Die Kieler Woche
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Die „Kieler Woche.“
Eine ganz besondere Vorliebe, die Kaiser Wilhelm II. allen seemännischen Angelegenheiten widmet, hat auch dem Segelsport in deutschen Gewässern einen bemerkenswerten Aufschwung gebracht. Wohl giebt es seit vielen Jahren auch in Deutschland Jachtenbesitzer und Segelregatten, aber erst in neuester Zeit haben sich die großen dem Segelvergnügen huldigenden Vereine, der Norddeutsche Regattaverein in Hamburg und der Kaiserliche Jachtklub in Kiel, so zu fühlen begonnen, daß sie mit den Engländern in Wettbewerb traten und in der „Kieler Woche“ ein Regattenschauspiel schufen, das den Vergleich mit der berühmten „Cowes-Woche“ in England nicht zu scheuen brauchte. Zum erstenmal erschienen auch fremde Gäste, namentlich Engländer, in größerer Anzahl am Start, ein Beweis, wie sehr die Rennpreise von der Kieler Föhrde in der internationalen Wertschätzung gestiegen sind.
Prachtvoller Sonnenschein strahlte über der Bucht die ganze Woche hindurch. Aber der Sonnenschein, so sehr er das Bild belebt und verschönt, ist doch für den Segler nur ein sehr unwesentlicher Bestandteil des Wetters. „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“ – das ist der Herrscher, von dessen Gnade alles abhängt auf dem flüssigen Rennfelde. Und seine Gnade war sehr wechselnd in den Regattatagen vom 23. bis zum 30. Juni. Einmal, am 28. Juni, blies er so schwach, daß die Boote zum Teil von Dampfern und Torpedobooten in den Hafen geschleppt werden mußten, nachdem sie 10 Stunden lang vergeblich alle Leinwand ausgebreitet. Und ein andermal, am 26. Juni, war er so kräftig, daß gar manchem der Zuschauer an Bord der begleitenden Personendampfer das Herz sehr, sehr tief sank. Doch wir wollen nicht vorgreifen.
Die Festlichkeiten der „Kieler Woche“ nahmen ihren Anfang mit dem Einzug des Kaiserpaares und des Prinzen Adalbert am Freitag den 22. Juni. In der Mitte des Kriegshafens lagen in langer Front die mächtigen Panzerkolosse, die weißleuchtenden Schulschiffe und die flinken Avisos, wohl 25 größere Kriegsfahrzeuge, während in einer zweiten Linie näher dem Ufer die Jachten, die an den Wettfahrten sich beteiligen wollten, bis zu den Toppen beflaggt, sich aufreihten. Etwa um 4 Uhr nachmittags mochte es sein, als unter dem Donner der Geschütze sämtlicher im Hafen ankernden Kriegsschiffe, unter den Klängen des Präsentiermarsches von allen Verdecken, unter dem Hurra der Mannschaften und dem Jubel der Menschenmassen am Ufer das blaue Kaiserboot auf die „Hohenzollern“ zusteuerte, den Kaiser, seine Gemahlin und seinen dritten Sohn an Bord zu führen.
Gleich am folgenden Tage begannen die Wettfahrten mit der Segelregatta des Norddeutschen Regattavereins, an der sich nicht weniger als 30 Jachten beteiligten. Unser Bild S. 537 zeigt uns die stolze Flottille in ihrer ganzen Pracht. Da nur ein mäßiger Wind wehte, so setzten die Boote gleich nach dem Start alle Leinwand bei, die sie nur tragen konnten, und so ergab sich der großartige Anblick, den unser Künstler festgehalten hat. Der „Meteor“ mit dem Kaiser und der Kaiserin an Bord übernahm sehr bald die Führung. Er gehört zu den Jachteu der Ia Klasse, d. h. zu denen, die am meisten „Segeleinheiten“ aufweisen, oder mit anderen Worten, die dem Wind im Verhältnis zu ihrem größten Querschnitt unter der Wasserlinie am meisten Segelfläche zu bieten imstande sind; der „Meteor“ hatte darin bei den Kieler Rennen nur einen Genossen, den „Wiking“ des Earl of Caledon, der indessen bei dem flauen Wind am 23. etwas zurückblieb und überdies an der ersten Segelmarke, der Heulboje, auf der falschen Seite vorbeifuhr, worauf er das Rennen aufgab. Auch die „Mücke“ des Herrn Ziese in Elbing hatte dasselbe Mißgeschick. Sie ließ sich aber nicht irremachen, kehrte um und nahm die Boje von der richtigen Seite.
Der „Irene“ des Prinzen Heinrich begegnete das Unglück, daß ihr die Verlängerung des Mastes, die sogenannte „Stänge“, brach, so daß man plötzlich das Toppsegel herunterwehen sah. Allein Prinz Heinrich, der seine Jacht stets selbst steuert, gab das Rennen deshalb nicht auf, obwohl er keine Aussichten mehr hatte. Die „Mücke“, die „Irene“ sowie die auf unserem Bilde S. 537 noch weiter sichtbaren Jachten „Varuna“, „Carina“ und „Lais“ gehören sämtlich der [542] Ib Klasse an, d. h. sie weisen eine wesentlich niedrigere Zahl von Segeleinheiten auf als „Meteor“ und „Wiking“. Nach etwa dreieinhalbstündiger Fahrt hatte der „Meteor“ die 27 Seemeilen (50 Kilometer) lange Bahn durchsegelt und fuhr als erstes Boot durch die Zielinie, von allen Seiten mit einem brausenden „Hipp, Hipp, Hurra“ begrüßt, während in der Ib Klasse die „Carina“ des englischen Admirals Montagu Siegerin blieb.
Nachdem am Sonntag die feierliche Einreihung des Prinzen Adalbert in die deutsche Marine vollzogen worden war, nahmen die Regatten am Montag ihren Fortgang mit einer Binnenregatta des Kaiserlichen Jachtklubs. Die größeren Jachten, die sich an diesem Rennen nicht beteiligten, fuhren meist mit hinaus, an Bord des „Meteor“ das Kaiserpaar, auf der mittlerweile reparierten „Irene“ die Gemahlin des Prinzen Heinrich mit ihrem kleinen Sohne Waldemar. Besondere Aufmerksamkeit ob ihrer Schnelligkeit und Manövrierfähigkeit erregte an diesem Tage die „Gudruda“ des Prinzen Heinrich. Dieses ganz kleine Rennboot ist ein Vertreter des neuesten Typus im Segelsport, des „Wulstkielers“. In der Mitte des Kiels wird nämlich eine Stahlplatte angebracht, an deren unterem Ende ein Metallwulst etwa in der Form einer Cigarre sich befindet. Unsere Abbildung zeigt die „Gudruda“ bei ihrer Rückkehr vom Rennen in der Nähe des Schlosses, die Rennflagge weht als Zeichen des Sieges unterhalb des Klubstanders.
Den Glanzpunkt der „Kieler Woche“ bildete unbedingt die Seeregatta des Kaiserlichen Jachtklubs am 26. Juni, wenn auch, wie schon oben erwähnt, an diesem Tage vielen das Vergnügen des Zuschauens etwas versalzen wurde. Eine steife Kühlte aus Nordnordwest hatte sich immer stürmischer gestaltet, und manchem Zuschauer mag es schon im inneren Hafen angst und bange geworden sein um das Schicksal der zum Start sich anschickenden Rennjachten, wenn oft die ganzen Schiffskörper vollständig im weißen Gischt der Wogen verschwanden. Allein das Rennen verlief ohne Unfall. Nach dem Start der ersten Klassen übernahmen „Meteor“ und „Wiking“ die Führung und blieben auch bis zur Heulboje und weiter bis zum Stollergrund-Feuerschiff dicht beieinander. Der „Wiking“ war an diesem Tage offenbar besser in seinem Element, und der Ausgang wäre zweifelhaft gewesen, wenn nicht in der Nähe des Feuerschiffs der „Wiking“ eine Beschädigung an der Gaffel erlitten hätte, die ihn zum Beidrehen und zur Aufgabe des Rennens zwang. Auf unserer Abbildung S. 541 sehen wir „Wiking“ und „Meteor“ in der Nähe der Heulboje mit den Wogen kämpfen, gefolgt von der „Carina“, welche anfangs die Führung der Ib Klasse übernommen hatte, diese später aber, da sie „sich versegelte“, an „Mücke“ abgeben mußte, die als erstes Schiff, sogar noch vor dem „Meteor“, ans Ziel gelangte.
Ueber alle die weiteren Rennen, die sich noch bis zum 30. Juni ausdehnten, hier einzeln zu berichten, würde zu weit führen; sie waren leider sämtlich durch flauen Wind stark beeinträchtigt. So krochen die sonst so flinken Segler recht mühsam vorwärts, und am 28. Juni geschah es sogar, daß sich, wie erwähnt, die größeren Jachten lieber in den Hafen schleppen ließen, als länger mit schlaffen Leinwänden herumzuliegen.
Um so größer war die Lust am Abend dieses windstillen Tages bei dem Blumenkorso, den die Kieler Marineoffiziere veranstaltet hatten (s. S. 533). In aller Heimlichkeit waren die Boote der Kriegsschiffe, die Pinassen, Kutter, Jollen und die zierlichen Gigs, wohl hundert an der Zahl, durch Laub- und Blumengewinde, durch Drapieren mit Flaggentuch etc. in stolze Wikingerschiffe, venetianische Gondeln, neapolitanische Fischerboote, afrikanische Küstenfahrer und winzige Raddampfer verwandelt. Auf dem Radkasten eines dieser kleinen Fahrzeuge war mit sichtlicher Liebe der poetische Name „Middy“ aufgemalt, eine seemännische Verkürzung des englischen Worts „midshipman“, was auf deutsch einen Seekadetten bedeutet. Nachdem die bunte Flottille sich in der Nähe der Marineakademie gesammelt hatte, zog sie bald nach 8 Uhr zur Huldigung nach der „Hohenzollern“, diese wieder und wieder umkreisend. Die Dämmerung brach herein, Lampions wurden auf den Booten entzündet, bengalische Feuer flammten auf – die elektrischen Scheinwerfer der „Hohenzollern“ sandten breite Strahlen taghellen Lichtes über das feenhafte Treiben, der Kaiser selbst warf unermüdlich vom Verdeck seines Schiffes den Damen in den vorbeifahrenden Booten Blumen zu – es war ein Fest, wie es Kiel wohl selten erlebt hat.