Die Gräfin zu Wertheim

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Textdaten
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Autor: Gustav Schwab
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Titel: Die Gräfin zu Wertheim
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 654–656
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
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[654]
Die Gräfin zu Wertheim.

Empor vom goldnen Strome,
Vorbei am schlanken Dome,
Hinauf ins Himmelsblau!
Mir winkt aus dichter Stämme Nacht

5
In herrlicher Verwüstungspracht

Zerrissner Fürstenbau.

Fort, zwischen Mauerzacken,
Durch, mit gebeugtem Nacken,
Durchs steinverhängte Thor!

10
Hinan, wo Thurm auf Thurm sich stellt,

Wo kühn wie aus der Alpenwelt
Ein Gipfel ragt hervor!

Jetzt klettern und jetzt springen,
Leicht über Kluft sich schwingen,

15
Tief unten Thal und Fluß:

Ich weiß nicht, ist es Menschenspur,
Ists ew’ger Fußtritt der Natur,
Vorüber wallt mein Fuß.

Sind Wände diese Rippen?

20
Sind Säulen diese Klippen?

Ist dieses Holz nicht Stein?
Ist all der Bau kein Felsenspiel?
O Kastellan, so sag’ mir viel,
Recht viel aus jener Zeit!

25
Nenn’ alle die Geschlechter,

Nenn’ Fehden mir und Fechter
Um Brücke, Thor und Haus!
Von Freud’ und Frieden melde mir!
Sprich: welche Sänger gingen hier

30
Mit Harfen ein und aus?
[655]

Und sag’ auch, welche Frauen?
O könnt’ ich Eine schauen
In Fülle, stolz und mild!
Dann wölbte sich mir farbenhell

35
Das erkervolle Saalgestell

Ringsum als Wunderbild.

Du lächelst seltsam, Führer!
Bist du ein Geisterspürer
Und lebst in todter Zeit?

40
Dein hohles Auge sah wohl gnug,

Doch um den Mund ein schlauer Zug
Führt mich jahrhundertweit.

Und nieder gehn wir, nieder,
Im Städtchen sind wir wieder,

45
Der Dom, er schließt sich auf.

Getaucht in Licht und Lebenslust,
Muß ich hinab in Modergruft,
Und Särge stehn zu Hauf!

Und Ein Sarg ist noch offen;

50
Vom Tagesschein getroffen

Spielt bleicher Sammt ins Roth;
Und schaurig ruht das Himmelslicht
Auf einem welken Angesicht
Voll unverwestem Tod.

55
Aus Purpursammt und Seide,

Aus funkelndem Geschmeide
Dies Antlitz blühend sproß,
Und, schritt die Jungfrau durch den Saal,
So wars, als wenn ein Sonnenstrahl

60
Durchs Bogenfenster floß.


Wie viele Leiern klangen,
Wie viele Klingen sprangen
Im Liebesstreit um sie!

[656]

Sie selbst in frischer Jugend Glanz,

65
Sie fühlte sich so Leben ganz,

Dacht’ an den Tod wohl nie!

Erhalten auf der Bahre
Liegt sie dreihundert Jahre –
O schweige, Kastellan!

70
Ich weiß, was du mir sagen willt:

Vor diesem starren Todtenbild
Weicht aller Erdenwahn!

Geborstne Schlösser dauern
Im Trotz zerspaltner Mauern

75
Noch glänzend spätem Blick.

Das Menschenkind hat keine Frist,
Es endet, wenns von hinnen ist,
Sein zeitliches Geschick.

Bei dieser grausen Miene

80
Der menschlichen Ruine

Erschauert mir die Haut.
Wenn meinen Leib empfing die Gruft,
Steig’ er verwandelt auf zur Luft
Als Gras und buntes Kraut!

85
Und jetzt zum Sonnenscheine,

Jetzt zu dem Schloßgesteine
Der alten Welt empor!
Doch will ich rückwärts nicht zur Zeit,
Will vorwärts schau’n zur Ewigkeit,

90
Duch das zerfallne Thor.
Gustav Schwab.