Die Leiche des Ministers Schwarzenberg

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Autor: Georg Hiltl
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Titel: Die Leiche des Ministers Schwarzenberg
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[537]
Die Leiche des Ministers Schwarzenberg.
Historische Episode von Georg Hiltl.

Anno 1641 den 4. Monat ist weiland der hochwürdige, hochwohlgeborne Herr, Herr Adam Graf zu Schwarzenberg, des ritterlichen St. Johanniterordens in der Mark, Sachsen, Pommern und Wenden Meister, des königlichen Ordens St. Michaelis in Frankreich Ordensritter, Herr zu Hohenlandsberg und Gimborn, Churfürstlich Brandenburgischer Statthalter in der Chur-Mark, Geheimter Rath und Oberkammerherr auf der Vestung Spandow, in Gott seelig entschlafen und hier in dieser Kirche beigesetzet.

R. I. P.

So lautet die Inschrift eines Epitaphiums, welches man in der St. Nicolaikirche zu Spandau bei Berlin in dem Gange vor der sogenannten Ribbeckischen Gruft gewahrt. Unter diesem Steine ruhte ein Mann, der in wilder Zeit ein sorgenvolles Leben geführt, einen Staat gelenkt, einen Fürsten beherrscht hatte; dessen Name verlästert und verwünscht, mit Flüchen vereint genannt wurde, dem es nicht vergönnt war, die Ruhe des Grabes zu genießen, denn selbst den Stein, der den Eingang seiner Ruhestätte bildete und verdeckte, hat man hinweggerissen; die Leiche ist unter den Quadern zu Staub geworden, welche der kothige Fuß der Kirchenbesucher tritt, und heut weiß Niemand recht mehr zu sagen, wo Schwarzenberg, der mächtige Minister, hinabgesenkt ward, selbst die Votivtafel ist an fremder Stelle eingemauert. Ohne sie wüßte man vielleicht gar nicht, daß der Entschlafene hier seine ewige Stätte gefunden.

Schwarzenberg ist ein verhängnißvoller Name für die Geschichte Preußens. – In der Brüderstraße (Nr. 1.) zu Berlin steht noch heute ein stattliches Gebäude, welches dereinst dem gefürchteten Minister zu eigen war. Von hier aus gingen seine Machtsprüche. Der Graf Schwarzenberg hatte mehr Feinde, als wohl jemals ein Staatsbeamter aufweisen konnte. Es gab keine Art von Schändlichkeit, deren man ihn nicht für fähig gehalten hätte. Vieles ist ihm angedichtet worden, Vieles übertrieben. Wer so unumschränkt in der Macht dagestanden, hatte nothwendigerweise die furchtbarsten Verantwortungen übernommen, und nach seinem Tode haben bis auf die neueste Zeit geistvolle Schriftsteller ihn verdammt, sorgsame Durchsucher der Archive dagegen allerlei aus dem Staube der Acten hervorgebracht, was zur Rechtfertigung für ihn dienen sollte und konnte.

Ist nun auch den Freunden greller Malerei so manches Motiv für die Darstellung eines verhaßten Ministers genommen, es bleibt genug übrig, um Schwarzenberg’s Charakter in einem sehr zweideutigen, ungünstigen Lichte erscheinen zu lassen.

Freilich war die Zeit, in welcher sein Wirken stattfand, eine furchtbare. Der dreißigjährige Krieg fand in Brandenburg einen schwachen Fürsten, Georg Wilhelm. Freie Hand behielt der Minister, dessen Schritte der Fürst stets billigte und guthieß. Nur feige und halbe Maßregeln bezeichneten die Laufbahn Schwarzenberg’s. Im Jahre 1640 sahen die Bürger Berlins ihre Vorstädte in Flammen auflodern, weil der Oberste Stahlhans mit einer Abtheilung schwedischer Truppen sich näherte. Ohne Widerspruch betrieb sogar der Minister die Brandschatzungen der kaiserlichen Besatzungen, welche dem Berliner und Teltower Kreise in sechzehn Monaten 300,000 Thaler kosteten.

Minister eines protestantischen Fürsten, war Schwarzenberg in der Zeit des Glaubensstreites katholisch geblieben, ein Freund und Rathgeber des Kaisers, also Gustav Adolph’s Todfeind, der dem Grafen alles Unheil zuschrieb, welches über Brandenburg gekommen. „Dieser Niger (Schwarze),“ sagte der König, „bringt alles Elend über seinen Herrn. Die Brandenburger sollten den Grafen fenestriren oder ihm den Hals entzwei schlagen.“ – So sprach Gustav zu den Abgesandten im Jahre 1627.

Steuern, welche sich in der Folge nicht rechtfertigen ließen, schrieb der Minister aus. Durch die Straßen Berlins rollte der „Pfandwagen“, wie man ihn nannte, der den Bürgern das Hab und Gut wegnahm, um es zum Verkaufe zu fahren. Begleitet wurde dieses traurige Fuhrwerk von einer Schaar händeringender Weiber und jammernder Kinder, welchen man ihr Bestes genommen, um die Contributionen zu zahlen, und die laute Verwünschungen gegen den Minister ausstießen.

Gegen diese Maßnahmen galt kein Einspruch. Schwarzenberg – oder der Kurfürst – es war Eine handelnde Person. Ein Nicken des Kopfes, und der mächtige Graf hatte entschieden. – Sein Gehalt betrug nur 2300 Thaler, aber er erwarb ungeheuere Besitzthümer. Wie? Schwarzenberg machte wucherische Geschäfte. Er benutzte die Geldverlegenheiten des Kurfürsten, der Beamten, ja selbst der Städte und lieh Summen gegen Verpfändung von liegenden Gründen. Damit keine Art der Verdächtigung ihm erspart würde, ging im Volke das dumpfe, im Auslande laut nacherzählte Gerücht umher: Schwarzenberg sei ein Giftmischer; er habe dem jungen Kurprinzen zwei Mal nach dem Leben durch Gift getrachtet; es sei ein Meuchelmörder gedungen, um die Hoffnung des Landes, den Prinzen Friedrich Wilhelm, aus dem Hinterhalte hervor, auf der Jagd zu erschießen. Als dies Alles vereitelt, sei es endlich der Minister gewesen, der versucht habe, den Prinzen in schlechte Gesellschaft zu bringen, damit er durch Ausschweifung untauglich für die schweren Geschäfte der Regierung werde. – Alle diese letztgenannten Beschuldigungen sind erwiesen unrichtig und von dem Kurprinzen, nachmals Friedrich Wilhelm dem großen Kurfürsten, selbst für Erdichtungen erklärt, wobei freilich nicht erwiesen werden kann, wie viel auf Rechnung der Großmuth des edlen Fürsten zu setzen ist, der auch seinen Feinden leicht verzeihen konnte. – Beladen mit dem Hasse des Volkes, verdächtig dem Kurprinzen, ohne Freunde, nur bezahlte Subjecte um sich, so stand Graf Schwarzenberg da, als am 21. November 1640 sein Beschützer, der Kurfürst Georg Wilhelm, die Augen auf immer schloß.

Aus dem Spandauer Thore zu Berlin rollte eine schwerfällige, dicht verschlossene Kutsche. Sie war aus dem Hause Nr. 1 der Brüderstraße gekommen. Auf dem Bocke saß mit verdrießlicher Miene der ärmlich gekleidete Kutscher. Er hatte noch vor kurzem in glänzender Livree die brausenden Pferde gelenkt. Er mußte die gestickten Kleider ablegen, Mietspferde vor einen ganz schäbigen Reisewagen spannen und bei einbrechender Nacht aus den Thoren zu kommen suchen, denn er führte den verhaßten Minister in der Kutsche, und man fürchtete die Volksjustiz, wenn der Wagen und sein Inhalt erkannt würden.

Der Graf Schwarzenberg hatte nach Spandau zu fahren befohlen. In Berlin hielt er sich nicht sicher. Es trieb ihn nur das böse Gewissen – mögen seine Vertheidiger sagen was sie wollen – denn der junge Kurfürst zeigte gar keine Neigung, die üblen Gerüchte, welche den Minister verfolgten, näher zu prüfen. In Spandau glaubte sich der Graf sicher. Dort befand sich als Commandant der Obrist Moritz von Rochow[WS 1], der auf Schwarzenberg’s Veranlassung mit der ganzen Besatzung dem Kaiser einen Eid der Treue geleistet hatte.

Schwarzenberg hatte es vielfach ähnlich zu drehen gewußt und die Besatzungen sämmtlicher märkischen Festungen den Eid leisten lassen, der Majestät des Kaisers zu gehorsamen. Unter solchen Vasallen hielt der Graf seine Person für ungefährdet.

Sei es nun, daß die großartigen Unternehmungen, welche ihn beschäftigten, oder ein Zartgefühl, den Diener seines verstorbenen Vaters nicht sogleich zur schweren Rechenschaft zu ziehen, den Kurfürsten bewogen, die Ruhe des Geflüchteten nicht zu stören – genug, Schwarzenberg blieb vorläufig unangetastet. Ja, einige Male zog der junge Herrscher ihn sogar zu Rathe, als es sich um Auskunft über gewisse Finanz-Angelegenheiten der vorigen Regierung handelte.

Aber eine mächtigere Hand griff nach ihm. Fast ein Jahr lang hatte er unter Furcht und Hoffnung zugebracht. Seine Gesundheit war zerrüttet.

Man fürchtete ihn nicht mehr. Eine Rotte Soldaten drang in sein Haus und forderte einen rückständigen Sold. Es waren Fußknechte des Rochow’schen Regiments. Der Minister hatte sie geworben, er war ihnen noch Geld schuldig. Gegen Rochow durfte er sich nicht beschweren, denn dieser Mann war nach seiner Ansicht der Hauptbeschützer. Der kränkliche Minister zahlte mit zitternden Händen 300 Thaler als Abschlagsumme. – Zwei Jahre früher hätten die Soldaten die Galgen der Berliner und Spandauer Hochgerichte geziert.

Droh- und Spottbriefe trafen täglich ein. Wenn er ausfuhr, spieen die Vorübergehenden seine Kutsche an, und Abends erschallten Schelmenlieder aus der Gasse vor seinem Hause.

Ende Februar des Jahres 1641 erhielt der Exminister einen [538] Brief aus Regensburg. – Er hat Niemandem diesen Brief gezeigt. Er las ihn, faltete ihn zusammen, sein bleiches Gesicht nahm eine grünliche Farbe an, seine Zähne schlugen zusammen, er ließ sich in sein Arbeitscabinet tragen und blieb allein. – Nachts sah man das Fenster erleuchtet, und hinter den herabgelassenen Vorhängen huschte und wankte der Schatten der Figur Schwarzenbergs hin und her. – Dabei rauchte der große, unheimliche Kamin des Zimmers. Der Graf schien viele Papiere zu verbrennen. – Am folgenden Tage befand er sich sehr angegriffen.

Man raunte einander zu, der Brief sei eine Warnung gewesen und habe den Grafen darauf vorbereitet, daß man eine Untersuchung seiner Amtsführung beabsichtige.

Schwarzenberg ließ wiederum einige Tage verstreichen. Er lauschte angstvoll; in seinem Hause zu Spandau sich abschließend, glich er dem Wild, welches im einsamen Gehäge versteckt die Tritte des verfolgenden Jägers behorcht und kaum zu athmen wagt. – Keine Maßregel gegen ihn erfolgte.

Alle Welt war gespannt auf den Ausgang, denn seine Feinde, besonders der wüste Oberst von Burgsdorf, schürten das Feuer gegen ihn mächtig an. – Da rollt eine Equipage vor das Haus des Grafen. Es ist der kurfürstliche Kriegsrath von Zastrow. Kommt er den Minister zu verhaften? Der Beamte zeigt das leutseligste Wesen, er ist voller Höflichkeit gegen den Grafen. Im Cabinete Schwarzenberg’s hat er mit diesem eine Unterredung, die Angelegenheiten der kurfürstlichen Armee betreffend. Vielleicht aber ist es nur ein Vorwand! Schwarzenberg athmet freier; würde der Kriegsrath mit solcher Freundlichkeit ihm entgegenkommen, wenn er Schlimmes brächte? Der Exminister will sogleich eine entscheidende Probe wagen. Noch erlaubten ihm ja seine unbeschränkten Einkünfte eine glänzende Tafel zu führen. Er ladet den Kriegsrath zu Tische. Herr von Zastrow nimmt die Einladung dankbar an. – „Er würde nicht an meinem Tische speisen, wenn er mit dem Verderben gegen mich heraustreten wollte,“ tröstete sich der Graf.

„Auch Judas speiste am Tische des Herrn,“ murmelten die vertrauteren Diener.

Die Tafelgenossen bestanden aus den täglichen Gesellschaftern des Exministers und aus Officieren der Garnison. Schwarzenberg konnte sich nicht so schnell von seiner früheren Lebensweise entfremden, er liebte es noch, einen kleinen Hofstaat um sich zu halten. Er hatte seine vier Trabanten, seine Schenken, seine Pfeifer; ein adliger Kammerjunker verwaltete das Amt eines gräflichen Vorschneiders.

Während der Tafel beobachtete der Graf ängstlich jede Bewegung des Herrn von Zastrow. Der Beamte war gemessen, aber freundlich. Desto ungestümer betrug sich die übrige Tischgesellschaft. Es schien, als sei die kleine Festung Spandau neutrales Gebiet in kurfürstlichen Landen. Die Herren prahlten mit ihrem kaiserlichen Eide, und fast konnte man glauben, die Anwesenheit des Staatsbeamten habe die Tischgenossen des Ministers in eine gereizte Stimmung versetzt, welche sich in vollständigen Ausforderungen Luft machte. – Schwarzenberg saß auf Nadeln.

Plötzlich trat die Katastrophe ein. Der gräfliche Vorschneider, Herr von Lehndorf, Kammerjunker, aus Preußen gebürtig, trank dem Kriegsrathe mit großem Ungestüme einen Humpen Wein zu und forderte ihn auf, Bescheid zu thun. Zastrow lehnte mit feinem Lächeln die Einladung ab, indem er bemerkte, daß er solche große Quantitäten Wein nicht trinke.

„Dann sind Sie ein unvermögender Hundsfott,“ schrie der Kammerjunker, indem er den Humpen mit solcher Heftigkeit auf den Tisch niedersetzte, daß der Wein, über den Rand des Trinkgefäßes spritzend, das Gedecktuch besudelte. – Tödtlich erschrocken sprangen Alle von ihren Sitzen.

Schwarzenberg wollte sich erheben, er sank zurück in den Sessel. Aber bevor er noch einen zweiten Versuch zur Erhebung machen konnte, fiel schon die feine Hand des Kriegsrathes, aus der Spitzenmanschette hervorkommend, mit gewaltiger Wucht auf die linke Wange des Herrn von Lehndorf, und der klatschende Schall einer ungeheuren Ohrfeige tönte durch das Gemach. Ein Kreischen sämmtlicher Anwesenden überhallte die donnernden Worte des Herrn von Zastrow. – Ein Edelmann geohrfeigt! – Welche Rache wird er nehmen? – Sie erfolgte augenblicklich; blitzschnell riß der Kammerjunker den Degen aus der Scheide, der hinter ihm an der Stuhllehne hing, wie das in jener Zeit Gebrauch war. Die Klinge fuhr, von sicherer Hand gelenkt, über den Tisch und dem unglücklichen Kriegsrathe mitten durch die Brust. Ein stöhnender Schmerzenslaut, eine Fontaine von Blut, die hochaufsprudelte und rings umher die Speisen, Getränke und Gefäße benetzte.

Zastrow schlug mit beiden Armen in die Luft, dann stürzte er vornüber mit seinem Oberkörper die Tischplatte deckend. Gläser, Schüsseln und Leuchter fielen klirrend durcheinander. Auf der gräflichen Tafel lag ein Todter inmitten einer Lache von Blut. – Neben ihm ein Sterbender – der Graf Schwarzenberg – den das entsetzliche Ereigniß dem Grabe nur desto schneller näher gebracht hatte. – Die Verwirrung war ungeheuer. „Mord! Mord!“ heulten die Einen, „Aerzte! Hülfe!“ die Andern. Lehndorf stand versteinert, denn die Trunkenheit, welche sich offenbar seiner Sinne bemeistert hatte, war einer grauenhaften Ernüchterung gewichen. Plötzlich aus seiner Erstarrung erwachend, stieß er einen Schrei aus und stürzte aus dem Zimmer. Er kam aber nur bis zur Treppe. Hier ward er in Verhaft genommen und als ein Diener Schwarzenberg’s in dessen eignem Hause in Gewahrsam gehalten. [1]

Der Exminister verfiel in ein heftiges Fieber. Zastrow’s Leiche ward noch denselben Tag nach Berlin geführt. „Da fährt der Leichnam des Gemordeten,“ hieß es in der Stadt und auf dem ganzen Wege. „Lehndorf hat ihn todtstechen müssen, weil er zuviel vom Schwarzenberg gewußt hat.“

Man sah den Grafen nicht wieder. Nur die in Spandau anwesenden kurfürstlichen Räthe waren Zeugen seines Verscheidens, welches am 24. März (neuen Styls) 1641 erfolgte. Von seinen Freunden ließen sich nur wenige blicken.

Abends drängten sich große Menschenmassen vor der Hausthüre der gräflichen Wohnung. Auf dem Flure stand ein geschlossener Sarg, den eine schwarze Sammetdecke halb verhüllte. Viele Lichter und Crucifixe umgaben ihn. Da lag der Herr Graf Adam von Schwarzenberg im prächtigen, eichenen Todtenschrein, und von all seinem Wirken und Treiben sprachen nur Diejenigen noch, die durch ihn verloren oder gewonnen hatten, und die, welche ihn verwünschten. – Wo aber war er nach dem schrecklichen Auftritte an seiner Tafel hingekommen? Er war, wie gesagt, nicht wieder zum Vorschein gekommen. Man hatte sein Haus mit Wachen umstellt, aber Viele behaupteten: In der Nacht kurz vor seinem Ableben sei eine schwarze Kutsche an dem Hintergebäude vorgefahren, ein Mann, ohne Zweifel der Exminister, sei hineingehoben worden, bewaffnete Reiter hätten den Wagen escortirt, und so sei es fortgegangen, hinaus, tief in den Wald hinein, der zwischen Berlin und Spandau sich erstreckte. Im Gehölze habe die Kutsche gehalten. Nach einer Stunde sei der Zug wieder zurückgekommen; man habe, an der Hinterthür der gräflichen Wohnung angelangt, einen schweren Gegenstand aus dem Wagen gehoben und in’s Haus geschleppt. Danach seien die kurfürstlichen Räthe ausgestiegen, dieselben, welche beim Ableben des Grafen zugegen gewesen sein wollten. Um 6 Uhr Morgens des folgenden Tages habe es geheißen:

„Graf Schwarzenberg ist am Herzschlage gestorben.“

„Wir wissen besser, woran wir sind,“ sprachen die kannegießernden Bürger auf der Bierbank. „Der junge Kurfürst hat Gerechtigkeit geübt gegen den Frevler, und im Spandauer Forst ist er bei Fackellicht enthauptet worden.“

So ging die Sage. Die ärztlichen Leichenbefunde hielt man für fingirt, ebenso die Berichte der Räthe an den Kurfürsten und dessen Antwort. Die Leiche ward dem Sohne zum ehrlichen Begräbniß übergeben, und die Hinterbliebenen hatten bereits alle Vorkehrungen getroffen, nach abgehaltenen Exequien die sterbliche Hülle nach Wien zu schaffen, woselbst die väterliche Gruft sie aufnehmen sollte. – – –

An einem Sonntage des Jahres 1755 gingen ein hoher Officier und eine Dame nach beendigtem Gottesdienste durch die Nicolaikirche zu Spandau. Es waren der Prinz August von Preußen und seine Schwester Amalie, Geschwister Friedrich’s des Großen. Sie betrachteten die Gemälde, die Inschriften und Zierrathen, welche die Kirche enthält. Der Prediger Schulz begleitete sie. In [539] dem Seitengange angelangt, wies Schulz auf eine in Mannshöhe festgemauerte Steinplatte, welche die zu Eingang dieses Aufsatzes stehende Inschrift trägt. „Dies hier,“ begann der Prediger, „ist der Denkstein von dem Grabe eines sehr gefürchteten und verhaßten Mannes. Es scheint fast, als sollte er im Grabe keine Ruhe finden für Alles, so er verschuldet. Dort, wo das Crucifix steht, also mitten in der Kirche, liegt sein Leichnam. Aber man hat ihn nicht respectirt, sondern 1722 bei Reparatur der Kirche tiefer in das Gewölbe gesenkt und darüber hinweg die neuen Quadern gelegt. Die Votivtafel ist fortgenommen und hier eingemauert worden, weil die Flügelthüren, welche sie bedeckten, hinderlich waren.“

„Schwarzenberg?“ rief der Prinz, der die Inschrift gelesen hatte. „Sonderbar. Wie kommt Schwarzenberg’s Leiche in die Nicolaikirche zu Spandau?“

„Je nun,“ lächelte die Prinzessin, „weil sie jedenfalls hier beigesetzt wurde. Was ist da zu verwundern?“

„Ich habe zur Verwunderung meinen besondern Grund,“ entgegnete der Prinz. „Unser Bruder, der König, schreibt ausdrücklich in seinen Mémoires de Brandebourg, daß der Minister Graf Schwarzenberg vor seinem Ableben nach Wien gegangen und dort gestorben sei. Sollte sich diese Abreise nach der Kaiserstadt nicht feststellen lassen? und hat der König nie seine Aufmerksamkeit dieser Tafel zugewendet? Hier ist ein Räthsel.“

„Vieles ist räthselhaft in dieser ganzen Sache,“ bemerkte Schulz. „So dürfte Ew. königlichen Hoheit vielleicht auch noch das Gerücht unbekannt sein, welches behauptet, Schwarzenberg sei auf Befehl des großen Kurfürsten geköpft worden und liege hier mit zerhauenem Halse in der Gruft.“

„Und hat man nie einen Versuch gemacht, hinter die Wahrheit zu kommen? die Gruft zu öffnen?“

„Nein. Denn erstens bedürfte es dazu höherer Erlaubniß, dann aber bringt man die Eröffnung mit einer anderen Sage in Verbindung, nach welcher dem Grafen dereinst prophezeit worden sein soll, er werde im Sarge keine Ruhe finden. Seitdem nun die erste Störung der Leiche im Jahre 1722 erfolgt ist, soll der Minister in seinem ehemaligen Hause spuken.“

„Wo ist die Gruft?“ fragte der Prinz.

„Dort am Taufsteine.“

Alle Drei traten auf die bezeichnete Stelle. „Hu!“ rief die Prinzessin, „fort von hier. Es ist, als zöge ein Schauer herauf aus den Gewölben.“

„Die Sache ist höchst interessant,“ bemerkte Prinz August. „Noch heute muß ich dem Könige davon Anzeige machen.“

Noch an demselben Abende um 11 Uhr erschien in Spandau ein Läufer des Königs. Er ließ durch den Küster sich die Kirche öffnen, mit einer Laterne die Votivtafel beleuchten, copirte genau die Inschrift und überbrachte sie dem Könige nach Charlottenburg.

Zwei Tage darauf erschallen die Wölbungen der Kirche von den Schlägen der Hämmer arbeitender Maurer. Die Quadern sind hinweggeräumt. Die Uebermauerung des Gewölbes liegt bloß. Nur wenige Steine sind hinweg zu nehmen, endlich fallen diese auch hinunter, durch die Oeffnung gewahrt man einen Sarg mit Handgriffen. Modergeruch dringt den die Gruft Umstehenden entgegen, eine kalte, eisige Luft haucht sie an. Erwartungsvoll schauen der Prinz August, sein Adjutant, der Oberprediger und der kecke Page Fritz von Dequede in die Höhlung. Birgt der Sarg wirklich den Todten, oder ist es nur eine Scheinbeerdigung gewesen? Die Handwerker, Zimmergesellen und Maurer, sind ebenso geschäftig als neugierig. Dergleichen Arbeiten haben sie selten vor. Schon sind zwei Gesellen in die Gruft gesprungen, jetzt naht der Augenblick, der Deckel kreischt beim Abheben, Myriaden von Gewürm flüchten nach allen Seiten, Staub wirbelt in grauen Wolken auf und füllt gleich einem Nebel die Höhlung. Als er sich verzogen, gewahrt die Versammlung die langgestreckte, mit Flittertand bekleidete Leiche. Ernst, ruhig, fast drohend liegt sie da.

„Herr Graf von Schwarzenberg, Sie sind also in der Mark geblieben. – Sie haben dem Mächtigsten nicht entrinnen können. – Sie konnten nicht ruhen in der Gruft Ihrer Väter. – Sie blieben unter Ihren Feinden, und jetzt – jetzt sind Sie eine willkommene Beute für die Neugierde. Sie bereiten einen interessanten Tag – gestatten müssen Sie es, daß Ihre Gebeine untersucht werden. Ihre gewaltige Macht kann Nichts mehr hindern.“

Die Leiche lag in einem mit violettem Sammet ausgeschlagenen Sarge, der reich mit goldenen Tressen besetzt war. Die Kissen trugen Ueberzüge aus weißem Taffet. Eine prächtige spanische Kleidung, ganz aus Drap d’Argent bestehend, hüllte die Leiche ein. An der linken Seite ruhele ein stählerner Degen, den eine goldene Schleife zierte. Ein schwarzsammtener, mit goldener Stückschnur umwickelter Hut, Strümpfe von fleischfarbener Seide und dicke schwarzlederne Schuhe. Alles sehr wohl erhalten, bildeten den übrigen Theil der Grabestoilette.

„Zurücktreten!“ befahl der Prinz. Alle Handwerker entfernten sich. August, sein Adjutant und der Page traten dicht an die Gruft. Der Prinz stützte sich auf seinen Stock und betrachtete schweigend die noch kenntlichen Züge des Todten, der, als böser Engel eines hohenzollerschen Fürsten verrufen, nun vor dem Nachkommen lag, eine morsche, zerbrechliche Masse. – Unter solchen Gedanken hatte der Prinz nicht bemerkt, daß der Page Dequede in die Gruft gesprungen war und den Sarg durchsuchte. Als er es gewahrte, rief er:

„Dequede, kommen Sie herauf.“

„Hoheit, lassen Sie mich noch einen Augenblick weilen. Es ist höchst interessant.“

Es war ein eigenthümliches Bild. Die über hundert Jahre alte Leiche des Ministers, daneben der frische, kecke Knabe in der reichen Uniform der königlichen Leibpagen, das von Gesundheit strotzende Gesichtchen unter einer fein gepuderten Perrücke trotzig in die Luft streckend, ganz unempfindlich gegen die Miasmen der Leichenhöhle.

Und wer war dieser Knabe? Ein von Dequede. – Sonderbares Spiel des Zufalls! – Der Urgroßvater dieses Pagen war einer der Wenigen gewesen, welche das Ende des Ministers gesehen. – Der kurfürstliche Rath von Dequede hatte die letzten Seufzer Schwarzenberg’s vernommen, hatte sein Auge brechen sehen – der Urenkel durchsuchte die Leiche, befühlte mit jugendlichem Uebermuthe die Stoffe der Kleider und faßte plötzlich – das Haupt des einst Allmächtigen. Die morschen Knochen sprangen auseinander, die trockenen Bänder ließen nach, die Leiche ruckte ein wenig und in den Händen des Pagen lag das Todtenhaupt des Grafen von Schwarzenberg.

„Sehen Sie, Hoheit, hier ist der alte Herr. Er beißt nicht,“ rief der Knabe mit muthwilligem Gelächter und hielt den Schädel empor.

„Pfui, Fritz! Abscheulich!“ rief der Prinz. „Legen Sie das sogleich wieder hinein und dann vorwärts. Wir haben genug gesehen.“

„Nun, so lieg Du da,“ rief der Knabe, setzte den Kopf auf die Brust der Leiche und sprang mit einem lauten „Hopp“ aus der Grube.

Prinz August war beim Heimfahren sehr still und ernst. „ Wissen Ew. Hoheit.“ begann plötzlich der Adjutant, Herr von Hagen, „was mir recht lebhaft vor den Sinn gekommen ist, als wir heute an der Gruft standen und Dequede mit dem Schädel spielte?“

„Nun?“

„Im Jahre 1741 war ich in London bei der Gesandtschaft, da gaben sie ein Komödienspiel, worin ein Prinz vorkommt, der am Grabe Unterhaltungen mit einem Todtengräber führt, auch Schädel betastete und sehr gute Dinge über die Vergänglichkeit des Irdischen vorbrachte.“

„Ich kenne das Stück“ sagte der Prinz. „Es heißt Hamlet, von dem Dichter Shakespeare.“

„Richtig, Hoheit! Hamlet. – Na, das Stück fiel mir ein. Den Dichter habe ich vergessen, denn wir behalten nur gut die Namen von Generalen oder Schlachttagen, aber der Schauspieler, der den Prinzen spielte, war der berühmte Komödiant Garrick. Er spielte das sehr schön, als er sagte, wie lumpig doch eigentlich der ganze zurückbleibende Plunder bestellt ist, und damit einen meinte, den er früher gekannt hatte. Der Herr von Helmborn, der neben mir saß, verdeutschte es mir, und heute fiel mir Alles wieder ein.“

„Hamlet hat sehr Recht,“ antwortete der Prinz. Schweigend fuhren sie weiter. – Als der Prinz und seine Begleiter die Kirche verlassen hatten, eilten die Arbeiter an die Gruft. Mit Staunen betrachteten sie die gräfliche Leiche.

„Na,“ schrie plötzlich ein junger Maurer, „da haben wir’s ja. Es ist keine Redensart, daß Schwarzenberg geköpft worden ist. Da liegt der heruntergehauene Kopf auf der Brust, wie es immer gemacht wird.“

„Richtig,“ riefen die Anderen, „da liegt er.“

[540] „Kinder,“ sagte der Polirer, „es war heute ’was Merkwürdiges. Nach Feierabend können wir auf der Herberge nun die genauesten Nachrichten von dem geköpften Grafen erzählen.“ Singend und pfeifend gingen sie wieder an die Arbeit. Bald war die Gruft geschlossen, und jedermann schritt über die Quadern. Zwei Mal war Schwarzenberg’s Grabesruhe gestört worden. – – –

Am 20. August 1777 gingen auf dem Platze vor der Nicolaikirche zu Spandau zwei Männer auf und nieder. Der Aeltere trug die Uniform eines Regimentschirurgus, der jüngere, etwa 29 Jahre alte Mann war in Civilkleidung. Er hatte ein sehr heiteres, frisches Antlitz, kräftige Körperformen und zeigte große Beweglichkeit. Der Chirurgus war der Herr Laube, der Civilarzt der Stadtphysikus Heim. – Damals stand er an der Schwelle seiner segensvollen Laufbahn. Wer hat den Namen des alten Geheimrathes Heim nicht nennen hören, vereint mit Dankesworten und in Begleitung irgend eines originellen Charakterzuges? Des alten Heim, der jährlich 4000 arme Kranke unentgeltlich behandelte und sie theilsweis unterstützte?

Heim sah inmitten des Gespräches nach der Thurmuhr der Nicolaikrche. „Gleich acht Uhr,“ sagte er zu Laube. „Nun muß der Oberst doch bald anlangen.“

„Irre ich nicht, so biegt er eben dort um die Ecke,“ entgegnete der Chirurg.

Wirklich kam auf die Kirche zu der Oberst von Kalkstein in Begleitung des Küsters und eines Haufens von Arbeitern, welche verschiedene Werkzeuge trugen. Bei Heim und Laube angekommen begrüßten sich die Herren.

„Nun,“ sagte der Oberst, „schreiten wir zum Werke. Ich bin doch neugierig, ob wir es ausfindig machen werden, daß er hingerichtet wurde.“

„Ich zweifle daran, Herr Oberst,“ sagte Heim.

„Ich kann Ihnen mein Wort darauf geben,“ entgegnete Kalkstein, „daß ich gestern noch den Maurer gesprochen habe, der vor 22 Jahren beim Ausbrechen des Gewölbes thätig gewesen ist und der mir betheuert hat, daß der abgehauene Kopf neben der Leiche gelegen habe.“

„Wollen sehen,“ lächelte der Physikus.

„Wenn’s gefällig wäre,“ unterbrach der Küster, welcher unterdessen die Kirche geöffnet hatte. Die ganze Versammlung trat in das Gotteshaus.

Und zum dritten Male ward der Schlaf des Grafen Schwarzenberg gestört. Wieder dröhnten die Schläge gegen die Wölbung der Gruft und hallten unheimlich in der hohen Kirche; gleich langanhaltendem Aechzen tönte das Knirschen der Eisen zwischen dem Gestein, als die Arbeiter die Quaderstücke aushoben. Auch das Publicum zu diesem seltsamen Schauspiele hatte sich geändert – kein Prinz mit Adjutanten und Pagen wartete der Oeffnung. Einfache Soldaten und Aerzte wollten die Wahrheit erforschen und Gewißheit haben, ob der Henker den hochgräflichen Hals zerhauen; denn die Sage war fast zur Geschichte geworden und hatte ihren Platz in einem der berühmtesten Werke gefunden: daß der Graf Schwarzenberg enthauptet worden sei.[2] – Wieder plumpten die Steine hinunter in die Höhlung – wieder stieg und senkte sich der Staub – da sah man die Leiche, die drei Mal beunruhigte. Im offnen Sarge lag sie, der zertretene Deckel neben demselben noch von 1755 her. Die Arbeiter hatten damals es gar nicht für nöthig gehalten, den schützenden Deckel wieder aufzulegen. Aber die Leiche hatte sich nicht verändert, sie war vollständig da, wie sie vor 22 Jahren sich ihren Störern gezeigt hatte, gleichsam als wollte sie sagen: „Ich bleibe hier zur Nachsuchung, rechtfertigt mich vor den Lebenden.“ – Der Kopf lag neben dem Hute, wie Dequede ihn niedergelegt. Der Degen war von Rost zerfressen, die dicken Sohlen der Schuhe zerplatzt.

Heim war schon in der Gruft und begann seine Untersuchung. Für den Arzt war der mächtige Graf eine Leiche, wie er deren hundert auf dem Secirtische vor sich gehabt hatte.

„Sehen Sie,“ rief Kalkstein herab, „da liegt wahrhaftig der abgeschlagene Kopf.“

„Ruhig Blut!“ entgegnete Heim. „Das beweist Nichts. Der Schädel kann vom letzten Male her dahin gelegt sein. Erst die Halswirbel, Laube. Erst die untersuchen.“

Beide Mediciner wühlten in dem Sarge umher, hoben die Leiche hoch, verrückten die Kissen und fuhren unter die modernden Kleider.

„Wie viel Wirbel haben Sie, Laube?“ fragte Heim.

„Viere, Herr Physikus.“

„Ich habe nur zwei, sieben müssen wir haben. Sollte einer fehlen, so wäre am Ende die Hinrichtung kein Märchen.“

Sie suchten weiter.

„Halt,“ rief Heim, „hier ist Nummer sieben. Ganz und wohl erhalten. Herr von Kalkstein,“ rief er hinauf, „sieben Halswirbel sind da. Schwarzenberg ist ehrlich gestorben.“

Kalkstein stieg jetzt ebenfalls in die Gruft.

„Alles in bester Ordnung,“ sagte Heim. „Da sehen Sie 7 Halswirbel, 12 Rücken- und 5 Lendenwirbel. Leiche ist gut erhalten. War balsamirt. Können noch die Kräuter deutlich erkennen, in der Bauchhöhle ist viel Myrrhen und Aloe, davon die röthliche Farbe der Leiche. Hier im Kopf – da sehen Sie Lavendel und Lorbeer.“ Bei den letzten Worten zog der Arzt sein Taschenbuch heraus und notirte: Corpora vertebratum colli, auch die processus obliqui ascendentes und descendentes nebst den processus spinosi vollkommen und unbeschädigt und fest, welches an einigen keineswegs hätte sein können, indem bei der Enthauptung wenigstens zwei dieser Knochen beschädigt werden müßten. Punktum. Schwarzenberg ist nicht decapitirt, und in Zukunft wird wohl das Märchen nicht mehr auftauchen, wenigstens können wir Herrn Ouvrier ad absurdum führen.“ [3] Heim klappte sein Taschenbuch zusammen.

„Und nun,“ sagte Kalkstein, „mag der alte Herr in Frieden ruhen. Sie werden ihn nun wohl nicht mehr stören.“

Ein sausender Luftzug fuhr durch die Kirche, welche bereits halb dunkel geworden war, denn die Dämmerung senkte sich hernieder, die Fenster klirrten, und Wetterleuchten erhellte die Schiffe des Gotteshauses; es war ein heißer Augusttag gewesen. Bewegt blickten die Männer in der Gruft einander an. Der alte Regimentschirurg hatte die Hände gefaltet und betete. Er war das von früher her im siebenjährigen Kriege so gewöhnt. Kalkstein aber sah dem jungen Stadtphysikus zu, der den Kopf des Grafen an die richtige Stelle legte und den Sarg wieder in Ordnung brachte.

Sie stiegen endlich alle Drei heraus. Die Kirche war ganz finster geworden. Die Arbeiter hatten Laternen angezündet, deren Schein an den hohen Pfeilern auf und nieder hüpfte.

„Schließt mir das Grab gut und setzt den Deckel wieder über die Leiche. Es soll Euer Schaden nicht sein. Gute Nacht!“ Mit diesen Worten verließ Kalkstein mit den beiden Aerzten die Kirche. Draußen athmeten sie hoch auf. „Wie nichtig – wie erbärmlich ist der Mensch!“ moralisirte der alte Oberst.

„Wie wenig bleibet ihm von aller Hoheit, so er im Grabe ruhet!“ setzte der ergraute Regimentschirurgus hinzu.

„Ja,“ lächelte Heim, „er kann noch froh sein, wenn er im Grabe Alles behält, was er mit hineingenommen hat.“

„Wie meinen Sie das, Herr Kreisphysikus?“

„Ei,“ lachte der junge Arzt, „sehen Sie, weil ich mir von dem alten Herrn da unten ein Andenken mitgenommen habe.“ Bei diesen Worten zog Heim eine Hand voll Knochen aus der Rocktasche. „Es sind die sieben Halswirbel Sr. Erlaucht des Herrn Grafen von Schwarzenberg, die von nun an in meiner Sammlung anatomischer Gegenstände prangen werden.“

„Herr,“ rief der alte Chirurgus zurückweichend. „Wissen Sie nicht, daß der Minister umgehen, spuken soll? Wenn er – –“

„Pah! lieber Regimentschirurgus! Sie, ein Arzt, glauben an Geister? Er soll nur kommen, der Alte, wird mich freuen, seine Bekanntschaft zu machen. Gute Nacht, meine Herren; wahrscheinlich werde ich in einer Stunde herausgeklingelt; ich habe drüben auf dem Kietz eine Entbindung zu erwarten. Gute Nacht.“ Der Physikus grüßte, schob die Halswirbel in seine Tasche und trat dann schnellen Schrittes den Rückweg an.[4]

Schwarzenbergs Grabesruhe ist nicht wieder gestört worden.



  1. Der Herr von Lehndorff, berichtet Loccelius, wurde in Hafft genommen, aber den Tag nach des Grafen Ableben, bei dem vorgehenden Geläuf in einem Kasten, als wenn’s Kleider wären, von des Obersten Goldacker Lakaien herauspartirt, auf ein bestelltes Pferd gesetzet, und also davongebracht. Doch hat er der göttlichen Strafe nicht entgehen können, und ist unlängst hernach in einem rencontre von denen Schwedischen in der Lausitz erschlagen worden.
  2. Der Feldprediger Ouvrier hatte die Nachricht von der Enthauptung in Büsching’s Wöchentlichen Nachrichten veröffentlicht. Namentlich in Folge dieses Aufsatzes ward die Gruft noch ein Mal geöffnet.
  3. Heim’s Gutachten trug besonders zur Beseitigung des Gerüchtes von der Enthauptung bei. Daß die Leiche des Ministers in Spandau blieb, veranlasste der Sohn. Graf Schwarzenberg der Jüngere wollte anfangs die sterblichen Reste nach Wien führen. Indessen unterblieb die Wegführung, weil die Straßen durch die Schweden, die den Grafen glühend haßten, zu unsicher waren.
  4. Die sieben Halswirbel fanden sich noch nach Heim’s Tode in seiner Sammlung vor.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Moritz von Rechow