Die Kunst des Fliegens an der Jahrhundertwende
Die Kunst des Fliegens an der Jahrhundertwende.
Zum zweitenmal binnen kurzer Zeit versetzt ein Unternehmen auf dem Gebiete der Luftschiffahrt, das zu Füßen der Alpen ins Werk gesetzt wird, die Welt in allgemeine Spannung. Im vorigen Jahre war es der Versuch des Kapitäns Spelterini, von Sitten aus die Berner Hochalpen im Ballon zu übersteigen, in diesem ist es die bevorstehende Vollendung und der erste Aufstieg des in einer schwimmenden Riesenhalle auf dem Bodensee erbauten Graf Zeppelinschen Luftschiffs, zu dem nicht nur die Herrscher von Württemberg und Baden, sondern auch das deutsche Kaiserpaar erwartet werden. Uns giebt dieses Ereignis, auf welches wir am Schlusse dieses Artikels des näheren zurückkommen werden, Veranlassung, dem Entwicklungsgang der Luftschiffahrt und Flugtechnik, dem die „Gartenlaube“ in seinen einzelnen Phasen immer mit Aufmerksamkeit gefolgt ist, eine zusammenhängende Darstellung in Wort und Bild zu widmen.
Daß die Bestrebungen, mit Hilfe von Maschinen zu fliegen, älter sind als der Luftballon, ist nicht unbekannt. Lassen wir auch den Kreis der Sagen, die schon bei verschiedenen Völkern des Altertums von fliegenden Menschen erzählen, ganz beiseite, so hat doch das Mittelalter in seiner zweiten Hälfte, die überhaupt einen bedeutenden Aufschwung der mechanischen Künste herbeiführte, einige ernsthafte Versuche auf unserem Felde zu verzeichnen. Leonardo da Vinci, jener Riesengeist des 15. Jahrhunderts, der den ganzen Lebens- und Gedankeninhalt seines Zeitalters in sich zusammengefaßt hat, wie es nach ihm nur Goethe noch einmal verstanden hat, war nicht nur Maler, Bildhauer, Dichter und Schriftsteller, er war auch in seiner Zeit der hervorragendste Mathematiker, Techniker und Mechaniker. Nicht nur der Fallschirm, der bald wieder vergessen und nach Leonardo noch zweimal selbständig erfunden wurde, auch die Luftschraube, jenes bekannte Kinderspielzeug und die motorische Seele zahlreicher moderner Luftschiffe, soll ihm zu verdanken sein. Ja sogar die genaue Beobachtung des Vogelfluges als Grundlage für die Konstruktion mechanischer Flugmaschinen, die Aviatik (vom Lateinischen: avis, der Vogel), welche erst seit etwa 30 Jahren wieder die Frage des Fliegens in lebhafteren Fluß gebracht hat, ist von Leonardo da Vinci und nach ihm im Jahre 1680 von Professor Borelli in Rom zum großen Teil vorweg genommen worden.
Und es war nicht einmal die Aviatik allein, in der sich das spätere Mittelalter zu Gunsten des menschlichen Fluges tapfer bemüht hat, auch der Luftballon ist seinen unsterblichen Erfindern Montgolfier und Charles schon einige Male vorerfunden worden, wenn auch nur auf dem Papier, aber nach unleugbar richtigen Principien. Was ist das in Figur 1 dargestellte Luftschiff des Jesuiten Lana, aus dem Jahre 1670 stammend, anders als eine Gondel mit vier Ballons?
Freilich kannte Lana nicht den Auftrieb heißer Luft oder specifisch leichterer Gase, aber seine – wohlverstanden immer hübsch auf dem Papier – aus Kupfer getriebenen Ballonkugeln sollten luftleer gemacht werden und hätten dann denselben Zweck erfüllt, wenn nicht leichtverständliche Hindernisse diese Art der Ausführung verboten hätten. Der schlaue Dominikanerfrater Galien, der 1775 zu Avignon die welterschütternde Entdeckung machte, daß man große „hölzerne Kästen“ nur mit der leichteren Luft der höchsten atmosphärischen Schichten zu füllen brauche, um ganze Armeen durch die Luft zu transportieren, braucht Lanas Werk nicht eben gekannt zu haben, wenn es auch nicht unwahrscheinlich ist, daß er sich mit fremden Federn geschmückt hat.
Die Geburtsstunde der modernen Luftschiffahrt schlug aber, als am 5. Juni 1783 der Brüder Montgolfier rauchgefüllte Kugel (s. Figur 2) sich zu Annonay ein
[565]beträchtliches Stück in die Luft erhob, um freilich, schnell abgekühlt von den Winden, alsbald wieder zu sinken. Das Bessere ist des Guten Feind: als am 27. August desselben Jahres Professor Charles’ gasgefüllter, 5 w hoher Ballon nach 20stündigen, vom Spott der Menge begleiteten Vorbereitungen sich majestätisch von der Erde löste und in die Wolken schoß, wie eine Geistererscheinung angestarrt von hunderttausend Augen, da drohte der Bruder Montgolfier Ruhm zu verblassen. Man überbot sich jetzt, wie wir’s noch heute nicht besser können. Die Feuermaschine der Montgolfiers, ein von erhitzter Luft getragener Papierballon, stieg vor den Parisern, mit drei Tieren besetzt, empor, und noch im Oktober des Erfindungsjahres hatte Frankreich seine ersten Aeronauten, Pilatre de Rozier und Marquis d’Arlande; auch sie bedienten sich der „Montgolfiere“. Charles stieg dann mit dem Mechaniker Robert noch im Dezember 1783 in einem großen Wasserstoffballon empor und erreichte, als bei der Landung sein Gefährte unvorsichtig die Gondel verließ, mit dem pfeilschnell in die Atmosphäre zurücktauchenden Ballon eine Höhe von 3000 m.
Die für die Erdbewohner schon versunkene Sonne ging dem Auge des Gelehrten an diesem Abend noch einmal auf, und die ersten, wenn schon nicht welterschütternden Forschungsergebnisse schieden gleich beim Beginn die Ballonfahrten des Gelehrten von denen des Berufsaerouauten, der auf Sensation ausging und dessen Evolutionen fast immer schließlich auf HalsoderBeinbrüche hinausliefen.
Es genügt, aus der Weiterentwicklung der Luftschiffahrt gewisse Marksteine andeutungsweise hervorzuheben. Schon 1874 erfolgte die erste Ballonfahrt über das Meer, von Dover nach Calais. Blanchard, der später Vielgenannte, wagte und vollführte sie; eine Denkfaule am Kap Gris Nez bezeichnet den Ort der Landung. Pilatre de Rozier, der diese Fahrt mit mehr Ruhmsucht als Vernunft nachmachen wollte und, nach des Nestor Charles’ warnendem Ausspruch, „ein Pulverfaß über Feuer“ hing, d. h. eine gasgefüllte Charliere über eine flammengenährte Montgolfiere, zerschellte fünf Monate später auf denselben Felsen.
Es brach die Zeit der Ballonsucht an, jeder Mann, jede Frau von Namen mußte eine Reise durchs Luftmeer gemacht haben; die Berufsaeronauten wie Blanchard, Green, Durouf u. a., die entweder den Hals brachen oder in Armut und Einsamkeit starben, wenn ihre Zeit um war, wurden die Löwen der Gesellschaft. Wer die weitesten Fahrten machte, wer 12, 15, 20 Stunden in der Luft blieb, war der Berühmteste. Green fuhr 1836 von London bis Weilburg, 6701cm in 19 Stunden; Godard machte 1851, mit der Prinzessin von Solms und anderen hochstehenden Persönlichkeiten in der Gondel die Reise von Paris nach Spaa; Nadar, der sich später der Flugmaschine Widmete, kam 1863 mitneunPersonenindemriesenhaften „Giant“ von Paris bis Nienburg an der Weser binnen 14 Stunden. Gewaltige Reisen, einmal durch den größten Teil Frankreichs, einmal von Paris nach Preußen, hat auch Flammarion in 11 beziehungsweise 12 Stunden gemacht, und unter den kühnen Patrioten, die Paris während der winterlichen Einschließung 1870 im Ballon verließen, wurden zwei in einem großen Ballon während einer 20stündigen, furchtbaren Fahrt 1900 km weit, bis tief in die norwegischen Einöden hinein, verschlagen.
Das ist die bei weitem längste aller bisherigen Luftreifen, wenn sie nicht von der Fahrt Andrees, über die es immer noch an Kunde mangelt, inzwischen übertreffen ist.
Langer Luftreisen aus der Neuzeit gedenken wir später, hier gilt es zunächst noch einer kurzen Epoche von Ballonfahrten anderen Charakters aus dem Beginn dieses Jahrhunderts ein Wort zu widmen, die nichts von dem Begehren nach Sensation und Ruhm an sich hatte wie die vorerwähnte, aber um so mehr ehrliches Streben nach Aufklärung und wissenschaftlichem Fortschritt. Deutschland, wo auch die wichtigsten Forschungsreisen der Neuzeit im Ballon unternommen wurden, hat im Jahre 1803 die erste derartige Fahrt zur Erforschung der höheren Luftschichten gesehen, die von L’Holst und Robertson in Hamburg unternommen wurde. Dann siedelte dieser Zweig der Forschung nach Frankreich und England über, wo besonders Gay Lussac und Glaisher durch ihre Hochfahrten berühmt geworden sind. Haben auch die Resultate dieser älteren Hochfahrten durch die strengeren und mit besseren Instrumenten ausgeführten Forschungsreisen des Deutschen Vereins zur [566] Förderung der Luftschiffahrt eine starke Abschwächung und zum Teil eine direkte Widerlegung gefunden (besonders die erreichte Höhe wurde damals auf Grund mangelhafter Instrumente weit überschätzt), so verdient jene erste Epoche der wissenschaftlichen Luftschiffahrt doch in dieser Rundschau über das ganze Gebiet, dem sie angehört, eine ehrenvolle Anerkennung.
Zwischen jene älteren Leistungen des Luftballons und seine heutige Rolle als Werkzeug der Wissenschaft und Forschung tritt nun aber eine neue Epoche, in der man zuerst daran dachte, aus dem Instrument der Sensation oder der Forschung ein brauchbares Verkehrsmittel zu machen. Der stencrlose, von den Winden getriebene Gasball konnte dazu nie bestimmt sein – wir stehen an der Wiege des lenkbaren Luftschiffes. Giffard, der französische, in anderen Fächern so eminent erfolgreiche Ingenieur, ist wohl der erste, der sich an dem stachligen Problem des Propellerund Steuerballons mit einigem Erfolg versuchte. Wenn auch schon 1816 in Rußland durch einen deutschen Mechaniker ein sischförmiger Ballon gebaut wurde zum Zweck des Antreibens und Steuerns in der Luft, so war doch damals die Technik des Maschinenbaues noch viel zu weit zurück, um irgend einen Erfolg zuzulassen. Giffards Spindelballon dagegen wurde wenigstens in stiller Luft durch seine dreipferdige Dampfmaschine, die eine dreiflügelige Schraube drehte, mit Schneckenlangsamkeit fortgezerrt; gegen einen leisen Wind allerdings konnte er nichts ausrichten, und im Grunde ebensowenig alle jene, die nach ihm kamen, mochten sie Hänlein, Dupuy de Lome oder gar Renard und Krebs heißen.
Letzteren gelang allerdings im August 1884 der große Wurf, welcher der ganzen Welt als die Lösung der lenkbaren Luftschifffahrt verkündet wurde. Der torpedoförmige Ballon von Renard und Krebs (s. Figur 3), in der 90 Jahre früher gegründeten Luftschifferschule zu Meudon entstanden, hat in Wirklichkeit einige kleine Fahrten bei windstillem oder -schwachem Wetter gemacht, bei denen er seine Lenkbarkeit und eine Eigenbewegung von 6 m in der Sekunde bewies. Daß aber ein Ballon, den ein Radsahrerdetachement leicht überholt, der bei Gegenwind versagen würde und sich in höhere Luftschichten aus Furcht vor stärkeren Windströmungen kaum hinauswagen kann, im Kriegsdienste keinen allzu hohen Wert hat, liegt nur zu klar am Tage.
In der That hat auch dieser Ballon in der Geschichte der Luftschiffahrt keine entscheidende Wendung hervorgebracht, und selbst dasjenige Konstruktionsprincip, auf das die Erfinder besondere Hoffnungen setzten, der Elektromotor, ist bei dem Bau späterer lenkbarer Ballons wieder verlassen worden zu Gunsten der leichten Explosivmaschine mit Gasoder Petroleumantrieb oder des Dampfmotors mit leichtem Röhrenkefsel, um dessen Ausbildung für flugtechnische Zwecke sich besonders der gleich zu erwähnende Aviatiker Lilienthal sehr verdient gemacht hat.
So hat denn auch der lenkbare Luftballon, wenigstens beim ersten Anlauf, sein Ziel nicht erreicht. Die wertvollsten bisherigen Forschungsresultate, die wir dem Luftschiff verdanken, hat man im einfachen, allen Windströmungen preisgegebenen Kugelballon erzielt, während die Militärluftschiffahrt umgekehrt in Zukunft, mehr als auf die früher viel geübten Freifahrten, auf den Fesselballon mit Steuerungsvorrichtung angewiesen zu sein scheint, dessen Konstruktion und Leistungen im Jahrgang 1897 der „Gartenlaube“ geschildert sind. Begeisterte Anhänger der Lufterforschung im freischwebenden Ballon wie Prof. Aßmann, Dr. Berson haben im Auftrage des Deutschen Vereins zur Förderung der Luftschiffahrt Forschungsreisen bis 9150 m Höhe und auf Entfernungen unternommen, die sich den von Nadar, Green und den anderen, von den Koryphäen der Berufsaeronautik ausgeführten Fahrten würdig anreihen.
Aber die Freunde des Luftmeeres wollen, wenn nicht sofort ein schlechtweg lenkbares und selbstthätig angetriebenes Luftfahrzeug, so doch einen Ballon, der sich unter Ausnutzung der gegebenen Luftströmungen wenigstens in ähnlicher Weise lenken läßt wie das Segelschiff auf hoher See. So entstand der Andreesche Schleppseilballon „Adler“ (s. Figur 4), zwischen dessen Gondel und der Erde zunächst durch lange, auf dem Boden schleifende Gurten eine gewisse Verbindung hergestellt wird, so daß die Bewegung sich verlangsamt und der Ballon vom Winde nicht ohne weiteres vor sich her getrieben werden kann. Ein Segel, das unten an der Gondel, oben am Ballon befestigt ist, trägt weiter zur Richtungsbestimmung bei und bewirkt nach vorgenommenen Versuchen eine Abweichung der Fahrt von der Windrichtung um einen ziemlich großen Winkel. Man kann also bei Südwind mit einem solchen Ballon nicht allein nördlich, sondern auch nordöstlich oder nordwestlich fahren und entsprechend bei anderen Windrichtungen.
Im Herbst des vorigen Jahres wurde die bereits eingangs erwähnte Forschungsreise der „Wega“ in den Schweizer Alpen in Scene gesetzt, freilich auch nur mit dem Erfolg, daß sie aufs neue bewies, wie es bei dieser Reisemethode selten nach Wunsch und Willen desjenigen hergeht, der die Fahrt unternimmt. Der schweizer Luftschiffer Spelterini hatte die Absicht, mit bedeutenden Größen der geologischen und geographischen Forschung wie Prof. Heim u. a. vom Wallis aus den gewaltigen Alpenstock des Bernergebiets in der Richtung aufs Finsteraarhorn, die Urnerund Glarneralpen zu überfliegen, um endlich am Bodensee zu landen (vergl. den Jahrg. 1898 der „Gartenlaube“, S. 676). Wochenlang hielt man den mächtigen, für Forfchungsund Beobachtungszwecke vortrefflich ausgestatteten Ballon in Bereitschaft und wartete auf günstigen Wind. Dann endlich wagte man im September den Aufstieg. Und der Erfolg?
Schon bei 1000 m Höhe wurde der Ballon in einer den Absichten der Lustschiffer direkt entgegengesetzten Richtung das Rhönethal hinab getrieben; man warf Ballast aus, bis 2500 w erreicht waren, aber der Flug ging ruhig im Rhonethal weiter, und obwohl man schließlich bis auf 6300 m stieg, war das eigenwillige Luftschiff nicht aus seiner Richtung zu bringen, die es nach Montreux, Averdon und endlich nach Dijon trug.
Selbst als Sternwarte hat der Ballon schon zu mehreren Malen dienen müssen und wird dazu jetzt, nach der Erfindung des steuerlosen Fesselballons von Siegsfeld-Parseval, wahrscheinlich bei Gelegenheit von Sonnenoder Mondfinsternissen noch häufiger benutzt werden, um hinderliche, niedrig lagernde Wolken oder Nebelschichten zu durchgingen. Am 14. November 1898 wurde z. B. von dem französischen Astronomen Janssen der Freifahrtballon zur Beobachtung des Leoniden-Meteorschwarms benutzt.
Aber zu lange schon sind wir den wenn auch noch so interessanten Phasen in der Ausnutzung und Ausbildung des Ballons gefolgt, auf dessen jüngste, unseren Jahren angehörige Umbildung zur Ballon-Flugmaschine wir am Schlüsse dieser Zeilen zurückkommen werden. Inzwischen haben wir auch auf den Wegen noch kurze Nachschau zu halten, auf denen, getrennt von den Anhängern der Ballontechnik, die Nachahmer des Vogelfluges und Erfinder der Flugmaschine, die Aviatiker, gewandelt sind. Ueber die Berechtigung, den Vogelflug auch für den Menschen als Vorbild zu wählen, und über die schwerwiegenden und jedenfalls durch die bisherigen Erfahrungen noch nicht widerlegten Einwände, die ron den Anhängern dieser Richtung gegen die Ballontechnik erhoben werden, ist in den Jahrgängen 1890, 1894 und 1896 der „Gartenlaube“ so ausführlich geschrieben worden, daß wir hier darüber hinweggehen können.
Es sei nur gesagt, daß der einst von Leonardo und von Borelli nerfochtene und dann in den 60 er Jahren unseres Jahrhunderts von französischen Aeronauten wie Nadar mit Begeisterung wieder aufgenommene Gedanke, den Menschen mittels Flügeloder Luftschrauben zum Fliegen zu bringen, endlich in den 80 er Jahren wissenschaftlich begründet und von Technikern ersten Ranges thatkräftig angefaßt wurde. Er machte sich mit ungeheurer Macht dermaßen geltend, daß die Idee, den Ballon lenkund treibfähig zu machen, auf zehn Jahre völlig zurückgedrängt wurde. Seit Männer von der technischen Bedeutung Lilienthals, Maxims, von der wissenschaftlichen Bildung Langleys, Wellners u. a., seit Mathematiker und Physiologen den Fahnen der Aviatik folgen, kann man auf den Erfolg ihrer Mühe schon einige Hoffnungen setzen und braucht sich durch anfängliche Mißerfolge, wären sie auch so niederschmetternd und traurig wie Lilienthals tödlicher Sturz, nicht auf die Dauer entmutigen zu lassen. Hier genüge es, auch aus der Geschichte der Aviatik einige packende Momentbilder hervorzuheben.
Von den Anhängern des Kunstfluges im Mittelalter ist oben gesprochen. Im 19. Jahrhundert begegnet uns Henson als der erste Aviatiker, dessen Maschine im Jahre 1843 wirklich zur Ausführung kam. Daß der Konstrukteur des in unserer Figur 5 wiedergegebenen Apparates ein scharfsinniger Kopf gewesen ist, [567] leuchtet dem Kenner der heutigen Flugmaschinen ohne weiteres ein. Wir sehen da dieselben platten Tragflächen, dieselbe gefächerte Gleitfläche des Steuers oder Schwanzes, die man noch heute anwendet, um Flugmaschinen mehr auf dem Winde gleiten als gegen ihn kämpfen zu lassen. Zwei kleine dampfgetriebene Schraubenräder unterhielten die Bewegung. Daß Henson mit den technischen Mitteln der vierziger Jahre das nicht erreichte, was heute mit weit besseren Antriebsmaschinen, leichteren Konstruktionsmaterialien und unbeschränkten Mitteln Gelehrte wie Trouvé und Ingenieure wie Maxim vergeblich erstreben, darf nicht wunder nehmen. Aber das Princip Hensons, eine glatte, durch mechanische Kraft getriebene Fläche von der Luft gleichsam tragen zu lassen, ist gesund und wird dereinst, wenn nicht alle Zeichen trügen, wenigstens für einen Zweig der Flugkunst, den Einzelflug, zum Ziele führen.
Lilienthal ist es gewesen, dem dieser Zweig der Flugtechnik – wir können ihn auch den persönlichen Kunstflug nennen, weil er das Gelingen und vor allem die Erhaltung des Gleichgewichtes von dem Geschick und der Geistesgegenwart des Fliegers selbst abhängig macht – die größte bisherige Förderung verdankt in Gestalt der gewölbten Trag- oder Gleitflächen, die von ihm nach langjährigen Versuchen empfohlen und selbst angewandt wurden (s. Figur 6). Lilienthal schreckte nicht davor zurück, sein eigenes Leben für die Richtigkeit seiner Erfindung einzusetzen; daß er es dabei einbüßen mußte, beweist nichts für die Untauglichkeit seines Systemes, sondern nur die Unvollkommenheit seines damaligen Apparates, der inzwischen durch mehrere unerschrockene Nachfolger des Berliner Experimentators weiter verbessert worden ist. Uebrigens war er nicht der erste, der die Förderung des persönlichen Kunstfluges durch einen unglücklichen Sturz büßte. Schon 1883 und 1884 wurden Gleitflugversuche mit ähnlichen Apparaten von de Groof in England unternommen, der sich dabei von Ballons mit in die Höhe nehmen ließ. Einige Versuche glückten, bei einem aber kam der Aviatiker samt seinem Flugapparat zerschmettert unten an. Lilienthal hatte eben das glückliche Princip des mehrflächigen, im Winde bedeutend stabileren Apparats erfunden und war beschäftigt, es zum erstenmal mit einem wirklichen Antriebsmechanismus zu versuchen, als ein tückischer Windstoß ihn dem Leben und der Wissenschaft entriß. Zu den Anhängern seiner Richtung zählt besonders Herring und dann Chanute, der auf dem Hügellande am Michigansee bei Chicago eine längere Versuchsreihe mit zwei- oder mehrflächigen Apparaten unternommen hat.
Eine Maschine, die sich automatisch, ohne der Geschicklichkeit und der im entscheidenden Moment doch wohl oft versagenden Geistesgegenwart des Menschen zu bedürfen, im Gleichgewicht erhält, ist das Ideal einer anderen flugtechnischen Richtung, die sich bereits durch eine Legion von guten Vorschlägen und eine ganze Anzahl von zweckmäßig ersonnenen und doch nach den ersten Versuchen wieder ins Dunkel getauchten Apparaten auszeichnet. Es sind glänzende Namen, die sich in den Dienst dieser Bewegung gestellt haben. Der durch Explosionsstöße und Flügelschläge getriebene Flieger von Trouvé ist nebst anderen Erfindungen dieser Klasse im Jahrgang 1894 geschildert worden. Trotz seines Erfolges im kleinen ist er ebenso schnell wieder von der Bildfläche verschwunden wie alle übrigen, bei ihrem Auftauchen mit so großem Enthusiasmus begrüßten Erfindungen dieser Art. Selbst von der Prof. Wellnerschen sogenannten Segelrad-Flugmaschine, in der die gekrümmte Lilienthalsche Flügelform mit allen anderen, bis 1896 erzielten Vorteilen vereinigt war, ist es längst wieder still geworden. Dagegen ist von der seiner Zeit auch in diesen Blättern beschriebenen Flugmaschine des amerikanischen Meteorologen Prof. Langley, die im Jahre 1896 über dem Potomacflusse eine Strecke von dreiviertel englischer Meile in der Luft durchmaß, neuerdings ein vergrößertes und vervollkommnetes Exemplar hergestellt, das leider die dann gesetzten Hoffnungen auch nicht gerechtfertigt hat. Nach dem glücklichen Erfolg des ersten kleinen Apparates hatte das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten dem Gelehrten 100 000 Mark zur Fortsetzung seiner Versuche zur Verfügung gestellt, aber die damit gebaute größere Maschine, die wiederum ohne Bemannung über dem Potomacflusse probiert wurde, flog nur etwa 250 m weit.
Also auch hier, selbst wenn wir alle Versuche der übrigen Aviatiker wie Maxim, Phillips, Hofmann, Stentzel u. a. einzeln anführen wollten, kein entscheidender Erfolg, sondern immer noch ein Suchen und Tasten, bei dem freilich eine fortschreitende Ausbildung der Hilfsmittel, besonders der leichten Motoren, nicht zu verkennen ist. War es ein Wunder, wenn demgegenüber die gegnerischen Anhänger des Propellerballons sagten: Wenn ihr es mit der Nachahmung des Vogelfluges nicht weiter bringt, so sind wir euch mit Hilfe des Ballons immerhin schon um Eins, das Schweben nämlich, voraus, und eure Errungenschaften, die leichten Motoren, die Anwendung des Aluminiums etc. kommen auch uns zu gute! Thatsächlich finden wir sie seit einigen Jahren wieder rüstig bei der Arbeit. Schwere Enttäuschungen freilich blieben ihnen nicht erspart. Der Aeronaut Wölfert, der seinen Wasserstoffballon durch einen kräftigen, in der Bambusgondel angebrachten Benzinmotor treiben wollte, verunglückte während eines Versuches bei Berlin, indem die Explosionsflamme des Motors in den Ballon überschlug. Dann versuchte man es, um die Nachteile der Ballondeformation bei heftigem Wind zu vermeiden, mit starren Ballonhülsen oder Gestellen, deren Stoffbespannung und Form unveränderlich ist. Der große Schwarzsche Aluminiumballon, der mit Anteilnahme und, wenn wir nicht irren, sogar mit Unterstützung der deutschen Militärluftschifferabteilung hergestellt worden ist, hatte zwar das Unglück, bei der ersten entscheidenden Auffahrt im November 1894 infolge Maschinenhavarie zu stranden, bedeutet aber immerhin, da er sich tadellos erhob und ein Stück gegen den ziemlich starken Wind anfuhr, einen gewissen Fortschritt. Man hätte wohl vorher nie geglaubt, daß der Vorschlag des alten Jesuitenpaters Lana, aus Blech getriebene Hohlkugeln zum Heben von Lasten in die Luft zu benutzen, sich noch einmal mit Hilfe des wunderbaren weißen Metalls der Thonerde verwirklichen würde.
Einer der vielen Laien, die, durch Neigung zur Luftschiffahrt hingezogen, allmählich ganz in ihren Problemen aufgehen und zu Technikern werden, ist der kühne, im 70er Kriege durch seinen schneidigen Rekognoscierungsritt ins Elsaß bekannt gewordene General Graf Zeppelin. Den Bau des von ihm geplanten Luftschiffs hat er in einer auf großen Pontons im Bodensee schwimmenden Halle ausführen lassen. Die Vollendung steht nahe bevor und seine Konstruktion soll uns als die jüngste Etappe auf dem Wege des Menschen zur Flugkunst nunmehr zum Schlusse beschäftigen.
Obwohl das Zeppelinsche Luftfahrzeug (s. Figur 7), gleich einem Eisenbahnzuge, aus mehreren aneinander gereihten cylindrischen Behältern in einer Gesamtlänge von 100 m und einem Inhalt von 10000 cbm besteht, macht es äußerlich doch den Eindruck eines einzigen, sehr langen und dünnen Ballons. Die Zwischenräume der einzelnen Abteilungen sind, wie letztere selbst, mit glattem Stoff bespannt und alle Vorsprünge, wo die Luft und der Wind hindernd anpacken könnten, sind vermieden. Um Gasverlusten während der Fahrt vorzubeugen, wird das durch Erwärmung und Ausdehnung ausgetriebene Gas in Reserveballons aufgespeichert, die ihren Platz zwischen den gleich zu erwähnenden Tragballons erhalten. Ein festes Geripp aus Röhren, Seilen und Drahtgeflecht schützt die Einzelballons vor schweren Beschädigungen; um aber den Gasinhalt und die Tragkraft auch bei harten Stößen unversehrt zu erhalten, ist das Gas selbst in den Abteilungen nicht unmittelbar, sondern in kleinen Einzelkammern aufgespeichert, von denen eine oder einige platzen können, ohne die Tragkraft wesentlich zu beeinträchtigen. Es ist das Princip der wasserdichten Schiffszellen auf die Luftschiffahrt angewandt. Dicht unter dem Ballon ist unverrückbar eine Reihe von Laufgängen durch Gestänge und Drahtseile befestigt. Sie tragen die Motoren unter der vordersten, gewissermaßen als Lokomotive dienenden Abteilung, die Passagiere und Lasten unter [568] den Trag- oder Luftballons. Die Propeller sitzen seitlich vom ersten Tragkörper und sind fest mit ihm verbunden. Um das Luftschiff in eine schräge Lage zu bringen, ist unter jedem Tragkörper ein Gewicht mittels eines Flaschenzuges aufgehängt, der an einer Laufkatze befestigt ist. Diese ruht fahrbar auf einem am Mantel des Tragkörpers befestigten Drahtseil und kann hin und her gezogen werden, wodurch man die schräge Lage des Ballons erreicht. Als Motoren dienen zehnpferdige Daimler-Benzinmaschinen, die in Verbindung mit denselben Luftschrauben, welche jetzt den Ballon treiben sollen, vorher auf einem Boote ausprobiert wurden, das anstatt durch Wasserschrauben, lediglich durch diese Luftpropeller in Bewegung gesetzt wurde. Die Versuche mit dem Ballon selbst sollen über dem Bodensee stattfinden, um das überaus kostbare Luftfahrzeug auch bei anfänglichen Mißerfolgen keinen Kollisionen mit der Erdoberfläche auszusetzen. Alle Vorbedingungen für ein glückliches Gelingen scheinen hier, soweit menschliche Berechnung reicht, im vollsten Maße gegeben; welches aber die Erfolge all dieser Mühe und dieses Scharfsinns sein werden, darüber wird die „Gartenlaube“ ihren Lesern später getreulich berichten.