Die rettende Glocke
„Auf, hinaus in den Wald! In das herrliche Grün, zu den duftenden Tannen und Eichen,
Wo das Vögelein singt und das Hirschlein springt in den lustigen, freien Bereichen!
Hier wirds mir zu eng in der alten Stadt, melancholisch macht mich der Glocken
Festtäglicher Klang in den Mauern so dumpf – nur draußen da winkt mir Frohlocken!“
Zur Jagd gerüstet also an der Pforte. –
„O bleibe! Heut ist erster Ostertag!“
Entgegnet ihm sein Weib mit sanftem Worte.
„Begleit’ mich lieber auf dem Kirchengang,
Geliebter Mann, ist’s ja doch schon so lang,
Daß du nicht mehr im Gotteshaus gewesen!“
Doch er küßt sie und schwingt auf das Roß sich behend: „Ein andermal, Liebste, nicht heute!
„Ich muß in den Wald, hab’ zum Beten nicht Zeit!“ – Fort zieht er mit Jägern und Meute.
Ist rasch aus dem Thore, hinunter am Main, in den duftenden Wald er gedrungen.
Schon tönet fern und ferner das Geläut,
Da ruft der Graf: „Ade, trübsel’ge Glocke!
Fürwahr, du bringst mich nicht zum Beten heut,
Noch einmal tönt die Glocke wie ein Ruf
Und deutlich scheint’s zu flehn: „O kehre, kehre!“
„Fort“ – ruft er – „Rößlein! Spute deinen Huf,
Daß ich den Klageton nicht länger höre!“
Der Guckuck ertönt und des Hähers Geschrei und die Holztaub’ girrt aus dem Neste,
Es sonnt sich das schillernde Schlänglein im Gras, Eichhörnchen setzet im Fluge
Von Zweige zu Zweig und voll Neugier blickt es nach dem waidlichen Zuge.
Da schwingt auf einmal über’n Haseldorn
Heisa! wie treibt sein Roß des Grafen Sporn,
Wie setzt er nach, den Wurfspieß zu versenden!
Jetzt endlich stellt ganz nah das Wild sich dar,
Doch nur um schnell um’s Waldeseck zu biegen –
Sein Roß scheint, gleich dem weißen Hirsch, zu fliegen.
Durch verwachsen Gestrüpp, noch verschont von der Axt, in des Dickichts verborgnes Geflechte,
Folgt tief bald hinab, hinauf bald der Graf, und den Spieß hält zielend die Rechte;
Jetzt sendet er ihn dem Flüchtigen nach, doch der ist ihm glücklich entgangen,
Doch mitten in dem athemlosen Lauf
Schleudert ein Ast den Reiter von dem Pferde,
Und Hirsch und Renner fliehn im Sturmgeschnauf,
Betäubt hebt schwer der Graf sich von der Erde.
Doch’s Echo nur schallt von der Berge Rücken,
Schon dämmerts Abend und vom Felsenhang
Sieht er den Wolf mit glühendem Aug’ sich bücken.
Laut pochet sein Herz in der keuchenden Brust und er fühlt vom Durste sich plagen.
„Bringt der Durst mich nicht um, so werden mich hier die hungrigen Wölfe zerreißen;
O mein Weib! meine Kinder, ihr Lieben, ihr seyd bald Wittwe und klagende Waisen!“
Da tönt vom Himmel süßer Klang herab –
Er kennt am Klang sie, die den Frühgruß gab,
Die Glocke Wertheims ist’s, er hörts mit Beben;
Hell tönt sie fort – da wirft auf’s Knie er sich
Und betet aus des Herzens tiefstem Grunde:
O Gott, verzeih!“ ruft er mit blaßem Munde.
Und die Glocke sie senkt vor den Grafen sich hin und wandelt mit mahnendem Schallen
Ihm voraus in dem Wald und er lichtet sich bald vor ihr zu geräumigen Hallen.
Auf taucht nun der Mond, stets zieht sie voran, im silbernen Klange sich wiegend,
Nach Wertheims Thurm, der durch den leisen Flor
An des bekannten Thales Saum erscheinet –
Erschüttert tritt der Graf durchs hohe Thor
Bald in sein Schloß, wo Alles zagt und weinet.
Stillt rasch sein Anblick seines Weibes Klagen:
„Sey ruhig! Wenn die Glocke wieder klingt,“
– Ruft er, sie küßend, – „werd’ ich nie mehr jagen!“