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Die Hauptacteurs im Drama „Arnim“

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Textdaten
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Autor: R. E.
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Titel: Die Hauptacteurs im Drama „Arnim“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 9–11
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[9]
Die Hauptacteurs im Drama „Arnim“.
Zur Erinnerung.

Er ist in der That ein großes Ereigniß, der Proceß Arnim, denn einem gewaltigen Steinwurfe in’s Wasser gleich, zieht er an der Oberfläche der Gesellschaft seine Kreise über ganz Europa, ja selbst über das Weltmeer hin.

Ich glaube daher den Lesern der Gartenlaube, auch wenn bei Ansicht dieser Zeilen das Schauspiel längst zu Ende gegangen ist, einen nicht uninteressanten Beitrag zur Geschichte dieses Processes zu liefern, wenn ich ihnen noch einmal die Persönlichkeiten vorführe, welche in dem Drama die Hauptrolle inne hatten. Ich entwarf diese Schilderung noch während der Sitzungen des Gerichtshofes und setze selbstverständlich voraus, daß meine Leser über Wesen und Inhalt der Anklage unterrichtet sind.

Es hat kaum zehn Uhr geschlagen, und schon drängt sich in der Reichshauptstadt eine große Menschenmenge zu Fuß und Wagen nach dem Molkenmarkte, dem Herzen unserer Metropole zu. Da, wo im fünfzehnten Jahrhundert der Roland mit blankem Schwerte drohend von der steinernen Säule herabschaute, steht heute das fragwürdige Gebäude, in dessen Innerem die Wage der Themis ihre Schalen hebt und senkt. Wie ein summender Bienenschwarm drängt sich die Schaar der Neugierigen über den kleinen Markt mit seinen düstern Häuserfronten. Equipagen rollen hin und her; Herren in eleganter Kleidung, von vornehmem Gange und mit jenem frostigen Lächeln, das so vielen Mitgliedern der sogenannten guten Gesellschaft eigen ist, steigen aus und eilen rasch dem Stadtgerichte zu. Juristen von Ruf, Literaten, Mitglieder des Reichstags, Professoren und reiche Kaufleute: alle drängen sie sich in buntem Knäuel dem schmalen Eingange zu. Selbst jene Damen der hohen Aristokratie, welche unter der Führung der Baronin Schleinitz einen Bazar etablirten, um dem Wagner-Theater zu Baireuth neue Hülfsquellen zu eröffnen, werden der Jordan’schen Vorlesung seiner Nibelungen-Trilogie untreu und eilen der prosaischen Proceßverhandlung zu. Erhabene Musen, wenn das Wahnfried wüßte! Die auf dem Trottoir vorübergehenden Handwerker und Geschäftsleute schauen aus Neugierde dem bunten Treiben zu; Theilnahme ist auf keinem Gesichte zu lesen. Die Droschkenkutscher sind um der reichen Trinkgelder willen zu Scherzen aufgelegt: „Du, Ehde,“ ruft einer, „mich hat Madai eenen Erlaß unterschlagen, und des unterjräbt meine janze Stellung; et is der Fahrschein. Darnach aberst kräht naturellement keen Hahn.“

„Wende Dir an Bismarcken,“ entgegnet sein struppiger College mit heiserer Stimme, reckt sich aber gleichzeitig in die Höhe, denn eben fährt der Wagen des Grafen Arnim vor.

Auf den Arm seines Sohnes gelehnt, steigt der ehemalige [10] Vertreter unserer Nation aus dem Wagen. Der Graf ist eine schmale, zierlich gebaute Gestalt von müder Haltung; Haar und Bart sind grau, an manchen Stellen weiß; das Gesicht zeigt eine krankhafte Blässe und die mit einer Lorgnette bewaffneten Augen haben keinen besondern Ausdruck. Tizian hat viele Greise gemalt, deren Köpfe an den Grafen Arnim erinnern. Langsam steigt der Angeklagte im Innern des Gebäudes die breiten halbdunkeln Treppen hinauf. Von Freunden und Verwandten umringt, bleibt er oftmals stehen, um einem oder dem andern unter ihnen die Hand zu reichen oder einige Worte an den Betreffenden zu richten. Wohlgefällig lächelnd schweift dabei sein Blick über die Köpfe der Neugierigen. Das Benehmen des Grafen erinnert mich an jene römischen Patrizier, die, wenn sie angeklagt waren, mit möglichst vielen Mitgliedern ihrer Familie und sämmtlichen Clienten auf dem Forum erschienen, um dem Volke, vielleicht auch den Männern auf den curulischen Stühlen zu zeigen, wie gewaltig ihr Einfluß sei.

Großmüthig zeigt sich der Graf auch, wie ein echter Patrizier. Am ersten Tage der Verhandlung ließ derselbe in der rasch improvisirten Restauration neben dem Sitzungssaal eine artige Geldsumme deponiren, um alle Diener und Laufburschen zu erquicken, welche seine Person oder Vertheidiger zu bedienen hatten. Da kamen selige Tage für die schnellfüßigen zerlumpten Jungen aus der Reetzengasse. Ohne das mindeste Vorurtheil vertieften sich August und Fritze in die Caviarbrödchen, befeuchteten dieselben mit Erlanger Bier und wünschten gewiß in ihres Herzens Herzen, Arnim, der Wohlthäter, möge recht oft in die Tinte gerathen, damit sie auf sein Wohl essen und trinken könnten.

Im schmalen Sitzungssaale finden wir etwa hundertfünfzig Personen „eingekeilt in fürchterlicher Enge“. Das Stadtgericht ist rings von Arrestlocalen umgeben. Die kleinen Sitzungssäle liegen an der Vorderseite und gewähren die Aussicht auf den Molkenmarkt; dieselben sind so kahl und nüchtern, wie große Gefängnißzellen. Diese Localitäten stammen aus einer Zeit, wo man der Oeffentlichkeit des Gerichtsverfahrens nur einen geringen Werth beilegte. Staaten, welche von der Anschauung ausgehen, daß weise Fürsten sterben, weise Gesetze aber unvergänglich sind, thun alles, was in ihren Kräften steht, um die Majestät der Gesetze zu erhöhen, und dazu gehört vor Allem, daß man recht vielen Bürgern die Möglichkeit gewähre, den öffentlichen Gerichtsverhandlungen beiwohnen zu können. Zum Proceß Arnim wurde nur ein sehr geringer Theil von denen eingelassen, welche den Verhandlungen beizuwohnen begehrten. So kam es denn, daß für die Benutzung von Einlaßkarten ganz beträchtliche Summen geboten wurden.

Pünktlich nimmt der Angeklagte bei der Eröffnung der Sitzungen auf der etwas erhöht stehenden Bank, zur linken Seite des Gerichtes, Platz; die Verhandlungen beginnen.

Den Vorsitz führt der Stadtgerichtsdirector Reich. Dieser Richter ist etwas cholerischer Gemüthsart. Er liebt es gemeinhin, den Angeklagten ernst zu vermahnen, und legt dabei in manchen Fällen eine so große Leidenschaftlichkeit an den Tag, daß der Angeklagte Gefahr läuft, ihn für den öffentlichen Ankläger zu halten. Man denke aber dabei ja nicht an einen donnernden Zeus, von dem sich sagen läßt:

„Und die ambrosischen Locken des Herrschers wallten ihm vorwärts
Von dem unsterblichen Haupt; es erbebten die Höh'n des Olympos.“

Ach, nein! Der Herr Stadtgerichtsdirector ist ein kleiner Herr, von gedrungener Figur, geröthetem vollem Gesicht, dunklen lebhaften Augen und glattem halblangem Haupthaar. Wären die steife Cravatte am Halse und der Ausdruck großer Feierlichkeit im Gesichte dieses Mannes nicht, so könnte man glauben, ein gemüthlicher Niederländer aus einem Gemälde des Adrian von Ostade sei hier lebendig geworden.

Dem Vorsitzenden zur Linken steht in strammer Haltung der öffentliche Ankläger, Staatsanwalt Tessendorf. Bart und Haartracht dieses Mannes erinnern an einen preußischen Landwehrmann; sein Gesicht ist bleich, das Auge hell und grau, sein Blick scharf. Tessendorf erscheint mir als die Verkörperung des straffen preußischen Beamtenthums; er antwortet den Vertheidigern ruhig, aber mit großer Schärfe des Ausdrucks, und wo man ihm Formfehler vorwirft, wird er bitter, fast malitiös. Um einen armseligen Tisch herum sitzen auf wackligen Stühlen die Vertheidiger des Angeklagten, drei an der Zahl.

Da ist zuerst der Professor von Holtzendorff zu nennen, von dem ein französischer Berichterstatter nicht ganz mit Unrecht meinte, er gleiche einem französischen Officier in Civil. Der bei uns wenig gebräuchliche Schnurr- und Knebelbart verleiht ihm ein etwas fremdartiges Aussehen. Herr von Holtzendorff steht im besten Mannesalter, allein sein blondes Haar ist an den Schläfen schon stark von Silberfäden durchzogen; seine Sprache ist nicht allzu deutlich, da er etwas durch die Zähne spricht.

Einen völligen Gegensatz zum Professor von Holtzendorff, der jedenfalls ein besserer Staatsrechtslehrer als glänzender Vertheidiger ist, bildet äußerlich der Rechtsanwalt Dockhorn aus Posen, ein kleiner, behäbig aussehender, fast weißköpfiger Herr mit kurzem Bismarck-Schnurrbart, der sicher zu unsern gewandtesten Dialektikern gehört. Dieser Sachwalter führt eine sehr ruhige, fast salbungsvolle Sprache, allein er erspäht geschickt in den Ausführungen des Staatsanwalts jede Lücke und beutet sie ziemlich energisch aus. Er verschmäht bei Gelegenheit des Zeugenverhörs auch kleine Plänkeleien nicht, allein im Plaidoyer rückt er mit geschlossener Fronte von Position zu Position vor und erreicht eine überzeugende nachhaltige Wirkung.

Rechtsanwalt Munckel, als der Dritte im Bunde, gehört zu unseren genialsten Vertheidigern, wenn er sich auch bei den Verhandlungen einige Reserve auferlegt. Der äußeren Erscheinung nach würde man in diesem Manne eher einen Künstler als den Juristen suchen. Sein dunkelblondes, fast braunes Haar ist lang und wellig; ein dünner Bart umrahmt sein scharf geschnittenes Gesicht. Wäre sein Mund weniger breit, wären seine Backenknochen weniger hervorstehend, so würde er dem berühmten Maler Anton von Werner ähnlich sehen, wie ein Bruder dem anderen. Munckel besitzt ein volltönendes Organ; seine Repliken erfolgen so sicher, wie der Schuß dem Drücker des Gewehres gehorcht, und treffen meist in's Schwarze; seine Plaidoyers zeigen Humor und Sarkasmus. Wo der Gegenstand ihn ergreift, fehlt es ihm nicht an sittlichem Pathos und einer bedeutenden Kraft der Ueberzeugung.

Es läßt sich nicht leugnen, daß der öffentliche Ankläger bei solcher Gegnerschaft einen schweren Stand hatte. Es gehörte in der That viel Scharfsinn und Schlagfertigkeit dazu, bei so starker Bedrängniß die eingenommenen Positionen zu behaupten.

Den Vertheidigern gerade gegenüber und hinter dem Rücken derselben hat man einem halben Hundert Journalisten bescheidene Plätze eingeräumt. Dicht neben der Feder dieser Aermsten, welche unter den bedrückenden Verhältnissen ihre reiche Neuigkeitsernte einheimsen, liegt das Taschentuch; dasselbe ist zum Schweißtuch geworden und bleibt fortwährend in Function. Wenn je ein Held der Feder sein Brod im Schweiße seines Angesichts verdiente, so ist es im Proceß Arnim der Fall. Die Vertreter der feindseligsten politischen Strömungen hocken auf diesen Bänken friedlich kritzelnd neben einander.

Da finden wir zuvörderst Monsieur Périvier, welcher dem „Figaro“ so flott die Austern des Herrn Dressel anpries und dem Frankfurter Reichstagsboten Sonnemann so pikante Rathschläge ertheilte. An der Seite des Herrn von Rochebrune, der sich durch die lebendigen Manieren eines Bonvivants auszeichnet, sehen wir das kluge angelsächsische Gesicht des Correspondenten eines amerikanischen Weltblattes. Dieser eine Mann opfert dem Proceß Arnim mehr Geld für Kabeldepeschen, als der Jahresertrag unserer größten Berliner Zeitungen abwirft. Ein Kranz vornehmer Zuschauer nimmt in dem hintern Theile des Sitzungssaales Platz. Der Saal ist täglich überfüllt, aber selten lassen sich Personen aus dem mittleren Bürgerstande blicken. In glänzenden Uniformen sind vor Allem die zahlreichen Mitglieder der Familie Arnim erschienen; daneben eine Anzahl junger Diplomaten oder solcher, die es werden wollen. Sinaganka, der japanesische Gesandte, wird von der Robe einer eleganten Dame so überdeckt, daß nur das gelbe Gesicht mit den schiefgeschlitzten Aeuglein sichtbar bleibt. Fürst Lichnowski, Baron von Janser, Graf Perponcher und viele andere Träger berühmter Namen oder hoher Aemter erscheinen wiederholt, um dem Gange der Verhandlungen zu folgen. Bei alledem tritt eine intensive Bewegung weder während des Zeugenverhörs noch während des Plaidoyers zu Tage. Die Verlesung der Erlasse des Reichskanzlers ruft das größte Interesse hervor, denn hier treten überraschende Dinge von großer politischer Tragweite zu Tage, während sich das Zeugenverhör um Briefe an Zeitungsredactionen,

[11] Journale und Archivschlüssel dreht, Dinge, welche Aufschluß über die Rechtsfrage oder die Spuren einer politischen Intrigue geben sollen.

Eine hervorragende Bedeutung wird den Aussagen des Grafen von Wesdehlen beigelegt, welchem der Angeklagte gesagt haben soll, er nehme die betreffenden Papiere zu seiner Vertheidigung mit. Der Botschaftsrat gleicht in der äußern Erscheinung einem niederländischen Edelmanne aus der Umgebung Wilhelm's von Oranien. Seine Aussagen sind leise, fast unverständlich. Graf Arnim, der sich wiederholt mit dem Taschentuche über die hohe Stirn fährt, unterbricht den Zeugen, wobei er gegen den Präsidenten gewendet die Bemerkung hinwirft: „Sie entschuldigen, wenn ich so geradezu mit dem Herrn Grafen rede.“ – Der Vorsitzende, welcher unter all' den Diplomaten fast diplomatisch höflich ist, gestattet die Freiheit mit einem oft angewendeten: „Ich bitt' schön.“ Der Angeklagte kommt der etwas dunklen Erinnerung des Botschaftsraths zu Hülfe, worauf dieser seine Aussagen wesentlich modificirt.

Ungleich fester und bestimmter tritt ein anderer Zeuge, der Botschaftsrath Baron von Holstein, auf. Dieser Mann, den das auswärtige Amt eines so großen Vertrauens würdigt, hat chevalereske Manieren, und man empfängt den Eindruck, als werde derselbe Carrière machen. Der Baron deponirt seine Aussagen frank und frei, welche sich in den Augen der Juristen als in moralischer Beziehung sehr gravirend für den Angeklagten gestalten.

Zu den interessantesten Episoden des ganzen Processes gehörte die Confrontirung der Zeugen Reichstagsabgeordneter Braun, Dr. Zehlicke und Bossart. Diese Excollegen von der „Spener'schen Zeitung“ wurden eidlich vernommen, und was der krank und matt auf seinem Stuhle sitzende Zeuge Zehlicke deponirt, daß der Zeuge Braun die Absicht geäußert habe, mit dem Angeklagten in Verbindung zu treten, bezeichnet Dr. Braun mit dem Gesichte eines gut aufgelegten Satyrs als unwahr und zeiht in ziemlich starken Ausdrücken seinen Excollegen der Indiscretion. Bei den widersprechenden Aussagen dieser drei Zeugen fliegt ein sardonisches Lächeln über das Gesicht des Grafen Arnim; bald darauf geräth er jedoch in große Aufregung, als der Unterstaatssecretär Bülow, ein behäbiger Mann mit schwarzem Haare und Bart, hinkend auf dem Zeugenplatze erscheint und erklärt, der Bericht des Angeklagten sei ironisch gehalten gewesen. Zum ersten Male wird der Graf Arnim heftig; er unterbricht in großer Erregtheit den Zeugen und ruft: „Sie haben nicht das Recht, mir eine Arglist unterzuschieben.“

Eine elegische Stimmung herrschte nur einmal im Saale: es war in jener Minute, als der Angeklagte das Schlußwort ergriff, um zu bemerken, daß für ihn die sogenannten Conflictsacten nicht ein Actenbündel im gewöhnlichen Sinne des Wortes seien, sondern ein Grab, in welchem seine von frühester Jugendzeit an bestandenen Freundschaftsverhältnisse ein Ende gefunden. Wenn man sich vergegenwärtige, was alles darin enthalten wäre, so müsse man wohl glauben, daß er sich habe für berechtigt halten können, diese Schriftstücke als sein Eigenthum anzusehen.

Durch diese mit bebender Stimme gesprochenen Worte trat für jeden Hörer der überraschende Umstand zu Tage, daß ein im Staatsdienst grau gewordener Diplomat sich über den Charakter des Reichskanzlers, den er als Jugendfreund bezeichnete, so gründlich täuschen konnte.

Als Bismark in den dunklen Hades deutscher Kleinstaaterei, hinabstieg, um die Eurydike-Germania heraufzuholen, that er das nicht als ein lyrisch gestimmter Orpheus, der in zärtlicher Besorgniß seine Blicke rückwärts schweifen läßt, sondern er packte die Abhandengekommene mit eiserner Faust, schleifte sie gewaltsam durch die stygischen Gewässer der Olmützer Verträge und den unsaubern Kocytos der napoleonischen Politik. Der wenig scharfsinnige Diplomat hätte doch wohl einsehen können, daß einen solchen Mann von Eisen weder die Sirenenstimmen der Jugend, noch das Toben der Unterwelt zum Rückwärtsblicken bringen konnten. Wer es versuchte, seinen Weg zu kreuzen oder ihm Steinchen unter die Füße zu werfen, der gerieth einfach unter die Absätze seiner hohen Kürassierstiefel. Wie sich aus den Verhandlungen erkennen läßt, stand Graf Arnim zwei Jahre lang hindernd in des Reichskanzlers Bahnen. Dieser hatte, als die Enthüllungen Lamarmora's im vorigen Jahre im Landtag zur Sprache kamen, dem Himmel gedankt, daß solche Dinge in Deutschland unmöglich seien, darüber durfte sich also der Angeklagte keiner Täuschung hingeben, daß ihn der ehemalige Jugendfreund mit oder ohne Vertheidigungswaffen beseitigen würde, sobald auch nur der Schatten eines Beweises auf ihm haften bliebe, als wolle er eine ähnliche Rolle in Deutschland übernehmen, wie sie Lamarmora in Italien spielte. Und jeder Staatsmann, der seinen großen Zielen energisch entgegenstrebt, würde in gleicher Weise vorgehen.

Der Rechtsanwalt Dockhorn versuchte es, am Schlusse seines Plaidoyers eine Analogie zwischen seinem Clienten und dem vor fünfundzwanzig Jahren in demselben Sitzungssaale, auf derselben Anklagebank befindlichen Waldeck nachzuweisen, und stellte dem ersteren eine gleiche Genugthuung in Aussicht, wie sie dieser Volksmann erfahren habe. Nicht mit Unrecht bemerkte hierauf der Staatsanwalt mit kaum verhehlter Ironie, daß ein Anknüpfungspunkt an den Proceß Waldeck nur insofern vorhanden sei, als derselbe in den gleichen Räumen stattgefunden habe, und setzte mit der Bestimmtheit eines erfahrenen Auguren hinzu, daß er an die Freisprechung des Angeklagten nicht glaube.




Heute ist bereits das Urtheil gefällt; es verurtheilte den Grafen Arnim zu drei Monaten Gefängniß. Bleich und tief ermüdet hörte der Angeklagte seine Verurtheilung an, doch athmete er sichtlich auf, als ihn der Schluß des Erkenntnisses von der Urkunden-Unterschlagung und dem Amtsvergehen freisprach und nur des Vergehens wider die öffentliche Ordnung schuldig erklärte. Dem Staatsanwalt schien das milde Urtheil fast etwas unerwartet zu kommen; er sah bei der Verlesung weder auf den Verleser des Erkenntnisses, Stadtgerichtsdirector Reich, noch auf den Angeklagten und hörte wohl nur mit halbem Ohre hin. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich übrigens, daß ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Fall Waldeck und dem Fall Arnim waltet. Als Waldeck sein Urtheil erwartete, befand sich das preußische Volk in fieberhafter Erregung; ein Sturm ging durch das ganze Land und wühlte alle Schichten der Bevölkerung in gleichem Maße auf. Die Spitzel der Reaction hatten mit dem „Bubenstück“ an das Herz des Volkes gerührt; Waldeck's Sache war seine Sache, und als der einfache Volkstribun in Freiheit gesetzt war und auf dem Molkenmarkt erschien, jauchzte ihm halb Berlin entgegen und das preußische Volk athmete erleichtert auf.

Der Proceß Arnim erregte die Neugierde der weitesten Kreise, setzte ganz Frankreich in Bewegung, aber eine große Theilnahme sucht der Unterliegende vergebens unter den Spitzen der Gesellschaft, während bei dem Volke der Proceß fast vergessen war, noch bevor das Urtheil verkündet wurde. – Im Interesse unseres durchaus noch nicht gefesteten deutschen Reiches muß man aber wünschen, daß derartige „Vergehen wider die öffentliche Ordnung“ nicht wieder vorkommen mögen, da sie bei weniger aufmerksamer Beaufsichtigung leicht nach innen und nach außen Verwirrung und Verderben im Gefolge haben könnten.

R. E.