtenbauer, „ich besinne mich keinen Augenblick – Ihr sollt sehn, was ich auf Euch halte – ich gehe mit Euch in’s Bergwirthshaus hinüber! Ich weiß jetzt schon, wie ich die Geschichte einrichten kann! Ich bin der Herr vom Haus und lass’ meiner Tochter sagen, daß ich mich anders besonnen hab’, sie soll nach dem Gottesdienst auch hinüberkommen in’s Bergwirthshaus und mich abholen ...“

„So ist’s recht!“ rief Domini, während sie miteinander an der Kirche hinschritten und bei den Linden ankamen. Wendel fuhr eben aus dem Seitensträßchen heran, als habe er im Augenblick die aufgetragene Fahrt beendigt. „Aber wer soll denn Eurer Tochter ’was ausrichten? Ich sehe ja weit und breit keinen Menschen!“

„O dafür weiß ich Rath,“ entgegnete der Bauer und wendete sich dem Knechte zu. „Steig’ ab, Wendel,“ sagte er, „und Ihr, Domini, nehmt die Zügel, weil meine Hände zu so etwas doch noch immer ein böses Gesicht machen ... Na, wie lang’ besinnst Du Dich wieder?“ fuhr er auf, als Wendel dem Befehle nicht sofort nachkam. „Hast vermuthlich wieder ’was einzuwenden dagegen? Absteigen sollst Du, hab’ ich gesagt – wir fahren hinüber zum Bergwirth, Du bleibst da und wartest auf meine Tochter und sagst ihr, sie soll nachkommen, wenn der Gottesdienst aus ist, und begleitest sie hinüber ...“

„Der Wendel soll das thun?“ raunte Domini dem Alten in’s Ohr, indem er den hübschen Burschen genauer ansah und ihm aus den Augen ablas, daß ihm der Auftrag keineswegs unwillkommen und der Unmuth, der sich zuerst in seinen Mienen ausgesprochen, durch das Nachfolgende völlig verscheucht war. „Ein Knecht und Eure Tochter ... ist das ein Zusammenstand?“

Er hatte während dessen den Wagen bestiegen und Wendel die Zügel abgenommen, ohne auch nur durch einen Augenwink zu verrathen, daß sie sich kannten oder sich begegnet waren.

„Warum etwa nicht?“ entgegnete der Feichtenbauer, wohl auch etwas gedämpft, aber immerhin laut genug, daß Wendel jedes Wort verstehen konnte. „Eben weil er der Knecht ist, muß er thun, was ich ihm anschaff’, und muß ihr den Bündel nachtragen, wenn ich’s haben will! Ihr werdet doch an nichts Anderes denken,“ setzte er auflachend hinzu, „für die Feichtenbauern-Christel ist ein solcher Bergler-Rothnickel gerade so, als wenn er gar nicht auf der Welt wär’ …“

Im Geräusch des hinwegrollenden Wagens verloren sich die letzten Worte, dennoch hatte das Gehörte genügt, dem zurückbleibenden Wendel das Blut in’s Gesicht zu jagen, und wäre der Bauer nicht schon weit aus dem Bereiche seiner Stimme gewesen, diesmal hätte der Unmuth in Wendel die Oberhand behalten und er hätte die treffende Antwort auf die wiederholte Beschimpfung kaum zum dritten Male niedergeschluckt; er biß die Zähne aufeinander und ging, da er die Antwort doch auf ein ander Mal verschieben mußte, der Kirche zu, die Mirakelbilder in den Gängen zu besehn und die frommen Sprüche darunter zu lesen. Dabei wurde es ruhiger in seinem Gemüth, und gelassen setzte er sich dann unter den Linden in’s Gras, an ein angenehmes Plätzchen, wo er den Blick frei hatte in das offene steinerne Gotteshaus, und über sich in das unermeßliche Haus Gottes, das rings auf den Hügelreihen und Bergen wie auf Wänden und Säulen ruhte und dessen Gewölbe hoch über den wandelnden Wolken empor stieg, ewig fest und unwandelbar. Es war still geworden ringsum; auch die Vögel waren mit der steigenden Sonne verstummt, welche für einen Frühlingstag ungewöhnlich heiß und gewitterkündend herniederstrahlte; [740] strahlte; wie zur Abkühlung und Erquickung hatte sich dafür ein Lüftchen aufgemacht, das rauschend durch die Wipfel ging und manchmal ferne halbverwehte Glockentöne heran trug, mit welchen in den benachbarten Dörfern die durchziehenden Wallfahrer begrüßt wurden. Manchmal mischten sich auch die Töne fernen Gesangs und laut betender Stimmen darein und verkündigten, daß der Feichtenbauer keinen großen Aufwand von Geduld nöthig gehabt hätte, das Eintreffen des Wallfahrtszuges abzuwarten.

Wendel saß und horchte und sah schweigend um sich.

Die erregten Wellen seines Gemüths hatten sich wieder gelegt; sie strömten ruhig dahin, friedliche Gedanken schwammen darauf wie lustig gleitende Schifflein und trugen ihn mit sich, hinweg in ferne andere Orte, zurück in langvergangene Tage. Das Rauschen der Linden gemahnte ihn an die Stimmen des Tannenbühels, der weit drüben jenseits der Berge lag, zur Seite einer kleinen hölzernen Hütte, in der einst seine Eltern gehaust; aus den Tönen klang es ihm zu wie die Stimme der Mutter, die ihm noch unvergessen in der Seele lebte. Die Jahre der Kindheit zogen an ihm vorüber und das Klingen kam ihm vor wie das Geläute seiner heimathlichen Dorfkirche, so feierlich wie damals, als er zum ersten Male an der Hand der Mutter zur Sonntagsandacht ging – so ernst, wie an jenem Tage, wo er mit ihr an dem offenen Grabe des Vaters stand, der ein Holzarbeiter gewesen und beim Fällen eines Baumes, von den stürzenden Aesten erfaßt, ein schnelles und frühes Ende gefunden. Er sah dann die Zeit kommen, wo auch die Mutter nebenan in eine Grube gelegt worden war und wo er verwaist unter fremden Menschen aufgewachsen und das harte Brod früher Dienstbarkeit gegessen – er sah die Orte wieder, in denen er eine kurze Unterkunft gefunden, bis zu dem Tage, wo er sich aus den Bergen heraus in’s Vorland verdungen hatte und auf den Feichtenhof gekommen war; er empfand es wieder, wie es ihn dort zuerst angeheimelt, wie noch nirgends, denn das stattliche Gehöft lag gerade so auf der Anhöhe in einem Hain von Obstbäumen, wie die Hütte der Eltern gelegen hatte, und wie dort lehnte es sich seitwärts an einen Bühel voll dunkelgrüner Fichten und Tannen, daß er beim ersten Anblick zweifelnd stehen blieb, als ob er irre gegangen und statt in den fremden Ort in die Heimath zurückgewandert wäre. Er sah das Jahr, das er dort zugebracht, wie einen einzigen schönen Tag an sich vorüberziehen, denn noch nirgends war ihm so wohl und heiter gewesen um Herz und Sinn, an keinem Orte war ihm die schwerste Arbeit so kinderleicht aus der Hand geflogen – dazwischen hinein schwebte ihm ein liebes, zwar ernsthaftes, aber doch freundliches Angesicht vorüber und sah ihn mit den blauen Augen so wunderbar an, als wollten sie ihm bis auf den Grund der Seele schauen, und eine Stimme klang ihm im Ohr nach, aus der es ihn so eigen ansprach, wie einst aus der Stimme der Mutter, und deren Laut ihm so unvergeßlich geblieben, wie dieser. ...

Er war so tief in’s Träumen versunken, daß er wie erschrocken auffuhr, als mit einem Mal hoch über ihm die Glocken der Kirche zu läuten begannen, um die Wallfahrer zu begrüßen, deren Zug bereits nahe heran schritt – ein lieblicher Anblick, denn zwischen den grünen Baumwipfeln wehten die rothen Fahnen mit den goldblitzenden Knäufen und Kreuzen gar schön hervor und der unabsehbare Zug geschmückter Menschen schritt feierlich heran, jetzt durch eine Reihe nickender Gebüsche versteckt, jetzt sich hindurch schlängelnd zwischen den grünen Saaten, die sich beugten und weithin wallten wie grünes Gewässer. Auch in der Kirche hatte es begonnen sich zu regen; der Meßner war geschäftig daran, die Kerzen auf dem Hochaltare zu entzünden, und ein leise gehauchter schwebender Ton zitterte durch die heilige Halle und verkündete, daß auch der Lehrer bereits auf dem Chore seinen Platz eingenommen hatte, um die Ankommenden mit den Feierklängen der Orgel zu empfangen.

Es währte nicht lange, so schritt der Zug an Wendel vorüber, der seinen Platz hart am Eingange der Kirche gewählt hatte, zuerst die Musiker und Fahnenträger, die ihre rothen Standarten den Linden in die grünen gastlichen Arme legten, der Pfarrer im weißen Chorrock, die Ministranten mit den rothen Kutten darunter, emsig die Klingeln handhabend oder das Weihrauchfaß schwingend, daß der Duft in ringelnden Wölkchen emporstieg zu denen des Himmels, die oben lustig vorüber zogen. Mächtig und voll erklangen die Glocken in das laute vielstimmige Gebet, von drinnen aber brauste majestätisch die Orgel heraus und auch ein minder fromm geartetes Gemüth hätte sich erhoben gefühlt und mit eingestimmt, wenn es in feierlichen Absätzen erscholl: „Heilig – heilig – heilig ist der Herr Gott Zebaoth; Himmel und Erde sind seiner Herrlichkeit voll!“

Der Wallfahrer waren viele und vielerlei Männer und Fraien, Kinder und Greise – vornehm und niedrig, arm und reich, manch’ ein Angesicht durchleuchtet von andächtiger Erhebung, manches gleichgültig, ohne Ausdruck und Gedanken den gewohnten Brauch übend und die lange gelernten Worte wiederholend. Zu den Ersteren gehörte ein Mädchen, das unter mehreren Altersgenossinnen einherschritt, durch nichts vor ihnen ausgezeichnet und doch die Bedeutsamste von Allen. Sie hatte die schönen blauen Augen nicht kopfhängerisch zu Boden gesenkt, sie hielt nicht die gefalteten Hände nonnenhaft empor, und doch stand es in jedem Zug ihres Angesichts zu lesen, daß sie vollkommen ergriffen war von der Feier des Augenblicks, daß ihre ganze Seele die Worte mitbetete, die sie sprach. Ihr Mieder war nicht anders, das Silbergeschnür daran nicht reicher als das der Uebrigen; sie trug denselben niedrigen und breitrandigen Hut, der damals noch in der ganzen Umgegend üblich war, seitdem aber von dem häßlichen Kopftuch verdrängt wurde, dennoch fiel sie unter Allen auf wegen der eigenthümlich ernsten Anmuth ihrer Züge, wegen ihres freudig entschiedenen Wesens, das sich an ihr kund gab und das ahnen ließ, es müsse auch in ihrem Innern Alles hell und klar sein wie ein Bergwasser, dem man sicher trauen darf, weil man ihm bis auf den Grund sehen kann.

Wendel, der sie schon von ferne gewahr geworden, erging es nicht anders; er fühlte, wie ihm das Blut mächtig zum Herzen und glühend zur Stirn drängte, und hätte er jetzt gleich vor sie treten müssen – der sonst so gewandte Bursche wäre ihr wohl ohne Rath und Wort gegenüber gestanden; es war recht gut, daß das Gedränge am Eingange den Zug etwas stocken machte, er gewann dadurch Zeit, die Sprache und sich selbst wiederzufinden.

„Grüß Gott!“ flüsterte er halblaut der Vorüberschreitenden zu. „Der Bauer schickt mich, daß ich Euch sagen soll, er sei voraus in’s Bergwirthshaus. Ihr sollt ...“

Er wollte noch mehr hinzufügen, aber das Mädchen ließ ihn nicht zu Ende kommen; so ruhig und freundlich ihre Augen eben geblickt hatten wie ein wolkenlos blauer Himmel, so gewitterhaft verfinsterten sie sich plötzlich und was ihm aus denselben entgegen kam, hatte vollständig die Wirkung des Blitzes. „Das hat wohl Zeit!“ rief sie in strengem Tone. „Ihr solltet Euch schämen, eine Störung zu machen in einem solchen Augenblick.“ ...

Wendel hatte vor Ueberraschung noch kaum recht verstanden, was er gehört, als die Zürnende schon innerhalb der Kirchthür verschwunden war – halb betäubt starrte er ihr nach; er sah die nach ihr Kommenden nicht mehr, er stand unbeweglich, bis drinnen vom Chore herab Trompetenruf und Paukenwirbel erscholl; der Priester war zum Beginn der Feier an den Altar getreten. Das schmetterte auch ihn aus seiner Betäubung auf und jagte ihn von der Kirche weg, in heftigem Kampfe mit sich selbst, was er beginnen solle. Er fühlte die Kränkung um so bitterer, als sie ihm offen vor der ganzen Menschenmenge angethan worden, als er, seines guten Willens bewußt, wie Alle, die ihren Weg durch sich selbst gemacht haben, einen erhöhten Grad von Selbstgefühl in sich trug, der jedes erfahrene Unrecht doppelt schmerzlich machte. Aber hatte Christel denn nicht das volle Recht, so zu handeln, wie sie gethan? War sie doch die Tochter, die einzige Tochter und darum bald selbst die Herrin des Hauses – was war es also, weshalb das schroffe Benehmen des Mädchens ihn so besonders empfindlich berührte?

Zum ersten Male hatte Wendel Anlaß, sich eine solche Frage zu stellen, und je schärfer und schärfer er zu ihrer Beantwortung in die Tiefen seines Herzens blickte, desto heller leuchtete ihm ein verborgener Funke gleich einer glimmenden Kohle entgegen, desto weniger konnte er es vor sich selbst verbergen, daß das Mädchen für ihn nicht die Herrin und die Tochter des Hauses und seine Ergebenheit für sie eine ganz andere war, als die eines treuen Dienstboten. Er erschrak vor sich selbst bei der unerwarteten Entdeckung und war rasch entschlossen, einen andern Dienst zu suchen und ein Haus zu verlassen, wo ihn, den armen Dienstknecht, doch nichts erwartete als stete stumme und hoffnungslos Qual, oder wenn sein Geheimniß jemals entdeckt würde, zu allem Leid noch ein aufgehäuftes Maß von Schmach und übermüthigem Spott.

[741] In diesen Gedanken schritt er wieder der Kirche zu, wo er der Botschaft halber das Mädchen noch abwarten wollte, und es gelang ihm, durch eine der halboffenstehenden Seitenthüren noch hineinzuschlüpfen und ein Plätzchen zu finden, als eben der Geistliche in Mitte des Hochamts den Altar verlassen und die Kanzel bestiegen hatte, und nun in erhebender Rede den Segen und das Glück des Christen pries, der keine Ursache habe zu bangen vor irgend einem Leid oder Geschick der Erde, denn über ihm walte der dreieinige Gott, ein Gott unendlicher Macht, denn „Himmel und Erde seien seiner Herrlichkeit voll“!

Wendel war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen beschäftigt, als daß die Worte des Predigers für den Augenblick tiefer zu dringen vermocht hätten, als in sein Ohr – seine Seele war bei anderen Dingen und saß ihm bald völlig in den Augen, denn an der Säule vorüber gegen die Kanzel blickend gewahrte er bald, daß er gerade so stand und des Gedränges wegen stehen bleiben mußte, daß er Derjenigen, die er fortan zu meiden entschlossen war, gerade in’s Angesicht sah. Sie hatte sich bei Beginn der Predigt in den Kirchstuhl gesetzt und saß nun, den Kopf nach der Kanzel gewendet, ernst aufmerkend mit unverwandtem Antlitz und voll aufgeschlagenen Augen vor ihm da. Und je mehr er das liebe, holde Antlitz betrachtete, desto unbegreiflicher dünkte ihm, was ihm kurz vorher begegnet war – dieselben Augen, die ihn so zürnend angeblitzt hatten; und die jetzt so ruhig nach oben gerichtet waren wie ein sanfter Stern der Sommernacht, hatten ihn schon manchmal mit Blicken gegrüßt, aus denen es ihn anschien wie ein freundliches Morgenroth, wie der erste lichtbringende Sonnenstrahl eines schönen Tages. Als er ihr unlängst die verlaufene schwarzscheckige Kalbin, die sie so gern hatte, wiederbrachte in der finstern Nacht, da Alle schon das Suchen und die Hoffnung des Findens aufgegeben, hatte sie ihm da nicht mit einem Blick gedankt, in dem mehr zu liegen schien als die Zufriedenheit der Herrin und der Dank der Hausgenossin? Und als er neulich vom Rosenheimer Markt ihr das Lied vom schönen Tegernsee, das sie so gerne hörte und sang, gedruckt mitbrachte, war es nicht gewesen, als ob sie es schon auf der Zunge gehabt, ihn „lieber Wendel“ zu nennen und ihm zum Danke gar die Hand zu reichen? So hoch und weit die Hallen der Kirche emporstiegen, sö erfrischend kühl die Mailuft durch die offene Pforte säuselte – es war ihm zu eng und zu heiß und trieb ihn wieder hinaus in’s Freie, wo er hochaufathmend zwischen den Saatfeldern dahinschritt und so tiefsinnig in die Halme des eben in Aehren schießenden Weizens und die rothen Kleeblumen hinein sah, als wolle er das geheime Gesetz ihres Werdens und Wachsens ergründen oder als suche er das vierfache Kleeblatt, welches der Sage nach an seinen Träger das Glück zu bannen vermag.

Der Wiederbeginn des Geläuts erinnerte ihn an das Ende des Gottesdienstes und daß es Zeit sei zur Kirche zurückzukehren; unfern des Hauptthors unter den Linden blieb er stehn, weil er von dort die Wege nach allen Richtungen überblicken konnte. Bei den letzten volltönenden Cadenzen der Orgel drängte bald das strömende Volk in’s Freie und so einmüthig wie vorher zu Gebet und geistiger Erhebung eilten jetzt die Schaaren der leiblichen Erquickung im nahen Wirthshause zu. Rasch hatte die Kirche sich entleert; bald kamen an dem Harrenden nur noch verspätete Einzelne vorüber, und nicht lange, so stand Wendel wieder ganz allein unter den Linden, ohne die Erwartete erblickt zu haben: sie mußte entweder noch allein in der Kirche geblieben sein, oder er hatte, trotz seiner Aufmerksamkeit, sie dennoch im Gedränge übersehen.

Eben wollte er zur Thür um hineinzublicken, als er leichte Schritte hinter sich vernahm und, rasch sich umwendend, der Gesuchten hart gegenüber stand.

Es war wirklich Christel – aber nicht mehr streng und herrisch wie vorher; sie war sichtbar befangen, fast wie bittend sah sie ihn mit den schönen blauen Augen an und streckte ihm zu Gruß und Versöhnung die Hand entgegen.

„Ich bin vorhin recht schiech (garstig) mit Euch gewesen, Wendelin,“ sagte sie mit sanfter, leicht bebender Stimme, und des Burschen ganze Seele zitterte nach, „ich hab’ gemeint, es wär’ nur so eine übermüthige Art, daß Ihr mich während des Umgangs angeredet habt … jetzt weiß ich es freilich besser! Ich weiß es von der alten Bäckni – die hat mir drinnen beim Herausgehn Alles erzählt – wie der Vater wieder so ungut gewesen ist mit Euch, und wie Ihr so geduldig gewesen seid mit dem kranken Mann, der oft selber nit weiß, was er will … Ihr habt ihm geholfen und seid sogar weg von ihm, bloß damit er’s nicht sehen sollt’ und Ihr ihm einen Verdruß erspart … Ihr seid ein guter Mensch, Wendelin … drum thut mir’s leid, daß ich so schlecht umgegangen bin mit Euch, und drum müßt Ihr mir nit bös sein und müßt mir verzeihn, wenn ich Euch sag’, daß es mich reut…“

Wendel wußte nicht, wie ihm geschah; es war ihm zu Muthe wie einem Halbschlafenden, der sich zu regen scheut, weil er mit dem Schlummer das Paradies zu verscheuchen fürchtet, das ihm ein holder Traum vor die Seele gezaubert. …

„Wollt Ihr mir nit verzeihn, Wendelin?“ fragte sie wieder, da er noch immer wortlos vor ihr stand. „Gebt mir die Hand darauf, daß Ihr mir’s nicht nachtragen wollt.“ …

„Ja, ist es denn wahr?“ rief Wendel, welchem das Entzücken endlich den Bann der Zunge löste. „Seid Ihr es denn wirklich, Christel? Ihr kommt zu mir und redet mit mir, so lieb und freundlich wie noch nie? Redet mir doch nit vom Verzeihn … ein einziges solches Wort thät ja Alles gut machen, und wenn Ihr mir das Aergste angethan hättet! Wie könnt’ ich Euch bös’ sein wegen einer einzigen Red’. … Ich wollt’ nur, Ihr verlangtet etwas von mir: etwas recht Hartes und Schweres, das ich für Euch thun könnte, blos damit ich Euch zeigen könnte …“

Er stockte mitten im Fluß seiner Rede über dem, was er auszusprechen im Begriffe war. Verwirrung überkam ihn und theilte sich auch dem Mädchen mit, dessen Rechte er im Feuer ergriffen hatte und mit beiden Händen gefaßt hielt, als ob er sie nie wieder loslassen wollte.

Beklommen und schweigend standen Beide einige Augenblicke sich gegenüber – was sie fühlten, war so viel und groß, sie fanden die Worte nicht, die es zu fassen vermochten.

„Ihr sollt mir ja wohl etwas vom Vater ausrichten,“ sagte dann Christel schüchtern. „Wo ist er denn?“

„Drüben im Bergwirthshaus,“ erwiderte Wendel erleichtert, aber mit einem Nachdruck und Feuer, als spräche er die zärtlichste Betheuerung aus. „Ihr sollt auch nachkommen und ich …“

„Und Ihr?“

„Ich … ich soll Euch hinüber führen …“ setzte er zögernd hinzu.

„Führen?“ rief Christel, die nach Mädchenart die Befangenheit rascher überwand, mit munterem Lachen, und dies Lachen hörte sich an, wie heller Vogelruf. „Das wird’s nit brauchen – ich bin wohl groß genug, daß ich auf dem Stück Weg auch ohne Führer nicht verloren gehen thät’! Aber Ihr habt wohl was Andres vor und geht nicht gern mit ...“

„Ich?“ rief Wendel entgegen. „Ach Gott – ich wüßt’ mir ja auf dem ganzen Erdboden nichts Lieberes, als bei Euch sein ... ich wollt’, ich könnt’ nicht blos das Stündel da hinüber mit Euch gehn, sondern den ganzen Tag, und immer fort, bis wo die Welt ein End’ hat und der Himmel anfangt.“

„Das wär’ mir doch zu lang,“ sagte Christel mit freundlichem Lächeln, „ich bin das Gehen nit so gewohnt – da thät’ ich allzumüd’ werden, fürcht’ ich …“

„O dafür wollt’ ich schon sorgen!“ rief Wendel eifrig, indem sie den Weg einschlugen, der in das nahe Dorf und von dort hügelauf zum Bergwirthshause führte. „Wir wollten fein langsam gehn, daß es Euch nit so hart ankommen sollt’ … ich thät’ die besten Weg’ aussuchen, und wo ein schönes Plätzel wär’, da müßtet Ihr ausrasten, und ich thät’ Euch von weit und breit das Beste holen, was es nur geben thät! ...“

Sie waren an einer Stelle angelangt, wo die Enge des Weges es unmöglich machte, nebeneinander zu gehn; Wendel blieb seitwärts stehn, um Christel vorangehn zu lassen – aber sie ging nicht; sie blieb vor ihm stehn, sichtbar entschlossen und doch ob’ des eigenen Entschlusses in holder Verwirrung erglühend.

„So gut könnt Ihr’s ja wohl haben, Wendel,“ sagte sie leise, „Ihr dürft ja nur nicht mehr fortgehn von dem Feichtenhof …“

„O mein’ – das geht doch nit!“ erwiderte er betrübt. „Wie lang’ wird’s anstehn, so übergiebt Euch der Vater das Gut … Ihr werdet Feichtenhof-Bäurin … ein anderer Bauer zieht auf und das … seht, Christel, so gern ich bei Euch bin, das könnt’ ich nicht mit anschau’n … ich ging’ zu Grund’ darüber … also ist’s doch das Gescheidere, ich gehe schon vorher …“

„Auf dem Feichtenhof,“ erwiderte das Mädchen, „zieht kein [742] Bauer auf, als den ich will – ich hab’ das dem Vater lang gesagt und er hat mir frei gestellt, daß ich nehmen kann, wen ich will ... Er braucht nicht reich zu sein – wenn er nur ein braver fleißiger Mensch ist, der mich gern hat und – den ich auch gern haben kann ...“ setzte sie leiser hinzu. „Wißt Ihr mir vielleicht einen Solchen?“

„Christel ...,“ rief Wendel wie außer sich, „das lautet ja gar, als wenn ... aber nein, das kann ja nicht sein! Ein armer fremder Mensch, der nit einmal eine richtige Heimath hat ...“

„Aber ein braver Mensch,“ sagte Christel, und streckte ihm wieder die Hand entgegen.

„O Du lieber Gott im Himmel droben,“ rief Wendel, indem er die Hand ergriff, wenn Ihr nur suchen wollt, wer Euch gern hat, nachher braucht Ihr nit weit zu gehn - zwischen Himmel und Erd’ kann’s Keinen geben, der Euch lieber hat, als ich ...“

„Ich hab’s wohl gemerkt,“ sagte sie tief erröthend, „aber ich hab’s auch gemerkt, daß Ihr viel zu brav seid, als daß Ihr mir’s eingestanden hättet ... also hab’ ich wohl selber den Mund aufthun müssen ...“

„Ist es denn möglich?“ jubelte er, „Christel – soll ich so glücklich sein? Könntest Du mich wirklich auch gern haben?“

„Von Herzensgrund, Wendel,“ flüsterte sie entgegen und sah ihm mit den thränenschimmernden Augen so recht innig in’s Gesicht ... „ich hab Dich schon lang’ lieb gehabt, in der Still ...“

Der Ueberglückliche wollte sie umschlingen und an sich ziehn, sie erröthete noch tiefer, aber sie wehrte ihn leise und doch entschieden ab. ... „Nit halsen ...“ (umarmen), sagte sie sanft, „das gefallt mir nit – aber lieb haben, Wendel, lieb haben bis zum letzten Augenblick. ... Heut’ noch will ich’s dem Vater sagen ...“

„O weh, der Vater!“ jammerte Wendel, „der willigt niemals ein ... der kann mich ja nit leiden!“

„Davor hab’ ich kein Bang!“ sagte sie. „Der Vater wird schon mit sich reden lassen, ich hab’ ja sein Wort und mein’ freien Willen – und wenn nur ich Dich leiden kann, das ist doch die Hauptsach’. ... Also ist es Dein heiliger Ernst, Wendel ... wir wollen einander lieb haben und ein treues, ein rechtes Paar sein – auf Du und Du, in alle Ewigkeit ...“

„In Ewigkeit,“ erwiderte Wendel feierlich, in kurzem, flüchtigem Kusse berührten Christel’s Lippen die seinigen und auf der Eiche neben ihnen schmetterte ein Fink so überlaut, als habe er verstanden, was sie gesprochen, und sei bedacht, daß der Tusch nicht fehle bei der festlichen Verlobung.




2. Feuer im Dach.

Im Erdgeschosse des Bergwirthshauses, das vom Dorfe abseits und einzeln gelegen die von der Anhöhe herabsteigende Hauptstraße wie eine ansehnliche Herrenburg behütete, ging es trotz der frühen Tageszeit schon sehr fröhlich her; das Oberhaupt der lustigen Gesellschaft war der Feichtenbauer, neben ihm Domini, die Cither vor sich; die Uebrigen waren Bauern aus der Nachbarschaft, die auf dem Kirchwege zufällig vorübergekommen und sich leicht hatten verführen lassen von der wohlfeilen Weinquelle zu kosten, die, wie die Nässe des Tisches und die vielen nebenanstehenden leeren Flaschen erkennen ließen, keineswegs spärlich floß.

Dem Bauer war noch kein Weg im Leben so kurz vorgekommen, als der von der Wallfahrtskirche zum Bergwirthshause; noch nie war er in so angenehmer Begleitung gewesen, denn Domini war unerschöpflich in lustigen Schnurren und allerlei unterhaltenden Geschichten. Der Bauer machte ihm Vorwürfe, daß er so lange nicht mehr auf dem Feichtenhofe eingesprochen, und Domini entschuldigte sich hinwider, daß er auf all’ seinen Wanderungen nirgends lieber einkehre als dort, daß ihn aber seine Handelschaft lange nicht mehr in jene Gegend geführt, sonderm weit hinweg, an Inn und Donau hinab bis tief unter Wien. „Am liebsten,“ setzte er hinzu, „wär’ es mir, wenn ich einmal irgendwo ganz und gar bleiben könnt’; ich hab’ das Herumwandern herzlich satt und mein Vater liegt mir auch schon lang’ an und will, daß ich mich einmal niedersetzen und auch ein Nest bauen soll. ... Freilich, an einem solchen Platz, wie der Feichtenhof, da wär’ gut Nest bauen!“

Der Bauer verstand nicht gleich, worauf Domini zielte; er wiederholte nur die Einladung, recht oft zu kommen und einzukehren; auf den Feichtenhof komme oft Wochen lang kein fremder Mensch, da höre und wisse man gar nicht, was draußen in der Welt vorgehe, und in der Langeweile sei es gar angenehm, wenn Einer komme, der nicht immer auf einem Fleck gesessen und etwas zu erzählen wisse.

Während dieser Gespräche war das Bergwirthshaus erreicht und auch die erste Flasche zur Feier des glücklichen Zusammentreffens so rasch geleert worden, daß sie sofort zu wirken anfing und die zweite dem Bauer bald den Kopf warm und die Zunge so geläufig machte, wie sie lange nicht gewesen. Domini hatte eben eine so verführerische Schilderung seines Aufenthaltes in Wien vollendet, daß dem erhitzten Alten der Mund wässerte und er sich bis zu dem Wunsche verstieg, mit Domini hinzureisen und sich all’ die Herrlichkeiten selbst zu besehn – bis dahin aber solle er auf den Hof zu ihm kommen und bleiben und von seinen Wanderabenteuern erzählen.

„Oho,“ lachte Domini, „das hört sich wohl recht schön an, hat aber doch einen Haken! Ich bin ein lediger Mensch und wär’ nit Euer Gefreundter und nit Euer Dienstbot’ ... das wär’ was für die Leut’, Eure Tochter mit mir in’s Gered’ zu bringen!“

„Was frag’ ich nach den Leuten!“ rief der Bauer, den der Widerspruch reizte. „Ich bin der Herr vom Haus und was mir recht ist, muß Jedem recht sein!“

„Das glaub’ ich doch nit so ganz,“ fuhr Domini listig fort, „ich sorg’, der Pfarrer thät Euch ein böses Licht aufstecken ... aber, wenn Ihr mich gar so gern bei Euch haben wollt, da gäb’s ein Mittel, wie ich alleweil bei Euch bleiben könnt’ und kein Mensch könnt’ was dawider haben ...“

„Ja – wie wär’ denn das?“ fragte der Bauer rasch.

„Das errathet Ihr nicht?“ rief Domini lachend, indem er ihm das Glas voll schenkte. „Und doch ist es so leicht ... macht mich zu Eurem Schwiegersohne und kein Gered’ und kein Pfarrer kann mich mehr von Euch vertreiben.“ ...

Er rief es mit lachender Miene, aber er belauerte jede Regung im Gesichte des Alten; ging dieser nicht darauf ein, so war der Vorschlag nur ein Scherz gewesen, im andern Falle mußte er schnell erfahren, ob und welche Aussicht für seine Pläne bestand.

Der Feichtenbauer war schon so vom Wein erregt, daß der Gedanke, der ihn sonst wohl stutzig gemacht haben würde, nichts Befremdliches für ihn hatte und er ihn als einen willkommenen Ausweg mit Vergnügen ergriff.

„Schwiegersohn!?“ rief er und brach ebenfalls in lautes Lachen aus. „Ja, das ist das Rechte! Da fang’ ich zwei Mucken mit einem Schlag! Willst mein Mädel wirklich haben, Domini ... stoß an und schlag’ ein ... Du sollst mein Schwiegersohn werden. ... Ich hab’ mir’s ja gleich gedacht, das hat was Besonderes zu bedeuten, weil Du mir so merkwürdig begegnet bist!“

„Ein Mann ein Wort!“ sagte Domini und schlug hastig ein. „Aber red’ nit so laut – es braucht’s Niemand zu wissen vor der Zeit.“ ...

[755] „Hast schon wieder Recht, Schwiegersohn,“ rief der Bauer. „es braucht kein Mensch zu wissen, was wir miteinander haben. ... Also in vier Wochen ist Hochzeit, wenn’s Dir recht ist ... und nit wahr, das Andre ... das wie wir heut’ zusammenkommen sind, das bleibt auch unter uns ...“

„Versteht sich,“ betheuerte Domini, „wie werd’ ich denn meinen Schwiegervater verrathen ... wir sind ja jetzt Ein Herz und Eine Seel’ ... und Ein Beutel ... ,“ setzte er für sich hinzu, während der Alte die eben eintretenden Bauern lärmend herbeirief und sie einlud, seine Gäste zu sein. Der Tiroler Wein wollte schon nicht mehr genügen, der Wirth mußte besseren auftischen, und that es bald mit einer Sorte, von der er hoch und theuer versicherte, daß eine solche im königlichen Hofkeller nicht zu finden sei.

Die Wirkung war mindestens eine baldige und allgemeine; Alles lachte und sprach durcheinander, Domini aber griff in die Cither und sang nach einer lustigen Weise.

„Wenn i unser Herrgott war’,
G’höret’ d’ Welt mein,
Ich machet’ aus’m Wasser
Lauter solchenen Wein ...

5
und die Berg’ müßten nacha

von Kletzenbrod sein;
Da nahm’ ich ’n Wendelstoa
und brocket ’n ein!“

Lärmender Beifall lohnte den Sänger und Alles stimmte zu lauter Wiederholung ein, der Feichtenbauer aber, dessen Gesicht immer mehr zu glühen begann, lachte und sang am lautesten; dann schlug er auf den Tisch und rief: „Kreuzbirnbaum, so ist es recht, so laß’ ich mir’s gefallen! Aufg’rebellt, Ihr Leut’, es ist nur schad’, daß keine Musikanten da sind! Heda, Wirth, eine andere Flasche!“ fuhr er fort, indem er die auf dem Tische stehende ergriff und in die Höhe hob, als wolle er sie wegwerfen.

„Was thust denn, Feichtenbauer?" rief einer der Zecher und hielt ihm den Arm, „sie ist ja noch halb voll!“

„Was schadet's?“ rief der Bauer sich losmachend entgegen und schleuderte die Flasche an die Wand, daß der rothe Wein daran herunter auf die Diele floß. „Bring’ eine andere, Wirth, bring’ gleich ein halbes Dutzend auf einmal, damit’s doch der Müh’ werth ist! Besinn’ Dich nit so lang ... ich kann’s zahlen!“ Dabei hatte er einen vollen ledernen Zugbeutel hervorgeholt und stürzte ihn auf der Tischplatte um, daß die Gulden und Thaler umher kollerten. „Da nimm Dir, dummer Kerl! Was kost’ Deine ganze Wirthschaft? Lang’ zu – ich hab’ genug daheim solchen Pfifferling!“

Der Wirth brachte das Verlangte, aber er schüttelte den Kopf und schob dem Bauer die zusammengelesenen Thaler zurück. „Das braucht’s nit, Feichtenbauer,“ sagte er, „wir werden schon gleich miteinander, bei Dir hat’s gute Weg’! ...“

„Kreuzbirnbaum,“ rief dieser erfreut, „so ist’s recht - so hör’ ich’s gern! Sollst leben, Wirth!“ Er schob ihm ein gefülltes Glas hin, stieß mit ihm an und stürzte das seine in einem Zuge aus.

„Du bist heut’ gut aufgelegt,“ sagte einer der Bauern lachend; „wenn Du so fort machst, kannst Du Dich gut auswachsen!“

„Geht’s Dich was an?“ rief der Feichtenbauer entgegen, dessen zornmüthiges Wesen durch den vielen Weingenuß noch gesteigert war. „Ich kann mehr Wein in meinen Stiefeln vertragen, als Du in Deinem ganzen Leben nur zu sehen kriegst ... und wenn ich mir einen Rausch trinken will, so kann ich’s zahlen, verstehst Du mich, Du Zaunschnipfer, Du!“

Der Angegriffene wollte gereizt entgegnen und es wäre wohl kaum noch gelungen, den Frieden zu erhalten, wäre nicht gerade im rechten Augenblick eine Unterbrechung von außen dazwischen gekommen, indem lautes Juchzen und bäurisches Singen von der Straße herein erscholl.

Eine Schaar junger Bauernbursche kam gegen die Anhöhe heran, alle mit den Armen aneinander angefaßt, daß sie eine Kette über die volle Breite der Landstraße bildeten. Einer, der der Anführer zu sein schien, sang in hohen kreischenden Fisteltönen vor:

„Wir san (sind) halt die Oachen’ (Eichenen),
Wir thun, was wir woll’n,
Und wer uns was einred’t,
Der Teufel soll’n hol’n!“

Die Uebrigen schrieen im wüsten Chore nach und abwechselnd folgte ein Anderer als Vorsänger:

„Wir Hüglinger Buben san
Von hoanbüchen (hainbuchen) Holz;
Kommt’s her, wer a Schneid’ hat,
Zum Raffa (Raufen) wenn’s wollt’s!“

[756] „Juhe, jetzt kommen die Richtigen!“ rief der Feichtenbauer, indem er sich taumelnd erhob und, von Domini begleitet, durch den Flur unter die Hausthür schwankte. „Heda, eingekehrt, Ihr Hüglinger Buben …“, rief er, „heut’ bin ich der Wirth am Berg; da geht kein richtiger Bursch vorbei! Herein da, alle miteinander!“

Der Gesang brach ab und ging in Gelächter über, die Bursche kamen an’s Haus heran, mit dem Feichtenbauer zu schwatzen, dessen Zustand schon auf den ersten Blick erkennen ließ, daß es ohne Spaß und Jux nicht abgehen werde. Die Bauern in der Stube ließen sich inzwischen durch die ihnen gewordene Gastfreundschaft und freie Zeche nicht beirren, während der kurzen Abwesenheit des Bauers ihre Gedanken über denselben und seinen Begleiter auszutauschen.

„Was muß denn dem Feichtenbauer passirt sein, daß er heut’ gar so freigebig?“ sagte der Eine, mit dem er bald in Streit gekommen wäre. „Er ist ja ganz aus dem Häusel! Ich bin doch schon wie er bald dreißig Jahr auf meinem Gütel, und wenn ich auch nie besonders mit ihm zusammengekommen bin, hab’ ich ihn doch niemals so gesehn und auch nichts davon sagen hören, daß er mit der Flaschen so gut umgehn kann! …“

„Es hat eine eigene Bewandtniß mit ihm,“ sagte der Wirth, nicht ohne sich vorher vorsichtig umgesehn zu haben, „ich kenn’ ihn auch von Jugend auf, aber er ist immer ein exterer Mann gewesen, mit einem wilden und ungleichen Humor, wie wenn’s im April durcheinander regnet und die Sonn’ scheint! Er hat gearbeitet für Zehn, hat sich oft kaum das Essen und einen Tropfen Bier vergönnt, geschweige denn was Andres – nachher aber wieder, wenn ihm das Radel ist laufend ’worden, hat er keinen Handstreich gethan, manchmal zu der dringendsten Zeit, und ist Wochen lang aus dem Wirthshaus und aus dem Rausch nicht herausgekommen; … er ist das ewige Widerspiel!“

„Das ist wahr,“ sagte ein Anderer, „ich hab’ ihn selber so gesehn – die Bäurin hat genug mit ihm auszustehn gehabt und hat sich hinunter gekränkt und gehärmt, bis sie darüber abgeserbt und ausgezehrt ist … aber seit langer Zeit ist alles still gewesen …“

„Das macht,“ sagte der Wirth, „weil ihm die Bäurin auf ihrem Todbett in’s Gewissen geredt hat … darüber ist er in sich gegangen, und hat es ihr mit Hand und Mund versprochen hinüber in die Ewigkeit, daß er gut thun will … aber diemalen, so scheint’s, kriegt das Versprechen doch ein Loch …“

„Ich hab’ auch sagen hören,“ bemerkte ein Dritter, „er hat das Wetterreißen in den Händen und Füßen; das soll ihn dasig (kleinlaut) gemacht haben, denn der Bader hat ihm Alles verboten, Bier und Wein, und hat ihm gesagt, er könnt’ ganz contract werden, wenn er sich nicht halten thät’ …“

„Die Hauptsach’ nit zu vergessen,“ unterbrach ihn der Wirth, „wenn er die Zeit her gut gethan hat, so ist daran wohl meistens seine Tochter schuld – das ist ein richtiges Leut, ein Madel, vor dem man den Hut abziehn muß bis auf den Erdboden; die regiert den ganzen Feichtenhof und den Bauern dazu – und heut’, heut’ muß er ihr justament aus’kommen sein, und da hat ihn der Domini in seine Händ’ kriegt, der hat seine Freud’ d’ran, wenn’s irgendwo was absetzt, und legt überall noch ein Scheit zu …“

„Wer ist der Domini denn eigentlich?“ fragte der Erste wieder. „Wie mag ihn denn der aufgegabelt haben?“

„Kann mir’s nicht einbilden,“ erwiderte der Wirth, „so viel aber weiß ich, wenn er auch noch so alert thut, aussuchen thät’ ich mir ihn nicht, wenn ich eine Gesellschaft haben wollt’! Er ist da drüben am Inn zu Haus, wo’s in’s Tirol hinein geht, ein Wirthssohn, und sein Vater soll so reich sein, daß er die Kronenthaler in Habermetzen mißt; er selber ist ein gelernter Metzger, und geht die meiste Zeit feiernd im Gäu herum, Vieh einzukaufen, mit dem er handelt …“

Das Gespräch wurde durch den stürmischen Eintritt der Bursche unterbrochen, welche auf des Bauers Geheiß am Tische Platz nahmen und sich nicht lang nöthigen ließen, an dem Gelage theilzunehmen; der Wirth trug zu, was man verlangte; war er auch mit der ganzen Zecherei nicht recht verstanden, so wäre es doch zu sehr gegen seinen Vortheil gewesen, einen Gewinn von der Hand zu weisen und solche Gäste durch Widerspruch auf vielleicht lange Zeit zu verscheuchen. Johlend und juchzend ward mit den Gläsern angestoßen, daß der Wein überströmte, und dabei von den Heldenthaten erzählt, die man eben verrichtet hatte. „Das ist ein Hauptgaudi gewesen,“ rief der Anführer der Bursche, eine stämmige Gestalt mit breitem, von Sommersprossen bedecktem Gesicht und brandrothen Haaren, „das muß ich erzählen, wie uns die alte Kramergütlerin von Mittling in’s Eisen gegangen ist.… Es ist ein böses Leut, das keinem Menschen was vergönnt und den Ehhalten statt des Mehls Kleien unter die Nudel mischt … ich weiß es selber, denn ich bin ein paar Wochen bei ihr im Dienst gewesen und hab’ ihr allerhand in ein Wachsl’ gedruckt … da ist sie uns heut’ justament recht in die Händ’ gelaufen, daß ich meinen Gift hab’ auslassen können an der alten Hex’! Ihr hättet das Gesicht sehn sollen, wie wir ihr den Weg versperrt haben und wie sie gesehn hat, daß sie sonst nirgends aus kann, denn links ist ein Kothlacken gewesen und rechts der Straßengraben.… Wie wir ihr gesagt haben, daß wir sie nicht durchlassen, wenn sie nicht über den Stock springt, den ich ihr vorgehalten hab’, da hat sie geschrieen und aufbegehrt und geschimpft wie ein Rohrspatz – zuletzt aber, wie sie gesehn hat, daß doch nichts Andres hilft, hat sie klein beigegeben und ist über den Stock gesprungen, wie der best dressirte Pudelhund … die Röcke sind nur so geflogen!“

Wildes Gelächter begleitete die Erzählung, in das auch der Feichtenbauer einstimmte, obwohl bei nüchternem Verstande ihm wohl kaum entgangen wäre, daß die einer Standesgenossin zugefügte Schmach mittelbar auch ihn treffe; die andern Bauern lachten gezwungen, sie wollten es mit dem Muthwillen des jungen Volkes nicht aufnehmen. Dadurch ermuntert, reihten die Bursche Erzählung an Erzählung und prahlten, wie draußen im Flachlande die jungen Leute den unbeliebten Landgerichtsoberschreiber zwangen, ihnen mit ausgespannten Armen das Vaterunser vorzusagen, und wie ein andermal ein wegen seiner scharfen Predigten gegen die sündhafte Tanzlust mißliebiger Pfarrer genöthigt wurde, auf offener Straße eine Menuett aufzuführen.

Ueber dem Lärmen und Schreien war der Eintritt eines weitern Gastes um so minder beachtet worden, als derselbe gleich unmittelbar neben der Thür Platz nahm, nachdem er einen ansehnlichen Holzkasten, den er als Rückenbürde trug, auf die Bank abgesetzt, und der ihn begleitende Spitzhund sich hart unter demselben und zu den Füßen seines Herrn niedergekauert hatte. Der Händler war ein bejahrter, aber immerhin noch rüstiger Mann, der, als er die Mütze abnahm, sich den Schweiß der Wanderung abzuwischen, einen fast ganz kahlen Scheitel entblößte; der blaue Staubkittel, den er trug, verrieth, daß er sehr arm oder sehr sparsam war, und dafür sprach auch, daß das Glas Bier, das er sich genügsam geben ließ, ihm nach Mühe und Hitze trefflich mundete. Er schien anfangs das Gespräch am Fenstertische gar nicht zu beachten; als es ihm nicht mehr entgehen konnte – war er keineswegs davon erbaut, schüttelte den Kopf und schob zuletzt seinen Krug mit einer nicht mißzuverstehenden Geberde des Unwillens und einem kurzer Lachlaute von sich.

Die Bursche, die ihn jetzt gewahrten, steckten die Köpfe zusammen, und der Keckste, der rothe Steger-Martl, rief herüber: „Heda, Landsmann … Du da hinten an der Thür …“

„Soll das mich angehn?“ fragte der Mann gelassen und wandte ihnen halb das Gesicht zu. „Ich wüßte nicht, daß wir miteinander Schwein’ gehütet hätten und Du und Du geworden wären, und Euer Landsmann bin ich auch nit …“

„Das hören wir an Eurer Sprach’,“ entgegnete der Bursche, „daß Ihr ein Blitzschwab’ seid – aber Ihr habt vorhin gelacht bei dem, was ich erzählt hab’, und da will ich Euch nur fragen, ob Ihr was dawider einzuwenden habt – ob Euch ’was nit recht ist? …“

„Ich sitz’ hier in offener Schenk’!“ erwiderte der Händler so kaltblütig wie zuvor, „und bin ein Gast wie jeder andere; ich frag’ nicht, was Andre an ihrem Tisch treiben, und brauche mich nicht fragen zu lassen, was ich an dem meinigen thue – aber damit Ihr nicht etwa glaubt, ich fürchte mich vor Euch, so kann ich Euch wohl sagen, über was ich gelacht habe … über Euch, weil Ihr damit groß gethan, wie Ihr an wehrlosen Menschen Euren Muthwillen ausgeübt habt, so Viele über Einen, so viele Bursche über ein altes Weib, und weil ich mir vorgestellt hab’, wie es wohl wär’, wenn Ihr einmal dabei an den Unrechten kämt!“

„So?“ sagte Martl, der aufgestanden war und sich mitten [757] in die Stube stellte. „Wenn Ihr uns in den Weg gekommen wärt und wir hätten von Euch verlangt, Ihr solltet Menuett tanzen, da wärt Ihr wohl gar der Unrechte gewesen?“

„Das glaub’ ich schier selber,“ sagte der Mann, indem er ruhig sitzen blieb, aber kein Auge von dem Burschen verwandte.

„Na – dann könnten wir’s ja da auch probiren,“ neckte Martl weiter und trat etwas näher. „Wir wollen’s gleich auf der Stell’ miteinander abmachen! Was thätet Ihr wohl sagen, wenn ich von Euch verlangte, Ihr sollt da auf den Tisch hinaufsteigen und aufwarten wie ein Pudel?“

„Ich würde Nein sagen,“ antwortete der Krämer fest.

„Und wenn ich Euch,“ fuhr Martl fort und hob drohend seinen Stock in die Höhe, „meinen Hainbüchenen da zeigen thät?“

„Dann ließ ich dem, der einen Hund aus mir machen wollt’, durch meinen Hund antworten,“ sagte der Krämer. „Paß’ auf, Löw’!“ Dabei stand er auf und griff ruhig nach seinem Kruge, ihn auszutrinken, der Spitz aber war aus seinem Versteck hervorgebrochen und lag nun, den Kopf auf die Füße duckend, sprungbereit auf allen Vieren da. So unansehnlich das Thier war, funkelten doch seine Augen so bedenklich, es knurrte und fletschte die Zähne so grimmig, daß der überraschte Bursche unwillkürlich zurücksprang und in eine Fluth von Scheltworten ausbrach. „Himmelsacrament,“ schrie er, „das ist keine Art und Manier … bietet Eurem Hundsvieh ab, Ihr seid ein dummer Mensch, der keinen Spaß versteht.“ …

„Auf einen solchen Spaß wenigstens bin ich nicht eingerichtet,“ sagte der Krämer, indem er die Tragriemen seines Kastens über die Schultern schlang und nach der Mütze griff. Martl hatte sich grimmig zurückgezogen, aber er wagte nicht weiter etwas gegen den Mann zu unternehmen, denn seine Flucht war so eilig und sonderbar gewesen, daß die Bauern und selbst seine Genossen in lautes Gelächter ausbrachen und der kalten Entschlossenheit des Hausirers ihren Beifall nicht versagen konnten. Der am lautesten lachte, war wieder der Feichtenbauer, der den Mann durchaus veranlassen wollte, zu bleiben und an dem Gelage theilzunehmen. „Gut hast Deine Sach’ gemacht, Du Blitzschwab!“ rief er. „Da komm’ her und trink’ ein Glas’l mit mir … was hast denn in Deinem Kasten? Mit was handelst denn? Leg’ aus Deine Waar’, ich kauf’ Dir s’ ab … ich kann’s zahlen! Was kostet der ganze Bettel?“

Der Hausirer war furchtlos hinzugetreten und that aus dem gebotenen Glase Bescheid. „Mit kleiner, leichter Silberwaare, Herr,“ sagte er, „mit Leinwand, Tüchern und allerhand schöner Schnittwaar! Ich hab’ Spitzen, so fein wie Spinnweb’, die taugen überall hin, an ein Taufgewand, an ein Todtentuch, oder an einen Hochzeitsschurz …“

„Hahaha,“ lachte der Bauer, „mit dem Todtentuch soll’s noch eine gute Weil’ haben, denk’ ich – aber einen Hochzeitsschurz könnt’s wohl absetzen und ein Taufgewand.“ … Dabei stieß er Domini mit dem Ellenbogen in die Seite und blinzte ihm zu, daß die Bauern einander ansahen und zunickten, als wenn sie sagen wollten, daß ihnen nun über Manches ein Licht aufgegangen. „So pack’ aus, Kramer,“ fuhr er fort, „laß sehn, was man brauchen kann!“

„Ich kann nicht,“ erwiderte dieser, „ich bin auf Mittag zu dem Herrn Pfarrer von Kreuzling bestellt … ich hab’ noch zwei gute Stunden zu gehn und darf die Kundschaft nicht versäumen - der hochwürdige Herr will ein ganzes Altargewand kaufen.“ …

„Wie viel ist’s denn schon?“ sagte Domini und zog seine Uhr hervor, daß die Kette über seine Hand herabhing und die Aufmerksamkeit des Händlers auf sich zog. „Eine schwere Kette,“ sagte er, indem er sich vorbeugte und sie betrachtete, „und sauber gearbeitet … das ist ein Schwäbischgemündnerstück … ist Euch die Kette nicht feil? Mir gefallt sie besonders wegen dem Napoleonskopf, der auf der Walze eingegraben ist.“

„Nein,“ rief Domini lachend, „das ist sie nicht! Hättet Ihr Lust dazu? Will’s glauben, daß sie Euch in den Kram taugte … aber ich hab’ selber meine Freude daran. … Laßt dafür Eure eigne Waare ansehn. …“

„Es geht nicht,“ entgegnete der Händler. „Ihr werdet nit wollen, daß ich das gute Geschäft versäum’, wegen dessen ich eigens den weiten Weg gemacht hab’ … es ist bald elf auf Eurer Uhr, ich muß fest auftreten, damit ich noch zur rechten Zeit nach Kreuzling komm’ … aber wenn’s Euch so recht ist und mir der Herr ’was zu lösen geben will, so dürft Ihr mir’s nur sagen, wo Ihr daheim seid, und wenn Ihr mir für die Nacht ein Plätzchen in Eurem Stadel geben wollt, will ich noch vor Abends bei Euch einsprechen und Alles auspacken, was ich habe. …“

Der Bauer war es zufrieden, er hatte nicht nöthig, die Lage seines Gutes erst lange zu beschreiben, der Krämer kannte es bereits.

„Ein schöner Hof,“ sagte er, „ich kenn’ ihn lang’, man sieht ihn ja stundenweit, aber er liegt doch so weit ab, daß mich mein Weg noch niemals hingeführt hat … dafür will ich heut’ kommen und gehe jetzt meiner Handelschaft nach, und damit Adies.“ … Er ging; an der Thüre aber wandte er sich und rief lachend zurück: „Paß’ auf, Löw’ – daß uns Niemand den Weg verlegt!“

Lachen begleitete ihn, und die erst so feindliche Begegnung schien vollkommen friedlich verlaufen zu wollen, als er nochmals zurückkehrte und dem Wirthe zurief: „Da fällt mir eben ein, daß ich noch etwas vergessen habe. … Ich bin heut’ Morgens da drüben in der Thalschlucht an der einzelnen Mühle vorbeigekommen, die Müllerin ist eine Kundschaft von mir … Ihr werdet sie ja kennen, Wirth?“

„Freilich,“ rief dieser, „sie ist sogar eine weitschichtige Bas’ von mir, die Rohrmüllerin … was ist’s da mit ihr?“

„Ich habe nachgefragt, ob sie diesmal nichts braucht,“ erzählte der Krämer, „aber die Frau ist ganz auseinander gewesen und ganz verwirrt … ihr Sohn ist in der vorigen Nacht so arg geschlagen und verwundet worden, daß er im Bett liegen muß und fast nichts von sich weiß … sie läßt Euch bitten, Ihr sollt ihr von dem Wunderbalsam schicken, der so heilsam sein soll. Ihr wißt schon welchen, hat sie gesagt …“

„Gleich will ich den Buben damit hinüberschicken,“ rief der Wirth, indem er den Balsam aus einem Schrank hervorholte und die Ueberbringung anordnete. „Aber was ist denn mit dem Müller Hies geschehn? Wer hat ihm denn was gethan?“

„Das weiß ich nicht,“ erwiderte der Hausirer. „Die Mutter sagte, er wolle bald heirathen, seine Braut wohne im nächsten Dorf – er habe sie besuchen wollen und sei von dort so zurückgekommen …“

„Aha!“ riefen die Bursche lachend, „er ist Gassel gegangen und die Dorfbuben werden ihn ein Bissel gescheitert und gewasen’t haben …“

„Gescheitert?“ fragte der Krämer verwundert. „Was soll denn das heißen?“

„Da merkt man’s,“ entgegnete Steger-Martl, „daß Ihr nit bei uns daheim seid, weil Ihr unsre Brauch’ nit kennt! Wenn ein Bursch zu seinem Schatz Gassel geht und am Kammerfenster mit ihr discutiren und spenzeln will, nachher passen ihm die Buben auf und leiden’s nit, und wenn er nit aus dem Dorf ist, wird er hinausgejagt und wird mit Wasen (Wasenstücken) und Holzscheitern geworfen, bis er’s gut sein laßt oder bis er sich einmal stellt und sich durchrauft …“

„Nun, das muß wahr sein,“ rief der Krämer, indem er sich wieder zum Gehn anschickte, „Ihr habt schöne Gebräuche hier zu Land’ …“

„Oho!“ tönte es ihm vielstimmig entgegen, „wem es nicht gefallt bei uns, der braucht ja nicht da zu bleiben! Der Bändelkramer könnt’ auch was Gescheidres thun, als sich über die Leut’ aufhalten, die ihm seine Fetzen abkaufen sollen! So ist’s einmal Brauch bei uns und soll’s bleiben, und wem’s nit recht ist, dem machen wir’s recht!“

Hätte der Hausirer sich nicht so schnell auf die Beine gemacht, es wäre wohl möglich gewesen, daß die Bursche, auf den ersten Disput zurückkommend, die Doppelrechnung nachträglich auf einmal ausgeglichen hätten. Als man ihn nicht mehr sah und als Domini wieder die Cithersaiten schwirren ließ, wurde er vergessen; die Gläser wurden wieder eifriger gefüllt und dazu klangen die Schnaderhüpfeln und Trutzreime in der Runde:

„Und wer will a richtiger
Gasselbub’ wer’n,
Der darf sich um’s Was’nen
Und Scheitern nit scher’n!“

begann Domini, und der Steger-Martl fuhr fort:

[758]

„An’s Was’nen und Scheitern,
Bue, darfst Dich nit kehr’n.
Wer das Gasselgehn fürcht’,
Hat sein Diendel nit gern!“

Ein Dritter aber schnalzte mit der Zunge, klatschte in die Hände und sang dazu:

„Das ist die recht’ Gaudi,
wenn All’s a so fliegt,
Nacha weiß ’s Diend’l doch,
Daß ’s kein Lettfeigen kriegt!“

Die Unterhaltung wurde immer lauter, die Gäste immer lustiger. Der Feichtenbauer hatte völlig vergessen, daß es noch eine Tochter gebe, auf die er zu warten habe; desto mehr gedachte Domini daran und wurde immer unruhiger, je länger deren Erscheinen sich verzögerte. Der Wallfahrtsgottesdienst mußte längst zu Ende, die kurze Wegstrecke von der Kirche zum Bergwirthshause längst zurückgelegt sein, wenn nicht unterwegs ein Aufenthalt stattgefunden … er gedachte des Umstandes, daß Wendel von dem Bauern loszukommen gesucht, und glaubte auf einmal die wahre Ursache davon zu errathen; er sah dessen Miene, als ihm angekündigt worden, er habe die Tochter zu erwarten und zu geleiten … und die einzelnen Funken fanden und trafen sich immer mehr und loderten zu Einer Flamme zusammen, die ihn bald nicht mehr rasten ließ und die Cithersaiten unter seinen Fingern glühen machte. Eine Weile rang er noch mit sich, es war ihm unerwünscht, den Bauer in seinem Zustande mit den Anderen allein zu lassen und vielleicht zu Fragen und Einflüsterungen Gelegenheit zu geben, die ihm unangenehm sein konnten – endlich gewannen Sorge und das Verlangen, sich Gewißheit zu verschaffen, die Oberhand, ein flüchtiger Blick auf die Zecher und den Bauer ließ ihn hoffen, daß mindestens für einige Augenblicke nichts zu befürchten sei.

„Ich will doch meiner Hochzeiterin ein Bissel entgegen gehn,“ raunte er dem Alten zu, „vielleicht kann ich gleich meinen Spruch anbringen,“ und verließ, von dem Nicken und Lachen desselben begleitet, die Stube.

Das Liebespärchen war indessen in traulichem Gespräch still und langsam seinen schönsten Lebensweg gewandelt, beschäftigt mit Entwürfen und Hoffnungen der Zukunft, die, unter jedem ihrer Schritte aufsprossend, sie grün und blüthenreich umgaben, wie die Saaten und Sträucher um sie her, oder sich selbst erfreuend mit Rückschau in die Vergangenheit und dem Aufsuchen der ersten Keime, aus denen die beglückende Neigung sich entfaltet. Sie waren Beide so schön in ihrer Liebe, klar und rein wie der Himmel über ihnen, daß es schien, als ob die Natur um sie her sich ihres Bundes erfreue, als ob ihretwegen die Büsche festlicher rauschten, die Vögel zärtlicher sängen und die Sonne goldener schiene.

Als sie am Eingange des Dorfes angelangt waren, blieb Christel stehn und hieß Wendel vorangehn und den Vater von ihrem Kommen verständigen; sie wolle in dem Wirthshause nicht verweilen, sondern trachten, daß sie eilig nach Hause kämen – dort wolle sie dann Alles entdecken und in Ordnung bringen. „Jetzt,“ sagte sie, „will ich noch einen Augenblick bei der alten Bäckin einkehren; ich hab’ es ihr versprochen und muß es wohl halten, denn wenn sie nicht gewesen wär’ und mir Alles erzählt hätte, wär’s jetzt nicht so schön, wie es geworden ist.“ …

Wendel war bereit. „Ich geh’ schon,“ sagte er, „zuvor aber gieb mir noch einmal Deine Hand und sag’ mir’s noch ’mal, damit ich’s glauben kann, daß alle die Glückseligkeit nit bloß ein Traum und eine Einbildung ist … sag’ mir, daß Du mich gern hast, Christel …“

„Von Herzen,“ sagte sie, ihm die Hand reichend und mit einem Blick, in dem ihre ganze Seele offen lag. „Ich will Dein Weib werden, Wendelin, und niemals von Dir lassen – niemals, so gewiß als ich einmal in den Himmel kommen will …“

„Und ich will Dich gern haben – über Alles,“ rief Wendel und drückte ihr feurig die Hand, „wie meinen Schutzengel! Aber ich will Dich auch nimmermehr lassen. … O mein Gott, wenn ich mir’s jetzt nur denke, daß Dich mir Jemand nehmen wollt’ … daß der Vater vielleicht Nein sagen könnt’ … Christel, ich weiß nit, was ich im Stand’ wär', zu thun! Bei der bloßen Einbildung steigt es mir ganz heiß auf und wird mir völlig schwarz vor den Augen …“

„Sei nit so wild, mein Bub’,“ sagte sie mit lieblichem Lächeln, „es steht Dir zwar recht gut an, wenn Du das Göschel so in die Höh’ ziehst in Deinem Eifer – aber ich kann’s nit leiden, das übertriebene Wesen! Sorg’ Dich nit – der Vater sagt nit Nein und es nimmt mich Dir auch Niemand, denn zum Nehmen gehören Zwei, Einer, der nimmt, und Einer, der sich nehmen laßt … Aber noch einmal, sei mir nit so wild; ich hab’s schon öfter gemerkt an Dir, daß Dich die gahe Hitz’ so überkommt – das mußt’ Dir abgewöhnen, Wendel – das ist nichts nutz’ …“

„Ja – ja – ja,“ rief der glückliche Bursche entgegen, „ich will ja Alles thun, was Du verlangst – ich will so fromm und so gut werden, wie Du ’s selber bist … aber mit Dir, Christel, mit Dir … Du mußt mich erst dazu machen!“

Sie schüttelten sich noch einmal die Hände und trennten sich, Wendel ging den Wiesenpfad hinter den Obstgärten des Dorfes entlang, das Mädchen trat in das bezeichnete Haus.

Unbeachtet und ungeahnt von Beiden war inzwischen Domini auf einer kleinen Erhöhung des nächsten Gartens gestanden und Zeuge ihrer Unterredung geworden; der Weindunst war ihm völlig verflogen, sein Gesicht noch blässer und verzerrter als sonst, denn wenn er auch zu weit entfernt war, die Worte des Gesprächs verstehen zu können, ließen doch die ganze Haltung desselben und jede Geberde erkennen, daß der Inhalt nicht von der Art war, wie sie zwischen Herrin und Knecht zu erwarten war. Knirschend biß er die Zähne übereinander, ballte die Fäuste und griff nach der Tasche, als wolle er ein Messer hervorziehn; eine Weile hatte er geschwankt, ob er nicht umkehren und den Bauer als Augenzeugen herbeirufen solle … dann rannte er die Anhöhe herab, entschlossen, um nicht blinden Lärm zu machen, sich vor Allem selbst volle Gewißheit zu verschaffen.

Er hatte nicht lange an dem Hause, in das Christel eingetreten war, zu warten; nach kurzem Aufenthalte trat selbe auf die Schwelle, sich mit heiterem Lachen verabschiedend – es brach ab und machte einem Laute der Ueberraschung Platz, als sie, um die Ecke biegend, plötzlich Domini gegenüber stand. Ein unerklärlich widriges Gefühl überkam sie, als sie in das blasse verzogene Gesicht und die boshaft funkelnden Augen des Burschen sah; es war, als ob eine eisige Hand ihr plötzlich an das heiß pochende Herz greife, und ein grausender Schauer überflog sie, wie er Jenen befällt, der im Begriff, Blumen zu pflücken oder Früchte zu sammeln, plötzlich die kalte Haut der Schlange berührt, die unter den Stengeln und Blättern auf der Lauer liegt.

„Grüß Gott,“ rief er ihr mit höhnischem Lachen zu, „die Jungfer Christel laßt hübsch lang’ auf sich warten – die Zeit muß ihr geschwinder vergangen sein, als anderen Leuten …“

„Was wollt Ihr?“ erwiderte sie, noch immer betroffen. „Wie kommt Ihr da her?“

„Wie ich da her komme? Was ich will?“ spottete Domini. „Das wird die Jungfer schon erfahren – das wird ihr schon Jemand Anderer sagen … aber jetzt bin ich einmal da und hab’ ihr Grüß Gott gesagt, da mein’ ich, thät’ sich’s vor Allem gehören, daß sie mir dankt und mir auch Grüß Gott sagt!“

„Ich bleib’ keinem Menschen Red’ und Antwort schuldig,“ entgegnete Christel, sich fassend, „aber für Euch hab’ ich kein Grüß-Gott und kein Dank-Gott … ich fürcht’, ich thät’ mich versünden, wenn ich bei Euch unsern Herrgott in den Mund nähm’. … Habt Ihr mir nit versprochen, daß Ihr mir nie mehr in den Weg kommen wollt, mein Leben lang?“

„Ho … Zeit und Weil’ sind ungleich,“ rief er hinwider, „es geht nit allemal, wie man sich’s einbildet! Wenn es mich nun reuen thät’, was ich versprochen hab’? Wenn ich nicht leben könnte ohne die Jungfer Christel und wäre deswegen wieder gekommen? Warum ist denn die Jungfer gerade gegen mich so zuwider und harb’?“ setzte er mit lauerndem Blick hinzu. „Es ist doch nit alleweil’ so gewesen …“

Eine dunkle Gluth der Scham und des Unwillens flog über das Antlitz des Mädchens. „Freilich ist’s einmal anders gewesen,“ sagte sie mit erhöhter Stimme, „freilich bin ich dummes Ding einmal schon auf dem Wege gewesen, Euch für ’was zu halten, was Ihr nit seid – aber mein Schutzengel hat mich glücklich davor bewahrt und hat gemacht, daß mir die Augen aufgangen sind, noch zur rechten Zeit … drum laßt mich meiner Weg’ gehn und kommt mir nit wieder vor’s Gesicht, sonst bin ich auch von meinem Versprechen frei und sag’ dem Vater Alles!“

[771] Domini brach in rohes Gelächter aus. „Sagen? Was will ihm die Jungfer denn sagen?“ rief er. „Das ist doch nichts Besonderes, daß einem Burschen ein Madel gefällt, und daß er ihr nachgeht, wie ich der Jungfer nachgegangen bin! Der Vater wird mir nit den Hals umdrehn, wenn er erfährt, daß ich in früherer Zeit blos ihretwegen so oft auf dem Feichtenhof eingekehrt bin! Wenn ich’s verstanden hätt’, mich zu verstellen und den scheinheiligen Duckmäuser zu machen, könnt’ ich jetzt schon lang’ Feichtenbauer sein. … Was hab’ ich denn gethan, als daß ich ihr Sachen in’s Ohr gesagt hab’, die der Pfarrer auf seiner Kanzel freilich nit predigt, und hab’ mich in ihre Kammer geschlichen …“

„Und daran mahnt Ihr mich selber?“ zürnte Christel. „Zum letztenmal … geht mir aus dem Weg, oder ich vergreif’ mich an Euch!“

„Oho – vor dem Zorn fürcht’ ich mich nimmer,“ entgegnete Domini mit steigender Frechheit. „Wer weiß, wenn ich mich selbigesmal von dem Schiechthun nit hätt’ abschrecken lassen, ob jetzt nit Alles ganz anders wär’! Jetzt glaub’ ich der Jungfer Christel nimmer, wenn sie sich so zimpferlich anstellt, jetzt weiß ich, was ich weiß – aber freilich, das hätt’ ich mir im Traum nit einfallen lassen, daß die sittsame Christel es sich so still, so commod einrichten thät’, im eignen Haus mit dem Knecht …“

„Da habt Ihr, was auf eine solche Red’ gehört – schlechter Kerl …,“ rief das Mädchen auflodernd und gab ihm einen so kräftigen Schlag in’s Gesicht, daß er von der Wucht desselben und vor Ueberraschung zurücktaumelte. Dies währte jedoch nur einen Augenblick – im nächsten hatte er mit dem Ansprung eines wilden Thieres die rasch Entfliehende wieder ereilt und hielt sie gefaßt, daß sie sich kaum zu regen vermochte. „So?“ keuchte er bebend vor Wuth, und zog sie, trotz ihres Sträubens, immer enger an sich. „So gehst Du mit mir um? Hab’ ich nit gesehn, wie Du Dir das Schmeicheln und Streicheln hast gefallen lassen, und mich willst Du kratzen? Wart’, Wildkatze, ich will Dir die Krallen stutzen …“

Christel hatte sich von der ersten Betroffenheit über den Angriff rasch gesammelt und setzte ihm einen so entschiedenen und kräftigen Widerstand entgegen, daß es zweifelhaft schien, wer die Oberhand behalten würde, aber der Ringkampf blieb unentschieden, denn unter den Bäumen stürzte Wendel hervor, packte Domini im Nacken und schleuderte ihn mit solch’ überlegener Gewalt hinweg, daß er zu Boden stürzte. Im Wirthshause angekommen hatte er den Bauer erblickt und war sofort umgekehrt, um die Tochter von dessen Zustand in Kenntniß zu setzen. „Da komm’ ich ja gerad’ recht,“ rief er im Hinzuspringen aus, „heut’ habt Ihr mich abgelöst – jetzt geb’ ich’s zurück und löse Euch ab …“

Das Dazwischenkommen war so entschieden und plötzlich, daß von keiner Seite ein Wort weiter gesprochen wurde. Christel nickte dem Helfer mit dankendem Blick zu, Domini raffte sich auf und eilte auf anderem Wege fort; hinter ihm schritt Wendel, ihn bewachend, falls er eine neue Unbill beabsichtigen sollte.

Er hatte eben die Mitte der Dorfgasse erreicht, als am obern Ende desselben die Hüglinger Bursche erschienen, die inzwischen, zu neuen Streichen ermuthigt, sich aus dem Wirthshause aufgemacht hatten; er achtete nicht auf sie, und gewahrte nicht, daß ihnen Domini im Vorbeigehn einige Worte, als wäre es ein Gruß, zurief. Desto schärfer war er bereits von ihnen in’s Auge gefaßt, denn auch ohne Domini’s hetzenden Zuruf hatten sie ihn an der ungewohnten Tracht als einen Fremden erkannt; sie riefen sich zu und zogen mit verschränkten Armen, die ganze breite Straße absperrend, unter lärmendem Gesang dem Kommenden entgegen.

Wo der Dorfbrunnen aus hölzerner Röhre in den zur allgemeinen Tränke dienenden Trog niederrauschte, machten sie Halt.

„Stock an!“ rief der Anführer Wendel zu. „Schau fein, daß Du uns nicht nieder gehst, Bergler … mit Deinem Gemsbart und dem Spielhahnstoß auf’m Hut! Haben sie was zu bedeuten, die Hahnenfedern? Wie – laß’ mich’s in der Näh’ anschau’n … ich thu’ Dir s’ runter!“

„Kannst es ja probiren!“ erwiderte Wendel und trat zu seiner Deckung ein paar Schritte zurück. „Was wollt’s von mir?“ rief er, als die Bursche, darin ein Zeichen von Furcht erkennend, nachdrängten.

„Das siehst ja, was wir wollen!“ entgegnete Martl. „Du tragst das Berglergewand, und dienst auf’m Feichtenhof … wir aber leiden keinen fremden Burschen in der Gemeind’ und wollen einen Hüglinger Buben aus Dir machen, wie’s der Brauch ist …“

„Brauchst keine Sorg’ zu haben ,“ lachte ein Anderer, „wir thun Dir nit weh … Du wirst blos an Füßen und Armen in die Höh’ geschutzt und wieder aufgefangen’, dann tauchen wir Dich [772] dreimal im Brunnen unter, und dann bist ein richtiger Hüglinger-Bub …“

„Und wenn Du nit willst,“ rief Martl wieder, „dann hast Du’s mit allen Burschen in der ganzen Gemeind’ zu thun; dann leiden wir Dich nit und wollen Dir’s schon so salzen, daß Du gern wieder gehst …“

„Laßt mich in Ruh’,“ erwiderte Wendel, als er zu Worte kam, „ich will in der Gemeind’ bleiben, als ein ordentlicher Bursch und will gut auskommen mit Euch Allen … aber solche Sachen mach’ ich nit mit. … Also aus der Bahn! Das ist mir zu dumm!“

„Was? Schimpfen willst Du auch noch?“ schrie es ihm zugleich aus einem Halbdutzend Kehlen entgegen. „Packt an, Buben, jetzt muß er erst recht geschutzt werden …“ Im nächsten Augenblick war er umringt und die Bursche hingen von allen Seiten an ihm, wie eine Meute, die das erreichte Wild zu Boden zerren will. Diesmal aber waren sie wirklich an den Unrechten gekommen; mit einer Kraft, die sie dem sehnigen Burschen nicht zugetraut hatten, fühlten sie sich bald geschüttelt und hinweggeschleudert, daß sie wie reife Nüsse zu Boden kollerten – ein paar der Hartnäckigsten faßte Wendel am Nacken und stieß sie aneinander, daß sie verblüfft standen und keine Miene machten, den Sieger, der sich eilig davon machte, zu verfolgen. Stumm und ärgerlich sahen sie einander an, schüttelten Koth und Staub von den Kleidern, und Martl, nachdem er seine fünf Sinne zusammengelesen, ballte ihm die Faust nach und rief: „Lauf’ nur zu, wir holen Dich doch schon ein und dann raiten wir schon ab miteinander!“

Inzwischen war Christel eilenden Schritts in die Nähe des Bergwirthshauses gekommen, aus dem ihr schon von ferne Schreien und Singen entgegen tönte. „Das ist einmal spaßig,“ sagte sie, indem sie aufhorchend einen Augenblick anhielt, „das ist gerad’ als wenn das die Stimm’ vom Vater wär’ … aber das kann ja doch nit sein; das Gehör muß mich täuschen …“

Jetzt hatte sie das Haus erreicht und die Thür geöffnet und blieb auf der Schwelle stehn, wie versteinert von dem Anblick, der sich ihr bot. „… Vater …“ wollte sie rufen, aber das Wort erstarb ihr in der Kehle, denn der, den sie so zu nennen gewohnt war, war kaum wieder zu erkennen. Das graue halbkahle Haupt glühte vom Uebermaß des genossenen Weins, die Augen starrten, und die Zechgenossen, die zuletzt selbst ihren Spott mit ihm getrieben, hatten die Stöpsel der geleerten Flaschen an eine Schnur gereiht und ihm wie eine Halskette umgehängt, auf die der Betrunkene in blödem Stolz lachend herniedersah. Als er die Tochter erblickte, mochte ein Gefühl in ihm aufdämmern, wie weit er sich vergessen habe; etwas unsicher erhob er sich und rief ihr lallend entgegen: „Kommst endlich, Christel? Hast mich lang genug warten lassen … jetzt setz’ Dich auch her zu mir und laß Dir’s schmecken; ich hab’ heut’ meinen lustigen Tag. … Trink’, sollst leben, Christel, und Dein Hochzeiter daneben!“

Die Erstarrung des Schreckens wich aus Gliedern und Antlitz des Mädchens; dafür quoll ihr Gemüth über vor Entrüstung und Scham. „Vater,“ rief sie und stand mit ein paar Schritten am Tisch, „was soll das geben? Da seh’ ich wohl, daß ich lang ausgeblieben bin, aber ich hab’ nit gewußt, daß der Feichtenbauer ist wie ein kleines Kind, das man keine Stund’ allein lassen darf …“ Dabei hatte sie mit fester Hand die Schnur mit den Stöpseln ergriffen, abgerissen und mit Abscheu wie ekles Ungeziefer weithin in die Stube geschleudert.

In dem umnebelten Gehirne des Alten begann es immermehr sich zu lichten; das Gefühl begangenen Unrechts und die Beschämung, vor dem eigenen Kinde so dazustehn, stieg immer mächtiger in ihm auf, aber noch behaupteten die wilden Geister die Oberhand und wandelten das Schamgefühl in Erbitterung gegen die, welche es hervorgerufen. „Was unterstehst Du Dich, Du Balg?“ schrie er auftaumelnd. „Willst Du Dich an Deinem leiblichen Vater vergreifen? …“

„Gott soll mich bewahren vor einer so schweren Sünd’,“ erwiderte Christel fest, „aber wo Gefahr ist, fürcht’ ich mich nit, zuzugreifen! Du weißt, Vater, daß Dir der Wein verboten ist, weil er Gift für Dich ist … Du weißt, was Du verlobt hast, weil die Schmerzen nachgelassen haben in Deinen Händen … ist das die Manier, wie der Feichtenbauer sein Wort halt?“

„Christel,“ rief der Alte wieder, indeß die Zechgenossen sich allmählich bei Seite stahlen, „red’ nit so mit Deinem Vater – ich vertrag’s nit! Ich bin der Herr vom Haus: was ich sag’, das muß geschehn und was ich thu, muß einem Jeden recht sein … also widersprich mir nit, sondern setz’ Dich her zu mir und bleib’ da – ich hab’ Dir ’was Wichtiges zu sagen …“

„Ich bleib nit, Vater,“ entgegnete sie, „aber ich bitt’ Dich dafür, mach’ Schand und Spott ein End, und laß einspannen, daß wir heimkommen!“

„Ich will aber noch nit heim,“ lärmte er entgegen, „ich will nit eher heim, als bis mein Schwiegersohn da ist …“

„Vater …“ sagte Christel erröthend und etwas verwirrt, weil sie die Rede nicht zu deuten wußte, „so ’was gehört nit da her in die Wirthsstuben! Geh’, Vater, ich bitt Dich noch einmal, was ich bitten kann, laß’ einspannen … mach’, daß wir heimkommen!“

„Ich will nit,“ rief der Alte und machte sich los, als sie ihn am Arme gefaßt hatte, „ich muß warten, bis mein Schwiegersohn, der Domini, da ist … und ich will Dir’s nur sagen, Christel, der Domini wird Dein Mann, ich hab’s ihm versprochen und will haben, daß Ihr einander gleich da in meiner Gegenwart das Jawort gebt!“

„Der Wein redt aus Dir, Vater,“ entgegnete Christel unwillig … „wenn’s um mein Jawort geht, muß ich zuerst gefragt werden – dafür hab’ ich Dein Wort; das aber weiß ich gewiß, der Domini kriegt’s nit!“

„Was, Du willst Dich sperren gegen mich?“ rief der Bauer … „Jetzt soll’s erst recht so sein ... Wenn er nur gleich da wär’ … Domini, Schwiegersohn, wo steckt er denn?“

„Da bin ich, Feichtenbauer,“ erwiderte der Bursche, der eingetreten war und mit boshaftem Lachen sich mitten in die Stube stellte, „mußt mich aber recht verstehn,“ fuhr er fort, „der Domini ist da – aber mit dem Schwiegersohn ist es nichts! Hast die Rechnung ohne den Wirth gemacht, Feichtenbauer, und spürst gar nit, daß der Marder schon im Taubenschlag ist … wirst doch das Gesangl kennen, das uralte:

Die Liebschaft im Haus
Ist gar selten ein Gwinn:
Was D’ in Schuhen ersparst,
Geht in Strümpfen dahin …“

Dem Alten war’s, als würde er plötzlich mit eiskaltem Wasser übergossen. „Wie wär’ das …“ stieß er mit unsicherer Stimme heraus, indem sein Rausch immer mehr zu verfliegen begann … „Was soll denn das eigentlich heißen?“

„Das soll heißen, daß Du zu spät gekommen bist,“ höhnte Domini, „und daß Deine Tochter Dir schon einen Schwiegersohn ausgesucht hat.“

„… Christel …“ stammelte der Alte, während das Mädchen, überrascht von der Entdeckung, die sie so plötzlich und schlimm hereinbrechen sah, keines Wortes mächtig vor ihm stand.

„Freilich,“ fuhr der Bursche immer giftiger fort, „ob’s Dir recht sein wird, das weiß ich justament nit … das einzige Kind von dem steinreichen Feichtenbauern und ein armseliger Berglerbub, ein nothiger Bauernknecht …“

Der Bauer war vollständig nüchtern geworden; er stürzte auf Domini los und packte ihn am Halse. … „Wer?“ würgte er hervor. „Red’, Kerl, oder ich erdrossel’ Dich … Red’ und gesteh’s ein, daß Du gelogen hast … oder sag’ wer?“

„Laß meinen Janker los,“ sagte Domini und schob ihn unsanft von sich. „Was fragst mich, wenn Du’s nit glauben willst? Da steht ja Deine Tochter selber … sie soll sagen, ob ich sie nicht angetroffen hab’ bei dem Schönthun und Spenzeln … sie soll sagen, ob sie’s nicht mit Deinem Knecht hat, dem Wendel …“

Der Alte brachte keinen Laut hervor, einem halb Wahnsinnigen ähnlich, stand er mit geballten Fäusten vor Christel, als wolle er die Antwort in ihren Zügen lesen, um sie dann zu Boden zu schmettern. Das Mädchen, das im Bewußtsein seiner Reinheit und Unschuld sich selber wiedergefunden hatte, überhob ihn der Mühe weitern Forschens. „Es ist mir zwar nit lieb, daß Du’s auf diese Weis’ erfahren mußt, Vater,“ sagte sie, „ich hätt’ Dir ohnehin heut’ Alles noch selber erzählt … aber es ist wahr, Vater, vor einer Stund’ hab’ ich mit dem Wendel gesprochen, da habe wir einander das Jawort gegeben. …“

„Das unterstehst Du Dich ohne mich?“ schrie der Alte. [773] „Hinter meinem Rücken? Noch dazu mit einem solchen hergelaufenen Menschen … mit einem …“

Er machte Miene, sie zu fassen, als die Thür aufging und Wendelin nichts ahnend eintrat, erhitzt vom Laufen und von der Bewegung mit den Hüglinger Burschen; kaum war der Bauer seiner ansichtig geworden, als er wie ein losgekommener Kettenhund auf ihn zusprang und ihn mitten in die Stube vor Christel hinzerrte. Der Bursche wollte fragen, was das zu bedeuten habe, aber das Mädchen rief ihm zu: „Schweig’ still, Wendel – der Vater weiß Alles, aber er will’s nit zugeben und hat mich dem Domini versprochen, aber deswegen bleiben wir doch die Alten – ich halt’ mein Wort besser als andere Leut’!“

„So? Föppeln willst mich auch noch?“ tobte der Bauer. „Jetzt will ich Dir ein Wort sagen, Madel, und das will ich besser halten, als das andere … der Domini wird Dein Mann und kein anderer kommt mir auf den Feichtenhof, eher zünd’ ich ihn an mit eigener Hand, daß er auf Grund und Boden niederbrennt! … Du gehst jetzt mit mir, Christel … ich will Dich schon verwahren und besser als bis jetzt, wo ich geglaubt hab’, ich darf Dir trauen … den nichtsnutzigen Knecht aber, der hinter meinem Rücken mit meiner Tochter anbandelt und sich in mein Sach’ hineinschleichen möcht’, den jag’ ich fort. … Da hast Deinen Lohn,“ fuhr er fort, indem er ihm eine Hand voll Thaler vor die Füße warf, „und wenn Du Dich auf tausend Schritt weit noch auf dem Feichtenhof blicken laßt, dann schieß’ ich Dich nieder, wie einen wüthigen Hund. … Mach, daß Du fortkommst, oder ich vergreif’ mich an Dir, Du Bettelkerl, Du spitzbübischer …“

„Feichtenbauer …“ stammelte Wendel, bald bleich, bald roth, beinahe sinnlos von dem ungeheuren und plötzlichen Sturz aus den Höhen des reinsten Glücks in den Abgrund völliger Vernichtung, „sag’ so was nit – ich vertrag’s nit.“ …

„Wer will mir’s wehren?“ rief der Bauer. „Ist es etwa nit wahr? Hast Du Dich nit in mein Haus geschlichen, wie ein Dieb? Hast Dich nit hineinlügen wollen, wie ein rechter Betrüger? … Aber ich hab’ mir’s gleich gedacht, denn Du hast kein Christenthum und ein solcher Mensch ist zu jeder Schlechtigkeit fähig.“ …

Wendel wäre auf ihn losgestürzt, hätten ihn nicht einige Bauern abgehalten. mit ihnen ringend rief er ihm zu: „Nimm Deine Wort’ zurück, Feichtenbauer. Ich bin arm und wenn Du mir das vorwirfst, ist das keine Schand’ für mich, aber ich hab’ nie was Unrechts gethan und bin meiner Lebtag ein ehrlicher Kerl gewesen … ich laß’ mich nit schlecht und zu keinem Spitzbuben machen und wenn’s der König oder der Kaiser wär’. … Nimm’s zurück, sag’ ich, oder es wird nit gut.“ …

Mit der Uebermacht der Verzweiflung gelang es ihm jetzt, sich loszumachen; er stürzte auf den Bauer zu – aber er erreichte ihn nicht, Christel stand abwehrend vor ihm.

„Wendel – es ist mein Vater …“ sagte sie mit voller Liebe in Ton und Blick. Aber der Verblendete hatte nicht Auge noch Ohr mehr dafür und erkannte in ihrer Abwehr nur, daß auch sie ihm entgegentrat und sich also von ihm lossagte.

„So?“ rief er außer sich, während die Anwesenden ihn umringten und zur Thür drängten. „Bist Du auch schon wider mich – ist die Ewigkeit schon vorbei und die Lieb’? Meinetwegen … aber es soll Euch geschworen sein, daß ich das nicht vergeß’!“ … Noch auf der Schwelle wandte er sich zurück und rief, die Faust erhebend und mit gellender Stimme: „Das ist Dir nicht geschenkt, Feichtenbauer – an den Spitzbuben sollst Du mir denken!“

Das Herz der armen Christel drohte in Stücke zu gehn – wie gern wäre sie dem Geliebten nachgeeilt, um ihn zu beruhigen – aber zu dem Vater rief sie die nähere Pflicht; erschöpft von den ungewohnten und übermäßigen Anstrengungen des Zorns wie der Betrunkenheit, fühlte dieser sich plötzlich von vollständiger Abspannung und Schwäche befallen. Lallend und bewußtlos brach er zusammen und mußte in ein Nebenzimmer gebracht werden, wo er erst allmählich wieder zu sich kam, um dann in tiefen betäubungsähnlichen Schlaf zu versinken.

Schweigend saß die Tochter an der Seite des Lagers und starrte durch die Thränen, die ihr Auge verschleierten, in den Regen und Sturm hinaus, mit welchem draußen ein heftiges Gewitter niederging – das unerwartet unfreundliche Ende des so schön begonnenen Tages.

Domini hatte sich längst unbemerkt davon gemacht.

Es war später Abend, als der Bauer sich so weit erholt hatte, die Heimfahrt antreten zu können. Wortlos bestiegen Vater und Tochter den Wagen, schweigend fuhren sie in die Dämmerung hinein; die Sonne war bereits im Untergehn und ließ auf den letzten Gewitterschauer, der wie ein Gürtel am Wendelstein sich hinzog, einen Regenbogen erstehen. …

Als sie zwischen finsteren Wäldern das Hügelland hinanfuhren, wo der Feichtenhof lag, war die Dunkelheit vollständig eingebrochen; nun hatten sie noch eine schwarze Waldecke zu umfahren, welche scharf umrissen in den dunkelblauen Nachthimmel hinein ragte.

„Jesus Maria! Was ist das?“ rief Christel, plötzlich zusammenschreckend. „Dort hinter dem Wald – was ist das für ein rother Schein?“

„Es ist nichts,“ erwiderte der Bauer dumpf, „der Mond wird aufgehn …“

„Nein nein,“ rief sie wieder, „für den Mond ist es zu früh … der müßte dort auf der andern Seite herauf kommen.“ …

Sie rollten um die letzte Tannenspitze.

„Heiliger Gott … es brennt … das ist der Feichtenhof,“ rief Christel; der Bauer sank mit einem dumpfen Laut in den Wagen zurück.

Vor ihm lag das stattliche Gehöft, die schöne reiche Heimath – schauerlich erhellt von den prasselnden Flammenzungen, die von allen Seiten aus Dach und Fenster hervorloderten und hoch darüber in dem schwarzen Nachthimmel wie triumphirend zusammenschlugen!




3.0 Gasselgehn.

Der Morgen stieg in voller Frische und Schönheit herauf über der verschönten und erfrischten Erde, und die Sonne kam mit so siegesgewissem Glanze, als sei es eine Unmöglichkeit, von anderen als fröhlichen Gesichtern begrüßt zu werden, als könne vor ihrer belebenben Helle keine dunkle Stelle, kein nächtlicher Flecken zurückbleiben; dennoch wollte auch vor den goldigsten Strahlen, womit sie die Baumkronen und Tannenwipfel übergoß, das unheimlich finstere Bild nicht weichen, das der Feichtenhof in seiner Zerstörung bot.

Weit herum auf der Wiesenfläche, durch welche der Weg wie durch einen Vorgarten zwischen Nußhecken, Schlehenstauden und Hagrosenbüschen zum Gebäude führte, war das schöne Gras im üppigsten Wuchse von den Füßen der zum Löschen herbeigekommenen Landleute zertreten und niedergeschleift von den Rädern der Spritzen und Wasserkufen, die rettend und helfend sich darauf herumgetummelt hatten. Näher hinan, zur rechten Seite, wo der Obstgarten lag, streckten einige mächtige Apfelbäume, an Wuchs und Edelfrucht der Schmuck und Stolz des Gehöftes, die schwarzgekohlten Aeste empor, wie Arme, welche im Ringen um Hülfe von der Vernichtung erreicht worden waren; links stieg eine riesige Fichte von seltener Schönheit hinan, ein kräftiger Stamm, den jeder Holzkundige gleich auf den ersten Blick für einen Achtziger schätzte, das uralte Wahrzeichen des Hofes, das ihm den Namen gegeben – auch sie war von der neidischen Flamme nicht verschont geblieben; die riesigen Aeste, die wie grüne Gewinde herniederhingen, waren versengt, und der heiße Athem des züngelnden Ungeheuers hatte auch den Stamm erreicht, daß die gebrannte Rinde geborsten und das geschmolzene Harz daraus hervorgequollen war, wie dunkle Thränentropfen. Mitten zwischen allen den Spuren der Vernichtung lag der eigentliche Heerd des Unglücks, das vor wenig Stunden noch so stattliche Hofgebäude, von dem nichts übrig geblieben war, als zerrissene rauchgeschwärzte Mauern, aus denen die leeren Fenster unheimlich, gleich erloschenen Augen, starrten, und um welche hie und da Trümmer des verkohlten Gebälks wie Verzierungen niederhingen, mit denen sich der Wahnsinn geschmückt; rings umher wie um den Krater eines Vulcans waren Stämme, Schutt und Gebälk gehäuft, und von innen stieg eine wirbelnde Rauchsäule empor, als schwarze Siegesfahne, die das triumphirende Element über der vollbrachten Zerstörung schwang.

Die Luft war weithin mit jenem eigenthümlichen Geruch erfüllt, welcher einen stattgehabten Brand verkündet, zumal wenn derselbe auch Futter- und Fruchtvorräthe ergriffen hat, wie sie hier in Rückgebäude und Scheune aufgespeichert gewesen und nun unter deren Trümmern verbrannt und verschüttet lagen. Die Körnerhaufen [774] und die dichtgeschichteten Halme dampften und qualmten noch und die Landleute hielten dieselben umringt als Wachen, falls die verborgene Gluth versuchen sollte, noch einmal in helle Flammen auszubrechen. Auf halb verbrannten Balken und den wenigen Stücken geretteter Geräthschaften saßen und kauerten dieselben umher, plauderten von dem raschen und wilden Verlauf des Brandes, ergingen sich in Muthmaßungen über die Art seines Entstehens und erzählten sich wechselnd die von Jedem wahrgenommenen Einzelheiten, wie das Feuer im Wohnhause und den damit zusammenhängenden Wirthschaftsgebäuden zugleich ausgebrochen sein müsse, und wie, als es den Herbeieilenden möglich geworden, den entfernt und abseits liegenden Einödhof zu erreichen, die Flammen bereits von allen Seiten emporgeschlagen hatten; wie die Knechte und Mägde beschäftigt gewesen, das Vieh in den Ställen loszumachen und herauszujagen, was dennoch nicht vollständig gelungen, weil, von der ungewohnten Helle geblendet, einige Rinder und ein paar schöne Füllen nicht herauszubringen waren, und wie schauerlich es gewesen, durch das Knistern und Prasseln der Flammen, das Getöse der stürzenden Wände und Balken, durch das Rufen der Arbeitenden, das angstvolle Blöken und Wiehern der verbrennenden Thiere hören zu müssen und ihnen nicht helfen zu können.

Etwas zurück hinter dem Obstgarten stand ein kleines, durch seine Entfernung unversehrt gebliebenes Haus, mit gemauertem Erdgeschosse, sonst aber einfach und ärmlich aus Holz gefügt; das sogenannte Zubauhaus, in welchem bei großen Gütern die Tagelöhner zu wohnen pflegen, welche ständig daselbst in Arbeit stehn und nicht selten als Hintersassen darauf geheirathet haben, das aber manchmal auch dem Besitzer als bescheidener Aufenthalt dient, wenn er das Gut den Kindern überlassen und sich „in den Austrag“ zur Ruhe begeben hat. Es bot jetzt dem Feichtenbauer eine zwar unwillkommene, aber gar nicht unwohnliche Herberge und Unterkunft. Eine Magd ging aus demselben hin und wider, um von den kargen geretteten Vorräthen den Rettern einen Morgenimbiß zu bringen, dessen sie nach einer in Arbeit und Gefahr überstandenen Nacht um so mehr bedurften, als auf die ausgestandene Gluthhitze die Morgenkühle doppelt empfindlich war und ein Glas kräftigen Kirschgeist mit einem Stück schwarzen Brodes zweifach willkommen erscheinen ließ. Die derbe vollwangige Dirne, die hochgeschürzt und mit ihren Reizen nicht kargend die Runde machte, schien durch das vorgefallene Unglück keineswegs gebeugt, obwohl, wie sie mit lachendem Munde erzählte, auch ihre ganze Habe in Rauch aufgegangen war.

„Man merkt Dir ’s an, Susi,“ rief lachend einer der Bursche, dem sie eben das Glas wieder füllte, „daß Dir Dein Gewand mit verbrunnen (verbrannt) ist … Du hast nichts mehr anzuziehen und bist bald wie Deine Namensschwester, die keusche Susanna!“

Das Gelächter, in das die leichtsinnige Dirne selbst einstimmte, brach ab und das Gespräch wurde leiser, als aus den rauchenden Trümmern eine Gestalt herangewankt kam, die wohl geeignet war, zum Ernste und zum Mitleid zu stimmen.

Es war der Feichtenbauer, auf einen Stock gestützt, gebeugt und kaum im Stande, sich aufrecht zu halten; er schien die Anwesenden gar nicht zu gewahren und starrte zu Boden, indem er mit Fuß und Stock hie und da den Schutt untersuchte und die Steine auseinander schob, als ob er etwas Verlorenes wiederzufinden hoffe.

„Dem hat die Geschicht’ auch das Kraxel herunter gethan,“ sagte halblaut einer der Bauern, der unter den Zechern des vorigen Tages gewesen war, „er sieht aus wie ein Gespenst und wird zu thun haben, wenn er sich wieder zusammenklauben will!“

„Das ist wohl kein Wunder,“ erwiderte ein Anderer, „Du thätst wohl auch zusammenklappen wie ein Taschenmesser, wenn Dir ein solcher Prachthof abgebrannt wär’!“

„Gewiß,“ sagte der Erstere wieder, „ein Unglück ist’s allemal, und der Feichtenbauer hätt’ gestern gewiß nit so herumgeworfen mit den Kronenthalern, wenn er gedacht hätt’, daß es so gehen thät! Aber ein Mann wie der kann sich leicht wieder helfen … er wird schon gut in der Versicherung sein und hat auch ohnedem Geld genug! Man weiß ja, daß er keinem Menschen einen Kreuzer gegeben und keinen Gulden ausgeliehen, sondern Alles zusammengekratzt und verscharrt hat …“

„Da schaut hin,“ rief der Andere, indem er auf das Zubauhaus deutete, in dessen Thür Christel erschien, „da kommt die Tochter! Das ist halt eine resolute Person! Es geht sie doch gerade so nahe an, aber sie laßt sich’s nit anmerken und schaut so kuraschirt und fest darein wie zuvor … nur die Backen, mein’ ich, die sind nit so röselet (rosengleich) wie sonst …“

Die Beobachtung des Bauers war vollkommen richtig, das Mädchen trug noch das stattliche Gewand des vorigen Tages, das in seiner Pracht und Zier einen traurigen Gegensatz zu der sie umringenden Zerstörung bot. Auch sie selbst war unverändert, aber ihr Angesicht war blaß und um die Augen hing ein Gewölk, welches von vergossenen Thränen erzählte und noch mehr von solchen ahnen ließ, die erst vergossen werden sollten.

Sie trat zum Feichtenbauer, der noch immer wie geistesabwesend in die rauchenden Trümmer starrte, und faßte ihn am Arm. „Komm’ herein, Vater,“ sagte sie, „die Morgenluft ist kalt und Du bist schlecht verwahrt – es könnt’ Dir schaden …“

„Schaden?“ erwiderte der Alte bitter. „Was sollt’ mir noch schaden! Ich wollt’, es hätt’ mich gleich beim ersten Anblick der Schlag getroffen, dann läg’ ich auch da bei meinem Hof und hätt’ Ruh’ und wüßt’ von Allem nichts mehr!“

„Sollst nit so reden, Vater,“ sagte sie ernst, „ich mein’, Du wärst wohl nicht in der rechten Verfassung gewesen, wenn Dich unser Herrgott gestern vor sich gefordert hätt’ durch einen jachen Tod … Er wird wohl wissen, warum er uns die schwere Heimsuchung geschickt hat …“

„Unser Herrgott? Der weiß nichts von Allem!“ rief der Bauer, einen Augenblick in seiner ganzen alten Wildheit auflodernd. „Das hat unser Herrgott nit gethan … das ist ein Spitzbub gewesen, ein Mordbrenner, von dem er so wenig weiß, als er von ihm. … Es ist jetzt Alles Eins … aber ich wollt’ barfuß bis Altötting gehn, wenn ich die einzige Gnad’ erbitten könnt’, daß ich den Böswicht in meine Hand bekäm’, den elenden! Ich muß ihn auch herauskriegen, und es ist so gut, als wenn ich ihn schon hätte … ich weiß, das hat kein anderer Mensch gethan, als der Schuft, der Wendel … er hat mir’s ja gedroht, es ist sein letztes Wort gewesen, daß ich an ihn denken soll!“

„Vater …“ sagte Christel entrüstet und zugleich von einem Gefühl unsäglicher Bitterkeit durchzuckt, die sie sich selbst nicht zu erklären vermochte, „besinn’ Dich und lad’ zu der Sünd’ und dem Unrecht nit auch eine so schwere Verantwortung auf Dich! Was der Wendel gestern gesagt hat, hat er im Zorn gesagt – in der Hitz’, wo er selber nimmer gewußt hat, was er red’t, aber wenn sie vorbei ist, ist er der beste Mensch, der keinem Kind was zu Leid thun könnt’! So was thut der Wendel nit - ich kenn’ ihn besser und steh’ gut dafür …“

„Ja, das glaub’ ich wohl, daß Du ihm die Stang’ halt’st,“ entgegnete höhnisch der Alte, „ich kann mir’s auch an den Fingern abzählen, wegen was das geschieht … aber Gott sei Dank! ein Riegel, daß er nicht wieder auf den Feichtenhof kommt, der ist ihm für alle Fäll’ geschoben!“

[787] Der Feichtenbauer und dessen Tochter waren unter dem Gespräche fortschreitend dem Nebenhause näher gekommen; jetzt blieb Christel stehn und hielt den Vater zurück. „Es ist gut, daß Du davon anfangst, Vater,“ sagte sie, „einmal hätt’ die Red’ doch darauf kommen müssen und so können wir die Sach gleich jetzt abmachen, ein für allemal.... Leider Gott’, es ist wahr,“ fuhr sie aufseufzend fort, „mit mir und dem Wendel steht’s bös, es müßt’ sonderbar zugehn, wenn Ihr Zwei wieder gut’ Freund’ werden solltet …“

„Auf der Welt nimmer!“ warf grimmig der Alte dazwischen.

„Ich kann ihn also nit haben …,“ begann sie nach kurzem Innehalten und mit gepreßtem Tone, „Du willst es; so soll’s auch so sein, und Du wirst von mir kein Sterbenswörtel mehr hören, und wenn’s mir auch das Herz abdrucken thät’ … aber damit Du auch gewiß weißt, wie Du daran bist, Vater – sag’ ich Dir, den Domini will ich nit, und also will ich von Dir auch keine Silben mehr hören von ihm.... Ich denk’, ich werd’ ledig bleiben, Vater, und mit Dir allein forthausen, so lang’ es Gottes Willen ist!“

„So, so?“ grollte der Bauer wieder. „Ich hör’ Dich schon gehn, Du Feinspinnerin, wenn Du auch noch so stat (still) auftrittst! Du meinst: das kann ich leicht abwarten, der Alte wird’s nimmer lang’ machen, bis ihn der Steffel holt, darnach kann ich doch thun, was mich freut!“

„Das denk’ ich nit, Vater,“ sagte Christel mit so herzlichem Tone, daß es, um glaubhaft zu sein, der betheuernden Geberde nicht bedurfte, mit welcher sie die Hand auf die Brust legte. „Ich werd’ den Wendel gern haben, so lang’ ich ein offnes Aug’ hab’ … aber wider Dein’ Willen kommt er niemals auf den Feichtenhof!“

„Also niemals, niemals!“ rief der Bauer mit lachendem Kopfnicken. „Denn so lang’ ich ein offnes Aug’ hab’, bleib’ ich dabei und auch noch drüber hinaus! Beweisen kann ich’s freilich nit, aber ich weiß es doch – da inwendig in mir drinn’ steht’s geschrieben. so gewiß wie ein Evangelium, es ist kein anderer Mensch, der mich zum Bettelmann hat machen wollen, wie er!“

„Komm’ herein,“ mahnte Christel, ihn unterbrechend, „es thut Dir gewiß nit gut, wenn Du bei Deiner Krankheit so lang’ draußen bleibst, in der kalten Luft … komm’ herein in die Stube …“

Er gab ihrem Drängen nach und folgte der führenden Hand, aber er that es unter steten Ausbrüchen seines Unmuths. „In die Stube!“ höhnte er. „Ja wohl – in die Stube im Zubauhaus, in eine Tagwerker-Kammer muß sich der Feichtenbauer verkriechen … der reiche Feichtenbauer! … Du meinst wohl, es braucht nichts, als das Haus wieder aufbauen? Du meinst wohl, daß ich umsonst in dem Brandschutt’ herumstöbre wie ein Narr? Denkst nit daran, daß das Geld alles droben gewesen ist, in dem Kasten im ersten Stock … daß Alles hin ist … die Thaler und die Schein’, das Papier und das Silber? Es kann wohl im Ernst so weit kommen, daß wir froh sein dürfen, wenn Du irgendwo einen Dienst find’st als Bauernmagd und ich einen Platz in einem Zubauhaus oder wohl gar beim Hüter im Gemeindehaus.... O wenn ich’s erbitten könnt’,“ rief er, in dem kleinen Gemache angekommen, mit lauter Stimme aus, indem er, auf der Ofenbank niedersitzend, die beiden Hände vor’s Gesicht schlug und in bittere Thränen ausbrach, „wenn ich den, der mich in das Elend gestürzt hat, in meiner Gewalt hätt’ und dürft’ meine Wuth an ihm auslassen, ich wollt’ gern dafür zehn Jahr’ zu tiefst in der Höll’ braten!“

„Pfui, Vater, schäm’ Dich, so was nur zu denken!“ rief Christel unwillig. „Du machst Andern Vorwürfe, daß sie kein Christenthum haben – kehr’ zuerst vor Deiner eignen Thür, Vater, und schau’, wie’s bei Dir selber steht! Denk’ nach, wie Du gestern Deine Verlobniß eingebracht hast; nachher will ich Dir den eigentlichen Anstifter von dem Unglück sagen! Du bist es selber, Vater! Wärst Du nit im Bergwirthshaus hinter der Flaschen sitzen geblieben – wärst Du mit mir heim, wie ich Dich so inständig gebitt’ hab’, dann wär’ alles anders! Wenn Du und ich daheim gewesen wären und hätten sorgen können, daß die Ehhalten alle ihre Schuldigkeit thun, und daß keins nachlässig oder unachtsam ist mit Feuer und Licht – dann stünd’ der Feichtenhof heut’ noch so schön da, wie er gestern gestanden ist!“

Das Erscheinen eines Mannes, der durch das Fenster hereinsah, unterbrach das Gespräch; es war der hausirende Leinwandhändler, der Tags zuvor mit dem Bauer zusammengetroffen.

Der Mann hatte seine Zusage pünktlich erfüllt, und war, der Einladung folgend, bald auf den Hof gekommen, wo er bei [788] der muntern Art und dem freigebigen Wesen, das der Bauer gezeigt, ein Geschäft erwarten durfte, das für Umweg und Mühe volle Entschädigung bot. Er hatte, als er den Bauer nicht angetroffen, ruhig und so lange gewartet, bis das Gewitter losbrach, und nach demselben, bis der Abend schon zu weit vorgerückt war, um noch ein Weiterwandern zu gestatten. Nicht zweifelnd, daß man ihm gern Nachtherberge gewähren werde, hatte er sein Kleinod, den Rückenkasten mit seiner Waare, im Wohnhause, wo er ihn ganz sicher glauben durfte, eingesteckt, und selbst in einer Kammer neben jener der Knechte Unterkunft gefunden, wo ein paar feiernde Betten für die Heumäher bereit standen, die im Sommer zur Aushülfe gedungen wurden. Von der Wanderung ermüdet war er bald fest eingeschlafen und erwachte nicht eher, als bis der Lichtschein des in Flammen stehenden Hauses ihn weckte, und Gluth und Dampf ihn bereits von allen Seiten umgaben. Halb angekleidet wollte er im Wahnsinn des Schreckens hinausstürzen, seinen Kasten zu retten, denn noch wäre es möglich gewesen, trotz Feuer und Rauch in dem gewölbten Hausgange bis zu demselben durchzudringen, aber mit haarsträubendem Entsetzen gewahrte er, daß die Thür seines Gemachs in’s Schloß gefallen, und er, mit dessen Beschaffenheit nicht vertraut, außer Stande war, dasselbe zu öffnen. Vergebens schrie er überlaut um Hülfe, vergebens rüttelte er an Thür und Schloß; seine Stimme war übertönt von dem Sausen und Knistern der Flammen und von dem Gepolter der Dachbalken, die schon sich abzulösen und zu senken begannen – seine Kraft erlahmte an dem Widerstande und der Festigkeit, womit Eisen und Holz sich aneinander klammerten. Es gab keinen andern Ausweg, als durch das Fenster, dessen Eisenkreuz minder fest eingelassen war, und das, seinen verzweifelten Anstrengungen nachgebend, sammt dem Holzrahmen aus dem Gemäuer brach … er versuchte sich selbst durch die Oeffnung zu zwängen … es gelang … in einer Secunde stand er im Freien, aber zu spät, im nämlichen Augenblick neigte sich der Hauptgiebel, stürzte nach innen zusammen und schlug mit der Wucht des Falles und der Schwere die Gewölbe des Erdgeschosses durch, daß rings aus Qualm und Rauch nur noch die Umfassungswände emporstarrten, drinnen aber Alles in einen Gluthheerd zusammengeschüttet lag, aus welchem eine sprühende Funkengarbe emporstieg. Weithin hatte der Einsturz Trümmer und Steine geschleudert; ein Stück hatte den Händler an den Kopf getroffen, daß er taumelnd niederstürzte, aber angestachelt vom Triebe des Lebens hatte er sich noch mit letzter Kraft aufgerafft und war erst unter den Obstbäumen, bis zu denen er sich geschleppt, blutend und mit vergehenden Sinnen in’s Gras niedergesunken. …

Jetzt kam er gleich dem Bauer aus dem abgebrannten Hause zurück; er hatte wie dieser, so weit es möglich war, im Schutt nach etwaigen Ueberbleibseln und Spuren seines Kastens gesucht und war nun, erschöpft und matt, dem Zubauhause zugewankt, um dort vielleicht für ein Stündchen Ruhe zu finden. Der Alte stand auf, als er ihn gewahrte, öffnete das Fenster und rief ihn herein. „Bist auch da, Bandelkramer?“ rief er ihm entgegen. „Du hast einen bösen Einstand auf dem Feichtenhof – mit dem Einkaufen wird’s eine gute Weil’ stat hergehn … aber ich kann nichts dafür, daß die Einladung so schlecht ausgefallen ist …“

„Kommt her,“ sagte Christel ihn unterbrechend, „ich hab’ zwar nur blutwenig Leinenzeug, aber zu einem Verband wird’s doch schon noch ausreichen; Ihr habt da eine böse Wunde am Kopf …“

„Ja wohl,“ sagte der Händler, während sie ihm das vertrocknete Blut abwischte und dann ein Tuch um die Stirn band, „es muß ein tüchtiges Loch sein – ich hab’ gemeint, es wär’ die halbe Welt, die auf mich niederstürzt, und doch ist das Glück dabei wieder größer gewesen, als das Unglück … der Balken hätte mich ebensogut erschlagen können – so aber bin ich doch noch auf der Welt; mein Weib ist keine Wittib und meine Kinder sind keine Waisen geworden und –“ setzte er lächelnd hinzu, „der Löw’ ist mir durch’s Fenster nachgesprungen … den hab’ ich auch noch …“ Dabei streichelte er den Spitz, der, als ob er wüßte, daß von ihm die Rede sei, sich an sein Knie drängte und ihm schweifwedelnd die Hand leckte.

„Das ist auch was Recht’s,“ erwiderte der Bauer unmuthig, „deswegen sind wir doch Bettelleut’ … alle miteinander!“

„Ei – so arg’ ist’s doch nicht gleich,“ sagte der Händler entgegen; „es ist wahr, mein Kasten ist verbrannt und in demselben viele schöne Waar’, Leinenzeug und Spitzen und silberne Fingerringe, Ketten und Kreuzeln und Firmthaler, wie ich sie halt führe … auch das, was ich erlös’t hab’, ist mit zu Grund gegangen … aber ein Bettelmann bin ich drum noch nicht! Ich habe Gott sei Dank noch meine gesunden geraden Glieder … ich muß freilich so gut wie von vorn anfangen mit meiner Handelschaft und eine gute Weil’ wird’s schmale Bissen abgeben … aber Weib und Kind werden drum doch keinen Hunger leiden … das Schwabenland ist gut deutsch und ich hab’s immer gehört, unser Herrgott verläßt keinen Deutschen!“

Christel sagte nichts, aber ihr Auge traf das des Vaters, der den Blick abwandte.

„Und vollends bei Euch,“ fuhr der Händler fort, wird das Unglück, so schwer es allemal ist, auch zu zwingen sein. … Ihr habt Eure schönen Wiesen, habt Aecker und Wald, das ist Alles nicht mit verbrannt. das bringt Euch wieder genug ein, und auch das Haus steht in einem halben Jahr wieder da wie ein kleines Schlößlein .. ein kluger Mann, wie Ihr, wird es wohl gut versichert haben …“

Der Bauer zuckte zusammen und langte nach dem Knie, als ob es ihm dort plötzlich einen Stich gegeben, er verbarg aber, wie ihn das Wort des Krämers an wunder Stelle getroffen hatte, und rief mit geringschätzigem Lachen: „Versichern? Nein – das hat’s bei mir nie gebraucht! Ich hab’ nie einen Kreuzer Schulden gehabt auf dem Feichtenhof, also hat auch Niemand mich zwingen können, daß ich das thun sollt’ … ich hab’ mich auf unsern Herrgott verlassen … sie sagen ja, das sollt’ die beste Versicherung sein …“

„Das ist sie auch,“ sagte der Händler, indem er kopfschüttelnd aufstand; „das ist die Versicherung, in der ich auch eingeschrieben bin … aber nichts für ungut, Feichtenbauer, das macht halt ein Jeder, wie es ihm gefällt! Ich will mir jetzt ein Fleckchen suchen, wo ich ein wenig schlafen kann – dann such’ ich noch einmal unter’m Schutt’ drüben nach, ob ich nicht doch noch etwas herausfinde von meiner Waar’, und dann – dann nehm’ ich in Gottes Namen den Weg wieder unter die Füß’, gehe heim zu den Meinigen und sehe zu, daß ich neue Waare bekomme. … Freilich,“ setzte er mit etwas gedämpfter Stimme hinzu, „mein Bub’, mein Aeltester, hat sich auf den neuen Firmungsrock, den er zu Pfingsten bekommen sollte, umsonst gefreut. … Na, da muß er sich halt noch ein Jährchen mit dem alten behelfen. …“ Er verließ die Stube, indem er, sich rasch der Thür zuwendend, die Hand erhob, als wolle er nach dem Verbande greifen, – in Wahrheit geschah es, um im Auge eine Thräne zu zerdrücken, deren er sich nicht erwehren konnte, und die er nicht zeigen wollte.

Wieder suchte Christel das Auge des Vaters und sah ihn mit leicht verständlicher Mahnung an, das Wort aber, das in dem Blicke lag, blieb ungesprochen, denn der Alte, dem die Unterbrechung willkommen war, trat verwundert zur Thür, an welche vernehmlich gepocht worden war, und rief: „Was kommt denn da für ein höflicher Besuch? Nur herein – wo das Unglück so grob angeklopft hat, braucht’s keine Umständ’ mehr!“

Es war Domini, der eintrat – unbefangen, als ob nichts vorgefallen; mit demselben lachenden Gesicht, mit welchem er gestern an der Wallfahrtskirche dem Bauer entgegen getreten war, und so zutraulich, als wären sie im besten Einvernehmen auseinander gegangen. Mit raschem scheuen Blick überflog er das Gemach, aber er that, als gewahre er gar nicht, daß Christel bei seinem Eintritt durch die Küchenthür verschwand.

„Da bin ich, Feichtenbauer,“ sagte er, ihm die Hand bietend, „wir sind gestern nit recht gut voneinander gegangen, aber das macht nichts! Es wär’ schlecht von mir, wenn ich nach dem Unglück, das über Dich gekommen ist, Dir was nachtragen thät’ … deswegen bin ich schon in aller Früh’ da, und will Dir sagen, wie leid mir’s ist, daß Dir so was geschehn ist, und will Dich bitten, Du sollst keinen Verschmach weiter auf mich haben …“

„Ich dank’ Dir, Domini,“ rief der Alte, von dem Ton gutmüthiger Biederkeit gerührt, „ich dank’ Dir tausendmal! Jetzt seh’ ich’s, daß Du wirklich ein guter Freund bist, der Einen in der Noth nit verläßt! Ich hab’ keinen Verschmach auf Dich – ich bin froh, wenn Du mir nichts nachträgst … ich thät’ ja auch für mein Leben gern halten, was ich Dir versprochen hab’ …“

„Ach was, laß das gut sein!“ rief Domini mit einem [789] Lachen, das unbefangen klingen sollte, aber nur gezwungen klang. „Gestern ist ein lustiger Tag gewesen, wir haben alle Zwei ein Bissel zu viel im Kopf gehabt … da red’t man allerhand daher, was Einen den andern Tag reut! Das wär’ bös, wenn man Alles halten müßt’, was man im Rausch versprochen hat! Mach’ Dir deswegen keinen Kummer, Feichtenbauer … Du giebst mir mein Wort zurück, ich Dir das Deinige, ich weiß ja doch, daß Du es nit halten kannst, weil die Christel nit will!“

„Ja, sie will freilich nit,“ entgegnete er, „durchaus nit – ich hab’ sie gar nie so gesehn, es ist, als wenn sie einen völligen Abscheu hätt’ vor Dir … und wenn ich sie auch zwingen könnt’ und thät, wirst wohl Du sie nimmer wollen …“

„Ich? Warum?“ fragte Domini verwundert. „Wegen den Abscheu? Den fürcht’ ich nit, Feichtenbauer … es hat schon gar manches Madel mit allen zwei Händen zugelangt, wo sie zuvor gekratzt und geschlagen hat! Und sonst wüßt’ ich nit, warum ich für mein Theil sie nimmer wollen sollt …“

„Warum? Weil ich gestern noch einen schönen Bauernhof gehabt hab’ und einen Haufen Geld und weil ich heut’ nichts mehr hab’ als eine Brandstatt … weil der reiche Feichtenbauer über Nacht ein armer Abbrändler ’worden ist …“

„Oho …“ unterbrach ihn Domini, „so weit wird’s wohl nit gefehlt sein! Der Feichtenhof ist ein Prachtgut – Du hast keinen Kreuzer Schulden darauf, in einem halben Jahr ist Alles wieder so schön wie zuvor, und Du hast wieder einen Haufen Thaler beieinander. … Wenn sonst nichts dazwischen wär’, da machte ich heut’ noch die Stuhlfest’ mit der Christel …“

„Ist das wahr, Domini?“ rief der Alte, noch mehr erschüttert von solcher Uneigennützigkeit. „Du bist ein braver Mensch – ich wollt’ nur, die Christel hätt’s mit angehört, aber ich will es ihr schon sagen …“

„Das mußt nit thun, Feichtenbauer,“ unterbrach ihn Domini treuherzig, indem er zugleich nach der Küchenthür spähte, die ihm nur angelehnt schien. „Zu was sollt’ es nutzen? Sie hat einmal den Widerwillen gegen mich, und wenn man ihnen abredet, werden die Weiber nur immer bockbeiniger, da ist Eine wie die Andere … Alles will seine Weil’ haben, drum lass’ es der Zeit über, vielleicht besinnt sie sich doch noch anders, wenn sie merkt, daß sie mir zu viel gethan hat … ich will unter der Hand schon fleißig nachfragen, daß ich nit weit weg bin, wenn der Apfel vom Baum fallen wird. … Derweil aber giebt’s was Anderes zu thun! Derweil wollen wir von Dir reden, Feichtenbauer – vielleicht kannst Du Geld brauchen für den Anfang – sag’s nur ungenirt, ich geh’ dann zu meinem Vater hinein und hol’ Eins …“

Der Alte erhob sich und wollte Domini, der ihn spröde abwehrte, mit zitternden Armen umfangen.

„Freund in der Noth!“ rief er gerührt. „Das vergess’ ich Dir Zeit meines Lebens nit! Dafür kannst von mir begehren, was Du willst, und wenn ich’s nit thu’, so darfst Du mich …“ „Mach’ nit so viel Aufhebens wegen der Kleinigkeit!“ unterbrach ihn Domini. „Das ist ja nichts Besondres … Du lassest mir’s auf dem Feichtenhof einkommen, und ich geb’ Dir, was ich zuweg’ bringen kann! Extra viel wird’s nit sein … so ein paar tausend Gulden höchstens …“

Die Dankbarkeit des Bauers hätte sich noch lange in ihren Ausbrüchen nicht eindämmen lassen, wäre nicht einer der Knechte athemlos und schon von ferne rufend auf das Zubauhaus zugelaufen gekommen, als hätte er eine neue Unglücksbotschaft zu bringen.

„Das Landgericht kommt!“ rief er. „Sie sind schon da! Der Assessor kommt schon in aller Eil’ über den Steig herauf …“

„Dummer Kerl,“ rief Domini, der leicht die Farbe gewechselt hatte, „wie kannst Du so daher rennen und Einen erschrecken, als wenn Gott weiß was geschehen wäre! Das ist ja natürlich, daß das Landgericht kommt und den Augenschein vornimmt! Deswegen sind ja die Herren auf der Welt, daß sie’s herausbringen, wenn so was passirt … und der Herr Assessor,“ setzte er mit unverhohlenem Spott hinzu, „das soll ein ganz Feiner sein, Einer von denen, die das Gras wachsen hören. … Meinetwegen,“ fuhr er dann fort und wendete sich zu gehn, „mich kümmert’s nicht! Wir Zwei sind handeleins, Feichtenbauer, nicht wahr? Ich mache mich jetzt gleich auf den Weg, Du weißt schon wohin und in ein paar Tagen komm’ ich mit dem Geldsack wieder …“

Er griff nach der Thür, als dieselbe sich öffnete und den Händler wieder einließ, der mit der Meldung kam, der Assessor sei wirklich da, man solle im Zubauhause einen Tisch zurecht machen, um nach der Besichtigung der Brandstätte das Protokoll darüber aufnehmen und die Verhöre pflegen zu können.

„Sieh da, ist der Herr auch hier?“ sagte der Mann, als er Domini gewahrte. „Seid Ihr nicht derselbe, dem ich gestern die Uhrkette abkaufen wollte mit dem Napoleonskopf? Nun bin ich froh, daß Ihr sie mir nicht gegeben habt, nun wäre das Geld hin und die Kette wäre mit meinen Sachen auch verbrannt … Ihr habt sie aber nicht mehr, wie ich seh’!“ setzte er hinzu, den Anzug und die Westentaschen des Burschen musternd.

Ueber Domini’s Antlitz flog es wie der Schatten eines vorüberstreichenden Vogels.

„Ja, ja, so geht’s halt auf der Welt!“ erwiderte er lachend. „Ich wollte, ich hätte Euch die Kette zu kaufen gegeben, dann hätt’ ich wenigstens das Geld. … Jetzt habe ich von Beiden nichts! Ich bin heut’ über Nacht beim Wirth am Fall gewesen, bis ich in der Früh’ gehört hab’, daß Feuer ausgekommen ist auf dem Feichtenhof … da hab’ ich mich gleich auf den Weg gemacht, es ist noch kaum grau gewesen … ich bin den nächsten Weg über’s Moos und durch den Wald gelaufen … da hab’ ich die Kette verloren – ich muß an einem Ast damit hängen geblieben sein oder sie ist mir weggerissen, wie ich über einen Zaun oder ein Stiegel gesprungen bin! Schade d’rum – ich ließ mich’s gleich fünfzig Gulden kosten, wenn ich die Kette wieder hätt’!“

Man verließ das Haus und ging dem Beamten entgegen; der Knecht, der Händler, der Feichtenbauer und auch Christel, die an dem zuletzt an der Thür stehenden Domini vorüberschritt und ihn so wenig beachtete, als den Thürpfosten, an dem er lehnte. Er sah und fühlte die grenzenlose Verachtung, die sie ihm zeigte und zeigen wollte, und es schwebte ihm schon auf den Lippen, sie anzureden und zurückzuhalten, aber er zwang es in sich zurück, mit von Rachgier und wilder Lust funkelnden Blicken sah er ihr nach, wie ein Raubthier, das sich zum Sprunge rüstet. „Ich könnt’ sie zerreißen vor Wuth,“ knurrte er in sich hinein, indem er zugleich die Augen lüstern über die wohlgefälligen Formen des Mädchens gleiten ließ, „und dann könnt’ ich’s doch wieder nicht! Ich glaube, die Dirn’ hat mir’s angethan - seit ich sie wieder gesehn habe, bin ich wie ausgewechselt - und ich muß sie doch kriegen, und wenn’s mich das Leben kosten sollt’! Ich muß den Schlag von gestern hereinbringen … ich muß sie haben … weil sie mich nit ausstehn kann, muß ich sie erst recht haben.“…

Er wendete sich in das Haus zurück; er wollte durch die Hinterthür hinaus, um den Anderen nicht mehr zu begegnen; an der in den obern Stock oder vielmehr in den niedrigen Dachraum führenden Treppe hielt er an wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, setzte den einen Fuß auf die Stufe und lugte langgestreckten Leibes in den halbdunkeln Bodenraum hinauf, wie Jemand, der die Gelegenheit zu einem geheimen Vorhaben erspäht. „Was giebt’s?“ rief ihm eine schneidige Weiberstimme entgegen. „Wer will was drunten?“ Es war Susi, die oben in der Kammer beschäftigt schien und aus der Thür trat, daß es möglich war, von unten das etwas hellere Gemach zu überblicken.

„Wer wird’s sein?“ rief Domini rasch gefaßt entgegen. „Ich hab’ Dich da oben im Zwielicht bemerkt und hab’ Dich nit recht gesehn; ich hab’ nit gewußt, ob ich meinen Augen trauen darf – seit wann ist denn die schöne Susi, die lustige Kellnerin, in der Einöd’ heroben auf dem Feichtenhof?“

„Seit einem halben Jahr,“ sagte das Mädchen und kam, noch immer in dem früheren leichten Anzug, zu ihm die Stufen herab. „Grüß Gott, Metzger. Domini … das ist seltsam, nit wahr? Ja, ich hab’s einmal mit der Bauernarbeit probiren wollen, aber es wird nit gut thun in die Läng’ … es ist mir zu langweilig!“

„Das will ich glauben,“ lachte Domini, „einem so schönen Madel und einem so alerten dazu muß wohl die Zeit lang werden in der Einsamkeit! Jetzt geht mir freilich ein Licht auf, warum ich Dich nirgends mehr gefunden hab’!“

„Wirst Dich wohl nit zu grob angestrengt haben mit dem [790] Suchen,“ sagte sie mit einem zweifelnden Blick, in welchem doch wohl zu lesen war, wie sehr sie geneigt war, die Schmeichelei zu glauben.

„Auf Ehr’ und Seligkeit …“ erwiderte der Bursche und schlang ihr den Arm um die volle Hüfte. „Wie hätt’ ich Dich vergessen können! Weißt es noch, wie fidel wir gewesen sind, selbiges Mal, wie Du beim Bärenwirth gewesen bist, in Kopfstein? … was meinst, könntest mir heut’ Abend nit wieder auf ein Stünd’l die Thür zu Deiner Kammer offen lassen?“

„Oho,“ entgegnete Susi leichtfertig, „das geht nit so geschwind und seit wir abgebrannt sind, hat’s auf dem Feichtenhof mit der eignen Kammer schon von vornherein aufgehört … die Tochter, die Christel selber muß mit mir zusammenschlafen da droben in der Dachkammer!“

„Das schadet ihr auch nicht,“ rief Domini, indem er mit ein paar Sätzen die Treppe hinaufeilte und in die Kammer hineinsah, „das ist ganz recht für die hochmüthige Person! Aber Du,“ fuhr er, zu Susi zurückkehrend, fort, „Du solltest nit da bleiben, Susi … für Dich wüßt’ ich ganz ein anderes Leben, wenn Du mit mir gehn wolltest! Die grobe Bauernarbeit ist nichts für Dich und wenn jetzt das Bauen kommt, wird die Schererei erst recht angehn! Geh’ mit mir, Madel – wir gehn in meine Heimath, da wird Geld geholt, dann eine flotte Wirthschaft gekauft und frisch weg geheirath’!“

„Ja, wenn man Dir trauen dürft’,“ sagte Susi schwankend, „Du hast mir selbiges Mal auch das Maul gemacht mit dem Heirathen …“

„Wenn’s aber damals nit schon wahr gewesen wär’, thät’ ich’s jetzt nit wieder sagen!“ schmeichelte er. „Also kannst mir wohl glauben – darum komm’, Susi; geh’ mit mir … heut’ noch … jetzt gleich, auf der Stell’ geh' mit!“

„Freilich, zu tragen hätt’ ich nit schwer, weil doch Alles verbrunnen ist – aber ich kann doch nit so mir nichts davon gehn aus dem Dienst …“

„Heut’ noch mußt mit mir gehn,“ drängte Domini, „an dem will ich’s erkennen, ob Du gern was thun willst, mir zu Lieb’; ich will’s schon einrichten, daß Du fortkannst. Hast Du kein Bas’l oder sonst ein Gefreund’tes in der Näh’ …“

„Niemand,“ sagte sie nachsinnend, „die Buchstallerin von Buch ist die Firm-Godl von meiner Schwester, aber das ist wohl gar zu weitschichtig …“

„O, das langt weit aus,“ rief Domini lachend, „ich geh’ jetzt fort und in einer Stund’ schick’ ich Dir durch einen Buben einen Zettel, als wenn die Buchstallerin auf dem Tod liegen thät und ließ Dich zu ihr bitten. … Sie werden Dich nachher nit aufhalten und Du gehst und im Wirthshaus am Fall da wart’st auf mich, es kann aber wohl ein bissel spät werden, bis ich komm’! Morgen schicken wir dann Botschaft herauf, daß Du nimmer kommst, und reisen miteinander in’s Tirol hinein. … Willst, Madel? Ja oder Nein …“

„Ja …“ sagte die leichtsinnige Dirne und wehrte den Abschiedsliebkosungen des Burschen nicht, der flüchtigen Fußes durch die Hinterthür enteilte.

Indessen war der Beamte schon in voller Thätigkeit, mit dem Eifer eines Kunstverständigen, dem im Bereiche seiner Liebhaberei ein besonders merkwürdiger Fall aufgestoßen, die Brandstätte und die gesammte Oertlichkeit mit einer Genauigkeit zu beschreiben, als ob es gelte, ein Gemälde oder ein Karte davon zu entwerfen. Der Hauptpunkt, auf welchen es dabei ankam, war die Feststellung des Ortes, wo das Feuer begonnen, weil sich hieran die Beantwortung der weitern Frage über die Entstehung knüpfte. Die Aussagen der Dienstboten, die zur entscheidenden Zeit allein auf dem Hofe gewesen, gingen übereinstimmend dahin, daß vorher nicht das mindeste Auffallende oder Verdächtige wahrnehmbar gewesen und daß plötzlich Haus und Scheune in der rechten Ecke, wo sie aneinander stießen, gleichzeitig und wie mit Einem Schlage in Flammen dagestanden seien. An dieser Stelle hatte unter der in den oberen Stock führenden hölzernen Stiege eine Thür aus dem Wohngebäude in die Scheune geführt, welche noch reichlich mit Futtervorräthen angefüllt war. Unter der Treppe selbst war gespaltenes Brennholz aufgeschichtet gewesen; unmittelbar darüber hatte sich das Prunkgemach des Hauses, die sogenannte gute Stube und in dieser der Schrank befunden, der dem Feichtenbauer zur Aufbewahrung seiner Hausbriefe und Werthpapiere, so wie des Geldes und sonstigen werthvollen Besitzes diente. Unter der Treppe, zwischen dem Scheitholz und der Scheunenthür war der Kasten des Händlers gestanden. Jetzt lag Alles unter dem Schutt des oberen Gemäuers und der durchgeschlagenen Wölbung wüst und wirr durcheinander, und obwohl der Assessor da, wo der Schrank des Feichtenbauers im oberen Stockwerk gestanden, Alles wegräumen ließ und auf’s Genaueste durchsuchte, war außer einigen kaum kenntlichen Holzresten nirgends auch nur die geringste Spur des Geldes zu entdecken, das doch mindestens als geschmolzenes Silber vorhanden und der völligen Zerstörung entgangen sein mußte.

Daß das Feuer nicht zufällig oder fahrlässig entstanden, war die allgemeine Ueberzeugung, es lag absichtliche Brandstiftung vor, und damit erhob sich die weitere Frage nach dem Thäter und zur Ermittelung desselben nach den Personen, die im Hofe gewesen oder in die Nähe gekommen.

Es waren nur Zwei: der hausirende Leinwandhändler, gegen welchen aller Verdacht wegfiel, da er selbst schlimm genug in das Unglück mit hineingezogen worden, und Wendel, der gekommen war, seine Kleider zu holen. Susi war es hauptsächlich, die darüber Auskunft zu geben vermochte; sie erzählte, es sei ihr aufgefallen, daß der letztere ohne Fuhrwerk, so ganz allein heimgekommen sei und völlig verwirrt darein geschaut habe – er sei brennroth gewesen im ganzen Gesicht und habe ihr auf die Frage, was denn das Alles bedeute, gar keine Antwort gegeben und sei in die Knechtkammer am Stall gegangen. Wie er wieder herausgekommen, habe er einen Pack in der Hand gehabt, sei mitten im Hofe stehn geblieben und habe sich lang das Haus angeschaut, ohne daß sie etwas Besonderes daran hätte gewahren können. … Dann hatte er ihr von freien Stücken zugerufen, der Bauer habe ihm Feierabend gegeben, er gehe Holzkirchen zu, denn er wolle nach München und sehen, ob er nicht dort einen Platz bekommen könne. … Dann war er eiligen Schrittes davongegangen, ohne auch nur noch ein einziges Mal umzusehn – das war am frühen Nachmittage, zur Zeit des Dreibrods gewesen; das Gewitter sei schon am Himmel gestanden und bald darauf losgebrochen. …

Die Frage des Beamten an den Feichtenbauer, ob er gegen irgend jemand einen bestimmten Verdacht habe, verneinte derselbe; Christel stand gegenüber und hielt ihr Auge fest auf ihn gerichtet … unter seinem Banne vermochte er nicht, seinen innersten Gedanken Worte zu geben.

Der Einzige, der bei der Gerichtshandlung etwas gewonnen hatte, war der Leinwandhändler; beim Wegräumen des Schuttes und der Kohlen war zwar nicht sein Kasten aufgefunden worden, wohl aber ein Theil des Inhalts, Stoffe und Zeuge, die in einen Lederumschlag eingehüllt gewesen, der dem Feuer längeren Widerstand geboten hatte und dann durch einige Holzstücke geborgen worden war, welche sich darüber zu einem hohlen Raume verschoben hatten. Bis dahin hatte der Gleichmuth des Mannes Stand gehalten; als er die Reste seiner Habe vor sich sah, gewannen Schmerz und Rührung in ihm die Oberhand – er schämte sich der Thränen nicht mehr, die ihm über die Backen rollten, und sammelte die angebrannten werthlosen Stücke, die geschwärzten Ringe und zerschmolzenen Kettentrümmer mit einer Sorgfalt zusammen, als hinge davon das Wohl und Weh seines ganzen Lebens ab. Das versengte Lederstück diente ihm, die Sachen zusammenzupacken, und er wurde eben noch rechtzeitig damit fertig, um den Sitz, den ihm der menschenfreundliche Beamte in seinem Wagen anbot, einnehmen zu können – er begann es jetzt erst zu spüren, daß die Beine ihn auf der Fußwanderung nicht weit würden getragen haben.

Ueber Allem war der Abend herangekommen und die letzten von den Landleuten, die zu etwaiger Hülfe zurückgeblieben, begannen ebenfalls, sich auf den Heimweg zu machen, von Christel’s herzlichem Dank begleitet, die das traurige Amt für den Vater versah, der, von Anstrengung und Aufregung erschöpft, sich in das Zubauhaus zurückgezogen hatte.

Unter denen, welche gingen, war auch Susi mit dem ihr richtig zugekommenen Zettel über die Erkrankung ihrer Verwandten; Christel war gütig genug, ihrem Verlangen nichts in den Weg zu legen – sie sprach ihr Bedauern aus und trug ihr auf, die Base zu grüßen. „Wäre mir nicht Alles verbrannt,“ sagte sie, „würde ich Dir von der Lebensessenz mitgeben – die thut alten Leuten über die Maßen gut! Geh’ nur und komm’ bald wieder [791] – Du bist in der guten Zeit bei uns gewesen, wirst uns in der bösen wohl nit davonlaufen!“

Susi, sich getroffen fühlend, zögerte einen Augenblick, bald aber überwog in ihrem leichtsinnigen Gemüth der Reiz der zu erwartenden Abenteuer über die flüchtige Regung des Bessern – sie eilte den Uebrigen nach.

Die untergehende Sonne goß ihren vollen Goldglanz über den verödeten, wieder einsam gewordenen Platz; es dunkelte stärker – Christel warf noch einen letzten Blick in das Abendroth, das sie umstrahlte, wie eine im Erlöschen begriffene schöne Erinnerung; sie machte noch einen Rundgang durch den Nothstall, wo das gerettete Vieh untergebracht war, und verschwand dann in dem Zubauhause, dessen Thür fest hinter sich verriegelnd.

Als sie die kleinen Geschäfte des neuen ordnungslosen Haushaltes verrichtet hatte und nach einem Blick auf den in tiefem Schlafe liegenden Vater in die Dachkammer trat, war es fast vollständig Nacht geworden. In dem engen und niedrigen Gemache, dessen Balkendecke mit der Hand zu erreichen war, standen an den beiden Seitenwänden zwei Bettstellen aus unangestrichenem Tannenholz, deren schlichte Einfachheit vollkommen übereinstimmte mit dem ärmlichen Strohsack und der Decke, die das dürftige Lager bildeten; die Mittelwand dazwischen war ganz durch einen großen buntbemalten Kleiderkasten verdeckt, gegenüber an der vierten Seite öffnete ein kleines, mit einem Eisenkreuz verwahrtes Fenster unter dem vorspringenden Hausgiebel hinweg die Aussicht auf den Abhang, an welchem das Gehöfte lag, über die niedrigern Hügel und Waldhäupter in den Nachthimmel hinaus, an dessen westlichem Rande noch ein rother Steifen verglomm, wie als letzte Kohle des erloschenen Sonnenbrands. Trotz der widersprechenden bittern Gefühle, die in den letzten Stunden auf sie eingestürmt, trotz der furchtbaren durchwachten Nacht und des in Leid vergangenen Tages fühlte Christel kein Verlangen nach Ruhe und Schlaf; nachdem sie die kleine Oellampe in der schwarzgerauchten Mauernische niedergestellt, setzte sie sich an’s Fenster und sah, die [792] heiße müde Stirn’ in die Hand gestützt, in die lautlose Nacht hinaus.

Das Abendroth war eben vollständig ausgeglüht; Finsterniß deckte es zu, aber hoch darüber aus dem Dunkel blitzte ein Stern, wie die hoch geschwungene Fackel eines Wegweisers. … So war es auch in des Mädchens tief betrübtem Gemüthe; was ihr das Leben schön gemacht hatte, was sie angestrahlt gleich einer hellen freudigen Sonne, war hinabgegangen – unwiederbringlich; aber vergebens spähte sie in undurchdringlicher Nacht nach einem Sternschimmer des Trostes und der Hoffnung.

Plötzlich schrak sie empor; in der Todesstille, die draußen waltete, drang das Rauschen eines wie im Traum sich regenden Blattes an das lauschende Ohr. Es war, als ob ein leiser, vorsichtig angehaltener Schritt durch das Gras des Baumgartens schlüpfe … sie horchte auf und sah gespannter in die Finsterniß … eine dunkle Gestalt glitt unter den Bäumen heran, und ehe sich ihre Gedanken zur Vermuthung bilden konnten, war dieselbe schon verwirklicht; die Gestalt war unter das Fenster heran getreten, und ein unterdrückter Ausruf, von der Freude erzeugt und im Werden wieder vom Schrecken getödtet, floh von ihren Lippen.

„Wendel!“ rief sie mit halberstickter Stimme. „Bist Du ’s denn … oder ist’s Dein Geist?“

„Ich bin’s wohl,“ erwiderte der Bursche, indem er sich auf den unter dem Fenster aufgeschichteten Stoß von Reisigbündeln schwang, so daß er stehend bis an’s Fenster reichen konnte. „Es ist kein Geist, sondern ein recht elendiger armer Mensch, der ’s nit ausgehalten hat, daß er im Zorn von Dir fortgehn soll, und ohne ein letztes ‚B’hüt’ Gott!‘ Ich hab’ Dich noch einmal sehn müssen, Christel, und drum bin ich her, und es ist mir Ein Ding, wenn sie mich fangen und gleich in Ketten und Banden legen …“

„Das ist recht, Wendel,“ erwiderte das Mädchen mit warmer Herzlichkeit, „ich dank’ Dir dafür, daß Du gekommen bist, und ist mir schier alleweil gewesen in meinem Sinn, als wenn Du kommen müßtest … aber wie red’st denn daher? Wenn Dich auch wer sehn thät’, wer sollt’ Dir was anthun? Du bist wohl noch verwirrt und geschreckt von gestern her …“

„Ja wohl, von gestern her!“ sagte der Bursche traurig. „Gestern ist mein Glück gestorben und begraben worden … ich wollt’, ich wär’ auch mit eingescharrt worden, statt daß ich fort muß, in die weite Welt, über’s Meer, in ein Land, wo mich Niemand find’t, und ich auch von keinem Menschen mehr etwas hör’ …“

„Von keinem Menschen?“ fragte Christel mit zärtlichem Vorwurf. „Also auch von mir nit?“

„Auch von Dir! Was würd’ es etwa sein, was ich von Dir hören könnt’? Was sonst, als daß es gegangen ist, wie ’s wohl gehen muß … daß Du mich vergessen hast mit der Zeit und daß ein Anderer …“

„Wenn Dich das trösten kann, Wendel, dann nimm’s mit auf den Weg, daß die Christel Dich nit vergißt und ihr Lebtag keinen Andern nimmt. … Ich hab’s heut’ meinem Vater noch einmal gesagt, und wenn er auch nichts von Dir wissen will – wer weiß ob nit einmal eine andere Zeit kommt! Das Eis zerschmilzt und ein Stein kann weich werden, warum sollt’ mein Vater nit auch seinen Sinn ändern können … ich will schon das Meinige dazu thun, daß es geschieht! Ich vergiss’ Dich niemals, Wendel, das versprech’ ich Dir, und wenn Du ’s auch treu und redlich im Sinn behältst, wer weiß, wie ’s dann noch werden kann … unser Herrgott wird uns nit verlassen …“

„Unser Herrgott weiß nichts mehr von mir,“ sagte Wendel dumpf, „er hat mich schon verlassen!“

„Wendel,“ rief Christel erschrocken, „was sind das alleweil für Reden … und wie kommst mir denn vor? Ich seh’s durch die Finsterniß, daß Du ganz bleich bist und verwacht, und wie verweint. … Komm’ zu Dir selber; wenn Du so red’st, bist ordentlich zum Fürchten …“

„Ja,“ rief er im Tone des tiefsten Schmerzes, „ich bin ein Mensch, vor dem man sich fürchten muß. … Mir wär’ besser, ich hätt’ einen Mühlstein am Hals und lieget’ drunten im Meer, wo ’s am tiefsten ist!“

Christel war aufgesprungen und stand erstarrt. „O du heilige Mutter … was soll das bedeuten?!“ stammelte sie.

Von dem Kleiderschranke in der Kammer ertönte leises Knarren – sie vernahm es nicht in ihrer Erregung.

Der Schmerz hatte Wendel die Sprache geraubt, unter Thränen fand er sie wieder. „Warum hab’ ich denn nit sterben können vor der entsetzlichen Stund’!“ jammerte er. „Gestern, wie ich Deine Lieb’ erfahren hab’ … da hätt’ ich sterben sollen, ich wär’ von Stund’ auf in den Himmel gekommen und hätt’ die Glückseligkeit gleich mitgebracht … Und jetzt …“

„Wendel …“ schrie das Mädchen von einer plötzlichen Ahnung durchblitzt … „Red! Sag’, daß ich Dich falsch verstanden hab’ … das Unglück von heut’ Nacht …“

[803] „Ja – ich bin’s gewesen … ich hab’s gethan …“ rief Wendel in angstvollen Lauten hinwider, und die Hände vor’s Antlitz schlagend, brach das Mädchen in den Stuhl zusammen und wimmerte:

„O Du liebster Vater im Himmel droben … Du! Also doch Du … der gute brave Wendel und doch … o – o, es ist ja nit möglich, nit möglich …“

„Jetzt, wo’s geschehen ist,“ fuhr er in abgerissenen Sätzen fort, „jetzt weiß ich, jetzt begreif’ ich’s selber nimmer, wie’s möglich gewesen ist … aber das hitzige Blut, das mir allemal gleich in den Kopf steigt, das ist an Allem schuld! Du hast bitter Recht gehabt, wie Du mich gestern gewarnt hast … Dein Vater hat mich schlecht gemacht vor allen Leuten und unschuldiger Weis’ – da bin ich hinaus wie ein Wahnsinniger und hab’ schier nichts von mir gewußt; erst wie ich den Feichtenhof vor mir gesehen hab’, bin ich wieder zu mir selber ’kommen. …“

Christel unterbrach ihn nicht, sie lag, das Gesicht auf die Arme gebeugt, auf dem Fenstersims – nur das Schüttern des Nackens und leises Schluchzen verriethen, daß sie lebte und hörte.

Wendel fuhr in dem traurigen Bekenntniß fort, er mußte die zermalmende Last von seiner Seele wälzen – es war, als würde ihm eine Erleichterung zu Theil, wenn noch ein Herz unter der Jammerbürde seufze. Er erzählte, wie er hastig seine Sachen gepackt und dann, ohne noch umzublicken, fortgeeilt sei, gerade aus bis auf eine Waldblöße … dort habe er sich unter einen Baum hingeworfen und geweint, daß es einen Stein hätte erbarmen müssen! Es habe ihm fast das Herz abgedrückt, daß er so fort müsse – fort, ohne von Christel Abschied genommen und ihr den Groll abgebeten zu haben, dessen Unrecht ihm immer klarer vor die Seele trat! Da habe es ihn mit unwiderstehlicher Gewalt gefaßt und nach dem Feichtenhof zurückgezogen – er wollte die Geliebte wenigstens noch einmal sehen und ihr Lebewohl sagen. Unbemerkt war er wieder an den Hof gelangt und durch ein lose gewordenes Brett in die Scheune geschlüpft; im Heu versteckt, wollte er Christel’s Heimkehr und die Nacht abwarten, um dann zu ihrem Fenster zu klettern. Indessen war draußen das Gewitter in voller Macht ausgebrochen und über dem Brüten und Warten hatte auch in seinem Innern der Sturm auf’s Neue zu toben begonnen. Der alte Schmerz kehrte wieder, daß er, obwohl ohne Schuld, gleich einem Verbrecher in die Welt gestoßen, hinausgejagt sei, wie ein herrenloser Hund … der Schmerz steigerte sich zum Grimm, wenn er die Ursache bedachte, wegen deren ihm das widerfuhr und die keine andere war, als seine Armuth. Keine Schranke lag zwischen ihm und der Geliebten, wenn er ihr Reichthum zu bieten hätte oder wenn auch sie arm geworden, wie er. … Der letzte Gedanke verließ ihn nicht mehr; gleich einer Schlange, die ihren Ring immer höher hinan und immer enger um ihr Opfer schnürt, preßte es ihm das Herz immer wilder, immer gewaltsamer zusammen - kaum wissend, was er that, hatte er Stahl und Stein hervorgezogen … im nächsten Augenblick sprühten Funken, glimmte der Schwamm und war im Heu versteckt. … Er selber stürzte wieder dem Walde zu … dort, auf derselben Waldblöße, wo er vorher gelegen, brach er unter dem Baum zusammen. …

Das Gewitter war majestätisch vorübergegangen … das weite herrliche Land athmete erfrischt und duftend auf, die Bäume funkelten in den letzten Regentropfen wie mit Edelsteinen bestreut; ein frischer, kühlender Lebensstrom rauschte durch die Wipfel und jagte an dem wieder hell und blau gewordenen Himmel die letzten Gewölkstreifen gegen die Berge hinein – dort verhallte das letzte feierliche Rollen des Donners, dort um die Bergstirnen hing die letzte Gewitterwolke und spiegelte auf ihrem dunklen Grunde den siebenfarbigen Lichtbogen des Friedens zurück. Die ganze Natur beging eine Feierstunde und all’ das Wehen und Rauschen, das Rollen und Sausen, Leuchten und Glänzen schien mit einem Male, als wären sie lebende Wesen und bekämen Stimmen, und all’ diese Stimmen tönten zusammen und riefen dem Unseligen unter dem Baum mit dem Worte des Predigers, das in seinem Ohr geschlafen hatte, zu: Heilig, heilig, heilig ist Gott Zebaoth – Himmel und Erde sind seiner Herrlichkeit voll. …

Und er selbst, wie stand er da in dieser herrlichen Welt – ein schändender Flecken in all’ der Pracht! Er allein unwürdig, daß ihn die erhabene Sonne beschien. …

Da gingen ihm die Augen auf zur Erkenntniß – mit zerschmetternder Wucht wie ein stürzender Berg überfiel die Reue sein Herz und was er gethan, lag unverhüllt vor ihm in seiner ganzen ungeheuren Schändlichkeit. Er war wirklich geworden, was ihn der Bauer genannt – er hatte ein Verbrechen begangen, das ihm das Glück erringen sollte und das doch, wie er plötzlich [804] mit der vernichtenden Klarheit des Blitzes erkannte, zwischen dem Glück und ihm eine unausfüllbare Kluft aufgerissen hatte. …

„Da ist mir gewesen,“ schloß Wendel die entsetzliche Beichte, „als wäre Jemand bei mir gewesen und hätt’ mir in Einem fort in’s Ohr geschrieen: Kehr’ um! Vielleicht ist es noch Zeit … vielleicht kannst Du’s noch ungescheh’n machen … kehr’ um! Da bin ich wieder zurück zum Feichtenhof … mehr todt als lebendig! Ich hab’ gemeint, die Kniee brechen mir ein, wie ich ihn von fern hab’ liegen sehen, denn ich hab’ nit anders gedacht, als daß jeden Augenblick das Feuer daraus aufschlagen wird. … Aber ich bin noch hingekommen, bin hinein in den Stadel … das Heu muß nit ganz trocken gewesen sein, es hat wohl an allen Ecken geglost … es hätt’ nur ein Lüft’l gebraucht, so hätt’s angefangen zu brennen … da hab’ ich Alles ausgedrückt und ausgetreten mit Händen und Füßen, dann bin ich wieder hinaus in den Wald und auf die Knie’ niedergefallen und hab’ unserm Herrgott gedankt …“

Christel hatte sich staunend aufgerichtet. „Wie? Du hast es wieder ausgelöscht?“ fragte sie hastig. … „Wie ist es aber doch gekommen, daß …“

„Weil unser Herrgott,“ murmelte Wendel dumpf, „von mir nichts mehr wissen will, weil er mein Gebet verworfen hat und meine Reu’ … es muß doch ein Funken übrig geblieben sein und muß gefaßt haben … mitten unter meinem Beten hat das helle Feuer aufgeschlagen vor meinen Augen …“

Er verstummte; auch das Mädchen wußte und vermochte nichts zu erwidern; wie sie im gemeinsamen Entzücken verstummt waren, hielt auch der Schmerz sie gleichmäßig schweigend gebannt.

„O Du armer, armer Mensch,“ rief Christel zuerst, „hat’s so weit kommen müssen mit Dir! Wie hast Dir selber so ’was anthun können!“

„Wie?“ rief Wendel entgegen; „Du red’st nur von mir und giebst mir nit einmal ein einzig’s hartes Wort? O Du leibhaftiger Engel vom Himmel herunter! Aber ich will all’ meiner Lebtag nichts thun als arbeiten und wenn mir das Blut aus den Fingern spritzt, ich will nit rasten, bis ich Alles wieder ersetzt und gut gemacht hab’ …“

„Thu’ das, Wendel,“ sagte das Mädchen ergriffen, „aber thu’s wegen Dir selber! Mir ist es nit um den Reichthum, um das bissel Hab’ und Gut … das verzeih’ ich Dir, aber daß Du – Du, den ich für den bravsten Menschen gehalten hab’, auf den ich Häuser gebaut hätt’, daß Du Dich selber so hast zu Schanden gemacht. … O Wendel, Wendel, Du wirst viel thun müssen, wenn ich Dir das verzeihen soll. … Jetzt ist es freilich wahr, daß Du fort mußt, in die Welt, über’s Meer, in ein Land, wo Dich Niemand finden kann!“

„Fort! Von Dir fort!“ klagte er. „Ich werd’s nit können, Christel … ich seh’s jetzt erst ein, was das heißt! – Ich kann nit leben ohne Dich!“

„Du wirst es müssen,“ entgegnete sie traurig, „Du hast uns das Schicksal selber aufgesetzt! Und Du mußt eilig fort, Du hast keinen Augenblick zu versäumen. … Geh’, geh’, mich überkommt auf einmal eine unbeschreibliche Angst, als wenn mir noch ein großes Unglück bevorstehn thät. … Wenn sie Dich finden, wenn ich sehn müßt’, wie sie Dich gebunden fortschleppen … es wär’ mein Letztes … Wendel, ich bitt’ Dich um Gotteswillen, befrei’ mich von der Angst und geh’ …“

„Ich gehe schon,“ erwiderte er zögernd, „ich will ja gehn – sag’ mir nur noch ein einziges Mal, daß Du mich nit verachtest, Christel … daß Du mich nit ganz und gar verloren giebst – daß Du nit im Zorn an mich denken willst …“

„Mach’, daß Du Dir’s selber verzeihen kannst,“ sagte sie weich, „von mir aus ist Dir Alles verziehen – ich werd’ Dich nie vergessen, Wendel, da hast meine Hand darauf! … Ach Du lieber Gott, ich könnt’s ja nit, wenn ich auch wollt’ …“

Sie streckte die Hand durch’s Gitter, die er ergriff und mit Küssen bedeckte; als sie dieselbe sachte zurückzog, kam sie wie zum Segen auf seinen Scheitel zu liegen.

„B’hüt’ Dich Gott,“ schluchzte sie, „wenn es sein kann, laß mich von Dir ’was hören – und denk’ an mich. …“

Sie wankte vom Fenster hinweg; wohl rief die vertraute Stimme draußen zärtlich ihren Namen und bat um einen letzten Blick, ein allerletztes Lebewohl; sie zwang sich zu schweigen, bis das Geräusch des endlich sich Entfernenden sich verloren hatte – dann horchte sie noch einige Augenblicke in die Nacht hinaus und sank, von Schwäche überwältigt, auf das Bett. … Bald jedoch erhob sie sich wieder und begann sich zu entkleiden, hielt aber auch damit inne, indem sie sich mit der Hand über die heiße Stirn fuhr.

„Es wird heut’ Nacht doch nichts werden mit dem Schlafen,“ sagte sie vor sich hin, indem sie den Docht der Lampe aufstörte und nach einem alten vergriffenen Buch langte, das darüber auf dem Simse lag. „Ich will beten. …“

Sie wollte sich auf’s Bett setzen, aber sie erreichte es nicht – der Flügel des Kleiderschranks öffnete sich und Domini stand vor ihr.

„Jesus. …“ schrie sie entsetzt und wollte der Thür zu, aber Domini hatte ihr den Weg vertreten und verschlang mit höhnischen Blicken die Gestalt der halb Entkleideten. …

„Geb’ sich die Jungfer keine Müh’ und mach’ Sie keinen Lärm,“ sagte er, „jetzt haben wir Zwei ein Wort unter vier Augen miteinander zu reden!“

„Mensch,“ stammelte sie, kaum ihrer Sinne mächtig, „wie kommst Du hieher? Was willst Du von mir?“

„Was ich will?“ fragte er höhnisch entgegen. „Was sollt’ ich sonst wollen, als Dich, Du zimpferlicher Schatz … meinst, ich hätt’ umsonst den Weg ausspionirt in Deine Kammer?“

„Elender Bursch’,“ rief sie in Zorn auflodernd, „den Augenblick gehst Du aus der Kammer oder ich schreie Alles im Hause wach …“

„Das läss’st Du schon bleiben, Schatz,“ entgegnete er näher tretend, „das ist nit Dein Ernst! Gehn könnt’ ich wohl – aber weißt Du, wohin ich dann gehe? Geraden Wegs auf’s Landgericht, damit sie Deinen saubern Gasselbuben, den Mordbrenner, packen und ihn Dir in Ketten und Banden herbei führen …“

„Heilige Mutter!“ rief Christel und mußte sich am Bettpfosten halten, um nicht umzusinken.

„Aha – giebst es jetzt wohlfeiler?“ fuhr Domini fort. „Ich glaub’s! Du hast wohl Deinen Vater aufgeredt, daß er sein Wort zurückgenommen hat, und hast ihm gesagt, Du nimmst mich niemals und hättest einen völligen Abscheu vor mir … aber ich denk’, ein bissel was wird schon davon abgehn, daß wir einen Handel machen können! Den Wendel kannst doch einmal nit haben – also gieb mir freiwillig Dein Jawort, und ich hab’ von Allem nichts gehört …“

„Nein, nein … in Ewigkeit nit …“ rief Christel mit einer Geberde des Abscheus.

„So?“ fragte Domini und that, als wolle er sich zur Thür wenden, hielt aber inne, als sie eine Bewegung machte, ihn dennoch zurückzuhalten. „Geschwind,“ fahr er fort, „wenn Du Dich anders besonnen hast, so sag’s; ich kann das lange Herumzerren nit leiden, bei mir muß Alles fein lüftig gehn. … Also willst oder willst nit?“

Durch Christel’s Sinn schwirrten und schwankten die verschiedensten Gedanken, wie sie der Gewalt des Schändlichen zu entrinnen vermöchte; jeder ward schon im Entstehen wieder unterdrückt, denn keiner vermochte, das unselige Geheimniß, dessen Mitwisser er geworden, in ihm zu verschließen. Sie wollte und wollte nicht; sie schwankte zwischen Ja und Nein, wie zwischen zwei Bechern mit verschiedenen Giften gefüllt – sie wußte selbst nicht, wie es geschah, aber ihre Lippen bewegten sich und es klang von ihnen: „… Ich will …“

„Die Hand darauf?“ rief Domini triumphirend.

„Hier ist sie …“ stammelte sie mit erlöschender Stimme … „aber jetzt fort von mir … fort aus der Kammer hinaus – im Augenblick …“

Sie wollte ihm die Hand wieder entziehn, aber er hielt sie lachend fest und zog sie näher an sich, so kräftig sie ihn auch von sich abstemmte. „Oho,“ rief er, „so haben wir nit gewettet! Jetzt bin ich einmal da, und will für Dein Wort ein Unterpfand …“

„Bösewicht!“ rief sie, seiner sich ungestüm erwehrend, aber er kehrte sich nicht daran und faßte sie immer kecker um den Leib … „Wer steht mir denn gut,“ höhnte er, „daß es Dich bis morgen nit reut? Daß Du mir nit morgen Alles aus dem Gesicht heraus leugnest? Ich geh’ nit von Dir, eh’ ich nit sicher weiß, daß daß Du nimmermehr loskannst von mir …“

Nirgends ein Ausweg, nirgend eine Hülfe – und immer wilder umschlang er die verzweifelt Widerstrebende, der mit der ermattenden Kraft zuletzt auch die Besinnung schwand – –




[805]
4.0 Unter der Sichel.

Der Juni war gekommen und hatte den Sommer mitgebracht, aber eingehüllt in schwüles brütendes Gewölk, das nicht die Macht besaß, sich zu Gewittern zu ballen, und sich dafür desto häufiger in mächtigen Regengüssen entlud, welche tagelang den Himmel in ödem, trübseligem Grau, wie in den Falten eines Trauerschleiers, verbargen. In der Ebene brausten Glonn und Mangfall breiter und rascher dahin, denn die Bergwasser kamen voller zu Thal und die verdeckten Untiefen der Moosgründe hatten sich leise ansteigend gefüllt, daß sich die braunen Fluthen nun über die Gestade wälzten, wo die Büsche in der Strömung wankten, und die zur Reife vergilbenden Saathalme sammt den dazwischen gestreuten rothen Mohnhäuptern sich verwundert schüttelten, weil sie unter sich die mütterliche Scholle nicht mehr gewahrten, der sie gemeinsam entkeimt. An den Höhen zog es in dunstigen Streifen hin, ein undurchdringlicher Vorhang, den nur manchmal ein rascher Windstoß hob oder ein flüchtiger Sonnenstrahl zerriß; dann war zu erkennen, daß die alten treuen Berge auch ungesehn auf ihrem Posten standen, daß sie in der Regenluft ganz nahe herantraten, als wären sie in schwarzblauen Stahl gerüstet, um dann, wenn sie gesehn, daß das Land wie sonst wohlbehütet vor ihnen lag, sich wieder den Wolkenmantel um die Felsenschultern zu schlagen.

Wie ein dunkler Rahmen zu einem Bilde der Trauer stimmte der trübe Himmel zu dem noch immer unheimlichen Anblick, welchen der zerstörte Feichtenhof darbot. Zwar waren die Spuren des Brandes so ziemlich beseitigt: das verkohlte Gebälk lag seitwärts aufgeschichtet, die Mauern, welche nicht mehr verwendet werden konnten, waren abgebrochen und weggeräumt, und auf dem unversehrt gebliebenen Grunde stieg statt ihrer schon ein rasch wachsendes neues Gemäuer empor, aber über dem Ganzen lag doch noch ein Hauch des Trübsinns, wie die Blässe auf dem Antlitz des halbgenesenen Kranken, in dem der verborgene Kampf noch fortdauert, ob die Lebensröthe des Blutes in den Wangen wiederkehren oder für immer der Erstarrung weichen soll und dem Tode. Die Unordnung und die Zerstörung, welche fast allem menschlichen Schaffen vorausgeht, um der neuen Schöpfung Raum zu gewinnen, die mancherlei Vorbereitungen und Gerüste boten ein ungastliches Bild, um so mehr, wenn, wie im Augenblick, wegen der Mittagsruhe der Arbeiter und Maurer das Geräusch und Rufen ihrer Thätigkeit verstummt war; auch sonst war es rings umher still, sogar die Vögel, die sonst wohl noch den Rest der Brütezeit auf Hecken und Bäumen verzwitscherten, schienen, erst durch die grelle Feuersgluth und dann durch die stete Arbeit verscheucht, sich einen andern Sing- und Spielplatz gewählt zu haben.

Unter der Thür des Zubauhauses in einem schlechten Lehnstuhl saß der Feichtenbauer; das Leiden in seinen Händen war wiedergekehrt und hatte auch den Weg in die Beine gefunden, daß sie ihn nicht mehr zu tragen vermochten und er, mit all’ seinem Groll und Grimm an den Stuhl und in die Stube gebannt, es schon als eine große Erleichterung fühlte, wenn er mindestens im Freien sitzen und sich an dem heranwachsenden Neubau weiden konnte, dessen baldige Vollendung die Mitte seines ganzen Denkens und Trachtens geworden war. So hatte er Zeit genug, darüber zu grübeln, ob der Bader Recht hatte, wenn er behauptete, die Verschlimmerung seines Zustandes sei die Folge der im Bergwirthshause begangenen Unmäßigkeit, des Schreckens und der andauernden Zornaufregung – oder ob, wie sein einsames Gewissen ihm zuflüsterte, er darin Strafe und Vergeltung dafür zu erkennen habe, daß er sein Gelöbniß so schlecht oder eigentlich gar nicht erfüllt hatte. Sein einziger Trost, seine Freude und Hoffnung war, sich das Haus fertig zu denken, er sah dann schon den Kranz mit den Bändern beim Hebwein von dem frisch aufgesetzten Dache flattern und malte sich aus, wie er wieder thätig sein, in Acker, Scheune und Stall schaffen und wirken oder doch, wenn Christel die Herrin und Bäurin geworden, dem gedeihlichen Wirken und Schaffen junger Kräfte zusehen und sich daran erfreuen wolle. Allerdings war ihm auch diese Aussicht durch die Gedanken an den künftigen Eidam getrübt, denn seit am zweiten Morgen nach dem Brande Christel plötzlich vor ihn getreten war und ihm erklärt hatte, daß sie ihren Sinn geändert und bereit sei, nach dem Willen des Vaters Domini die Hand zu reichen – seitdem war eine eigenthümliche Veränderung in ihm vorgegangen; mit dem Widerstand, der sich seinem Plane entgegengesetzt, schien auch der Reiz desselben geschwunden zu sein und es geschah nicht selten, daß er selbst nicht mehr recht begreifen konnte, was ihm denn an Domini so besonders gefallen. Wenn er auch seinem Versprechen gemäß einige Tage nach dem Brande wirklich gekommen war und mit lachendem Mund dreitausend Gulden in blanken Thalern und nagelneuen Bankzetteln auf den Tisch gelegt und ihm dadurch den raschen Angriff des Neubaus gar sehr erleichtert hatte, so war doch an dem ganzen Gebahren und der immerwährenden Lustigkeit des Metzgers etwas, was ihm nicht behagte – die früher so laut belachten Späße kamen ihm übertrieben, die so gern vernommenen Schilderungen und Geschichten langweilig vor, und wenn er so recht treuherzig und bieder sprach und ihm die Hand hinstreckte, mußte er immer unwillkürlich an eine Katze denken, welche an der dargebotenen Schmeichelpfote die Krallen versteckt.

Auch sonst wohl war in seinem Gemüthe Vieles mürber und weicher geworden; es glich jener Art von hartem Ackerland, das einen leichten Regen einsaugt und verdunstet und das, um für Saat und Ernte empfänglich zu werden, eindringender Güsse und Erschütterungen bedarf. Das Eine, worin er sich unverändert gleich geblieben, war der Haß und die Wuth gegen den Urheber des Brandunglücks, als welchen er in unumstößlicher Gewißheit Wendel ansah, wenn er ihn auch nicht nannte. Als er noch einmal eine Andeutung seines Verdachtes ausgesprochen, war ihm Christel in höchster Erregung[WS 1] und wie außer sich entgegengetreten und hatte mit der Drohung, sich ein Leid anthun zu wollen, das Versprechen ertrotzt, daß davon nie mehr die Rede sein solle, aber auch ungenannt war es nur der verhaßte Knecht, welchem die wilden Zornausbrüche galten, in denen sein verhaltener Groll sich manchmal Luft machte.

Aergerlich zählte er jetzt die Minuten, durch welche wegen des Mittagsmahls der Arbeiter die Förderung des Baus unterbrochen war, und durch den feinen durchdringenden Regenschauer, der eben niederzurauschen begann, sah er unter dem schützenden Dachvorsprunge nach dem Wahrzeichen des Hofes, der großen Fichte hin, von deren unteren angebrannten Aesten die Nadeln abgefallen waren, so daß zwischen dem schwarzen dürren Holze der Blick bis auf die noch immer unvernarbte Wunde des Stammes zu dringen vermochte.

Eben kam ein Knecht von der Hinterstube, wo die Dienstboten ihre Mahlzeit gehalten, über den Hofraum gegangen und schritt, die Säge in der Hand und ein starkes Beil auf der Schulter, der Fichte zu, an deren Fuß er das Werkzeug niederlegte und dann etwas zurücktrat, als wolle er die Höhe des Baumes und die Entfernung bemessen, bis zu welcher derselbe im Sturze reichen würde.

„Was will denn der Hans Narr?“ murmelte der Bauer. „Ich glaub’ gar, er hat was im Sinn mit der Hof-Feichten? (Fichte.) He da, Pauli!“ rief er ihm laut zu, als der Knecht wirklich Anstalt machte, die Stelle für den ersten Beilhieb auszusuchen. „Was treibst Du denn? Auf der Stell’ gehst Du mir von der Feichten weg und kommst da her zu mir!“ Der Knecht gehorchte zögernd und mit schlecht verhehltem Widerwillen.

„Was werd’ ich treiben?“ sagte er. „Es regnet wieder, man kann nicht hinaus in’s Feld – da hab’ ich gedacht, es wird das Beste sein, ich hau’ die Feichten um!“

„Kreuzbirnbaum!“ rief der Alte und wollte aufspringen, uneingedenk der starren schmerzenden Kniee, die es ihm unmöglich machten. „Die Hof-Feichten umhauen? Ich glaub’, Du bist übergeschnappt! Seit wann ist es denn der Brauch, daß man auf meinem Hof die Bäum’ so umhaut, mir nichts, Dir nichts und ohne mich zu fragen?“

„Ich hab’ gemeint, Ihr werdet wohl drum wissen,“ erwiderte der Knecht gleichmüthig. „Der Herr Domini hat’s angeschafft…“

„So? Der Herr Domini?“ schrie der Bauer mit schallender Stimme, die allein seiner Heftigkeit den Dienst noch nicht versagte. „Freilich, was der anschafft, das muß geschehn! Er denkt gewiß, er braucht nichts mehr zu thun, als zu commandiren? Da ist er doch ein bissel zu früh an den Tupfer gekommen! Noch bin ich Herr und Vogt auf dem Feichtenhof und die Dienstboten, die bei mir sind, müssen thun, was ich haben will!“

„Meinetwegen!“ entgegnete der Knecht und nahm das Beil wieder auf die Schulter. „Von mir aus steht die Feichten gut – lang’ wird’s doch nimmer dauern damit, das Feuer hat ihr weh gethan und bis zum Herbst ist sie lang abgestanden, sie fangt ja schon an, ganz dürr zu werden am Gipfel …“

[806] „Nit wahr ist es!“ rief der Alte zürnend. „Das bissel Hitz’ hat der Feichten nichts gethan – die hat einen gar gesunden Kern! Und wenn Du von gipfeldürr werden redst, Du Dummkopf, so kannst Du gehn und Dich getrost um ein Paar andere Augen umschaun! Die Feichten muß sich erholen und sie erholt sich auch … bis der neue Hof unter Dach ist, kennst Du ihr nichts mehr an; nachher komm’ zu mir, daß ich Dich recht auslachen kann, ich zahl’ Dir einen Kronthaler, wenn Du mir das Vergnügen machst!“

Der Knecht entfernte sich schweigend; in der Thür, durch das laute Gespräch herbeigerufen, stand Christel und mahnte den Vater, in’s Haus zu kommen, die feuchte Regenluft könne ihm schaden.

Wer das Mädchen vor wenigen Wochen gesehen, an dem frischen Maimorgen unter den hoffnungsgrünen Linden der Wallfahrtskirche, frisch und hoffnungsreich, wie beide, der hätte wohl Mühe gehabt, in dieser wie vom Tragen schwerer Lasten ermüdeten Gestalt, in diesem kalt ernsthaften, um nicht zu sagen, finstern Angesicht sie wieder zu erkennen. Sie war noch immer schön, aber die Schönheit war eine andere geworden; das übervolle braune Haar erschien noch glänzender, weil es durch die fast durchscheinende Weiße des Gesichts noch mehr hervorgehoben wurde; das Blau der Augen war dunkler geworden, wie das Wasser eines sonst durchsichtigen Bergquells über einer geheimnißvollen Untiefe seines Grundes.

Mühsam und ächzend erhob sich der Alte und wankte, von Christel unterstützt, dem Hause zu. „Hast Du es gehört,“ sagte er, „was der Domini sich unterstanden hat? Er will die große Feichten umhauen, das Wahrzeichen von …“

„Ich hab’ Alles gehört,“ entgegnete das Mädchen kalt; der Bauer aber rief spottend nach: „Ich hab’ Alles gehört? Und das sagst Du so gleichgültig, als wenn gar nichts dahinter wär’? Aber ich will es ihm eintränken! Ich will ihm zeigen, daß ich auch noch ein Wört’l mitzureden hab’! Was bild’t sich denn der Bursch’ ein, der übermüthige!“

„Was braucht er sich einzubilden!“ sagte Christel wie zuvor, aber mit einem Anfluge von Bitterkeit. „Er weiß ja, daß er bald Herr sein wird vom Feichtenhof … was liegt also daran, wenn er den Herrn schon um ein paar Wochen früher spielt!“

„Christel,“, rief der Alte, indem er sich von ihr losmachte, „mach’ mich nit Du auch noch harb’ mit Deinem Gered’! Du kannst es lang wissen, daß mir die Lust vergangen ist mit dem Domini und daß ich schon gern abgebaut hätte mit ihm … aber Du bist das lebendige Widerspiel und weil ich nimmer will, hast Du Deinen Kopf aufgesetzt und bleibst dabei, daß er durchaus Dein Mann werden soll! Wegen was thust das? Ich brauch’ nit mehr aufzupassen auf ihn, der Herr Pfarrer hat mir Kirchengeld versprochen, so viel als ich will – das kann ich jede Stund’ haben und den Domini damit hinauszahlen! Ich bin erst dahinter gekommen, daß er nit viel besser ist als ein Lump! Er hat gesagt, er müßt’ wieder hinein in’s Tirol, zu seinem Vater … gestern aber hab’ ich’s erfahren, daß es nit wahr ist, daß er im Land herumvagirt und in den Wirthshäusern zecht und spielt ...“

„Ich weiß, Vater,“ sagte Christel kaltblütig wie zuvor.

„So – weißt Du’s?“ eiferte er. „Und daß er die Susi mit herumschleppt, die liederliche Dirn’, die sich von uns fortgelogen hat … weißt’ das auch?“ Sie schwieg – aber aus ihrem Schweigen sprach die Bestätigung. „Und doch willst Du, daß er Dein Mann werden soll?“ fuhr er noch heftiger fort. „Kreuzbirnbaum, das ist mir zu rund! Hast Deinen Verstand verloren, Madel – oder was steckt da dahinter?“

Ein Steinführer, der eben eine Ladung Ziegel abgeleert hatte, kam herzu sich den Lieferschein bestätigen zu lassen und unterbrach das Gespräch. „Weißt schon die Neuigkeit, Feichtenbauer?“ sagte der Mann, während der Bauer den Zettel überflog „Wie ich gerad’ gehalten hab’ unten am Berg’ und hab’ eine Halbe getrunken, ist der Gerichtsdiener auch hinein gekommen in die Zechstuben und hat’s erzählt … sie haben ihn …“

„Sie haben ihn? Wen?“ fragte der Bauer verwundert, während eine böse Ahnung Christel das Blut in die Wangen jagte und es ihr vor den Augen flirren machte.

„Ha, wen sonst als den Mordbrenner, der Dir den Hof angezündet hat?“ sagte der Fuhrmann. „Er hat durchbrennen wollen, über’s Meer nach Amerika – da ist’s gerad’ noch aufgekommen, sie haben ihn noch eingeholt, jetzt liegt er schon in Ketten und Banden und wird vor’m nächsten Schwurgericht verhandelt … er soll’s auch schon eingestanden haben …“

„Und wer … wer ist es?“ fragte der Feichtenbauer fast athemlos und mit aufblitzenden Augen; die gleiche Frage zitterte unausgesprochen auf Christel’s glühendem Munde.

„Wer wird’s sein! Niemand als Dein früherer Knecht … der Wendel …“

„Der Wendel?“ brach der Alte triumphirend aus. „Also ist er’s wirklich gewesen? Und sie haben ihn schon, und er liegt wirklich schon hinter Schloß und Riegel? O, ich hab’s gewußt! Ich hab’s immer gesagt, so viel man mir’s hat ausreden wollen. … O, wie mich das freut … ich lass’ ein Hochamt lesen, ein levitirtes, weil ich nur das noch erlebt hab’ ... Komm’ herein, Fuhrmann, komm’ mit mir in’s Haus, das mußt mir noch einmal und ganz genau erzählen. …“

Er ging, wie von seinen Schmerzen geheilt, in’s Haus und zog den Fuhrmann mit hinein, unbekümmert um Christel, welche bei Seite gewankt war, ihre Verwirrung mindestens vor den Augen des Fremden zu verbergen. Ihre Stirne brannte, ihr Athem flog, das aufwallende Herz drohte wie im Krampfe das Mieder zu sprengen … ein kühler Windstoß, der ihr den Regen in’s Gesicht warf, gab ihr die Besinnung wieder.

„Hat mir denn geträumt oder hab’ ich das wirklich gehört?“ flüsterte sie dumpf in sich hinein. „Der Wendel ist gefangen ... er soll’s eingestanden haben.… Wie ist denn das möglich? … Aber es muß doch wahr sein … ich hör’, wie der Vater in der Stuben drinn’ lacht und sich freut.… Also hab’ ich ihn nit erretten können und es wär’ Alles umsonst gewesen.… Alles, Alles umsonst? … Und wenn es ist, dann hat’s kein anderer Mensch gethan, als der Domini, dann hat er sein heiliges Wort gebrochen und hat ihn verrathen … der elende Mensch ist zu Allem fähig! … Aber wenn er das gethan hat,“, fuhr sie rascher und wie aufathmend fort, „dann wär’ ich ja auch von meinem Versprechen los und ledig! O mein Gott, dann bin ich ja auch frei von ihm!“ … Ein Funke der Freude wollte in ihrem Gemüthe aufglimmen, aber die einen Augenblick gehobene Last rollte zurück und erstickte ihn … selbst wenn Domini seine Zusage nicht gehalten, wenn er das gelobte Schweigen gebrochen, war sie dann wirklich von ihm befreit? Konnte sie sich ganz und gar lossagen von dem Schändlichen? … Sie vermochte nicht, den Gedanken an’s Ende zu denken; sie war wie der Gefangene, den das Klirren seiner Ketten aus dem Freiheitstraume weckt.… Zorn, Scham, Abscheu umwölkten und verfinsterten ihre Seele … das Heiligste, ihr makelloser Ruf, ihre Ehre hielt sie mit unzerreißbaren Banden an den Elenden geschmiedet; sie war ihm verfallen für immer. …

Die Hand an die Stirne pressend, murmelte sie in zermalmendem Weh vor sich hin: „Es ist Alles vorbei … Alles verloren! O Du heilige Mutter im Himmel droben, hab’ Erbarmniß und mach’ mit mir ein gnädig’s End’ … und das bald … recht bald!“

[819] Wenige Wochen später war die Straße, die zum Schwurgerichtshofe führte, wie belagert; es war unmöglich noch in den Saal selbst zu gelangen, so groß war der Andrang, das Landvolk der ganzen Gegend war herbeigeströmt, die letzte Entwicklung eines Ereignisses mit zu erleben welches durch seine seltene Eigenthümlichkeit und die Menge merkwürdiger Nebenumstände das Gespräch und Anliegen des ganzen Gaus geworden war.

Die gleich einem Wildwasser erbrausende, Kopf an Kopf [820] gedrängte Versammlung verstummte feierlich, als der Gerichtshof die Bühne betrat, die Geschworenen sich um ihre Sitze sammelten und auf Befehl des Präsidenten der Angeklagte eingeführt wurde.

Wendel erschien wohl verhärmt und angegriffen, aber doch nicht gebrochen; der Blick, mit dem er die Versammlung überflog, ließ errathen, daß er innerlich mit sich vollkommen einig war und jedenfalls seinen Entschluß gefaßt hatte. Er verzog keine Miene, als nach der Ausloosung der Geschworenen das Verlesen der Anklageschrift begann, eines rechtlichen und rednerischen Meisterstücks, worin die verschiedenen gegen Wendel sprechenden Anzeichen mit einer Genauigkeit und Schärfe zu einem so erdrückenden Beweise vereinigt waren, daß nach der Beendigung Alles wie beklommen tief aufathmete und wohl nur Wenige im Saale zugegen sein mochten, denen die Schuld des Angeklagten nicht bereits für ausgemacht galt. Die allgemeine Meinung schien ihn zu verurtheilen, wie ein allgemeines Gerücht, dessen Entstehen Niemand kannte, das sich überall hin verbreitete wie unsichtbar vom Winde ausgestreuter Samen, die Anklage gegen ihn hervorgerufen hatte. Kein Mensch vermochte zu sagen, wo er zuerst davon gehört, bald aber schlich überall die leise Sage umher, daß ein Knecht des Feichtenbauers diesem den Hof angezündet. Wer zweifelte dann noch, wenn er vernahm, daß Wendel am nämlichen Tage aus dem Dienste gejagt worden war, weil er sein Auge bis zur Tochter seines Herrn erhoben hatte? Dazu kam, daß er vor vielen Menschen den Bauer schwer bedroht hatte, daß er die Oertlichkeit des Hauses genau kannte, daß er zur entscheidenden Zeit, um seine Kleider zu holen, am Orte der That gewesen war – hatte er sich auch bald wieder entfernt, so lag doch die Annahme nahe, daß er dies absichtlich, nur zum Scheine gethan und sich in der Nähe verborgen gehalten. Dazu kam ferner noch, daß er allgemein als ein Bursche von heftigem Wesen bekannt war, den die auflodernde Hitze gar wohl zu einer raschen wilden That und selbst zu einem Verbrechen hinzureißen vermochte. Viele wollten wissen, daß er ein lauer Christ und ein schlechter Kirchengänger war, ein Mensch, der sich keinem Brauche fügen wollte und überall der gewohnten Ordnung widerstrebte – die Begegnung mit den Hüglinger Burschen war nicht ohne Folgen geblieben.

Das Verhör des Angeklagten war sehr kurz; er setzte der Anschuldigung einen starren, trotzigen Widerspruch entgegen, wenn er auch alle die Nebenumstände, aus denen sie gefolgert wurde, ohne Rückhalt zugestand und sich dadurch von dem gewandten Staatsankläger in ein Netz von Fragen verwickelt sah, das sich mit jeder Frage enger um ihn zusammen zog.

Die Vernehmung der Zeugen war nicht angethan, hieran etwas zu ändern. Der Feichtenbauer, der sich lange auf diesen Augenblick gefreut, machte weder aus seinem Groll noch aus seinem stets gehegten Verdachte ein Geheimniß. Christel rief schon durch ihr bloßes Erscheinen große Bewegung hervor, welche sich noch steigerte, als sie, obwohl auf’s Tiefste ergriffen und unter schmerzlichen Thränen, leisen und doch festen Tones, mit allen Zeichen rückhaltsloser Offenheit die allgemeinen Fragen über ihre Beziehungen zum Angeklagten beantwortete, und ungescheut vor den Menschen, wie sie es vor Gott gethan, ihre Liebe und ihre einst gehegten Hoffnungen bekannte. Wendel vermochte den Anblick des Mädchens nicht zu ertragen; die Hände vor’s Gesicht schlagend, saß er niedergebeugt da und konnte auf die Frage des Präsidenten, ob und was er gegen die Aussagen dieser Zeugin zu erinnern habe, nur mit stummem Kopfschütteln erwidern. Die Angaben der Dienstboten und Nachbarn über Entdeckung und Verlauf des Brandes brachten ebenfalls kein neues Licht in die Sache; Domini, der über den Vorfall im Bergwirthshause vernommen wurde, nahm sich zusammen und sprach zwar ohne Rückhalt, aber auch ohne jede Spur von Gereiztheit, wie ein vollkommen glaubwürdiger Zeuge.

Die Einzige, welche ihre Aufregung nicht zu bemeistern vermochte, war Susi, die geladen war, um über Wendel’s Aufenthalt auf dem Feichtenhofe auszusagen, und die zum ersten Male vernommen ward, weil sie früher nicht aufgefunden werden konnte. Sie war mit Domini lustig im Lande herumgezogen, denn wenn sie ihn auch grollend empfangen hatte, als er am Tage ihres Zusammentreffens anstatt am Abend, wie er versprochen, erst spät in der Nacht und bei fast anbrechendem Morgen gekommen war, hatte seine schmeichelnde Geschwätzigkeit doch nicht eben ein schweres Spiel gehabt, sie zu besänftigen und mit neuen Versprechungen zu ködern. So war es ihm gelungen, sie an entfernte Orte zu locken und dort mit Geschenken, Betheuerungen und Liebkosungen fest zu halten, daß sie über seine neuen Beziehungen zum Feichtenhofe und seine Absichten auf Christel in voller Unkenntniß blieb und dem tückischen Doppelspiel kein Hinderniß bereitete. Arglos sah sie ihn kommen und gehen, des Tages wartend, wo er sie in seine Heimath führen und zur Frau machen würde, während er nur darauf bedacht war, sie hinzuhalten, bis er fest auf dem Feichtenhof faß; dann mochte sie Alles erfahren und toben, dann konnte sie ihm nicht mehr schaden und mußte sich zuletzt wohl oder übel in das Unvermeidliche finden. Es war ihm daher mehr als unangenehm, ihr unter den Zeugen unvermuthet zu begegnen, und ihre laut ausgesprochene Freude über das Wiedersehen fand bei ihm eine sehr zurückhaltende und kühle Erwiderung. Wohl bemühte er sich, die bei der Verhandlung in ihr aufsteigenden Bedenken durch zugeflüsterte Bemerkungen und Liebesworte zu beseitigen; als aber der Feichtenbauer auf eine Zwischenfrage des Präsidenten entschieden erklärte, daß Domini der bestimmte Bräutigam seiner Tochter sei, und daß er ihm bereits am Morgen des Tages, an welchem der Brand stattgefunden, seine Zusage gegeben – da war das Lügengewebe, mit dem er sie umsponnen hatte, mit einem Male zerrissen und bis auf den letzten Faden von der fessellos auflodernden Flamme der Eifersucht, des Zornes und der Rachsucht zerstört.

„Wie wär’ mir das?“ rief sie und trat vor, ohne Rücksicht auf die verweisenden Worte des Präsidenten die Verhandlung unterbrechend. „Das ist ja ’was ganz Neues! Der Domini will Feichtenbauer werden? Und das Alles ist schon so fest abgemacht worden und in der Still’, und damit ich nichts davon erfahren sollt’, hat er mich im Land herumgeführt und hat mich zum Narren gehabt …“

Der Präsident gebot ihr wiederholt, zu schweigen; wenn sie Ansprüche zu erheben habe, so sei ihr deren Verfolgung unbenommen, aber hier sei nicht der Ort, sie zu verhandeln, weil sie nicht zur Sache gehörten – aber die erbitterte und trotz ihres Leichtsinns im Grund der Seele beschämte Dirne war nicht zu beruhigen.

„O ja,“ sagte sie, „das gehört wohl zu der Sach’! Das gehört erst recht dazu! Das muß doch ein Blinder sehn, daß sie Alle zusammenspinnen und dem Wendel heraushelfen wollen oder was sie sonst im Sinn haben. … Aber wenn doch das Trumm an mir ausgehen soll, dann will ich auch meinen Senf dazu geben und will Alles sagen, was ich weiß. … Wenn Sie herausbringen wollen, wie’s mit dem Anzünden zugegangen ist, Herr Präsident – dann fragen Sie nur den Domini, der kann’s Ihnen ganz genau sagen …“

Ein Brausen der Erregung durchflog den Saal. „Es ist nit wahr, Gnaden Herr Präsident,“ rief Domini rasch und laut, „ich weiß nit mehr, als ich schon gesagt habe … das Weibsbild redet nur so aus purem Haß, weil sie sich an mir rächen will …“

„So? Leugnen willst Du es auch noch?“ rief Susi wüthend. „Willst noch von mir schlecht reden obendrein und mich ein Weibsbild heißen? Hast es vergessen, wie ich Dich im Wirthshaus am Fall erwartet hab’ die ganze Nacht, und wie Du erst gegen Morgen gekommen bist und hast Wein bringen lassen, und hast Dich entschuldigt, es sei ’was ganz Merkwürdiges gewesen, was Dich aufgehalten hätt’, und weil ich nit aufgehört hab’ zu fragen, hast mir’s eingestanden im Rausch, Du wüßtest es jetzt ganz genau, wie’s mit dem Brennen auf dem Feichtenhof zugegangen wär’ … so genau, als wenn Du selber dabei gewesen wärst …“

Die Bewegung wuchs und wich erst dem wiederholten Mahnruf des Präsidenten, der Domini dringend aufforderte, ohne Rückhalt die Wahrheit zu sagen.

„Ich muß wohl,“ sagte Domini, sich fassend, „es könnt’ sonst gar den Schein bekommen, als wär’ ich selber dabei gewesen. … Ich muß also sagen – der Wendel hat den Feichtenhof angezündet, ich hab’s aus seinem eigenen Mund gehört, wie er’s erzählt hat …“

„Domini …“ schrie Wendel, entsetzt aufspringend, „willst Du mich in’s Unglück bringen durch Deine Lüg’? Du bist ein schlechter Bursch’, wenn Du auf die Weis’ Deinen Zorn an mir auslassen willst! Ich hab’ Dich nimmer gesehn seit dem Bergwirthshaus. [821] … Red’ – wenn noch ein ehrlicher Blutstropfen in Dir ist, so sag’ … wann, wo hast Du so was von mir gehört?“

„Ja, ja, ich glaub’s wohl, daß Du das nit errathen kannst!“ entgegnete Domini mit seiner alten Ruhe und einem höhnischen Blick. „Deßwegen ist’s aber doch wahr … denk’ nur daran, wohin Du in der selbigen Nacht noch einen Gasselgang gemacht hast und was an dem selbigen Kammerfenster gered’t worden ist. …“

Wendel stand vernichtet. „Das weißt Du?“ stammelte er wie sinnlos. „Das hat sie Dir erzählt? …“

„Das nit!“ rief Domini mit seinem wüsten Lachen, „das hat’s auch gar nit nöthig gehabt … ich hab’ es selber gehört, ich war ja schon vorher bei ihr drinnen in der Kammer. …“

Ein wilder Schrei rang sich aus Wendel’s Brust, ein Schrei des Schmerzes und der Wuth; er wäre auf Domini losgestürzt, hätte die Wache ihn nicht zurückgehalten; Christel war in halber Ohnmacht zusammengesunken.

„Rede,“ rief Wendel, keuchend vor Erregung, auf sie hin, „red’, Christel … vor allen diesen Leuten, vor unserm Herrgott, red’! … Nit meinetwegen, Christel … ich bin ja doch schon ein zernicht’ter, verlorener Mettsch, aber wegen Dir selber, wegen Deiner eigenen Ehr’ …“

Grabesstille lagerte auf dem Saale, nur sie machte es hörbar und verständlich, als Christel von einer Zeugin unterstützt, sich mühsam erhob und gesenkten Auges flüsterte … „Es ist nit wahr. …“

„O, es ist wahr! Es ist nur zu wahr!“ schrie Wendel auf in namenlosem Schmerz. „Du hast das Lügen schlecht gelernt, Christel; ich seh’s an Deinem Armensündergesicht, daß es wahr ist! – Ist es denn möglich? Du … die ich für einen hell-lichten Engel gehalten hab’, Du hast so falsch sein können, so bodenlos schlecht? Jetzt freilich, wo Du da stehst in Schand’ und Spott, wie ich – jetzt fallt’s Dir auf’s Herz und Du möchtest mir heraushelfen mit einer Lüg’! … Aber ich will das nit – ich will nichts wissen von Deiner Erbarmniß und von Dir; ich will für mich leiden, was mir gehört, und will Alles sagen. … Ja, ich bin’s gewesen, Herr Präsident, jetzt gesteh’ ich’s ein, ich hab’ den Feichtenhof angezünd’t. …“

Er erzählte den Hergang, wie er ihn dem Ohre der Liebe vertraut hatte, der mit jedem Worte steigenden Theilnahme der Versammlung; Richter und Geschworne waren ergriffen und selbst der Ankläger schien mit einer Art mitleidsvoller Scheu daranzugehn, die thatsächlichen Widersprüche und Unvollständigkeiten aufzuklären, welche das Geständniß noch übrig gelassen hatte. Es waren besonders zwei Umstände, welche der Aufhellung bedurften, das Verschwinden der ansehnlichen Summe baaren Geldes, die in dem Schranke des Bauers sich befunden hatte, und der Ort, an welchem der Brand gelegt worden und zum Ausbruche gekommen war. Wendel wies mit Unwillen jede Bezichtigung wegen des Geldes von sich und beharrte dabei, daß er das Heu in der Scheune angesteckt habe, während nach den übereinstimmenden Aussagen der Hausangehörigen und nach dem Ergebniß des Augenscheins die Entstehung und der Hauptheerd im Hause selbst, in der Nähe der Stiege gesucht werden mußte. Wendel wiederholte, er habe Alles gesagt, was er auf dem Herzen gehabt, er vermöge nichts Anderes anzugeben, und wenn man ihm in der nächsten Viertelstunde den Kopf vor die Füße legen würde.

Der Staatsanwalt beantragte die wiederholte gesonderte Vernehmung der Beiden, welche das außergerichtliche Geständniß vernommen hatten. Domini mußte abtreten und Christel wurde vorgerufen. Ein Murren des Unwillens empfing sie, sie vernahm es nur halb, wie sie die Worte des Präsidenten hörte, der mit feierlichem Ernste sie an den Eid, den sie geschworen, erinnerte und vor der schweren Verantwortung und den harten Folgen des Meineids warnte; ihr war wie einem Ertrinkenden, der durch die ihn umgebende Fluth noch die letzten Töne des Lebens vernimmt, und dem die nächste Secunde den Tod bringt.

Die entscheidende Frage war gestellt; sie mußte antworten – da drangen verworrene Laute aus dem Grunde des Saales hervor, eilende Fußtritte und das Geräusch von durcheinander rufenden Stimmen; auf das Ruhegebot des Präsidenten antwortete vielstimmig die Nachricht, ein fremder Mann habe sich eingefunden, der vernommen zu werden begehre, weil er wichtige Entdeckungen mitzutheilen habe – auf den Wink des Vorsitzenden öffnete sich eine Gasse unter den Zuhörern und der Mann trat vor.

Es war der Leinwandhändler aus Schwaben.

Er war wohl unter den geladenen Zeugen gewesen, da aber ein Zeugniß über seine Erkrankung eingegangen, war die Behörde, welche auf seine Aussage kein entscheidendes Gewicht zu legen vermochte, auf seinem Erscheinen nicht bestanden; er hatte sich freiwillig auf den Weg gemacht, und eine schnelle beschwerliche Reise nicht gescheut, obwohl der erste Blick auch den Unkundigen überzeugte, daß seine Krankheit keine erdichtete gewesen war.

„Es hat mich bös gepackt,“ sagte er in seiner Erzählung; „wie ich nach Hause gekommen war, spürte ich erst, daß es mich doch tiefer angegriffen hatte, als ich zuerst gedacht – ich mußte mich legen und über der Sorge um mich hat kein Mensch nach dem Lederpack gefragt, den ich mitgebracht hatte … ich selber dachte nicht mehr daran, bis mir vor ein paar Tagen einfiel, daß nun bald die Verhandlung sein werde … da zog ich die Schnüre auseinander und nahm die geschmolznen Kettentrümmer und die schwarzgebrannten Ringstücke zur Hand, um nur noch einmal den Rest anschauen, der mir von dem ganzen Reichthum geblieben war … da fand ich das da, was nicht mir gehört und was ich doch aus dem Brandschutt neben meinen Sachen hervorgeholt habe … wie ich’s erblickte, machte ich mich auf den Weg, es war mir wie ein Fingerzeig von oben, daß vielleicht das kleine stumme Ding da den Mund aufmachen und Zeugniß ablegen könnte für die Wahrheit!“

„Also Ihnen gehört es nicht?“ entgegnete der Präsident, indem er den auf den Gerichtstisch niedergelegten Gegenstand in die Hand nahm und dann in der Runde bei den Richtern herumgehen ließ. „Dann wird wohl der Eigenthümer des Hofs darüber Auskunft geben können.“

„Kreuzbirnbaum,“ rief der Bauer, auf seinen Wink hinzutretend, „wie kommt denn das daher?“

„Ihr erkennt es also?“

„Freilich – ich trau’ nur meinen eigenen Augen nit recht, aber es ist doch schon so, ich erkenn’s an dem Napoleons-Köpfel da … das ist die Uhrkette vom Domini. …“

„Dafür halte auch ich’s,“ sagte der Händler, „es ist die nämliche Kette, die ich ihm den Abend vor dem Brand hab’ abhandeln wollen und die ich am Morgen nach dem Brand bei ihm vermißte. … Wißt Ihr noch? Er wollte sie verloren haben, konnte aber nicht sagen, wo …“

Wie Baumrauschen vor einem Sturm ging es durch den Saal.

„Und Ihr irrt nicht?“ rief der Präsident. „Ihr habt wirklich dies Stück im Brandschutte gefunden? … In der That ein sehr merkwürdiger und befremdender Umstand … der Eigenthümer selber möge denn das Räthsel lösen. Man lasse ihn eintreten,“ fuhr er mit erhobener Stimme fort, „aber Niemand spreche ein Wort, Niemand unterfange sich, ihm ein Zeichen des Vorgefallenen zu geben. … Tretet näher,“ rief er dann Domini zu, der mit vollster Unbefangenheit eintrat. „Ihr seid vielleicht im Stande, über einen sonderbaren Vorfall Aufklärung zu geben. … Dieses Stück Silber hier wurde im Brandschutt gefunden und so eben zu Gerichts Handen gebracht. Kennt Ihr es? Vermögt Ihr anzugeben, wie es wohl dahin gekommen sein mag?“

Kecken Schrittes war Domini die Stufen zum Gerichtstische hinangestiegen – als ihm der Präsident das in der Hand verborgen gehaltene Kettenstück entgegenhielt, war es, als ob ein Blitzstrahl vor ihm niederführe. Er erblaßte und wankte und mußte nach dem Tischbehang fassen, um nicht über den Antritt herunter zu taumeln.

„Ihr kennt die Uhrkette – Euer Gesicht zeigt es!“ rief ihm der Präsident mit mächtiger Stimme zu. „Euer Schrecken verräth auch, daß Ihr mehr von dem Brande wißt, als Ihr angegeben. An den Ort, wo diese Eure Kette gefunden wurde, kann sie nur durch den Anstifter oder Mitwisser des Brandes gekommen sein … so bekennt und sagt die Wahrheit!“

Die Wendung war so plötzlich und überwältigend hereingebrochen, daß auch Domini’s hart geschmiedete Keckheit unter ihr zusammenbrach; der Boden, auf dem sie fußte, wich unter ihm, er fühlte, daß er verloren war, und er war es vollends, weil er [822] es fühlte. Der erfahrene Richter, der seinen Zustand erkannte und durchschaute, drängte mit wiederholter Frage; er fand nicht Zeit, eine Ausflucht zu ersinnen.

„Es geschieht mir ganz recht,“ sagte er, „meine eigene Dummheit ist’s, in der ich mich gefangen hab’! Meinetwegen – wenn’s doch nicht mehr zu halten ist, gilt mir’s gleich, ob’s an den Gattern angeht ober an den Zaun … hab’ ich doch wenigstens meine Freud’ dabei gehabt und hab’ sie Andern versalzen! Ja …“ rief er dann laut und gegen die versammelte Menge gewendet, „ich hab’ mir gedacht, ich wollt’ machen, daß mich der Feichtenbauer nit sollt’ entbehren können; ich hab’ der Christel, der hochmüthigen Person, einen Denkzettel anhängen wollen; deßwegen hab’ ich mich in den Feichtenhof geschlichen, bin in die Kammer hinauf und hab’ das Geld geholt. … Wie ich drunten war, ist mir eingefallen, der Teufel könnt’ doch sein Spiel haben, da hab’ ich gedacht, es ist das Beste, wenn ich ein bischen einheize! Ich hab’ den Holzstoß angezündet unter der Stiege, hab’ vom Stapel einen Bündel Stroh herein und in einem Augenblick ist es schon lichterloh in die Höh’ gegangen. … Da ist’s auf einmal gewesen, als wenn ich jemand hätte gehn hören, ich bin fort und hab’ nit darauf geachtet, daß ich im Wegspringen an etwas hängen geblieben bin. … Später hab’ ich wohl gemerkt, daß ich mir die Kette abgerissen hatte, aber da hat es schon hellauf gebrannt und ich hab’ mir gedacht, sie liegt mir gut in dem eingestürzten Haus …“

Der Eindruck dieser neuen Entwicklung der Sache war ein ungeheurer – mit Einem Schlage waren alle Zweifel gehoben; es war klar, daß Wendel, obwohl des Anzündens geständig, doch an dem Brande selbst keine Schuld trug, daß sein Bemühen, zu löschen, vollkommen gelungen und daß es das gleichzeitig an einer andern Stelle gelegte Feuer gewesen war, welches den Feichtenhof vernichtete.

Dem alten Bauer ward es nicht schwer, sich in die veränderte Anschauung zu finden; für ihn blieb Wendel doch der Schuldige, und daß auch Domini als solcher erschien, berührte ihn wenig, war er doch des Genossen ledig, gegen den seine Abneigung von Stunde zu Stunde gestiegen war. Das Einzige, was ihn lebhafter erregte, war das Schicksal seines Geldes, das er zuvor schon als verloren betrachtet hatte.

„Gieb mir mein Geld wieder,“ rief er Domini zu. „Sagen Sie ihm, Herr Präsident, daß er mir mein Geld wieder geben muß! Er soll sagen, wo es ist – er wird es wohl vergraben haben, der Böswicht!“

„Nein, so dumm ist unser Einer nit,“ erwiderte Domini frech … „so ein tausend Gülderl wirst schon in den Kamin schreiben müssen, Feichtenbauer, die hab’ ich verjuxt und auf Deine Gesundheit vertrunken! Das andere hab’ ich auf Zinsen gelegt … ich hab’s umgewechselt und hab’ Dir’s selber geliehen – was meinst, ist der Feichtenhof nit eine gute Hypothek?“

Das schallende Gelächter, das an’s Ohr des Ueberlisteten schlug, traf ihn empfindlicher als Alles, was vorher gegangen. Das Schicksal seiner Tochter hatte ihn nicht erschüttert; daß er, der reiche, überall angesehene Feichtenbauer ein Gegenstand des allgemeinen Spottgelächters geworden, drang ihm bis in’s Mark – es wandelte ihn an, als ob sich der ganze Saal mit ihm zu drehen beginne, und mit Erlaubniß des Präsidenten wankte er an der Tochter Hand hinaus.

Die Verhandlung nahm nun ruhig den weiter zu erwartenden Verlauf. Der Staatsanwalt ließ gegen Wendel, dessen That zum gesetzlich straflosen Versuch herabgesunken war, die Anklage fallen, um sie gegen Domini zu begründen; das Urtheil erkannte ihm schwere vieljährige Freiheitsstrafe zu – freigesprochen verließ Wendel unter dem grüßenden Zuruf des Volkes den Saal.

Als er in das Vorzimmer trat, stand er Christel gegenüber.

Sie war nicht mehr blaß – von den Rosen, die einst auf ihren Wangen heimisch gewesen, war eine verspätete Knospe aufgeblüht; der einzige Sonnenstrahl der Freude hatte genügt, sie hervorzurufen, als es zu Tage gekommen, daß der Mann, dem ihr ganzes Leben gehörte, nicht so furchtbar schuldig, daß sie nicht mehr gezwungen war, für seine Zukunft zu zittern …

Wendel sah sie und stand festgebannt, er sah wieder in diese blauen, von wehmüthiger Zärtlichkeit überströmenden Augen und vermochte nicht, dem Drange seines Herzens zu widerstehen, das ihn, wenn auch von schwerer Wunde blutend, zu ihr zog.

„O Christel, Christel,“ rief er mit schmerzerstickter Stimme, „was hab’ ich Dir denn gethan, daß Du mich so elend hast machen müssen …“

„Wendel,“ sagte sie mit mühsam behaupteter Fassung, „ich hab’ trotz Allem und Allem nie schlecht von Dir gedacht – ich hätt’s wohl verdient um Dich, daß Du auch einen bessern Glauben an mich hättest haben sollen. … Der Domini,“ fuhr sie mit sichtbarer Ueberwindung fort, „hat sich in meine Kammer geschlichen und versteckt gehabt – so hat er Alles mit angehört, und damit er schweigen und Dich nit verrathen sollt’ …“

„O du mein Gott,“ unterbrach sie Wendel in feuriger Freude, „so hast Du Dich opfern wollen für mich … Du hast mich retten wollen, und ich … ich hab’ so blind sein, ich hab’ zweifeln können an Deiner Lieb’ und an Dir! Das kannst mir in Ewigkeit nit verzeihn!“

„Es ist Alles verziehen,“ sagte sie sanft und innig, „vergeben und vergessen Alles mit einander – aber ich hab’ Dir ’s sagen müssen; drum hab’ ich da auf Dich gewartet, daß wir abrechnen und ich Dir noch einmal Behüt’ Gott sagen kann …“

„Und müssen wir denn Behüt’ Gott sagen?“ rief Wendel liebevoll. „Jetzt ist ja Alles anders geworden auf einmal – Du hast früher selber gesagt, ich soll Geduld haben und warten, Dein Vater könnt’ sich vielleicht doch noch einmal anders besinnen. … Vielleicht ist das Herz ihm jetzt weich ’worden. … Christel, schick’ mich nit von Dir … gehör’ mein! Ich hab’ Dich ja so lieb und will Dich lieb haben meine Lebenszeit … o viel, noch viel lieber als ehvor! Oder geh’ mit mir, geh’ mit in die neue Welt – wir nehmen den Vater mit und bauen uns drüben einen neuen Hof – ich mein’, es wird ihm auch nit mehr besonders gefallen in der alten …“

„Nein, Wendel,“ erwiderte sie mit traurigem Kopfschütteln, „mit unserer Lieb’ und unserem Glück ist’s vorbei – in der alten und in der neuen Welt! Und wenn Du mich noch so gern hättest, Wendel, schau, ich könnt’s nimmer glauben, daß es Dir Ernst ist … ich thät’ mir immer vorkommen, daß ich Deiner Lieb’ nimmer werth wär’ … ich müßt’ roth werden und mich vor mir selber schämen. … Es ist nit anders, Wendel, wir müssen auseinander; wir sehn uns heut’ noch und nachher nimmermehr!“

Tiefe Rührung begann ihre bisherige Festigkeit zu erschüttern.

„Geh’ nach Amerika, Wendel,“ sagte sie dann, indem sie ihm noch einmal die Hand bot, „laß mich’s wissen, wenn Du irgendwo ein Plätz’l findest, und halt’ gewissenhaft, was Du mir in einer schweren Stund’ versprochen hast. … Ich bleib’ bei meinem Vater, er braucht mich und mit mir wird’s wohl so lang’ noch halten, als er mich braucht. Und wenn ein End’ hergeht, Wendel, dann will ich Dir’s durch den Herrn Pfarrer schreiben lassen … dann denk’ noch einmal an mich und bet’ mir einen Vaterunser …“

„Christel,“ rief Wendel im höchsten Schmerz, „red’ nit so und geh’ nit von mir … ich kann’s ja nit denken, daß ich von Dir lassen soll. … Besinn’ Dich doch noch einmal …“

„Da nutzt kein Besinnen,“ sagte sie, „es bleibt schon wie es ist, und also – B’hüt’ Dich Gott.“ … Einen Augenblick war es, als ob sie sich zu einem letzten Kusse an seine Brust werfen wollte, aber sie unterließ es und eilte schluchzend zur Thür hinaus.

Stumm und gebrochen kehrten Vater und Tochter auf den Feichtenhof zurück; sie sprachen nicht von dem Geschehenen, der Bauer hatte keinen andern Gedanken mehr, als den Neubau, dessen Beschleunigung er mit alleu Mitteln und wie in steter Fieberhast betrieb. Er vergaß darüber, daß sein Leiden vor Allem Ruhe und Schonung erforderte; er wollte den Schmerzen wie dem Wetter und der Anstrengung trotzen und über sie Herr werden, um aller Welt zu zeigen, daß die alte ungebrochene Kraft wiederkehre – es mißlang: ein Regenschauer, der ihn durchnäßte und das Uebel aus den Gliedern in den Leib zurückdrängte, machte dem unruhigen Treiben ein rasches Ende. Der Rest seiner Lebenskraft hatte eben noch ausgereicht, daß er von dem neuen Dachstuhl die Bänder des Giebelkranzes flattern sah und die Vivats hörte, welche von den Arbeitern beim Hebwein auf den freigebigen Bauherrn ausgebracht wurden – der andere Morgen traf ihn nicht mehr unter den Lebenden, eine düstere gewitterhafte Nacht hatte unbemerkt die dunkel umwölkte Seele von hinnen genommen. Als der Sarg hinweggebracht wurde und die ersten herbstlichen Blätter darauf hernieder fielen, schaute Paul der Knecht, der mit [823] am Sarge trug, zu der vollkommen dürr gewordenen Hof-Fichte hinauf und sagte vor sich hin: „Wer hat nun Recht behalten, Feichtenbauer? Ich mein’, du gäbst mir jetzt wohl gern einen Kronthaler, wenn du aufstehn könntest, wenn’s auch nichts ist mit dem Auslachen.“ …

Bald zog der Winter ein und machte den einsamen Feichtenhof noch einsamer; es war, als ob alles Leben daraus hinweggezogen, und fast Niemand sprach dort ein, als der Pfarrer, den Christel häufig zu sich bat. Auf seinen Rath kamen ein paar von der Verwandtschaft herbei, um nach der Hofhaltung und Wirthschaft zu sehn, denn die Tochter war die meiste Zeit krank oder schloß sich ein, um zu beten; Manche wollten gar wissen, sie sei tiefsinnig geworden. Gewiß war, daß sie mit jedem Tag sich mehr verzehrte und dahinschwand; es war eine einzige Hoffnung, die ihr das Dasein fristete – die Hoffnung, noch eine Nachricht von Wendel zu erhalten.

Die erwartete Botschaft traf auch ein – wenige unbeholfene Zeilen von Wendel’s eigener Hand, aber sie enthielten, daß er wohlbehalten in der neuen Welt angekommen, daß er als Knecht einen Platz gefunden in einer Farm, die gerade so einsam liege, wie der Feichtenhof, und daß sein Herz bei ihr zurückgeblieben überm Meere.

Christel hatte sich mit dem Briefe mühsam an’s Fenster gesetzt, wie um ihn besser lesen zu können; die Hand mit dem Blatte sank herab und ihr Blick irrte hinaus in die erstorbene weite Landschaft, die ein kalter Winterabend in strenger Herrschaft umfangen hielt.

Weithin, unabsehbar, ununterbrochen lag schimmernder Schnee gebreitet, wie das weiße Tuch, das man über eine Leiche breitet, um sie dem Schmerz derer zu entziehen, denen sie theuer gewesen; nur die Wälder und zerstreuten Bäume ragten mit den blattlosen Aesten und dürren Kronen daraus hervor, wie dunkle Zeilen und Zeichen, in denen geschrieben stand, wie flüchtig das Leben und wie vergänglich Alles, was schön ist in ihm. Drüben aber, jenseits der trostlosen Ebene stiegen unerschütterlich die Berge empor, vom Scheitel bis zur Sohle in Eis gekleidet wie Genien in weites wallendes Gewand, und die früh hinabgehende Wintersonne schlang ihnen purpurne Strahlenbänder um die himmelnahen Stirnen – von ihnen glänzte es wie Trost und Hoffnung [824] zurück bis hinter die Eisblumen an Christel’s Fenster und weit getragen von der reinen klaren Winterluft klangen die Abendglocken aus den Thaldörfern herauf und läuteten zum Gebet und riefen, wie es unter den Linden der Wallfahrtskirche gerufen, mit majestätischen Stimmen ihr Heilig – heilig – heilig ist der Herr Zebaoth … Himmel und Erde sind seiner Herrlichkeit voll. …

Als der Frühling kam und der Waldeinfang des Feichtenhofs wieder anfing in Blätter zu schießen, lag das Wahrzeichen desselben gefällt und lang hingestreckt in dem jung aufkeimenden Grase – Tags darauf ließ der Pfarrer den versprochenen Brief nach Amerika abgehn.

Ob er Wendel erreichte, was aus diesem geworden, ist unbekannt geblieben; auch Domini verscholl. Auf den Feichtenhof, der längst in fremden Händen sich zu neuem Ansehn und Wohlstand gehoben, ist nie mehr eine Kunde gelangt von den beiden Gasselbuben.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Errregung