Die Kunst im Hause (Die Gartenlaube 1861/40)
Die Kunst im Hause
So wenig die Lobredner der sogenannten guten alten Zeit auf irgend einem Lebensgebiete zum Tadel der Gegenwart berechtigt sein mögen, so ist doch eine Erscheinung unsrer Zeit mit aller Entschiedenheit als ein eigenthümliches Gebrechen derselben zu bezeichnen, ihr Mangel an Verständniß für den Einfluß der bildenden Kunst auf die Erzeugnisse des praktischen Lebens. – Würde irgend einer unsrer deutschen Vorfahren vom 13. bis zum 17. Jahrhundert heute lebendig unter uns wandeln dürfen, überall würde er Fortschritt und Entwickelung des äußeren wie des geistigen Culturlebens finden, wäre er aber ein Mann handwerklicher Kunstfertigkeit und vergliche das Treiben unsrer kunstindustriellen Werkstätten mit denen seiner Zeit, er würde darüber erstaunen, daß wir, die wir sonst überall „es doch so herrlich weit gebracht“, so sehr hinter dem zurückstehen, was die Kunstfertigkeit der Vorzeit auf diesem [632] Gebiete hervorbrachte. Wir brauchen nur einen Blick in die unversehrt gebliebene Einrichtung eines Nürnberger Patrizierhauses zu thun, um uns zu überzeugen, wie von der Gestalt des Bauwerkes, von der Sculpturverzierung der Fluren und Zimmer bis zum Schlüssel und zum gestickten Kissen das Walten einer unerschöpflichen Erfindungsgabe künstlerischer Formen in der Ausprägung eines harmonischen Styles sich ausspricht, während fast jedes beliebige moderne Wohnzimmer eine Musterkarte geschmackloser Formen entwickelt, aus welchen die etwa darin vorhandenen Nachbildungen gediegener moderner Kunstwerke wie wahre Wunderwerke hervorragen. Ganz besonders gilt dies, und die geneigten Leserinnen mögen uns diese Offenheit nicht verargen – von denjenigen Gegenständen häuslichen Zimmerschmuckes, die in das große Gebiet der beliebten „weiblichen Arbeiten“ fallen. Noch in den altmodischen Zimmern, wo von der Urgroßmutter her sich ähnliche Niedlichkeiten
erhalten haben, gewahrt man mit Vergnügen, wie die
wunderlichen Blumen, Schmetterlinge, Muschelverzierungen etc. mit
dem Costümschnitt der gepuderten Familienportraits, mit den Ausschweifungen
der zierlichen Nußbaummöbel und den Stuckarabesken
der Decke harmoniren. Es ist Nichts besonders gediegen schön,
doch hat eben Alles einen gemeinsamen Zug von Styl. Dagegen
bitte ich die geneigte Leserin in ihrem eignen Boudoir umherzublicken.
Der Berliner Ofen wird wahrscheinlich antike oder gar
„jothische“ Architekturformen entwickeln, Nähtisch und Causeuse
ergehen sich in den breiten Profilen üppigster Renaissance des 17.
Jahrhunderts, während der goldne Spiegelrahmen im entschiedenen
Rococo und die Deckenmalerei in halb maurischen, halb italienischen
Arabesken die Stylmengerei vervollständigen.
In solchen Umgebungen ist es denn nicht zu verwundern, wenn das Canevasmuster, das die geehrte Leserin vielleicht eben mit der Gartenlaube vertauschte, eine der sehr gewöhnlichen ungeheuerlichen Blumengruppirungen ausweist, in welchen die zahllosen farbigglühenden Quadrätchen sich alle mögliche vergebliche Mühe geben, den zarten Linienschwung von Blättern und Blüthen herauszubringen, oder wenn gar die lächelnden Züge einer lithographirten Idealschönheit in viereckige Fadenkreuze übersetzt werden sollen. Weit entfernt sind wir, ihr darüber Vorwürfe zu machen!
Der Gute, zu dessen Ueberraschung die Kreuzchen so unermüdet ausgezählt und ausgetippelt werden, findet die fertige Arbeit sicherlich ganz reizend! Leider müssen wir aber in Vergleichung dieser Arbeiten mit der Kunstfertigkeit früherer Zeiten, ja im Vergleich mit den Webereien und Stickereien, wie sie jede beliebige indische oder arabische Nähmamsell aus freier Hand und eigner Erfindung ausführt, an den meisten Arbeiten unsrer Damen gerade das Beste, nämlich die geschmackvolle Form, um deren willen das Ding doch einzig geschaffen worden, vermissen, und zwar nicht etwa aus Mangel an Begabung, sondern weil unsre ganze Zeitrichtung die Pflege dieses ganzen Gebietes beinahe keiner Aufmerksamkeit im ernsteren Sinne werth hält.
Indessen das Schöne hat mit dem Wahren Eines gemein: nach den Zeiten der Unterdrückung kommen beide siegreich wieder an’s Tageslicht, und schon ein Vergleich von heute und vor zehn Jahren giebt der erfreulichen Wahrnehmung Raum, daß unsre häuslichen Kunstzustände sich entschieden im Stadium der Besserung befinden. Schon verschwinden in den meisten Familien die „prachtvollen englischen Stahlstiche,“ welche sich noch vor Kurzem einer fast unbeschränkten Alleinherrschaft auf deutschem Boden rühmen durften; die gediegenen Leistungen unsrer großen Meister der Gegenwart, vor Allem des unvergleichlichen Ludwig Richter, in ihrer schlichten Holzschnittmanier sind im besten Sinne des Wortes volksthümlich geworden; und wo einmal von einer Seite her die Empfindung sich Bahn gebrochen, daß der Kunst ein tieferer Zweck innewohne, als ein Luxusartikel neben dem Nützlichen zu sein, da läßt sich auch ein weiteres Eindringen des Verständnisses auf allen Gebieten des Lebens verhoffen.
Mit besonderer Freude lenken wir deshalb heute die Aufmerksamkeit der freundlichen Leserinnen auf ein Unternehmen hin, das die Reform künstlerischer Gestaltung der weiblichen Arbeiten sich zum Ziele gesetzt hat. Hand in Hand mit dem Aufschwung der Kunstblüthe unseres Jahrhunderts, die in München, Berlin, Dresden, Düsseldorf und anderen Orten sich theils unter der Protection großherziger Kunstmäcene, theils aus innerer Triebkraft entwickelte, mußte sich eine Anregung derjenigen kunstgewerblichen Zweige kund geben, welche, durch ihre Ornamentik mit Malerei und Baukunst verwandt, den wohlthätigen Einfluß bewährter Meister erfahren konnten, und die Familienkreise unserer Künstler, zumal der Düsseldorfer Schule, boten erwünschte Gelegenheit, künstlerischen Gestaltungssinn auch auf das Gebiet weiblicher Arbeiten zu übertragen. Die Fertigung künstlerischer Stickereien für die stylvoll restaurirten und neu mit Fresken geschmückten Kirchen bot Gelegenheit, reichste Formen für kostbare Ausführung darzustellen, und die geschehene Anregung ging mehr und mehr in größere Kreise über, so daß beinahe [633] im ganzen Rheinlande ein Streben nach stylvoller Formengebung die meisten Arbeiten der dortigen jungen Damen kennzeichnet.
Liegt es schon in der Natur der Sache, daß das Schöne fast immer dem Zweckmäßigen sich anschließt, und bedingt schon die Wahl künstlerischer Motive diejenige eingehende Rücksichtnahme auf die Natur des Arbeitsmateriales, welche der aufgewendeten Mühe den besten Erfolg und unverminderte Arbeitslust sichert, so kann es nicht fehlen, daß bei einiger Anleitung die Principien der „rheinischen Musterschule“ sich im ganzen Vaterlande mehr und mehr Anhängerinnen gewinnen werden, und eine willkommene Vermittelung hierzu scheint uns das Institut von Fräulein Clara Hancke in Düsseldorf zu bieten, von deren kunstfertiger Hand Arbeiten fast in allen bedeutenden Stickereihandlungen Mittel- und Norddeutschlands die verdiente Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. In nebenstehenden Holzschnitten, welche zwei uns von dort her freundlichst überlassene Musterzeichnungen vorführen, fehlt allerdings der Hauptreiz der geschmackvollen Farbenzusammenstellung, indessen wird sich aus ihnen der wohlthätige Einfluß des Princips erkennen lassen, jedem Material nach seiner eigenthümlichen Natur gerecht zu werden. Beide sind Muster für Ruhekissen und in den Formen des für diese Arbeiten so vorzüglich geeigneten arabischen Styls erfunden. Ersterer zeigt einen Stern von rothem Sammt, umgeben von einer schwarzen Arabeske desselben Stoffes, mit Goldfäden auf lichtgrauem Tuche aufgenäht; der andere (nur zu einem Viertel wiedergegeben) bildet ein Canevasmuster, dessen Kante roth in roth schattirt, dessen roth-weißes schachbretartiges Mittelfeld mit ausgeschlagenen Sternchen von naturellfarbigem Leder besetzt ist. Fräulein Hancke’s Musterlager bietet die reichste Auswahl zweckmäßiger Verwendungen fast aller Kunststyle in Tuch, Sammt, Leder, Wolle und Schnurenstickerei.
Was bei diesen Mustern, denen natürlich ein weites Gebiet zur Verwendung offen steht und die mit geeigneter Anpassung an Zweck und Material in den verschiedenartigsten Gegenständen, als: Kissen, Möbelbezüge, Vorhänge, Ofenschirme, Mappendecken etc. praktisch benutzt werden können, das Eigenthümliche und Werthvolle ist, beruht in ihrer wirklich künstlerischen Zeichnung und Farbengebung, die gegenüber den blos mühevoll-künstlichen Arbeiten eine ungemeine Anziehungskraft übt und beweist, daß die Kunst auch im Kleinen eine echte sein kann. – Durch die Verlagshandlung wird auf nähere Erkundigung mit Vergnügen Auskunft ertheilt werden.