Die Marienburg und ihre Herrin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Marienburg und ihre Herrin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 421–424
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Schloss Marienburg und Königin Marie
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[421]
Die Marienburg und ihre Herrin.


„Im Begriff, mit dem theuren Kronprinzen mich zu meiner Armee nach dem südlichen Theile meines Königreichs zu begeben, lasse ich meine theure Königin und meine geliebten Töchter zu Herrenhausen Eurer bewährten Treue, Liebe und Anhänglichkeit zurück.“

So redete König Georg von Hannover heute vor einem Jahre in seiner Abschiedsproclamation zu Magistrat, Bürgervorstehern

Lustschloß Marienburg in Hannover.

und Bürgern seiner Residenz, als er, den Rathschlägen seiner Minister und seines eigenen Gefühls folgend, die Ansprache der zweiten Kammer und die dringende Bitte der städtischen Collegien zurückweisend, statt sich mit Preußen zu verständigen und im Lande zu bleiben, den verhängnißvollen Zug nach Göttingen antrat. Er „konnte als Christ, als Monarch und als Welf nicht anders“. Der Zug nach Göttingen führte ihn nach Langensalza und zuletzt in’s Exil nach Hietzing. Er wird niemals in sein Land zurückkehren, was ihm auch davon träumen mag. Nunquam retrorsum (niemals rückwärts), sein Wappenspruch, wird in dieser Beziehung auch sein Schicksal sein. Hannover ist für ihn, um mit seinen Worten zu reden, verloren „bis an das Ende der Tage“; es ist preußische Provinz geworden und wird es bleiben, wenn die Vorsehung nicht zu Gunsten des Welfenthums ein Wunder thut, was ebenso unwahrscheinlich ist, wie es nach der ganzen Vergangenheit des Königs Georg und namentlich nach seinem Verhalten während der Luxemburger Verwickelung kaum möglich sein wird.

Auch der ehemalige Kronprinz, jetzt einfach Prinz Ernst August, ist mit ihm im Exil, desgleichen die eine der beiden Prinzessinnen. Die Königin aber blieb mit der andern Tochter wirklich im Lande, und zwar zunächst im Schlosse Herrenhausen, auf dessen Dach noch bis in den Spätherbst vorigen Jahres die Welfenfahne flatterte und wohin von Seiten der Anhänger des Hofes aus der Stadt vielfach in demonstrativer Weise gewallfahrtet wurde, während Hofdiener höherer und niederer Classe sich andererseits bemühten, durch Verbreitung von allerlei wunderbaren Gerüchten in der Stadt die Getreuen in ihrer Treue zu erhalten und die Mißvergnügten zu größerer Abneigung gegen die neue Ordnung der Dinge zu reizen. Fast jede Woche bewegten sich Processionen mit gelb und weißen Fahnen, Deputationen mit Adressen und dergl. nach Herrenhausen. Im Spätherbst endlich hörten diese Agitationen auf, indem die Königin entweder selbst einsah oder darauf aufmerksam gemacht wurde, daß es gerathen sei, sich ein anderes, der Hauptstadt ferner gelegenes Domicil zu wählen. Es würde gut gewesen sein, wenn diese Wahl auf einen Ort außerhalb der Provinz Hannover gefallen [422] wäre, und es wird versichert, daß es nicht an dem Wunsche der hohen Dame gelegen hat, wenn dies nicht der Fall war. Ihr Gemahl wollte positiv, daß sie zur Bestärkung der Hoffnung, der gegenwärtige Zustand sei nicht von Bestand, im Lande verbleibe. Königin Marie begab sich mit ihrem Hofstaat, gegen achtzig Personen, unter denen sich zwei Prinzen Solms und der frühere hannoversche Gesandte in Berlin, Geheimrath von Stockhausen, befanden, nach der Marienburg, deren Geschichte ich jetzt kurz mittheile, indem ich sie an eine Charakterskizze ihrer erlauchten Burgfrau anschließe.

Die Königin Marie Alexandrine, eine Tochter des Herzogs Joseph von Altenburg, ist seit einigen zwanzig Jahren mit dem König Georg vermählt, dem sie, jetzt neunundvierzig Jahre alt, an Alter um ein Jahr voraus ist. Etwas über mittelgroß, ziemlich voll, von blasser Farbe, zeigt sie zwar fürstlichen Anstand, kann aber jetzt nicht mehr als schön gelten. Sich in politische Dinge zu mischen, hat sie niemals irgendwelche Neigung empfunden, eher wohl in kirchliche; denn sie gilt für eine ungemein fromme und stark in den Vorstellungen moderner Rechtgläubigkeit befangene Dame. Sonst gehört zu ihrer Charakteristik, daß sie den Werth des Geldes nicht zu kennen scheint und daß sie infolge dessen einerseits gegen Andere, aber andererseits auch gegen die eigenen Wünsche eine fast grenzenlose Freigebigkeit an den Tag legte. Vor ihrer Vermählung an die bekannte Einfachheit des Altenburger Hofes gewöhnt, hat sie später als Königin keine Gelegenheit versäumt, einen außerordentlichen Luxus zu entfalten. So suchte sie vor Allem auch sich eine passende, ihrer Würde entsprechende Sommerresidenz herzustellen. Der Wunsch der Königin war Befehl, und man ging rasch ans Werk, entdeckte an den Ufern der Leine einen Bergabhang, der passend schien für den beabsichtigten Bau und wo der letztere vom Eisenbahn-Knotenpunkte Nordstemmen nur eine Viertelstunde Weges entfernt war, und fand in dem talentvollen Baurath Hase auch einen Künstler, der sich der Aufgabe, eine Burg in echt mittelalterlichem Stile herzustellen, gewachsen zeigte.

Gewisse Uebelstände, z. B. der Mangel an sonstigem Grundeigenthum in der unmittelbaren Umgebung und die Nähe von mehreren Kalkbrennereien mit ihrem Qualm, von denen eine hart am Fuße des Schloßberges liegt, wurden übersehen und das Unternehmen begonnen. Hase trat, als es etwa halb vollendet war, zurück, wohl weil er nicht zu dem Major Witte paßte, der ihm als Schloßhauptmann mit guten Diäten beigeordnet war. Der Bau verschlang große Summen und rückte nur langsam vorwärts. Ein Gerücht ging, die Bauverwaltung verwende einen sehr beträchtlichen Theil der von ihr berechneten Gelder in den eignen Nutzen. Das Gerücht trat zuletzt so bestimmt auf, daß eine Untersuchung verhängt werden mußte. Dieselbe richtete sich gegen den Schloßhauptmann und dessen Verwalter Behrends, und letzterer, vor die bürgerlichen Gerichte gestellt, wurde schuldig befunden, Arbeiter, die für den Burgbau in Dienst genommen worden, statt für diesen zu Arbeiten auf dem Witte’schen Gute Hoyersum verwendet zu haben, und wegen solcher Veruntreuung mit Arbeits- oder Zuchthaus bestraft. Witte selbst wurde vor ein Militärgericht verwiesen und saß eine Zeit lang im Officiersgewahrsam, ehe jenes aber einen Spruch fällen konnte, brach die Junikatastrophe des vorigen Jahres herein. Mit ihr hörte die Eigenschaft Witte’s als hannoverscher Militär auf, und derselbe sieht gegenwärtig seiner Aburtheilung durch das gewöhnliche Schwurgericht entgegen. Die Sache zählt zu den stärksten der vielen Scandalgeschichten, mit denen unter dem Exkönig die neueste Geschichte Hannovers bereichert worden ist.

Nach Witte wurde der Baurath Oppler mit der Vollendung der Marienburg betraut, derselbe Architekt, der die Synagogen in Hannover und Breslau baut und der es verstanden, sich namentlich durch den vielvermögenden Prinzen Solms bei Hofe angenehm zu machen. Derselbe hatte an dem bisher Geleisteten allerlei auszusetzen. Die Thürme mußten geändert werden, die innere Ausschmückung, die Möbeln sollten dem äußern Charakter des Schlosses nicht entsprechen, und die Königin ließ sich überzeugen, obwohl die gründliche Umgestaltung des ganzen Innern, die Neubeschaffung der Tapeten, die eichenen Tische, Stühle und Schränke, die zum Verdruß der hannoverschen Zunftmeister von Berlin verschrieben wurden, wieder sehr erhebliche, ja kaum glaubliche Summen in Anspruch nahmen und die Vollendung des Ganzen von Neuem um Monate verzögerten, zumal ein Sturm noch ein Uebriges that, indem er dem einen Eckthurm des Gebäudecomplexes das Dach abriß.

Seitdem die Königin die Marienburg bezogen, galt letztere als der Heerd der antipreußischen Agitationen, die vor, während und nach den Parlamentswahlen unsre Polizei in Athem hielten. Mit wie vielem Recht sie dafür angesehen wurde, bin ich zu sagen außer Stande. Jedenfalls war sie ein Sammelpunkt und Wallfahrtsort der über die Einverleibung Trauernden. Alle Wochen berichteten die Zeitungen, daß solche Getreue, adelig und bürgerlich, dort ihre Aufwartung gemacht, um durch Ueberreichung von Teppichen, Albums, Adressen und dergleichen zu demonstriren. Daß der hier sitzende Hofadel den Bestrebungen für die Welfen, die besonders im Calenberg’schen statt fanden, der Verbreitung von Proclamationen aus Hietzing, der Berichterstattung dahin und andern Ränken durchaus fremd gewesen, will auch nicht einleuchten, und daß der eine der Prinzen Solms, der hier Hof halten half, blos um die Landluft zu genießen und den religiösen Tendenzen der Königin zu dienen, hier geblieben sein sollte, ist womöglich noch unwahrscheinlicher. Der junge Herr, einer der zahlreichen Solmse, die „ihre Beine unter Vetter Georg’s Tisch steckten“ und die der Volkswitz früher als „acht um den König“ bezeichnete, galt in der Blüthenzeit des Welfenthums als intimster Berather des König und Manchem neben Wermuth als dessen böser Genius.

Wie dem aber auch sei, die Preußen fanden Veranlassung, die Marienburg allmählich genauer ins Auge zu fassen und den bis dahin ungehinderten Verkehr der Insassen des Schlosses mit Wien und der Provinz Hannover in gewissem Maße zu beschränken. Die Verhaftung des Majors von Klenck, der zwischen hier und Hietzing Postenträgerdienste leistete, „vor den Fenstern der Marienburg“ ist bekannt, die Wegbringung des Geheimraths von Stockhausen aus derselben nach Minden ebenfalls. Der Prinz Solms wurde, weil er sich noch als hannoverscher Officier gerirte, ausgewiesen. Verdächtige Besuche, wie der des Herrn von Hake auf Ohr, eines der eifrigsten Agitatoren für welfische Zwecke unter den calenberger Bauern und Kleinstädtern, fanden keine Zulassung mehr.

Zuletzt überbrachte der preußische Major von Loucadou der Königin ein Schreiben des Königs Wilhelm, in welchem derselben – selbstverständlich in den zartesten Ausdrücken, – die Wahl gelassen wurde, entweder die Marienburg und das Land zu räumen oder sich gefallen zu lassen, als Gast des Königs von Preußen betrachtet zu werden, das heißt, einen preußischen Hofstaat anzunehmen. Die Königin sandte darauf ihren Kammerherrn, den Grafen Linsingen, an ihren Gemahl, wie es heißt, um dringend zu bitten, daß man sie durch die Erlaubniß abzureisen aus ihrer peinlichen Lage befreie. Mit welcher Antwort derselbe zurückgekehrt, ist bis jetzt nicht zu sehen. Ist es, wie versichert wird, eine abschlägliche, so wird sie vielleicht die Anwesenheit des Vaters der Königin, der am 12. Juni mit der Prinzeß Therese auf der Marienburg eintraf, ausgleichen und die Sache zu einer Lösung im Sinne verständiger Würdigung der Verhältnisse führen, nach welcher eine entthronte Königin unmöglich in dem Lande, das ihr einst gehuldigt, verbleiben kann, zumal wenn ihr Gemahl sich noch als dessen Souverän und als mit dem neuen König desselben im Kriege befindlich betrachtet.

Dies in Kurzem die Geschichte der Marienburg, und nun einen Ausflug, den ich in der zweiten Woche des Juni nach derselben machte und trotz der siebenunddreißig Gensd’armen und vierhundert Soldaten, mit denen die erste Nummer der mit welfischem Gelde in Paris gegründeten „Situation“ die Burg von den bösen Preußen umstellt sein läßt, ohne Nebelkappe, blos mit einem Retourbillet nach Nordstemmen für sechszehn Silbergroschen bewaffnet, glücklich ausführte.

Die Marienburg liegt etwa dritthalb Meilen südlich von Hannover, eine Strecke, die man mit der Eisenbahn nach Hildesheim und Cassel in einer reichlichen halben Stunde zurücklegt. Mit dem Nachmittagszuge fuhr ich mit einem Freunde aus Hannover ab. Rasch wechselten im Fenster des Waggons rechts und links die Bilder der Landschaft, der schöne Baumschlag der Eilenriede, die grünen Saatfelder und die rothen Dörfer des Leinethals und der Ebene, die weiter nördlich in die Haide übergeht, das Städtchen Sarstedt, endlich die bewaldeten Hildesheimer Berge im Rahmen des linken und die hohe, dunkelblaue Mauer des Deister [423] in dem des rechten Wagenfensters, und unter letzterer im Vordergrunde, auf einem Hügelhang aus Buchenwipfeln emporsteigend, der Streitthurm und die Giebel und Zinnen einer Burg, grau im grünen Walde.

„Die Marienburg!“ sagte mein Begleiter, mich anstoßend.

Ein Pfiff der Locomotive, und „Nordstemmen!“ rief der Schaffner, indem er die Wagenthür öffnete.

Ein Bahnhofsgebäude in romanischem Stil nahm uns auf (in Hannover fand ich überhaupt Vieles gothisch oder romanisch gebaut), und ein paar Minuten später waren wir raschen Ganges auf dem Fahrwege, der sich durch Getreidefelder und ein hübsches Wäldchen nach der Burg hinschlängelt. Die beiden grünen Gensd’armen, welche die Reisenden auf dem Bahnhofe empfingen, hatten uns unbefragt und unbehindert passiren lassen. Jetzt sahen wir, uns umblickend, daß der eine uns eiligen Schrittes nachkam.

„Wollen die Herren nach der Burg?“

„Wenn wir dürfen, ja.“

„Haben Sie dort was zu thun?“

„Nichts, als uns das Schloß zu besehen, die Aussicht zu betrachten und im Wirthshaus darüber ein Glas Bier zu trinken.“

„Im Wirthshaus da oben giebt’s jetzt nichts mehr, und in die Burg selbst dürfen Sie nur, wenn Sie Legitimation haben.“

Wir hatten nur Visitenkarten und auf unsere Namen lautende Billets in die Kunstausstellung und den zoologischen Garten in Hannover.

„Das gilt nicht als Legitimation, und so werden Sie nur bis unten an den Berg dürfen. Uebrigens werden Sie noch zweimal angehalten werden.“

Damit verließ uns der Wächter des Gesetzes, um nach dem Bahnhof zurückzukehren. Wir aber setzten unsern Weg fort, ich ein wenig mit dem Gefühl, mit dem ich mich 1864 auf der Chaussee zwischen Eckernförde und Schleswig über die preußische Vorpostenkette hinausgewagt hatte. Wie damals war es unsicheres Terrain, auf dem wir uns bewegten. Wie damals hatte ich ein vortreffliches Gewissen, aber wie damals konnte doch ein unbequemes Abenteuer passiren. Indeß wollten wir nicht vergebens gekommen sein, und ein paar Stunden Verlegenheit unter Verdacht, der sich bald als unbegründet herausstellen mußte, hatten eben nicht viel zu bedeuten.

Wir durchschritten das noch vor uns liegende Wäldchen. Immer deutlicher und stattlicher trat die Burg mit ihren Einzelnheiten hervor, ein grauer Sandsteinbau aus rothen Substructionsmauern, Thürme und Thürmchen mit schwarzen Dächern, Erker und Ausbauten mit Spitzbogenfenstern. Links an der Chaussee, kurz vor der Brücke, die hier über die Leine nach dem Fuße des Burgbergs (er hieß früher der Schulenburger Berg) führt, einzelne Pfähle, dem Anschein nach einer zerstörten oder beabsichtigten Telegraphenleitung angehörig. Drüben überm Wasser rechts die böse Kalkhütte mit dunkler Rauchsäule, die man vergebens wegzukaufen versucht hatte.

Ueber die Brücke geschritten, hatten wir die Wahl, ob wir auf dem breiten Fahrwege rechts oder auf dem Fußwege, der sich links durch den Park, in den man den Wald um das Schloß verwandelt hat, zu letzterem hinaufschlängelt, weiter gehen sollten. Ein guter Genius in Gestalt eines alten Herrn mit einem Ordensbändchen, den wir um Rath fragten, rieth zu dem Fußpfade. Wir würden, meinte er, wohl noch einem Gensd’arm begegnen, aber die Burg zu besehen aus nächster Nähe, werde man uns nicht wehren.

Und so geschah es denn auch. Durch reizendes Waldesdunkel mit schimmernden grünen Lichtern wandelten wir weiter. Alles war still, nirgends einer der Cherubs in der Pickelhaube, die wir erwartet. Drei Handwerksburschen kamen seitwärts von uns auf einem andern Parkwege herauf. Endlich blickten die Wände und Fenster des Schlosses in geringer Entfernung zu unserer Linken durch die Stämme und Wipfel des Waldes, und bald nachher waren wir vor der Brücke, die über den Burggraben zu dem hintern Haupteingange des Baues führt. Ein rother Hofdiener mit breiten Goldlitzen über der Brust, Kniehosen und Gamaschen, ein Ausreiter in Uniform, ein paar Civilröcke, anscheinend gleichfalls zum Hofhalt gehörig, standen am Thore und verhandelten mit den Handwerksburschen, die Fechtens halber hier erschienen waren. Aus den kleinen Fenstern der Wohnungen über der Brücke lauschten die Köpfe von jungen Zofen herab, wie mir vorkam, neugierig, zu wissen, wer die Herren seien, die unaufgehalten in das verbotene Paradies und bis an ihr verzaubertes Schloß vorgedrungen. Möglich auch, daß sie prosaischer dachten und uns für Polizei in Incognito hielten.

Wir umschritten das Schloß auf der linken, der hinteren und der rechten Seite, weideten uns ein Weilchen an der schönen Aussicht, die man auf dem Zimmerplatz zur Rechten hinab auf das Leinethal mit seiner glänzenden Flußschlange und seinen rothen Dörfern, auf den Höhenzug des Deister, die schroffe Senkung bei Alfeld und die Hildesheimer Berge hat, und wieder störte uns keiner der gefürchteten Gensd’armen in unsern Betrachtungen. Zuletzt fragten wir an der Brücke, ob es erlaubt sei, in den Hof zu treten. Es war erlaubt, und wir machten Gebrauch davon. Die famosen Siebenunddreißig des neuen Pariser Welfenjournals sind also nicht die grausamen Cerberusse, die man sich unter ihnen vorstellt, und von einer hermetischen Absperrung der Königin und ihres Hofstaates von der Außenwelt ohne polizeiliche Legitimation ist nicht die Rede. Wir hätten jeder ein Dutzend hochverrätherischer Briefe in das Schloß bringen können. Wie Vieles von fern gesehen sich gefährlicher ausnimmt, als es ist, so auch hier.

Die Marienburg ist ein stattliches Gebäude aus grauen und gelblichen Sandsteinquadern auf einem Boden, auf welchem hin und wieder, besonders am linken Flügel, rother Sandstein zu Tage tritt. Das Ganze ist zweistöckig und vielfach gegliedert und umschließt einen Hof, der eine Tiefe von etwa dreißig und eine Breite von ungefähr achtzig Schritt hat. Die Front hat in der Mitte einen Ausbau mit Spitzbogenfenstern und rechts und links einen Eckthurm, von denen der erstere, für die Bibliothek bestimmt, zur Zeit noch der Bedachung entbehrt. Aus der linken Seitenfront tritt eine Capelle heraus, an die rechte schließt sich ein noch im Bau begriffenes Orangeriehaus – wie das Ganze in gothischem Stil gehalten – an. Tritt man über die Brücke und durch das mit den Wappen der Welfen und des Hauses Sachsen in Steinhauerarbeit geschmückte Hauptthor in den Hof, so steht man einem mächtigen, viereckigen, mit schmalen Spitzbogenfenstern versehenen Streitthurm gegenüber, aus dessen Mitte oben ein runder, in eine Zinnenkrone endender Thurm emporstrebt, während sich aus den vier Ecken kleinere Thürmchen erheben. Der große Thurm enthält eine Empfangshalle und die Treppen nach den obern Stockwerken. Die erste Etage der Vorderfront wird von der Königin bewohnt, die zweite war für den König bestimmt, eine Reihe von Zimmern auf dem linken Flügel für die Prinzessinnen, andere auf dem rechten, wenn ich recht verstand, für den Prinzen. Die Gebäude, welche hinten nach dem Walde hinaus den Hof abschließen, enthalten unten Ställe und Wirthschaftsräume, oben Gemächer für die Dienerschaft. Das Dach, welches vorn mit Thürmchen überbaute Mansardenfenster hat, ist mit schwarzen Ziegeln, die Thürme, so weit sie ein Dach haben, sind mit Schiefer gedeckt. Die Fenster des Hauptgebäudes sind mit Ausnahme derer an den Erkern, welche sich zu Spitzbogen erheben, Quadrate. Der Abhang vor der Hauptfronte wird von hübschen Kieswegen durchschlängelt, die von allerlei Wald- und Gartensträuchern eingefaßt werden. Die drei andern Seiten der Umgebung des Schlosses beschatten die Wipfel des Waldes, der den Berg ursprünglich bedeckte.

Rufe ich mir das Bild des Ganzen in’s Gedächtniß zurück, so macht es außen den Eindruck der Solidität und der Wohnlichkeit zugleich. Im Hofe aber und zumal vor dem dicken Streitthurm, der durch seine Massigkeit alles Uebrige drückt, fühlt man sich unbehaglich und wie vor einem Gefängniß.

Wir hatten genug gesehen und gingen nun den Fahrweg zurück, der von der Brücke zuerst schnurgerade durch den Wald nach dem Felde hinausführt und sich dann um die Flanke des Berges zur Leine hinabwindet. Am Saume des Waldes saß rechts über der Straße im Gebüsch eine junge Dame, die ihren Geist aus einem Buche speiste. Als sie unser ansichtig wurde, wandte sie sich seitwärts und dann wieder uns zu, wobei sie – mir schien’s bedeutsam – lächelte. Auch ich sah zur Seite, und siehe, da stand er, etwa zwanzig Schritt von der studirenden Dame, der Cherub in der Pickelhaube, der uns hätte zurückweisen sollen, als wir hinaufstiegen. Er war sogar mit einem Gewehr bewaffnet und hatte sehr drohend Posto gefaßt auf einer Erhöhung am Waldessaume, wo er den Fuhrweg überblicken konnte; aber das Gefährliche seiner Erscheinung war gemildert durch drei Frauenzimmer, die ihm die Langeweile des einsamen Wachestehens zu versüßen schienen, und so behielten wir guten Muth.

[424] Der Gensd’arm ließ uns unbehelligt passiren. Ein dritter College war nicht zu sehen. Auch Nummer Eins nicht, dem wir auf Befragen ruhig berichtet haben würden, daß seine Meinung von der Unzugänglichkeit der Marienburg für Nichtlegitimirte ein Irrthum gewesen. In bester Laune über unsern Erfolg schlenderten wir über die Kalkbrennerei und die Leinebrücke neben derselben nach Nordstemmen zurück, und wohlbehalten waren wir Abends halb elf Uhr wieder in Hannover. Ein kleines Abenteuer hätte die Tour und ihre Beschreibung unzweifelhaft gewürzt. Aber es wollte sich durchaus keins begeben. Manche Leute erleben eben keine Abenteuer, selbst wenn sie solche suchen, und so muß der freundliche Leser ohne dieses Gewürz vorlieb nehmen.