Die Landes von Bordeaux

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Autor: Revue Trimestrielle
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Titel: Die Landes von Bordeaux
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aus: Das Ausland, Nr. 153-155 S. 609-610; 615-616; 618-620
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Die Landes, eine riesige Heide- und Sumpflandschaft südlich der Garonne
bissige Kritik an der französischen Verwaltung, sie zu kultivieren
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[609]

Die Landes von Bordeaux.

Revue Trimestrielle

Von allen den Unglücksfällen, die Frankreich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts zu Boden gebeugt haben, hat keiner es schwerer getroffen, als das durch Napoleon eingeführte, oder wenigstens auf festeren Grundlagen aufgeführte Centralisationssystem. Seit dieser Zeit ist, außerhalb der Hauptstadt, beinahe alles intellectuelle Leben, alle geistige Entwicklung verschwunden; die Dorfgemeinden, die Städte, die Provinzen sind tieferer Knechtschaft unterworfen, als selbst unter den römischen Kaisern; als Corporationen sind sie aller Lebensthätigkeit beraubt, sie können keinen Gedanken mehr ausdrücken, keinen Wunsch mehr äußern. In Paris ist es, wo über die Bedürfnisse von ganz Frankreich, so wie über die Mittel zur Befriedigung derselben abgestimmt wird; in Paris ist es, wo man für mehr als dreißig Millionen über ein unermeßliches Gebiet verbreiteter Individuen denkt, urtheilt und entscheidet; in Paris ist es, wo man die kleine Anzahl von Individuen, denen ausschließlich ein geringer Theil der politischen Rechte anvertraut worden ist, belehrt, welches die Menschen sind, die man zu Gesetzgebern machen muß; endlich das, was man in Paris sieht, ist es, wornach die Schriftsteller das beurtheilen, was in den Departemens zu finden ist, die Erscheinungen von Paris sind es, wornach sie die französische Nation für die civilisirteste der Welt erklären.

In England (?), den Niederlanden, einem großen Theil von Deutschland, der Schweiz und selbst von Italien ist die Civilisation auf eine ziemlich gleichmäßige Weise über die verschiedenen Gebietstheile verbreitet. Anders ist es in Frankreich; hier sehen wir auf einem einzelnen Punct eine Civilisation, die weiter fortgeschritten ist, als in irgend einem Lande der Welt; in einem großen Theile des Landes dagegen finden wir die Sitten und Gewohnheiten der Barbaren. Nicht daß ein Theil der Bevölkerung größere Fähigkeit besitze, Fortschritte in seiner Ausbildung zu machen, als alle anderen; aber die Staatsgewalt, die sich der Leitung aller Angelegenheiten bemächtigt hat, ist gezwungen, sich mit dem zu beschäftigen, was in ihrer unmittelbaren Nähe vorgeht und worüber sie nach dem Augenschein urtheilen kann; während sie die entfernteren Bedürfnisse entweder ganz vergißt, oder wenn sie an dieselben denkt, der zu ihrer Beurtheilung nothwendigen Sachkenntniß entbehrt.

Frankreich kann als eine kleine Nation von sieben oder achtmal hundertausend Individuen betrachtet werden, die auf ihre Regierung keinen andern Einfluß hat, als den der öffentlichen Meinung oder ihrer Journale, und welcher dagegen dreißig Millionen Unterthanen angehören, deren Benutzung, so wie den daraus gezogenen Gewinn, sie einigen Ministern und einem Heere von Beamten überläßt. In Hinsicht auf Künste und Wissenschaften, Bildung und Feinheit der Sitten ist diese kleine Nation unbestreitbar die erste der Welt, sie übt auf die Civilisation des menschlichen Geschlechtes einen sehr ausgebreiteten Einfluß; aber in der Wagschale der Politik ist sie auf ihre numerische Bedeutung zurückgeführt worden und hat wenig mehr Gewicht, als ein König von Sardinien oder ein Großherzog von Baden (?). Sie hat mehrere Male versucht, Colonien in fernen Ländern, in Africa, Asien und America anzulegen; aber sie hat mit diesen Bemühungen selten etwas ausgerichtet; oder wenn es ihr gelungen war, auf diesem Wege einige Vortheile zu erringen, wurden ihr sogleich die Früchte derselben entrissen. Ihre Reisenden haben mehr Entdeckungen auf der Erdkugel gemacht, als die einer andern Nation; aber sie hat niemals den geringsten Nutzen davon gezogen. Andere Völker haben sich in den Ländern niedergelassen, von deren Existenz und natürlichen Beschaffenheit sie zuerst durch sie unterrichtet worden waren.

Ihre Thätigkeit hat indessen nicht nachgelassen; ihr Unternehmungsgeist, statt zu erschlaffen, scheint vielmehr durch alle ihre Unfälle nur neue Energie gewonnen zu haben. Es handelt sich daher nur darum, ein Ziel für ihre Thätigkeit zu finden und ihr die Mittel anzugeben, wodurch sie ihr Talent und ihre Reichthümer nützlich anzuwenden vermöge. Dieß scheint schwer, so lange man seine Blicke nur in entfernte Regionen richtet; aber wenn man in der nächsten Nachbarschaft um sich schaut, so giebt es hier noch genug Länder zu entdecken, Menschen zu civilisiren und ausgedehnte Wüsten zu bevölkern und anzubauen. Man braucht, um diesen Zweck zu erreichen, sich weder in das Innere von Africa zu begraben, noch in die Wälder von America, oder in die Hochebenen des inneren Asiens einzudringen; man darf nur die Post nehmen und sich einige Lieues über Bordeaux hinauswagen.

Die Landes von Bordeaux, gewöhnlich auch die Landes der Gascogne genannt, werden in zwei Abtheilungen oder Arten des Bodens getheilt, von denen die eine den Namen des Ackerbaulandes (pays de culture), die andere [610] der Viehtriften (pays de parcours) führt. Das erstere begreift nur die Thäler oder Boden-Einschnitte, in welchen die Wasser ablaufen; diese enthalten Wälder, Weinberge und angebaute Felder. Die Viehtriften dagegen nehmen alles Land ein zwischen den Flüssen, und dieses ist ohne Ausnahme eine weite Heide, mit Farn- und Heidekräutern bedeckt und nur zur Waide des Viehes benutzt. Die mittlere Breite dieses Landstreifes beträgt 10 bis 15,000 Metres, und seine ganze Oberfläche wenigstens 600,000 Hectares. Der Horizont dieser unermeßlichen Flächen hat keine anderen Grenzen als die Gipfel düsterer Kieferwälder, und stroh- oder schilfgedeckte Hirtenwohnungen, die auf der freien Heide stehen und um die weit und breit, außer einigem Ginster, nichts zu finden ist, als Heide und Farnkräuter. [615] Mitten in dieser weiten Wüste leben, hier und da zerstreut, 1000 oder 2000 umherirrende Hirten, die auf Stelzen laufen, grobe Wolle spinnen und fünf oder sechsmal hunderttausend Schafe hüten. Die Eigenthümer wenden nicht die geringsten Kosten zur Unterhaltung dieser Heerden auf; von natürlichen oder künstlichen Wiesen ist so wenig, als von Futtereinkäufen oder Verbesserungen der Racen die Rede. Wenn lang anhaltende Regen die Heiden überschwemmen, so kommen diese durch den Mangel an Nahrung und die Anstrengung ihrer beständigen Wanderungen erschöpften Thiere zu Tausenden um.

Man braucht den sandigen, kiesreichen Boden dieser Ebenen nur aufzustechen, um einen Brunnen zu erhalten, dessen grünes, sumpfiges Wasser unerschöpflich ist. Den allgemeinen Abfall des Bodens, den das Auge unfähig ist zu bemerken, tritt stellenweise eine entgegengesetzte Neigung entgegen, welche die Stagnation des durch die Herbstregen gesammelten Wassers veranlaßt und einen Theil des Jahres hindurch diese Flächen in unzugängliche Sümpfe verwandelt. Mehrere Lieues kann man daher machen, ohne eine einzige Wohnung zu finden, wenn man sich nicht zur Rechten oder Linken gegen die Bäche des Pays de Culture wendet.

Die Industrie dieses Landes beschränkt sich darauf, die Heerden zu hüten, eine unbedeutende Quantität Honig zu sammeln, (den man nichts anders zu gewinnen weiß, als indem man die Bienen in dem Wachs tödtet) und an den Grenzen des Pays de Parcours und der bewohnten Gegenden einige Windmühlen zu bauen. Der Handel dieser ausgedehnten Strecke besteht in der Ausfuhr von Lämmern, von ungegärbten Häuten, von grober Wolle, von Honig mit safrangelber Farbe und widerwärtigem Geschmack und Wachs, in welchem die Bienen erstickt sind.

Das Pays de Culture ist nicht ganz so erbärmlich, als das Pays de Parcours; indessen ist doch auch hier, obwohl man mehrere Zweige der Industrie findet, die Bevölkerung noch sehr weit zurück. Die Ländereien, welche von Bächen durchschnitten sind, werden oft überschwemmt, weil die Eigenthümer nicht Sorge tragen, den Ablauf des Wassers zu sichern. Gegen die Quellen dieser Bäche sieht man weite Sümpfe, die neun Monate des Jahres hindurch mit Wasser bedeckt sind. Eine andere Ursache häufiger Ueberschwemmungen liegt in der Verstopfung der Mündungen der Abzugscanäle. Die Anschwemmungen, welche sich an den Ufern der Garonne, der Gironde und des Adour aufhäufen, und die Dünen, die an der Küste durch die Thätigkeit des Meeres und der Winde beständig landeinwärts gedrängt werden, sind eben so viele Dämme, die sich dem Ablauf des Wassers entgegen setzen; daher die zahlreichen kleinen Seen an der ganzen Linie des Littorale und die Sümpfe des Bas-Medoc an der Gironde, so wie des Pays des Maremnes am Adour.

Der Boden wäre fähig, mehrere Holzarten hervorzubringen, aber außer der Kiefer und Korkeiche, die man in einigen Gegenden pflanzt, giebt man sich nicht die Mühe, sie zu vermehren. Der Widerwillen gegen den Anbau der Kartoffeln, konnte selbst bei der Hungersnoth des Jahres 1816 nicht überwunden werden. Der Gebrauch, die Aecker mit Mergel zu düngen, und die künstlichen Wiesen mit Gips, ist hier noch unbekannt; die Ackerbauwerkzeuge zeigen die Kindheit der Landwirthschaft an, und die Benutzung des Bodens ist seit undenklichen Zeiten unverändert dieselbe geblieben.

Die Bevölkerung zerfällt in zwei scharf geschiedene Classen, die der Eigenthümer und die der Pächter, Weingärtner u. s. w., die man nicht anders als wie Tagelöhner betrachten kann. In den holzreichen Gegenden erhält jede Köhler-Familie gegen Ablieferung der Hälfte oder eines Drittheils des Ertrages ein Haus und ein Feld, dessen ärmliche Erndte sie jedes Jahr auf’s Neue von der Gnade ihrer Herren abhängig macht. Die für den Getreidebau benutzten Ländereien sind ähnlichen Bedingungen unterworfen; der Pächter erhält dieselben auf keine längere Frist, als den Termin eines Jahres, nach dessen Ablauf der Eigenthümer sein Land einem Andern geben kann.

Man findet bei der zahlreichsten Classe alle die Unwissenheit, Vorurtheile und Laster, die in allen Ländern [616] von dem Elend unzertrennlich sind. Die Ungesundheit des Wassers, die Ausdünstungen der Moräste, eine schlechte Nahrung, unzulängliche Kleidung, schlechte Wohnungen, Unreinlichkeit und Ausschweifungen haben in diesem Lande die ursprüngliche Gesundheit des Menschen untergraben. Die Gattung ist hier so entartet, daß ein Canton im Laufe von fünf Jahren nicht ein einziges Subject für die Conscription hätte darbieten können, das nicht irgend eines Fehlers wegen für untauglich erklärt worden wäre.

Von der Mündung des Adour bis zu der Mündung der Gironde zählt man gegenwärtig nur den einzigen Hafen von Teste; wenn wir indessen auf die Zeugnisse der Geschichte zurückgehen, so finden wir, daß in früheren Zeiten auf dieser Küste fünf Häfen bestanden, die beträchtlichen Flotten zum Zufluchtsorte dienten. Es waren die Häfen von Cap Breton, Vieux-Boucau, Contis, Mimizan und Lacanau. Die Wasser, die gegenwärtig durch die Dünen zurück gehalten werden, hatten damals ohne Zweifel freien Abzug in das Meer, und das Land war daher trocken und gesund. Man findet in dem Itinerarium des Antoninus die Angabe einer römischen Straße, die von Dax nach Uza ging, die Gegend durchschnitt, wo jetzt der See von Aurellan ist und bei Belin über die Leyre führte. Es ist daher kein Zweifel, daß das Littorale damals nicht ohne Bedeutung war.

Die weiten Flächen, die zwischen den Wasserrinnen liegen und deren Oberfläche auf 600,000 Hectaren geschätzt wird, sind nicht immer mit Farnkräutern, Heide und Ginster bedeckt gewesen. Man findet auf denselben zuweilen ausgedehnte Strecken, die mit jungen Eichenschößen bedeckt sind. Die Pflanzen bekleiden den Boden indessen nur einen kurzen Theil des Jahres; um einen Theil des Landes in Wald zu verwandeln, müßte man dieses vor dem vernichtenden Zahne der Heerden schützen.

Daran, daß die Gegenden sich früher eines gewissen Grades von Wohlstand erfreuten, ist, wie wir schon erwähnt, kein Zweifel. Der erste Grund ihres Verfalles möchte vielleicht in denselben Ursachen zu suchen seyn, welche die Zerstörung der Civilisation in so vielen andern Gegenden Europas herbeiführten, in der römischen Eroberung und darauf in den Verwüstungen der Barbaren. Dieß auszumitteln ist indessen gegenwärtig nicht unsere Aufgabe; wir begnügen uns, die Ursachen kennen zu lernen, welche das Land in dem Zustande zurückhalten, in welchem es sich befindet.

Wenn man nur oberflächlich über den Zustand dieses Landes urtheilt, so nimmt man nur zwei Hauptursachen seiner Barbarei an: die natürliche Beschaffenheit und Lage desselben, und die alten Sitten und Gewohnheiten seiner Bevölkerung. Aber der Boden, den die Holländer dem Meere abgerungen haben, war weder fruchtbarer, noch günstiger gelegen, als diese Landes; die Wüsten von Africa, America und Neu-Holland, welche die Europäer angebaut haben, waren eben so undankbar, und schwerer der wilden Natur abzugewinnen, als es die Flächen und Moräste zwischen der Gironde und dem Adour sind. Die Gewohnheiten und Vorurtheile der Bevölkerung des Landes sind weder stärker, noch tiefer eingewurzelt, als es die aller andern Völker waren, die zu derselben Stufe der Bildung gelangt sind. Die Nationen, welche gegenwärtig am weitesten vorgerückt sind, hatten Vorältern, die weiter zurück waren, als es die Einwohner der Landes sind, und die dennoch ihre Vorurtheile und ihre Gewohnheiten überwanden.

Die Hauptursache, welche dieses Land in dem Zustande zurückhält, in welchem wir es finden, ist die Knechtschaft, die ihm mit allen Provinzen von Frankreich gemein ist. Wenn eine Nation einen sehr hohen Grad der geistigen Entwickelung erreicht hat, so kann sie sich, obwohl aller Freiheit beraubt, lange Zeit auf dem Puncte erhalten, zu dem sie gekommen ist. Ja es ist nicht unmöglich, daß die Kraft der Civilisation unter gewissen Umständen die Macht, die sie in der Unterdrückung hält, überwältigt. Wenn dagegen ein Volk bis zu dem Puncte herabgesunken ist, auf welchem wir die Bewohner der Landes finden, so ist es unmöglich, daß es ohne einen gewissen Grad von Unabhängigkeit und Freiheit sich wieder erhebe.

Das Plateau der Landes, welches unter dem Namen des Pays de Parcours begriffen wird, ist nicht in abgesonderte Besitzungen getheilt, wie das Pays de Culture. Das Eigenthum desselben gehört vielmehr im Allgemeinen den Dorfgemeinden, die es seit undenklichen Zeiten besessen oder von den Baronen gegen einen jährlichen Zins erhalten haben, der durch die Revolution verschwunden ist. Eine geringe Anzahl von Eigenthümern haben einzelne Theile ausschließlich durch Verjährung oder andere Rechtstitel erworben; aber selbst diese Besitzungen sind der allgemeinen Nutzung oder Waide unterworfen, wenn sie nicht durch Gräben oder Hecken eingezäunt sind.

Die Bevölkerung des ganzen Landes ist, wie wir gesehen haben, in zwei Classen getheilt, von denen die eine die Grundeigenthümer in sich begreift, die eines gewissen Wohlstandes genießen, die andere die Bauern oder Pächter, die eigentlich nichts sind, als Tagelöhner und in dem äußersten Elende leben. Das Plateau des Landes gehört allen gemeinschaftlich; da es aber nur für die wesentlichen Nutzen haben kann, die Heerden besitzen, so ist es die Classe der Eigenthümer allein, die von demselben Vortheil zieht. Eine Theilung würde den Armen wenig helfen; theils weil sie keine Heerden haben, um sie auf dem ihnen zufallenden Antheil waiden zu lassen, theils weil es ihnen an Geld fehlt, um die Moräste trocken zu legen und in fruchtbares Land verwandeln zu können. Die einzigen Vortheile, welche die Einwohner von diesen ausgedehnten Ländereien ziehen, ist daher, die Farn- und Heidekräuter zu schneiden und als Brennmaterial zu benutzen, sie streckenweise in Flammen zu setzen und die dadurch gewonnene Asche und fruchtbare Erde einzusammeln, in allen Richtungen Gräben zu ziehen und einige Stücke Landes urbar zu machen, die sie aber nicht vor den Verwüstungen des Viehes schützen können, und endlich in allen Jahreszeiten das Vieh darauf waiden zu lassen. [618] In dem Zustande der Unterdrückung und Knechtschaft, in welchem sich gegenwärtig die Gemeinden befinden, sind die Eigenthümer wenig geneigt, Veränderungen zu treffen. Sie sind des Einkommens gewiß, welches ihnen ihre Heerden sichern; niemand beschränkt sie in der Verwaltung dieser Art von Eigenthum. Die Heerden sind zwar schlecht, die Wolle, die sie liefern, ist grob, die Seuchen richten große Verheerungen unter ihnen an; aber sie bleiben immer ein Besitzthum, das sich von selbst wieder erneut, das keine Kosten, ja nicht die geringste Geldausgabe erfordert, und worüber, was das Wichtigste ist, jeder Eigenthümer disponiren kann, wie er will.

Von den Maßregeln, die man vorgeschlagen hat, um dieses Land der Cultur wiederzugeben, sind die wichtigsten die Austrocknung der Moräste, die das Land ungesund machen und das Aufhalten der Dünen, die durch ihr fortwährendes Vorrücken die Felder und Dörfer bedrohen und dem Regenwasser den Ausgang in das Meer verschließen. Schon haben diese Dünen auf einer Strecke von 50 Lieues die Breite einer Lieue, und ihre Hügel erheben sich zu einer Höhe von 180 Fuß über die Meeresfläche; wenn ihnen keine Schranken gesetzt werden, müssen sie zuletzt das ganze Land einnehmen und unbewohnbar machen. Die dritte Maßregel ist die Aufhebung des Systems der Gemeindegüter; die vierte die Eröffnung einer leichten Communication, welche die Vortheile des Anbaus erhöhte, eines Canals, der die Landes durchschnitte und die Gironde mit dem Adour verbände, und endlich die letzte die Colonisation durch fremde Einwanderer. Der Boden der Landes ist sandig, unfruchtbar, baumleer und des fließenden Wassers beraubt; aber er ist weniger trocken und undankbar, als es der des Caps der guten Hoffnung war. Diese Colonie, obgleich in einer unermeßlichen Entfernung von dem Mutterlande gelegen, ist überall angebaut und fruchtbar gemacht; wenn es nur irgend möglich gewesen wäre, einen Canal durch dieselbe zu ziehen, wäre sie eine der blühendesten Landschaften geworden.

Die Industrie, durch die Wissenschaft und den Reichthum unterstützt, würde alle Schwierigkeiten überwinden, welche die Natur darbietet; sie würde den Wogen des Meers und der Gewalt der Stürme Grenzen setzen; die Ausdünstungen der Moräste aufheben oder unschädlich machen; die durch den Regen gebildeten Ströme ableiten; [619] sie würde das trockene, unfruchtbare Land mit frischem Grün bekleiden und Verbindungswege durch die Wüsten eröffnen; aber was sie nicht vermag und wodurch allein alles andere möglich werden kann, ist, aus einer Menge isolirter Individuen, die nicht den geringsten Landbesitz haben, eine vereinte und nach einem gemeinschaftlichen Ziele strebende Bevölkerung zu machen, – die Gemeinden aus dem Zustande der Unterdrückung empor zu heben, in den sie gestürzt worden sind.

Der Mensch, der isolirt und als bloßes Individuum handelt, ist äußerst schwach; nicht nur unfähig irgend etwas Großes zu unternehmen, sondern sogar außer Stand, sich die ersten Bedürfnisse des Lebens zu verschaffen. Nur durch Vereinigung der Interessen und Bemühungen vieler Individuen ist es möglich, die Hindernisse zu überwinden, welche die Natur unserer Erhaltung entgegensetzt. Aber seit mehr als einem Vierteljahrhunderte sind alle die natürlichen Verbindungen, welche der Lauf der Wasser, oder die Beschaffenheit und Lage des Bodens in Frankreich gebildet hatte, aufgelöst worden, und es steht nicht in unserer Macht, sie wieder herzustellen. Man findet eine Menge von Individuen neben einander, denen es aber sämmtlich verwehrt ist, sich gegenseitig zu verständigen, mit einander zu berathen, oder zu einer gemeinschaftlichen Unternehmung zu vereinigen.

Es war eine Zeit, wo jede durch die Natur gebildete Gesellschaft oder Verbindung von Individuen in einem gemeinschaftlichen Interesse handelte, indem sie Agenten ernannte, an deren Wahl jeder mehr oder weniger Antheil hatte. Diese Verbindungen hatten Besitzungen, die sie in dem Interesse Aller, welche den Verein ausmachten, verwalten ließen. Man bezeichnete sie unter dem Namen der Communen, Provinzen, Departemens. Als Bonaparte zur Macht kam, war einer seiner ersten Schritte, alle diese Verbindungen aufzuheben und sie in isolirte Individuen aufzulösen. Um diesen Gewaltstreich weniger offenbar zu machen, ließ er ihnen den Namen, welchen sie trugen; aber er verbot den Individuen, die sie ausgemacht hatten, jede Verbindung, ja jede Art von Vereinigung. Mitten unter diese Haufen vereinzelter Individuen stellte er eine Menge von Beamten seiner Wahl, welche den besondern Auftrag hatten, zu verhüten, daß die aufgelösten Verbindungen sich wieder herstellten; sie waren im eigentlichsten Sinne des Wortes Hüter und Bewahrer der gesellschaftlichen Auflösung. Diesen Hütern gab er die Namen derer, welche früher von den Gesellschaften gewählt worden waren, um ihr Vermögen zu verwalten, oder ihre Interessen zu vertheidigen. Die Rolle, welche die kaiserlichen Beamten unter dem Namen der Maires, Adjoints, Präfecten und Conseillers einnahmen, war dieselbe, als wenn die Soldaten, durch welche Bonaparte die Nationalrepräsentation zerstreute, sich des Postens, Kleides und Namens der von ihnen verjagten Repräsentanten bemächtigt hätten und in ihrem Versammlungssaale geblieben wären, um den Willen ihres Herrn zu vollziehen, und zu verhindern, daß das Volk neue Repräsentanten schicke.

Diese gesellschaftliche Auflösung beraubte zwar die Individuen nicht des Vermögens, welches sie als solche besaßen; aber das Eigenthum der Verbindungen, welche sie gebildet hatten, ging bei der Auflösung derselben in die Hände der Usurpatoren über. Wenn das Eigenthum einer Sache darin besteht, daß man die gesetzliche Fähigkeit besitzt, dieselbe zu benutzen und darüber zu verfügen, so ist es klar, daß die Haufen oder Abtheilungen vereinzelter Individuen, die man ohne Grund unter dem Namen der Gemeinden (Communen) bezeichnete, keinen gemeinschaftlichen Besitz mehr hatten, als den ihrer Aufseher. Sie hatten nichts mehr zu benutzen, so wenig unmittelbar als durch ihre Agenten, sie konnten über nichts disponiren, sich über nichts Rechenschaft ablegen. Und wenn die Beamten, die den Auftrag hatten, sie in ihrem Zustande der Auflösung zu erhalten, die einzelnen Mitglieder der früheren Verbindung von einem Theile des alten Communaleigenthumes einigen Genuß ziehen ließen, so war dieß eine Gefälligkeit, oder Großmuth, die Niemand das Recht hatte, gesetzlich zu fordern. In einem solchen Zustande der Dinge war es das Interesse eines Jeden, sein individuelles Vermögen, über welches er noch disponiren konnte, möglichst zu vergrößern, und besonders in dasselbe so viel von dem ehemaligen Communaleigenthum hineinzuziehen, als er nur immer konnte; aber Niemand hatte ein Interesse dabei, die Besitzungen zu vermehren, die in die Hände der Agenten der Gewalt gefallen waren.

Die Restauration hat von allem, was sie in dieser Beziehung als bestehend vorfand, nichts geändert. Die Communen und die Provinzen sind aufgelöst geblieben, wie sie es unter der kaiserlichen Regierung waren; d. h. es besteht nicht das geringste gemeinschaftliche Band unter den Einwohnern eines Dorfes, eines Fleckens oder einer Stadt. In ihrer Mitte sehen wir noch immer ein kleine Anzahl Menschen, deren amtliches Geschäft hauptsächlich darin besteht, sie zu bewachen, und zu verhindern, daß sie sich über ihre gemeinschaftlichen Interessen verständigen. Die Bewohner eines Dorfes oder einer Stadt, denen es einfiele eine Gemeinschaft zu bilden und einen aus ihrer Mitte mit der Besorgung ihrer Interessen zu beauftragen, würden sogleich durch die Hüter der Communalauflösung als Empörer oder Hochverräther angeklagt und verfolgt werden. Dasselbe, was von den Bewohnern eines Dorfes oder einer Stadt gilt, kann mit noch größerem Rechte von den Bewohnern eines Departements oder einer Provinz gesagt werden. Die einen wie die andern sind aller gemeinschaftlichen Bande und Interessen beraubt; sie sind außer Stande, etwas zu ihrem gemeinschaftlichen Vortheil zu unternehmen.

Eine solche Lage der Dinge übt in allen Theilen von Frankreich den ausgedehntesten Einfluß; doch begreift man leicht, daß derselbe größer oder geringer seyn muß, je nachdem die Hindernisse, welche die Natur den Menschen entgegengesetzt, leichter oder schwerer zu überwinden sind. Die Bevölkerung eines ebenen Bodens, der vor Ueberschwemmungen, Stürmen und den Wogen des Meeres geschützt ist, kann lange Zeit sich ohne eine Vereinigung [620] der Kräfte seiner Bewohner erhalten; die Gegenstände, welche ihnen gemeinschaftlich angehören, wie Kirchen, Schulen, Wege, Brunnen, Canäle, können sich verschlechtern oder zu Grunde gehen; aber das individuelle Eigenthum wenigstens kann bestehen, weil die Bemühungen des Einzelnen lange Zeit hinreichend sind, es vor dem Verfall zu sichern. Anders dagegen ist es in Gegenden, wo der Mensch ohne Unterlaß mit den Elementen zu kämpfen hat, um sich der Vernichtung zu entziehen; in einem solchen Lande müssen sie ihre Kräfte vereinigen könne, d. h. frei seyn, oder sie kommen um. Vielleicht ist es diese Nothwendigkeit, der die Schweiz, die Niederlande zum großen Theil die Freiheit verdanken, deren sie sich erfreuen.

Von allen den Maßregeln, die ergriffen werden müßten, um die Landes der Cultur wieder zu gewinnen, ist keine einzige von der Art, daß sie durch individuelle Anstrengungen vollzogen werden könnte; ebenso wenig aber ist dieß von dem Eifer der Menschen zu erwarten, die man angestellt hat, um jede gemeinschaftliche Anstrengung zu verhindern. Diese Aufseher, die man Maires, Präfecten oder Gendarmen nennt, haben andere Pflichten zu erfüllen, als Moräste trocken zu legen, oder das Fortschreiten der Dünen aufzuhalten. Sie müssen die Einwohner beobachten und ihren Oberbehörden von den Gesinnungen derselben Rechenschaft ablegen, die Kaufmannsläden und Wirthshäuser zu der vorgeschriebenen Zeit schließen, und verhindern, daß man am Sonntage arbeitet oder tanzt; und vor allem in die Deputirtenkammer Menschen schicken, welche nicht abgeneigt sind, ihren Theil von dem Budget zu nehmen. Ein anderer Grund, der jenen Beamten nicht gestattet an die angeführten Arbeiten zu denken, ist der Mangel an Geld. Als die Gemeinden aufgehoben wurden, ging das Vermögen derselben in die Hände der Agenten der Gewalt über; gegenwärtig ist dasselbe in den Landes auf nichts herabgebracht worden. In den Gemeindewäldern schlägt jedermann Holz nach Gutdünken; und wie bei den Wilden wird der schönste Baum gefällt, um einen Sparren oder einen Axtstiel zu erhalten. Die Beamten der Präfecten verpachten die Fischerei in den Seen, aber sie werden von dem Gewinn, den sie daraus ziehen, schwerlich jene Arbeiten bestreiten wollen.

Eine Maaßregel, die eben so wichtig wäre, als das Austrocknen der Moräste und das Aufhalten der Dünen, – die Aufhebung der Viehtriften, würde bei der gegenwärtigen Vereinzelung der Interessen durch den Widerstand der Eigenthümer eben so große Hindernisse finden. In ihrem gegenwärtigen Zustande ernähren die Landes nur Bienen und fünf oder sechsmal hunderttausend grobwollige Schafe. Der Werth des Wachses, welches gewonnen wird, beläuft sich auf ungefähr 300,000 Francs, der Ertrag der Heerden, außer dem Dünger, der für das Pays de Culture benutzt wird, auf etwa 600,000. Ein Ertrag von 900,000 Fr. von einem so ausgedehnten Landstriche ist allerdings etwas sehr unbedeutendes; aber er geht wenigstens unmittelbar in die Hände der Eigenthümer über und bleibt denselben gewiß. Es wäre leicht möglich, daß das Land, welches gegenwärtig nur 900,000 F. abwirft, in manchen Jahren 18 bis 20 Millionen brächte; aber diesen 18 bis 20 Millionen gingen in die Hände der Herren Maires über und die Einwohner des Landes hätten weder über die Anwendung derselben etwas zu bestimmen, noch Rechenschaft darüber zu fordern. Nun sind ohne Zweifel 20 Sous, über die man disponiren kann, mehr werth, als 20 Francs in der Tasche eines Andern.

Von allen Mitteln, ein unangebautes Land fruchtbar zu machen, ist ohne Zweifel eines der wirksamsten die Colonisation; aber wie soll man Colonien bilden in einem Lande, wo man eine Verbindung, die zu ihrem Zweck hat, die Zusammengetretenen vor ihrem Verderben zu schützen, als ein Verbrechen betrachtet? Die Europäer, die mitten in den sumpfigen Wäldern von Amerika ihre Niederlassungen gründen, haben größere natürliche Hindernisse zu überwinden, als die, welche sie in den Landes finden würden; aber dort ist es ihnen nicht verboten, ihre Mittel zu vereinigen, um ihren Wohlstand zu befördern; dort können zwanzig und dreißig Personen zusammentreten, um ein gemeinnütziges Unternehmen auszuführen, ohne daß sie die Präfecten oder Gendarmen zu fürchten hätten.

Es ist merkwürdig, daß die bedeutendsten Fortschritte, die in der Cultur der Landes gemacht worden sind, von dem Jahre 1152 bis 1450 stattfanden, d. h. zu einer Zeit, wo die Engländer dieses Land beherrschten. Um die Einwohner für sich zu gewinnen, fanden sie kein besseres Mittel, als sie aus den Banden der Knechtschaft zu befreien, die auf ihnen lastete. Auf diese Periode läßt sich die Stiftung der Communen, die Erbauung der Kirchen etc. zurückführen; wovon man die Beweise in den alten Freiheitsbriefen und Privilegien und selbst in den Namen der Ortschaften findet. Norton (Northtown), Souston (Southtown), Azur u. a. zeugen unverkennbar von englischem Ursprung. Die Revolution, welche die Communen reorganisirte und die Departementalverwaltung einführte, vernichtete die alten Privilegien, und als Bonaparte, in der Meinung, das Werk der Revolution zu zerstören, die Auflösung der Communen und Departementalbehörden aussprach, versetzte er einen großen Theil von Frankreich in einen Zustand der schlimmer war, als der, in welchem es sich im zwölften Jahrhunderte befand.

So lange ein solcher Zustand der Dinge dauert, kann man einzelne Individuen ihr Vermögen vermehren sehen; aber man wird vergebens auf ein Fortschreiten des allgemeinen Wohlstandes hoffen. Menschen, die keine gemeinschaftliche Interessen haben dürfen, und keine andere Bewegung kennen, als die, welche die Regierung ihnen gibt, sind im eigentlichsten Sinne nichts als Maschinen. Sie handeln verstandlos und willenlos, wie man sie treibt; aber sie hören auf thätig zu seyn, sobald die Behörde aufhört sie anzutreiben; und da die Behörde meist so viele verschiedenen Willensrichtungen hat, als Agenten, und diese Willensrichtungen oft nichts anders sind, als bloße Capricen, so können ihre Unternehmungen weder Einheit, noch Ausdauer haben – die unerläßlichsten Bedingungen, wenn irgend etwas in’s Werk gesetzt werden soll.