Die Katze an der Kette
[439] Die Katze an der Kette. Vor Kurzem besuchte ich einen Bekannten, einen älteren pensionirten Militär, welcher ein hübsches Häuschen mitten in einem Garten besitzt, Dieser Garten ist seine Freude, sein Steckenpferd, eine Sehenswürdigkeit für Alle, welche ihn näher kennen. Wir wanderten denn auch darin und wollten über einen kleinen Nebenhof zum Hause zurückkehren: da stutzte ich über etwas nie Gesehenes. An der Stallecke stand eine kleine Hundehütte, und vor der Hundehütte balgten sich zwei spielende Katzen, welche mit feinen Kettchen an die Hütte gekettet waren. Aus der Hütte selber aber drang der wimmernde Ton junger Kätzchen. Ich lachte unwillkürlich laut auf, so komisch war mir die Vorstellung von einer Katze, welche gleich einem Hunde an der Kette liegt.
„Was ist das?“
„Das ist, was man ein geglücktes Experiment nennt,“ sagte mein Bekannter stolz. „Ich will Ihnen die Sache erklären. Ich liebe nicht nur meinen Garten, ich liebe es vor Allem auch, wenn ich meinen Pirol, meine Meise, mein Weißkehlchen und Consorten darin habe. Ehe ich die Katzen hielt, nisteten im Garten alljährlich einige dieser Vögel. Als ich der Mäuse halber die Katzen angeschafft, kamen sie anfangs noch, wie früher. Aber sie blieben nicht. Sobald im Frühjahr die Vögel eintrafen, ließen meine Katzen das Mausen und lagen Tag und Nacht im Garten auf der Lauer. Ich habe von ihren Thaten weiter nichts gesehen, außer wie die eine ein Rothschwänzchen erwischte und wie die zweite ein Amselnest ausleerte. Mein Garten aber wurde vogelleer und stumm, und ich war unglücklich. Ich sprach mit Gartenbesitzern über meine Erfahrung, und ich habe die Ueberzeugung gewonnen, daß der furchtbarste Feind unserer Singvögel unsere Hauskatze ist, und es ist mir völlig unbegreiflich, wie die Vogelschutzvereine diesen Punkt bisher haben stiefmütterlich behandeln können. Alle internationalen Verträge, alle Verbote des Vogelfangs, alle Nistkästen sind, was unsere Gärten betrifft, zusammen nicht soviel werth, wie es die Unschädlichmachung der Katzen für die Brutzeit der Vögel sein würde. In dieser Zeit verwildert ein Theil der Katzen zu echten Raubthieren, was bei den meisten so lange dauert, wie die Vögel singen, bei manchen Katzen, die in die Felder gehen – wo sie gewiß auch wohl Mäuse fangen mögen – bis zum Eintritte der kalten Jahreszeit.
Ein Jahr sah ich das noch mit an, um Beobachtungen anzustellen. Dann stand es bei mir fest: hier muß etwas geschehen. Anfangs ging ich mit dem Entschlusse um, die Katzen abzuschaffen. Aber eines Tages kam mir ein anderer Einfall. Ich schaffte mir diese Hütte und diese Ketten an, und als das nächste Frühjahr kam, wurden meine Katzen einfach hier festgeankert. Ich war selbst in Zweifel, ob die Sache gehen würde. Aber sie ging vortrefflich. Sobald sich meine Katzen über die ungewohnte Beschränkung erst klar geworden waren, fügten sie sich in dieselbe, und von Stund ab lebten sie an der Kette, als wären sie niemals frei gewesen. Sie haben sogar Junge bekommen in der Gefangenschaft, wie Sie bemerken. Vor Ende Juli gebe ich sie nicht frei. Ich kann nicht einsehen, was dabei Auffälliges ist, ausgenommen das Ungewöhnliche. Weshalb sperrt man Vögel ein, legt man Hunde an die Kette, hält man andere Hausthiere im Stalle (zum guten Theil doch auch nur, damit sie in Freiheit keinen Schaden anrichten) und nimmt nur für die Katzen das Privilegium absoluter Freiheit in Anspruch? Weil ihre Bestimmung das Mäusefangen ist, werden Sie sagen. Nun gut: in der Zeit, wo die Vögel brüten, fangen die Katzen aber fast gar keine Mäuse, sind die Mäuse überhaupt für das Haus am wenigsten lästig. Ich lege sie also an die Kette, und seitdem ich das thue, habe ich meine fröhlichen Musikanten wieder und den Garten voller Nester.
Wenn es nach meinem Willen ginge, würde das, was ich thue, durch ein Staatsgesetz oder durch communale Verfügungen zur allgemeinen Pflicht gemacht. Das wäre ein Gegenstand für eine Agitation seitens des Vogelschutzvereins! Jede Katze, welche in den Monaten März oder April bis Ende Juli in Gärten oder Feldern frei herumstreifend getroffen wird, kann getödtet werden: das wäre der einfachste Wortlaut für dies Gesetz. Ich sehe nicht das Mindeste, was gegen meine Idee in’s Feld geführt werden könnte. Oder haben Sie etwas Stichhaltiges dagegen?“
So mein Freund. Ich überlegte; ich bedachte, daß ich einst in vollem Zorn eine Katze erschoß, welche im Begriff stand, zu einem Pirolnest voll schreiender Junger hinaufzusteigen, daß ich einmal aus dem Fenster in den Garten gesprungen war, um einer Katze eine Bachstelze abzujagen; ich bedachte, wie ich meine eigne junge Katze beobachtet hatte, als sie auf der Finkenjagd war – ein Dutzend und mehr Fälle von durch Katzen geleerten Nestern fielen mir ein, die ich sicher constatirt – – ich betrachtete mir diese vergnügt spielenden, wohlgepflegten Katzen da an ihren Kettchen, und ich sagte:
„Nein. Sie haben Recht. Es ist wahr, man wird etwas Fütterung für die Katzen mehr brauchen. Aber wer Hunde halten will, muß sie füttern, und wer Katzen halten will, mag sich’s ein paar Groschen im Jahre mehr kosten lassen als bisher. Und ich werde sorgen, daß Ihre Idee und Ihre Katzen möglichst weit in der Welt bekannt werden. Ich werde der ‚Gartenlaube‘ von ihnen schreiben.“
Freienwalde a. O. Victor Blüthgen.