Zum Inhalt springen

Die Kranz-Reliefs am Sockel der Germania in Berlin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Kranz-Reliefs am Sockel der Germania in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 772–774
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[772]

Die Kranz-Reliefs am Sockel der Germania in Berlin.


Der künstlerische Glanz, welchen die Straßen der kaiserlichen Hauptstadt den heimkehrenden Siegern am Einzugstage entgegenstrahlten, hat seine ephemere Bestimmung nicht lange überdauert. Manches Vortreffliche hat an anderer Stelle ein Asyl gefunden, der Rest ist unbeklagt der Vernichtung überantwortet worden. Nur ein einziges Werk, obgleich nicht von festerem Stoffe als die

übrigen, trotzt bis zur heutigen Stunde den darauf einstürmenden Wettern. Vor dem Schlosse, nach der Seite des Lustgartens hin, thront Germania noch immer auf mächtigem Rund, wie Saturn in seinem Ringe, in einen eisernen Kreis von Beschauern gebannt, welche Verwahrung dagegen einlegen, daß endlich dem Staube zurückgegeben werde, was vom Staube ist. Das Verdienst der verschiedenen Künstlerhände, welche an der Vollendung des Ganzen

Theil haben, soll nicht geschmälert werden, aber von keiner Seite hat die Behauptung auf Widerspruch zu rechnen, daß die magnetische Kraft, die ihre Anziehung auf alle Schichten des Volkes, auf Jung und Alt, auf Hoch und Niedrig, auf Intelligenz und Einfalt stets von Neuem, stets gleichmäßig ausübt, einzig und allein den herrlichen Reliefs entströmt, mit welchen Rudolf Siemering den Sockel geschmückt hat.

Der Künstler ist weder so jung, noch durch seine Leistungen so wenig erprobt, daß der eminente Erfolg, den er der Schöpfung eines ebenso riesen- als meisterhaften Werkes verdankt, für Diejenigen etwas Unbegreifliches hätte, welche den Kunstzuständen Berlins gegenüber ihren Blick ungetrübt von Vorurtheil bewahrt haben. Auch die Leser der Gartenlaube begegnen seinem Namen nicht zum ersten Male. Siemering begann seine künstlerische Bahn mit einem glänzenden Anlauf. Dem unbekannten Anfänger war es vergönnt, aus der für das Schillerdenkmal in Berlin ausgeschriebenen Concurrenz neben Reinhold Begas als Sieger hervorzugehen. Die Entwürfe, welche die Gartenlaube im Jahrgange 1863 ihren Lesern vorführte, waren das Resultat des engeren Wettkampfes, in welchem die beiden Tageshelden ihre Kraft gemessen hatten. Siemering mußte seinem glänzenderen Gegner weichen; doch wenn sich der halbe Erfolg auch nicht stark genug erwies, ihm das Interesse des großen Publicums an seinen späteren Arbeiten zu erhalten, so blieb ihm dafür die warme Theilnahme eines engern, selbstständig urtheilenden Kreises, und noch heute ist die Anzahl Derer nicht gering, welche es innig bedauern, daß sich seinem Schiller die Pforten des Ateliers nicht geöffnet haben.

[773] Leopold Rudolf Siemering ist im Jahre 1835 zu Königsberg in Preußen geboren. Bis zum vollendeten siebenzehnten Lebensjahre besuchte er die dortige höhere Bürgerschule und wandte sich dann der Erlernung des Tischlerhandwerks zu, bis er den Muth faßte, mit der Vergangenheit zu brechen und sich ganz der Kunst zu widmen. Nach erfolgter Ausbildung in der unter Director Rosenfelder stehenden Akademie in Königsberg wandte er sich nach Berlin und fand in Bläser’s Atelier Aufnahme. Der Erfolg bei der Schiller-Concurrenz ließ ihn in den stürmisch wogenden Fluthen des weltstädtischen Lebens, von denen er in Stunden des Kleinmuths verschlungen zu werden wähnte, unverhofft festen Boden gewinnen. Seit jener Zeit strebt er unverdrossen vorwärts, von der Reclame nicht getragen, von der ehrlichen Kritik, von Kunstfreunden und Genossen nach Gebühr geschätzt und anerkannt.

In Siemering’s Begabung paart sich ernste Strenge mit tiefer Empfindung. Die Eigenthümlichkeit seiner Kunstweise zeigt sich in keinem seiner früheren Werke für uns von einer so vortheilhaften Seite, als in dem Standbilde des Leibnitz, welches er für die Universität in Pest modellirt hat. Schon hier finden wir unbedingte Meisterschaft in der Feinheit und Schärfe der Charakterisirung, in der liebevollen Ausprägung der historischen Persönlichkeit. Auch das Verdienst seines Schiller gipfelt in der überzeugenden Vorführung der individuell menschlichen Erscheinung, welche allen Deutschen mit den Werken des Dichters theuer geworden ist. Eine nicht geringe Anzahl männlicher Portraitbüsten bot dem Künstler Gelegenheit zur Kraftentfaltung auf einem ihm besonders zusagenden Gebiete. In der Gunst der Massen war mit solchen Arbeiten freilich nicht sonderlich vorwärts zu kommen. Von umfangreicheren, in Marmor ausgeführten Werken sind die Statue des Königs Wilhelm in der Vorhalle der Berliner Börse und eine im Besitze des Geheimen Commerzienraths Borsig befindliche Gruppe, „Nymphe, welche den Bacchus tanzen lehrt“, namhaft zu machen. Das gelungenere Gegenstück des letzteren, „Faun, welcher den Bacchus keltern lehrt“, bildete eine Zierde der vorjährigen Berliner Kunstausstellung, harrt aber noch vergebens der Uebertragung in ein edleres Material.

Auch der Kolossalgruppe in decorativem Stil über der Front des preußischen Handelsministeriums – Vulcan und Mercur – ist als einer der schätzenswertheren Leistungen des Künstlers zu [774] gedenken. Die zahlreichen und vorzüglichen Arbeiten, welche er zu Silbergeräthen, zum größten Theile nach Entwürfen seines hochbegabten, leider zu früh verstorbenen Freundes Kolscher, geliefert hat, sichern ihm einen Ehrenplatz unter den Männern, die ihre Kunst durch den Bund mit der Industrie nicht zu entadeln glauben. Es bliebe uns noch diejenige Gattung seiner Schöpfungen mit flüchtigem Blick zu mustern, in welcher seine künstlerische Individualität stets zum reinsten Ausdruck gekommen ist – das Relief. Doch übergehen wir hier die Einzelleistungen Siemering’s auf diesem Gebiete, wie seine schönen Beiträge zur Façade des neuen Rathhauses in Berlin oder die Ergänzung jenes Schadow’schen Frieses an der Façade des neuen Münzgebäudes, und wenden uns sofort zu dem Zeitpunkte, wo ihm die Betheiligung bei der Ausschmückung der via triumphalis zu einer überraschenden Entfaltung seiner Kraft Gelegenheit geben sollte. Um sich von der Gewaltigkeit der dem Künstler zugefallenen Aufgabe einen Begriff zu machen, möge sich der Leser vergegenwärtigen, daß ihm in unsern Abbildungen ein Kranzrelief von sechszig Fuß Länge und sieben Fuß Höhe vorgeführt wird. Die Darstellung zieht sich von dem Herold aus nach rechts und links im Kreise hin, so daß die rechte Seite der oberen Hälfte in die linke der untern und die linke der obern in die rechte der untern verlaufend zu denken ist.

„Des deutschen Volkes Rüstung und Auszug zum Kampfe!“ Das ist der mächtig bewegte Vorgang, dessen Schilderung uns in diesen lebenswarmen Gestalten und Gruppen mit zwingender Verständlichkeit entgegentritt. Gewaltig läßt der Herold die Drommete erklingen und ruft die Männer aller Gauen, sich zum Schutze des Vaterlandes um das deutsche Banner zu schaaren. Da ziehen sie heran, die Söhne des Nordens und des Südens, Hand in Hand, in frommer, todesmuthiger Begeisterung; der oberste Kriegsherr wird keinen vermissen, wenn er sich an die Spitze des Reichsheeres stellt. – Ja staune nur, alter Stelzfuß von 1813, wieder ist es so gekommen wie damals. Klebt dort nicht an der Mauer der Aufruf des Königs an sein Volk und geht’s nicht wieder gegen den nimmer zu bessernden Erbfeind? Und doch werdet ihr, du und dein wackerer Camerad, vielerlei anders finden und das Wunder kaum begreifen, das sich vor euern Augen vollzieht. Aus tiefem Frieden hat der Kriegsruf die Nation emporgerüttelt. Da steht der jugendliche Landmann an sein Zugthier gelehnt und empfängt die Ordre aus der Hand des Boten. Du bist dir des Ernstes vollbewußt, den diese Stunde in sich trägt, tüchtiger Mann, aber wie möchtest du dem Vater an entschlossenem Muthe nachstehen? „Ja, er hat Recht, Mutter! Weg mit den Thränen; dem Franzosen muß wieder einmal der Heimweg gewiesen werden; es gelüstet ihm schon zu lange nach unserer Weide.“

Gott hat den Segen des braven Geistlichen vernommen, aber in das Ohr des Jünglings ist er nur halb gefallen. Dorthin treibt es ihn „mit Sturmeswehen“, wo die Jugend sich tummelt, wo der Schmiedegesell, stolzer auf den Reiterhelm als der Fürst auf seine Krone, die riesigen Glieder in die Uniform zwängt und, der Kraft in seinen Armen sich bewußt, dem Meister verspricht, die windigen Rothhosen tüchtig zwischen Hammer und Ambos zu nehmen; wo Bruder Studio, in heiliger Begeisterung des Cerevises auf seinem Kopfe uneingedenk, den Säbel hastig um die Hüften schnallt und sich im Geiste die Großartigkeit einer Völkerpauke zwischen Franken und Germanen vergegenwärtigt. – Ob der flotte Ulan die Schwüre ewiger Treue, welche er mit seinem Schatze tauscht, wohl halten wird? Jetzt sind sie ihm heiliger Ernst. Noch einen Händedruck und dann auf’s Pferd. – Dir kostet’s mehr Herzblut, wackerer Landwehrmann; aber du zeigst keine Schwäche, wenn dir auch die Zärtlichkeit des Kleinen die Brust zersprengen will. Für die Deinen wird Gott sorgen und das Vaterland; doch dem Friedensstörer wäre besser, er hätte diesen Jammer nicht verschuldet. – Und nun geht’s durch die Straßen fort dem Thore zu. Hier blieb noch Einer zurück, um von der schluchzenden Genossin seiner Sonntag-Nachmittage die letzte Liebesgabe mit auf den Weg zu nehmen. Wie heißt es in dem alten Liede?

Wisch ab dein Gesicht,
Eine jede Kugel trifft ja nicht.

– „Hurrah!“ schreit der Schusterjunge, unermüdlich seine Mütze schwenkend – und bald sind sie den Augen der Nachschauenden unter den verhallenden Klängen der „Wacht am Rhein“ entschwunden.

Es ist hier nicht der Ort, auf das specifisch-künstlerische Verdienst in Siemering’s herrlichem Werke näher einzugehen. Die Fachkritik hat es nach dieser Seite hinlänglich gewürdigt und ist einstimmig zu dem Resultate rückhaltloser Bewunderung gekommen. Der Berichterstatter der Kunstchronik kennt in Berlin nur zwei Schöpfungen verwandter Art, welche sich unserm Relief ebenbürtig an die Seite stellen: Drake’s „Fries am Denkmal Friedrich Wilhelm des Dritten im Thiergarten“ und Schievelbein’s „Untergang Pompejis“. Dieses treffliche Werk hat in einem Hofe des neuen Museums kaum mehr als ein Grab gefunden. Wird der Arbeit Siemering’s ein besseres Schicksal zu Theil werden? Noch scheint darüber nichts entschieden. In dem ersten Rausche allgemeiner Begeisterung hat sich ein Comité gebildet, um durch Subscription die allerdings beträchtlichen Mittel zur Ausführung in Bronze aufzubringen. Ob der Eifer mittlerweile erkaltet ist, ob die Bemühungen guten Fortgang haben, wir wissen es nicht. Das aber müßte ein an Kunstproduction gewaltig reiches Volk sein, welches mit der vornehmen Uebersättigung eines Gourmands sich schon an dem Bewußtsein genügen ließe, den Anblick eines so gottbegnadeten Meisterwerkes ein paar Monate hindurch genossen zu haben.