Die Gesänge der Nacht

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Die Gesänge der Nacht
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aus: Zerstreute Blätter (Dritte Sammlung) S. 272-275
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Erscheinungsdatum: 1787
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
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[272]
Die Gesänge der Nacht.


Als David in seiner Jugend auf Bethlehems Auen saß: da kam der Geist Jehovahs über ihn und seine Sinne wurden aufgethan, zu hören die Gesänge der Nacht. Alle Himmel erzählten Gottes Ehre und alle Sterne traten in ein Chor: der Klang von ihren Saiten berührete die Erde, zum Ende der Himmel floß ihr stilles Lied.


„Licht ist das Angesicht Jehovahs,“ sprach die untergehende Sonne und die Abendröthe antwortete ihr: „ich bin der Saum seines Kleides.“


Die Wolken über derselben thürmeten sich und sprachen: „wir sind sein Nachtgezelt“ und die Wasser der Wolken im Abenddonner tönten: „die Stimme Jehovahs gehet auf uns: der Gott der Ehren donnert, der Gott der Ehren donnert hoch.“

[273] „Er schwebet auf meinen Fittigen,“ sprach der säuselnde Wind; und die stille Luft antwortete ihm: „ich bin der Othem Gottes, das Schweben seiner erquickenden Gegenwart.“


„Wir hören Lobgesänge, sprach die Erde, und ich bin still und stumm?“ Und der fallende Thau antwortete ihr: „ich will dir Labung seyn, daß deine Kinder jauchzen, daß deine Säuglinge blühen, wie die Rose.“


„Wir blühen und sind frölich,“ sprach die Au’, und die Aehren rauschten drein: „wir sind der Segen Gottes, die Heere Gottes gegen des Hungers Noth.“


„Wir segnen euch von oben,“ sprach der Mond: „wir segnen euch,“ antworteten die Sterne. Und die Heuschrecke girrete und sprach: „er segnete auch mich mit einem Tröpfchen Thau.“

[274] „Er tränket meinen Durst,“ antwortete die Hindin. „Er erquickte mich,“ sprach das aufspringende Reh.


„Und giebt uns unsre Speise,“ träumete das Wild; „und kleidet unsre Lämmer,“ blöckete die Heerde.


„Er erhörte mich, so krächzete der Rabe, als ich verlassen war.“ „Er erhörte mich, antwortete die Gemse, da meine Zeit kam und ich ausriß und gebar.“


Die Turteltaube girrte und die Schwalbe, und alle Vögel girrten schlummernd nach: „wir haben unsre Nester funden, unsre Häuser; wir wohnen auf Gottes Altar. Und schlummern unter dem Schatten seiner Flügel, in stiller Ruh.“


„In stiller Ruh,“ antwortete die Nacht, und hielt den langen Ton; da krähete der Hahn, der Erwecker der Morgenröthe: „Thut auf die Pforten, [275] die Thore der Welt; es zeucht der König der Ehren heran. Erwacht ihr Menschen und preiset Gott; der König der Ehren ist da.“ Da ging die Sonne auf, und David erwachte aus seinem Psalmreichen Traume; so lang’ er lebete, blieben in seiner Seele die Töne dieser harmonische Schöpfung.