Die Geharnischten von Torgau

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Titel: Die Geharnischten von Torgau
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 465–466
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Geharnischten von Torgau.

Festliche Aufzüge, in welchen uns Kriegsbilder vergangener Zeiten vorgezaubert werden, bilden heutzutage kein seltenes Ereigniß. Wo Erinnerungen an große geschichtliche Ereignisse gefeiert werden, da fehlt selten der mittelalterliche Harnisch und der wallende Helmbusch gepanzerter Ritter. Es dürfte aber kaum eine andere Stadt im Reiche geben, in welcher ein derartiges Schauspiel so oft und so regelmäßig sich wiederholt, wie dies in Torgau der Fall ist, das seine „Geharnischten“ alle zwei Jahre hoch zu Roß und zu Fuß vor die Thore der Festung hinausziehen sieht. Wo ein solcher Brauch so treu bewahrt wird, dort muß sicher der Geist der Bürgerschaft auf eine ereignißreiche geschichtliche Vergangenheit zurückblicken können, auf alten Glanz, den man nicht so leicht vergessen mag. Und in der That hat die ehemalige kurfürstliche Residenz an der Elbe ihre bedeutende Geschichte. – Als mit dem 10. Jahrhundert das Frühroth einer neuen Zeit über den Hütten der slavischen Wenden an den Ufern der Elbe erschienen war, da wurde Thurgove als die erste deutsche Niederlassung, als Stützpunkt für das germanische Vordringen und Warte gegen die unterjochten Stämme gegründet. Die Wehrhaftigkeit der Burgmannen und der innerhalb der Stadtmauern angesessenen Einwohner schützte Burg und Stadt, und die Beschäftigung mit den Waffen blieb als ein ernstes Erforderniß der Nothwendigkeit in steter Uebung.

Die Zeiten wurden allgemach friedlicher. Nach der Theilung Sachsens in die ernestinische und albertinische Linie zog in Torgau die Pracht und der Glanz des Herrscherhauses ein. Unter seinem Schutze blühte hier Handel und Wandel: weit über den Bannkreis des Stadtrechtes hinaus war Torgaus Herrschaft auf commerciellem Gebiete befestigt und gesichert. In Leipzig und Halle rechnete man nach Torgauer Maß und Gewicht, und der „Torgauer Scheffel“ galt in Mitteldeutschland als Grundmaß.

Mitten in diesem regen Treiben entstand auch am Anfange des 16. Jahrhunderts das vielthürmige Wahrzeichen der Stadt, das Schloß Hartenfels, dicht an der Elbe auf einem Porphyrfelsen erbaut. Noch heute gilt es als das gewaltigste Denkmal der Renaissance in Deutschland, welches an Größe sich wohl mit dem königlichen Schloß in Berlin messen darf und nur von dem Marienburger Schlosse übertroffen wird. Die Bewunderung und den Neid vieler Herrscher hatte es einst wachgerufen, die in seinen weiten Hallen gastliche Aufnahme fanden. Hatte doch Karl V., vor Torgau im Jahre 1547 vorbeiziehend, das Schloß eine „recht kaiserliche Burg“ genannt, und Albrecht von Brandenburg nach der Mühlberger Schlacht zu Herzog Moritz geäußert: „Herr Ohm, es möchte wohl einer einen Krieg führen, wenn er ein solches Schloß [466] gewinnen könnte.“ Und die schöne Schneckentreppe im Schloßhofe hatte Friedrich dem Großen so sehr gefallen, daß er bei ihrem Anblick ausgerufen haben soll: „Könnte ich sie in die Tasche stecken, so würde ich sie mitnehmen.“

Um die Zeit, aus welcher unsere heutige Zeichnung des Schlosses und der Stadt stammt, feierte hier Peter der Große die Vermählung seines Sohnes Alexius mit der braunschweigischen Prinzessin Charlotte Christiane Sophie und hielt eine lange Unterredung mit Leibnitz über die Mittel und Wege, wie Kunst und Wissenschaft in Rußland eingeführt werden könnten.

Bei solchen Anlässen füllte sich wohl die Stadt mit Fremden und auch die Bürger wurden im Harnisch entboten, um die hohen Gäste einzuholen.

Aber namentlich in der Reformationszeit waren die Augen aller Deutschen auf Torgau gerichtet. War ja doch „Wittenberg die Mutter und Torgau die Amme der Reformation“. Hier auf dem Schlosse Hartenfels erhob sich auch die erste protestantische Kirche, in der Luther predigte. Hier war es, wo im Jahre 1526 zwischen den Hessen und Sachsen der „Torgauer Bund“ gegen die katholischen Reichsstände geschlossen wurde, wo 1530 Luther und seine Freunde die „Torgauer Artikel“ verfaßten und wo reichlich vier Jahrzehnte später das „Torgauische Buch“ veröffentlicht wurde, aus welchem dann nach einer Umarbeitung das sogenannte Bergische Buch oder die Concordienformel entstand. Und als der Kurfürst mit seinen Theologen zum Reichstag nach Augsburg zog, da bildeten die gewappneten Torgauer den Schluß seines Gefolges. Die späteren unruhigen Zeitläufte zwangen die Bürger oft genug, die Waffen zu tragen, und noch im 17. und 18. Jahrhundert mußten Stadt und Burg gegen allerlei Angriffe gerüstet sein. Darum enthält auch das im Jahre 1719 neu revidirte Statut der Stadt die Bestimmung:

„Ein jeder Bürger soll mit Harnisch und andern Wehren jederzeit zu Tag und Nacht gerüst und bereit seyn, daß auf jedern Nothfall kein Mangel zu spüren.“

Als später die Gefahren für die Stadt aufhörten, da mochten sich die Einwohner von den alten Rüstungen nicht trennen, und was früher Nothwendigkeit gewesen war, das wurde jetzt als Andenken an vergangene Zeiten beibehalten. So erben noch heute Harnisch und Waffen vom Vater auf den Sohn fort, und alle zwei Jahre zieht die „Torgauer Bürger-Pikenier-Compagnie“ – so lautet der officielle Name der Geharnischten – auf den Anger hinaus, wo seit undenklichen Zeiten das Schützenfest abgehalten wird.

Schon Wochen vorher beginnen die Uebungen. Der Schemel des Handwerkers und der Comptoirsessel des Geschäftsmannes werden mit dem Sattel vertauscht; Schmied und Schlosser müssen den schweren Panzer, den etwa veränderten Formen seines Trägers entsprechend, neu zurechtbiegen. Wenn aber die Woche nach dem Pfingstfeste erschienen ist und mit ihr der Tag des Auszugs, dann erhebt sich auf dem Anger, der Stätte des Festes, eine schnell gebaute Stadt von Zelten und kleinen, burgartig zugerichteten Häusern – neben den Schank-, Tanz- und Geschäftszelten auch viele Privatzelte der ausziehenden Bürger. Dem patriarchalischen Charakter des Festes entspricht es, wenn am Tage des Auszuges vom grauenden Morgen an bis zum Beginne des Ausrückens die Mitglieder der Compagnien bei ihren Officieren sowie bei dem Bürgermeister der Stadt Posten stehen; ja selbst der militärische Posten vor dem königlichen Commandanturgebäude wird während dieser Stunden von einem uniformirten Bürger abgelöst.

Vormittags zehn Uhr beginnt der Ausmarsch. Nicht Alle sind geharnischt; die Geharnischten aber ziehen voran, und zwar theils zu Pferde, theils zu Fuß. Der Harnisch mit Arm- und Beinschienen deckt den Körper, eiserne Handschuhe und der Helm mit Visir vervollständigen die Rüstung; Piken, Schwerter und Schilde bilden die Bewaffnung. Streitkolbenträger decken die Standarte der Berittenen, Morgensternträger begleiten die Fahne der Fußgänger. Diesen Ausmarsch stellt eine unserer Zeichnungen dar. Stimmungsvoll paßt das Bild mit den stattlichen Geharnischten in den Rahmen der den Marktplatz umsäumenden hochgiebeligen alten Häuser, hell glänzen die Rüstungen in den funkelnden Strahlen der Frühjahrssonne, und lustig spielt der Wind mit den zerfetzten Fahnen und den wehenden Helmzierden. Nach Ankunft auf dem Anger wird von den versammelten Civil- und Militärbehörden die große Parade abgehalten, commandirt von dem Hauptmann der Geharnischten, und nun beginnt das dreitägige Volksfest mit aller üblichen Unterhaltung und Kurzweil. Am Sonntage darauf erfolgt der feierliche Einmarsch, der das Fest beendet, worauf die bewaffnete Schaar zu ihrer bürgerlichen Beschäftigung zurückkehrt.