Die Heiraths-Agenturen der englischen Journale
Wir wissen nicht, ob die deutschen Ehen noch immer im
Himmel geschlossen werden, wie man ihnen dieses früher nachsagte;
was die englischen Ehen anbetrifft, so haben diese einen sehr irdischen
Ursprung. Die Verhandlungen vor dem neugeschaffenen
Ehescheidungs-Gerichtshofe haben in letzter Zeit sehr sonderbare
und charakteristische Aufschlüsse hierüber gebracht. Die Existenz der
Heiraths-Agenturen scheint zwar in allen Ländern fest gegründet
zu sein, die Vermittelung der Zeitungs-Annonce ist bekanntlich
ein nicht mehr ungewöhnlicher Weg, aber der Versuch, die Redaction
eines populären Journals zur Vermittlerin passender Ehen zu benutzen,
ist bisher nur in England erfolgreich gemacht worden. Es
giebt hier eine Menge billiger Wochenblätter, die sich einer ungeheuren
Verbreitung erfreuen und offenbar für ein Publicum geschrieben
werden, das noch vor einem Jahrzehnt nicht existirte.
Wer liest das „London Journal“, den „Family Herald“, „Reynolds’
Miscellanies“, deren Auflage zusammen auf eine halbe Million geschätzt
wird? Auf welches Publicum sind alle die zahlreichen
unpolitischen Wochenblätter à 1 oder ½ Penny, welche jeden
Sonnabend haufenweise in den Londoner Zeitungs-Läden aufgespeichert
und am nächsten Montag verkauft sind, berechnet?
Man braucht nur einen oberflächlichen Blick in diese Publicationen
zu werfen, um sofort zu sehen, daß wir hier ein ganz neues Publicum
vor uns haben.
Die Novellen und Romane, welche den Mittelpunkt dieser Blätter bilden, sind viel zu naiv, dünn und ursprünglich, als daß sie dem verwöhnten Geschmack blasirter Romanleser genügen könnten. Da ist nichts von den spannenden Situationen und dramatischen Entwirrungen eines kunstreich geschürzten Knotens, wie in den Romanen des modernen Frankreichs, keine Verherrlichung des pikanten Lasters, keine Erfindung außerordentlicher Tugenden, kein Thackeray’scher Humor, kein Dickens’sches Talent für photographische Skizze, keine Bulwer’sche Philosophie; sondern Alles ist einfach, kühl, gesund und nur im Stande, der anspruchlosesten Bescheidenheit eines primitiven Publicums zu genügen. Der Bösewicht ist schwarz ohne alle Hüllung und Schattirung, der Held und die Heldin sind Tugendmuster, die von einem[WS 1] bitterbösen Lord verfolgt werden, dieser wird schließlich exemplarisch bestraft, und die Tugend triumphirt. Die Rührung ist der einfachsten Natur und kann nur dem genügen, dessen Nerven noch nicht überreizt worden sind. Es sind weder die höheren Stände, welche ihre literarische Unterhaltung aus den Revuen und Magazinen schöpfen, noch die Mittelklassen, welche Dickens’ „All the year round“ und „Chambers Journal“ wöchentlich zu kaufen pflegen, sondern die Küche und die Werkstatt, welche den erwähnten Blättern ihre Millionen von Lesern liefern. Dieses Publicum hat erst neuerdings, wo die National-Schulen eine größere Verbreitung gefunden haben, buchstabiren gelernt und [814] lernt nun im „London Journal“ lesen; die ganze moderne Literaturbewegung ist ihm daher fremd, und es tritt mit primitiven Anforderungen an seine Lectüre heran.
Interessante Aufschlüsse über den Bildungsstandpunkt dieser Art von Lesern liefert die letzte Seite eines solchen Blattes, auf welcher der Herausgeber seine Correspondenz mit den Lesern veröffentlicht. Diese ist der mannigfaltigsten Natur. Die Leser scheinen den Herausgeber als ihren besten Freund zu betrachten und von der naiven Ueberzeugung auszugehen, daß der Mann, welcher so rührende Novellen zu schreiben und so schöne Gedichte zu machen verstehe, Alles wissen müsse. Wenn Therese in der Corsets-Linie von ihren Hühneraugen geplagt wird. so wendet sie sich an den verehrten Herausgeber ihres Penny-Blattes und verlangt ein probates Recept, welches ihr dieser auch theilnehmend auf der letzten Seite liefert. Ist Marie in der Strumpfwaaren-Linie von Herzensangelegenheiten incommodirt, so bittet sie den geliebten Editor um Rath und Trost, der ihr auch nie versagt wird. Ist der Köchin, welche Reynolds’ Miscellanies zu lesen pflegt, ein Gericht mißrathen, so schreibt sie an Herrn Reynolds und bittet ihn, mit seiner Küchen-Erfahrung ihr zu Hülfe zu kommen, was dieser auch zuvorkommend thut. Kurz, über alle Dinge und noch einige andere muß der Redacteur Auskunft ertheilen. Jurisprudenz, Medicin, Theologie, Philologie, Geschichte, Geographie, Kalligraphie und Orthographie werden seiner Weisheit unterstellt. Er muß über alles, was seine Leser nicht wissen, Bescheid geben, und da diese sehr Vieles nicht wissen, so hat er alle Hände voll zu thun, um mit Hülfe eines guten Conversationslexikons den an ihn gestellten Forderungen zu entsprechen.
Der hauptsächlichste Theil der eingesandten und beantworteten Briefe bezieht sich jedoch auf Liebe und Heirathen; daher haben zwei oder drei der jüngsten Penny- und Halfpenny-Blätter geradezu eine „matrimonial column“ (Heirathsspalte) errichtet und gründen ihre Hoffnung auf Absatz und Popularität vorzugsweise auf diese Einrichtung. Dies ist natürlich genug. Da der vorjährige Census nachweist, daß es in Großbritannien eine halbe Million mehr Weiber als Männer giebt, so ist es nur natürlich, daß ein großer Theil heirathsfähiger Jungfrauen zu dem Zustande bestimmt sind, den die Königin Elisabeth als einen „gesegneten“ zu preisen pflegte. Dazu kommt nun noch, daß die männliche Bevölkerung Englands zum Wanderleben geneigt ist und theilweise ihre Jugendkraft in Indien, China, Amerika, Australien u. s. w. erschöpft, um frühzeitig gealtert mit erworbenem Vermögen und Podagra nach England zurückzukehren und hier den Comfort des Hagestolzthums zu genießen oder eine späte unfruchtbare Ehe einzugehn. Daher giebt es nirgends so viele alte Jungfern als in England, und die Zahl der Hagestolze scheint mit ihnen im Verhältniß zu stehen. Eine wirksame Heiraths-Agentur ist unter diesen Umständen eine Art von National-Bedürfniß, und der confidentielle Herausgeber eines Penny-Blattes, der eine solche in seinen Spalten errichtet, erwirbt sich große Verdienste um die heirathslustige Welt.
Ein junges Mädchen wünscht zu wissen, ob es anständig sei, ihren Liebhaber, mit dem sie versprochen ist, vor der Heirath zu küssen. Die Antwort ist, daß eine solche Handlung entschieden unanständig sei; aber wir zweifeln sehr, ob die Correspondentin von dieser Antwort befriedigt sein wird, und noch viel mehr, ob sie sich in ihrem zukünftigen Verhalten von dem Rathe des sittenstrengen Redacteurs bestimmen lassen dürfte. Es ist sonderbar, daß irgend ein Mädchen einen Fremden für einen kompetenteren Rathgeber in Sachen des Zartgefühls und Anstandes halten sollte, als ihre eigne Mutter oder ihren Bruder; aber die Leser dieser Blätter scheinen den großen Unbekannten, der seine Beschlüsse auf der letzten Seite kundgiebt, fast mit übernatürlichen Eigenschaften auszustatten. Die größere Hälfte der Correspondentinnen scheinen verkörperte Liebenswürdigkeiten zu sein, obgleich die „goldenen Locken“, welche als Probe ihrer Reize den Briefen beigelegt werden, oft für „roth“ erklärt werden, und der Herausgeber des Family Herald mehrere seiner schönen Correspondentinnen warnt, ihr Haar mit ranzigem Fett zu salben. Der kleinere Theil scheint jedoch auf alle Reize verzichtet zu haben und an den wunderthätigen Freund sehr schwierige Anforderungen zu stellen. Jene verlangen Männer und Myrtenkränze; diese haben entweder kahle Köpfe oder krumme Beine und verlangen Heilmittel für beide. So lesen wir in einem der Blätter: „Es giebt kein Mittel für krumme Beine, wenn die betreffende Person bereits die Grenze der Kindheit überschritten hat;“ und dieses Decret ist gewiß für viele Leser und Leserinnen eine niederschlagende Nachricht gewesen.
Das dieswöchentliche „Half-Penny Journal“ veröffentlicht eine lange Liste der wünschenswerthesten Houris zur Auswahl. Sie sind fast alle vollkommen, und eine derselben, welche sich „Madoline“ unterzeichnet, ist noch dazu sehr aufrichtig; denn sie sagt: „Ich habe ein Gesicht, das bei Nacht am besten aussieht, und ich bin eine große Freundin von Gesellschaften und Vergnügungen.“ Eine Andere, welche unter dem duftigen Namen „Schneeglöckchen von Monmouth“ schreibt, erklärt, daß „sie eben so sehr im Salon, als in der Küche zu Hause ist“ – und hieran zweifeln wir durchaus nicht. Noch eine andere der Sirenen singt einen keineswegs bezaubernden Gesang: „Ich bin 26 Jahr alt, hochgewachsen, mit hellem Haar und blauen Augen, ich habe ein Herz an irgend welche Person zu vergeben, welche es für der Mühe werth halten sollte, auf diese Anfrage zu antworten; am liebsten würde ich einen zartfühlenden Arbeiter haben, da ich selbst gewohnt bin für meinen Lebensunterhalt zu arbeiten. Ich bin durchaus nicht hübsch und ziemlich bleich.“ Große Nachfrage scheint nach „hochgewachsenen Gentlemen“ zu sein, und es ist gewöhnlich eine unerläßliche Bedingung, daß der ersehnte Liebhaber zu einem Freiwilligen-Corps gehöre. Schnurrbärte werden als wünschenswerth betrachtet und gewinnen immer den Vorzug. In einigen Fällen scheinen die durch diese Correspondenz vermittelten Zusammenkünfte kein sehr befriedigendes Resultat zu liefern. Wenigstens läßt die Antwort, welche eine Correspondentin in dem erwähnten Blatte erhält, auf so etwas schließen, denn sie endet mit dem bezeichnenden Rathe: „Wenden Sie sich an einen Detectiv (Mitglied der geheimen Polizei), um den Aufenthalt Ihres Bezauberers aufzufinden.“ Indeß nicht immer kommt es zu diesem Aeußersten. An Fischen, welche an die vorgehaltene Lockspeise anbeißen, scheint wenigstens kein Mangel zu sein. Die Correspondenz mit den heirathslustigen Junggesellen ist durchweg ernsteren Charakters, und der Herausgeber scheint mit größerem Interesse die Sache seiner Geschlechtsgenossen zu vertreten. In dem Falle, wo diese auf keine persönlichen Reize Anspruch machen, wird ihr Gesuch gewöhnlich durch andere schwer in die Wagschale fallende Gründe unterstützt, und so erfolgt auf einen an den „würdigen Herausgeber“ gerichteten Brief folgende warme Empfehlung in dem vorliegenden Blatte: „Ein Liverpooler Drucker ersucht uns, ein gutes Wort bei unsern schönen Correspondentinnen für ihn einzulegen, da er trotz seiner ängstlichen Bemühung, sich ein Weib zu verschaffen, in Folge des gegenwärtigen frivolen und überkünstelten Zustandes der Gesellschaft unfähig ist, solches zu thun. Dieser junge Mann ist 21 Jahr alt, und eine tugendhafte und liebenswürdige Frau könnte ihn vom Verderben retten. Wir empfehlen ihn ernstlich der Aufmerksamkeit unserer jungen Damen als einen Preis, der der Bewerbung würdig ist, obgleich sein Einkommen gegenwärtig nur 30 Schillinge pr. Woche beträgt. Er ist ein über die Frivolitäten unseres Zeitgeistes erhabener Drucker und sucht in einem guten, treuen und liebenden Weibe nichts zu finden, als ein Herz, das er sein eigen nennen könne.“
Die Kaltblütigkeit, womit ein solcher Herausgeber seine Hand bietet, um ganz unbekannte Personen zusammen zu bringen, ist erstaunlich. Der Gedanke an das namenlose Elend, das er durch derartige Heirathen in vielen Fällen vermitteln muß, scheint ihn keinen Augenblick in der Erfüllung seiner selbstübernommenen delicaten Pflichten zu stören; gleichwohl scheint die Ausübung seines Berufes nicht ohne Schwierigkeiten zu sein, denn die betreffenden Correspondenten und Heirathscandidaten sind, wie oben bereits angedeutet, nicht immer ohne Makel. Einer wünscht zu wissen, wie er das Wachsthum seiner Augenbrauen befördern kann, ein Anderer beklagt sich über Schwäche in seinen Knieen, ein Dritter bittet um ein Mittel zur Vertreibung von Finnen. Eine junge Dame wünscht von der Gewohnheit des Erröthens geheilt zu werden; wir sollten kaum glauben, daß irgend eine Jungfrau von erröthender Schüchternheit geplagt werde, wenn sie derartige Briefe zu schreiben vermag; aber die Thatsache steht fest, und der Rath des Redacteurs legt der Briefstellerin die wahrscheinlich schwer zu erfüllende Aufgabe auf, „sich oft in gute Gesellschaft zu mischen und vor derselben so oft als möglich zu singen oder wenigstens zu declamiren.“ Ein junges Mädchen hinkt und bittet um Rath, wie sie diesen Naturfehler heilen oder wenigstens verstecken könne; eine Andere fragt, ob hysterische Zufälle erfolgreich angewandt werden könnten, um einen scheuen Liebhaber zu einer schnellen Erklärung zu veranlassen [815] Wieder eine Dame beklagt, daß ihr Liebhaber „braune Augen und rothen Schnurrbart“ besitze – Farben, die ihrer Ansicht nach nicht wohl mit einander harmoniren. Sehr viele der schönen Correspondentinnen sehen mit Bedauern, daß „die jungen Männer des heutigen Tages ungeheuer schüchtern sind,“ – eine Unvollkommenheit, die man den heirathsungeduldigen Schreiberinnen selbst allerdings nicht zum Vorwurf machen kann.
Die bestimmte Tendenz, Heirathen zu vermitteln, wird jedoch nur in einigen, meistens neuern und weniger beachteten Blättern dieser Art vertreten. Im Allgemeinen ist der Unterricht, den der Herausgeber auf der letzten Seite seinen Lesern und Correspondenten giebt, harmlos genug, und man kann nur mit Befriedigung bemerken, daß diejenigen Journale, welche sich der weitesten Circulation erfreuen, auch den discretesten Gebrauch von ihrem Einflüsse machen. Denn es läßt sich nicht bezweifeln, daß der Einfluß dieser billigen Presse auf die ärmern Classen sehr groß und tiefgehend ist, und Niemand kann die „Antworten für Correspondenten“ lesen, ohne sich zugestehen zu müssen, daß dieselben großes Unheil anrichten könnten. Tausende von Personen sind bereit, ihr Betragen in den kritischen Perioden des Lebens nach dem Rathe eines Fremden zu reguliren, und nehmen sein Urtheil über Recht oder Unrecht ohne Bedenken als Autorität an. Der Herausgeber eines solchen Blattes wird von seinen Lesern vollständig ins Vertrauen gezogen; sie enthüllen ihm ihre persönlichen Mängel, welche sie vor allen Andern verhüllen würden; sie weihen ihn in ihre geheimen Leiden und Verlegenheiten ein; sie machen ihn zu ihrem Rechts-Beistand, ihrem Arzt, ihrem Lehrer und ihrem vertrautesten Freunde. Blätter, die einen so ungeheuren Einfluß ausüben, bezeichnen eine Epoche in der gesellschaftlichen Entwickelung und werden dereinst eine werthvolle Quelle des Geschichtsschreibers sein.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: einen